[354] La Clemenza die Tito.

[354] Opera seria in 2 Akten.

Von den böhmischen Standen zur Krönung des Kaiser Leopolds II. als böhmischen König zu Prag bestellt. Der Text ist von Metastasio. Mozarts letzte Oper. Er begann ihre Komposizion in seinem Reisewagen von Wien, und vollendete sie innerhalb achtzehn Tagen in Prag 1791.

Da sie für ein Krönungsfest, und zwei eigends darzu angenommene Sänger aus Italien, geschrieben war, mußte er nothwendig[355] brillante Arien für die zwei Hauptrollen schreiben. Aber sie stehen hoch über dem gewöhnlichen Troß der Bravourgesänge.

Man hält diese Oper für Mozarts vollendetstes Werk. Ich kann diesem Urtheile nicht geradezu beipflichten.

Mozart schrieb diese Oper bei hinschwindenden Kräften. Sein großer Genius war im Abschiednehmen begriffen. Mit seinem stechendem Körper1 mußte auch die Energie seines Geistes ermatten. Daher die einzelnere Instrumentalbegleitung, die stille Erhabenheit und – Schwermuth in den Melodien und dem Karakter des Titus. Metastasio hatte diese Oper ursprünglich[356] in drei Akte abgetheilt. Aber eben dieser Mozart, der sonst so gern komponirte, sich über alles verbreitete, allenthalben die Schätze seines Genies verschwenderisch austheilte2, ward hier mit einem Male verdrießlich und karg. Er machte aus drei Akten nur zwei, schmolz den ersten und dritten Akt, wohl oder übel, an einander, und ließ die dialogisirenden Rezitative von einem – seiner Schüler dazu verfertigen.

Diese Oper hat einen ganz eignem Karakter und gleicht keiner der andern Arbeiten dieses Künstlers. In den Arien herrscht das Gefühl eines sinnenden, trauernden,[357] stillen Geistes, und alle zärtlichen Empfindungen färben sich mit einer Farbe von Schwermuth an.

Nur in den Finalchören raft er sich gewaltsam aus seinem hinsterbenden Schlummer empor. Es ist das letzte Auflodern des verlöschenden Lichts, das noch einmal alle seine Kräfte sammelt, ehe es in gänzliche Finsterniß versinkt.

Auch der Mangel an zusammengesetzten Stücken, als Quintetten, Sextetten, fällt auf. Es sind meistens nur Arien und Chöre, und wie kurz sind die Duetts abgefertigt! Man fühlt die Leere, das Erschlaffen der Energie des großen Meisters. Die Instrumente konzertiren weniger, sind weit einzelner – was überhaupt von der ganzen Begleitung verstanden werden kann – als in seinen andern[358] Werken. Seine Lieblingsarbeiten, die kanonischen Sätze, machen sich seltner.

An edler Einfalt hat das Ganze gewonnen; allein wir wissen, daß Mozart auch bei dem größten Aufwande seiner Kunst, bei der reichhaltigsten Instrumentazion dieses Kunstgesetz nie aus den Augen verlohr.

Studirt man diese Oper, vergleicht man sie gegen seine andern Werke, so ist ihre Verschiedenheit von jenen auffallend, und ich habe mich bei ihrem Studium oft der Thränen nicht enthalten können, wenn ich mir die Auspizien, unter welchen Mozarts Geist arbeitete, recht lebhaft vorstellte, und die immer leerer werdenden Taktkolumnen der Blaßinstrumente den gebundenen Fittig seines Genius anzudeuten schienen. In dieser Stimmung[359] lese man das schwermüthige Rande (F dur) mit obligatem Bassethorne im 2ten Akte: »Non piu di fiori.« Eine geheimnißvolle Ahnung scheint den Sänger umschwebt zu haben, daß auch ihm die holden Kinder des Frühlings nimmer blühen würden.

Das, außer den Chören, sehr eingeschränkte Personale dieser Oper, die wenige Handlung des Stücks waren ebenfalls nicht geeigenschaftet, sich in ausgeführten Bildern zu verbreiten. Manche Aktetten und Duetts scheinen nur Skizze zu seyn.

Titus ist der Hauptkarakter und mit einer – ich möchte fast sagen – ängstlichen Sorgfalt gezeichnet. Mit feinem Sinne faßte Mozart die Einfachheit, die Ruhe und stille Erhabenheit des Titus, mit Kummer schattirt, auf, und übertrug[360] sie – damals wohl seine eigene Empfindungen – in die Komposizion. Jeder Theil, selbst die gemäßigte Instrumentalparthie, trägt dieses Gepräge an sich, und vereinigt sich zu der schönsten Einheit des Ganzen.

Vitellia steht diesem schönen Karakter ganz entgegen. Mozart mahlte ihre Wildheit, ohne zu vergessen, was er der darstellenden Kunst schuldig man, und ist Vitellia gleich ein moralisches Ungeheuer, so schont Mozart doch das feine Gefühl des Zuhörers und zeigt uns die Unmenschliche immer noch menschlich genug.

Servilia, die Geliebte des Titus, welcher Edelmuth! welche immer wahre Größe! Ganz das Seitenstück ihres erhabenen Geliebte! Ihr stummes Dulden, ihre gewaltsam unterdrückte Flamme, wie[361] schön wußte Mozart es in der Arie: »Per pieta non ricercate la cagion de mio tormento!« Laß mir meinen stillen Jammer, frage nicht, was so mich quälet (Es dur mit obligatem Horne) zu mahlen! Der Ruf des Horns in dem Allegro assai, auf die Stelle: »chiamo solo o Dio la morte« greift ans Herz und erschüttert alle Nerven.

Sextus und Aninius, das Bild der zärtlichsten Freundschaft, spiegelt sich in dem liebevollen Duetten (C dur 6/8) »Dela prendi un dolce umplesso inimico mio fedel.« In deinem Arm zuweilen, Freund, welche Seligkeit!

Die Ouverture (C dur ist) durchgängig nach jener des Idomeneo gearbeitet und fängt mit denselben Notenfiguren an. Ganz im heroischen Stil, wie jene, geschrieben,[362] enthält sie den ganzen Plan der Oper. Das Brasseln der Flammen, das Geheul beim Feuerlärm des brennenden Kapitols, zeigt sich so, wie der Pomp des römischen Quiritenaufzugs, Vitellias Wildheit und Titus Erhabenheit, darin. Sie ist volltönig und nebst den Finals das fleißigstinstrumentirte Stück der Oper.

Alle übrigen Stücke verrathen den großen Geist ihres Schöpfers. Der Final des ersten Aktes ist eine der vollkommensten Arbeiten Mozarts. Ausdruck, Karakter, Empfindung wetteifern darin, den größten Effekt hervorzubringen. Gesang, Begleitung, Instrumentation, Modulazion, der Wiederhall der fernen Chöre bewirken bei jeder Aufführung eine bei Opern seltne Täuschung. Der Schlußchor des zweiten Akts ist gewiß unter[363] allen Chören der fließendste, erhabenste, ausdruckvollste.

Bei ihren ersten Vorstellung gefiel diese Oper, die jetzt noch immer mit dem größten Entzücken gehört wird, nicht so sehr, als sie es verdiente. Ein Publikum, von Tanz, Ball, Vergnügen aller Art und dem prunkenden Geräusch des Krönungsfestes betäubt, konnte ohnmöglich für die einfachen Schönheiten Mozartischer Kunst Sinn hören. Ueberhaupt erfordert der Genuß dieses Kunstwerks eine eingestimmte Seele und ein vollkommen ruhiges Gemüth. Auch wirkt es nur nach und nach, und nur wiederholtes, aufmerksames Hören weihet allmählich in seine erhabenen Mysterien ein.

Die vorzüglichsten Klavierauszüge dieser Oper sind der Leipziger bei Breitkopf[364] und Härtel mit dem Titelkupfer des brennenden Kapitols, und jener bei Simmrok zu Bonn.

Die deutsche Uebersetzung ist vom Freiherrn von Apell für das Kasselsche Theater.

Fußnoten

1 Während dieses Aufenthalts in Prag und folglich, während der Komposizion dieser Oper, kränkelte und medizinirte Mozart beständig.


2 Man vergleiche! – Zu dem schon für sich musikreichen Don Juan komponirte er noch ein halbes Dutzend Stücke nach, daß man kaum weiß, wo man sie bei der Vorstellung unterbringen will, und hier strich er einen ganzen Akt des Textes geradezu Weg! –


Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 365.
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