XI.

Stille unter Stürmen.

[260] Beschluß, nicht wieder nach München zurückzukehren. – Cosima v. Bülow nach Triebschen. – Komposition des dritten Aktes ›Siegfried‹. – ›Das Judentum in der Musik‹. – Des Königs Verlangen nach einer Aufführung des ›Rheingold‹. – Wirkungen des ›Judentums‹. – Vorgänge in Paris und Berlin. – Erneute Begegnung mit Fr. Nietzsche.


In dieses Asyl flüchtete sich seitdem auch diejenige, welche zu bezeugen hatte, daß mir wohl zu helfen sei, und das Axiom so manches meiner Freunde, ›mir sei nicht zu helfen‹, unrichtig war. Sie wußte, daß mir zu helfen sei, und hat mir geholfen.

Richard Wagner.


In einem, anderthalb Jahre später geschriebenen Briefe an Pusinelli wirst der Meister einen Rückblick auf die entscheidenden Ereignisse des ›Meistersinger‹-Jahres. Er konstatiert zunächst im allgemeinen, wie seine kräftige Gesundheit von jedem Übelbefinden sich rasch erhole: bei einiger Gemütsruhe und stets zum Explodieren bereiter Heiterkeit gehe alles bedrohlich Erscheinende bald vorüber. ›Nur im Sommer 1868‹, fährt er dann fort, ›wurde ich, als ich von den Meistersingern in München zurückkehrte, von einer anhaltenden Fieberschwäche befallen (S. 250). Ich wußte aber auch, woran ich war, und beschloß: nie wieder nach München – meiner Hölle!zurückzukehren.‹ ›Hatte mich bisher‹, so heißt es in eben demselben Briefe, ›mein Leben ziellos durch Stürme geschleudert, so hatte mein Lebensschiff vor dem Hafen noch die unerhörtesten Drangsale zu bestehen.‹ Wie der Hafen hieß, das wissen wir: für jetzt – Triebschen bei Luzern; zu den Drangsalen bitterster Art aber gehörte für ihn ein für allemal jede erneute Berührung mit diesem unseligen, durch nichts, selbst durch einen so außerordentlichen König nicht, zum Gedeihen zu bringenden – München. Wirklich war, wie wir uns entsinnen, jeder noch so kurze und vorübergehende Aufenthalt in dieser unversöhnlich feindseligen Umgebung für ihn regelmäßig von physischem [261] Unwohlsein begleitet gewesen. Es war schwer, diesen unwandelbaren Beschluß, gegenüber dem entgegengesetzten Verlangen des, mit so seltener Liebe ihm ungetanen königlichen Freundes, zur Tat zu machen. Aber es mußte sein. Für alles, was er zu schaffen und zu wirken der Welt noch schuldig war, blieb diese entschiedene Lossagung die erste, unerläßliche Bedingung. Und noch eine andere Bedingung für die Erhaltung seiner physischen und künstlerischen Existenz harrte ihrer Einlösung und Erfüllung. Nicht bloß sein eigenes Lebensschiff hatte er in dem Luzerner Hafen zu bergen, nicht die eigene Person allein vor der ›Münchener Hölle‹ zu sichern. ›Ich mußte‹, so sagt er selbst in dem obigen Zusammenhang, ›daraus retten, was ohne mich zugrunde gegangen wäre.‹

Dies blieb noch zu vollbringen, und es wurde vollbracht. Es war die höchste Zeit, die hochherzig edle Genossin, die noch immer in Bülows Hause in München weilte, dem vergifteten Klatsch und Tratsch zu entziehen, der eben damals wieder in hochgehenden Wogen von der bayerischen Residenz aus bis in die Kölnische Zeitung hinein sich verbreitete, dem bodenlosen Geschwätz von den angeblichen ›politischen Machinationen der Partei Richard Wagners‹, die ›in Wagners Abwesenheit in der Gattin Hans von Bülows (!) ihr Mundstück habe.‹ Es gab keine solche ›Partei Richard Wagners‹, die sich mit außerkünstlerischen Interessen beschäftigt und ›politische Machinationen‹ betrieben hätte. So allmächtig aber war der Einfluß dieses Klatsches, daß sich Bülow, selbst gegen einen ihm so nahestehenden Freund, wie J. Raff, deshalb zu verwahren und ihm den Standpunkt klar zu machen hatte. ›Wie kannst du nur wähnen, daß wir – inclusive Wagner – bei irgend etwas Außermusikalischem die Hand im Spiele gehabt, haben, haben werden oder wollen! Ich treibe nur Musik, nicht Politik, Ästhetik, Literatur, noch weniger Intrigue.‹1 Und schon in bezug auf die gleichartigen verleumderischen Gerüchte im Dezember 1865, die den Meister ursprünglich aus München vertrieben, hatte Liszt treffend geäußert: ›Wagner jetzt eine politische Rolle umzuschreiben, erscheint mir als eine seltsame Laune des Schicksals. Jeder Unschuldige indessen, der soweit gekommen ist, muß darunter leiden, und Montesquieu hatte wohl recht, wenn er sagte: hätte man ihn beschuldigt, die Türme von Notre-Dame gestohlen zu haben, er wäre eilends auf und davon. Das einzige Mittel, um diejenigen zur Vernunft zu bringen, welche nicht hören wollen!‹2 – Das einzige Mittel gegen all diese Beunruhigungen seitens der bayerischen und auswärtigen Presse war aber – durch deren stetige Wiederaufnahme – nun auch für die edle Frau klar und unwidersprechlich deutlich an die Hand gegeben Dieses einzige Mittel hieß auch für sie: sofortiges Abbrechen ihres dortigen Aufenthaltes, Entfernung [262] von dieser unversieglichen Quelle alles giftigen Neides und Hasses und dauernde Übersiedelung an die Seite dessen, für den sie geboren und in diese Welt gekommen war, dem sie seit ihrer ersten Niederlassung in München gehörte. Der Meister rief, und sie gehorchte dem Rufe. Wohl mochte, während der Dauer der zweijährigen Zwischenzeit, auch ihr ›das Schwerste nicht erspart‹ geblieben sein: daß nämlich auch ihr, in manchem inneren Ringen, ›in trostlosen Augenblicken Zweifel an ihrer Bestimmung in der Seele aufstiegen, wie sie jedem großen Menschen verhängt werden, der es wagt, feste Bande zugunsten eines höheren Berufes mit heiligem Mute zu lösen‹.3 Nun war über ihr ferneres Leben für immer die Entscheidung gefallen. Mochte sie auch vorerst, so lange die offizielle Scheidung noch auf sich warten ließ, dem Zwang unterworfen sein, den Namen eines anderen zu tragen, und ihr wahrer Aufenthalt durch Bülow selbst den nächststehenden Freunden noch peinlich verschwiegen werden,4 mochte der kaum Dreißigjährigen über all diesen heißen und bitteren Kämpfen allzufrüh das schöne, stolze blonde Haar ergrauen, mochte sie durch diesen entschlossenen Schritt alle Brücken hinter sich abbrechen, für eine ungewisse längere Zeit alle Beziehungen zur ›Welt‹ und ›Gesellschaft‹ sich abschneiden, bis diese dereinst die hohe Bedeutung ihres Schrittes zu würdigen lernte: mit stolzer Zuversicht durfte sie all diese Feindseligkeiten auf sich nehmen. Nicht vor jener ›Gesellschaft‹ hatte sie ihr Handeln und Tun zu rechtfertigen, sondern vor dem Gott in ihrem eigenen Innern. Die Verantwortung vor der ›Welt‹ nahm der große Freund und Meister auf sich; und er rief zu sich in sein Schweizer Asyl, was in jedem Sinne sein Eigen war. Zwei liebliche Töchter hatte sie, seit sie die Seine war, ihm geschenkt, Isolde und Eva mit Namen; von letzterer heißt es in einem Briefe des Meisters an Richter: ›das Herrlichste aber ist Evchen, die mein armes, einsames Haus mit ihrem ersten Lebensjahre wunderbar heiter und lieblich gesegnet hat: nie hat ihr noch das Geringste gefehlt.‹5 Nicht sein Wille war es gewesen, sondern der unüberwindliche Zwang äußerer [263] Verhältnisse, was die zu ihm Gehörige zwei volle Jahre hindurch fern von seiner Seite gehalten hatte. Jetzt war der Augenblick gekommen, um einem unleidlichen Übergangszustand ein Ziel und Ende zu setzen, und gerade die erneuten Ausbrüche einer scheelsüchtigen Verleumdung hatten nichts anderes vermocht, als sein Eintreten zu beschleunigen.

Dies waren die beiden wichtigen, grundlegenden und ausschlaggebenden Entscheidungen in seinem Leben, als er sich – im Spätherbst nach der Aufführung der ›Meistersinger‹ – der Komposition des dritten Aktes seines ›Siegfried‹ zuwandte. Beide dem gleichen Zeitpunkt angehörig und wechselseitig durcheinander bedingt. Ohne die Genossin wäre der Triebschener Aufenthalt nur eine verlängerte Selbstverbannung gewesen; mit ihr gewann er erst seine wahre, rechte Bedeutung für sein ganzes ferneres Leben und Produzieren. Dann aber war Triebschen, und keinesfalls München, das traute Asyl für eine hohe Liebe, wie für das Schaffen an seinem großen Werke. Ein klares Bewußtsein von der unvermeidlichen Notwendigkeit und inneren Folgerichtigkeit beider Entscheidungen hatte aber für jetzt doch nur er allein, den sie betrafen und der sie herbeiführte; selbst den allernächst Stehenden ging es nur erst allmählich auf. Selbst der königliche Freund war durch sein eigenes heftiges Wollen zu sehr nach der entgegengesetzten Richtung eingenommen, um des Meisters Zurückhaltung gerecht beurteilen zu können. Ihn dauernd und ganz wieder an München zu fesseln, darauf waren – seit der Berufung Hohenlohes – alle seine Maßnahmen ausgegangen, und nun stellte sich die Erfüllung dieses seines höchsten und einzigen Wunsches als Unmöglichkeit heraus! ›Ich bin jetzt‹, so schreibt daher Wagner (14. Nov.) in vertraulicher Mitteilung, ›in einer äußerst schwierigen Lage zum König, dem ich meinen unerschütterlichen Entschluß gemeldet habe, eine Reihe von Jahren, bis zur gänzlichen Vollendung meiner noch projektierten Arbeiten, auch rücksichtslos fern von München und jeder Beziehung zu den dortigen Verhältnissen bleiben zu wollen. Ich habe hierfür nur die Nötigung meiner Seelenzustände als Beweggrund angeführt, da ich sehr wohl weiß, daß, wenn ich zugleich die Gründe meiner Unzufriedenheit mit den Münchener Kunstzuständen und dem Geiste, in welchem meine Vorschläge bisher ausgeführt sind, nennen wollte, ich damit nur in dieses ewige Rad des Unmöglichen und Unzulänglichen hineingreifen würde, dessen immer wieder erfolglose Berührung bei dem Bestand der Charaktere nur Mißmut und möglichen Verlust des mühsam Erreichten herbeiführen könnte. Ich habe nun den König um eine persönliche Unterredung, immer aber in der gegebenen Absicht, gebeten und hoffe, die Gunst baldigst gewährt zu erhalten.‹6 Zu dieser Unterredung kam es – nicht. Der junge Monarch schien durch die Erklärung Wagners [264] verstimmt und leidend, und ließ nichts von sich hören. Aber auch nach anderer Richtung hin mußte es der Meister ertragen, in der bedeutsamsten Entschließung seines Lebens unverstanden und ohne Zuspruch zu bleiben. Wir entnehmen aus den veröffentlichten Briefen Liszts an seine fürstliche Freundin, daß er es über sich gewann, volle drei Jahre hindurch mit seiner eigenen Tochter den brieflichen Verkehr abzubrechen, so sehr er auch aus der Ferne mit aller liebevollen Teilnahme seines großen Herzens jeden Vorgang in Triebschen verfolgte.7 Nach eben denselben Briefen befand er sich um jene Zeit in Deutschland, in München und Weimar, Meiningen, Wien und Pesth;8 aber er vermied es, das trauliche Triebschen aufzusuchen, das er bisher doch nur so flüchtig gestreift, und wo sein Erscheinen eine so große, mit nichts zu vergleichende Freude verursacht hätte. Im Tiefsten seines Innern bewahrte er heilig die Liebe zu dem Freunde. Aber ›es wollte scheinen, als ob die verhängnisvolle Entfernung (immer unter dem gleichen Einfluß, wie seit dem ersten Beginn seiner Freundschaft zu Wagner!) zur völligen stummen Entfremdung werden sollte.‹9 Die große Gesinnung Bülows bestand in dieser Zeit die Goldprobe ihrer Echtheit: durch eine ununterbrochene Korrespondenz erhielt er sich dem stets gleich verehrten Freunde und Meister diesen ganzen Winter hindurch in wahrer Liebe gegenwärtig. So waren alle Beziehungen nach außen hin von dem höchsten Ernst.

Eine stille Zeit inneren Webens und Wirkens brach nun für den Meister an. In die Wunderwelt seines ›Siegfried‹ vertieft, lebte er ein Dasein, wie auf reinster und höchster Alpenhöhe. Sofern es nottat, wandte er von hier aus auch den auswärtigen Aufführungen seiner ›Meistersinger‹ eine beratende Aufmerksamkeit zu. Während diese in München, unter der hingebenden Leitung Bülows, seit dem 3. November mit einheimischen Kräften allwöchentlich vor vollem Hause wiederholt wurden, war man anderweitig – Dresden, Dessau, Karlsruhe, Mannheim – in den Vorbereitungen für die Inszenierung begriffen; Weimar, Hannover und andere Bühnen sollten demnächst folgen. Nur die größten Hoftheater, Wien und Berlin, hielten, wie bereits gemeldet, noch zurück. Von Wien aus empfing er durch Esser die Nachricht, erst im Herbst nächsten Jahres würden die Vorbereitungen in Angriff genommen, so daß nicht vor 1870 (!) die Aufführung vor sich gehen konnte; und doch hatte Dingelstedt im Kontrakt ausbedungen, daß kein anderes Theater in Wien sie früh er zur Darstellung bringen dürfe!10 Gerade die Erfahrungen, die er an diesem seinem jüngsten Werke machte, belehrten ihn aufs neue, wie wenig ausreichend die bloße Ermöglichung einzelner korrekter [265] Darstellungen sein konnte, sobald dieselben nicht gänzlich außer dem Boden des herrschenden Opernwesens gestellt waren. Wie ein erdrückender Dunstnebel zog sich – nach seinen eigenen Worten – das Theaterelement unserer Zeit mit all seinen, nach innen und nach außen wirkenden, gänzlich unkünstlerischen, undeutschen, und sittlich wie geistig verderblichen Eigenschaften, über der Stätte zusammen, von wo aus die anstrengendsten Bemühungen einmal auf das Sonnenlicht hatten ausblicken lassen.11 So schwand vor dem Auge des Schaffenden die ganze moderne Theaterwelt mit ihren Sängern und Kapellmeistern: über sie hinweg blickte er unverwandt in die Welt der Idee, in die ferne Sage seines Volkes, die er in seiner Schöpfung verkörperte. Dort sah und vernahm er den gleichen ewigen deutschen Geist, wie er in ihm lebte: groß, stark, reich, kühn, furchtlos und weise zugleich. Der mächtige Hauch, der mit stürmischer Kraft aus seinem gewaltigsten Werke hervorbricht und, wo er weht, das Gemeine zerschmettert – noch war er tief in der Brust des Künstlers verschlossen; er hellte ihm den inneren Blick und verscheuchte die Nebel, die zwischen ihm und dem Ideale sich ballten. So festigte sich, während der musikalischen Ausführung seines ›Siegfried‹, das sehnsuchtsvolle Verlangen, das in ihm von je mit der ersehnten Aufführung seines übergewaltigen Werkes verknüpft gewesen war: dieses solle und müsse der Beginn der, längst von ihm als das einzige Heil für die deutsche dramatische Kunst erkannten, Institution periodischer idealer Darstellungen auf einer, von allen materiellen oder gewerblichen Interessen eximierten Bühne werden. Mit der Münchener Aufführung der ›Meistersinger von Nürnberg‹ war, um es so zu bezeichnen, die letzte Schuld bezahlt, welche die Wendungen und Konflikte seines Lebensweges ihm auferlegt; ihre Konzeption fiel noch in eine Zeit, in der er sich auf diese Theater einzig angewiesen sah: sie waren aber das letzte Werk, das er ihnen preisgab; der große vierteilige Riesenbau seiner Nibelungenschöpfung sollte und mußte auf eine andere Weise an die Öffentlichkeit treten, Mit freudig stolzer Zuversicht erfüllte ihn während dieser Komposition die Hoffnung, dieses sein Werk, nach seiner vollständigen Ausführung, auch gänzlich nach seinem Sinne zur Darstellung bringen zu können.

Zwei hehre Wecklieder enthält dieser dritte Akt des ›Siegfried‹ in seiner ersten und letzten Szene. Wie Wotan die Allwissende, Urweltweise, so beschwor der Künstler die uralte Stammsage des deutschen Volkes, und sie [266] erstand seinem machtvollen Ruf aus dem träumenden Schlummer, der sie über ein halbes Jahrtausend in seinen Fesseln gehalten. Und wie Siegfried die schlafende Brünnhild, so erweckte er mit brünstigem Liebeskusse die jugendliche deutsche Kunst zu lebenvollem Dasein. Während er zu diesem Erweckungswerke all seine künstlerischen Kräfte anspannte, ward es ihm zur schmerzlich bitteren Genugtuung, von dem unruhig geschäftigen Geiste des herrschenden Musiktreibens, mit welchem sein Schaffen so gar nichts gemein hatte, sich zu isolieren und loszusagen. Es wirst ein helles Licht auf den Ekel, den er vor diesem Treiben empfand, wie auf die Leiden, welche dem hohen Sinne des Reformators daraus erwuchsen, daß er sich – zum zweiten Male in seinem Leben! – dazu gedrängt fühlte, diesen vielgeschäftigen Geist zu stigmatisieren, indem er ihn beim rechten Namen nannte: beide Male, indem er selbst im Begriff stand, den Flug zu seinem höchsten Ziele zu nehmen. Einem solchen kräftigen Lossagungsbedürfnis entsprang gerade jetzt der Gedanke einer Erneuerung seiner – vor achtzehn Jahren zum erstenmal publizierten – Schrift über ›das Judentum in der Musik‹. Kurz zuvor hatte der am 21. November in Paris erfolgte Tod Rossinis ihm Veranlassung gegeben, ›zur Berichtigung der Späße, welche gegenwärtig, als Schmutz statt der Blumen, in das offene Grab des Verewigten gestreut werden‹, seine Erinnerungen an die einzige persönliche Begegnung mit diesem seinem merkwürdigen künstlerischen Antipoden12 in einem Aufsatz für die ›Allgemeine Zeitung‹ zusammenzufassen.13 War es ihm dort vergönnt gewesen, den Empfindungen, welche der greise Meister als ehrwürdiger Mensch durch seine heitere, doch ernstlich wohlwollende Art in ihm zurückgelassen, einen pietätvollen Ausdruck zu verleihen: so galt es hier einen anderen Ton anzuschlagen, wo er als das verkörperte künstlerische Gewissen seines Zeitalters die systematische Verfälschung des deutschen Musikideales aufzudecken und zu geißeln hatte, – und es geschah mit dem ganzen Feuer und heiligen Ernst seines reformatorischen Berufes, ohne Hoffnung, aber auch ohne Schonung. Man hat in bezug auf Schiller hervorgehoben, welche Kühnheit darin gelegen, wenn er in dem Augenblick, wo er nach längerer Pause wieder ein größeres Kunstwerk (den ›Wallenstein‹) vor den Augen der Welt ausstellen wollte, durch die Xenien die Hauptstimmen der ›Kritik‹ auf Tod und Leben herausforderte. ›Der Idealist ist immer unberechenbar‹, lautet die hierauf begründete Konklusion eines seiner populärsten Biographen. Unberechenbar – nach Opportunitätsrücksichten! Wie völlig fremd diese Wagner zu jeder Zeit waren, erhellt am besten daraus, daß er seine offene Ansicht darüber, wie es um die deutsche Musik und ihre Pflege [267] bestellt war, in eben dem Augenblicke aussprach, wo er sich mit der Vollendung seines größten Werkes trug und seine höchsten Hoffnungen auf dessen zu verwirklichende Aufführung setzte, in dem Augenblicke, wo seine ›Meistersinger‹ den Rundgang über die deutschen Bühnen antraten, – wo sie in die Hände derjenigen Kapellmeister und musikalischen Rezensenten fielen, die er mit einem Worte schmeichlerischer Belobigung auf seiner Seite haben konnte, – wo sie, wie dies z.B. in Berlin noch immer der Fall war, ein völlig abgeneigtes und feindliches Terrain sich erst siegend erobern mußten. Allein Wagner wollte keine Freundschaft, wo er nicht achten konnte, kein schwächliches Beschönigen tief erkannter Schäden und Verderbnisse um des scheinbaren Friedens willen. Nie scheute sein Wahrheitssinn davor zurück, seiner Mitwelt auch das Letzte und Äußerste zu sagen, was gerade nur er ihr zu sagen imstande war. ›Die unerhörten Unverschämtheiten der Wiener Presse bei Gelegenheit der »Meistersinger«, die fortgesetzte freche Lügenschneiderei über mich, und die wahrhaft zerstörenden Erfolge hiervon, haben mich endlich, da ich durch eine Frage hierüber veranlaßt war, zu einem rücksichtslosen Schritte bestimmt. Ich habe nun genug gelitten, um nicht schließlich auch daran zu denken, mein Lebenswerk vor diesen Niederträchtigkeiten, welche konsequent auf meine Diskreditierung (ausgehen), zu sichern.‹14

Die erwähnte ›Frage‹ war von seiten seiner hochgeschätzten Freundin, Frau Marie Muchanoff,15 im Gespräche getan, und dem Meister brieflich berichtet worden. Sie bezog sich, verwunderungsvoll, auf den eigentlichen tieferen Grund der unbegreiflichen, so ersichtlich auf Herabsetzung abzielenden Feindseligkeit, welcher jede seiner künstlerischen Leistungen in der Tagespresse, nicht nur Deutschlands, sondern auch Frankreichs und selbst Englands begegne. Der Aufsatz, welchen er seinem älteren Artikel als Begleitwort und zur Fortsetzung beigab, hatte daher die Form eines offenen Briefes an die genannte geistig hochstehende Frau und ausgezeichnete Gönnerin. Er ergänzte jenen älteren Artikel durch eine Rekapitulation seiner seitherigen Erlebnisse an der gesamten europäischen Presse, und gipfelte in einer Darlegung seines Glaubensbekenntnisses im Betreff der deutschen Musik, wie er es bis dahin noch nicht in gleicher Größe und Bedeutsamkeit formuliert hatte. Somit bildet es gleichsam die Grundlage einer, dem Geiste seines Schaffens entsprechenden, völligen Neuschöpfung auf dem Gebiete der musikalischen Ästhetik, die in den Schriften ›über das Dirigieren‹ und ›Beethoven‹ in den nächstfolgenden Jahren zu ihrem bedeutsamen Abschluß gelangte und von welcher alle nachfolgende Erkenntnis des Wesens der Musik ihren Ausgang genommen hat. Die Entstehung des Aufsatzes fällt in die ersten Tage des Januars 1869. Er war bereits abgeschlossen, als ein seltsamer neuer Vorfall sich zutrug, der [268] in einer hinzugefügten Bemerkung, kurz vor Absendung des Manuskripts an den Verleger (J. J. Weber in Leipzig), nachträglich auch noch in der gleichen Schrift Berücksichtigung gefunden hat. Der Neid und die Gehässigkeit Fröbels bekundete sich darin in einer nichts weniger als edlen Weise.

Von unbekannter frecher Hand adressiert, gelangte an Wagner die Neujahrsnummer 1869 der – unter seinen eigenen Auspizien begründeten – ›Süddeutschen Presse‹, mit einem aufhetzend verleumderischen Feuilleton aus der Feder des eben genannten Redakteurs. Dieser denunzierte ihn darin dem bayerischen Staatswesen als den Begründer einer ›Sekte‹, welche ›den Staat und die Religion abzuschaffen‹, dagegen alles dieses ›durch ein Operntheater zu ersetzen und von ihm aus zu regieren beabsichtige‹, außerdem auch die Befriedigung allerhand ›muckerhafter Gelüste‹ in Aussicht stelle usw.16 Die weitere Folge dieser Artikel nahm ungelesen ihren Weg ins Kaminfeuer; aber der peinliche Eindruck des Undanks und eines unverdienten Hasses, gerade von dieser Seite her, verwischte sich doch nicht sogleich. Um so weniger, als der König ihm seit dem Herbst noch nicht geantwortet und die gebotene Möglichkeit einer Zusammenkunft und persönlichen Aussprache nicht ergriffen hatte. Bei seiner, aus mehrjähriger Erfahrung gewonnenen, genauen Kenntnis der Münchener Verhältnisse, entging es ihm keinen Augenblick: diese ihm übermittelten journalistischen Diatriben, welche an die zielbewußtesten Ausfälle der altbayerischen und ultramontanen Hetzblätter erinnerten, seien nicht so ohne weiteres – gleichsam zum Zeitvertreib – aus der eigenen Initiative des Schreibers hervorgegangen, sondern auf besondere Bestellung seitens seiner dortigen Gegner erfolgt. Das alles kommt in einem an Nohl gerichteten Briefe vom 11. Januar (dem Tage der Absendung des Judentum-Manuskriptes) zum Ausdruck. ›Meine Hoffnung, Ihnen förderlich zu werden‹, heißt es in diesem durchaus vertraulichen Schreiben,17 ›gründete sich auf das Vorhaben, mit dem König im Spätherbst zu einer Unterredung zu gelangen. Dies hat sich nicht gemacht. Seitdem nahm ich mir vor, eine gewisse Nachricht abzuwarten, um daraus Veranlassung zu nehmen, Ihre Angelegenheit dem Hofrat Düfflipp, der sich bisher im ganzen nicht unfreundschaftlich gegen mich benommen, anzuempfehlen. Bis heute verharrt aber alles im Schweigen gegen mich. Was mir aus München zukommt, sind einzig die Nummern der Süddeutschen Presse, welche man mir anonym zuschickt, vermutlich um mir zu sagen, welche Saiten man dort aufziehe, um den König außer allen Verkehr mit mir zu setzen. Ich sage Ihnen aufrichtig, verehrter Freund, daß ich auf mein ferneres Wirken in München, [269] und zwar durch die Gunst des Königs, auch nicht die mindeste Hoffnung mehr setze, ja daß ich mich selbst sehr ernstlich darauf gefaßt mache, eines Tages jeden Schutzes und jeder Wohltat von dort beraubt zu sein.‹

In der Tat war dem – in München weilenden – Empfänger dieser Zeilen, nach seiner eigenen späteren Mitteilung, das Gerücht zu Ohren gedrungen, man habe den König aus seiner Umgebung dazu zu bestimmen gesucht: dem renitenten Künstler, wenn er nicht zurückkomme, sein Jahresgehalt zu entziehen (!); das sei aber ›an dem rocher de bronze seiner edlen Gesinnung gescheitert‹.18 Die ›edle Gesinnung‹ des hochsinnigsten Wohltäters, den der Meister auf seinem Lebenswege gefunden, hier ganz beiseite gesetzt, muß sich doch ein jeder sagen, daß ein derartiger, aus einem bureaukratisch vertrockneten Höflingshirn hervorgegangener Vorschlag – wenn jemand die Stirn gehabt hätte, ihn dem Monarchen gegenüber zu verlautbaren! – für die Erreichung seiner heißen Wünsche das Allerunzweckmäßigste gewesen wäre. Er würde ja dadurch den Meister erst recht von sich verbannt und sich seiner unwürdig gezeigt haben. Mit Zwang, Drohung, Trotz war von Wagner zu keiner Zeit etwas zu erlangen gewesen, und zudem hatte er ja niemals irgend welche offizielle Verpflichtungen für München übernommen. Jedenfalls sehen wir aus dieser Gegenüberstellung einer Nohlschen und einer Wagnerschen Äußerung nur den alten Ausspruch bestätigt, daß, wenn zwei dasselbe sagen, es darum nach Sinn und Auffassung nicht dasselbe zu sein braucht. In dem Munde Wagners bedeutet die obige ernst sorgende Erwägung, nach einem schmerzlich empfundenen längeren Schweigen, nichts anderes als die ihm eigene, entschlossene Vorwegnahme einer äußersten Möglichkeit. In einer solchen Antizipation, so schmerzlich sie sein mochte, ward er sich nur seiner eigenen unbeugsamen Sinnesart bewußt; es dokumentiert sich in ihr jener stolze Unabhängigkeitstrieb, der ihn in jeder Lebenslage, mit oder ohne Rückendeckung, das von ihm für notwendig Erkannte über alle materiellen Rücksichten stellen ließ.19 Von einer entsprechenden Handlungsweise war der König, trotz seiner damaligen scheinbaren Teilnahmlosigkeit, tatsächlich weit entfernt. Und doch bereitete sich eben damals in dem, allzulange sich selbst überlassenen jungen Freunde etwas vor, das dem Künstler – als ein Eingriff [270] in sein Heiligstes – wirkliche bittere Schmerzen bereitet hat. In einer ganz anderen Hinsicht, als der soeben erörterten, begannen seine Gedanken und Wünsche, in der Abwesenheit Wagners, ihre eigenen Wege zu gehen. Und hatte er einmal dem Meister gegenüber, aus dem besten Willen gegen sein Volk und Land, einen entscheidenden Fehlgriff begangen, so verführte ihn nun gerade die Liebe zu dessen Werken, das eigenwillig heftige Verlangen nach ihrer szenischen Verkörperung, zu einem wirklichen Unrecht, und das begangene Unrecht weiterhin sogar zur Ungerechtigkeit des Urteils, zu einem Mißverstehen des großen künstlerischen Freundes und einer vorübergehenden Entfremdung, in welcher sein hochsinniger Charakter doch nicht für die Dauer verharren konnte. In solchen vorübergehenden Mißverhältnissen, die ihm selbst das schwerste innere Leiden verursachen mochten, in der Heftigkeit seines Eigenwillens, der Verkennung seiner wahren, höheren Aufgabe können wir – zu seiner Ehre! – doch nur die ersten Vorboten seiner späteren Erkrankung erkennen; seine wahre Natur aber in seiner unbegrenzten treuen Liebe und Verehrung, die sich im tiefsten Grunde seines Wesens bis an sein Lebensende gleichblieb, so daß er noch in einem seiner letzten, dem Verfasser bekannt gewordenen, Briefe an den Meister sich in ergreifender Weise, und mit Recht, ›Ihr getreues Eigen Ludwig‹ unterzeichnen konnte.

Am 25. Februar, nachdem inzwischen die brieflichen Beziehungen zwischen dem König und Wagner durch den ersteren selbst wieder aufgenommen und nach alter Art im Gange waren, erhielt Bülow von König Ludwig folgendes Schreiben. ›Ich ersuche Sie, lieber Herr v. Bülow, unter Adresse von Ihrer Hand geschrieben, beiliegenden Brief an den teuren Freund abzusenden, so bald als möglich. O bieten Sie alles auf, um die Aufführung des »Tristan« für den Frühling, des »Rheingold« für den Sommer zu ermöglichen! Wüßten Sie, wie mächtig meine Sehnsucht nach diesen Werken ist, Sie würden, ich bin dessen gewiß, mit allen Kräften dieses mein inniges Verlangen erfüllen.‹ Über diesen zwiefachen Wunsch von maßgebender Seite äußert sich der Empfänger in einem an R. Pohl gerichteten Briefe (vom 6. März): ›König befiehlt, wir haben zu parieren, und das ist schließlich sehr gut – denn ohne Diktatur kommt nichts vorwärts. Gottlob, daß man einen Herrn und Gebieter hat, der den Teufel nach Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten fragt.‹20 Anders war der Eindruck dieser königlichen Wünsche auf den Schöpfer der beiden Werke. Bereits hinsichtlich des ›Tristan‹ war es seine Empfindung, daß gerade die Nicht-wieder-Aufführung desselben das würdigste Ehrenmonument für den wahren und einzigen Tristan-Sänger sei.21 [271] Er seinerseits würde daher zu einer Wiederaufnahme des Werkes den Anstoß gewiß nicht gegeben haben. Vollends verhielt es sich so mit einer Aufführung des ›Rheingold‹. Wir haben es soeben noch hervorgehoben, wie bei der vorrückenden Beschäftigung mit der Komposition seines ›Siegfried‹ die Vorstellung belebend auf ihn einwirkte, sein Nibelungenwerk zum Ruhme seines erhabenen Wohltäters zu vollenden und es alsdann, in absehbarer Zeit, in dem eigens dafür errichteten Festtheater – in München oder wo sonst – als Ganzes unter den außerordentlichen Umständen zur Darstellung zu bringen, die ihm dei dessen ursprünglichem Entwurfe vorgeschwebt. Auf keine empfindlichere Weise konnte in diesen seinen künstlerischen Lebensplan hineingegriffen werden, als durch das Herausreißen einzelner Teile zu abgesonderter Aufführung. Unter sehr andersartigen Umständen hatte er acht Jahre zuvor einst selbst vorübergehend an eine getrennte Aufführung des ›Rheingoldes‹ denken können22 – ihn bewog dazu damals die äußerste Resignation, im Verein mit der Hoffnung, gerade durch diese Aufopferung seines ursprünglichen Aufführungsplanes die völlige Ausführung seines übergroßen Werkes sich zu ermöglichen. Dagegen entsinnen wir uns, wie er kaum ein Jahr später, während jenes unseligen Wiener Aufenthaltes, ›mittellos, verschuldet und von allen autoritativen Faktoren seiner Kunst im Stich gelassen‹, dennoch den bloßen Gedanken an eine ›Verzettelung seines Lebenswerkes‹, durch Preisgabe der Walküre an die Theater, mit Entrüstung von sich abwies ›Unmöglich, und wenn ich betteln gehen müßte!23 Und nun wurde ihm die gleiche Zumutung seitens desselben königlichen Schirmherrn gestellt, der sich bis dahin mit liebevollstem Verständnis und jugendlicher Tatkraft die Verwirklichung des gewaltigen Planes zur Aufgabe gemacht, die Bestellung für den Theaterbau bereits an Semper hatte ergehen lassen und den Gedanken an die Errichtung desselben in seiner Residenz immer noch festhielt! Nie hat sich Wagner gegen andere darüber geäußert, welchen Gram, welche peinliche Selbstüberwindung es ihm gekostet, diesem Verlangen zu willfahren. Nur die Allernächsten wußten darum, wie unter dem Eindruck der Münchener ›Rheingold‹-Aufführung, je näher dieselbe heranrückte, seine Gesundheit litt, sein Aussehen schlecht wurde, sein ganzes Wesen sich änderte. Nachdem er sich aber ausführlich darüber gegen den König mitgeteilt und dieser trotzdem bei seinem Wunsche verharrte, blieb ihm kein anderer Ausweg übrig, als nachzugeben. Es war das schwerste Opfer, das er dem königlichen Freunde bringen konnte, und schweigend hat er es dennoch gebracht Vollbewußt, daß von dieser Einzelaufführung nur eine abschwächende, der wahren Tendenz seines großen Unternehmens nachteilige Wirkung zu gewärtigen war! ›Der Großmut meines erhabenen Gönners, des Königs Ludwig II. [272] von Bayern‹, schrieb er ein Jahr später darüber, ›verdanke ich es nicht nur, daß – wie außerdem dies leicht zu vermuten stünde – mein Schaffen und Wirken für die Kunst nicht völlig verschollen und von meinen neueren, dem »Lohengrin« gefolgten Arbeiten überhaupt noch die Rede ist, sondern namentlich auch dieses eine, daß ich die musikalische Ausführung meines »Ring des Nibelungen« nach elfjähriger Unterbrechung wiederaufnehmen und, wie ich dessen nun mich sicher fühle, wirklich vollenden kann. Da ich mir für die Ausführung meiner Arbeit vor allem die nötige Zeit und Abhaltung jeder Bedrängung in diesem Bezug erbitten mußte, glaubte ich diese Vergünstigung auch dadurch verdienen zu sollen, daß ich dem Wunsche meines erhabenen Gönners, schon jetzt einzelne Teile meines Werkes näher kennen zu lernen, nach Möglichkeit nachzukommen mich beflissen erwies.‹

Etwas anderes war es mit seiner persönlichen Betätigung an der beabsichtigten Aufführung. Als es zu Beginn des verflossenen Jahres (1868) für eine kleine Weile den Anschein nahm, als würde er einen genügenden Einfluß auf die Leistungen des Kgl. Hoftheaters gewinnen können, durfte sich seiner die Hoffnung bemächtigen, durch die Erfüllung eines ihm so verehrungswürdigen Wunsches seinen künstlerischen Grundsätzen weniger untreu, als vielmehr förderlich zu werden, indem er für die Verwirklichung seiner Tendenzen den Boden allmählich vorbereitete. Wir haben aber gesehen, wie bald er die Aussicht auf ein ersprießliches Einvernehmen mit der Verwaltung der Kgl. Hofbühne wieder aufgeben mußte. ›Mit dem (Münchener) Theater habe ich nicht das mindeste zu tun, dies ist die erste Basis des von mir eroberten Friedens‹ (S. 236). Es blieb ihm nichts anderes übrig, als dasselbe, wie es eben war, seinerseits unberührt seinen Weg gehen zu lassen, den Aufführungen seiner Werke selbst jedoch keine Hindernisse in den Weg zu legen. So geschah es denn auch in bezug auf die projektierte Aufführung einzelner Teile seines Nibelungenringes. Er fühlte sich durch die Gewährung seiner Bitte, auf diese teilweisen Aufführungen wenigstens seine persönliche Mithilfe nicht verwenden zu dürfen, einer geradezu schmerzlichen Zumutung enthoben. Es hätte keinen tragischeren Widerstreit geben können, als den, in welchem er sich bei der Einstudierung, zunächst des ›Rheingoldes‹, notwendig befunden haben würde. Wer, wie er, zuletzt noch bei den ›Meistersin gern‹, mit seiner ganzen Person, mit Daransetzung aller seiner körperlichen und geistigen Kräfte, an der Inszenesetzung eines seiner Werke tätig war, weil er erst in ihr die letzte Vollendung, den Abschluß seiner Leistung in der Hervorbringung einer neuen dramatischen Schöpfung erkannte, – der durfte diese Hingabe seines ganzen Wesens nicht an eine ihm abgezwungene Aufführung setzen, ohne sich in diesem Widerstreit aufzureiben. Da uns ein Einblick in seinen mit dem königlichen Freunde geführten Briefwechsel zur Zeit noch nicht vergönnt ist, kann uns ein an den Kabinetsekretär von Düfflipp gerichteter [273] Brief24 gewissermaßen als Ersatz dafür, als ein wichtiges Dokument in dieser Angelegenheit dienen. Es handelt sich darin um die Anstellung des, um die Meistersingeraufführung so vorzüglich verdienten Regisseurs Dr. Hallwachs, in betreff deren der Meister um Rat befragt wird. ›Ich habe kein Recht‹, heißt es in seiner Antwort, ›meinem erhabenen Wohltäter, in dessen einzigem Schutze ich Ruhe und Arbeitsmuße gefunden habe, irgendwie entgegenzutreten, wenn er sich meine Arbeiten vorführen lassen will. Solange und soweit dies angeht, gebe ich dann auch meinen Rat darüber, wie ich glaube, daß man es anzufangen hat, und so habe ich denn jetzt in betreff des »Rheingoldes« gewünscht, mich hierfür an Herrn Hallwachs, weil ich diesen bei den Meistersingern als intelligent und zuverlässig erkannt habe, wenden zu dürfen. Weiter geht mein Wunsch nicht, und weiter darf (bei der Festhaltung meiner sehr heilsamen Entschlüsse) meine Teilnahme an Verwaltungsfragen nicht gehen, welchen ich prinzipiell fern zu bleiben wünsche. Lieb wäre es mir, wenn es Bülow nicht ebenfalls unmöglich gemacht würde, in München auszuhalten: er hat es nun schwer genug; nur das Bewußtsein, der Kunst einen wahren Dienst leisten zu können, kann ihm seine über alle Begriffe schwierige Lage ertragen helfen.‹25

Wir müssen aber, ehe wir diese Angelegenheit weiter verfolgen, vorerst noch einen Schritt zurücktreten, um die Wirkungen der inzwischen erschienenen Schrift über ›das Judentum in der Musik‹ auf die europäische Öffentlichkeit einer näheren Betrachtung zu unterziehen. In der ersten Woche des Monats März gelangte sie zur Versendung. ›Eben empfange ich von Weber (dem Leipziger Verleger) Wagners – beträchtlich vermehrten – Judenartikel als Broschüre‹, schreibt Bülow am 6. März an Richard Pohl, ›Herrje, wird das ein Halloh geben!‹ – Unbeschreiblich – in der Tat – war der Aufruhr, den diese Signatur der deutschen musikalischen Zustände in ganz Europa, ja bis jenseit des Ozeans hervorrief. Der eine Streich traf so viele Personen und Richtungen, die sich bisher in ungestörtem Behagen als die Blüte der [274] Kultur, Kunst, Literatur und Journalistik geriert und dafür ausgegeben hatten. Als hätte der Verfasser ein tausendfältiges Wespennest aufgerührt, so schwirrte und flatterte, summte und stach es überall. Einer derartigen Echeute als Antwort auf seine kleine Schrift war er kaum gewärtig gewesen. So oft war seine warnende und ermahnende Stimme fast ungehört verhallt; es mußte, aus den diesmaligen Wirkungen zu schließen, in Wahrheit der eigentlich wunde Punkt in der Musik nicht allein, sondern in der modernen Gesellschaft von ihm getroffen sein. Die Heftigen knirschten und schäumten, die Leichtfertigen spotteten, die ›Humanen‹ verdrehten die Augen; ganz Deutschland, England, Frankreich schien den Meister für einige Zeit nur als den Autor der Schrift über das ›Judentum‹ zu kennen. Kaum vierzehn Tage nach dem Erscheinen der Broschüre auf dem Büchermarkt wurden die ›Meistersinger‹ auf der Mannheimer Bühne wütend ausgepfiffen. Ein Tenorist, der in einer norddeutschen Stadt ein Gastspiel absolvieren wollte, erhielt plötzlich die telegraphische Nachricht: Wagner könne gegenwärtig seiner Broschüre wegen nicht riskiert werden. Der Tenorist war Nachbaur, die norddeutsche Stadt Breslau, mit seinen (damals!) 26000 Juden. In Paris hatte Pasdeloup, als neuer Direktor des Théâtre lyrique, es endlich dahin gebracht, daß ›Rienzi‹ als Pionier Wagnerscher Musik die Bretter dieser Bühne beschreiten sollte. Man war in den letzten Proben. Die erregte Journalistik der Seinestadt, in der soeben ›selbst der Börsenkurs in Gefahr gewesen, mehr von der Ankunft Wagners in Paris, als von den mehr oder weniger dunklen Worten Louis' abhängig zu sein‹, gewann neuen willkommenen Stoff zu Ausfällen gegen den deutschen Meister. Der sonderbare Trank, welcher dem Publikum aller Länder tagtäglich in seinen öffentlichen Blättern kredenzt wird und der mit der Milch der frommen Denkungsart nur eine sehr einseitige Ähnlichkeit hat, geriet in die heftigste Gärung: von der untersten Hefe der einfachen, skandalfrohen literarischen Kanaille bis zum Feuilletonschaum der Wiener ›Neuen freien Presse‹ wogte alles wild und aufgeregt durcheinander. Was alles griff diesmal nicht in Hast und Erregung zur Feder, um sich dem Strome der allgemeinen Erbitterung anzuschließen! Kein deutsches oder außerdeutsches, Fach- oder Unterhaltungsblatt, keine musikalische oder unmusikalische, artistische, literarische oder belletristische Zeitung ließ die ›neueste Wagnersche Schrift‹ unbesprochen. Es regnete Repliken und Dupliken, Kundgebungen von der schillerndsten Mannigfaltigkeit; von der gemeinsten persönlichen Verleumdung, den fanatischen Schmähungen des Possendichters E. M. Öttinger (›fünfmalhunderttausend Teufel‹) bis zu den lammfrommen Versöhnungsversuchen eines J. Lang und Joseph Engel. Ein Sammler brachte die Zahl der Gegenschriften bis auf einhundertundsiebzig. Selbst Aufforderungen zum Widerruf blieben nicht aus. In ungeheuere Aufregung geriet der ›deutsche Dichter mosaischer Konfession‹ Berthold Auerbach, Wagners alter Dresdener Bekannter.26 [275] ›Von allen Seiten drängt man mich, und es drängt mich aus mir selbst, in dieser Sache das Wort zu nehmen, und ich kann doch nicht‹, heißt es in seinen Privatbriefen (vom 12. und 21. März); ›ich bin zu empfindlich und verletzlich. Und doch läßt mir die Sache keine Ruhe und nimmt mir all mein Denken.‹ ›Die Sache ist gefährlicher und giftiger (!) als sie aussieht, und läßt sich nicht damit abtun, daß man sagt: das geht vorüber, man wird bald sehen, daß Wagner nur aus Gift und Neid (!) so geschrieben. Nein, da steckt noch etwas, was man voll und ganz erkennen und herausholen muß ... Was Wagner über Mendelssohns Musik sagt, habe ich teilweise selbst immer empfunden‹ usw. Ein anderer Dresdener Bekannter aus dem Ferd. Hillerschen Kreise, der für so ›scharfsinnig‹ geltende Gustav Freytag,27 suchte hingegen die Gefahr zu vertuschen und zu beschwichtigen: ›Wir halten gegenwärtig einen ernsten Angriff auf das jüdische Wesen unter uns nach keiner Richtung für zeitgemäß, nicht in Politik, nicht in Gesellschaft, nicht in Wissenschaft und Kunst.‹28 Nun hatte Wagner in seiner Schrift zunächst nicht von dem Judentum in der Politik und in der Gesellschaft, sondern einzig in der Musik gehandelt; doch hätte sich von ihr aus, wäre sie recht aufgefaßt und nicht durch den jüdischen Hetzeiser überschrieen worden, in der Tat auch für andere Lebensgebiete die entscheidende Anregung gewinnen lassen. Statt dessen hatten es gerade jene Vertuscher und Beschwichtiger auf dem Gewissen, daß nur wenige Monate nach dem Erscheinen der Wagnerschen Schrift, mit dem – auf Betreiben Laskers ergangenen – Gesetz vom 3. Juli 1869, betreffend die Gleichberechtigung der ›Konfessionen‹ in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung, die sogenannte ›Emanzipation‹ der Juden in Deutschland vollständig durchgeführt wurde, um sich im Laufe eines einzigen Jahrzehntes mit reißender Schnelligkeit zur buchstäblichen Judenherrschaft zu gestalten. ›Der Unterschied zwischen Freytag und Wagner‹, bemerkt daher H. S. Chamberlain mit Recht, ›ist der zwischen Talent und Genie; hätte man damals auf die warnende und versöhnungsvolle Stimme des Genies gehört, so wäre es niemals zu dem bedrohlichen, unausbleiblichen Konflikt gekommen, den wir jetzt erleben.‹29 Sehr belehrend [276] ist es heute, die allgemeinen Züge des gegen ihn in Anwendung gebrachten Kampfverfahrens zu prüfen. Soweit es nicht bei einem kläglichen Ach und Wehe, und ungezügelten Schmähungen sein Bewenden fand, riß man einzelne Behauptungen aus ihrem Zusammenhang, bauschte etwaige Paradoxien zu Hyperbeln auf und trübte die Tendenz des Ganzen durch Herbeiziehung kleinlicher außerkünstlerischer Beweggründe. Die sonderbaren Motive, die man in solchen Fällen einer offenen Kriegserklärung einem reformatorischen Genius unterschob, um die Wahrheit seiner Behauptungen nicht zugeben zu müssen, sie sind zu allen Zeiten das erschreckend getreue Spiegelbild der Herzen und Köpfe gewesen, in denen sie entstanden. Dies bewährte sich auch Wagner gegenüber vollkommen Was wurde nicht alles zur Erklärung seines Mahnrufes an die deutsche Öffentlichkeit herangezogen? Da fehlte keine der kleinlichen Triebfedern: Verbitterung, Haß und Neid, Verfolgungs- und Eifersucht. Das einzige Motiv blieb dem Blicke der Beschränktheit und Böswilligkeit verschlossen: die Liebe zur Wahrheit und zu seinem Volke. Sehr leicht erklärt sich auch die Möglichkeit eines solchen Verfahrens aus der Erwägung des Umstandes, daß bei so vielem Lärmen die Auflage von wenigen tausend Exemplaren nicht auf der Stelle vergriffen wurde. Man las weniger das eigentliche Objekt des Streites, als die ›Kritiken‹ darüber. Selbst der berühmte englische Kritiker Chorley, der, aus alter Freundschaft für Wagner,30 bei dieser Gelegenheit im Londoner ›Athenäum‹ ein ganzes Füllhorn schwerer Invektiven über sein Haupt ausschüttete, behauptete die Broschüre nur aus indirekter Quelle zu kennen.

Natürlich fand ein großer Teil dieser bedruckten Papiermassen an Broschüren und Schmähartikeln (einzelne Zeitungen brachten ganze Artikelfolgen) teils durch den Leipziger Verleger, teils auch durch direkte Zusendung den Weg in das stille Triebschen. Von sehr wenigen, ihm desto schätzenswerteren Stimmen gelangte auch nur der Zuspruch an ihn, durch welchen ihm seine vorzüglich objektive Haltung bezeugt wurde. In diesem Sinne ließ sich sein Schwager Oswald Marbach aus Leipzig vernehmen, während der gute Wesendonck sich eifrigst dagegen aussprach.31 So erfreute ihn ferner [277] der Brief eines jungen Wiener Literaten, der das Charakteristische der Schrift in ihrer kontemplativen Eigentümlichkeit fand. Er selbst mußte sich, wenn er sie wieder durchlas, das Zeugnis geben, daß mit mehr objektiver Ruhe wohl nie jemand die Geschichte einer so unerhörten Verfolgung und unablässigen Herabsetzung, wie sie ihm widerfahren, geschildert habe. Sein eigenes Bewußtsein hiervon war so deutlich, daß es ihn vor jeder Ereiferung gegen die unzähligen Verwirrungen bewahrte, zu denen er den Anlaß gegeben. Weil es ihn gar nicht traf, konnte er alles Wüten ruhig über sich ergehen lassen. ›Es ist lustig zu sehen‹, schrieb einst Goethe in ähnlichem Falle, ›was diese Menschenart eigentlich geärgert hat, und was sie glauben, das einen ärgert, wie schal, leer und gemein sie eine fremde Existenz ansehen, wie sie ihre Pfeile gegen das Außenwerk der Erscheinung richten, wie wenig sie auch nur ahnen, in welcher unzugänglichen Burg der Mensch wohnt, dem es nur immer Ernst um sich und die Sache ist.‹ Eigentlich bedauerlich waren ihm demnach nur die Mißverständnisse mancher, um ihn selbst besorgter Freunde. ›Man hielt mir entgegen‹, erzählt er, ›gerade die Juden applaudierten am meisten in meinen Opern, und brächten überhaupt noch das letzte Leben in unser öffentliches Kunstwesen; woraus ich denn zu entnehmen hatte, daß man der Meinung war, es handle sich mir vor allem darum, großen Effekt in unseren Theatern zu machen und hege den falschen Wahn, daß die Juden dem entgegen wären.‹ Nach einer Berliner Aufführung des ›Lohengrin‹32 meldete ihm Tausig telegraphisch: diese Aufführung habe ihm die Judenschaft Berlins wieder versöhnt. Darauf erwiderte ihm der Meister das folgende: ›Deine Versicherung, alle Juden seien mir versöhnt, hat natürlich ihre Wirkung auf mich gemacht. Es wäre wirklich nicht übel, wenn von gescheiten und geistvollen Juden meine Broschüre nur eigentlich ordentlich gelesen würde; aber lesen scheint jetzt kein Mensch mehr zu können. Ich habe nun aber einem wirklich geistvollen Juden alles an die Hand gegeben, dieser ganzen Frage eine große und gewiß segensreiche Wendung, sich selbst aber eine höchst bedeutende Stellung zu unserer wichtigsten Kulturangelegenheit zu geben. Ich weiß, es muß ein solcher da sein, wagt er nun nicht zu tun, was seine Sache ist, so muß doch ich wieder über alle Maßen traurig recht haben, wenn ich das Judentum – namentlich aber das moderne deutsche Judentum – so bezeichne, und so bezeichnet lasse, als das von mir geschehen ist. Aber Mut muß man haben, nicht bloß Frechheit, denn mir ist's Ernst um die Sache. – Sagst Du mir nun, der »Lohengrin« habe mir die Juden versöhnt, so vernehme ich darin eigentlich nur, daß meine Broschüre als eine Übereilung angesehen und als solche mir verziehen [278] wird. Damit ist mir nichts recht Tröstliches gesagt. Gutmütigkeit habe ich gerade auch von Juden schon ungemein viel erfahren. Courage soll einer haben, dann will ich mich freuen! –‹

Somit hatten die Erschütterungen, die sich weithin an das Erscheinen des ›Judentums in der Musik‹ knüpften, wenig rückwirkenden Einfluß auf die Gemütsverfassung, in welcher er während all dieser Emotionen in rastloser Tätigkeit friedlich an seinem Siegfried fortarbeitete. Seine Lebensweise blieb dabei die gewohnte: Nachmittags ein mehrstündiger einsamer Spaziergang in Begleitung des treuen Ruß, Abends gemeinschaftliche Lektüre. Shakespeares ›Ju lius Cäsar‹, ›Antonius und Cleopatra‹, ›Sturm‹, ›Was ihr wollt‹, ›Winckelmanns Leben‹, sodann eine ganze Reihe Platonischer Dialoge folgten im Laufe der Wintermonate aufeinander. Daneben beschäftigten ihn, wie immer, kleinere literarische Arbeiten. Dazu gehörte der, nicht geringes Aufsehen erregende Aufsatz ›Herr Eduard Devrient und sein Stil, eine Studie über dessen Erinnerungen an Felix Mendelssohn Bartholdy‹,33 bei dessen erstem Erscheinen als Broschüre sich Wagner desselben, aus seinen Vornamen gebildeten Pseudonyms bediente, wie dreiunddreißig Jahre früher in jenem (unveröffentlicht gebliebenen und, wie es scheint, verschollenen) Beitrage für die Schumannsche Musikzeitschrift, – nämlich: ›Wilhelm Drach‹.34 Der am 13. März erfolgte Tod Berlioz' erregte seine Teilnahme, und er begann einen Nachruf an diesen, der aber nicht über die einleitenden allgemeinen Betrachtungen hinausgeführt zu sein scheint.35 Am 31. März, mitten in der Osterwoche, einem herrlichen Frühlingstage, war er in seiner Arbeit so weit gediehen, daß Siegfried soeben durch die Lohe drang; am 1. April war der furchtlose Held auf der Höhe angelangt. Bereits am folgenden Tage aber änderte sich die gute Stimmung und die Arbeit mußte unterbrochen werden: Hans Richter traf spät Abends von München aus ein, um des Meisters Unterweisungen für die Münchener ›Rheingold‹-Aufführung zu empfangen! So sehr es ihn freute, den tüchtigen jungen Freund zu mehrtägigem Verweilen in seinem Hause zu begrüßen, so lähmend bedrückte ihn die Notwendigkeit, zu diesem Zwecke sein großes Werk mit ihm durchgehen zu müssen, und das dadurch verursachte körperliche Unwohlsein bewirkte auch noch nach Richters Abreise eine Unterbrechung seiner Arbeit am ›Siegfried‹. Schon am 7. April konnte Bülow dem Könige durch den Kabinetssekretär [279] v. Düfflipp die Mitteilung machen: Hans Richter sei von Luzern zurückgekehrt, mit den genauesten Instruktionen für den musikalischen Teil der Aufführung vom Komponisten versehen. Er fügt dieser Nachricht die bezeichnende Bitte (an Düfflipp) hinzu: ›Würden Sie die Güte haben, Maßregeln zu treffen, daß Herr von Perfall nicht, wie bei den Meistersingern, Opposition gegen diese Instruktionen treibt und mir meine Aufgabe dadurch wiederum so schwer macht?‹36

Von äußeren Ereignissen fallen in diese Zeit hauptsächlich die Vorgänge in Paris und Berlin. Mit rühmlicher Energie war an dem ersteren Orte Pasdeloup (S. 246) in den sog. ›populären Konzerten‹ für die Werke Wagners eingetreten; inzwischen hatte er aus den Händen Carvalhos das Théâtre lyrique übernommen. Der Versuch einer systematischen Einbürgerung der dramatischen Schöpfungen Wagners auf dem Boden der Seinestadt begann, wie bereits erwähnt, mit dem ›Rienzi‹. Die Zurüstungen für denselben, von deren unerhörter Pracht die Blätter im voraus berichteten, erhielten das Pariser Publikum in fieberhafter Aufregung; vorzüglich jedoch auch der interessante Umstand, ob der ›Komponist‹ dazu persönlich in Paris erscheinen würde oder nicht. Ein Brief Wagners an Judith Mendes, die geistvolle und wohlgesinnte Tochter Theophile Gautiers,37 welcher in der ›Liberté‹ vom 10. März zur Veröffentlichung gelangte, begegnete allen derartigen Gerüchten, welche weniger von den Pariser Freunden des Meisters, als von der dortigen ›deutschen Judenschaft‹ in aufreizender Weise verbreitet waren. Am 6. April überschritt der ›letzte der Tribunen‹ die Szene eines französischen Theaters. Trotz aller künstlich geschürten Gegnerschaft war der Erfolg ungeheuer;38 bis Anfang Juni hatte die Oper in 25 maliger Wiederholung bei stets vollem Hause über sechzehntausend Franks eingebracht. Schon war der Termin für den Beginn der Proben zum ›Lohengrin‹ im Théâtre lyrique auf den 1. Juli angesetzt; im Februar des folgenden Jahres, so hieß es, sollten die ›Maitres chanteurs‹ nachfolgen. So schnell ging es nun freilich nicht. – In Berlin hatte der Beginn des Jahres 1869 in bezug auf die Kgl. Hofoper einige wichtige Änderungen hervorgerufen. An der Spitze [280] dieses Institutes stand allerdings als Gene ral-Intendant immer noch derselbe Herr von Hülsen, dessen sehr geringe Sympathien für Wagner wir reichlichst aus seinem üblen Benehmen gegen den Meister kennen gelernt haben,39 und die ›Kritik‹ in den großen politischen Zeitungen tat redlich das Ihre, um den alten Schlendrian aufrecht zu erhalten. Dagegen hatte bisher auch die musikalische Leitung der Oper in den Händen zweier unfähiger und übelwollender Kapellmeister – Dorn und Taubert – gelegen: unter ihrer Führung war bisher jeder Ansatz zu einer Verbesserung der Berliner Opernverhältnisse mit eiserner Hand zu Boden gehalten. Deshalb wirkte ihre, zu dem genannten Zeitpunkt erfolgte, ziemlich plötzliche und unvermittelte Pensionierung als ein wohltätiges Ereignis. Wenn gleich die beiden ›Pensionierten‹ sich das Ansehen von Opfern einer ›neuen Zeitrichtung‹ gaben, so erkannte man doch an ihrem Schicksale deutlich das Walten der Nemesis. Wie sehr sich Dorn offenbarer Unterlassungssünden bewußt war, bewies seine durch nichts provozierte öffentliche ›Abwehr‹, in welcher er sich gegen den Vorwurf verteidigte, als habe er der Aufführung der Opern Wagners Schwierigkeiten entgegengesetzt. Nicht zum Lobe beider Kapellmeister konnte das hierbei abgelegte Geständnis ihrer Einflußlosigkeit gegenüber dem Intendanten gereichen. Am 6. April 1869 zeugte von dem eingetretenen Umschwung der Dinge jene vorzügliche Aufführung des ›Lohengrin‹ unter der Leitung Eckerts, deren wir schon zuvor in Anlaß des Tausigschen Telegrammes gedachten. In Wahrheit waren die Nachwehen des Kampfes um das Judentum gerade in Berlin von besonders heftiger Natur, so daß späterhin selbst die ›Meistersinger‹ bei ihren ersten dortigen Vorstellungen noch einen schweren Stand hatten. Sehr bezeichnend war es trotzdem für die veränderte Windrichtung, daß mitten unter dem ersten und heftigsten Toben dieses Kampfes, in demselben Berlin, wo Meyerbeer und Mendelssohn als General-Musikdirektoren gewirkt, in dem hochkonservativen Spree-Athen, – Richard Wagner von der musikalischen Sektion der Königlichen Akademie der Künste (am 9. Mai) zum auswärtigen Mitgliede gewählt wurde. Neun Jahre früher (1860) zur Aufnahme in dieselbe Körperschaft vorgeschlagen, war er ansehnlich in der Minorität geblieben, während unter mehreren anderen Kandidaten einzig der Dresdener Kapellmeister J. Rietz die erforderliche Stimmenzahl erhielt!

In München war inzwischen, dem heftigen Drängen des Königs zufolge, Bülow in voller Arbeit an der Wiederaufnahme des ›Tristan‹, mit dem Voglschen Ehepaar, unter so vielen offiziellen Ärgernissen und Verbitterungen, daß sein Beschluß, aus seiner Stellung auszuscheiden, unerschütterlich feststand. Vergebens war es, daß Liszt ihn – von Rom aus – beschwor, auf dem [281] Platze zu bleiben;40 der unversöhnliche Haß der Münchener gegen Wagner und demzufolge auch gegen ihn selbst verleideten ihm Stellung und Aufenthalt in der Isarstadt bis zur Unerträglichkeit. ›Buchstäblich halb tot abgearbeitet und dreiviertel tot abgeärgert habe ich mich hier – pour le roi de Bavière.‹ Seine Absicht war, nach Erledigung der einmal übernommenen Verpflichtungen, welche die Wünsche des Königs ihm aufgedrängt, nach des Meisters Beispiel die Stätte ewiger Intriguen und Kabalen für immer zu verlassen, sich von aller Welt zurückzuziehen, und in Italien (Florenz) ein neues Leben zu beginnen. Unter diesen Umständen trug er bereits um die Mitte April dafür Sorge, seine beiden Kinder, um sich für jede bevorstehende Ortsveränderung freie Bewegung zu schaffen, dauernd nach Triebschen zu ihrer Mutter überzusiedeln. ›Heut' Abend siehst Du meine Kinder‹, schreibt er daher dem Meister in einem seiner herrlichen, an diesen gerichteten Briefe.41 ›Ich habe sie leider – auch war das Wetter scheußlich – nicht auf die Bahn bringen können. Der Abschied von ihnen tat mir weh – so selten ich sie gesehen habe, so sind sie mir doch ungeheuer lieb geworden, weil sich ihr ursprünglich seelenguter Charakter so fortdauernd bewährt. Die Mutter wird, denke ich, mit ihnen zufrieden sein, und ich gönne ihr die Freude von Herzen. Meine Mama verläßt mich nun auch in einigen Tagen, um nach Wiesbaden zu gehen. Dann bin ich völlig einsam geworden, d.h. freundeseinsam. Feindeseinsam wäre mir lieber.‹ Die gleiche melanchölische Stimmung des ›Mutterseelenalleinseins‹ gibt sich auch in seinen gleichzeitigen gedruckten Lebenszeichen an die Freunde kund. Um so mehr erfreute es ihn, brieflich von seinen Kindern zu hören, wie wir denn bereits in einer Nachricht an seine Mutter vom 13. April ein ›drei Quartseiten langes, eigenhändiges französisches Schreiben‹ der ältesten Tochter42 erwähnt finden.

Mitten in alles Blühen, Prangen und Knospen der umgebenden Natur kam dann noch in demselben Frühjahr 1869 eine vielversprechende persönliche Beziehung. Die vor kaum einem Jahre in Leipzig erfolgte Begegnung mit dem jungen Philologen Friedrich Nietzsche sollte durch eine seltsame Fügung der Umstände zu einer wirklich engen Freundschaft, einem liebevollen Verhältnis zwischen Jünger und Meister sich gestalten. Diese Fügung bestand – wie bereits erwähnt – darin, daß der junge Philologe auf die Empfehlung seines Lehrers Ritschl hin, frisch von der Universität her, auf der er eben noch eigenen Studien obgelegen, zu einer außerordentlichen Professur nach Basel, also auf schweizerischen Grund und Boden, berufen wurde, wo er nur wenige Stunden von Wagner entfernt war Ebenso gut hätte ihn sein Geschick weit entfernt [282] in den Norden, nach Göttingen, Greifswald oder Königsberg verschlagen können! Nun aber war es das altehrwürdige Basel. Kaum vier Wochen weilte er an seinem neuen Bestimmungsort und hatte daselbst noch nicht einmal seine öffentliche Antrittsvorlesung gehalten, als ein Pfingstausflug an den Vierwaldstätter See ihn in die Nähe von Triebschen führte. Die besonderen Umstände seiner ersten Wiederbegegnung mit dem Meister werden in seiner Biographie, ersichtlich nach seinen eigenen Mitteilungen, berichtet, wie folgt. ›Er fuhr am Sonnabend vor Pfingsten (15. Mai 1869) zum ersten Mal nach dem Vierwaldstätter See, um einige Tage an der Tellsplatte zu verbringen. In Luzern überlegte er, ob er es wohl wagen dürfe, auf jene Einladung vom Herbst zuvor Richard Wagner in seinem Landhaus Triebschen aufzusuchen. Es war ein köstlicher Frühlingsmorgen – unschlüssig wanderte er auf poetischen Wegen dem lieblichen Triebschen zu, das in einer bezaubernden See- und Gebirgseinsamkeit zu Füßen des Pilatus am Vierwaldstätter See liegt. Vor dem Landhause stand er lange still und hörte einen immer wiederholten schmerzlichen Akkord. Endlich kam ein Diener aus dem Garten und sagte ihm: »bis 2 Uhr arbeite Herr Wagner und dürfe nicht gestört werden«. Darauf entschloß er sich, wenigstens seine Karte abgeben zu lassen. Wagner ließ schnell herausfragen, ob der Herr Professor derselbe Herr Nietzsche sei, den er bei seiner Schwester, Frau Professor Brockhaus, in Leipzig kennen gelernt habe? Auf die bejahende Antwort erhielt er eine Einladung zum Mittagessen. Leider mußte er ablehnen, da er sich schon fest für die Tellsplatte versprochen hatte; so wurde er gebeten, den nächsten Montag in Triebschen zu verleben. – Am Pfingstmontag fuhr er früh nach Luzern, begab sich nach Triebschen und verlebte dann in Gemeinschaft mit Richard Wagner und Frau Cosima den ersten jener köstlichen Tage, die später das Glück seiner Seele und seine Trösteinsamkeit wurden.‹43 Er konnte von sich berichten, was wir aus seinen seitdem veröffentlichten Briefen erfahren: wie lebendig seit jenem ersten bedeutsamen Zusammensein in Leipzig (S. 258) das Bild des Meisters in seinem Geiste fortgelebt, daß er noch kürzlich auf seiner Fahrt aus Naumburg nach Basel seine Reise durch einen improvisierten Aufenthalt in Karlsruhe um einen Tag unterbrochen, bloß um einer dortigen Meistersinger-Aufführung beizuwohnen. Wagner schenkte ihm zum Abschied seine Photographie, und begleitete ihn nach Luzern zurück, ihn herzlich auffordernd, seinen Besuch zu wiederholen.

Zwei bald darauf an seine intimsten Freunde gerichteten Briefe Nietzsches geben uns ein lebendiges Bild von dem magischen Eindruck, den seine feurig jugendliche Empfänglichkeit von der Persönlichkeit des Meisters davongetragen. ›Wagner ist wirklich alles, was wir von ihm gehofft haben: ein [283] verschwenderisch reicher und großer Geist, ein energischer Charakter und ein bezaubernd liebenswürdiger Mensch, von dem stärksten Wissenstrieb usw.‹44 Und wiederum: ›Dazu habe ich einen Menschen gefunden, der, wie kein anderer, das Bild dessen, was Schopenhauer »das Genie« nennt, mir offenbart und der ganz durchdrungen ist von jener wundersam innigen Philosophie. Dies ist kein anderer als Richard Wagner, über den Du kein Urteil glauben darfst, das sich in der Presse, in den Schriften der Musikgelehrten usw. findet. Niemand kennt ihn und kann ihn beurteilen, weil alle Welt auf einem andern Fundamente steht und in seiner Atmosphäre nicht heimisch ist. In ihm herrscht eine so unbedingte Idealität, eine solche tiefe und rührende Menschlichkeit, ein solcher erhabener Lebensernst, daß ich mich in seiner Nähe wie in der Nähe des Göttlichen fühle.‹45

Fußnoten

1 Bülow, Briefe IV, S. 259.


2 Liszt, Briefe III, S. 186.


3 Es sind dies die eigenen Worte der Großen Frau, von ihr auf die Fürstin Wittgenstein in ihrem Verhältnis zu Liszt bezogen, aber aus eigener Seelenerfahrung, eigenen, inneren Kämpfen geschöpft!


4 In seinen Briefen(Band IV, S. 261. 263. 281) heißt es konsequent, sie weile, zur Pflege ihrer Gesundheit, in Versailles bei ihrer Schwester, der Gräfin Charnacé.


5 Sie war (17. Februar 1867) in Triebschengeboren und hatte während der Vollendung der ›Meistersinger‹ (nebst Hans Richter) Wagners Einsamkeit daselbst geteilt. ›Wie oft begab er sich ins obere Stockwerk, dem kleinen Evchen einen Besuch abzustatten; auch mußte es nach seinem Wunsch alle Morgen, mit einem Rosaatlaskleidchen angetan, nach dem Frühstück zu ihm gebracht werden; dann spielte er ihm etwas weniges vor und lachte herzlich über die taktmäßigen Bewegungen des Kindes.‹ Diese Erinnerungen Vrenelis an seine Freude über dieses liebliche kleine Wesen können zugleich als Ergänzung zu unseren obigen Nachrichten über sein häusliches Leben während dieser Zeit (auf S. 215 ff. dieses Bandes) betrachtet werden.


6 L. Nohl, das moderne Musikdrama, S. 246.


7 Liszts Briefe, Bd. VI, S. 265. 349 u. sonst.


8 Ebendaselbst Bd. VI, S. 195/220.


9 Bayreuther Blätter 1900, S. 93/94 (›Zu Liszts Briefen an die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein‹).


10 Vgl. die hierauf bezügliche Notiz Wagners, Ges. Schr. VIII, S. 311.


11 ›Prinzipielle Kürzungen in meinen Meistersingern vorzunehmen‹, schrieb er nach Karlsruhe an den dortigen jungen, ehrliebenden Kapellmeister H. Levi, ›habe ich nach der Wirkung der ungekürzten Aufführung derselben in München keinen Grund erhalten. Ich überlasse es dagegen jedem Theater, mein Werk seinen besonderen Kräften anzueignen: über die Norm und Ausführung der Reduktion muß ich den respektiven Herrn Kapellmeistern und Regisseurs, je nach der Kenntnis der ihnen zu Gebote gestellten Kräfte, durchaus allein überlassen zu bestimmen‹ (›Bayr. Blätter‹, 1901, S. 17: Briefe Wagners an Hermann Levi).


12 Band III des vorliegenden Werkes, S. 245 ff.


13 ›Eine Erinnerung an Rossini‹ (Ges. Schr. Band VIII, S. 278 ff.), zuerst veröffentlicht in der Beilage zur Augsburger ›Allg. Zeitung‹ vom 17. Dezember 1868.


14 Brieflich an J. Lang


15 Band III des vorliegenden Werkes, S. 265/66.


16 Vgl. Ges. Schr. VIII, S. 315.


17 Veröffentlicht ist dasselbe gleichwohl, mit wenig Schicklichkeitsgefühl, noch zu den Lebzeiten König Ludwigs, in der mehrfach zitierten Schrift: ›Das moderne Musikdrama‹ (Wien, 1884)


18 L. Nohl, a.a.O. S. 249.


19 Sie erscheint auch keineswegs hier zum ersten Male, sondern bildet gewissermaßen den tiefsten Grundton aller seiner Beziehungen zu dem königlichen Freunde. In einer – im übrigen – apokryphen Quelle wird uns aus einer viel früheren Zeit (Herbst 1865), und ohne greifbar bestimmten Anlaß, die entsprechende Äußerung überliefert. ›Ich kann nicht anders; will mich der König deshalb über Bord werfen, – ei, so muß ich wieder schwimmen, wie zuvor. Ich habe vorher ohne den König gelebt und kann es auch jetzt.‹ Nur aus solcher Gesinnung heraus ward es ihm möglich, die ihm gebotenen königlichen Wohltaten freudig zu genießen; sie sollten ihm Freiheit des Schaffens geben, nicht aber seine – künstlerische oder moralische – Freiheit beschränken!


20 Bülows Briefe IV, S. 275.


21 In einem Brief an Pusinelli spricht er dies ausdrücklich mit den obigen Worten aus: ›Tristan wird nie wieder aufgeführt. Das wird meines edlen Sängers Denkmal sein‹ (2. August 1865)


22 Band III des vorliegenden Werkes, S. 320.


23 Ebendaselbst, S. 408.


24 Vom 18. Mai 1869, abgedruckt in Bülows Briefen, Band IV, S. 292/93.


25 Vgl. dazu die Klagen Bülows über die Haltung Perfalls, an dieselbe Adresse (des Kabinetssekretärs Düfflipp) gerichtet: ›Ein allerhöchster Machtspruch allein vermag die Hindernisse hinwegzuräumen, welche einer ersprießlichen Wirkung meiner Berufstätigkeit im Wege stehen und meine Gesundheit nicht bloß zerstören, sondern meine von niemandem bestrittene Arbeitskraft aufs empfindlichste lähmen.‹ (5. April). Und mit Bezugnahme auf Dingelstedt, welcher, seinerzeit durch Liszts Empfehlung nach Weimar gelangt, diesen dann hinterher von der Stätte seines unvergleichlichen Wirkens hinwegzuintriguieren wußteA1, nennt er diesen Herrn in einem an J. Raff gerichteten Briefe vom 13. April geradezu einen angehenden Dingelstedt Nr. 2! ›Wenn ich's vermag‹, fügt er hinzu, ›lege ich ihm das Handwerk, – wo nicht tunlich, reiche ich meine Entlassung ein.‹ Bekanntlich geschah das letztere.


26 Band II des vorliegenden Werkes, S. 174/75. 438.


27 Ebendaselbst, S. 265/66.


28 G. Freytag, ›Der Streit über das Judentum in der Musik‹ (Grenzboten 1869, Nr. 22).


29 H. S. Chamberlain, ›Richard Wagner‹, S. 159 der illustrierten Ausgabe. Eine schöne Würdigung der Wagnerschen Schrift gab bald darauf Dr. A. Horawitz in seiner Monographie: ›Richard Wagner und die nationale Idee‹ (Wien 1874) S. 18/19: ›Das war einenationale Tat, die man ihrer Notwendigkeit und Furchtlosigkeit halber in gerechteren und ehrlicheren Zeiten höher preisen wird, als manches Ereignis, das heute der Klingklang übeltönender Reklame mit Janitscharenmusik feiert. Die Folgen dieser Tat waren allerdings für Wagner keineswegs erfreulich: von dem Augenblicke der Veröffentlichung dieser Broschüre war er von allen kleinen und großen Schmocks für vogelfrei erklärt; eine weniger kräftige Natur wäre dieser Hetzjagd erlegen. Gewiß hat Wagner aber sein Vorgehen so wenig bereut, als man je eine gute Tat bereuen kann. Denn seine Schrift wirkte wie ein reinigender Wetterschlag auf schwüle Atmosphäre; – es wäre nur zu wünschen, daß Wagner mit derselben den ersten Schritt getan, und daß ihr Schriften von vorurteilslosen, hellsehenden und unerschrockenen Verfassern über das Judentum in der Politik, der Literatur, Wissenschaft, bildenden Kunst, in der Industrie, im Handel, der Sozialpolitik usw. folgen würden. Gerechter würde man dann urteilen, wieviel das deutsche Leben durch die Angehörigen dieses Volkes gewonnen, wieviel es durch fabrikmäßige Produktion, den unsittlichen und unpoetischen Händlersinn und jene Umsetzung jeder, auch der höchsten Angelegenheit ins Geschäftliche, verlor.‹


30 Vgl. Band III des vorliegenden Werkes, S. 67.


31 Vgl. Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonck (Berlin, Duncker, 1904), S. 129.


32 Am 6. April, unter Mitwirkung von Niemann und Frl. Mallinger, nach längerer Unterbrechung, unter Eckerts Leitung (vgl. Seite 281 des vorliegenden Bandes!).


33 Derselbe erschien zuerst im Feuilleton der ›Nord deutschen Allg. Zeitung‹, unterzeichnet R. W.; sodann 2) in einem Blatte des preußischen Kunstvereins: ›Blätter für bildende Kunst‹ (herausg. von C. Schönau, redigiert von Julius Lang); 3) als Broschüre unter dem Pseudonym Wilhelm Drach (München, Cäsar Fritsch); 4) in zweiter Auflage mit dem vollen Autornamen Richard Wagner (Berlin, Stilke & van Muyden, 1869.)


34 Umkehrung von ›-chard‹ (Vgl. Band I dieses Werkes, S. 268 und 502).


35 Vgl. den Nachlaßband: ›Entwürfe, Gedanken, Fragmente‹ (Breitkopf & Härtel), S. 77/78 der ersten Ausgabe von 1885.


36 Bülow, Briefe IV, S. 280.


37 Sie hatte fast noch als Kind den Sturz des ›Tannhäuser‹ in der Großen Oper miterlebt und im Frühjahr 1869 eine Folge vortrefflicher Aufsätze über Wagner in der ›Presse‹ veröffentlicht. Vgl. ihre Schrift: ›Richard Wagner et son Oeuvre poétique depuis Rienzi jusqu'à Parsifal‹ (Paris, Charavay 1882), welche auch ihre persönlichen Erinnerungen an Wagner enthält.


38 Vgl. Bülows Briefe IV, S. 279/80: ›Vielleicht interessiert es Se. Maj. den König zu erfahren, daß die 1. Aufführung von Wagners »Rienzi« im Théâtre lyrique zu Paris einen ganz unerhörten, ungeteilten Erfolg gehabt hat – trotz der oppositionellen Bestrebung der deutschen Judenschaft, welche alles aufgeboten hatte, um einen Skandal hervorzurufen. Dies wird mir eben telegraphisch von dem Musikverleger Herrn Flaxland mitgeteilt‹ (an Düfflipp, 7. April 1869).


39 Band III dieses Werkes, S. 426/27.


40 Briefwechsel zwischen Liszt und Bülow, S. 372/74.


41 München, 8. April 1869, im Besitz des Verfassers.


42 ›Lulu‹ = Daniela, gegenwärtig Frau Geheimrat Dr. Thode (Bülow, Briefe Band IV, S. 286).


43 E. Förster-Nietzsche, Das Leben Jr. Nietzsches, Band II, S. 13/14.


44 Nietzsche Ges. Briefe II, S. 144.


45 Ebendaselbst Band I, S. 142/43.


A1 Vgl. Band III des vorliegenden Werkes, S. 166 und 203

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 260-284.
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