XII.

Vollendung des ›Siegfried‹.

[284] Geburtstagfeier. – ›Ein Sohn ist da!‹ – Münchener Aufführungen des ›Tristan‹ und der ›Meistersinger‹, Vorbereitungen zum ›Rheingold‹. – Besuche: Sseroff, das Mendèsche Paar, Graf Villiers. – Münchener Rheingold-Affaire: Richters Protest, Wagner in München. – Artikel: ›Das Münchener Hoftheater‹. – ›Rheingold‹ doch aufgeführt.


Es war Dein opfermutig hehrer Wille,

der meinem Werk die Werdestätte fand,

von Dir geweiht zu weltentrückter Stille,

wo es nun wuchs und kräftig uns erstand,

die Heldenwelt uns zaubernd zum Idylle,

uraltes Fern zu trautem Heimatland.

Erscholl ein Ruf da froh in meine Weisen:

›ein Sohn ist da!‹ – der mußte Siegfried heißen.

Richard Wagner.


So war der Sommer herangekommen und breitete seine zauberischen Reize über das stille verschwiegene Triebschen aus, wo der dritte Akt des ›Siegfried‹, mehr und mehr in der Ausführung vorschreitend, seiner erhabenen Vollendung entgegenging.

Seinen sechsundfünfzigsten Geburtstag durfte der Meister unter den reinsten Eindrücken rührender und ergreifender Liebe und Begeisterung der Seinigen verbringen. Er hatte zwar in einem Briefe an den König, dessen Anfragen und Wünschen gegenüber, ›zugunsten der Vermeidung einer Unterbrechung in seiner Arbeit‹ auf jede Feier des Tages verzichtet;1 doch konnte er nicht verhindern, daß eine ganze Reihe zartsinniger Überraschungen zur Verherrlichung des Festtages diente Hans Richter hatte sich von München her eingefunden, um ihn bereits in der Frühe, unter dem Fenster blasend, mit Siegfrieds Hornruf zu wecken, so daß ›der erstaunte Meister im unklaren gewesen sei, ob er im Traum oder im Wachen die Siegfried-Weise vernehme, die außer ihm doch noch niemand kannte‹.2 Dazu kam dann noch, als fernere Überraschung des [285] nichts ahnenden Meisters, ein ausgezeichnetes Pariser Streichquartett, dem die Aufgabe zufiel, ihn im Laufe des Tages durch die zartsinnig belebte Vorführung mehrerer Beethovenscher Quartette (in A-moll, E-moll, Cis-moll) über alles Irdische hinaus zu erheben. Die Huldigungen der entfernten Freunde und Anhänger eröffnete ein telegraphischer Gruß des Königs; unter den eingelaufenen Beglückwünschungen rührte ihn insbesondere die Gratulation einer Anzahl Verehrer aus Pesth.3 Am 23. fand sich Ed. Schüré für einen Tag ein und erfreute den Meister durch seine intelligente Anhänglichkeit;4 dafür bekam er denn auch aus dem dritten Akte des ›Siegfried‹ die Erweckung Brünnhildes zu hören. An Nietzsche war eigens für den Geburtstag eine Einladung ergangen; doch war er durch die Vorbereitungen für seine, am 28. Mai zu haltende Antrittsrede verhindert, ihr Folge zu leisten, und entsandte statt dessen ein verehrungsvolles Glückwunschschreiben. Wagner erwiderte dasselbe (3. Juni) mit einer erneuten Aufforderung zum nächsten Sonnabend Nachmittag, die mit den charakteristischen Worten schließt. ›Nun lassen Sie sehen, wie Sie sind. Viel wonnige Erfahrungen habe ich noch nicht an deutschen Landsleuten gemacht; retten Sie meinen, nicht ganz unschwankenden Glauben an das, was ich – mit Goethe und einigen andern – deutsche Freiheit nenne.‹ Dieser abermaligen Einladung folgte der dadurch Ausgezeichnete mit allem gebührenden Eifer und traf pünktlichst zum ›Sonnabend Nachmittag‹ – den 5. Juni – in Triebschen ein. Der Besuch war als ein zweitägiger von dem Meister geplant: zwei Nächte sollte der junge Baseler Professor der Philologie im ›Triebschener Fideikommißhaus‹ schlafen und erst am Montag früh zur Wiederaufnahme seiner Amtstätigkeit an seinen Berufsort zurückkehren. So geschah es in der Tat späterhin ganz regelmäßig – für dieses Mal kam es aber aus einem ganz besonderen Grunde nicht dazu. Das Zusammensein des Meisters mit dem neugewonnenen jungen Freunde wurde durch das bedeutungsvollste Ereignis in seinem Familienleben ganz unvermutet abgekürzt.

In der Morgenfrühe des folgenden Tages – am Sonntag dem 6. Juni 1869 – genoß er der unaussprechlichen, auf das tiefste von ihm [286] empfundenen Freude der Geburt eines Sohnes, in dessen blühender Kraft und Gesundheit sein eigenes Dasein sich verjüngen sollte. ›Heute ist der glücklichste Tag meines Lebens‹, sagte er zu Vreneli und ließ durch sie, damit das ganze Haus an seinem Glücke teilnehme, einem jeden der dienenden Hausgenossen zum Andenken ein ansehnliches Geschenk überreichen. Und zu Nietzsche sagte er bei dessen Verabschiedung: er wolle das Zusammentreffen dieses Ereignisses mit seinem Besuche als ein verheißungsvolles Omen ihrer Freundschaft betrachten. In all seinen, gleichzeitigen und späteren, rückblickenden Äußerungen klingt diese tief beglückte Empfindung wieder. ›Jetzt erst habe ich noch gern und froh zu leben. Ein schöner, kräftiger Sohn mit hoher Stirn und klarem Auge, Siegfried Richard, wird seines Vaters Namen erben und seine Werke der Welt erhalten.‹ So meldet er dem altgetreuen Dresdener Freunde Pusinelli den freudigen Vorgang, indem er dieses Geschenk des Himmels an sein vorgerücktes Alter mit allem, was ihn damals bewegte und was den Inhalt dieses Kapitels bildet, in einen stolzen Zusammenhang bringt: nämlich auf der einen Seite mit der Arbeit an seinem ›Siegfried‹, auf der andern mit der betrübenden Münchener ›Rheingold‹-Angelegenheit. An dem Tage, an dem mir Überglücklichem ein schöner Sohn geboren wurde, vollendete ich die Komposition des ›Siegfried‹,5 in welchem ich mich seit elf Jahren unterbrochen hatte. Ein unerhörter Fall! Keiner hat geglaubt, daß ich dazu noch kommen würde. Und nun mußt Du diesen letzten Akt hören, die Erweckung der Brünnhilde! Mein Schönstes! Und im Hinblick auf die bevorstehende Vollendung des Ganzen heißt es dann weiter: ›Viel Zeit muß ich haben; denn was ich niederschreibe, ist eben alles Superlativ. Doch bleibe ich nun dabei, und sage mir dann (was sie auch in München damit angeben mögen): »na, geschaffen ist es doch«. Und dereinst – da muß mein Junge für das Rechte sorgen! So erhalte ich aus allem neue Lebenskraft.‹6

In der Isarstadt war inzwischen alles in voller Tätigkeit, um dem drängenden Verlangen des königlichen Herrn nach erneuter Aufführung der [287] Werke des Meisters genugzutun. Mitten in die anstrengenden Vorarbeiten zu dem wieder aufgenommenen ›Tristan‹ hinein hatte der König noch eine Privataudition des ›Lohengrin‹ (13. Juni, von 10 bis 3 Uhr Mittags) angeordnet. Acht Tage später folgte dann die erstaunlich korrekte und schöne Erstaufführung des neueinstudierten ›Tristan und Isolde‹ (20. Juni). ›Herr und Frau Vogl‹, schreibt Bülow dem Meister am Tage nach der Vorstellung, ›haben in musikalischer Beziehung Staunenswertes geleistet. Der große Dialog im zweiten Akte ist sogar, was Ton und Wort anlangt, weit vernehmlicher zur Geltung gekommen, als vor vier Jahren, wo der selige Ludwig der edlen Malvina zu Liebe Sordinen auflegte.7 Orchester bis auf kleine Kleinigkeiten recht aufmerksam und diskret. Ich selbst habe die Oper weit ruhiger und besser dirigiert als vormals – die dazwischenliegende Praxis des Taktstocks hat dies bewirkt ... Für die Musik-Chronik ist und bleibt diese Tristan-Aufführung ein hochwichtiges Ereignis. Die Aufführbarkeit Deines Werkes (unter erschwerenden Umständen – u.a. mit relativ mittelmäßigen Talenten) ist aufs neue unwiderleglich konstatiert worden.8 Daß wir nicht mehr Zeit darauf haben verwenden und also eine vollkommene Reproduktion erzielen können, daran trägt Majestät alleinige Schuld.‹ Am 22. wurde die Aufführung als Privataudition wiederholt, bloß für den Landesherrn und ein eingeladenes Parkett, – immer unter der Leitung Bülows. Aber damit waren die physischen Kräfte des letzteren auch bis auf das äußerste erschöpft; bereits die am 27. Juni stattfindende Aufführung der ›Meistersinger‹ dirigierte er nicht mehr, sondern hatte sie Hans Richter übergeben, desgleichen die Einstudierung des ›Rheingoldes‹ für den bevorstehenden 25. August. ›Er kann die Sache zustande bringen, besser als ich, weil ungebrochen, frisch, gesund, ehrgeizig‹, schreibt er darüber an R. Pohl. Und in einem Briefe an den Meister heißt es: ›ich hätte das Werk (die »Meistersinger«) zum 10. Male auch noch zu dirigieren die Kraft gehabt – allein ich bin einesteils Richter und seinen unübertrefflichen Leistungen diese angenehme Satisfaktion schuldig und andernteils hat es mehr »chic«, daß ich mit dem Tristan wieder abschließe; das gibt eine schöne Kreisfigur.‹ In bezug auf das ›Rheingold‹ fiel ihm die Entsagung wahrlich nicht leicht. ›Ironischer konnte das Schicksal nicht mit mir spielen, als indem es mich zwingt, München in demselben Augenblick zu verlassen, den zu genießen ich fähig gewesen sein würde, eine Reise um die Welt zu machen.‹9 Die von Richter dirigierte ›Meistersinger‹-Aufführung war die letzte Vorstellung vor den Theaterferien: Tags darauf, am 28. Juni, wurde [288] das Hoftheater bis zum 11. August geschlossen, um im Innern desselben den, für die Versenkung des Orchesters und szenische Erfordernisse nötigen Umbau vorzunehmen. Der früheste Termin für den Beginn der Orchester-, Dekorations- und Ensembleproben auf der Bühne war damit festgesetzt: mehr als vierzehn Tage blieben dazu nicht übrig. Wohl aber konnten die Soloproben am Klavier und die Einstudierung der einzelnen Partien in der Zwischenzeit vor sich gehen. Es geschah dabei übrigens alles nach den Anordnungen des Autors. ›Die Sänger, Dirigenten, Maler und Maschinisten hatten alle zu mir zu kommen und sich von mir anweisen zu lassen‹,10 so teilt sich Wagner darüber nachträglich in einem Briefe an Wesendonck mit. ›Nur persönlich an Ort und Stelle in alle die mir nur zu wohlbekannte Aufregung mich zu stürzen, habe ich mich auf das bestimmteste geweigert. Sollten Sie demnach‹, fährt er fort ›zum Rheingold sich einfinden wollen, so, glaube ich, werden Sie im ganzen etwas immerhin Respektables erleben; nichts ist gespart worden, um allen meinen technischen Anforderungen nachzukommen. Daß meine Sänger gerade keine Götter sind, werden Sie wahrscheinlich wahrnehmen, auch ohne daß ich Sie auf ihre Menschlichkeiten aufmerksam mache.‹11

Die Einsamkeit des Schaffenden in seinem weltabgeschiedenen Aufenthalt ward, besonders während der schönen Sommermonate, durch mancherlei werte Besuche nicht eigentlich unterbrochen. Wer zu ihm kam, dem war es vielmehr vergönnt, den Zauber dieser Abgeschiedenheit mit ihm zu genießen. Hier wäre denn auch eines Umganges Erwähnung zu tun, der sich ihm ganz ungesucht in der nächsten Nähe darbot. Auf dem andern Ufer des Sees, Triebschen ungefähr gegenüber, befand sich auf einem schönen Hügel die Besitzlichkeit des Grafen Bassenheim, der daselbst mit seiner Gemahlin in großer Zurückgezogenheit lebte. In früheren Jahren war sein gastliches Haus in München der Mittelpunkt einer auserlesenen Geselligkeit gewesen;12 durch Familienangelegenheiten veranlaßt, hatte sich das liebenswürdige Paar, gleich dem Meister, in der reizenden Einsamkeit des Luzerner Sees niedergelassen, und freundnachbarliche Beziehungen über die trennende Wasserfläche hinweg machten sich ganz von selbst. Bereits im Spätherbst des vorigen Jahres hatte Wagner mit Bassenheim – und dem in Ungnade gefallenen Erzherzog Heinrich – da die schneefreie Jahreszeit noch größere Ausflüge gestattete, einen gemeinsamen Ausflug auf den Rigi unternommen und der auf dem Rigi-Hotel überwinternde Hausknecht große Augen gemacht, als er der unerwarteten [289] Touristen-Spätlinge ansichtig wurde. Zu den wahrhaft harmonischen Beziehungen, wie sie die unwiderstehliche Anziehungs- und Assimilationskraft des Genius ihm in den verschiedensten Epochen seines Lebens immer wieder zuführte, gehörte jedoch für die ganze nächstfolgende Triebschener Zeit das für beide Teile immer reicher und hoffnungsvoller sich gestaltende Verhältnis zu Friedrich Nietzsche. ›Die Nähe Wagners ist mein Trost‹, heißt es in einem Briefe des letzteren vom 16. Juni.13 Und wechselsweise wandte ihm der Meister diejenige sorgende zarte Liebe zu, wie er sie nur einem leiblichen Sohne hätte widmen können. ›Ihr Bruder und seine Freunde sind eine ganz neue, wundervolle Art Mensch, die ich bisher gar nicht für möglich hielt‹, soll er später einmal zu Nietzsches Schwester gesagt haben. Und noch aus dem Jahre 1888, kurz vor dem Eintritt völliger Umnachtung dieses, vom Dämon einer krankhaften Selbstüberhebung zerrütteten edelbeanlagten Geistes, soll nach den Angaben eben dieser Schwester das von ihm aufgezeichnete Wort herrühren: ›Ich lasse billig den Rest meiner menschlichen Beziehungen; ich möchte um keinen Preis die Tage von Triebschen aus meinem Leben weggeben, Tage des Vertrauens, der Heiterkeit, der sublimen Zufälle, der tiefen Augenblicke. Ich weiß nicht, was andre mit Wagner erlebt haben: über unsern Himmel ist nie eine Wolke hinweggegangen.‹14

In diesem Sinne halten wir es für angemessen, an dieser Stelle und ehe wir zu anderen persönlichen Beziehungen übergehen, aus den zahlreichen gleichzeitigen brieflichen Äußerungen Nietzsches ein ungefähres zusammenfassendes Bild dessen zu geben, was für ihn dieser Verkehr mit dem Meister bedeutete. ›Ich will Dir‹, so heißt es darin einmal, ›noch etwas von meinem Jupiter, von R. Wagner erzählen, bei dem ich von Zeit zu Zeit aufatme und mich mehr erquicke, als es sich meine ganze Kollegenschaft vorstellen kann. Das Menschenkind hat noch keinen Orden und jetzt eben die erste Auszeichnung bekommen, nämlich die Ehrenmitgliedschaft der Berliner Akademie der Künste (S. 281). Ein fruchtbares, reiches, erschütterndes Leben, ganz abweichend und unerhört unter mittleren Sterblichen! Dafür steht er auch da, festgewurzelt durch eigene Kraft, mit seinem Blick immer drüber hinweg über alles Ephemere, und unzeitgemäß im schönsten Sinne‹15 ›Als ich das letzte Mal dort war, wurde Wagner gerade fertig mit der Komposition seines »Siegfried« und war im üppigsten Gefühl seiner Kraft.‹16 ›In letzter Zeit bin ich, kurz hintereinander, viermal dagewesen, und dazu fliegt fast jede Woche noch ein Brief dieselbe Bahn Liebster Freund, was ich dort lerne und schaue, höre und verstehe, ist unbeschreiblich Schopenhauer und Goethe, Äschylus und Pindar leben noch, glaub' es mir.‹17 ›Wie manche Tage hab' [290] ich nun schon in dem reizenden Landgute am Vierwaldstätter See verlebt, und immer neu und unerschöpflich ist diese wunderbare Natur!‹18 ›Der unglaubliche Ernst und die deutsche Vertiefung in der Weltanschauung Wagners ist den meisten Menschen unserer »Jetztzeit« ein Greuel; unsern »Juden« – und Du weißt, wie weit der Begriff reicht – ist vornehmlich verhaßt seine idealistische Art, in der er mit Schiller am stärksten verwandt ist: dies glühende hochherzige Kämpfen, auf daß »der Tag dem Edlen endlich komme«, kurz das Ritterliche, was unserm plebejisch politischen Tageslärm möglichst widerstrebend ist. Es ist eine unendliche Bereicherung des Lebens, einen solchen Genius wirklich nahe kennen zu lernen.‹19 Und wiederum: ›Freilich habe ich das unschätzbare Glück, den wahren Geistesbruder Schopenhauers, der sich zu ihm wie Schiller zu Kant verhält, als wirklichen Freund zu besitzen, einen Genius, der dasselbe furchtbar erhabene Los empfangen hat, ein Jahrhundert früher zu kommen, als er verstanden werden kann. Ich sehe deshalb tiefer in die Abgründe jener idealistischen Weltanschauung: auch merke ich, wie mein philosophisches, moralisches und wissenschaftliches Streben einem Ziele zustrebt und daß ich – vielleicht der erste aller Philologen – zu einer Ganzheit werde. Wie wunderbar nen und verwandelt sieht mir die Geschichte aus, vornehmlich das Hellenentum!‹20

Haben wir mit diesen brieflichen Aussprüchen und insbesondere ihrem charakteristischen Schlußsatze den Beziehungen zwischen dem Meister und Jünger der Zeit nach bereits um ein geringes vorausgegriffen, so soll es uns nun nicht verdrießen, einen kleinen Schritt zurückzutreten, um einige andere persönliche Berührungen derselben Zeit nicht mit Stillschweigen zu übergehen. Vielmehr ließe sich allein für die köstlichen Sommermonate (Anfang Juli bis Mitte September) des Jahres 1869 aus den Erinnerungen derer, welche damals das Glück hatten mit ihm zu verkehren, eine förmliche ›Besuchschronik‹ zusammenstellen, und diese möchten wir dem Leser nicht völlig vorenthalten. Unter diesen Besuchern des sommerlich blühenden Triebschen sei in erster Reihe Alexander Sseroff genannt. Bereits unter den am 22. Juni zur Münchener Privataudition des ›Tristan‹ Eingetroffenen wird in Bülows Briefen21 Wagners alter Petersburger Freund erwähnt, der ›russische Richard Wagner‹, wie ihn Bülow bei eben dieser Gelegenheit in einer brieflichen Nachricht an den Meister bezeichnet. War der charaktervolle Künstler, seiner Grenzen sich stets wohl bewußt bleibend, auch weit davon entfernt, einen ähnlichen Titel, wie den ihm hier durch Bülow erteilten, für sich in Anspruch zu nehmen, so darf er dagegen um so mehr als verständnisvoller, treuest ergebener russischer Anhänger des Meisters gelten. Mit wortlos schweigender [291] Ergriffenheit hatte er der ›Tristan‹-Aufführung beigewohnt, am Schlusse rannen ihm stille Tränen über das Gesicht. Unmittelbar nach den ›Meistersingern‹ (27. Juni) begab er sich zu zweimonatlichem Aufenthalt in die Schweiz, an den ihm empfohlenen Luftkurort Sonnenberg. Am 5. Juli kam er von Luzern zum erstenmal über die spiegelglatte Fläche des malerisch umrahmten Sees nach Triebschen gerudert. ›Eine kleine Bucht kam zum Vorschein‹, heißt es in den Erinnerungen seiner Frau.22 ›Sseroff stieg ans Land, kehrte aber bald zurück mit der Kunde, daß Wagner bis Mittag arbeite und niemand empfange; nicht einmal begrüßt habe er ihn, aber gebeten, daß wir am folgenden Tage zu ihm zu Tisch kommen sollten.‹ So geschah es. ›Der alte weißhaarige Diener23 führte Sseroff zu Wagner, mir zeigte er den Weg zu der Frau des Hauses. Nach einiger Zeit rief man uns zu Tische. Die prächtig ausgeschmückte Tafel, unter Beaufsichtigung des alten Jakob, stand in einem langen schmalen Raum, der durch Bildnisse Wagnerscher Helden geziert war (es können nur die Zumbuschschen Statuetten, jetzt in der Halle von Wahnfried, gemeint sein). Wagner war sehr bei Laune, er redete Sseroff eifrig zu, seiner Gesundheit und künstlerischen Tätigkeit wegen nach Deutschland überzusiedeln, und Sseroff hätte bald nachgegeben. Vor Wagner wurde er still; kaum folgen könne er dem ewig wechselnden Lauf der Gedanken, mit welchem Schritt zu halten auch einem in geistiger Arbeit gut Geübten nicht leicht fiel. »Vor ihm passe ich«, pflegte er zu sagen, »ich fühle mich ihm gegenüber als ein zu schwacher Partner. Deshalb bin ich glücklich, wenn ich ihn sehe; ich bewundere ihn, wie ein prächtiges Phänomen der reichen Natur. Meine Anhänglichkeit an ihn ist grenzenlos, meine Beziehungen zu ihm so selbstlos, daß ich ihm nicht einmal meine Kompositionen vorspielen will, damit er nicht einen Augenblick irgend welche Verpflichtung mir gegenüber empfinde«.‹ – Dieser erste Besuch des biederen russischen Freundes in Triebschen blieb nicht der letzte; vielmehr ließ er es sich nicht nehmen, während der von ihm noch in der Schweiz verbrachten sieben Wochen, der freundlichen Einladung des Meisters noch wiederholentlich Folge zu leisten. Das nächste mal erschien das freundliche Sseroffsche Paar (12. Juli) zu einem Nammittagsbesuch mit seinem Knaben, und verweilte bis zum Abend. ›Jakob leuchtete uns dann mit einer Laterne beim Abstieg zum See, Cosima in einem leichten, lichten Kleide zeichnete sich poetisch vom dunkeln Grunde ab, Wagner [292] mit schwarzem Sammetbarett und einem Überwurf mittelalterlichen Schnittes, winkte mit dem Taschentuch und rief uns ein »auf baldiges, freudiges Wiedersehen!« nach.‹ Dann wieder trafen sie (24. Juli) mit französischen Gästen zusammen, deren Anwesenheit uns sogleich näher beschäftigen wird, die aber nicht das Glück hatten, Sseroff zu gefallen; weshalb er dem Meister vielmehr beim Abschiede den Wunsch ausdrückte, ihn das nächstemal ›ohne Fremde‹ wiederzusehen. Von einem Zusammentreffen mit Nietzsche dagegen ist in diesen Erinnerungen nicht die Rede, obwohl die Sseroffschen Besuche wiederholt auf Sonnabende, auch wohl Sonntage, fielen. Bereits am folgenden Sonnabend (31. Juli) waren die Franzosen wieder fort: ›froh und glücklich gingen wir zu ihm. In seinem Hause wurde uns alles teuer: der Hund Ruß, der unsern Toni fröhlich anbellte, der feierliche gutmütige Jakob, der uns versicherte: »die Herrschaften haben Sie gern«, die dicke Schweizer Amme Siegfrieds, und der von einem Lindenbaume durch alle Zimmer verbreitete Duft.‹ An einem dieser unvergeßlichen Abende spielte und sang ihnen der Meister zu hoher Ergriffenheit Sseroffs die große Erda-Szene vor. Das ›Vorspielen‹ aus den Werken hatten die französischen Gäste in Übung gebracht – ›uns war so etwas gar nicht in den Sinn gekommen‹. Im August schlug das Wetter plötzlich um, und ›obwohl Sseroff verordnet war, im Gebirge zu wohnen, entschlossen wir uns wegen des Nebels und Regens ins Tal zu ziehen und Triebschen gegenüber (im Luzerner Gasthof) zu wohnen, um die letzte Zeit über die teueren Abende bei Wagner mehr ausnützen zu können. ... Schließlich (gegen Ende August) kamen wir Abschied nehmen. Wagner war sehr weich gestimmt, zum Andenken schenkte er Sseroff seinen »Ring des Nibelungen« und sein Bild, im Barett, mit der Widmung: »Also Triebschen!« – Fort gingen wir, beinahe schluchzend. Die Ufer schienen uns finster, der See unsanft; der beste Teil unseres geistigen Lebens war uns abgerissen, wir kamen uns wie verwaist vor. In trauriger Stimmung fuhren wir gen Süden.‹

Wir wenden uns nunmehr, in unserer ›Besuchschronik‹ fortfahrend, den soeben erwähnten ›französischen Gästen‹ zu, deren ganze Art ihre Gefühle auszudrücken Sseroff so wenig sympathisch gewesen war. Es waren dies die Herren Catulle Mendès und der geistvolle Graf Villiers de l'Isle Adam; die ›schöne Pariserin‹ aber, deren die Sseroffschen Erinnerungen gedenken, die von uns bereits erwähnte Judith Gautier (S. 280), damals noch mit Mendès vermählt, von dem sie sich später getrennt hat. Die Anmeldung ihres Besuches war am 12. Juli, gerade in Sseroffs Anwesenheit (oder doch am gleichen Tage mit einem Besuche desselben) eingetroffen; wenige Tage später, am 16., begab sich Wagner auf seinem Nachmittags-Spaziergang persönlich auf den Luzerner Bahnhof, um die Ankommenden zu empfangen und ihnen im Hôtel du lac ein passendes Unterkommen zu verschaffen. An demselben Abend waren sie bereits Gäste von Triebschen und verweilten in Luzern [293] volle zehn Tage (16–25. Juli) unter täglichen Besuchen und häufigen gemeinschaftlichen Ausflügen in die schöne Umgebung des Vierwaldstätter Sees. Dem schlichten, aber tiefen russischen Künstler waren die exaltierten ›ah‹ und ›oh‹ der Pariser zuwider, und es läßt sich nicht leugnen, daß der Bericht, welchen nachmals – nämlich nach dem deutsch-französischen Kriege! – Herr Catulle Mendès über diesen Besuch gegeben, in seinem grellen Farbenauftrag etwas durchaus französisch Exaltiertes an sich hat und das Bild der Persönlichkeit Wagners darin die Grenze der Karikatur nicht selten berührt, ja überschreitet.24 Unter den von ihm angeführten Gesprächsthemen hat ein hervorragendes Interesse bloß die für das Triebschener Familienglück so charakteristische Erwähnung der Absicht des Meisters, ein Lustspiel ›Luthers Hochzeit‹ zu schreiben. – Weit sympathischer berühren uns die, auf die gleichen Tage bezüglichen Erinnerungen von Judith Gautier (damals: Mendès), die von diesem Zeitpunkt an bis zu seinem Tode als enthusiastische Verehrerin sich bewährt hat.25 ›Ich sah den Meister unter den Seinigen und konnte mir ein genaues Bild von seiner Persönlichkeit und seinem Charakter machen. Was mir an diesem mächtigen Kopfe voll Geist und Willenskraft am meisten auffiel, das war, nächst dem außerordentlichen Glanz seiner Augen und der durchdringenden Kraft seines Blickes, der Ausdruck einer unendlichen Güte, der um seine Lippen spielte und den keines seiner Porträts nur hatte ahnen lassen. Diese fast göttliche Güte sah ich in jedem Augenblick von ihm ausstrahlen; sie hatte ihr leibhaftes Spiegelbild in der liebevollen Verehrung, die er nicht nur seiner Familie, sondern seiner ganzen Umgebung einflößte. Diese wunderbar organisierte Natur, von so ausgesuchter Sensibilität, im höchsten Maße nervös und eindrucksfähig, hatte ihre furchtbaren Ausbrüche, von denen man sich fragte, wie er sie nur überstehen könne: ein Tag des Kummers ließ ihn um zehn Jahre altern; aber schon am folgenden Tage war er wieder jünger als zuvor‹ Besonders überrascht wurden die Gäste durch die, ihm von früher Jugend auf eigene körperliche Beweglichkeit und Geschicklichkeit. ›er kletterte – zum Schrecken seiner Frau – auf die höchsten Bäume seines Gartens.‹ Das ganze Triebschen wird uns in diesen Schilderungen recht anschaulich vergegenwärtigt, so u.a. auch ein reizender, sehr schattiger Fußweg, welcher ziemlich steil dem Ufer [294] entlang führte: der schroffe Abhang nahm bald das Aussehen eines kleinen, sehr malerischen Abgrundes an, und das tiefe Blau des Sees bot, durch das Gesträuch gesehen, einen herrlichen Anblick. ›Die Kinder hatten diesem Winkel, dessen Betreten man ihnen wegen der Gefahr des Abrutschens verboten hatte, den Namen »Räuberpark« (S. 168) beigelegt und erzählten sich viel über den Spuk, der sich dort zutrüge, wenn die Schatten des Abends sich herniedersenkten. Ohne Gitter oder Pforte hatte der Garten (nach dieser Richtung hin) keine bestimmten Grenzen, und schien sich über die benachbarten Höhen ins Unendliche zu erstrecken.‹

Besonders ausdrucksvoll ist die Schilderung eines wundervollen Nachmittags. ›Wir gingen die Allee des Gartens hinauf; im weichen Grase tummelten sich die Kinder unter Lachen und Freudengeschrei. Der Meister führte uns zu einem höher gelegenen Pavillon, von welchem die Aussicht, wie er sagte, eine prächtige war; Ruß, der große schwarze Neufundländer, sprang vor uns her, Steine vom Boden auflesend, die er uns mit freundlicher Aufforderung anbot. »Eine schlechte Gewohnheit, die ich ihn habe annehmen lassen«, sagte Wagner, indem er das gute Tier streichelte, »ich kann sie ihm nicht mehr abgewöhnen und er verdirbt sich mit den Steinen die Zähne«. Die Aussicht vom Pavillon war wirklich bezaubernd: ein wogendes Meer von grünem Laub, in welches das Haus wie eingetaucht schien, kräuselte sich von Hügel zu Tal, bis an den klaren blauen See, über den einige weiße Segel dahinglitten und in dem sich die violetten Farbentöne der hohen Gipfel spiegelten. Die Natur badete sich in einem lieblichen Lichte; es war ein unvergeßlicher Augenblick. Richard Wagner, die beiden Hände auf das ländlich rohe Gitter gestützt, stand aufgerichtet, schweigend, mit dem ernsten Ausdruck der Sammlung, der ihm in Momenten innerer Bewegung eigen war Seine Augen, blau wie der See, schienen fast unbeweglich das Bild einzusaugen, welches für ihn eine Welt von Gedanken ausstrahlte Dieser Zufluchtsort, dieses entzückende Versteck, ihm gewonnen durch die Zärtlichkeit der geliebten Frau, zu einer Zeit, da er von den Bitternissen des Lebens am grausamsten verfolgt war; diese liebliche Einöde, belebt vom Lachen der Kinder, wo die Schläge des Schicksals nur wie über einen Wall von Liebe ihn erreichen konnten – das war es, woran er mit gerührter Dankbarkeit dachte. Er begriff, daß ich seinen Gedanken gefolgt war, und fuhr laut fort: »und dennoch gehört dieses Fleckchen Erde, so voll von Erinnerungen, mir nicht an; ich gedenke aber später ein kleines Stückchen Land von dieser Seite anzukaufen, damit später meine Kinder dahin zurückkehren können und ihnen etwas von diesem traulichen Neste ihrer Kindheit erhalten bleibt«.‹ Leider war und blieb Triebschen, als ein Fideikommiß, unveräußerlich; aber auch dem hier ausgesprochenen Lieblingswunsche des Meisters, sich in unmittelbarer Nähe anzukaufen, sollten sich tatsächlich, wie bereits erwähnt (S. 169), [295] bis in seine spätesten Lebensjahre Hindernisse in den Weg stellen. – Auch mehrfache Ausflüge unternahm er mit seinen Freunden in diesen schönen sonnigen Juli-Tagen, nach dem Luzerner Löwen-Denkmal, nach Beckenried und Brunnen. ›Vor unserer Abreise‹, fährt die Erzählerin fort, ›wollte er auf einem gemeinsamen Ausflug uns das Land des Wilhelm Tell zeigen. Man mußte mit Tagesanbruch heraus, und unter den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fuhr der Wagen dem Ufer des Vierwaldstätter Sees entlang. Ich gestehe, die landschaftliche Umgebung bei dieser Fahrt nur sehr schlecht beobachtet zu haben. Ich erinnere mich, an der ersten Haltestelle, einer Forelle, über die Wagner einen unübersetzbaren Calembourg machte; dann eines Dampfschiffes, das uns nach Brunnen26 führte, wo der Meister von der Bevölkerung wie ein vielgeliebter König empfangen wurde; einer Bergbesteigung,27 einer Kahnfahrt auf dem See:28 aber alle Einzelheiten verschwinden in meiner Erinnerung gegen den zauberischen Reiz dieser in so wundervoller Intimität verbrachten Tage, der sanften Heiterkeit Wagners, seines einfach menschlichen Wesens, seiner zarten Aufmerksamkeit, seiner Kunst alles zu unserer größten Annehmlichkeit einzurichten. Er stand immer als erster auf und weckte die trägen Schläfer, indem er an die Türen trommelte und die Marseillaise dazu sang. Auf der Rückkehr nach Luzern gestand er, daß er während des größten Teiles der Fahrt unwohl gewesen sei; er habe sich aber wohl gehütet, etwas davon zu sagen, um uns das Vergnügen nicht zu verderben.‹

Wir könnten die Einzelheiten der ›Besuchschronik‹ dieses Sommers leicht noch über die Grenzen des Vorstehenden hinaus vermehren, wenn wir es nicht vorzögen, ihr durch eine konzisere Fassung den endlichen Abschluß zu verleihen. Denn es ist Zeit, in unserer Erzählung weiter fortzuschreiten. Daß sich die Besuche Sseroffs bis gegen Ende August erstreckten, dessen ward bereits im voraus gedacht; am 20. August hatte er die Freude, seine Schwester Cäcilie Avenarius zu begrüßen, die er seit einundzwanzig Jahren – Dresden 1848! – nicht wiedergesehen. Am 21. war sie mit ihrem Manne und Sseroffs (kurz vor deren Abreise) bei ihm zu Mittag. Bei einem Ausflug nach Hergiswyl traf er – zufällig und unerwartet – mit seiner Schwester Ottilie Brockhaus zusammen, die soeben mit ihrer Familie auf dem Wege nach Luzern war, um ihn zu besuchen. Sie wurde für den folgenden Tag mit Nietzsche zu Tisch gebeten. Kurz zuvor, am 25. August – dem Geburtstage des Königs – hatte er die Partitur des dritten Aktes ›Siegfried‹ begonnen;29 unter welchen unerfreulichen Eindrücken von außen her, das müssen wir nun aber doch, nach allen vorausgeschickten Episoden, im Zusammenhang näher betrachten. Die Münchener ›Rheingold‹-Angelegenheit nahm gleichzeitig [296] ihren Kurs, auf und nieder schaukelnd und schwankend, wie ein gebrechliches Schiff im Sturme. Mitte Juli hatten sich die Münchener Dekorationsmaler mit ihren Skizzen eingefunden; gerade die zweite Dekoration, die der Phantasie den weitesten Spielraum ließ, war am schwächsten ausgefallen: Walhall glich einer mittelalterlichen Ritterburg, und er verwies die Herren zur Auffindung eines passenden Motives vielmehr auf landschaftliche Erscheinungen, wie sie in der Naturumgebung der Schweiz, in Gletschern, Gestein und Wolken so unmittelbar sich darböten.30 Die Beschäftigung damit degoutierte ihn so, daß er sich fest vornahm, sich um die Sache nicht weiter zu kümmern. Es war dies für ihn die einzige Rettung, um an seiner vorschreitenden Arbeit am ›Siegfried‹ Freude zu behalten. Trotzdem kam er davon nicht los. Wenn wir aus den, soeben mitgeteilten Erinnerungen der französischen Freunde erfahren, daß, ein Tag des Kummers ihn um zehn Jahre älter machte, so wissen wir nun auch, welches der damals an ihm zehrende ›Kummer‹ war, und kennen die Ursache seiner leidenschaftlichen ›Ausbrüche‹, die seinen liebenswürdigen Gästen doch nur mehr als ein großartiges Naturschauspiel gedient zu haben scheinen!31 Kaum waren sie fort, so kündigte ihm ein Brief Richters an, er habe seine Entlassung verlangt, sei aber ersucht worden, zu bleiben. Eine weitere telegraphische Nachricht Richters meldete, daß man zum Alberich den Rechten nicht bekäme, ob man es mit dem Unrechten versuchen dürfe? ›Kinder und Herren‹, telegraphierte der Meister zurück, ›tut was ihr wollt und könnt, nur laßt mich in Ruhe!‹ Vom 11. August an begannen die Proben im umgebauten Kgl. Hoftheater. Während ihres Verlaufes wurde er von verschiedenen Seiten her bestürmt, die Aufführung wegen eklatanter szenischer Mängel nicht stattfinden zu lassen. Der Intendant Herr v. Perfall hatte, wiewohl ihm die ungeheure Summe von sechzigtausend Gulden zur Verfügung gestellt war, die Ausführung in so unfähige Hände gelegt, daß der aus Darmstadt herbeigerufene Maschinist Karl Brandt schließlich erklärte, er müsse ganz neue Mechanischen anfertigen lassen, da die vorgefundenen gänzlich untauglich seien. Die Aufführung war inzwischen vom 25. auf den 29. August verschoben. Wie milde sich Wagner darüber äußerte, das haben wir schon aus seinen an Wesendonck gerichteten Zeilen (S. 289) [297] gesehen! ›Daß meine Sänger gerade keine Götter sind, werden Sie wahrnehmen, auch ohne daß ich Sie auf ihre Menschlichkeiten aufmerksam mache.‹ Das war alles. ›Sie werden im ganzen etwas immerhin Respektables erleben; nichts ist gespart worden, um meinen technischen Anforderungen zu entsprechen‹ Diese Zeilen sind vom 21. August datiert. Er hatte offenbar von der Mangelhaftigkeit der Leistungen noch nicht in vollem Umfange Kenntnis. Am gleichen Tage reichte Richter, dicht vor der Hauptprobe, seine Entlassung ein. Er dirigierte tatsächlich noch diese Hauptprobe, am Freitag, 27. August. Der König und etwa 500 eingeladene Personen waren dazu anwesend, unter ihnen Liszt, Frau v. Muchanoff mit ihrer Tochter, der Gräfin Coudenhove; Frau von Schleinitz, Baron Loën aus Weimar, Justizrat Gille, Richard Pohl, Franz Müller, Lassen, Riedel, Herbeck aus Wien; aus Paris Saint Saëns, das Ehepaar Mendès, Mlle. Augusta Holmes; aus London einerseits Henry Chorley, Wagners gehässiger Gegner und Verkleinerer seit 1855, andererseits der begabte und liebenswürdige Lisztschüler Walter Bache; ferner Sseroff, Turgenjew, Mme. Viardot u.a. Die szenischen Mängel stellten sich handgreiflich und offenkundig heraus: eine poesielose Götterburg, ein hölzerner Regenbogen, ein opernmäßig unbeholfenes, über die Bühne gezogenes Megatherium, in welches sich Alberich verwandelte usw. Die Nachrichten über diese szenischen Abscheulichkeiten drangen am andern Tage nach Triebschen, als der Meister soeben mit Brockhausens und Nietzsche bei Tische war, und gaben reichlichen Grund zur Verstimmung. So sah er sich denn schließlich doch gezwungen, sich aus seiner Schaffensruhe zu reißen, persönlich nach München zu gehen, auf Beseitigung der gröbsten Übelstände zu dringen und die Aufführung dadurch zu ermöglichen.

In München gingen inzwischen die Wogen hoch und höher. Geräuschvoll machte sich Luft, was nur an bösem Blut gegen den Meister und sein Werk vorhanden war. Richters entschlossenes und mutvolles Verhalten wurde ihm durch anonyme Federhelden von kurzer Hand als Insubordination ausgelegt. Er sah sich veranlaßt, öffentlich gegen eine solche Auslegung zu protestieren. Sein Protest32 ist in seiner schlichten Mannhaftigkeit ein geschichtliches Dokument. ›Ich habe allerdings‹, heißt es darin, ›der Kgl. Intendanz erklärt, das Werk Richard Wagners in der mangelhaften Inszenierung, wie sich dieselbe in der Hauptprobe darstellte, nicht dirigieren zu können; ich habe aber bei dieser Erklärung durchaus als Bevollmächtigter und im Auftrage des Dichter-Komponisten gehandelt, obendrein unterstützt durch eine große Zahl der bedeutendsten, hier anwesenden Kunst-Celebritäten. Alle diese stimmen darin überein, ein Werk, von dem bereits so viel geredet und geschrieben worden ist, daß die Erwartungen des Publikums mit Recht aufs höchste gesteigert [298] seien, könne in solch mangelhafter szenischer Ausführung vorerst öffentlich nicht vorgeführt werden, ohne den Ruhm des Werkes selbst, und den der Münchener Hofbühne aufs Spiel zu setzen. Ich hielt also meine Weigerung nicht bloß für gerechtfertigt, sondern auch, wenn ich nicht eine ungeziemende Mißachtung der Kunst sowohl als des Publikums zeigen wollte, für meine Pflicht.‹ Aber nicht einmal dasjenige Blatt, welches diese Erklärung zum Abdruck brachte, hatte den moralischen Mut, ihm in seiner Auffassung beizustehen. Vielmehr fügte die Redaktion ihrerseits die Bemerkung hinzu, daß ›Herr Hans Richter – laut seinem Anstellungsdekret (!) – Kgl. bayerischer und nicht Richard Wagnerscher Musikdirektor sei, daß er daher den Weisungen der Kgl. Hoftheater-Intendanz, und nicht jenen des Herrn Richard Wagner, dem keinerlei Einwirkung auf die Leitung unserer Hofbühne zustehe, Folge zu leisten hätte‹.

In der Frühe des 31. August begab sich der Meister nach München und wurde daselbst am Bahnhof von Hans Richter und einem Freunde Richters, Reinhard Schäfer empfangen. Auch Nohl will dabei gewesen sein. Für die wenigen Tage seines Aufenthaltes nahm er bei Schäfer Quartier. Der König befand sich in Schloß Berg. Dahin begab sich Wagner am folgenden Tage, dem 1. September, ohne doch den König selbst in Audienz zu sprechen; dieser war in die vordere Riß geritten, um dort im Hochgebirge einige Tage auf dem Hochkopf zuzubringen.33 Dagegen hatte er eine eingehende Konferenz mit dem Kabinetssekretär Düfflipp, bei welcher auch der Intendant, Baron Perfall, zugegen war. Auf dieser Konferenz erklärte Wagner, gegen die Aufführung des ›Rheingold‹ am nächsten Sonntag (5. September), trotz aller ihm bekannt gewordenen Mängel im szenischen Arrangement nichts einwenden zu wollen; aber nur unter der Bedingung, daß das Werk musikalisch zur Geltung komme und zu diesem Ende Richter, der seine Entlassung verlangt, in der Eigenschaft eines gastierenden Kapellmeisters die Direktion führe. Es war dies doch das mindeste, was er verlangen konnte; aber der Herr Hoftheaterintendant wollte darauf nicht eingehen, weil dies seinerseits einen offenen Rückzug bedeutet haben würde. Übrigens war der Sänger des Wotan, Franz Betz, am Morgen desselben Tages nach Berlin abgereist; seine kontraktlichen Verpflichtungen gegen die Kgl. Hofbühne waren mit dem 31. August abgelaufen und er hatte es nicht für gut befunden, dieselben zu erneuern. Die Aufführung des ›Rheingold‹ mußte demnach – trotz allem Entgegenkommen von Wagners Seite – für unbestimmte Zeit sistiert werden; man durfte hoffen, die Unmöglichkeit des Unternehmens sei [299] allseitig anerkannt und eingesehen. So kehrte der Meister am 2. September nach Triebschen zurück.

Inzwischen war die Aufregung, ja bis zur Überreiztheit künstlich geschürte Erbitterung in München groß genug, um von hier aus durch die bekannten Schreibfedern in alle Welt hinauszudringen. Wiederum wurde eine rein künstlerische Angelegenheit durch diese Federn in ein grelles politisches Licht gestellt. Den erlebten Konflikten, von deren wahrer, für den Meister so schmerzlicher Natur niemand einen klaren Begriff hatte, noch auch, wie es schien, bekommen sollte, wurden die unglaublichsten Deutungen untergeschoben: bald sollte es sich um eine ›Intrigue‹ Wagners (!) gegen den Intendanten Perfall, bald gar um den beabsichtigten Sturz des Ministeriums Hohenlohe (!!) handeln. Wagner habe wohlgetan, seinen Münchener Aufenthalt abzukürzen und während desselben jedes öffentliche Auftreten (!) zu unterlassen; so lange er in hiesiger Stadt weilte, habe man Ruhestörungen, Demonstrationen, Ausbrüche des Volksunwillens(!!!) erwarten müssen. So hallte es überall wieder, in Blättern jeder Farbe, nicht etwa bloß in ultramontanen, sondern in liberalen Zeitungen, wie der ›Weser-Zeitung‹, der Berliner ›Nationalzeitung‹, der Kölnischen und der Augsburger Allgemeinen. War es schmachvoll, ja schamlos, daß man sich nicht entblödete, bei dieser Gelegenheit von ›anarchischen Zuständen‹ zu reden, die der Künstler am Münchener Hoftheater herbeiführen wolle, von einem (doch nicht durch ihn veranlaßten!) ›Mißbrauch des Hoftheaters für Wagnersche Opern und deren kostspielige Inszenierung‹, so blieb es vollends unbegreiflich, was alle diese Dinge denn noch außerdem für eine politische Bedeutung haben sollten, außer wenn man dieselbe künstlich erst hinzudichtete? In allerlei dunkel und verschwommen gehaltenen Phrasen erging man sich über den gefahrdrohenden Enthusiasmus des ›jugendlichen‹ Königs für die ›durch geistreiches Wesen bezaubernde Persönlichkeit Richard Wagners‹ und die ›Selbstüberschätzung‹ des Künstlers, welche ›soweit ginge, daß er, trotzdem das große Publikum seiner Musik abgewandt sei (!), auch aus der Landeskasse Summen für großartige Universaltheaterpläne in Anspruch genommen wissen wollte34 usw. Gegen diese abermaligen Sturmläufe der Presse verhielt sich der Meister zurückhaltend, wie er es gewohnt war. Nur als wiederum auch in dem angesehensten Schweizer Blatte sich die gleichen mysteriösen Nachrichten durch Abdruck aus deutschen Zeitungen breit zu machen begannen, wurde es ihm [300] doch zu viel und er ließ sich dazu herbei (11. Sept.), wenigstens für diese seine nächste Umgebung gegen den Unfug aufzutreten, der seinen Namen abermals dem öffentlichen Skandal preiszugeben bestrebt war. ›Als getreuer Abonnent des »Bund«‹, schrieb er der Redaktion dieses Blattes, ›bekümmert es mich, so unsinniges Zeug, wie letzthin nach Ihrer Angabe die Weser-Zeitung aus München über meinen angeblichen Einfluß auf den König von Bayern und dessen Prinzipien verbreitete, in Ihrem Blatte ganz ernstlich abgedruckt zu sehen. In München und namentlich in den dortigen Hofkreisen wird man natürlich über so etwas nur lachen; ärgerlich ist es aber, auch Ihren Schweizer Lesern so Törichtes aufgebunden zu sehen. Haben Sie die Güte, nicht zu meiner Rechtfertigung, sondern zur Orientierung des Publikums über die unglaubliche Lügenhaftigkeit der allermeisten mich betreffenden Zeitungsgerüchte, diese Zeilen in Ihr geschätztes Blatt aufzunehmen.‹

Einen schärferen Ton anzuschlagen, sah er sich wenige Tage später (14. September) genötigt, als die Aufwiegelungen der Soldschreiber des Münchener Intendanz-Bureaus nicht aufhören wollten und in einem für die Augsburger ›Allg. Zeitung‹ verfaßten Artikel seine Beziehungen zu dieser Behörde in eine schiefe und völlig entstellende Beleuchtung stellten. Er erwiderte diesen Artikel nun seinerseits mit einem berichtigenden Aufsatz über: ›Das Münchener Hoftheater.‹ Ohne den Namen seines dortigen Antagonisten, des Herrn v. Perfall, auch nur zu nennen, berichtet er darin kurz und übersichtlich über seine tatsächlichen Beziehungen zu dieser Intendanz und seine üblen Erfahrungen an derselben gelegentlich der ›Meistersinger‹, und fährt dann fort: ›Warum ich die Aufführung meines »Rheingold« nicht in der gleichen Weise persönlich überwachte, beruht auf einem festen Entschlusse, dessen Motive ich nach den vorangehenden Aufklärungen nicht weiter zu bezeichnen habe. Daß ich mit der Zurückhaltung meiner persönlichen Mitwirkung keine »von langer Hand gesponnene Intrigue« gegen den Intendanten im Sinne hatte, bewies ich dadurch, daß ich, als die üblen Folgen des führerlosen Unternehmens sich herausstellten, selbst herbeieilte, nicht mehr um meinem Werk zu einer mir genügenden, sondern nur einer die Ehre der Intendanz rettenden Ausführung zu verhelfen. Daß auch diese meine Absicht dahin gedeutet wurde, als wollte ich ihr neue Verlegenheiten bereiten, und hierbei noch außerdem die Leitung des Hoftheaters mit der Regierung des Königreichs Bayern ganz unbefangen in einen Topf geworfen ward,[301] entspricht der Verfassung eines nicht ganz freien Gewissens; daß man gegen diese mir untergelegte Absicht die alten Mittel der Besudelung der persönlichen Ehre vermöge des bekannten Preßunfuges, zu dessen Ehrenpunkt namentlich auch die Anonymität gehört, wieder in das Werk setzte, entspricht dagegen dem ganzen Charakter meiner Münchener Erfahrungen. – In betreff dieses letzten Punktes habe ich darauf hinzuweisen, daß derjenige, welcher sieht, wie die Zeitungsöffentlichkeit, ohne irgend welchen Ekel zu bezeigen, jede Lüge einschlingt, ein gerechtes Bedenken zu tragen hat, ihr jede Wahrheit anzuvertrauen. Es müßte denn erst nachgewiesen werden, daß diese Öffentlichkeit ebenso behilflich zur Erstattung der Ehre, als zur Befleckung derselben ist. Da wohl selbst aber die Befähigung hierzu ihr abgesprochen werden dürfte, möge es dem Betroffenen lieber anheimgestellt sein, wie erohne ihre Mithilfe den schamlosesten Verletzungen der Ehre Heilung zu verschaffen sucht. Außerdem liegen die Aufklärungen über alles, was das Intendanz-Bureau in meinem Betreff zu interessieren scheint, an dem hierfür mir geeignet dünkenden besseren Ort aufbewahrt. Habe ich diese nicht zu scheuen, so wünsche ich doch von ganzem Herzen, daß der durch meine Intriguen so sehr beängstigte gegenwärtige Münchener Hoftheater-Intendant mit seinem Anhang ebenfalls von ganzem Herzen den Autor des »Tannhäuser«, »Lohengrin«, »Tristan«, der »Meistersinger« und – wäre dies sofort möglich! – auch des »Rheingoldes« sich gründlich aus dem Kopfe schlage!

Leider sollte dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Wie es – am 22. September – dennoch zu jener, dem Münchener Hoftheater keineswegs zur Ehre gereichenden Aufführung des ›Rheingold‹ kam,35 das stellt eine briefliche Mitteilung Düfflipps an Bülow36 in so einfach übersichtlicher Weise dar, daß wir über diese Angelegenheit nicht sachlicher und genauer berichten können, als mit seinen gleichsam offiziellen Worten. ›Nachdem die Dispensation des Herrn Richter vom Dienste ausgesprochen war, nachdem Herr Richard Wagner bei seiner Anwesenheit am 1. September selbst zur Überzeugung gelangte, daß eine öffentliche Wirksamkeit für ihn dahier nicht möglich (?!) sei, und nachdem Herr X. (offenbar Betz) sich plötzlich in sehr schnöder Weise empfohlen hatte, trat die Entscheidung der Frage heran, ob unter solchen Umständen auf die Aufführung nicht ganz verzichtet werden sollte? Ich selbst war aus wohlerwogenen Gründen für den Aufschub; allein Se. Majestät der König glaubte ein solches Nachgeben als Schwäche (!) gedeutet zu sehen und der Befehl zur Vorstellung wurde aufrecht erhalten Es handelte sich in erster Linie darum, einen passenden Dirigenten [302] ausfindig zu machen. So wurde zuletzt nach Herrn Hofkapellmeister Wüllner gegriffen, welcher – – die Aufgabe so gut durchführte, als in seinen Kräften stand.‹ Das Beste an der ganzen Unternehmung waren die fünf geistvollen Artikel, welche Richard Pohl anläßlich derselben in den ›Signalen‹ veröffentlichte und die seinen ›Tristan‹-und ›Meistersinger‹-Artikeln nicht nachstanden. ›Das Publikum‹, bemerkt er bei dieser Gelegenheit, ›scheint im allgemeinen noch wenig genaue Kenntnis von dem Werke zu haben – obgleich Text und Klavierauszug seit Jahren zu jedermanns Kenntnis im Druck vorliegen – und die Presse hat ihre Aufgabe der Verbreitung von »Aufklärung« diesmal wieder so »gewissenhaft« wie möglich erfüllt. Sie hat die Tage der Aufregung in München mit »redlichem« Eifer benutzt, um die Fragen möglichst zu verwirren; ja, sie hat es erreicht, daß selbst das völlig unbeteiligte, dem Werke bis jetzt gänzlich fremd gebliebene Publikum sich unter ihrer Anleitung bereits ein »Urteil« gebildet hat – welches? – ist freilich nicht schwer zu erraten‹. ...

Fußnoten

1 Bülow, Briefe IV, S. 292.


2 Siehe: Erinnerungen an R. Wagner, von Frau Sseroff (Neue musikalische Rundschau 1897, S. 174/75).


3 Seine Antwort darauf, datiert vom 22. (?) Mai, wurde in der Wiener Presse vom 1. Juni 1869 veröffentlicht. Er dankt für den freundlichen Geburtstagsgruß, den ersten ihm aus der Ferne des Auslandes zugekommenen: ›Von neuem belebte er mir die herrliche Erinnerung an das unvergleichliche, herzliche und erhebende Fest, welches Sie mir an jenem schönen Abende in Pesth bereiteten.A1 Somit belebten Sie auch mich selbst wieder, denn nur von so schönen Erinnerungen webt sich der ewig neue Faden der Künstlerseele.‹


4 Von ihm hatte das zweite Aprilheft der Revue des deux mondes d. J. einen vortrefflichen Artikel über die ›Meistersinger‹ (biographische Einleitung und ausführliche Inhaltsangabe des Werkes) gebracht, welcher späterhin fast unverändert in sein großes Werk Le Drame musical (Paris 1875, 2 Bde.) übergegangen ist.


5 Es kann sich bei dieser Zeitangabe wohl nur um den ersten Kompositionsentwurf handeln, da die Particelle den Meister noch während des ganzen Sommers in Anspruch nahm, bis um den 21. August, an welchem Datum er an Wesendonck schreibt: ›Ich bin jetzt so glücklich gewesen, nach so langer und verwirrender Unterbrechung, die Vollendung der Nibelungenstücke wieder aufzunehmen und habe soeben wirklich den dritten Akt von »Siegfried« fertig gemacht.‹ Die eigentliche Partitur dieses dritten Aktes – in voller letzter Ausführung – wurde am 25 August 1869 (des Königs Geburtstag) aufgenommen und erst am 5. Februar 1871 vollendet, nachdem inzwischen die Komposition der ›Götterdämmerung‹, ja sogar die Orchesterskizze der letzteren, schon (5. Juli 1870) bis zum Schlusse des zweiten Aktes vorgerückt war, so daß nur noch der dritte Akt derselben auszuführen übrig blieb. Ja, die selige Ruhe von Triebschen, so spät sie kam, war mit überreichen Ergebnissen gesegnet!


6 Briefe R. Wagners an Anton Pusinelli (Bayreuther Blätter 1902, S. 114).


7 Vgl. hierzu das auf S. 69 dieses Bandes Bemerkte!


8 Der gleiche Gedanke kehrt, begreiflicherweise, in den meisten – wohlgesinnten – öffentlichen Besprechungen wieder: diese Aufführung habe, den Beweis erbracht, daß die Anschauung, als handle es sich bei ›Tristan‹ um ein einmaliges, nicht zu wiederholendes Experiment eine gänzlich irrige sei (Südd. Telegraph v. 23. Juni 1869.)


9 Bülow, Briefe IV, S. 312.


10 Als erster war am 2. April Hans Richter in Triebschen erschienen (S. 279 dieses Bandes); sodann am 8. April Regisseur Hallwachs, am 14. Juli die Dekorationsmaler mit ihren Skizzen (den Hoftheatermalern) Döll und Jank war der Entwurf dieser Skizzen zugefallen, Quaglio die Überwachung ihrer Ausführung.


11 An Wesendonck, 21. August 1869.


12 Vgl. Liszts Briefe VI, S. 265 : ›Le Comte et la Comtesse Bassenheim, autrefois très courtises à Munich, où leur salon donnait le ton à la mode‹ ...


13 Briefwechsel mit Erwin Rohde, S. 150.


14 E. Förster-Nietzsche, das Leben Nietztsches, Band II, S. 27.


15 Briefwechsel mit Rohde, S. 160


16 Ebenda, S. 161.


17 Ebenda, S. 167.


18 Nietzsche, Briefe I, S. 143.


19 Ebenda, S. 162 (an Freiherrn von Gersdorff.)


20 Ebenda, S. 165 (an P. Deussen).


21 Bülow, Briefe IV, S. 300.


22 Vgl. hierzu die, in der russischen Monatsschrift ›Artiste‹ (Moskau 1891) veröffentlichten ›Erinnerungen an R. Wagner‹ von Sseroffs Witwe (deutsch in der ›Neuen musik. Rundschau‹ 1897). Leider sind dieselben, wie so manche ähnliche Aufzeichnungen, reich an tatsächlichen Ungenauigkeiten.


23 Der ›alte weißhaarige Diener‹ (Jakob Stocker) war damals etwas über die Mitte der Dreißiger und hatte braune, fast schwarze Locken, – also keine Spur von ›weißem Haar‹! Dies eine Beispiel kann aber in seiner drastischen Augenscheinlichkeit für hundert und tausend ähnliche in all diesen sogenannten ›Erinnerungen‹ dienen!


24 Abgedruckt ist diese Erzählung vielmals, u. W. zuerst in Mendès ›Parnasse Contemporain‹ (Brüssel 1884); 2 Jahre später in desselben Verfassers Richard Wagner (Paris 1886); zuletzt wiederum in den ›Annales politiques et litéraires‹ (1902); und obwohl von einem Franzosen für Franzosen geschrieben, hat der betr. Bericht doch bei jedem Neuerscheinen die Runde durch alle deutschen Blätter gemacht; so gut war in seinen grotesken Pikanterien der Geschmack deutscher Leser getroffen!


25 Diese Erinnerungen sind teils in dem auf S. 280 Anm. erwähnten Buche: ›R. W. et son oeuvre poétique‹ par Judith Gautier, teils in den ›Souvenirs de Triebchen‹ (›Bayreuther Festblätter‹, München 1884) enthalten.


26 Im Original steht seltsamerweise: ›nach Zürich‹.


27 Des Axenstein.


28 Zum Grütli.


29 S. 287, Anm. 1 des vorliegenden Bandes.


30 Daß er aber mit ihnen zu solchem Zweck, in der Schweiz herumgereist sei, und Scherze über das ›Eiszapfenmotiv‹ gemacht habe, ist ein Zusatz und eine müßige Erfindung, zuerst vorgebracht durch einen journalistischen Freund Richters, im ›Wiener Tageblatt‹ vom 28. Jan. 1878 (›Wie der prahlende Bau ausfiel‹, von V. K. Schemberg).


31 Um diesen Ausspruch nicht zu hart zu finden, vergegenwärtige man sich nur die – im vorstehenden (S. 294) charakterisierten – forcierten und überladenen Berichte, welche Herr Mendès über das Temperament Wagners zu geben weiß. Selbst ein Schüré verfällt jedoch in seinen wiederholten brillanten Darstellungen dieses ›Temperaments‹ gar nicht selten in den Fehler, uns in beirrender Weise die – Wirkungen ohne die Ursachen zuzeigen!


32 In den Münchener ›Neuesten Nachrichten‹ v. 1. Sept. 1869.


33 Eine Depesche Wagners an den König, vom 1. Sept. 1869, vierzehn Zeilen auf Briefpapier mit Bleistift geschrieben, befindet sich im Besitz des Eisenacher Wagner-Museums. Vgl. Österlein, Katalog einer R. W.-Bibliothek, Bd. II, S. 15, sub No. 3417.


34 Wir erkennen hier die wahre und einzige, immer wiederkehrende Sorge! Nein, nicht aus der Hand seines Königs wollte der Münchener sein Festspielhaus empfangen! Die Besorgnis davor war schon am 25. Januar 1867, im Anschluß an das Eintreffen des Semperschen Festspielhaus-Modelles (S. 198/99 dieses Bandes), in die denkwürdigen Worte ausgebrochen: ›Nun wird auch die Ausführung des idealen Volkstheaters noch mehr betrieben werden. Wir sind, mit vielen Sachverständigen (!), der Ansicht, daß mit dem ersten Stein der Grundstein zu einer Ruine gelegt werden würde‹ (Augsb. Allg. Zeitung). So war im Sommer 1869 Wiener Blättern in aufstachelnder Weise im voraus von München aus geschrieben: ›die Inszenierungskosten des »Rheingold« seien so bedeutend, daß ihret wegen selbst der beabsichtigte Bau des großen Schlosses bei Hohenschwangau bis auf weiteres sistiert worden sei!‹ Also gerade die weise Einstellung bloßer Luxusbauten wurde damals dem Monarchen in verhängnisvoller Weise zum Vorwurf gemacht!


35 Mit Kindermann als ›Wotan‹ und Kapellmeister Wüllner als Dirigenten


36 H. v. Bülows Briefe, Band IV, S. 364/65.


A1 Vgl. Band III des vorliegenden Werkes, S. 433/35.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 284-303.
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