Linz.

[141] Die Gegend nahe bey dieser Stadt von der Wasserseite ist ungemein angenehm. Zu beyden Seiten ist die Donau wieder mit Bergen eingeschlossen, auf welchen Bäume stehen, und an den Füssen derselben gehen die Heerstrassen. Das Schloß kann man ziemlich weit von ferne sehen, und die Häuser und Klöster, welche zum Theil[141] auf den höchsten Spitze der Bergen stehen, machen einen schönen Anblick. Hier geht eine Brücke von zwanzig breiten Bögen über die Donau. Die Stadt ist an und auf hohen Hügeln erbauet, und ihre Lage hat viel Aehnliches mit der Lage von Passau. Es war zwölf Uhr, als wir ankamen, also waren die Kirchen geschlossen, indessen erhielt ich Erlaubniß die Collegiatkirche zu besehen, worin ich eine grosse Orgel fand.

Hier herrscht ein so grosser äusserlicher Schein von Andacht, als ich an keinem andern noch so andächtigen Orte gefunden habe. Die ganze Donau hinunter, bey jedem Städtchen, sind auf vierzig oder funfzig Schritte weit von einander kleine Heiligenhäusgens errichtet, zuweilen an den Seiten der Berge an so schmalen Stellen, daß kein Fußsteig hinangeht.14 Und ich sah in Linz kein Haus, an welchem nicht eine gemahlte oder geschnitzte Mutter Marie oder ein anderer Heiliger zu sehen gewesen wäre.

Ich ging wohl zwo Stunden in der Stadt herum. Es war Marktag, aber nur von elenden Kleinigkeiten. An Eßwaaren fand man nichts, vielleicht weils ein Freytag war, als Brodt, gemeinen Käse, schlechte Aepfel, Birnen und Pflaumen; von andern Waaren nichts als Taffellttenkrämerey, Spielzeug, Gebetbücher, und grobe[142] Holzschnitte von Heiligen und Jungfrauen. In der ganzen Stadt sah ich keinen guten Kramladen, ob sie gleich viele hübsche Häuser von Ansehen hat. Hier sind auch noch die Giebel- und stumpfe Thurmspitzen nach bayerischer Bauart in der Mode.

Bey Spilberg, welches bloß noch die Schale von einem alten Schlosse auf einem Felsen in der Donau ist, ist der Erste von den beyden Wasserfällen in diesem Flusse, die man für so gefährlich hält. Indessen bestund itzt das ganze Fürchterliche in dem ungestümen Rauschen des Wassers.

Ens ist eine grosse Stadt, die man von hieraus zur rechten Hand liegen sieht. Wir fuhren bis es dunkel war, durch eine schlechte Gegend; zuweilen ist der Fluß gleich einer See, so breit, daß man kaum Land erblicken kann. An andern Stellen ist er wieder von Inseln gebrochen, und in schmale Ströme getheilt. Das Floß legte bey einer armseligen Bauerhütte an, zur linken Seite des Ufers, und die andern Reisenden stiegen ans Land, um dort die Nacht zuzubringen; ich hielt mich aber in meiner Cajüte, und glaube, ich befand mich besser dabey in Ansehung des Bettes, und was das Essen anbelangt, hatten sie auch keinen Vorzug vor mir. Mein Pierre kletterte mit grosser Mühe die Felsen hinan nach einem Dorfe, und verschafte mir ein halbdutzend Eyer, mit welchen er im Triumph wieder kam. Aber ach! zwey davon waren angegangen, und ein Drittes hatte schon ein Küchlein, und das konnte ich nicht übers Herz bringen zu essen, weils Freytag war.[143]

Des Sonnabends gingen wir um fünf Uhr los, wurden aber ehe wir eine Meile weiter gekommen waren, von einem heftigen Nebel aufgehalten, der es wegen der vielen Felsen, Klippen und Inseln gefährlich machte, weiter zu steuren. Als der zerstreuet war, erreichten wir bald darauf den Strudel, welches in einer wildern Gegend ist, als ich selbst bey meinem Uebergange über die Alpen gesehn habe. Dies ist der berühmte Wasserfall und Wirbel, welchen die Deutschen so sehr fürchten, daß sie sagen, hier habe der Teufel seine Wohnung; man hatte mir indessen so viel davon vorgesagt, daß er mir lange nicht so gefährlich vorkam als ich erwartet hatte. Die Londoner Schußbrücke ist schlimmer, ob sie gleich nicht so viel Getöse macht. Die Gesellschaft kreuzte und segnete sich sehr andächtiglich. Allein ob es gleich, besonders im Winter, gefährlich gnug seyn mag, in einem Fahrzeuge darüber zu gehen, so kann ein solches Floß wie dieses, zwar unter Wasser tauchen, aber es hat eine so grosse Fläche, daß es möglicher Weise nicht zu Grunde sinken oder umschlagen kann.

Bey Ips, einem artigen Städtchen, mit einer neuen, schönen und grossen Caserne oder Barracke, die dichte dabey steht, wird das Land freyer und schön. Hierherum fängt der österreichische Weinbau an. Der Weisse ist gut und angenehm, obgleich nur eine leichte Sorte.

Zu Mölk, an der rechten Seite der Donau, ist ein sehr prächtiges Benedictinerkloster; es scheint[144] sich über zweydrittel der ganzen Stadt zu erstrecken. Die Bauart daran ist schön, und es scheint noch nicht lange gestanden zu haben. Hier sind zur linken Hand des Ufers lauter Weinberge. Die Erndte war in dieser Gegend mehrentheils zu Ende; und überhaupt scheint in diesem ungeschlachten Lande der Landbau sehr vernachlässigt zu seyn. Ich glaube, ich habe schon vorher die Anmerkung gemacht, daß die Menge unnützer Forsten und Wälder in verschiedenen Gegenden Deutschlands, ein barbarisches wildes Volk anzeigen; und die Wahrheit zu sagen, die grossen Handelsstädte und die Residenzen der Prinzen ausgenommen, scheinen die Deutschen sehr roh und ungebildet.

Die Gegend wird bis Stein immer ungeschlachter. Die Felsen waren oft so hoch, daß sie uns schon um zwey oder drey Uhr des Nachmittags die Sonne benahmen. Zu Stein ist eine hölzerne Brücke von fünf oder sechs und zwanzig sehr breiten Jochen über die Donau, über welche man nach Krembs geht, woselbst die Jesuiten ein prächtiges Collegium haben, das auf einem Hügel eine sehr schöne Lage hat. Es hat mehr das Ansehen einer Königl. Wohnung, als irgend ein Pallast, den wir in England aufweisen können. Stein liegt zur Linken und Krems zur Rechten, wenn man die Donau hinuntergeht. Hier legte unser Floß vor Anker, um zu übernachten, ob es gleich erst fünf Uhr war. Wir hatten aber auch den ganzen Tag über, ausgenommen des Morgens, des Nebels wegen, nicht angelegt. Wir hatten itzt[145] ungefehr noch zehn Meilen bis Wien, und der Schäker vom Floßmeister hatte mich und allen seinen Passagiers in München versichert, daß er uns schon den Donnerstagabend in Wien liefern wollte.

Zu Krembs befindet sich in der Jesuiterkirche ein ungeheures grosses Orgelwerk. Hier und den ganzen Weg hinunter nach Wien, singt der gemeine Mann in den Wirthshäusern, und der Bauer bey seiner Arbeit auf dem Felde, zum Vergnügen sein Lied in zwey und zuweilen in mehr Stimmen. Nahe bey Ips war eine grosse Anzahl böhmischer Weiber, die wir in England Gypsies nennen würden, auf einer Walfahrt nach St. Marientafel, einer Kirche die auf der Spitze eines hohen Berges steht, der auf der andern Seite der Donau, dem Städtchen gegenüber liegt. Niemand wußte mir zu sagen, warum sie St. Marientafel Hiesse; nach aller Wahrscheinlichkeit aber hat sie den Namen von der Gestalt des Berges, auf welchem sie steht, der einer Tafel gleicht. Diese Weiber sungen indessen nicht vielstimmig, wie die Oesterreicher, sondern im Canto fermo, wie die Pilgrimme die ich in Italien auf der Wallfahrt nach Assisi singen hörte. Der Schall ward etliche Tausend Schritte durch Strom und Wind den Fluß herunter geführt, auf dessen glatter Oberfläche er ununterbrochen hinfuhr.

Die musikalischen Vorfälle dieser Wache sind so unbedeutend, daß sie kaum des Aufschreibens werth sind. Ich muß indessen zu dem, was ich bereits von dem Hange der Oesterreicher zur Musik[146] gesagt habe, noch hinzufügen, daß ich zu Stein, gegenüber Krembs, verschiedene geistliche Lieder und Gesänge hörte, die mit vier Stimmen recht gut gesungen murden; wer die Sänger waren, konnte ich nicht erfahren, denn ich war auf dem Wasser. Es war aber ein glücklicher Umstand für mich, daß ich mich zufälliger Weise auf einer Stelle befand, da ich das Singen so gut hören konnte, als wenns ausdrücklich so veranstaltet worden wäre. Es war ein Frauenzimmer, das die Oberstimme sang, und die Melodie ward nicht nur mit Simplicität ausgedrückt, sondern die Harmonie hatte alle Vorzüge des Wachsens und Abnehmens, welches für mich die Wirkung der Annäherung und des Entfernens that; und die Sänger schienen ihre Sache, und sich selbst unter einander so gut zu verstehen, daß ein jeder Accord in allen seinen Theilen diese Art von Ebenmaaß hatte, welche man eben der Anzahl Noten giebt, wenn man sie auf der Orgel mit einen Schweller spielt. An diesem Orte hörte ich die Soldaten und andre junge Leute, die am Wasser herum gingen, fleissig singen, und niemals weniger als zweystimmig.

Es ist schwer auszumachen, woher es komme, daß die Leute in einem Lande viel leichter vielstimmig singen lernen, als die in einem andern? ob es daran liegt, daß die Leute in römisch catholischen Orten häufig vielstimmige Musik in ihren Kirchen singen hören, kann ich nicht sagen; aber das weiß ich gewiß, daß es in England unnendliche Mühe kostet, sowohl dem Meister als den[147] Schüler, eh ein angehender Sänger dahin kommt, mit Sicherheit zu der aller einfachsten Melodie eine Unterstimme singen zu lernen. Und ich erinnre mich nicht, daß die Bänkelsänger in den Gassen zu London oder in unsern Landstädten, nur darauf gedacht hätten, in zwo verschiedenen Stimmen singen zu können.

Sonntags, den 30sten August. Dieser Tag wurde verspillt, ohne daß wir mit dem Flosse nach Wien kamen, wie man mich sicher hatte erwarten lassen. Ein Officier der mit uns reisete, machte mit mir einen Versuch, ob wir ein Landfuhrwerk dahin auftreiben konnten, aber vergebens. So wie wir uns Wien näherten, verlohr die Gegend von ihrer Wildheit. An allen Hügeln sieht man Weinbau, und die Donau ist hier voller Inseln.

Tuln ist eine kleine Stadt und befestigt. Sie hat eine hübsche Kirche, ein hübsches Kloster, aber auch ein hübsches Packhaus; und diese hübsche Sachen findet man hier fleissig bey einander.

Bey Korn-Neuburg liegt ein sehr festes Kasteel, auf einem sehr hohen Berge, welches die Stadt und dem Fluß bestreichen kann.

Zu Nusdorf, einem Dorfe eine gute Stunde von Wien, das nichts hat, als eine Kirche und einen Mauthhof, verlor ich fast alle Geduld, da mir gesagt wurde, daß nicht daran zu gedenken, daß das Floß heute, auf einen Sonntag, in Wien kommen könnte. Es war erst um fünf Uhr und der siehende Tag, daß ich in einen Stall gesperrt[148] gewesen, worinn ich freylich hätte fett werden können, wenn ich nur etwas zu Essen gehabt hätte. Da dieses aber nicht war: so ward ich sowohl vor Hunger als wegen Zeitverlust sehr ungeduldig nach meiner Erlösung, und nachdem ich eine Stunde lang vergeblich nach einer Chaise gesucht hatte, bekam ich endlich ein elendes Boot, das mich und meinen Bedienten nach Wien brachte.

Diese Wasserfahrt hat zwar meine Kenntniß von der deutschen Musik eben nicht vermehrt, um destomehr aber meine Kenntniß von den Leuten und von dem Lande, durch welches ich reisete. Ich hatte wirklich Gelegenheit bey einer jeden grossen Stadt auf unsrer Fahrt ans Land zu steigen, worin ich die Kirchen besehn konnte, ob ich gleich nicht Zeit hatte, musikalische Bekanntschaften zu machen, oder Beytrag zu meiner Geschichte zu sammlen. Von der Nationalmusik aber gaben mir die rohen Gesänge, die ich von den Bauren und Schifsleuten singen hörte, vielleicht einen richtigern Begriff, als man von der verfälschten, verderbten und italiänisirten Melodie sammlen kann, die man in den Hauptstädten dieses weitläuftigen Reiches zu hören bekömmt.

14

Diese Capellen ober Heiligenhäuser sind nicht groß genug, daß ein Priester oder andre Person hinein gehen könnte; sie sind bloß zu Behältnissen eines Crucifix oder einer Marie bestimmt.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 141-149.
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