II.

Komposition des ›Rheingold‹ und der ›Walküre‹.

[32] Komposition des ›Rheingold‹. – Materielle Sorgen: Schiffbruch des ›Verpachtungsprojektes‹. – Züricher Freundeskreis. – Das ›Rheingold‹ instrumentiert. – Komposition der ›Walküre‹ begonnen. – Sittener Musikfest und Seelisberg. – Minnas Reise nach Deutschland. – Bekanntschaft mit Schopenhauers Philosophie. – Verkehr mit Wesendoncks. – Komposition der ›Walküre‹ beendet. – Erste Konzeption von ›Tristan und Isolde‹.


Nur der Einsame vermag in seinem Drange die Bitterkeit dieses Geständnisses (der Unmöglichkeit der Verwirklichung des vollendeten Dramas in der Gegenwart) in sich zu einem berauschenden Genusse umzuwandeln, der ihn mit trunkenem Mute dazu treibt, das Unmögliche zu ermöglichen.

Richard Wagner.


Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

dort wirket sie geheime Schmerzen,

unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh'.

Faust.


Fast mit einer gewissen feierlichen Scheu hatte der Meister den Beginn der musikalischen Ausführung seines übergroßen Werkes immer weiter hinausgeschoben. Auf die Vollendung der Dichtung und ihre Herausgabe war eine dreivierteljährige Schaffenspause gefolgt. ›Heute floß mir das Rheingold herrlich durch die Adern‹, heißt es in seinem ersten Briefe an Liszt nach seiner Rückkehr aus Paris aus den letzten Oktobertagen. Die Kompositionsskizze ward am 1. November 1853 begonnen. Langsam, Schritt für Schritt, hatte er sich dem andererseits ersehnten Zeitpunkt genähert und nichts unterlassen, was in seinen Kräften stand, um die Komposition der gesamten vierteiligen Dichtung in einem Zuge ausführen zu können. Vorsorgend war er auf die Befriedigung derjenigen Bedürfnisse bedacht gewesen, in deren besonderer Eigentümlichkeit seine künstlerische Natur ihre Anforderungen gebieterisch geltend machte. Die mit nicht geringen Anstrengungen erkauften Anregungen des Musikfestes, das Zusammensein mit Liszt, der Ausflug nach [32] Italien, das Rendezvous in Basel und Paris, selbst die sorgfältig liebevolle, von ihm selbst bald darauf wegen ihrer relativen Kostspieligkeit verwünschte1 ›luxuriöse‹ Einrichtung seiner neuen Häuslichkeit: Alles zielte nur auf das Eine hin: sich für sein großes Vorhaben die unerläßliche künst lerisch-wollüstige Stimmung zu gewinnen. ›Muß ich mich wieder in die Wellen der Phantasie stürzen, um mich in einer eingebildeten Welt zu befriedigen, so muß wenigstens meiner Phantasie auch geholfen, meine Einbildungskraft muß unterstützt werden. Ich kann dann nicht wie ein Hund leben, ich kann mich nicht auf Stroh betten und mich in Fusel erquicken: ich muß irgendwie mich geschmeichelt fühlen, wenn meinem Geiste das blutig schwere Werk der Bildung einer unvorhandenen Welt gelingen soll‹. Die Auslieferung seines ›Tannhäuser‹ an die Theater sollte ihm die Mittel dazu verschaffen; diesem nun auch noch seinen ›Lohengrin‹, das edelste Werk seines bisherigen Lebens, nachfolgen zu lassen, auch dieses ›der voraus gewußten Stümperhaftigkeit unseres Theater-Gesindels und dem Hohne des Philisters preiszugeben‹, war ihm kein geringes moralisches Opfer Leider brachte ihm die sichere Voraussetzung zahlreicher Bestellungen auf den ›Lohengrin‹ für den Herbst 1853 vorläufig nur schwere Enttäuschungen. Die künstlich behagliche Stimmung, in der ihm seine bevorstehenden Einnahmen während dieses Winters etwas ganz Unfehlbares zu sein schienen und in der er nun auch ›wieder Lust zur Musik faßte‹, hielt nicht lange an. Er merkte dies sehr bald nach seiner Rückkehr aus Paris Schwere äußere Sorgen verdrängten sie alsbald.

Zunächst war die unter allen Verzögerungen lang ersehnte endliche Aufnahme seiner Arbeit von günstigstem Einfluß auf sein gesamtes Befinden. ›Mit großer Freudigkeit‹, sagt er in späterem Rückblick ›begann ich, nach fünfjähriger Unterbrechung meines musikalischen Produzierens, in der Jahreswende von 1853 zu 1854 die Ausführung der Komposition meiner Dichtung. Mit dem »Rheingold« beschritt ich sofort die neue Bahn, auf welcher ich zunächst die plastischen Natur-Motive zu finden hatte, welche in immer individuellerer Entwickelung zu den Trägern der Leidenschafts-Tendenzen der weitgegliederten Handlung und der in ihr sich aussprechenden Charaktere sich zu gestalten hatten. Die eigentümliche Naturfrische, welche von hier aus mich anwehete, trug mich ohne Ermattung, wie in hoher Gebirgsluft, über alle Anstrengungen meiner Arbeit hinweg.‹2 Damit stimmen auch seine gleichzeitigen Nachrichten überein; sie konstatieren übereinstimmend die eingetretene Besserung seines nervösen Grundübels. ›Während der Arbeit fühlte ich mich jetzt oft recht wohl; das [33] Gewitter schien sich völlig verzogen zu haben. Ich fühlte mich oft schön geselbst – die Hoffnung legte sich weich an mein Herz.‹3 ›Wenn ich den leidenden Zustand, in dem ich jetzt normal bin, empfinde, kann ich nicht anders, als meine Nerven für ruiniert halten; wunderbarerweise tun mir aber diese Nerven – wenn es gilt und mir schöne entsprechende Anregungen kommen – die wundervollsten Dienste; ich bin dann von einer Hellsichtigkeit, von einer Wohlempfindung des Erfahrens und Produzierens, wie ich früher es nie gekannt hatte. Soll ich nun sagen, meine Nerven sind ruiniert? Ich kann's nicht.‹4 So bemächtigt sich seiner während der ganzen Zeit dieses leidenschaftlichen Schaffens am ›Rheingold‹ ein wahrer Arbeitsfanatismus, der ihn weder nach rechts, noch nach links sehen läßt. Er hatte in seinem Zimmer mehrere Arbeitsstätten nebeneinander aufgeschlagen: einen Schreibetisch, an dem er dichtete und schrieb, und ein Stehpult, woran er komponierte Inmitten des Raumes stand eine Chaiselongue, worauf er zu ruhen pflegte. ›Des Vormittags setze ich mich in diesem Luxus hin und arbeite: – das ist nun das Notwendigste, und ein Vormittag ohne Arbeit ist mir ein Tag in der Hölle.‹ In diesen Vormittagsstunden durfte ihn begreiflicherweise niemand stören; es war schon viel, wenn er überhaupt jemand empfing. Während des Komponierens ging er oft im Zimmer auf und ab, trat zuweilen an den Flügel im Nebenzimmer, um einzelne Akkorde anzuschlagen oder einzelne Phrasen zu spielen; dann schrieb er am Stehpult das Gefundene nieder. Die erste Particelle, die er entwarf, bestand aus nur wenigen Liniensystemen, in welche er die Melodie und die Akkordfolgen, mit Notierung der Grundzüge der Instrumentation, zuerst mit Bleistift skizzierte Erst wenn diese Partitur vollendet war, ging es an die Ausarbeitung, an die Details der Instrumentation, die er ohne jede Korrektur, mit einer unvergleichlichen Sorgfalt und Sauberkeit ausführte. Ein Schreibefehler, ein Tintenfleck genügte, um das angefangene Blatt zu verwerfen. Von solcher Reinschrift war er jetzt allerdings noch weit entfernt. Zunächst galt es die erste flüchtige Bleistiftskizze der Komposition, auf einzelnen unzusammenhängenden Blättern; die stets rückständige Kalligraphie wäre der vordringenden Inspiration hinderlich gewesen. Über den Vormittag hinaus pflegte er nicht zu arbeiten und dehnte ihn deshalb gern über die festgesetzte Tischstunde aus, wie er selbst in einem Briefe an Frau Ritter berichtet. ›Beim Komponieren übernehme ich mich gewöhnlich, reize auch meine Frau durch das Zuspätzutischfertig werden zu gerechter Entrüstung, so daß ich immer mit der lieblichsten Laune von der Welt in die zweite Hälfte des Tages trete, mit dem ich nun gar nicht weiß, was anfangen: einsame Spaziergänge in den Nebel; an manchen Abenden bei Wesendoncks. [34] Noch immer gewinne ich dort meine einzige Anregung: die anmutige Frau bleibt mir treu und ergeben, wenn auch vieles für mich in diesem Umgange marternd bleiben muß.‹

Leider droht die erste Unterbrechung der Komposition bereits vierzehn Tage nach ihrem Beginn, am 16. November, also wohl sogleich nach dem Schluß der ersten Szene, einzutreten. ›Ich fühle mich jetzt so heil und froh in meiner Arbeit‹, schreibt er an Liszt, ›daß ich mir alles – nicht nur das Gelingen der Musik selbst, sondern auch mein Gesunden – erwarten darf, sobald ich vollkommen ungestört dabei verweilen und der herrlichen Stimmung ungetrübt mich hingeben darf. Wenn ich eines Morgens aufstehen müßte, ohne meine Musik vornehmen zu dürfen, wurde ich unglücklich Heute unterbreche ich mich den ersten Tag, um mich für allemal möglichst von dieser Furcht zu kurieren, die mich wie ein lauerndes Gespenst verfolgt‹. Durch das Zufällige und Neckende seiner Theater-Einnahmen5 war er in den Fall geraten, zu Weihnachten starke Zahlungen leisten zu sollen, ohne mit Sicherheit auf eine einzige Einnahme rechnen zu können. Er entwirft daher ein ausführliches Memorandum mit den genauesten Detailangaben, auf Grund dessen er, um allen ähnlichen Ungewißheiten für die nächsten, der Vollendung seines großen Werkes gewidmeten, entscheidenden Jahre zu entgehen, einen sofortigen summarischen Verkauf des Eigentumsrechtes der Partitur seines ›Lohengrin‹ auch für die Theater, an die Verleger der Partitur, die Herren Breitkopf & Härtel in Leipzig, vorschlägt und die Befürwortung der Angelegenheit durch Liszt erbittet. Zu solchen unerfreulichen Geschäftsgedanken kam dann noch, ebenfalls im November, ein starkes Erkältungsfieber und machte ihn auf zehn Tage arbeitsunfähig Liszts Antwort zögerte sich bis gegen die Mitte Dezember hinaus: er war selbst nach Leipzig gereist, hatte mündlich und schriftlich mit der Vertretung der berühmten Firma verkehrt, ohne sie dem für beide Teile so vorteilhaften Projekt geneigt machen zu können. Mit sicherem Blick hatte er alsbald auch die Quellen und Ursachen ihrer Zurückhaltung durchschaut: er weist auf die enge Befreundung des Dr. Härtel mit dem bekannten Leipziger Universitätsprofessor, Archäologen und Musikschriftsteller – Dr. Otto Jahn hin. Damit war viel gesagt.6 Derselbe unheilvolle Einfluß der Leipziger Clique stemmte sich in späteren Jahren – leicht erkennbar – auch den Verhandlungen Wagners mit dem gleichen Hause im Betreff des [35] Verlages der Partitur des ›Ringes des Nibelungen‹ entgegen! Inzwischen war der Meister in seinem Konzept bis zum Abschluß der zweiten Szene des ›Rheingold‹ und darüber hinaus gelangt. ›Ich spinne mich ein wie ein Seidenwurm; aber auch aus mir heraus spinne ich‹, meldet er am 17. Dezember. ›Fünf Jahre habe ich keine Musik geschrieben. Jetzt bin ich in »Nibelheim«: heute klagte Mime seine Not. Oft raubt mir‹, fügt er hinzu ›meine etwas lustige Situation die Laune: es ist augenblicklich eine böse Windstille bei mir‹ Trotzdem bedauert er, den Freund in die leidige Geschäftsangelegenheit hineingezogen zu haben, er will ihn künftig nicht mehr damit beschweren. War das ›Stehpult‹ diese trübe Zeit hindurch der Ort seiner Entzückungen, so blieb dagegen der Schreibetisch während dieser Wintermonate der Zeuge fortgesetzter geschäftlicher Verhandlungen; nur Liszt sollte nicht mehr dadurch beunruhigt werden. An dem Gedanken einer Verpachtung seines Eigentumsrechtes an ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ hielt er fest, als der einzigen Möglichkeit, sich in Ruhe und Gleichgewicht zu setzen. Er wandte sich nun damit nach Berlin, an seinen dortigen Theateragenten.7 Wirklich verschaffte ihm dieser für den ›Lohengrin‹ die Aussicht auf einen guten Käufer. Daß dieser Käufer die bekannte Berliner Musikalienhandlung Bote & Bock war, blieb Wagner längere Zeit hindurch unbekannt8, da es zwischen beiden Teilen zu keinem direkten Verkehr kam. Die Unterhandlungen schienen hoffnungsvoll; das bloße bestimmte Anerbieten der Berliner Handlung, wäre es dazu gekommen, hätte ihm dazu dienen können, bei einem Züricher Geschäftsmanne sein Kapital zu dokumentieren und die gewünschte Summe (3–4000 Taler) daraufhin bis zum völligen Abschluß seiner Arbeit geliehen zu erhalten. Da kam wie ein vernichtender Hagelschlag die Leipziger, ›Lohengrin‹-Aufführung unter Rietz Taktstock (7. Januar 1854) dazwischen. Auf diese, als die nächst bevorstehende, hatte Wagner selbst den ihm noch unbekannten Käufer verwiesen. Die Kunstgeschichte kennt deren beispiellose, epochemachende Jämmerlichkeit.9 Wäre der ›Tannhäuser‹, statt durch die begeisterten Aufführungen [36] von Schwerin, Breslau und Wiesbaden, durch eine solche Leipziger Aufführung zum ersten Male an das Lampenlicht gelangt, mit seinem Siegeslauf über die deutschen Theater wäre es übel bestellt gewesen. Das Verpachtungsprojekt war damit auf lange hinaus endgültig gescheitert! Der Berliner Agent schrieb ihm, nach diesem Erfolge wäre es nicht möglich gewesen, den schon sehr bereitwilligen Käufer zum endlichen Abschluß zu bestimmen. Der einzige Schlag genügte, um alles sorgfältig Eingeleitete zu zerstören und mit der zehrenden Sorge auch das kaum beschwichtigte nervöse Leiden wieder hervorbrechen zu lassen, Mit welchem Glauben, mit welcher Freude ging ich an die Musik! Mit wahrer Verzweiflungs-Wut habe ich endlich fortgefahren und geendet: ach, wie auch mich die Not des Goldes umspann! Glaub' mir, so ist noch nicht komponiert worden! Ich denke mir, meine Musik ist furchtbar; es ist ein Pfuhl von Schrecknissen und Hoheiten! –10

Am 14. Januar 1854 war der Kompositions-Entwurf des ›Rheingold‹ vollendet, in kaum zehnwöchentlicher Arbeitsfrist, die noch durch Unwohlsein, Sorge und geschäftliche Korrespondenz stark beschränkt und zerstreuend beeinflußt war. Außerdem fällt in eben diesen kurzen Zeitraum eine dreimalige Betätigung in den regelmäßigen Züricher Abonnements-Konzerten, in denen er am 29. November die C moll-Symphonie, am 13. Dezember Haydns D moll-Symphonie und die ›Egmont‹-Musik, am 27. Dezember die 4. Symphonie Beethovens und den Friedensmarsch aus ›Rienzi‹ dirigierte. Er hatte sich in den letzten Wochen nach außen hin völlig absichtlich betäubt, um sich durch nichts von der Vollendung seines Werkes abhalten zu lassen. Dann nahm er sich vor, bis Ende des Monats mit neuem Schaffen auszusetzen, um sich zu ›erholen‹. Aber welche ›Erholung‹ konnte dies sein, wo die umgebende Wirklichkeit ihm so wenig Tröstliches brachte? ›Die schrecklichsten Zeiten sind mir die, wo ich mich – erholen, zerstreuen soll: da werd' ich erst so recht gewahr, wie es um mich steht! Solange ich arbeite, kann ich mich täuschen; sobald ich mich erholen soll, kann ich mich aber nicht mehr täuschen, und dann bin ich – geradeswegs schrecklich elend!‹11 Eine ganze Reihe von freundschaftlichen Briefen gehört diesen Zwischentagen an, deren Erledigung sich aus den letzten Wochen und Monaten aufgesammelt hatte: der erste an Liszt, sodann an Spohr, an den alten Heine, an Frau Ritter, auch ein langer Brief an Röckel als Antwort auf dessen noch im September empfangenen fünf Bogen starken Brief (S. 25) u.s.w. Dem gefangenen Freunde in die Abgeschlossenheit seiner einsamen Zuchthaus-Zelle geistige Labung zu entsenden, [37] drängte ihn ein schönes Gefühl; seine sämtlichen Schriften hatte er ihm nach Möglichkeit in sein Gefängnis zugehen lassen, zu mancher Lektüre ihn angeregt. So ist auch sein diesmaliger Brief an Röckel an Umfang eine förmliche Broschüre, ein ganzes Konglomerat von Briefen,12 in dem sich der Reihe nach ein erzählender Abschnitt, ein philosophischer, ein erläuternder mit Bezug auf wichtige Punkte des Nibelungen-Gedichtes und ein Um- und Ausblick über die Verhältnisse seines derzeitigen künstlerischen Schaffens unterscheiden läßt. Nur mit seinen Sorgen und Nöten verschont er großmütig den armen Freund, so sehr diese auch seine ganze Gemütsverfassung damals beherrschen, so sehr sie in den an Liszt und Frau Ritter gerichteten gleichzeitigen Kundgebungen den tief melancholischen Grundton bilden ›Mit der wütenden Sorge‹, heißt es in diesen letzteren ›ist auch mein Nervenleiden gewaltsam wiedergekehrt‹ – ›wenn ich an die Wirklichkeit appelliere, dann könnte ich den ganzen Tag weinen‹ – ›die lächerlichste Lustigkeit kommt mir oft in derselben Stunde mit der mordlustigsten Traurigkeit.‹ Selbst der Gedanke taucht in ihm auf, sich direkt in einem Briefe – behufs seiner Begnadigung – an den König von Sachsen zu wenden. Nicht aus der äußeren Umgebung konnte er sich Ruhe und Trost verschaffen; dagegen steigt ihm aus dem Innern, mächtig belebend, die ideele Wirklichkeit einer Aufführung seines vollendeten großen Werkes in absehbarer Zeit als deutlich ausgemalte Vorstellung empor. ›Im Sommer soll die Walküre in Musik gesetzt werden und Ende nächsten Jahres denke ich auch mit den beiden Siegfrieden fertig zu sein. Im Mai 1858 sollen hier in Zürich die Aufführungen des Ganzen beginnen: – lebe ich bis dahin nicht mehr, so ist's desto besser. Dann wird wahrscheinlich Rietz in Leipzig das Ganze zu meiner Totenfeier aufführen: – das wäre so recht analog meinem ganzen Leben.‹13

Mit seinen Züricher Freunden (mit Ausnahme Sulzers) über seine materiellen Bedrängnisse zu verkehren, scheint er im ganzen eher vermieden als [38] dazu Veranlassung gesucht zu haben Sie sahen seine Stirn zuweilen umwölkt, ohne daß er sich des Näheren über die Ursachen seiner Verstimmung ausließ Wohl durfte er dafür mit Recht gerade hier nicht das rechte Verständnis erwarten. Aus dem Tone der Willeschen Erinnerungen z.B. geht durchaus klar und deutlich hervor, wie sehr sich ein behaglich dahinlebender Teil dieser Umgebung über das Außerordentliche, Exzeptionelle seiner Lebenslage geflissentlich mit falschen Vorstellungen täuschte. Man erfreute sich der Gastlichkeit des Hauses am Zeltweg, wo ›Frau Minna, die gern gesellig lebte, in einer angenehmen Häuslichkeit die freundliche Wirtin machte.‹ Man genoß der guten Laune des Hausherrn und seines ›unerschöpflichen Humors‹ und war dann wieder ganz verwundert, ihn plötzlich in eine so unbegreiflich bittere Unzufriedenheit über eine ›schlechte Leipziger Lohengrin-Aufführung‹ ausbrechen zu hören, weil man – die Folgen davon für ihn nicht überblickte Andererseits hatte er Grund genug, sich wenigstens gewisse Sphären seines Umganges von Gesprächen und Gedanken dieser trivialen Art rein und frei zu erhalten. ›Geldangelegenheiten waren ihm in der Seele verhaßt‹, erzählt Frau Wesendonck, ›im Verkehr mit mir kamen sie in ungezählten, schönen und weihevollen Standen niemals zur Sprache.‹ Unter solchen Umständen ließ er sich daran genügen, alte wohlbegründete freundliche Beziehungen auch ohne weitere Ansprüche aufrecht zu erhalten. Unter den Züricher Freunden standen immer noch Sulzer, Baumgartner, Herwegh obenan Letzterer war seit Beginn des Jahres 1853 nicht mehr allein; er hatte sich nach einigen Jahren der Trennung wieder mit Frau und Kindern vereinigt, und seine einsame Niederlassung im Hôtel du lac mit einer angenehmen Familienwohnung auf dem Kirchbühl (Neumünster), vertauscht. Im gesicherten Genuß einer Jahresrente aus dem Vermögen seiner Frau14 lebte er sorglos einer, durch keinerlei literarische oder künstlerische Produktion unterbrochenen, angenehmen Muße. In Gesprächen und auf gemeinschaftlichen Spaziergängen verdankte ihm Wagner manche wertvolle Anregung. ›Für einen wissenschaftlichen Verkehr mit der Natur muß mir Herwegh dienen, der seit lange ein gründliches Naturstudium treibt: durch ihn, den Freund, erfahre ich gar schöne wichtige Dinge von der Natur, und sie bestimmt mich in Vielem und Großem‹.15 Aber auch Sulzers zuverlässige Ergebenheit blieb ihm dauernd von Wert.16 Mit hohem sittlichen Ernst und lauterster Uneigennützigkeit verband dieser ungewöhnliche Mann [39] einen feingebildeten Geist, der sich gern in die höchsten und tiefsten Probleme des Daseins versenkte. Er war im Besitz einer seltenen Fälle des Wissens, nicht allein in der Rechtskunde und Nationalökonomie, sondern auch der Philologie und Geschichte, wodurch er Wagner besonders nahe trat. ›Die Krone des Menschenwesens war ihm dessen Erhebung über die Natur, die Metaphysik‹. Seit dem Jahre 1851 war er, neben Dr. Alfred Escher, Mitglied der Regierung, in welcher Stellung und Tätigkeit ihn schon damals das persönliche und einseitig plutokratische Element verdroß, das bis gegen Ausgang der sechziger Jahre den Kanton Zürich gefangen hielt.17 Er ist der in dem Aufsatz über die ›Iphigenien‹-Ouvertüre (S. 42) erwähnte ›werte Freund, der weder Musik treibt, noch musikalische Zeitungen liest‹, und der im Laufe dieses Winters ›den Wunsch äußerte, einmal etwas von Gluck zu hören, um doch auch einen Eindruck von dessen Musik zu gewinnen‹.18

Bereits zu Beginn des Februar, nach kaum vierzehntägiger Unterbrechung und ›Erholung‹, ließ es ihm schon keine Ruhe mehr. Es drängte ihn, sogleich auch an die Instrumentierung seines neuen Werkes zu gehen. Und zwar sogleich in voller Partitur; er konnte keine andere Weise finden, das Vorspiel als Skizze deutlich aufzuschreiben. Nun fand er dabei aber, daß die ›Reinschrift ihn umbringe‹, daß er damit eine Zeit verbringe, die er kostbarer anwenden könne. Dann griff ihn das viele Schreiben an, es machte ihn krank und nahm ihm die Laune zum eigentlichen Arbeiten. Ein junger Musiker an seiner Seite, wie später Hans Richter oder A. Seidl, wäre ihm jetzt durch seine Dienste von höchstem Werte gewesen. Er ging deshalb bald, wie für die Komposition, so auch für die instrumentale Ausführung von der Feder zum Bleistift über. ›Kannst Du mir nicht‹, schreibt er an Liszt ›einen Menschen nachweisen, der geeignet wäre, aus meinen wilden Bleistiftskizzen eine saubere Partitur zu schreiben? Ohne einen solchen geschickten Menschen bin ich verloren: mit ihm wäre ich in zwei Jahren mit allem fertig. Sieh Dich doch um! Hier ist niemand. Allerdings klingt es etwas fabelhaft, daß ich mir einen – Sekretär halten will, der ich mich selbst kaum halten kann!‹ Auch erblickte das erste Vierteljahr des neu angetretenen Jahres 1854 ihn wiederholt, mitten aus seiner Arbeit heraus, in voller Dirigententätigkeit bei Züricher Konzerten. Hier ein kurzer Überblick über diese sechsmalige Mitwirkung: am 17. Januar leitete er eine Aufführung von Beethovens achter Symphonie und Webers ›Euryanthen‹-Ouvertüre; am 14. Februar dirigierte er die ›Leonoren‹-Ouvertüre, am 21 die ›Freischütz‹-Ouvertüre und Mozarts C dur-Symphonie; am 7. März Glucks Ouvertüre zur ›Iphigenie in Aulis‹ und Beethovens 6 Symphonie; am 21 die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre [40] und Beethovens 7. (A dur-) Symphonie; am 30. März die ›Egmont‹-Ouvertüre, den ›Tannhäuser‹-Marsch und Beethovens achte Symphonie. Sämtliche Vorführungen dieser Art, in vier Monaten neun an der Zahl, waren stets das Ergebnis eingehender Studien in mehrfachen Proben, und konnten ihn auch nur in diesem Sinne befriedigen. Die drei letzten darunter gehörten überdies nicht einmal zu der gewöhnlichen Reihe der Züricher Abonnements-Konzerte; sie waren speziell durch den plötzlichen Bankerott des Züricher Theaters veranlaßt. Dieser ganz unerwartete tragische Zusammenbruch überlieferte einen großen Teil des Personals schutzlos dem gleichen Elend, das er einst in Magdeburg wie in Königsberg aus eigener bitterer Erfahrung kennen gelernt. ›Das Theater in Zürich‹, melden gleichzeitige Nachrichten, ›wurde plötzlich aus noch unbekannten Gründen aufgelöst, wodurch viele Mitglieder desselben in traurigste Verhältnisse kamen. Richard Wagner arrangierte nun sofort zu deren Bestem drei große Konzerte, deren Ertrag sie aus ihren strengsten Verlegenheiten herausriß.‹19 Von diesen Unterbrechungen abgesehen, die namentlich im Monat März sich häuften, gehörte er ganz seinem Werke, zu dessen Vollendung es ihn trieb, da bereits auch die Musik der ›Walküre‹ in seinem Geiste keimte und sproßte. ›Die Instrumentation des Rheingoldes geht vorwärts‹, schreibt er am 9. April,20 ›jetzt bin ich mit dem Orchester nach Nibelheim hinabgestiegen. Im Mai ist das Ganze fertig – nur keine Reinschrift: alles mit Bleistift unleserlich auf einzelne Blätter; im Juni muß es an die Walküre gehen.‹ Mit einer Arbeitskraft ohnegleichen,21 wie sie nur aus dem inneren Drange des schaffenden Geistes sich erklärt, förderte er sie bis zum 28. Mai soweit, daß die gesamte Instrumentierung seines Werkes, bis auf die Reinschrift, fertig vor ihm lag, – seit dem ›Lohengrin‹, also seit sechs Jahren, seine erste vollendete Partitur. Um einen tauglichen Sekretär hatte Liszt inzwischen nach mehreren Richtungen hin sich [41] vergeblich bemüht. Erst um die Mitte Juni erledigt sich die Angelegenheit, wenn auch nicht in der Weise, daß ihm dadurch eine Mühe abgenommen wurde. ›Suche mir keinen Schreiber‹, meldet er da dem Freunde, ›Madame Wesendonck hat mir eine goldene Feder – von unverwüstlicher Schreibekraft – geschenkt, die macht mich nun wieder zum kalligraphischen Pedanten. Die Partituren werden mein vollendetstes Meisterstück in Schönschreiberei werden. Man kann seinem Schicksale nicht entgehen! Meyerbeer bewunderte seinerzeit22 nichts mehr an meinen Partituren, als die saubere Schrift: dieser Akt der Bewunderung ist mir nun zum Fluch geworden. – ich muß saubere Partituren schreiben, solange ich lebe auf Erden! –‹

Kaum war das ›Rheingold‹ vollendet, so regte sich in dem Schaffenden aber auch schon der unabweisliche innere Drang, die Musik der ›Walküre‹ in Angriff zu nehmen. Er wartete, wie er am 17. Juni schreibt, dazu bloß auf ›schönes Wetter‹. Aber ›es sei so grau im Himmel und auf Erden, daß ihm nur theoretische Grillen zum Zeitvertreib einfielen‹. Daher schickte er sich an, Erfahrungen, die er soeben bei einer Züricher Konzertaufführung der Gluckschen ›Iphigenien‹-Ouvertüre an sich und seinen Zuhörern gemacht, zu einem Beitrage für die Brendelsche ›Neue Zeitschrift für Musik‹ zu verarbeiten.23 Kaum vierzehn Tage später ging es an die musikalische Ausführung der ›Walküre‹; nach den im Besitze von Frau Wesendonck befindlichen ursprünglichen Skizzen ist die Komposition in ihrem ursprünglichen Entwurf am 28. Juni begonnen und am 27. Dezember, also mit ihrem ganzen ungeheueren Inhalt genau in dem Zeitraum eines halben Jahres beendet. ›Die Walküre ist angefangen: Du, jetzt geht es doch erst los!‹ heißt es in einem Briefe an Liszt vom 3. Juli. Von neuem warf er sich in den Strom seiner gewaltigen künstlerischen Schöpfung: sie umstrickte ihn mit ihren erhabenen Entzückungen, mit dem ganzen Zauber des Unerhörten; sie erfüllte ihn mit dem wonnig-schmerzlichen Schauern des tragischen Wälsungengeschickes; sie riß ihn mit sich fort und ließ ihn im innersten Miterleben Töne zu ihrem Ausdruck finden, wie sie von ähnlicher Glut vor ihm noch von keines Menschen Geistesohr vernommen waren. Wohl durfte er, da das ganze große vierteilige Wunderwerk mit gleicher Fülle und Energie in seinem Innern lebte, seinerseits auf eine Vollendung desselben binnen wenigen [42] Jahren, auf eine Aufführung des Ganzen bald nach dies Absme Schluß zählen, – wenn nur die äußeren Bedingungen ihn nicht im Stiche ließen, wenn die, die als seine ›Freunde‹, ›Verehrer‹, ›Bewunderer‹ um ihn sich scharten, ihm diesen Zeitpunkt glücklich zu erreichen halfen. Darauf kam für ihn alles an: doch blieb er nach wie vor auf sich selbst, d.h. auf den unregelmäßigen, hinter dem Nötigsten zurückbleibenden Ertrag seiner Werke angewiesen. Die Zurückhaltung der größten, einzig Tantieme zahlenden Theater, Berlin und Wien, die verhältnismäßig geringen Anfragen auch der kleineren Bühnen, das Mißglücken des Verpachtungsprojektes, erhielten ihn seit dem letzten Jahresabschluß in ununterbrochenen Beschwerden. Wir werden im weiteren Verlauf sehen, wie verhängnisvoll diese Sorge dem erwünschten Gedeihen seines Werkes werden sollte. Schon im Herbst dieses Jahres finden wir ihn mit dem Plane beschäftigt, auswärtige Konzerte zu dirigieren, d.h. um sich die Subsistenzmittel für die Ausführung seiner Arbeit zu gewinnen, sich eben dieser Arbeit zu entziehen, die vor allem Ruhe und wohlgesichertes Behagen erforderte. Von hier bis zu seiner kurz darauf wirklich unternommenen Londoner Expedition war nur ein Schritt. Die Vorbedingungen dafür waren gegeben. In seiner Bedrängnis und um nur ›aus dieser niederträchtigen Lage herauszukommen‹, die ihn ›wie einen Zuchthäusler quälte‹, tastete er hierhin und dorthin, um der augenblicklichen Bedrängnis zu wehren. So wandte er sich an Brendel mit der Anfrage, ob er ihm nicht unter seinen Leipziger ›Bewunderern‹ tausend Taler auf 4–5 Monate austreiben könnte; dann, da sich dieser Versuch als fruchtlos erwies, an seinen Schwager, den Buchhändler Avenarius, der ihn erst kürzlich in Zürich besucht hatte.24 Leider ebenfalls ohne Erfolg! Was ihn damals plagte, scheint eine Züricher Wechselschuld in dem angegebenen Betrage gewesen zu sein, fällig am 31. Juli; die quälende Sorge darum begleitet ihn auf seinem diesjährigen kurzen Sommerausflug. Dazu kam die weitere Sorge um Minnas Gesundheit. Bereits meldeten sich bei ihr die Anzeichen ihres späteren Herzleidens. Der Arzt hatte ihr eine Luft- und Molkenkur auf dem Seelisberg am Vierwaldstätter See empfohlen. Auch hierzu waren Mittel erforderlich. Kurz, die schönen Sommermonate dieses Jahres gestalteten sich für ihn recht drangvoll.

Der erwähnte Ausflug fällt in die zweite Woche des Juli. Veranlassung dazu gab ein auf den 10., 11. und 12. Juli in Sitten (Kanton Wallis) angesetztes großes Konzert der ›Allgemeinen schweizerischen Musikgesellschaft‹. Das Zentral-Komitee der Sektion Wallis25 hatte ihn eingeladen, das gesamte [43] Sittener Musikfest als Dirigent unter seine Leitung zu nehmen, was ihm der Meister, wegen der voraussichtlich unzureichenden instrumentalen Mittel, kurzweg abschlug. Hingegen erklärte er sich bereit, eine Beethovensche Symphonie (A dur) zu übernehmen, wenn für das übrige Fest ein besonderer Dirigent angestellt würde, der mit diesem Arrangement zufrieden wäre. Das Komitee ging bereitwillig auf den Vorschlag ein und engagierte für den angegebenen Zweck den, Wagner sehr ergebenen, Musik-Direktor Ernst Methfessel in Bern, unterließ indes nicht, in den mannigfach darüber veröffentlichten Notizen die Sache so darzustellen, als ob Wagner mit Methfessel gemeinschaftlich die Direktion des Musikfestes übernommen hätte.26 Weiterhin erging an den Meister die Bitte, bei dieser Gelegenheit auch etwas von seinen eigenen Kompositionen zu Gehör zu bringen. Daraufhin gestand er die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre zu, jedoch, ›nur unter der Bedingung, daß er sähe, es ginge‹. Andernfalls bedang er sich aus, nach der Probe damit zurücktreten zu dürfen. Das Ganze hatte für ihn nur Reiz als eine Veranlassung zu einem Alpenausflug, über das Berner Oberland und den Gemmi in das Wallis etc. In diesem Sinne forderte er auch Bülow und Joachim dazu auf, da ihm letzterer für diesen Sommer seinen Besuch in Aussicht gestellt hatte. Liszts teilnehmende Erkundigung veranlaßte ihn dann, auch an diesen eine herzliche Einladung zu richten. ›Höre, lieber Franz, das wäre doch noch eine Freude für dieses traurige Jahr! Wärest Du, vielleicht auch J(oachim) und Bülow, mit dabei, – Gott weiß, was man dann extemporierte, rein uns zum Zeitvertreib!‹27 Es kam nicht dazu, und auch die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre ward aus guten Gründen im voraus von ihm zurückgezogen. Zum festgesetzten Termin traf er rechtzeitig in Sitten ein, um laut Übereinkunft die A dur-Symphonie zu dirigieren, Methfessel, mit den Vorübungen beauftragt, hatte diese bis zur letzten Hauptprobe geleitet, wo Wagner die Direktion der Symphonie übernehmen sollte. Ein Blick auf das aus 60 Musikern, zum großen Teil Dilettanten, bestehende Orchester genügte, um dessen ungenügende Beschaffenheit zu erkennen und ihn mit gerechtem Ärger über die Leichtfertigkeit der Einladung zu erfüllen. ›Bei der letzten Probe‹, so lautet der Bericht der Augenzeugen des Vorganges,28 ›erschien Wagner im Konzertsaal und, ohne sich an das leitende Komitee zu wenden, ging er geradeswegs auf Herrn Methfessel zu, mit welchem er eine ziemlich lebhafte Besprechung hatte. Von dieser Besprechung wurde nur so viel vernommen, daß der Meister das Orchester als »ungenügend« bezeichnete und deshalb die Direktion nicht [44] übernehmen wollte. Er verließ sofort den Konzertsaal und war in Sitten nicht mehr aufzufinden. Am nämlichen Abende wurde dem Komitee ein Schreiben Wagners eingehändigt, worin er seine Abreise mit der ungenügenden Besetzung des Orchesters, namentlich der Hörner, entschuldigte.‹29 Er begab sich von Wallis aus nach Genf, wo er einige Tage verweilte. ›Von dem Sittener Musikfest bin ich ausgerissen‹, meldet er an Liszt, ›es kam mir wie eine große Dorfkirmeß vor, auf der ich nicht Lust hatte, mit zu musizieren, – ich reiste Knall und Fall ab! Gestern früh (12. oder 13. Juli?) verließ ich den Genfer See; diese Nacht verbrachte ich im Postwagen von Bern nach Luzern Soeben schwimme ich auf dem Vierwaldstätter See, von dessen Ufern ich meine Frau abholen will.‹ So berichtet er dem Freunde in einem übrigens tief sorgenvollen Brief, vom Bord des Dampfschiffes ›Stadt Zürich‹ an diesen gerichtet, um durch seine Vermittelung die ihm nötige, bereits genannte Summe bis zu dem äußersten Termin als Darlehn auf seine bevorstehenden Theatereinnahmen vorgestreckt zu erhalten. ›Bedenke: am 31. Juli!!!‹ schließt der Brief. Nur in der Voraussetzung, daß Liszt dieser Sturm auf die Kasse seiner Leipziger Verleger gelinge, könne er sich überhaupt nach Zürich zurückgetrauen, um am 1. August die Komposition der ›Walküre‹ wieder aufzunehmen: kein Mensch könne ihm an Ort und Stelle helfen: er habe bereits alles angewandt, um seine Lage vom letzten Winter bis hierher zu fristen. Von Brunnen setzte er dann über den südlichen Teil des Vierwaldstätter Sees, den Urner-See, nach dessen linkem Ufer über. Auf steiler Felsenwand befand sich hier, 6–800 Faß oberhalb des Rütli, der Luft- und Molkenkurort Seelisberg (Kanton Uri), in dessen friedlicher Abgeschiedenheit Minna ihre vorgeschriebene Kur mit gutem Erfolge durchführte. Hier genoß er in mehrwöchentlichem Aufenthalt auf einsamen Gebirgsspaziergängen des prachtvollen Ausblickes auf den See und die Berge. Vom Gipfel des Seelisberger Kulms schweift der Blick über die ganze Umgebung des Vierwaldstätter Sees und reicht bis zum Schwarzwald. Er faßte sofort den Beschluß, den nächsten Sommer hier oben auf weltentlegener Höhe zu verbringen, den ›jungen Siegfried‹ hier zu komponieren. ›Der Seelisberg am Vierwaldstätter See: das ist die liebste Entdeckung, die ich in der Schweiz gemacht habe‹, schreibt er noch im folgenden Winter, in der Rückerinnerung daran ›es ist da oben wonnevoll; so schön, daß ich voll Sehnsucht bin, wieder hinauf zu gehen, – dort zu sterben!‹ Vergeblich erwartete er indeß von Liszt eine tröstlich beruhigende Auskunft.[45] Er erhielt eine Nachricht erst an dem bezeichneten äußersten Termin, nachdem er sich dazwischen bereits entschlossen hatte nach Zürich zurückzukehren. Sie lautete verneinend: er habe nichts ausrichten können. Die Kassa der Leipziger Firma leiste noch hartnäckigeren Widerstand als Silistria, – mit Stürmen richte man da nichts aus. Auch über die zuletzt in seine Hände gelegte Angelegenheit des ›Tannhäuser‹ in Berlin – so wichtig für die Sicherung der pekuniären Verhältnisse Wagners in dieser entscheidenden Zeit – konnte er ihm für jetzt nichts Ermutigendes melden.

Wie sich der Meister etwa in seiner damaligen Not geholfen habe, die man selbst in seinen brieflichen Nachrichten nur mit erregter Teilnahme verfolgt, vermögen wir nicht anzugeben.30 Wie es scheint, gar nicht, oder doch nur durch einen beschwerlichen Hinausschub; denn wenige Wochen später sehen wir in seinem Geiste das erwähnte abenteuerliche, all seine wahren Bedürfnisse durchkreuzende Projekt erstehen: sich aus der kaum gewonnenen Ruhe zu reißen, um in Brüssel und vielleicht einigen holländischen Städten durch Konzertaufführungen so viel zu verdienen, daß er damit seinen Unterhalt für die nächsten Jahre gesichert sähe. Er beziffert die ihm nötige Summe auf 10000 Francs Trotz fortdauernder materieller Bedrängnis versenkte er sich zunächst ganz wieder in seine Arbeit an der ›Walküre‹, deren erster Akt noch im Laufe des August zum Abschluß gedieh Daneben ward, mit der goldenen Feder, die Reinschrift der Partitur des ›Rheingold‹ gefördert, und diese noch während ihres Entstehens partienweise gleich nach der Herstellung an Bülow nach Dresden übersandt, – zum Zweck einer daselbst anzufertigenden Kopie. In diese Zeit fällt der Besuch eines warmen Anhängers, des jungen Kölners August Lesimple, der, mit einem ›Empfehlungsschreiben aus Weimar‹ ausgerüstet, bei dem verehrten Meister vorsprach und sich dadurch passend einzuführen glaubte, daß er ihm von der kürzlich stattgefundenen erfolgreichen Aufführung des ›Tannhäuser‹ in Köln erzählte. ›Er schien‹, berichtet Lesimple ›große Zweifel in meine optimistischen Mitteilungen zu setzen, glaubte an keinen rechten Eindruck seines Werkes auf das Publikum und schrieb seinen Beifall dem, wie er meinte, wahrscheinlich sehr tüchtigen Tenoristen zu.‹31 Über den Eindruck, den die Persönlichkeit des Meisters auf ihn gemacht, fügt er an anderer Stelle die Worte hinzu: ›Wer Wagner einmal in die Augen gesehen, vergißt nie mehr den tiefen unergründlichen Blick, der aus denselben strahlte, – es war etwas Wunderbares um diese Augen. So hielt er auch viel auf den Blick der Menschen, und ich erinnere mich sehr gut, wie er mir darlegte, daß er aus dem Blick den ganzen Menschen erkenne und ergründe. Dazu gehörte freilich sein Blick.‹

[46] Eine ganz einzig dastehende Freude gewann er damals durch Liszts Artikel über den ›Holländer‹.32 ›In Deinem Aufsatz‹, ruft er ihm zu ›trafst Du mich oft mit Blitzeskraft‹. ›Du hast mir zum ersten und einzigsten Male die Wonne erschlossen, ganz und gar verstanden zu sein: sieh, in Dir bin ich rein aufgegangen, nicht ein Fäserchen, nicht ein noch so leises Herzzucken ist übrig geblieben, daß Du nicht mit mir empfunden.‹ Und wieder: ›was die Andern schreiben, kann ich nicht mehr lesen; ich lese nur noch Deinen Holländer-Aufsatz: das ist – der Lohn, der Stolz meines Lebens!33 Aber das Bedrängende der augenblicklichen Situation war durch eine solche Herzstärkung nicht aufgehoben. Mit Liebe und Sorgfalt hatte er sich das Heim eingerichtet, dessen Anblick jeden Eintretenden erfreute, in dessen Umfriedung er sich die Stimmung für die Arbeit an seinem großen Werke zu erhalten hoffte. Die Erfahrungen eines Jahres hatten ihn aber darüber belehrt, wie wenig ihm die Welt eine solche Daseins-und Schaffensfreude gönnte. Mit Bitterkeit blickte er nun auf den ›müßigen Tand‹, den er ›in letzter Zeit aus Verzweiflung wie zu phantastischer Zerstreuung um sich gesammelt‹.34 ›Bei der Einsicht, zu der ich diesen Sommer gelangt bin, würde ich mit Wonne die Buße tragen, meinen ganzen Einrichtungskram zu verkaufen und nackt, wie ich bin, abermals in die Welt hinauszuziehen; doch – meine Frau würde diesen gewaltsamen Schritt diesmal nicht wieder ertragen; ich weiß, es würde ihr Tod sein‹35. Für jetzt war er nur darauf bedacht, zusammenzuraffen, was ihm an Barmitteln zur Verfügung stand, um Minna mit dem Nötigen zu einer zweimonatlichen Reise nach Deutschland auszustatten, die sie, zu ihrer Zerstreuung und Genesung, zunächst nach Dresden zu ihren Eltern antrat, und auf der sie weiterhin auch in Berlin und Leipzig bei Bekannten und Verwandten einen kurzen Aufenthalt nahm.36

Während dieser zwei Monate (September und Oktober) blieb er völlig einsam in Zürich zurück. Von neuem geht ihm in dieser Zeit das mehrerwähnte Projekt auswärtiger Konzertaufführungen aus eigenen Werken durch den Kopf, – als widerwillig ergriffenes Aushilfsmittel in der Not. ›Kein Theater hat Bestellungen bei mir gemacht; nichts rührt sich, ich scheine vollkommen vergessen Könnte ich von Belgien und Holland mit Geld zurückkommen, so würde ich auch wahrscheinlich wieder an meine Arbeit gehen können, – für jetzt ist alle Musik bei Seite gesetzt.‹ So schreibt er am 16. September.37 [47] Nur die Orchesterpartitur des ›Rheingold‹ wurde unter diesen bedrückenden äußeren Umständen in der Reinschrift zum völligen Abschluß gebracht; dann aber doch auch der zweite Akt der ›Walküre‹ in Angriff genommen. Damals, im September 1854, als er sich nach außen vergeblich nach einer Ermutigung umsah, ward ihm hingegen die entscheidendste innere Wohltat seines ganzen Lebens zuteil. Es war die Bekanntschaft mit der Philosophie Arthur Schopenhauers durch dessen Hauptwerk; ›Die Welt als Wille und Vorstellung‹. Herwegh brachte ihm das Buch; er war, bei seiner beständigen Berührung mit der gleichzeitigen naturwissenschaftlichen und philosophischen Literatur, zuerst darauf gestoßen. Zu keiner Zeit hätte die Kenntnis dieser Lehre einer erhabenen Weltentsagung ihn vorbereiteter treffen können. Seine ersten Züricher Jahre hatte er noch unter dem berauschenden Eindruck verbracht, seine eigene Befreiung aus dem Dresdener Joch könnte der Vorbote eines allgemeinen großen Umschwunges der sozialen Verhältnisse Europas sein. Diese Vorstellung hatte ihm den Mut zu einem so ungeheueren Unternehmen, wie der Dichtung seines ›Ringes‹, verliehen, an dessen Aufführung er ›erst nach der Revolution‹ denken wollte, um – ›den Menschen der Revolution die Bedeutung dieser Revolution zu erkennen zu geben‹.38 Nur zu bald hatte er sich von dem Schimärischen dieser Hoffnung, von der Wirkungslosigkeit seiner eigenen Aufrufe,39 von den allseitigen brutalen Triumphen einer stumpfsinnigen Reaktion40 überzeugt. Das Ideal einer Regeneration der europäischen Menschheit, das ihm eine kurze Zeit hindurch in seiner Verwirklichung so nahe geschienen, war in eine unabsehbare Ferne hinausgerückt; der Rückschlag davon auf seine gesamte politische und philosophische Weltansicht unvermeidlich. Wir können ihn von Jahr zu Jahr, bereits in den Briefen an Uhlig, mehr noch an Liszt, beobachten. ›Überhaupt, lieber Freund, werden meine Ansichten über das Menschengeschlecht immer düsterer; meist glaube ich doch empfinden zu müssen, daß diese Gattung vollständig zugrunde gehen muß.‹ (An Uhlig, Juli 1852). ›Du weißt, daß ich dem Glauben entsagt habe‹, heißt es bald [48] darauf (Oktober 1852),41 und fast wörtlich so gegen Liszt. ›ich glaube nicht mehr und kenne nur noch eine Hoffnung: einen Schlaf, so tief, daß alles Gefühl der Lebenspein aufhört‹ (15. Januar 1854). ›Für mich hat das letzte Lied von der Welt ausgeklungen; beachten wir sie nicht anders als durch Verachtung, nur diese gebührt ihr: aber keine Hoffnung, keine Täuschung für unser Herz auf sie gesetzt! Sie ist schlecht, grundschlecht; nur das Herz eines Freundes, nur die Träne eines Weibes kann sie uns aus ihrem Fluche erlösen.‹ ›Du kennst nun meine Stimmung; sie ist keine Aufwallung; sie ist fest und solid, wie Diamant. Nur sie gibt mir Kraft, die Last des Lebens weiter zu schleppen; aber ich muß in ihr fortan unerbittlich sein. Ich hasse jeden Schein mit tödlichem Grimme; ich will keine Hoffnung, denn sie ist Selbstbelügung.‹ Auf diesem Punkte angelangt, wird ihm die Kenntnis Schopenhauers von weitgehender, ja unermeßlicher Bedeutung. Mit unerhörter Schnelligkeit hatte er binnen Kurzem das Werk durchflogen, seinen tiefsten Grundgedanken verständnisvoll sich angeeignet. Sofort erkannte er darin den einzigen Trost, den entsprechendsten und vollständigsten Ausdruck seiner eigenen Überzeugung gefunden zu haben. In diesem Sinne macht er bald darauf (im Dezember) Liszt mit seiner neuen Entdeckung bekannt. ›Neben dem – langsamen – Vorrücken meiner Musik habe ich mich jetzt ausschließlich mit einem Menschen beschäftigt, der mir, wenn auch nur literarisch, wie ein Himmelsgeschenk in meine Einsamkeit gekommen ist. Es ist Arthur Schopenhauer, der größte Philosoph seit Kant, dessen Gedanken er, wie er sich ausdrückt, vollständig erst zu Ende gedacht hat. Die deutschen Professoren haben ihn – wohlweislich – 40 Jahre lang ignoriert: neulich wurde er, zur Schmach Deutschlands, von einem englischen Kritiker entdeckt. Was sind vor diesem alle Hegels etc. für Charlatans! Sein Hauptgedanke, die endliche Verneinung des Willens zum Leben, ist von furchtbarem Ernste, aber einzig erlösend. Mir kam er natürlich nicht neu, und Niemand kann ihn überhaupt denken, in dem er nicht bereits lebte. Aber zu dieser Klarheit erweckt hat ihn mir erst dieser Philosoph.‹42

Es ist nicht unsere Aufgabe, an dieser Stelle näher darauf einzugehen, inwieweit seine eigenen bisherigen philosophischen Einsichten tatsächlich in vielen Stücken die neue Lehre bereits antizipieren. Der Nachweis dieser unbewußten und unwillkürlichen Antizipation ist bereits in mehrfachen gründlichen [49] Untersuchungen gegeben.43 ›Ich selbst‹, sagt der Meister von sich ›erkenne zu tief, daß sie auf dem Wege der Dialektik mir nie beizubringen gewesen wäre, wenn sie meiner eigensten Anschauung nicht vollkommen entsprochen hätte; ebenso erkenne ich, daß sie niemand beizubringen ist, in dessen eigenster Anschauung sie nicht vor dem begrifflichen Erkennen vollständig begründet war.‹44 Er ward nun rückblickend des eigentümlichen Zwiespaltes gewahr, worin sich der anschauende Künstler und reflektierende Denker bisher in ihm befunden. Er mußte sich bekennen, seine eigenen Kunstwerke seit dem ›fliegenden Holländer‹ erst jetzt, mit Hilfe eines Anderen, der ihm die mit seinen Anschauungen vollkommen kongruierenden Begriffe lieferte, wirklich zu verstehen.45 Das Auffallendste in dieser Beziehung trat ihm nun aber in seiner Nibelungen-Dichtung, in der Gestalt seines Wotan entgegen. Er hatte in ihr nur die bisherige geschichtliche Phase der Weltentwickelung in ihrem notwendigen Untergang, hingegen im Siegfried den von ihm gewollten furchtlos freudigen Menschen der Zukunft darstellen wollen; und bemerkte nun, wie er bei der Ausführung, ja im Grunde schon mit der Anlegung seines Planes unbewußt einer ganz anderen, viel tieferen Anschauung gefolgt war. Nicht eine einzelne Phase der Weltentwickelung, das Wesen der Welt selbst, in allen seinen nur erdenklichen Phasen, hatte er in seiner Dichtung erschaut und in seiner Nichtigkeit erkannt. ›Dem Dichter ist es eigen, in der inneren Anschauung des Wesens der Welt reifer zu sein, als in der abstrakt bewußten Erkenntnis! mit dieser Konzeption hatte ich mir unbewußt im Betreff der menschlichen Dinge die Wahrheit eingestanden. Hier ist Alles durch und durch tragisch, und der Wille, der eine Welt nach seinem Wunsche bilden wollte, kann endlich zu nichts Befriedigenderem gelangen, als durch einen würdigen Untergang sich selbst zu brechen.‹46 Über diesen Gewinn hinaus, den, bisher nur aus dem Gefühle gerechtfertigten, Gehalt seiner eigenen Kunstwerke zum ersten Male mit dem Begriffe erfaßt und seiner Vernunft verdeutlicht zu sehen, empfand er aber jetzt auch zum ersten Male die tiefe Befriedigung seines bisher in sich selbst zurückgedrängten metaphysischen Bedürfnisses. Wie mit einem Zauberschlage sah er so manche Irrtümer schwinden, mit denen bis dahin sein Urteil behaftet war. Auf Schritt und Tritt fühlte er, wie er diese tiefsinnige Philosophie von jetzt ab täglich in seinen Wahrnehmungen ausübte. Sie ließ ihn die Welt mit anderen Augen betrachten, ihn Dinge und Beziehungen erkennen, [50] über die er sich sonst in einem optimistischen Wahne geflissentlich zu täuschen gesucht. Schon längst war es ihm schwer gefallen, dem steten Andrang der Erscheinungen gegenüber sich ›auf optimistischen Füßen zu erhalten‹. Indem er rückhaltlos die ernsten Wahrheiten der neuen Erkenntnis in sich aufnahm, leistete er seinem eigenen inneren Drange am entschiedensten Genüge. So ergriff ihn u.a. namentlich das Verhältnis zu den ›so schändlich von uns gemißbrauchten und mißhandelten Tieren‹ immer mehr auf das innigste: ›ich bin jetzt völlig froh, diesem bei mir von je sehr starken Mitgefühl jetzt ohne Scham mich hinzugeben und nicht mehr nach Sophismen zur Beschönigung der Schlechtigkeit der Menschen in diesem Bezuge suchen zu müssen.‹47

Das Studium der Schriften Schopenhauers, auf dessen Hauptwerk er alsbald auch die Lektüre der einzelnen kleineren Schriften folgen ließ, begleitete in den nächstfolgenden Jahren unablässig seine gesamte künstlerische Tätigkeit. Die erste Bekanntschaft aber gehört den beiden schönen Monaten seiner völligen Einsamkeit in Zürich an, in denen er, außer seinen regelmäßigen Spaziergängen mit Herwegh, fast nur mit dem Wesendonckschen Hause verkehrte. Wir haben diesem Verkehr in den letzten Kapiteln schon so manche gelegentliche Aufmerksamkeit zugewandt, daß es Zeit ist, hier einmal im Zusammenhange einen Blick auf diese schöne und wohltuende persönliche Beziehung zu werfen, wozu uns die eigenen pietätvollen Aufzeichnungen der Frau Wesendonck den besten Anhalt bieten. Bereits bei der ersten Erwähnung dieser Bekanntschaft48 gedachten wir dieser treuen Freundin, die erst vor wenig Jahren, fast unmittelbar aus der Erziehungsanstalt, in die Ehe mit dem reichen rheinischen Handelsmanne getreten und (nach einem gemeinschaftlichen kurzen New-Yorker Aufenthalt) mit ihm nach Zürich übergesiedelt war; auch daß sie der Meister ein ›weißes Blatt‹ genannt, das er sich ›zu beschreiben vorgenommen.‹ Wesendonck war ihm zunächst gelegentlich des Musikfestes persönlich näher getreten, indem er, aus seinen fast unbeschränkten Mitteln, an den für das Zustandekommen des Unternehmens erforderlichen Garantieen sich in erster Linie beteiligte. Für die ›italienische Reise‹ des vorigen Sommers war er dem Bedürftigen durch bereitwillige Vorstreckung des dazu Erforderlichen behilflich gewesen, und ein prächtiger Brief von einer der ersten Reisestationen (aus Pallanza) dankt dem ›allerverehrtesten Herrn Otto‹ außerdem noch für die ›Götterzigarren‹, die er ihm auf den Ausflug mit in den Koffer gepackt. In demselben Sommer hatte Wagner auch die (nachmals unter dem Titel ›Album-Sonate‹ veröffentlichte) ›Sonate für Mathilde Wesendonck‹ komponiert, mit dem Motto: ›Wißt Ihr, wie das wird?‹49 Frau Wesendonck selbst berichtet in ihren [51] Erinnerungen,50 wie der Meister damit begonnen habe, sie in seine Intentionen Einleitung dazu und allmählich eine seiner Prosaschriften nach der anderen vorgelesen. Da ich Beethoven liebte, spielte er mir die Sonaten; war ein Konzert in Sicht, wo er eine Beethovensche Symphonie zu leiten hatte, so war er unermüdlich und spielte mir vor und nach der Probe die betreffenden Sätze so lange, bis ich mich darin ganz heimisch fühlte. Es freute ihn, wenn ich ihm zu folgen vermochte und an seiner Begeisterung die meinige entzündete. Wenn ich mich vormittags 10 Uhr zur Probe einfand, rief er aus: ›Die Steine verwundern sich! Frau Wesendonck um zehn Uhr auf der Straße!‹51 ›Einmal, auf einem gemeinschaftlichen Ausfluge nach Brunnen, spielte er auf dem Klimperkasten des dortigen Speisezimmers bei einbrechender Dunkelheit Abschnitte aus der Eroica und der C moll-Symphonie; in der Frühe aber, zum Frühstück, wurde ich mit »Lohengrin«-Klängen begrüßt.‹ Bereits ward erwähnt, daß die Bleistiftskizzen der einzelnen Teile des Nibelungenringes, zunächst des ›Rheingoldes‹ und der ›Walküre‹, unmittelbar nach beendeter Reinschrift der Partitur in den Besitz der Freundin übergingen Dieser Bestimmung gemäß findet sich auf ihren losen Blättern außer den darin eingezeichneten Daten des Beginnes und der Vollendung der einzelnen Akte hier und da auch wohl eine ganz intime rein persönliche Hieroglyphe. Ein Spiel des Schreibstiftes, der noch zögernd über dem Papier schwebt, dessen Notenlinien er soeben die ›Fülle der Gesichte‹ anvertrauen will, oder eine kurz vor der Absendung nachträglich improvisierte, in Anfangsbuchstaben und Punkten angedeutete freundliche Widmung.52 ›Was er am Vormittag komponierte‹, fährt Frau Wesendonck in ihrer Erzählung fort ›das pflegte er am Nachmittag auf meinem Flügel zu prüfen. Es war die Stunde zwischen 5 und 6 Uhr; er selbst nannte sich »den Dämmermann«. Trat er einmal ins Zimmer, sichtbar ermüdet und abgespannt, so war es schön zu sehen, wie nach kurzer Rast und Erquickung sein Antlitz sich entwölkte, und ein Leuchten über seine Züge glitt, wenn er sich an den Flügel setzte. Da kam es denn auch vor, daß etwas ihn nicht befriedigte und er nach einem andern Ausdruck suchte. Einmal war das der Fall beim Aufbau des Walhall-Motivs. Ich sagte: »Meister, das ist gut!« Er [52] aber: »Nein, nein, es muß noch besser werden«. Er ging eine Weile ungeduldig im Salon auf und ab, rannte dann endlich hinaus. Am folgenden Nachmittag erschien er nicht, auch am zweiten und dritten blieb er fern Endlich kommt er ganz still und unbemerkt herein, setzt sich an den Flügel und spielt das herrliche Motiv ganz wie früher. »Nun?« – frage ich – »Ja, ja! Sie hat recht, ich kanns nicht besser machen!«‹ – ›Im Jahre 185453 führte er mich in die Philosophie Arthur Schopenhauers ein; er war überhaupt darauf bedacht, mich auf jede bedeutende Erscheinung in Literatur und Wissenschaft aufmerksam zu machen Entweder las er selbst, oder er besprach den Inhalt mit mir. So habe ich das Beste, was ich weiß, nur ihm zu verdanken‹.

Ein seltsam wunderbarer Verkehr zwischen dem großen Einsamen, dem gereiften Künstler, dem Schöpfer des weltumfassenden Nibelungenwerkes und der mit reichen Gaben des Geistes und der persönlichen Anmut geschmückten Jüngerin tritt uns aus vorstehender Schilderung entgegen. Wer ihn nicht begreift, dem entgeht eine wesentliche Seite in Wagners menschlichem Wesen. Was in diesem gern gesuchten Umgang die Brücke, das Verbindungsglied zwischen den Extremen bildete, war von des Meisters Seite die Freude an dem noch unbeschriebenen ›weißen Blatte‹, von seiten der jungen Frau die ihm entgegengebrachte liebevolle Ehrfurcht, die es ihr ermöglichte, seiner leidenden Seele, seinem oft überreizten, stets mitteilungsbedürftigen Geiste, den Stürmen seines Herzens, in denen sich dieses ›in furchtbarem Kampf wider Willen an die Lebenshoffnung anklammerte‹,54 – in solchen traulichen ›Dämmerstunden‹ seines Werktages kurze, wohltätig ablenkende Momente des Vergessens zu gewähren. Sie gemahnen uns an so manche gleichzeitige Äußerung, in der sein Bedürfnis nach Liebe, nach Mitgefühl, nach der ›Träne eines lieben weiblichen Wesens‹55 sich kundgibt, wie der an Liszt gerichtete Ausruf: ›Ach liebster Franz! Gib mir ein Herz, einen Geist, ein weibliches Gemüt, in das ich mich ganz untertaucfhen könnte, das mich ganz faßte – wie wenig würde ich dann nötig haben von dieser Welt!‹56 Es liegt etwas Unausgesprochenes von diesem Bedürfnis in seiner fortdauernden Bevorzugung der Wesendonckschen Häuslichkeit, in welcher doch andererseits auch der ›kunstliebende‹ Hausherr ihm keineswegs gleichgültig fern blieb. Daß seine Frau in Anlage und Bildung geistig höher stand57 und dem Meister demgemäß ein ganz anderes Verständnis entgegen bringen konnte, hat ihn Wagner zu keiner [53] Zeit empfinden lassen. Zahlreiche an ihn gerichtete Briefe58 beweisen zur Genüge, welcher persönlichen Hochachtung dieser liberale Gönner und durch und durch ehrenhafte schlichte Mann bei ihm genoß. Ein launiges Handschreiben aus dem Oktober 1854 ist durch eine ganz unvermutete Huldigung aus der Ferne veranlaßt. Die in Haag residierende ›Niederländische Gesellschaft zur Beförderung der Tonkunst‹ hatte ihn gerade damals (gleichzeitig mit mehreren anderen ›berühmten Komponisten‹) zu ihrem Ehrenmitglied ernannt. Auszeichnungen dieser Art mußten seinem Gefühle doch immer nur als tiefe Mißverständnisse seines wahren Wesens erscheinen. Er beeilte sich das ihm übersandte Diplom, mit dem er nichts anzufangen wußte, mit einem begleitenden Scherzwort an Wesendonck gelangen zu lassen. ›Sie sehen, verehrter Freund‹, schrieb er dazu, ›es kann uns nun nicht mehr fehlen; was wir längst erstrebten, ist erreicht – wir sind zum Ehrenmitgliede der niederländischen Musikgesellschaft ernannt. Den ersten gemeinschaftlich errungenen Lorbeer bitte ich Sie in Ihrem Kontor aufzuhängen; der Anblick wird auch Sie zu Mut und Ausdauer stärken, wie er mich bereits hoch erhoben hat.‹ Ein anderes Mal gibt es ernsthaftere Auseinandersetzungen zwischen Künstler und Geschäftsmann. ›Sehen Sie‹, heißt es da ›so verdrießt Sie es, wenn man Sie nur als Geschäftsmann anredet, und mir tun Sie Unrecht, wenn Sie Geschäftssinn mir gar nicht zutrauen. Glauben Sie mir, auch ich kann rechnen: leider habe ich aber nur so Verdrießliches zusammenzurechnen, daß es mir nicht hoch angerechnet werden muß, wenn ich mich einmal verrechne. Geben Sie mir so Angenehmes zu berechnen, wie das bei Ihnen denn doch ab und zu vorgekommen sein muß, so sollten Sie sich über meine Pünktlichkeit verwundern.‹59

Eine reinere Freude, als alle holländischen Ehrendiplome, bereiteten ihm in diesen Herbstmonaten, während fortgesetzter Arbeit an der ›Walküre‹, die von hier und da her eintreffenden Nachrichten über auswärtige Aufführungen seines ›Lohengrin‹. Zwar trug auch dieser beständige briefliche Verkehr mit dem ›stets unsichtbaren Auslande‹ vielfach zur Reizung seiner Nerven bei; doch durfte er ihm immerhin auch manchen ermutigenden und erhebenden Eindruck entnehmen. In Breslau hatte er ein lebendiges Interesse für seine Werke, wie er wohl wußte, der persönlichen Propaganda einer vortrefflichen Sängerin, der Mme. Moritz, einer Schwester seines gefangenen Freundes Röckel, zu danken. Er wußte dies und erfreute sich dessen. Ganz wie über die günstigen Berichte, die ihm um die gleiche Zeit seine einstige Jugendbekannte, die Sängerin Lehmann60 über die Prager Aufführung seines ›Tannhäuser‹ zukommen ließ. Wir besitzen mit Bezug auf die bevorstehende Breslauer Aufführung des [54] ›Lohengrin‹ zwei besonders schöne Briefe des Meisters. Zu so furchtbarer Bitterkeit es ihn stimmen konnte, von den so entscheidenden Erstaufführungen seiner Werke in der Heimat ausgeschlossen zu sein, und noch mehr: mit der ihm so heiligen Sache materielle Interessen verknüpfen zu müssen,61 – so wenig entsagte er deshalb der Pflicht, sie selbst aus weiter Ferne mit liebevoller Sorgfalt zu beraten. Ein großer Teil dieser Art von Korrespondenz ist teils noch unveröffentlicht, teils unwiederbringlich verloren. Von den beiden erwähnten, zufällig erhaltenen und bekannt gewordenen Briefen nach Breslau ist der eine an den dortigen beeiferten Kapellmeister Seidelmann, der andere an den Referenten der dortigen ›Oderzeitung‹62 gerichtet. Letzterer hatte ihm brieflich seine Begeisterung für das neue Werk gemeldet und, manchen unverständigen Stimmen gegenüber, auf das, den Bestrebungen des Meisters beipflichtende ›Urteil des Kenners‹ verwiesen. Nicht um dieses ›Urteil des Kenners‹, erwidert ihm Wagner am Schlusse seines inhaltreichen Briefes, sei es ihm bei der Mitteilung eines Kunstwerkes an das Publikum zu tun, vielmehr einzig um die Wirkung auf die Anschauung. ›Vermag die bevorstehende Aufführung, wie ich hoffe, diese Anschauung zu geben, so bleibt mir nur zu wünschen, daß ich in dem Gegenstande, den ich mitteile, mich nicht getäuscht haben möge, als ich seiner Zeit das Bild davon mit unwiderstehlicher Neigung in mir hegte. Möge dieser wunderbare Stoff aus dem künstlerisch gestalteten Bilde jetzt Sie so einnehmen, wie er einst wahllos, ja mit fast unbegreiflicher Anziehung, in schmerzlich seliger Begeisterung mich zu seiner Aneignung drängte. Mögen Sie dann so wenig, wie ich bei seiner Ausführung nach dem metaphysischen Grunde dieser einnehmenden Kraft fragen, sondern dem Wunderbaren sein volles Recht lassen, in einer Welt der ödesten, praktischen Verstandsmotive uns mit seinen ahnungsvollen Wonnen und Wehen zu erfüllen!‹

Ist es uns heute auf den ersten Blick schwer verständlich, welches Gewicht damals Bühnen zweiten Ranges, wie die Breslauer, wenn nur enthusiastisch betreibende Kräfte dabei mit im Spiele waren, in die Wagschale des Schicksales seiner Werke legen konnten, so müssen wir es uns desto lebhafter [55] vergegenwärtigen, wie gerade die größten deutschen Theater damals, nach dem unwiderleglichen Ausweis der Statistik, einer ganz anderen Macht als eifersüchtig gehütete Domäne unterworfen blieben. Für die Hoftheater diente dabei der ›politische Revolutionär‹ auf lange hinaus zum ausgiebigen Vorwande ihrer Zurückhaltung. Sämtliche schwer bedrückende finanzielle Verlegenheiten Wagners während der letzten Jahre (die sich ja nie auf sehr große Summen bezogen) wären allein durch regelmäßige Tantiemen der Berliner Hofoper für seine Werke zu beseitigen gewesen, und der fortdauernde Ausfall unentbehrlicher Subsidien von dieser Seite her ward für ihn in seinen nachteiligen Wirkungen immer verhängnisvoller. Der hieraus entstehende Verlust, für die ersten vier Jahre auf annähernd 10000 Francs zu beziffern,63 hat sich begreiflicherweise auch in den nächstfolgenden Jahren, wie der weitere Verlauf belehrt, nie völlig ausgleichen können! ›Das Ausbleiben Berlins für meine Opern zieht alle übrige Stockung des Geschäftes nach sich,‹ heißt es in dem so tief eindringlichen Briefe an Liszt vom Oktober dieses sorgenschweren Jahres, einem der vielsagendsten über das gesamte schmerzliche Verhältnis zu den Aufführungen seiner Werke.64 Den bitteren Nachsatz: ›und – bei Gott! – die Verbreitung meiner Opern ist mir lediglich nur ein Geschäft‹ stellt der Zusammenhang in das rechte Licht. Da er an und für sich so ganz und gar nicht im Sinne Wagners gedacht65 ist, so fragt es sich bloß, weshalb er ihn gerade in diesem, an Liszt gerichteten Briefe mit so leidenschaftlicher Paradoxie zum Ausdruck bringt. Aus fast sämtlichen brieflichen Verhandlungen der letzten Zeit mit dem Weimarer Freunde über diesen Gegenstand tritt uns zwischen den Zeilen deutlich entgegen, daß er die unvermeidliche Entscheidung des Berliner Schicksales seiner Werke eigentlich nur noch um Liszts willen zurückhielt. In seine Hände war die Angelegenheit einmal niedergelegt und, so bitter es ihm ankam, wollte er ihm die in der Zurückziehung dieser Vollmacht liegende Kränkung so lange als möglich ersparen. Für seine Person war er längst davon überzeugt, daß trotz aller widerstrebenden Elemente sein Werk in Berlin am Ende dasselbe erleben würde, was es überall erlebt hatte Größere Hoffnungen daran zu knüpfen, erschien ihm jetzt eitel. Einem halbwegs aufmerksamen Leser des Briefwechsels kann weder der innere Kampf entgehen, den er seit dem ersten Gedanken an eine Berliner Aufführung des [56] ›Tannhäuser‹66 in bezug darauf fortschreitend in sich durchkämpft, noch aber auch das eigentümliche Verhältnis, wonach der – sonst gegen die Wirklichkeit der umgebenden Theaterwelt und ihrer Forderungen so duldsame und nachsichtige – große Weimarer Freund speziell im Hinblick auf Berlin den stolzesten aller Künstler an vornehmer Zurückhaltung ganz ersichtlich noch überbietet. Er brachte dadurch den durch ihn vertretenen Meister, nachdem sich dieser längst darein ergeben, die Berliner Aufführung seiner Werke nur noch unter dem notgedrungenen Gesichtspunkt des äußeren Vorteils zu betrachten, in eine ungemein schwierige Lage. Andererseits hinderte ihn diese vornehme Zurückhaltung nicht an dem diplomatischen Versuch, durch seine Weimarer Aufführung der elenden Nibelungen-Oper Heinrich Dorns (Februar 1854) die Gunst dieses neuesten, soeben zur Anstellung gelangten Berliner Oberhofkapellmeisters für die Sache Wagners zu gewinnen.67 Wer wollte deshalb mit ihm rechten? Die Größe seiner Liebe zu dem künstlerischen Freunde kann nur Der ermessen und richtig beurteilen, der die völlige Verschiedenheit seiner ganzen Natur in jedem Moment sein es Denkens und Handelns mit in Betracht zieht. Auf der anderen Seite aber auch das Zartgefühl und die Selbstverleugnung Wagners, dem es unendlich schwer fiel, nachdem er die ganze Berliner Angelegenheit einmal vertrauensvoll in Liszts Hände gelegt, sie nun wieder daraus zurückzuziehen. Aber der Zeitpunkt näherte sich, wo dies notwendig wurde. Als Minna Anfang November von ihrer Reise zurückkehrte, hatte sie auch den Boden der preußischen Residenz von neuem sondiert, und dieselbe älteste Berliner Freundin des Meisters, bei der sie während ihres dortigen kurzen Aufenthaltes Wohnung genommen, Alwine Frommann,68 wird bald darauf, dank ihrer persönlichen Beziehungen zur Prinzessin von Preußen, die endgültige Vermittlerin der Berliner Aufführung des ›Tannhäuser‹.69

Unter solchen äußeren Umständen ward die Musik der ›Walküre‹ bis zum 27. Dezember 1854 zur Vollendung gebracht. ›Brünnhilde schläft! – Ich – wache leider noch! –‹. Anfang Oktober, um die Zeit jenes mehrerwähnten großen Briefes an Liszt, war er mit der Fricka-Szene beschäftigt: ›ich bin im zweiten Akt der Walküre: Wotan und Fricka: wie Du siehst, muß mir das geraten.‹ Dann ward die große Wotan-Szene und die daraus sich entwickelnde tragische Handlung unter dem Eindrucke Schopenhauers ausgeführt. Unter der gleichen erhabenen Einwirkung aber taucht dann auch, und zwar sofort mit voller Gewalt, der erste Gedanke an ›Tristan und Isolde‹ in ihm auf. [57] ›Dem schönsten meiner Lebensträume, dem jungen Siegfried zulieb, muß ich wohl schon noch die Nibelungenstücke fertig machen: die Walküre hat mich zu sehr angegriffen, als daß ich mir diese Erheiterung nicht gönnen solle; ich bin damit in der zweiten Hälfte des letzten Aktes. Mit dem Ganzen werde ich doch erst 1856 fertig – 1858, im zehnten Jahre meiner Hegira, kann ich's dann aufführen, wenn's sein soll. Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem von Anfang bis zu Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopfe einen »Tristan und Isolde« entworfen, die einfachste, aber vollblutigste musikalische Konzeption; mit der »schwarzen Flagge,« die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um – zu sterben. –‹

Wir treffen in der vorstehenden Erwähnung aus dem Ende des scheidenden Jahres 1854 die allererste Nennung des ›Tristan‹-Stoffes, der von hier ab ununterbrochen seine dichterisch-musikalische Phantasie beschäftigt hat, und auch in seinen Briefen dazwischen immer wieder auftaucht. Die ›schwarze Flagge, die am Ende weht,‹ deutet auf einen Zug der alten Tristansage, der am Ende nicht in die wirkliche Ausführung der Dichtung übergegangen ist. Wir erfahren aber noch von einem anderen Zuge der ursprünglichen ›Tristan‹-Konzeption, wonach es damals ›im Plane des Meisters gelegen hätte, den nach dem Grale suchenden Parzival70 zu dem an der Sehnsucht nach der Nacht sterbenden, nicht sterben könnenden Tristan pilgernd gelangen zu lassen.‹ ›Da wäre denn die Weise des Gral-Suchers wirklich hineingeklungen in die Weise des Nachtgeweihten; der Entsagende als der Mitleidige wäre wie eine himmlische Trosterscheinung vorübergezogen an dem Schmerzenslager des selbst in der Verneinung noch begehrenden und daher endlos am Leben Leidenden.‹71 Was in der ursprünglichen Erfassung des Gegenstandes dem ersten tastenden Erschauen sich als die phantasievolle Symbolik einer einzelnen Szene darstellte, sollte sich in der Folge in zwei volle und selbständige künstlerische Realitäten teilen, damit aber zugleich der Tristan-Dichtung ihre ungemilderte furchtbare Tragik so erhalten bleiben, wie der Lebensweg des Künstlers sie ihm zunächst einzig zur Empfindung brachte.

Fußnoten

1 An Liszt II, 40: ›Der Dämon faßte mich: in meinem schrecklich öden Leben keimte mir wieder die Neigung zu etwas Annehmlichkeit der Existenz auf die Verführung zeigte sich, ich gab meine Partituren hin, verwunderte mich über ihre Erfolge – und – hoffte. Ich verfluche nun diese Hoffnung‹.


2 Ges. Schr. VI, S. 377.


3 An Liszt II, S. 10.


4 An Röckel S. 44/45.


5 ›Das Üble ist, daß diese Einnahmen einen Charakter haben, der auf mein pekuniäres Auskommen den empfindlichsten und beunruhigendsten Einfluß äußert: sie kommen einmal reichlich, unvorhergesehen und unverhofft, wodurch sie plötzlich Beruhigung, Sicherung und eine gewisse verführerische Fülle bringen, um dann dauernd, und ebenso unvorausgesehen wieder, durch ihr Ausbleiben Not, Sorge und Bedrängnis herbeizuführen.‹ (An Liszt II, S. 230.)


6 Vgl. dessen ›Gesammelte Aufsätze über Musik‹, Leipzig, Breitkopf u. Härtel 1866, mit den darin enthaltenen berüchtigten Aufsätzen über den ›Tannhäuser‹ und den ›Lohengrin‹!


7 Hermann Michaelson, Theaterkommissionsgeschäft, Leipzigerstraße 42, Berlin.


8 Briefwechsel II, 4. 5. 16. 17.


9 ›Zum Unglück für den »Lohengrin« war Leipzig eine der ersten Bühnen, welche Weimar in seiner Aufführung nachfolgte. In Leipzig, welches damals noch zum größten Teile im Mendelssohn-Kultus schwelgte, schwang Julius Rietz, ein Jugendfreund Mendelssohns und erklärter Gegner Wagners, den absoluten Herrscherstab im Gewandhaus und im Theater. Als nun Rietz, dem Drängen des damaligen Theaterdirektors Wirsing, eines echten Koulissenroutiniers, nachgeben mußte – natürlich aus keinem anderen Grunde, als um damit »Geschäfte« zu machen – ergriff er vor allem den Rotstift und richtete die Partitur in einer Weise her, daß jedem Wagner-Kenner die Haut schaudern mußte. Auch sonst war diese Aufführung eine klägliche, in der Besetzung wie in der Ausführung; so daß sie nach jeder Richtung dem Verständnis und der Verbreitung des Werkes nur hinderlich werden konnte. Das Schlimmste dabei war, daß Rietz, welcher allgemein den Ruf eines außerordentlich »tüchtigen« Kapellmeisters genoß, von seinen Kollegen mit einer »Pietät« nachgeammt wurde, die sie dem Dichterkomponisten in eben dem Maße entziehen zu müssen glaubten. Die Rietzschen Partiturstriche machten die Runde über die meisten Bühnen, – auch Eduard Devrient gleichfalls ein Jugendfreund Mendelssohns, erbat sich dieselben für seine Karlsruher »Musterbühne«. So wurde es förmlich zum Glaubenssatz, daß Lohengrin ohne Striche »unmöglich« sei‹. (Rich. Pohl)


10 An Liszt II, S. 6.


11 An Uhlig, S. 96.


12 In der gedruckten Sammlung der Briefe an August Röckel 26 Druckseiten umfassend


13 An Frau Julie Ritter, 20. Jan. 1854. Vgl. die entsprechende Mitteilung an den alten Fischer vom 15. Febr.: ›Im Sommer geht es an die Walküre; im Frühjahr 1855 kommt der junge Siegfried dran, und im Winter drauf denke ich Siegfrieds Tod vorzunehmen, so daß Ostern 1856 alles fertig ist. Dann geht es ans Unmögliche: mir mein eigenes Theater zu verschaffen, mit dem ich vor ganz Europa mein Werk als großes dramatisches Musikfest aufführe. Dann – gebe Gott, daß ich meinen letzten Seufzer von mir stoße!‹ – und in Beziehung auf die Darsteller die briefliche Äußerung an Röckel vom 26. Jan.: ›Natürlich muß ich auf junge Leute halten, die durch unsere Opernbühne nicht schon ganz ruiniert sind: an sogenannte, »Berühmtheiten« denke ich gar nicht. Am liebsten hätte ich meine Truppe ein Jahr lang zusammen, ohne sie öffentlich auftreten zu lassen; ich muß dann täglich mit ihnen umgehen, sie menschlich und künstlerisch üben, und für ihre Aufgabe allmählich reisen lassen. Unter den glücklichsten Umständen dürfte ich daher vor dem Sommer 1858 auf keine erste Aufführung rechnen.‹


14 Vgl. Band II, S. 391 und Baechtolds Leben G. Kellers I, S. 238.


15 An Röckel, S. 45. Vgl. die Äußerung gegen Uhlig: ›Für jetzt ist mein Arzt Herwegh: er hat große physikalische und physiologische Kenntnisse, und steht mir in jeder Beziehung sympathisch näher als jeder Arzt‹. (11. Oktober 1852.)


16 Von Sulzers nahen persönlichen Beziehungen zu dem Meister legen die – noch ungedruckten – ›etwa 150 Originalbriefe Wagners an ihn‹ Zeugnis ab, die sich bei seinem Tode († 25. Juni 1897) in seinem Nachlaß auffanden. Vgl. A. Steiner ›Richard Wagner in Zürich‹.


17Dr. Johann Jakob Sulzer‹, Nekrolog im ›Landboten und Tageblatt der Stadt Winterthur‹ vom 26. Juni 1897


18 Gesammelte Schriften V, Seite 146.


19 N. Zeitschr. f. M. 1854, I, S. 106. Vgl. N. Berl. Mus. – Z. vom 22. Febr. 1854. ›Als Richard Wagner das tragische Ende des hiesigen Theaters vernahm (während der Saison hatte er sich gar nicht darum gekümmert), faßte er sogleich Pläne zum Beste der Mitglieder‹ etc.


20 An Liszt, II, S. 19.


21 Sie hat bekanntlich selbst seine verbittertsten und gehässigsten Gegner, die das Schaffen seines Genius aus dem erdrückenden Gefühle ihrer eigenen Mittelmäßigkeit heraus mit Spott und Hohn begeiferten, zu huldigender Anerkennung gezwungen. Ihr zum Preise stimmt z.B. Heinrich Dorn einen wahren Lobeshymnus an, auf den ›ungeheuren Fleiß des Mannes, welcher auch in dieser Hinsicht die meisten seiner Kunstgenossen überragt‹. Er stellte dann eine genaue Berechnung darüber an, welche Zeit allein das bloße Niederschreiben der ca. 1200 Bogen der Partitur des ›Ringes‹ mit ihren ›überfüllten Liniensystemen‹ erfordert haben müsse, von der ›jede Szene, ohne Ausnahme, mit umfassender Berücksichtigung der geringfügigsten Details ausgearbeitet‹ sei, und zieht dann den Schluß: ›wer selbst Partituren geliefert hat, der begreift kaum, was es heißt, dergleichen in verhältnismäßig so kurzer Frist möglich zu machen; und wer es begreift, der muß doppelt über diese riesenhafte Tätigkeit erstaunen.‹ (Dorn, Erinnerungen V, S. 93).


22 In Boulogne sur-mer I, S. 334.


23 Ges. Schr. V, S. 143–58: Glucks Ouvertüre zu ›Iphigenia in Aulis‹, eine Mitteilung an den Redakteur der ›Neuen Zeitschrift für Musik‹. Den einleitenden Betrachtungen dieses Aufsatzes ist der Abschnitt, Warum den zahllosen Angriffen auf mich und meine Kunstansichten nichts erwidere (im Nachlaßband: ›Entwürfe, Gedanken, Fragmente‹ S. 89 und 90) durch innere Merkzeichen so nahe verwandt, daß seine Entstehung wohl mit Bestimmtheit in eben diese Junitage 1854 zu verlegen ist, wohl als unverwendet gebliebene Vorstudie des Aufsatzes für die Brendelsche Zeitschrift.


24 Brief an Eduard Avenarius vom 30. Juni oder 1. Juli 1854: ›Sieh' einmal, ob du mir einen recht großen Gefallen erweisen kannst etc.‹ in E. Kastners Katalog ›Briefe Richard Wagners an seine Zeitgenossen‹ Nr. 450.


25 Bestehend aus den Herren: Regierungsrat Zen-Rufinen (Wallis), als Präsident; Staatskanzler Emanuel Barberini (Wallis) und Staatsrat Torrenti (Sitten) als Mitglieder; Prof. Abbé Henzen (Sitten) als Sekretär und Oberrichter Moritz von Wyß (Zürich) als Zentralkorrespondent.


26 Vgl. z.B. die Notiz der Neuen Berl. Musikzeitung vom 14. Juni, aus Sitten: ›Das zweite große Musikfest der Schweiz wird hier stattfinden; Richard Wagner leitet die großen Musikaufführungen und Methfessel, Direktor in Bern, die Oratorien‹.


27 An Liszt II, S. 31. 32.


28 Staatskanzler Barberini und M. v. Wyß.


29 ›Das nach der Überlieferung etwas drastische Schreiben wurde den Akten einverleibt, welche am Festorte verblieben und von Prof. Henzen in Verwahrung genommen wurden. Beim Absterben Henzens wurde ein Inventar seiner Schriften aufgenommen; aber der damit beauftragte Notar erklärte, daß zwar in der Verlassenschaft über jenes Musikfest sich Noten vorgefunden hätten; von Wagners Schreiben sei ihm dagegen nichts bekannt. Alle bisherigen Nachforschungen nach diesem Beweisstücke sind bis heute erfolglos geblieben‹ (H. Bélart).


30 A. Steiner nimmt eine Intervention Wesendoncks oder Sulzers an.


31 Vgl. den ausführlicher Bericht Lesimples über diesen Besuch im Anhang des gegenwärtigen Bandes.


32 Franz Liszts Ges. Schriften III, S. 147/247; zuerst veröffentlicht im Feuilleton der Weimarischen Zeitung, dann in der ›N. Zeitschr für Musik‹.


33 An Liszt II, S. 46. 42. 43. Vgl. auch die undatierten, während der Lektüre entstandenen kurzen Ausrufe: ›Laß Dir sagen, daß ich soeben vor Tränen nicht fortlesen kann. O Du bist doch ein einziger Mensch! – Das hat wie ein Gewitter auf mich eingeschlagen! Gott, was hast Du mir da geschrieben!! Du weißt's allein!‹ (Briefwechsel Nr. 160, S. 34)


34 Ebenda S. 19


35 Ebenda S. 42/43


36 Ebenda S. 44.


37 Ebenda S. 43/44.


38 Band II, S. 404/5.


39 ›Mir wäre es nicht möglich mehr ein Wort zu Schriftstellern, so widert mich das trostlose Mißverständnis meiner Schriften an, nachdem der Kern meines Wesens und meiner Anschauungen fast gänzlich unbegriffen geblieben ist‹. An Röckel S. 19. Vgl. die an Liszt gerichtete Erklärung seiner Abneigung gegen eine literarische Mitwirkung an der von Brendel neu zu begründenden Monatsschrift, im Briefwechsel I, S. 268/270.


40 Man denke nur an die kurhessischen ›Dragonaden‹, mittelst welcher der Widerstand der hessischen Beamten und Steuerpflichtigen gebrochen wurde: den ›Rebellen‹ aller Stände wurden zehn, zwanzig, dreißig Mann ›Bundestruppen‹ als Einquartierung in das Haus gelegt, mit dem deutlichen Wink an die Soldaten, ihre Gegenwart dem Wirt möglichst unangenehm zu machen. Die sichere Folge war Unfug aller Art im Hause, Besudelung der Zimmer, nicht selten schwere Mißhandlung der Personen, und schließlich der ökonomische Ruin des Betroffenen. Vgl. die anschauliche Schilderung dieser nicht vereinzelten, sondern typischen Vorgänge in v. Sybels ›Begründung des deutschen Reiches‹ II, S. 113–136.


41 An Uhlig S. 282.


42 An Liszt II, S. 45. Der Brief (Nr. 168) ist undatiert, gehört aber aus inneren Gründen dem Dezember 1854 an, d.h. genau an die Stelle, die er im gedruckten ›Briefwechsel‹ wirklich einnimmt. Dagegen ist der Brief Nr. 165 wohl erst vom Anfang Oktober zu datieren, und bereits unter dem direkten Einfluß der neuen Erkenntnis abgefaßt; somit die tatsächliche Reihenfolge: Nr. 166. 167. 165. 168.


43 Vor allem durch H. S. Chamberlain in dem Kapitel über ›die Philosophie Richard Wagners‹ in seinem großen illustrierten Wagner-Werke, vornehmlich in den Abschnitten: ›Wagner und Schopenhauer‹, ›Verwandtschaft mit Schopenhauer‹, ›der Wille‹, ›der Pessimismus‹, ›das Mitleid‹, ›Übereinstimmung mit Schopenhauer‹, ›Abweichungen von Schopenhauer‹. Chamberlain, Richard Wagner, München 1896, (S. 137 ff.) Vgl. auch das ausgezeichnete Wert von H. Lichtenberger: Richard Wagner, poète et penseur (Paris, Alcan 1898)


44 An Röckel S. 68/69.


45 Vgl. Band II, S. 68.


46 Ges. Schr. VIII, S. 10/11.


47 An Röckel S. 62/63.


48 Band II, S. 412/413.


49 Auch diese oder jene scherzhafte Komposition, wie der ›Züricher Vielliebchen-Walzer‹ (siehe den Anhang) legt von dem ungezwungenen Verkehr des Meisters mit dem befreundeten Laufe Zeugnis ab.


50 Mitgeteilt durch A. Heintz in der Allg. Musikzeitung vom 14. Febr. 1896.


51 ›Wie geht es mit Donna Mathildas Studien im Generalbaß?‹ heißt es in launiger Neckerei in dem eben erwähnten humoristischen Briefe an Wesendonck (aus Pallanza). ›Hoffentlich hat sie die erste Fuge fertig, wenn ich zurückkomme: dann will ich sie lehren Opern zu schreiben à la Wagner, damit sie doch etwas davon hat! Sie müssen nachher darin singen: man kann Ihnen ja die Partie ins Englische übersetzen, da Sie nur auf Englisch singen‹.–


52 So findet sich z.B. über dem Vorspiele der ›Walküre‹, also kurz bevor Donners Ruf erschallt und der Sturm losbricht, dem die Waldesriesen sich beugen, mit drei Anfangsbuchstaben und den entsprechenden Punkten der Gruß: ›G(esegnet) s(ei) M(athilde)!‹


53 Der Abdruck dieser Erinnerungen in der Allg. Musikzeitung S. 83 enthält den sinnlosen Schreib- oder Druckfehler: ›im Jahre 1852‹.


54 An Liszt II, S. 45.


55 Ebenda S. 42.


56 Ebenda S. 49.


57 Vgl. die naiv charakteristische Appreziation Beider in der Ausdrucksweise Gottfried Kellers ›Frau Wesendonck mit ihrem Mann und Kindern‹, statt: ›Herr Wesendonck mit seiner Familie‹ bei Baechtold, Leben Kellers III, S. 93.


58 ›Briefe Richard Wagners an seinen Freund Otto Wesendonck‹ im Jahrgang 1897 der ›Allg. Musikzeitung‹ –.


59 An Wesendonck 27. Juli 1856.


60 Band I, S. 139/140.


61 Vgl. die hervorbrechende bittere Klage in einem seiner Briefe an Liszt (Oktober 1854): ›Höre mich: – den Tannhäuser und den Lohengrin – so habe ich sie in den Wind gegeben: ich mag nichts mehr von ihnen wissen! Als ich sie dem Theaterschacher übergab, habe ich sie verstoßen; sie sind von mir verflucht worden, für mich zu betteln und nur noch Geld – nur noch Geld zubringen.‹ Ach, nicht gegen die geliebten Gestalten seiner Werke, die Kinder seines Geistes und Herzens, richtete sich in Wahrheit dieser schreckliche Fluch, sondern gegen den grausamen Zwang, der die Erhaltung seiner Existenz und die Hervorbringung seines neuen großen Werkes von der Preisgebung der älteren abhängig machte!


62 Eben diese ›Oderzeitung‹ hatte seinerzeit den bekannten Brief von Robert Franz über den ›Lohengrin in Weimar‹ zum ersten Abdruck gebracht. Vgl. Briefe an Uhlig S. 115


63 Wir rechnen 30 Vorstellungen mit der durchschnittlichen Tantieme von 300 Frs., eine Gesamtsumme, wie sie um jene Zeit Meyerbeer allein von der Berliner Oper alljährlich bezog. Allerdings pflegte dieser (im Genusse seiner jährlichen 3–400000 Francs Renten) mit Bankierstolz hinzuzufügen: ›Ich verlange keine Prämien für meine Werke, und wenn ich die durch die Verträge geregelten Verfassergebühren annehme, so geschieht das, damit man nicht sagen könne, daß ich zu herab gesetzten Preisen arbeite‹.


64 Briefwechsel Nr. 165.


65 ›Gar nichts liegt mir daran, ob man meine Sachen gibt; mir liegt einzig daran, das man sie so gibt, wie ich es mir gedacht habe‹, – heißt es sonst!


66 Band II, S. 432.


67 Vgl. Wagners hierauf zielende Andeutung in demselben Briefe: ›Geben wir doch auch alle Politik auf; dieses Befassen mit Mitteln, die wir verachten, um zu Zwecken zu gelangen, die – genau besehen – nie, und durch diese Mittel am allerwenigsten erreicht werden können. Lassen wir doch die Koterie, diese Verbindung mit Cretius‹ u.s.w.


68 Briefwechsel mit Liszt II, S. 44.


69 Ebenda S. 62.


70 Für damals richtiger: Parzival, da sich der Dichter tatsächlich erst bei der schließlichen Ausführung der wirklichen ›Parsifal‹-Dichtung (1877!) zu der charakteristischen, in dieser Dichtung selbst begründeten Deutung des Namens als des ›reinen Toren‹ entschied.


71 H. v. Wolzogen in den ›Bayreuther Blättern‹ 1885, S. 357.


Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 32-59.
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