VI.

Münchener Hexensabbat.

[127] Politische Verhältnisse im Königreich Bayern: Kabinetssekretariat und Fortschrittspartei. – Wagners Person dient dem Ministerium v. d. Pfordten als Mittel zur Ableitung des Volksunwillens. – Hetzartikel der ultramontanen Presse. – Der König wird bestürmt, Wagner aus München zu entlassen – Wagners Abreise. – Wirkung davon auf den König.


Erschien es doch, als ob nun erst, da ich mit meinem ungemeinen künstlerischen Vorhaben an den hellen Tag gestellt war, all der Widerwille, der bisher im Verborgenen versteckt dagegen sich genährt hatte, zu seiner ganzen feindseligen Gewaltsamkeit sich entfesseln sollte.

Richard Wagner.


Nur mit Widerstreben fügen wir unserm Berichte über die äußeren Lebensschicksale des Meisters dieses Kapitel ein, welches so wenig von seinem eigenen Tun und Lassen und dagegen ausschließlich von den Intriguen und Kabalen seiner Feinde handelt, denen es endlich gelang, über die arglose Natur des noch unerfahrenen, vertrauensvollen jungen Königs einen Sieg davonzutragen, dessen tragische Wirkung sich auf sein ganzes folgendes Leben erstreckte. Aber der einzige, vieles entscheidende Fehlgriff, den König Ludwig gegen seinen großen Freund beging, muß erklärt werden und kann es nur auf Grundlage der geschichtlichen Begebenheiten, und in Anknüpfung an unsere eigenen vorausgegangenen Darlegungen.

Seit Wagners erstem Eintritt in die neue Umgebung und seiner Niederlassung in München hatten die Agitationen feindlicher Mächte mit seinen hochgesinnten Bestrebungen gleichen Schritt gehalten, in der festen Absicht, ihm durch eine ausdauernde Bekämpfung ein ferneres Verweilen in der kaum gewonnenen neuen Heimat unleidlich zu machen. Unleidlich in des Wortes weitestgehender Bedeutung, indem man das bayerische Publikum geflissentlich in jeder Weise gegen ihn aufhetzte. Wollen wir die geheimen Fäden dieser[128] Agitation auf ihren wahren Ursprung zurückzuführen suchten, so leiten sie uns ein sicheres, zuverlässiges, das ihm vor dieser Verfolgung Ruhe verschafft hätte, gab es für den Bedrohten, und es wurde ihm durch vertrauliche Mitteilungen ein genügender Einblick in die Verhältnisse eröffnet, um dieses Mittel zu schätzen und sich seiner zu bedienen. Er hätte sich zum Genossen derjenigen Politik hergeben müssen, die sich damals in einem zugleich partikularistischen und bureaukratisch-absolutistischen Sinne der bayerischen Regierung und des jungen Königs bemächtigt und keinen Versuch gescheut hatte, um auch den Meister für ihre Zwecke zu gewinnen: volle Reaktion, Reduktion der Verfassung usw. Sie war durch den Minister v. der Pfordten und das Kabinetssekretariat vertreten. In diesem letzteren war der nachmalige Ministerpräsident Lutz der, ehrgeizige, gefährliche, dabei preußischen Einflüssen nicht unzugängliche Mann,1 der sich mit seinen reaktionären Plänen ›unter dem Schutze Bismarcks sicher glaubte‹;2 während doch andererseits die Soldschreiber des Kabinets gerade Wagner, wenn es etwas recht Schaudererregendes über ihn auszusprengen galt, mit dem ›Blut- und Eisenmann‹ in Berlin in einen aufreizenden Zusammenhang brachten! Ingleichem war es eine bewußte Umkehrung des wahren Verhältnisses, wenn man ihm von dieser Seite her in tendenziöser Entstellung eine ›Einmischung in die Politik‹ zum öffentlichen Vorwurf machte, da doch gerade Er grundsätzlich über allen Parteien stand und dies allen Verlockungen gegenüber deutlichst kundgab! Hätte er sich damals als gefügiges Werkzeug der politischen Intrigue benutzen lassen und sich bereit erklärt, seinen ›Günstlings‹-Einfluß auf den jungen Herrscher im Sinne der Kabinetsräte anzuwenden, – auf der Stelle wäre der gesamten, künstlich gegen ihn geschürten und organisierten Preßhetze Einhalt getan und er hätte ruhig soviele neue Theater, als ihm irgend beliebte, in München errichten dürfen!

Es sah herrlich aus im deutschen Vaterlande, kurz vor den gewaltsamen Erschütterungen des Jahres 66, – und besonders im Königreich Bayern! Der größte deutsche Künstler hatte für sein größtes künstlerisches Unternehmen einen edelgesinnten jungen Monarchen auf seiner Seite, gegen sich aber eine im Dunkeln schleichende und wirkende Nibelungenkohorte feindseliger Intriganten Jeder seiner Schritte ward von der gesamten altbayerischen und reaktionären Presse mit scheelem Auge und eifersüchtiger Spannung verfolgt, sein Aufenthalt in Hohenschwangau hatte mancherlei lauernde Blicke auf sich gezogen. Gleich Fledermäusen am lichten Tage, durchschwirrten aufgeregte Gerüchte die Luft. Man fabelte von ungeheueren Summen, welche der Bau des bei Semper bestellten ›neuen Opernhauses‹ kosten sollte; gegen seine Person zielte [129] man mit dem wirksamen Verdacht religiöser Freigeisterei, politischer Machinationen und ›demagogischer Umtriebe‹; ultramontane Blätter stempelten ihn zum leibhaftigen ›Antichrist‹. Selbst der Hang des Königs zur Zurückgezogenheit, welche seiner Gesundheit förderlich und ihm ärztlich verordnet war, seine Abneigung gegen die prunkvolle Entfaltung eines Hoflagers in der Residenz und rauschende Hoffestlichkeiten wurde Wagner schuld gegeben! Müßige Zungen, unzufriedene Hoflieferanten, denen der einfache Haushalt des Könige zu wenig verbrauchte, stimmten in das Gerede ein; und eben diejenigen hochgestellten Personen, denen aus Gründen ihr es Vorteils an des Königs Unnahbarkeit gelegen war und die deshalb so manche Eigenheiten des jungen Monarchen nach ihren Kräften beförderten, verschmähten es nicht, seine Liebhabereien, die mit Wagners hohen Zielen nichts gemein hatten, in entstellenden Übertreibungen unter das Volk zu bringen und dagegen bei jeder Partei, mit der sie gerade zu tun hatten, den auf Wagner geleiteten Verdacht mit verschiedentlichen Gründen auszustatten. Bei diesem Wirrwarr der Verlogenheit, in welchem alles, nur nicht die Wahrheit, an die Öffentlichkeit gelangte, hatte er den einzigen Rückhalt an der, durch die ›Neuesten Nachrichten‹ vertretenen bayerischen ›Fortschrittspartei‹.3 Doch war auch diese Unterstützung insofern nicht ganz ungefährlich, als die bayerischen ›Liberalen‹ ihrerseits selbst mitten im Feuer der politischen Gegensätze standen und deshalb ein lebhaftes Interesse hatten, die Differenzen Wagners mit dem Kabinetssekretariat zur Kräftigung in ihrem – rein politischen – Kampfe gegen dieses unliebsame, bureaukratisch verzopfte Institut zu verwerten. Im Gegensatze hierzu paßte es in die Taktik des Herrn v. Pfistermeister und seines Anhanges, diese politische Agitation der Fortschrittspartei dem Hofe und dem Lande als das Produkt der Rancune eines einzelnen Mannes hinzustellen, dessen ganzes Wesen und Wollen dem Publikum noch dazu von vornherein in einem gänzlich falschen und entstellenden Lichte gezeigt und nur in diesem Lichte bekannt war.

Um hierin klar zu sehen, ist es unerläßlich, einen Blick auf die damaligen politischen Verhältnisse im bayerischen Lande zu werfen Es galt hier als offenes Geheimnis, daß Herr v. der Pfordten sich bestrebe, nach und nach alle Minister, welche König Maximilian II. seinerzeit zur Sicherung des Friedens mit dem Volke berufen hatte, zu beseitigen und ein reaktionäres ultramontanes Ministerium zu bilden. Die Leitung der Staatsgeschäfte war bis dahin Ministern anvertraut gewesen, welche, obgleich keineswegs direkt der ›liberalen Richtung‹ angehörig, nicht gewillt waren, die Verfassung durch [130] willkürliche Auslegungen zu beugen, welche Recht und Gesetz achteten und diejenigen Reformen herbeizuführen strebten, die von allen Staatsbürgern gefordert wurden, welchen die Wohlfahrt des Landes und ein geordneter Rechts zustand am Herzen lag. Dies war seit Pfordtens Ernennung anders geworden; einer nach dem andern aus jenem älteren Bestande von treuen Dienern des Staates fiel als Opfer der Intrigue, um gefügigeren Werkzeugen Platz zu machen. Als am 10. November 1865 in der Person des Ministers des Innern, Herrn v. Neumayr, auch der letzte in ihrer Reihe die (angeblich wegen Krankheit nachgesuchte) Entlassung erhielt, und klar zutage trat, daß die in letzter Zeit sich mehrenden Rücktritte verdienter bayerischer Staatsmänner mehr als einen bloßen Wechsel der Person bedeuteten, erhob sich im ganzen Lande ein energischer Protest. Im streng konservativen ›Nürnberger Anzeiger‹ erschien ein Artikel: ›Ein freies Wort an Bayerns König und sein Volk über das Kabinetssekretariat‹, welcher, anknüpfend an die Veränderungen im Ministerium, in ehrerbietiger, aber männlicher Sprache die Stellung und Wirksamkeit des Kabinetssekretariates beleuchtete, sie als im Widerspruch mit der Verfassung und der noch zu Recht bestehenden Deklaration des Königs Maximilian darstellte und ›eine konstitutionelle, keine Kabinetsregierung‹ als berechtigte Forderung des Volkes betonte. Der Artikel machte ein ungeheueres Aufsehen; die gesamte ultramontane und reaktionäre Presse war fast vierzehn Tage hindurch sprachlos und fand kein Wort der Erwiderung.4 Endlich veröffentlichte die gleiche Nürnbergische Zeitung eine ihr aus München zugegegangene Entgegnung, welche eine Verteidigung der angeklagten Institution versuchte. Darin begegnete u.a. der charakteristische Passus: ›der Einfluß des Kabinetssekretariates auf die Person des Königs scheint denn doch so gewaltig nicht zu sein, wenn man z.B. bedenkt, wie wenig es ihm gelingt, den weit größeren Einfluß einer andern vielgenannten Persönlichkeit zu beseitigen.‹ Der hiermit gegebene Wink erwies sich als äußerst fruchtbar. In den reaktionären Regierungskreisen atmete man auf; – jetzt hatte man einen Ausweg aus der Verlegenheit gefunden und ein Mittel, die öffentliche Aufmerksamkeit von den Vorgängen im Ministerium abzulenken ›Jetzt war die Parole ausgegeben, die Meute wurde losgelassen, [131] die Hetzjagd gegen Wagner planmäßig mit erneuter Force begonnen. Scheute man doch sogar vor der Behauptung nicht zurück: Richard Wagner selbst habe den verhaßten Artikel im »Nürnberger Korrespondenten« geschrieben, um Pfistermeister zu stürzen, seine Gegner aus den höchsten Staatsstellen zu verdrängen, seine Kreaturen an deren Stelle zu setzen und seine angeblichen »sozialpolitischen Pläne«, hinter denen vielleicht der »Mann von Blut und Eisen« in Berlin stehe, durchsetzen zu können. Und nicht bloß gegen die Person des Meisters wandten sich die Angriffe; gar manches Geschoß war nur scheinbar gegen ihn gerichtet; es zielte über ihn hinaus bis zur höchsten Stelle. Wagten es doch ultramontane Blätter, die künstlerischen Beziehungen des, für die höchsten Ideale der Kunst und Wissenschaft begeisterten Monarchen in befleckender Weise mit dem bekannten Verhältnis seines Großvaters zu einer spanischen Gauklerin in Parallele zu stellen.5 Ein wahrer Schauer von Beleidigungen, Verleumdungen und boshaften Erfindungen tobte auf den schutzlosen Künstler nieder: es handelte sich – mit einem Worte – nicht mehr, wie zuvor, um den Fortbestand des Kabinetssekretariates, sondern um die gewalttätige Vertreibung Wagners aus München.‹6

Dies der erklärende Hintergrund des beispiellos erbitterten Sturmlaufes der Münchener Presse gegen die Persönlichkeit des Meisters. Das Material dazu ward den Soldschreibern des Ministeriums und Kabinetssekretariates willig geliefert. Die Aufgabe war: dasselbe mit tendenziöser Gehässigkeit zu entstellen und durch Korrespondenzen für gesinnungsverwandte Blätter in möglichst aufregender Weise über ganz Süd- und Norddeutschland zu verbreiten Daher erklärt sich die lebhafte Beteiligung auswärtiger Blätter an diesem Hexensabbat der Isarstadt. Mit welcher schamlos frechen, pöbelhaft gemeinen Verlogenheit dieses freigebig gespendete Material von den [132] tonangebenden Organen der altbayerischen und ultramontanen Presse, wie dem ›Neuen Bayerischen Courier‹ oder dem berüchtigten ›Volksboten‹ ausgenutzt und verarbeitet wurde, das spottet jeder Beschreibung.7 Um einen schwachen Begriff davon zu geben, in welchem Tone man dabei über den großen Unverstandenen herfiel, bringen wir im folgenden einige Stilproben aus dem erstgenannten der beiden Blätter. Nachdem dasselbe seinen Lesern vorgerechnet, welche ›Unsummen‹ Wagner in 11/2 Jahren aus der Kabinetskasse für seine ›persönlichen Zwecke‹ (!!) bezogen, fährt es mit den Worten fort:


›Das geringste Übel, das dieser Fremdling über unser Land bringt, läßt sich in bezug auf seinen unersättlichen Appetit nur mit monatelang die Sonne verfinsternden und alle unsere Fluren verzehrenden Heuschreckenschwärmen vergleichen. Dieses schreckliche Bild einer Landplage aus pharaonischen Zeiten ist aber noch gar nichts gegen das Unheil, welches dieser sich maßlos überschätzende Mensch anstiften muß, wenn er statt Zukunftsmusik auch noch Zukunftspolitik treiben kann.‹ – ›Der bezahlte Musikmacher, der Barrikadenmann von Dresden, der einst an der Spitze einer Mordbrennerbande (!) den Königspalast in Dresden in die Luft sprengen wollte (!)‹ – beabsichtige nunmehr, ›den König allmählich von seinen Getreuen (!!), zu trennen, deren Plätze mit Gesinnungsgenossen zu besetzen, den König zu isolieren und für die landesverräterischen Ideen einer rastlosen Umsturzpartei auszubeuten.‹ – ›Für den wohlbekannten Blut- und Eisenmann in Berlin, dem, wie bekannt, kein Mittel zu schlecht ist, um zu seinen Zwecken zu gelangen, wäre alsdann die schönste Gelegenheit gegeben, die Verwirrung und Mißstimmung in unseren Regierungskreisen auszubeuten und mit Muße im Trüben zu fischen. Ob es nicht bereits geschehen ist, mögen die Götter wissen.‹


Diesem schließen sich, wie erwähnt, die gleichzeitigen Korrespondenzen für auswärtige Blätter, insonderheit für die reaktionäre ›Pfälzer Zeitung‹ und ein vielgelesenes württembergisches demokratisches Blatt, mit ihren aufregenden ›Enthüllungen‹ an. Die verschiedenen, einander sonst politisch völlig entgegengesetzten, aber in der augenblicklichen Hauptfrage wörtlich einstimmigen Tonarten beider wird der Leser aus den nachstehend mitgeteilten Proben leicht heraushören:


›Jetzt tauchen die Dinge auf, die seither für das Publikum hinter den Kulissen vorgingen. Da die Zivilliste des Königs nicht mehr zur Befriedigung seiner Bedürfnisse ausreichte, meinte Wagner, dem sei leicht abzuhelfen: ein Ministerium Brater, Barth, Völk8 würde eine bedeutende Erhöhung der Zivilliste schon [133] durchzusetzen wissen.‹ – ›Wagners Projekt, eine neue, der Maximilianstraße parallellaufende Straße mit Überbrückung der Isar, und am Ende derselben auf dem Gasteig ein Nationaltheater zu bauen, würde 16 Millionen Gulden kosten.‹ – ›Gleichzeitig hatte Wagner dem König in Hohenschwangau Pläne unterbreitet, welche nichts weniger als eine Abschaffung des stehenden Heeres, die Schaffung eines Volksheeres und mittels der dadurch erzielten Ersparnis! eine Erhöhung der Zivilliste des Königs um einige Millionen bezweckten. Wagner scheint der Ansicht gewesen zu sein, die etwa 2 bis 3 Millionen Zivilliste des Königs reichten nicht zu dessen, oder vielmehr zu seinen Bedürfnissen hin.‹ – ›Wagner suchte seinem erhabenen Gönner vorzuschwindeln, sich an die Spitze der sozialistisch-demokratischen Partei zu stellen, um die höchste Stufe in Deutschland einzunehmen und zu diesem Zwecke selbst den Kampf mit seinen Mitfürsten (!!) nicht zu scheuen; daß er sich hierbei auf ein Volksheer und nicht auf das bisherige stehende verlassen solle, und daß unsere konstitutionelle Verfassungsform, welche den König nur beschränke und ihn knapp in den Mitteln halte, in eine absolutistisch-demokratische umgewandelt werden müsse.‹ – ›Schon war der Tag der Herausgabe einer Wagnerschen Wochenschrift mit 21 Mitarbeitern auf Kosten des Königs bestimmt. Zu gleicher Zeit hatte sich ein Aristokrat bereit gefunden, gegen 8000 fl. jährlichen Gehaltes die Verwaltung der Königl. Zivilliste im Sinne Richard Wagners zu übernehmen.‹ – ›Das Jahr 1866 sollte Wagners volksbeglückendes System realisieren: schon hatte der große Mann, nach Art der römischen Cäsaren, eine Art Proskriptionsliste angefertigt und derselben eine Liste seiner Anhänger beigefügt (die natürlich alle vortreffliche Männer und große Genies sind), um aufs würdigste die vorhandenen Lücken auszufüllen.‹ – ›Bayern war ja von je ein üppiger Boden für chevaliers d'industrie jeglicher Art, also sammelte sich allmählich ein ganz ansehnliches Hänschen aus aller Herren Ländern hier an. Dazu kam das charakterlose Geschmeiß, das wir selbst in Bayern in genügender Masse haben, Musikanten, der Fortschrittspöbel, und auch Leute, von denen es kaum jemand glauben würde, der die Menschennatur nicht besser kennt. Haben wir doch eingewanderte »Ritter vom Geiste« hier, denen die hohe königliche Pension, deren sie sich erfreuen, nicht genug war, die auch vom Schillervereine noch Pensionen zu erringen wußten, während Witwen und Waisen unserer verstorbenen Schriftsteller darben, – und welche nun auch noch an den Genüssen und Freuden des Wagnerschen Paradieses teilnehmen wollen‹...


Mögen diese Beispiele genügen, um den wochenlang fortbrausenden trüben Strom der Entstellung, Übertreibung, Lüge und Tollheit zu charakterisieren, der in einem wahren Taumelwahn der bayerischen Residenzpresse sich bemächtigte. Das Material dieses ausschweifenden Klatsches entstammte auf geradestem Wege dem Königl. Ministerium und Kabinetssekretariat, in deren Bureaus die bezahlten Notizen-und Artikelschreiber ein- und ausgingen, um daselbst ihre Weisungen zu empfangen. Das sinnlos gehässige Zeitungsgerede von der [134] angeblich durch Wagner beabsichtigten ›Abschaffung des stehenden Heeres‹ in Bayern und allen daran geknüpften ausschweifenden denunziatorischen Phantasien beruhte z.B. ganz unmittelbar auf den Eingebungen des Herrn v. der Pfordten, d.h. einer indiskreten Ausstreuung von Mitteilungen über ein tatsächlich stattgefundenes Privatgespräch des Königs mit Wagner in Hohenschwangau. Auf Grund mündlicher Mitteilungen A. Ritters, der sie wiederum aus Bülows Munde hat, sind wir sogar in der Lage, über dieses Gespräch und seine nächsten Wirkungen zu berichten, indem wir wörtlich jenen Mitteilungen folgen, ohne doch die Verantwortung für jede Einzelheit zu übernehmen Wer je die durchaus spontane Art der Unterhaltung Wagners kennen gelernt, die unter Vermeidung jedes pedantischen Haftens an dem einzelnen Gesprächsgegenstande in höchster geistiger, Freiheit von einem zum andern übersprang, wie es der Augenblick ihm eingab, den wird es vor allen Dingen nicht wundernehmen, wie es tatsächlich in den Gesprächen beider sehr wohl dann kommen konnte, daß darin vorübergehend auch das damals noch immer in Bayern herrschende, unbehilfliche, einseitig die steuerpflichtigen Stände bedrückende Rekrutierungssystem zur Sprache gelangte. Dazu kam aber noch, daß der feurig begeisterte Zuhörer bei den seltenen Gelegenheiten eines persönlichen Verkehrs mit dem Meister nicht genug aus dessen Leben, seinen Tagebüchern, literarischen Entwürfen usw. erfahren konnte. In solchem Anlaß sei es Wagner eines Tages eingefallen, daß er einst in Zürich, in einer müßigen Stunde, Ideen über die Verpflanzung des dortigen Milizsystems auf einen mächtigen Staat – etwa Deutschland – niedergelegt habe.9 Diese Ideen (die Vorläufer der – drei Jahre später auch in Bayern eingeführten – allgemeinen Wehrpflicht!) trug er nun dem Könige in der Unterhaltung mit der ihm eigenen suggestiven Lebendigkeit vor. Bald darauf sei von der Pfordten nach Hohenschwangau gekommen, um sein wöchentliches Referat abzulegen Sonst habe dasselbe eine halbe Stunde (?), diesmal vier Stunden gedauert; der König habe diesmal allein, ohne Wagner, zu Mittag gespeist und sich nach Tische wieder mit Pfordten eingeschlossen, der erst Abends wieder nach München zurückkehrte. Dann ging alles weiter, als wäre nichts vorgefallen. Es war aber etwas vorgefallen, eine Unbesonnenheit des jungen Herrschers. Die Darlegungen Wagners, so zufällig der Anlaß zu ihrer Mitteilung gewesen war, hatten augenblicklich in ihm so feste Wurzel geschlagen, daß er auf eine Änderung der bestehenden Heeresverfassung gedrungen und dadurch seinem Minister eine willkommene Waffe gegen den Meister in die Hand gegeben hatte, als kümmere sich dieser tatsächlich und in allem Ernst [135] um die bayerischen Militärverhältnisse! Wie diese Waffe aber von ihm ausgenutzt wurde, das zeigen die oben mitgeteilten Auslassungen seiner gedungenen Preßagenten! Nun, Wagner hatte sich dieser Anregung nicht zu schämen, wie sie denn auch von ihm nachmals in seiner Abhandlung über ›Deutsche Kunst und deutsche Politik‹ in ausführlicher Darlegung wiederholt ward, – für den bayerischen Staat jedoch bedurfte es erst noch der erschütternden Ereignisse des Jahres 1866, bevor er sich dazu aufraffte, an Stelle seines längst antiquierten Vaterlandsverteidigungsmodus die bereits von den meisten deutschen Staaten angenommene gleichmäßige Wehrpflicht aller Staatsangehörigen einzuführen!

In bezug darauf, daß die ultramontane Presse bei ihren gegen Wagner gerichteten, in Wahrheit aber auf den Landesherrn abzielenden Sticheleien ebenso verschwenderisch mit loyalen Phrasen, als mit Verdächtigungen war, warfen die ›Neuesten Nachrichten‹ schon damals die Frage auf. ›Ist es loyal, dem Könige vorzuschreiben, welchen Personen er in Privatangelegenheiten Glauben schenken, und welcher Richtung er in Kunst und Musik angehören soll? Ist es loyal, ihm vorzurechnen, wie viel er für seine Privatneigungen aus seinen eigenen Mitteln verausgabt?10 Ist es loyal, wenn Personen aus der Umgebung des Königs dessen Worte und Absichten, die sie durch sein Vertrauen erfahren, sofort der ihnen ergebe nen Presse mitteilen, mit dem Auftrage, sie zu verdrehen? Im bürgerlichen Leben jagt man eine Magd davon, die über das, was im Hause vorgeht, klatscht oder ihrer Dienstherrschaft Übles nachredet; die Klatschweiber am Königl. Hoflager haben es nur dem Hochsinn des jugendlichen Monarchen zu danken, wenn ihnen nicht Gleiches geschieht.‹ Da diese ganze Preßkampagne ausschließlich auf das Münchener Publikum zu wirken bestimmt war (wiewohl sie aus den süddeutschen Blättern in die Spalten der gesamten europäischen Presse ihren Weg fand!), wurde sie dem Könige geschickt verheimlicht, so daß er davon nur zu lesen bekam, was der Meister selbst ihm zusandte, um ihm die Augen zu öffnen. Auch ist dies von Wagners Seite unseres Wissens nur ein einziges Mal geschehen. ›Schändlich ist der Artikel geschrieben, den Sie mir senden‹, erwiderte der König darauf (27. Nov. 65). ›Sie werden erstaunen, wenn ich Ihnen sage: der Artikel stammt nicht aus meinem Kabinet, so sehr auch der Schein dafür ist.‹ So sehr hatte man [136] ihm gegenüber die scheinheilige Miene der beleidigten Unschuld aufzusetzen verstanden!

Als die Flut der Verdächtigungen so hoch gestiegen war, daß ›selbst besonnene Männer in ihrem Urteile wankten‹, hielt es die Redaktion der ›Neuesten Nach richten‹, nach ihrer eigenen späteren Erzählung, in durchaus ehrenwerter und rühmlicher Weise für eine Pflicht des Anstandes, sich durch einen gemeinschaftlichen Freund an eine dem Meister nahestehende Persönlichkeit zu wenden und sich durch diese Vermittelung authentische Aufschlüsse über seine wahren Verhältnisse und Pläne zu erbitten. Inwieweit diese Bitte andererseits mit ihren sonstigen Parteiinteressen Hand in Hand ging, indem seine Feinde zugleich diejenigen der politischen Wohlfahrt des Landes waren, ward bereits oben beachtet Genug, sie ward erfüllt. ›Es war dies das erste Mal und blieb auch das einzige Mal, daß jemand aus dem Freundeskreise Wagners in den »N. Nachr.« zu Worte kam; Wagner selbst hat niemals eine Zeile für dieses Blatt geschrieben‹, heißt es in dem mehrerwähnten Rückblick. Der zwischen beiden Teilen vermittelnde Freund ist uns unbekannt geblieben, die ›Wagner nahestehende Persönlichkeit‹ dürfte niemand anders als Röckel gewesen sein. Daß der Text des Schriftstückes tatsächlich unter Benutzung einer eigenhändigen Skizze Wagners, vielleicht mit bloßer Übertragung in die dritte Person, ausgeführt sein muß, ist schon an seinem Stil unzweideutig zu erkennen. Dies ist der historisch gewordene, vielgenannte ›Artikel in Nr. 333 der Neuesten Nachrichten‹ (Mittwoch, den 29. Nov. 1865), der in einer Welt, in welcher die Wahrheit herrschte, unbedingt den Sieg über alle Intriguen davongetragen haben wurde, in einer Welt der konventionellen politischen Lüge aber tatsächlich ganz entgegen gesetzte Wirkungen herausgeschworen hat, Sie wünschen von mir über Wagners hiesige Stellung und Verhältnisse zu hören, so beginnt dieser Artikel. ›Ich glaube allerdings, daß ich Ihnen das Richtige sagen kann, weiß aber nicht, ob Sie sich eine deutliche Vorstellung von allem werden machen können, obgleich es hier wie überall hergeht, nämlich, daß es sich nicht um Prinzipien, sondern um reine Persönlichkeiten handelt.‹ Nach einer gedrängten, durchaus objektiven Darlegung seiner ›auf mustergiltige Aufführungen seiner Werke‹ abzielenden Bestrebungen und der dabei auf dem Münchener Boden gemachten Erfahrungen heißt es zum Schluß: ›Sie können sich nun denken, wie Wagner hierbei zu Mute ist, dem einzig an seiner Arbeitsruhe gelegen ist und der jeder politische Partei fern steht, wenn er sich auf diese Weise stets wie mit den Haaren auf das nackte Feld der politischen Tagesintrigue gezogen sieht. Bereits ging er ernstlich damit um, diesen nutzlosen Aufregungen sich gänzlich zu entziehen, was ihm durch die großmütigst ausgesprochenen Wünsche seines königlichen Beschützers unmöglich gemacht wurde. Somit bleibt ihm nichts zu erwarten, als daß diejenigen, welchen er jetzt so gelegen kommt, um [137] von ihnen als Ableitung des allgemeinen Volksunwillens benutzt zu werden, mindestens an der Festigkeit des Königs scheitern, welcher allerdings Wagner einzig richtig zu beurteilen imstande sein kann, und daß infolgedessen diese Herren zu einem anderen Stratagem greifen, welches endlich Wagner Ruhe läßt, – falls sie nicht durch die Unverschämtheit ihres Spiels sich vollständig den Hals brechen. Denn dies eine können Sie glauben: von irgend welchem Prinzip, von irgend welcher Parteistellung, gegen welche Wagner im Kampfe begriffen wäre, ist nicht die Rede, sondern es ist dies lediglich ein Spiel der gemeinsten persönlichen Interessen, welches sich noch dazu auf eine ungemein kleine Anzahl von Individuen zurückführen läßt: ich wage, Sie zu versichern, daß mit der Entfernung zweier oder dreier Personen, welche nicht die mindeste Achtung im bayerischen Volke genießen, der König und das bayerische Volk mit einem Male von diesen lästigen Beunruhigungen befreit wären.‹

Aus der freimütig offenen Sprache dieser Erklärung ermangelten nun die Gegner des Meisters nicht, so viel Vorteil zu ziehen, als möglich. Das war aber unter den gegebenen Verhältnissen nicht wenig! War der Artikel auch nicht direkt von Wagner gezeichnet, so wurde er doch für jede Einzelheit desselben verantwortlich gemacht. Der Schlußsatz steigerte die Erbitterung Pfistermeisters und des Ministers von der Pfordten, die ihn mit Recht auf sich bezogen; die Erregung und der Widerspruch der von ihnen beeinflußten Presse wuchs auf das Äußerste11 und gab ihm indirekt die Handhabe, einen Hochdruck auf den König auszuüben. Diesem selbst war die Beseitigung des geschmeidigen und dienstfertigen Mannes für den Augenblick unbequem. Es hatten sich eben zum Jahresschluß und darüber hinaus im Königl. Kabinet zahlreiche Arbeiten aufgehäuft, zu deren Erledigung jener unentbehrlich schien, da er die meisten dieser Angelegenheiten eingeleitet hatte und sie demgemäß am besten beherrschte. ›Pfistermeister ist ein unbedeutender und geistloser Mensch, des ist kein Zweifel‹, hatte der König kurz zuvor (27. November) an Wagner geschrieben, ›lange werde ich ihn nicht im Kabinet lassen, doch jetzt ihn und die übrigen Herren des Kabinets zu entlassen, scheint mir nicht angezeigt; der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen.‹ Und doch wäre unter diesen Umständen eine solche rücksichtslose Entlassung die einzige Sühne für ihre offenkundigen Vergehungen, ihre frevelhaften Eingriffe in die heiligsten Beziehungen des Monarchen gewesen. Mit der entgegengesetzten Haltung war des Meisters gefährlichsten Gegnern genügend Oberwasser gegeben. Seinerseits erließ Herr von Pfistermeister auf der Stelle, noch von Hohenschwangau aus, [138] eine Erwiderung an die ›Bayerische Zeitung‹, die u.a. den heuchlerischen Passus enthielt: die zahlreichen Verteidigungsbehelfe, welche ihm zu Gebote stünden, wären von seinen Beziehungen zu solchen Persönlichkeiten untrennbar, deren Verhältnisse öffentlich zu besprechen ihm aus Rücksichten der strengsten Diskretion, wie auch infolge seiner Dienstpflicht versagt sei. Es handle sich demgemäß um, einen Angriff gegen solche, welchen durch die heiligsten Pflichten der Gebrauch ihrer Schutzwaffen verwehrt sei. ›Aber war er es nicht selbst gewesen, der das ganze Jahr hindurch in gleichem Sinne öffentliche Provokationen gegen Wagner wegen seiner angeblichen, Günstlings‹ – Stellung förmlich organisiert hatte, gegen welche sich dieser aus noch viel zwingenderen Gründen nicht verteidigen konnte? Und dabei war der Name Wagners von dieser Seite her stets mit größter Schärfe und Rücksichtslosigkeit offen heruntergerissen worden, wogegen er den von uns wörtlich angeführten Schlußsatz von den ›zwei oder drei Personen‹ in keiner Weise auf sich zu beziehen gezwungen war, – wenn er dies nicht direkt für vorteilhaft befand. Für einen politischen Kopf (der bekanntlich deshalb noch lange kein großer Staatsmann zu sein braucht) war die gegebene Situation durchaus fruchtbar zu verwerten, und der geschickte Höfling nahm keinen Anstand, diesen sei nen Vorteil zu erkennen und sich desselben nach Kräften zu bedienen. Er spielte dem großmütigen Könige gegenüber die Rolle des unschuldig Gekränkten und nutzte die letzten Tage seines Erholungsaufenthaltes in Hohenschwangau reichlichst dazu aus, mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel eine Pression auf ihn zu üben. ›Mein teurer Freund!‹ schrieb daher der König am letzten Tage seines dortigen Aufenthaltes (3. Dezember) an Wagner, ›der letzten Tage Qual war groß. Auch die ersten Tage in München werden sehr anstrengend und trübe für mich sein und es wird lange währen, bis ich zu der mir nötigen Ruhe gelangen kann. Jener Artikel in den »Neuesten Nachrichten« trug nicht wenig dazu bei, mir den Schluß des hiesigen Aufenthaltes zu verbittern; er ist ohne Zweifel von einem Ihrer Freunde geschrieben, der Ihnen mit demselben einen Dienst erweisen wollte, – leider aber hat er Ihnen geschadet, statt genützt O mein geliebter Freund, wie fürchterlich schwer macht man es uns! Doch – klagen wir nicht, trotzen wir den Launen des tückischen Tages dadurch, daß wir uns nicht beirren lassen. Der Gedanke an Sie richtet mich stets wieder auf; nie lasse ich von dem Einzigen, ist das Wüten des Tages auch noch so folternd. Wir bleiben uns treu – der Himmel liegt in diesem Gedanken.‹

Mit solchen Stürmen endete der Monat November dieses ereignisreichen Jahres, der in seinem Beginn den jungen Herrscher auf dessen schöner Schweizer Reise, in seiner Mitte aber das zauberhaft wundervolle Zusammensein von König und Künstler in Hohenschwangau erblickt hatte. Ein Unwetter war im Anzug; das fühlte König Ludwig schmerzlich voraus, als er sich in seine [139] Residenz zurück begab. Er machte den ganzen Weg von Hohenschwangau bis München zu Pferde. Am ersten Tage (Montag den 4. Dezember) wurde bis Partenkirchen geritten und dort Nachtquartier genommen, am nächsten Morgen (Dienstag) der Rest des Weges über Tölz und Holzkirchen zurückgelegt Kaum in München angelangt, stürmte alles auf ihn ein. In seiner Erklärung hatte Pfistermeister das in seinen Wirkungen wohlberechnete Zugeständnis gemacht, der Wendepunkt in seinem Verhalten gegen Wagner habe allerdings ›von dem Tage an begonnen, an welchem die Pläne für eine großes Mustertheater auftauchten, also erst da, wo ein Bau zur Sprache kam, dessen Ausführung nebst der dann vorgeschlagenen neuen Straße viele Millionen kosten würde.‹ Es ist für den heutigen Leser schwer, sich vorzustellen, welchen Eindruck gerade diese Worte in dem damaligen München machten und in welchem Maße daraus für die Interessen des Kabinetssekretariates Kapital zu schlagen war Natürlich blieben seine bezahlten Agenten dabei nicht müßig. Eine Anzahl Hoflieferanten und anderer Bürger, verstärkt durch allezeit gehorsame Mitglieder der ultramontanen Partei, votierte ihm für diese ›Rettung des Vaterlandes‹ in fieberhafter Agitation – man sprach von 4000 Unterschriften binnen drei mal 24 Stunden! – eine, an und für sich ganz bedeutungslose Dank- und Anerkennungsadresse, die aber durch die geschickt inszenierte Überreichung an den Monarchen den Anschein erwecken konnte ›als handle es sich dabei mm eine Kundgebung der gesamten, Münchener Bürgerschaft‹. Nicht etwa um eine durch aus künstlich geschürte Erregung, sondern um einen drohenden Aufruhr, eine öffentliche Gefahr, für Land und Volk, für den ganzen bayerischen Staat. ›Diese Adresse‹, so bemerkt der mehrerwähnte rückblickende Artikel der ›Neuesten Nachrichten‹, ›diese Adresse, welche von Herrn von Pfistermeister dem Könige zur Bekräftigung seiner Stellungnahme gegen Wagner unterbreitet wurde, war die Hauptursache zu dem schmerzlichen Verzicht auf die schönen Pläne, welche Se. Majestät auszuführen die Absicht hatte. Daß sie lediglich von der ultramontanen Partei ausging, beweist die Liste jener Personen, bei denen sie zur Unterzeichnung auflag, welche neben den Namen von ein paar Personen, die damals keiner Partei angehörten, nur Namen von solchen Ultramontanen aufweist, die heute noch (1882) zu den hervorragendsten Mitgliedern dieser Partei gehören.‹12 Aber hiermit begnügte man sich nicht. Der Großoheim des Königs, Prinz Karl von Bayern, trug in eigens erbetener Audienz bei seinem Neffen die Entfernung Wagners als den ausgesprochenen Wunsch [140] der königlichen Familie und des ganzen Landes vor: die Stimmung sei derart gereizt, daß er Wagner sofort ausweisen müsse. Der König sagte nicht zu, sondern behielt sich eingehendere Untersuchung der Sachlage vor. Hierauf wurde ihm durch Herrn v. Pfistermeister ein ministerielles Promemoria überreicht, in welchem derselbe Wunsch unter nachdrücklicher Betonung dessen ausgesprochen wurde, daß nur durch die Entfernung Wagners der Friede im Lande wiederhergestellt werden könne. Auch hierauf erfolgte kein zustimmender Bescheid. Von dem reinsten Willen für die Erfüllung seiner Regentenpflicht beseelt, und unter den schmerzlichsten Seelenkämpfen, verbrachte der junge Herrscher fast den ganzen Tag nach seiner Ankunft damit, daß er sich nicht allein von seinen hohen Verwandten, von Gliedern des hohen Adels, von Staats- und Kirchenbeamten, sondern auch von mehreren gänzlich unbeteiligten Personen, deren Treue und Anhänglichkeit an die Krone außer allem Zweifel standen, ja, wie es heißt, von einfachen Bürgern – natürlich waren die rechten dazu auserwählt! – Bericht über diese angebliche ›Stimmung‹ der Hauptstadt und des Landes erteilen ließ. Unter all diesen Aussagen herrschte die seltenste Übereinstimmung; der alte Cornelius war leider nicht darunter. Dieser hätte ihm sonst das Beispiel seines Großvaters vorgehalten, der ›seine Leute gerade dann erst recht festhielt, wenn sie angegriffen wurden‹ (S. 45/46). Am Abend – so wird uns erzählt – habe er sich in das Theater begeben. Die Logenschließer hatten strengen Befehl, jedem in den Zuschauerraum Eintretenden einzuschärfen: Se Majestät habe sich für heute jeden ›Empfang‹ durch das Publikum verbeten, Sie wünschten unbemerkt zu bleiben. Infolgedessen erhob sich, als dennoch einige Hände zum üblichen Empfang sich regten, von hier und da ein beschwichtigendes Chutmachen. Das abgekartete Spiel verfehlte seine Wirkung nicht: nun hieß es, er wäre von seinem eigenen Volke öffentlich ›ausgezischt‹, und die Königin-Mutter fiel darüber in Ohnmacht.13 Aufs neue wurde er bestürmt nachzugeben: später könne er untersuchen, jetzt müsse er handeln. Noch an demselben Abend erhielt Wagner durch den Sekretär Lutz die erste Nachricht von seiner beschlossenen Ausweisung in der Form der an ihn gerichteten Bitte, München auf einige Monate zu verlassen. Er machte sich darüber lustig: es könne nur eine Konfusion, ein Mißverständnis sein, und ließ sich in seinem unbedingten Vertrauen in die Energie seines königlichen Freundes (dessen zuversichtlichen letzten Brief aus Hohenschwangau er soeben erhalten) durch nichts erschüttern. Tags darauf empfing er dieselbe Nachricht schriftlich von der Hand des Königs; dieser war bis in die späte Nacht mit der eigenhändigen Abfassung der nötigen schriftlichen Entscheidungen beschäftigt gewesen. Am Donnerstag Vormittag um 9 Uhr, ließ der König den zweiten Kabinetssekretär Oberappellrat Lutz zu [141] sich bescheiden und behändigte demselben zwei Schreiben: das eine an den Ministerpräsidenten Freiherrn von der Pfordten, das andere an Richard Wagner. In dem ersten Schreiben eröffnete der König dem Minister, daß er nach langem und schwerem Kampfe sich entschlossen habe, dem Frieden des Landes das Opfer zu bringen und Wagner von sich zu entfernen. In dem zweiten Schreiben sagte der König seinem Freunde Lebewohl und verlangte von ihm das gleiche Opfer. Herr von der Pfordten expedierte die Botschaft sofort an die ›Bayerische Zeitung.‹14

Der Brief des Königs an Wagner zeigte auch bei diesem Anlaß die lautere Reinheit seiner Gesinnung, sein volles Bewußtsein davon, den Umständen gemäß vorwurfsfrei gehandelt zu haben Er lautete wie folgt: ›Mein teurer Freund! So leid es mir tut, muß ich Sie doch ersuchen, meinem Wunsche Folge zu leisten, den ich Ihnen gestern durch meinen Sekretär aussprechen ließ Glauben Sie mir, ich mußte so handeln. Meine Liebe zu Ihnen währet ewig; auch ich bitte, bewahren Sie mir immer Ihre Freundschaft; mit gutem Gewissen darf ich sagen: ich bin ihrer würdig. – Wer darf uns scheiden? – – Ich weiß, Sie fühlen mit mir, können vollkommen meinen tiefen Schmerz ermessen. Ich konnte nicht anders, seien Sie davon überzeugt, zweifeln Sie nie an der Treue Ihres besten Freundes. Es ist ja nicht für immer. Bis in den Tod Ihr treuer Ludwig.‹ Eine Nachschrift fügt die Worte hinzu: ›So viel als möglich soll die Sache geheim gehalten werden, Ihrem Wunsche gemäß.‹ Diese Geheimhaltung bestand darin, daß man schon am gleichen (Donnerstag-) Abend in der ›Bayerischen Zeitung‹ in großem Druck die offizielle Mitteilung las, wonach, ›Herr Richard Wagner auf allerhöchsten Befehl, vorerst auf mehrere Monate, Bayern zu verlassen habe‹. Die gleiche Mitteilung war am folgenden Tage (Freitag, d. 8. Dezember) in gesperrter Schrift unter den Telegrammen sämtlicher Zeitungen Deutschlands zu lesen. In München bildete die ›Ausweisung Wagners‹ in allen Ständen das einzige und ausschließliche Gespräch; die gesamte ultramontane und reaktionäre Presse jubelte über das Gelingen, über den Sieg der Intrigue. Die Gemeinheit der augenblicklichen Sieger aber bekundete sich als echt, indem sie auch den Unterliegenden noch mit ihren Schmähungen und Verleumdungen verfolgte, indem sowohl der ›Volksbote‹ als seine ultramontanen Genossen, um neben dem Siegesjubel auch nicht das leiseste Gefühl von Reue oder Erschütterung aufkommen zu lassen, noch einmal zu dem sichersten und bewährtesten Mittel griffen, um auf das Publikum zu wirken. Auf Grund entstellter, aber doch ihrem Ursprunge nach offizieller Angaben rügten sie nämlich, unter Nennung ganz bestimmter Summen, die maßlose Verschwendung, welche Wagner angeblich mit den ihm [142] erwiesenen königlichen Wohltaten getrieben hätte. Sämtliche Ausgaben für die ›Tristan‹-Aufführungen (durch den zahlreichen Besuch der Vorstellungen großenteils wieder eingebracht!), für die Privat-Auditionen des Königs, für das Engagement einzelner Künstler und Musiker, insoweit diese durch Wagner befürwortet waren, kurz alles was irgend mit seinem Namen in entferntestem Zusammenhang stand, war zu einer möglichst effektvollen Gesamtmasse zusammenaddiert, als habe es sich dabei um Privatangelegenheiten oder ›persönliche Zwecke‹ Wagners gehandelt.15 Darauf bezieht sich denn die einfach würdevolle Erwiderung des Meisters auf den obigen Brief des Königs, datiert vom 7. Dezember, welche wir als wichtigstes Dokument dieser traurigen Periode wörtlich so an dieser Stelle einschalten, wie sie seiner Zeit16 – wenngleich unbefugter Weise – durch öffentlichen Abdruck bekannt gegeben worden ist.

›Mein König! Mich schmerzt, daß Sie leiden, wo der einfache Gebrauch Ihrer königlichen Macht Ihnen Ruhe verschaffen würde. Die mir unbekannten Gründe, die Sie hiervon abhalten, ehre ich; für den schönen ernsten Brief, in welchen Sie sich darüber vernehmen ließen, danke ich Ihnen innigst; ein größerer Beweis von Liebe, als dieser gefühlvolle Abweis meines Rates,17 konnte mir nie dargebracht werden. Die mir von Ihnen erwiesenen vollen königlichen Wohltaten, da ich sie als Ausfluß Ihrer reinsten und edelsten Liebe zu genießen habe, setzen mich in den Stand, weltvergessen einzig meiner Sendung zu gehorchen und unverwandt an der Vollendung der Werke zu arbeiten, an deren Schöpfung Ihnen vor allem selbst mehr, als an deren dereinstiger Aufführung gelegen sein muß. Die segensreichen Wohltaten sind aber aufs neue durch den Verrat Ihrer Beamten und Diener der Öffentlichkeit in einem Lichte gezeigt worden, welches sie mir zur Last, Ihnen zum Vorwurf zu machen droht. In Schmutzblättern, mit welchen in unmittelbarem Verkehr zu stehen gewiß jeder nur im geringsten für seine Ehre Besorgte zu verbergen und abzuleugnen suchen muß, wird fortgesetzt behauptet: ich hätte außer dem letzten königlichen Gnadengeschenk von 40000 fl. (welches ich übrigens durchaus nur als lebenslängliches Darlehen betrachte) im Laufe des letzten Jahres noch die Summe von 190000 fl. zu »erbeuten« gewußt. Das ist genau dieselbe Summe, welche Ihr erster Kabinets-Sekretär im vorigen September Fr(au) v. B(ülow) als die diesjährigen [143] Ausgaben der Königl. Zivilliste für das Fach der Musik bezeichnete. Daß er, um Erklärung dieser seltsamen Berechnung angegangen, näheren Angaben auswich, möge nichts zu sagen haben, – daß gerade diese Summe jetzt aber in öffentlichen Blättern und zwar als persönlich von mir bezogen figuriert, dies, mein König, hat etwas zu sagen. Sagte esnur mir etwas, so könnte ich darüber schweigen; es sagt aber dem Volke gerade dasjenige, was alle Welt, selbst die besten Freunde, am leichtesten verstimmt, und was ich seiner üblen Bedeutung nach nicht näher zu bezeichnen habe. – Mein teurer König, ich glaube es Ihnen und mir schuldig zu sein, über die durch jene Angaben gegen mich erhobenen Anklagen eine Erklärung in das Publikum gelangen lassen. Die Bestrafung der begangenen Indiskretionen kann mir nicht obliegen, wohl aber die öffentliche Bezeichnung derselben. Ich wähle hierfür die Form, um deren Genehmigung ich meinen erhabenen Freund angehen muß. Zunächst ersuche ich Sie gehorsamst, die Veröffentlichung folgender Erklärung mit aller königlichen Strenge Ihrem Hofsekretär anzubefehlen, nämlich daß die in öffentlichen Blättern gemachten Angaben über, durch mich von der Königl. Zivilliste bezogene Summen vollständig unrichtig und maßlos übertrieben seien. Unter die Erklärung, welche ich in der »Bayerischen Zeitung« abgedruckt wünschen muß, würde ich dann von meinem königlichen Freunde die Erlaubnis oder dessen Befehl zur Wiedergabe der auf dem beiliegenden Blatte von mir selbst verfaßten Auszeichnung zu erbitten haben – Eine Schwächung beider Erklärungen durch vermittelnde Abfassung eines Dritten, wie sie gegen ähnliche Verleumdungen im vorigen Winter vom Kabinetssekretariat ausging, müßte ich ablehnen; was ich dagegen verlange, ist billig, und die mildeste Zurückweisung von Verfahren, die wohleste strengere verdient hätten Außerdem sind wir aber in diesem Falle nicht mehr frei: ich muß eine Rechtfertigung erhalten, mindestens die Unwahrheit der gemachten Beschuldigungen erklären, wenn es meinem Gefühle möglich erscheinen soll, Ihre königlichen Wohltaten in dem von meinem erhabenen Freunde beabsichtigen Sinne wirklich zu genießen – Einer der erfahrensten bayerischen Rechtsanwälte, den ich hierüber zu konsultieren für nötig erachtete, erklärt die Ausführung des Schrittes, für welchen ich Sie um Ihre königliche Zustimmung angehe, als unerläßlich, und er ist zugleich der Meinung, daß hiermit allein jeder Agitation gegen mich der Stachel benommen sein werde. Gegen diese trägt mich bereits die kernig ausgesprochene Liebe des Münchener Publikums, die zu meiner wahrhaften Rührung erst kürzlich bei einem Anlaß sich kundgab, über welchen ich Ihnen nächstens berichten zu dürfen um Erlaubnis bitte.‹18

[144] Auf diesen Brief erwiderte der König am folgenden Tage (Freitag, den 8. Dezember): ›Mein teurer inniggeliebter Freund! Worte können den Schmerz nicht schildern, der mir das Innere zerwühlt. – Was nur irgend möglich, soll geschehen, um jene elenden neuesten Zeitungsberichte zu widerlegen. Daß es bis dahin kommen mußte! Unsere Ideale sollen treu gepflegt werden; dies brauche ich Ihnen kaum erst zu versichern. Schreiben wir uns oft und viel, ich bitte darum. Wir kennen uns ja; wir wollen von der, Freundschaft nie lassen, die uns verbindet. Um Ihrer Ruhe willen mußte ich so handeln. Verkennen Sie mich nicht, selbst nicht auf einen Augenblick, es wäre Höllenqual für mich – Heil dem geliebtesten Freunde! Gedeihen seinen Schöpfungen! Herzlichen Gruß aus ganzer Seele von Ihrem treuen Ludwig‹ – Diese feurigen Abschiedsworte trafen den Meister bereits in den vollen Vorbereitungen zu seiner auf übermorgen früh angesetzten Abreise. Früher war dieselbe unmöglich zu bewerkstelligen gewesen, sonst hätte er keinen Augenblick länger gezögert. Mobiliar und Einrichtung blieben zwar in dem leeren Hause unberührt zurück, dagegen war für die Verpackung der wichtigsten Gegenstände für seine häusliche Bequemlichkeit und geistigen Bedürfnisse zu sorgen. Besonders traurig war es für ihn, daß der Zwang zu einer plötzlichen Übersiedelung mit einer schweren Erkrankung seines treuen Hundes Pohl zusammenfiel, den er – fast sterbend – mit sich nehmen mußte, aber um keinen Preis allein zurückgelassen haben würde Bülows blieben natürlich auf dem Platze, und die Schmittschen Gesangstunden gingen ihren Weg. Zu Cornelius sagte der Meister vor der Abreise: er möge gänzlich ruhig und unverändert in seiner Stellung verharren. ›Närrisch wär's‹, schreibt dieser am 11. Dezember, ›wenn über all diesen Dingen mir die Sicherung des Lebens bleiben sollte, wie es in der Tat den Anschein hat.‹19 Und sie ist ihm geblieben. Am schlimmsten wirkte die eingetretene Veränderung zunächst und augenblicklich auf das junge Ehepaar Porges, welches der Meister durch unerfreuliche Verschleppungen bei der Ausführung seiner Wünsche (S. 117) nicht rechtzeitig hatte sichern können. Nun hatte der tapfere junge Freund durch seine schuldlose Beteiligung an dem politischen Gegensatze der Parteien den besonderen Groll der Kabinetsräte auf sich gezogen, den er aber freudig und ungebeugten Mutes auf sich nahm, da man ja nun im Zusammenhang mit der ganzen politischen Lage auf neue Entwickelungen rechnen konnte. In der Sonntagsfrühe des 10. Dezember um 53/4 Uhr reiste Wagner in [145] Begleitung seiner treuen Diener und seines todkranken Hundes ab, um ohne Aufenthalt nach Vevey zu fahren, von wo aus er am Ufer des Genfer Sees eine Wohnung zu suchen gedachte.

Wie sein das gewissenlose, abgekartete Spiel gegen den Meister eingeleitet war, zeigte sich, als bald darauf die schillernde Seifenblase des angeschürten Volksunwillens zerplatzte.20 Völlig unberührt von dem Taumel der Residenz war namentlich das Landvolk geblieben. Man erinnere sich hier der schlagfertigen Antwort jenes Allgäuer Bauern an den geistlichen Herrn, der es ungebührlich fand, daß der König ›mit dem lutherischen Musikanten so viel Umstände mache‹ (S. 126, Anm.), oder an jene ›mysteriöse alte Frau aus dem Volke‹, von welcher Fröbel in seinen Erinnerungen zu berichten weiß, die in dem Meister den einzigen Beschützer des jungen Monarchen gegen die Verderbnis seiner höfischen Umgebung erblickte. Eine solche nämlich sei eines Tages bei Wagner erschienen, um mit ihm über den König und dessen hohe Bestimmung zu sprechen, und er habe sie nicht abweisen können Sie habe, so erklärte sie, schon Ludwig I. und Max II. ihren Rat gegeben, aber beide seien ihr nicht gefolgt. Dieser junge König aber sei zu großen Dingen bestimmt, das stehe in den Sternen geschrieben. ›Glauben Sie an die Sterne?‹ habe sie Wagner gefragt. ›In den Sternen steht es, daß dieser junge König zu großen Taten auserlesen ist, und Sie, Herr Wagner, müssen ihn schützen und vor dem Schlechten bewahren, mit dem ihn die Übelwollenden zu verderben suchen.‹21 Wie viel Wunderliches dieser romantischen Anekdote auch anhafte, das eine gelangt auch in ihr zum Ausdruck: einzig in den höfisch bureaukratischen Regionen und Jesuitenkonventikeln hatte der Meister seine Gegner zu suchen, nicht aber in dem bayerischen Volke, welches ihm vielmehr mit richtigem Instinkte sein Vertrauen bewiesen hat.

Aber auch in der städtischen Bevölkerung war der bei weitem größte Teil an der ganzen Bewegung mindestens passiv verblieben, Die Agitation, welche im Jahre 1865 die Entfernung Richard Wagners aus München, das Scheitern des königlichen Straßenprojektes, den Bau des Nibelungentheaters in Bayreuth, statt in München herbeiführte, – war das Werk einer Verbindung von Staatsmännern und Politikern, welche die öffentliche Aufmerksamkeit von ihrem Treiben ablenken wollten; von Führern und Mitgliedern der ultramontanen Partei, welche in Richard Wagner den Liberalen, den Protestanten und den Norddeutschen zugleich haßten; von Adeligen, die am [146] Hofe des jungen Königs nicht den erhofften Einfluß zu gewinnen fürchteten; von ehrgeizigen Fachgenossen, die dem großen Künstler die Gunst des Königs nicht gönnten; von Hoflieferanten, die ihre Erwartung auf eine fette Ernte am neuen Hofe getäuscht sahen, und von jener großen Kohorte engherziger Philister, die in jedem Fremden einen Feind, einen ›dahergelaufenen Hungerleider‹ sieht, der von den bayerischen Fleischtöpfen das Fett abschöpfen will, auf das doch nur sie allein Anspruch haben. Diese Koalition rühmte sich damals der Hintertreibung des wahrhaft königlichen Projektes und der Vertreibung Richard Wagners als einer politischen Großtat, als einer Rettung der Ehre Münchens: mögen sie sich daher auch heute (1882) die Disteln und Dornen zu eigenem Verbrauche behalten, in welche sich im Laufe der Zeit der Lorbeer verwandelt hat ›den sie damals sich selbst zuerkannten.‹22 Die gesamte liberale Presse Bayerns und die wirklich konservativen Blätter (wie der mehrgenannte ›Nürnberger Korrespondent‹), ferner zahlreiche Versammlungen derjenigen politischen Parteien, welche jeden Verdacht eines Anteils an diesen schmachvollen Agitationen von sich fern halten wollten, protestierten mit aller Entschiedenheit gegen die Unterstellung, als sei das bayerische Volk durch die Beziehungen des Meisters zu Sr. Majestät dem Könige beunruhigt, und erklärten offen, es handele sich bei dem ganzen Kampfe überhaupt nicht um die Stellung Wagners, sondern um die Stellung des Kabinetssekretärs. Beide Gemeindekollegien, welche gewiß berechtigt gewesen wären, über die Stimmung des Volkes in allererster Linie Aufklärung zu geben, lehnten einen, von ultramontanen Mitgliedern gestellten Antrag, eine Deputation zu entsenden und eine Adresse an den König zu erlassen, um demselben für die Entfernung Wagners zu danken, fast einstimmig ab. Die bayerische Fortschrittspartei aber veröffentlichte in den Münchener Tagesblättern wörtlich folgenden Ausdruck ihrer gemeinsamen Überzeugung:


›Mit den Worten: »Ich will meinem teuren Volke zeigen, daß sein Vertrauen, seine Liebe mir über alles geht«, hat der König die Entfernung des Komponisten Richard Wagner aus dem Lande verfügt.

Diese Worte beweisen klar, daß dem Könige gegenüber behauptet worden ist, die Anwesenheit Wagners habe zur Beunruhigung des Volkes beigetragen, habe dessen Vertrauen und Liebe zum Könige beeinträchtigt.

Mit solchen Behauptungen ist der König über die Stimmung des Volkes gröblich getäuscht worden. Die Anwesenheit Wagners hat das Vertrauen des Landes und die Liebe des Volkes zum Könige nicht beeinträchtigt, und Wagners Entfernung hat weder Beruhigung gewährt, noch Befriedigung geschaffen

Die Person Wagners hat mit den öffentlichen Angelegenheiten des Landes und den Bestrebungen der Fortschrittspartei nichts gemein.‹


[147] Was blieb nun von der ›Bürgerschaft‹, von dem angeblichen bayerischen Volke noch übrig? Die ›Fliegenden Blätter‹ illustrierten den Moment der Abreise Wagners: befriedigt sieht ein behäbiger Kuttenträger ihm nach; im Hintergrunde lächelt höhnisch Mephisto: ›Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.‹

Weder der Meister, noch seine Freunde waren durch solche Kundgebungen überrascht. Beschämend waren sie nur für diejenigen, die mit dem Mißglücken ihres Versuches, die Person eines wehrlosen Künstlers zum Ableiter der gegen sie selbst gerichteten Mißstimmung zu machen, durch den Entsagungsentschluß des Monarchen nun so offen bloßgestellt waren. Mit Wagners Entfernung aus München war in ihrer eigenen Stellung gegenüber dem Volke tatsächlich nichts gebessert, wohl aber jeder ferneren törichten Insinuation, als stelle der Monarch seine persönlichen Neigungen und Beziehungen über das Wohl das Landes, der Boden entzogen. ›Mag man‹, so schreibt August Nocheln einem Briefe an Bülow vom 14. Dezember, ›über die Leichtigkeit, womit der König sich täuschen ließ, denken wie man wolle, immer muß seine edle Intention, dem vermeinten »Volkswillen« ein schweres Opfer zu bringen, hoch anerkannt werden; denn es er erleidet keinen Zweifel, daß es ihm sehr schwer geworden und er darin einen hohen Grad von Selbstaufopferung bekundet hat. Der Irrtum ist seiner Jugend zu verzeihen. Vom Standpunkte dieser Anschauung aus haben aber alle, die es mit ihm wohlmeinen, die Pflicht, das ihrige zu seiner Aufklärung beizutragen und ihm die Erkenntnis zu erleichtern, daß er nur das vertrauende Opfer eines schändlichen Komplottes weltlicher und geistlicher Jesuiten war.‹ Und einem Briefe des jungen Cornelius, gleich nach der Abreise Wagners, entnehmen wir die folgenden hoffnungsreichen Reflexionen: ›So viel ich bis jetzt von allem begreife, kann die Entfernung Wagners nur wohltuend und erhaltend auf das Verhältnis wirken; doch muß der König zeigen, daß, nachdem er sich selbst beherrscht und seine Freude an Wagner dessen Widersachern geopfert hat, er nun auch die Kraft finden wird, über andere herrschen zu lernen und seinen eigenen Willen durchzusetzen. Jeder Tag wird nun neue Entwickelungen bringen: der Kampf gegen das Kabinet wird während Wagners Entfernung seinen Fortgang nehmen, dasselbe wird stürzen, sollte es sich auch bis zur Zeit der Kammerverhandlungen halten, und das Kabinet in neuer Form oder ein freisinniges Ministerium an dessen Stelle wird Wagner alsbald zurückberufen. Ob er dann kommt? Das ist allerdings zweifelhaft. Er wird nicht aufs neue seine künstlerische Existenz von politischen Schwankungen abhängig machen wollen; ja ich hoffe, er wird sich so tief in die abschließenden Arbeiten seines Lebens vergraben, daß er eine gesicherte Einsamkeit dem einmal verleideten Münchener Leben vorziehen wird.‹ Jedenfalls war es mehr als verfrüht, daß die ›Neuesten Nachrichten‹ bereite am 2. Januar 1866 das Inserat [148] eines beeiferten Münchener Verehrers brachten, worin derselbe unter voller Namensnennung23 Gleichgesinnte zu einer Besprechung einlud, mit dem Zwecke, ›dem berühmten Komponisten Richard Wagner bei seiner Rückkehr nach München einen würdigen Empfang zu bereiten‹.

Einstweilen ließen sich allerdings die altbayerischen und ultramontanen Organe durch die Wendung der Dinge in der Fortsetzung ihrer Schmähungen und Verunglimpfungen nicht stören. Es war dies eine ganz natürliche Folge ihrer einmal eingenommenen Stellung zu dem Meister und seinen Angehörigen. Es ist weder die Schuld des großen Reformators, noch seines Biographen, daß eine wahrheitsgemäße Lebensbeschreibung Wagners, nachdem sie in dieser Beziehung durch Aufzählung der gegen ihn begangenen Gemeinheiten schon das Äußerste berücksichtigt und mitgeteilt zu haben vermeint, doch immer neue Exzesse des wütenden Hasses unmöglich mit Stillschweigen übergehen kann. Wir haben hier natürlich nicht die fortgesetzten täglichen wüsten Schimpfereien dieser Blätter im Sinne; der brutale Zynismus ließ sich aber an diesen nicht genügen. Man wußte, daß Wagners Frau seit mehreren Jahren von ihm getrennt in Dresden lebe. Unter den auf ihn gehäuften Verleumdungen, welche seine gefürchtete Rückkehr nach München für immer zur Unmöglichkeit machen sollten, fand in gewissen Schichten des Publikums den meisten Glauben die empörende Erdichtung des ›Volksboten‹: Wagners Gattin müsse, während ihr Mann ›im Überflusse schwelge‹, in Dresden mit Not und Mangel kämpfen, dem Publikum ihre Dienste als Feinwäscherin anbieten und fast Hungers sterben. Die in grellen Farben ausgemalte Schilderung ihres Notstandes ging in alle Blätter derselben politischen Tendenz über und verbreitete sich auf diesem Wege bis in mehrere Wiener Zeitungen. Eine öffentliche Erklärung von Frau Minna Wagner (datiert vom 9. Jan. 1866), laut welcher ihr seit ihrer Trennung von ihrem Gatten eine von diesem ihr zukommende Sustentation eine sorgenfreie Existenz gewähre, bereitete dieser schnöden Lüge ein Ende.24 Auch die alle Welt bewegenden Kriegsereignisse des Jahres 1866, mit ihrem Schlachtendonner [149] und ihrer Verschiebung der Machtverhältnisse, vermochten diese aufreizenden Stimmen nicht zum Schweigen zu bringen. Galt ja Wagner einem ansehnlichen Teile des bayerischen Journalismus damals schon ganz in demselben Sinne als ›Prussien‹, wie nachmals dem chauvinistischen Publikum der Pariserconcerts populaires. Also: auf ihn! und wenn nicht mit Feuer und Schwert, so doch mit Nadelstichen! Man spürte allen ihm etwa erwiesenen königlichen Gunstbezeigungen nach, und erfand solche, wenn ihrer keine zur Benutzung für patriotische Zwecke sich fanden. Vom Bureau des ›Bayerischen Couriers‹ und des ›Volksboten‹ gingen dem Meister allerlei kostbare Spazier- und Dirigierstöcke ›im Wert von einigen tausend Gulden‹, mit sinnreicher Verzierung durch, in Gold getriebene ›mit Brillanten besetzte Schwäne‹ zu; namentlich aber konnte man täglich in den Münchener Zeitungen lesen, er werde aufs eheste wieder nach Bayern zurückkehren. An sprechenden Anzeichen für das baldige Bevorstehen dieses Ereignisses war man nicht in Verlegenheit. Einmal wollte man am Starnberger See in der Nähe von Schloß Berg einen ›Kammerdiener Wagners‹ bemerkt haben und zog daraus die weitgehendsten Folgerungen.25 Allen Gerüchten dieser Art trat die Tatsache entgegen, daß mit dem 1. September 1866 das dem Meister durch die Großmut seines Beschützers ›auf Lebenszeit‹ überlassene Haus in München vollständig von ihm geräumt und der Kabinetskasse wieder zur Verfügung gestellt wurde (S. 193). Der sonst redseligste Teil der bayerischen Presse überging diese Tatsache mit Stillschweigen. ›Ganz richtig!‹ bemerkte dann ein Leipziger Musikblatt, – ›Wagner wird es nicht in die Zeitung setzen lassen – dann ist er doch zu vornehm!‹ –

Und so beschließen wir dieses Kapitel und die darin vergegenwärtigten, in jeder Richtung verhängnisvollen und schwerwiegenden Vorgänge mit den resumierenden Worten eines der Biographen des Königs.26 ›Wie wenig lebenserfahren Ludwig war, geht daraus hervor, daß er sich in dem Streite um Richard Wagner durch die Androhung einer Revolution einschüchtern ließ. Die Revolutionen, die von der Umgebung eines Fürsten vorhergesagt wurden, trafen niemals ein. Denn von den Aufständen, die wirklich stattgefunden haben, sind die Fürsten noch jedesmal überrascht worden.‹ Von dem unersetzlichen Verluste ausgehend, den das Scheitern seiner edlen Pläne der Stadt München zufügte, zieht derselbe Autor dann aber auch die davon untrennbaren tragischen Wirkungen auf die gesamte fernere Entwickelung der so hochangelegten Persönlichkeit des jungen Herrschers in Betracht. ›Ein so großartiges Unternehmen (wie die geplante Errichtung des Festspielhauses in der bayerischen Residenz) beschäftigt den Geist täglich, stündlich; der Bauherr sieht voraus, wie es wird und wächst, sieht es herrlich [150] vollendet... Man warf dem jungen Fürsten nicht ein Kartenhaus ein, man zerstörte ihm eine Zukunft. Die Millionen, die man ihm hier ersparte, wo sie Frucht getragen hätten, wurden in einsamen Gebirgstälern ausgegeben, wo sie vergeudet sind.‹ Diese Erwägungen werden vollauf durch die schmerzlichen, tief melancholischen Klagen bestätigt, die wir in den nächstfolgenden Briefen des Königs an den Meister antreffen. ›Wenn ich denke, wie ich im vorigen wonnevollen Sommer in der Nähe des Gebirges längs der Isar ritt, den Wellen des Flusses meine heißen Grüße an jenen Ort auftrug, den wir als den Platz künftiger Seligkeit uns auserkoren, – da will es mir das Herz zerschneiden, daß der ersehnte Bau nie dort aufgeführt werden soll! Furchtbarer Ausgang, gräßliches Los – ach, soll alles zerschellen?‹

Wir nannten im Eingang dieses Kapitels den Schritt des Königs, zu dem er sich durch das einmütige gewaltsame Drängen seiner Umgebung genötigt fand, einen Fehlgriff, und in der Tat hat es sich bestätigt, daß sich derselbe im weiteren Verlauf der Dinge durch nichts wieder gut machen ließ. Und doch hätte die höchste Weisheit nicht anders handeln können, als es hier allerseits im völligen Unbewußtsein geschah! So heftige Schmerzen den Beteiligten, und nicht zum mindesten dem unerfahrenen jungen Monarchen selbst, dadurch bereitet wurden, so läßt sich doch gerade bei diesem entscheidenden Schritte jene geheimnisvoll waltende Schicksalsfügung nicht verkennen, die sich – ach, so oft! – zur Verwirklichung ihrer höheren Absichten des Mittels der ›Torheit‹ der beteiligten, handelnden Personen bedient! Wer den Festspielgedanken des Meisters in seiner ursprünglichen ungetrübten Reinheit sich vergegenwärtigt, weiß ja genau, wie die Vorstellung seines Idealtheaters seit 1850 bei Wagner unlöslich verbunden war mit der, Forderung einer unentweihten Stätte, ›fern vom Qualm der Zivilisation, in abgelegen ländlicher Umgebung‹, nicht aber in einer der deutschen Großstädte. Der Plan zur Errichtung seines Festspielhauses in München war eine zeitweilige Abweichung lediglich zu gunsten eines königlichen Wunsches, der mit der Aufgabe aller Münchener Pläne für immer fallen gelassen wurde. Damit kam der ursprüngliche Gedanke wieder zu seinem vollen Rechte, dessen schließliche Verwirklichung – nicht ›München‹ heißt, sondern ›Bayreuth‹!

Fußnoten

1 Fröbel, ein Lebenslauf II, S. 416.


2 Vgl. S. 123 des vorliegenden Bandes.


3 Bereits im Frühjahr hatte er es deshalb für angemessen gehalten, dem Redakteur der ›Neuesten Nachrichten‹ einen formellen kurzen Dankesbesuch dafür abzustatten, daß dieses Hauptblatt der Liberalen zur Zeit der böswilligen Verunglimpfungen der Augsburger Allg. Zeitung ihm gegenüber den literarischen Anstand gewahrt hatte (Bülow, Briefe IV, S. 68).


4 Die Klagen über das Kabinetssekretariat betrafen in erster Reihe die durch den Kabinetssekretär ausgeübte Beeinflussung der Staatsanstellungen. Eine Stimme in der Augsb. Allg. Zeitung (Nr. 336) bemühte sich in ausführlicher Darlegung den Angriff zu entkräften, das Gewicht ihrer scharfsinnigen Argumentationen litt aber darunter, daß sie großenteils politische Sätze bestritt, welche in dem Nürnberger Artikel gar nicht aufgestellt waren; auf die wesentlichen Punkte ging sie gar nicht ein. ›Ist es wahr‹, fragte deshalb eine Gegenstimme in demselben Blatte (Nr. 341), ›daß Minister, die sich den Vorschlägen des Sekretärs nicht fügen wollten, weil dieselben der Anstellungsordnung zuwider liefen, infolgedessen zum Rücktritt von ihrem Amt genötigt waren? Ist es wahr, daß ein solcher Vorgang den Rücktritt des Ministers v. Mulzer veranlaßt, und zum Rücktritt des Ministers v. Neumayr mitgewirkt hat? Und ist dieser Zustand mit einer gesunden Staatsordnung verträglich, oder rechtfertigt sich der Wunsch einer durchgreifenden Änderung? Dies sind einige von den Fragen, die, weit über den Kreis des »Nürnb. Anz.« hinaus, das Land beschäftigen.‹ Und schon vorher hatte in Nr. 338 eine Münchener Korrespondenz mit erwünschter Offenheit von ›Begünstigungen‹ gesprochen, die der Herr Staatsrat v. Pfistermeister vorzüglich seinen oberpfälzischen Landsleuten zugewendet haben solle.


5 Wieder stand hierbei der Münchener ›Punsch‹ in vorderster Reihe; sein ›Morgengebet eines bescheidenen Mannes‹ (3. Dez. 65) ist Zug für Zug eine genaue Nachbildung des vielberufenen ›Vaterunser der Lola Montez‹, und selbst auswärtige Blätter von sog. ›liberaler‹ Richtung. wie das Leipziger Blatt ›Unsere Zeit‹ (F. Brockhaus) ließen ihrem Münchener Korrespondenten Sätze passieren, wie: ›die Reitgerte der Tänzerin und der Dirigierstab des Komponisten werden interessante Reliquien in einem kulturgeschichtlichen Museum unseres Jahrhunderts bilden.‹


6 Vgl. zu diesem ganzen Abschnitt den vortrefflichen, historisch rückblickenden Artikel: ›Vor siebzehn Jahren. Eine tragikomische Episode aus dem politischen Karneval Münchens‹ in den ›Neuesten Nachrichten‹ Nr. 228230. 232/33 vom 16. bis 20. August 1882.


7 Der Verf. des genannten historischen Rückblickes, dessen Sammelfleiß wir den größten Teil der folgenden Zitate verdanken, erklärt zwar, daß er ›aus Gründen der Reinlichkeit und des Anstandes‹ keineswegs das Schlimmste mitteile; doch versichern wir den Leser, daß seine Blumenlese (speziell aus dem ›Volksboten‹), bereits solche Beispiele enthält, deren Zynismus sie schlechterdings außerhalb des Rahmens unserer Darstellung placiert. Im übrigen verwahrt sich derselbe ernstlich gegen den etwaigen Verdacht seitens seiner Leser, daß er die Inschriften an den Wänden eines Irrenhauses kopiert habe, um sie für die Aussprüche reaktionärer Blätter auszugeben.


8 ›Man denke (bemerkt hierzu der Artikel der »Neuesten Nachrichten«), der offene ehrliche Franke Brater, dessen Leben klar war, wie ein makelloser Spiegel, sollte krumme Schleichwege gehen, um ein Portefeuille zu erhaschen; und der treuherzige behäbige Schwabe Völk sollte im goldgestickten Staatsfrack, den Degen an der Seite, auf dem glatten Parkette des Hofes tänzeln und – nachdem er ein Jahrzehnt hindurch Sparsamkeit gepredigt – mit alleruntertänigst ersterbenden Bücklingen eine Erhöhung der Zivilliste um etliche Millionen darbieten!‹ (a. a. O.).


9 Nach diesem letzteren wörtlichen Ausdruck unseres oben genannten Gewährsmannes scheint es sich sogar um einen schriftlichen Entwurf gehandelt zu haben, über dessen etwaige Entstehungszeit oder bloße Existenz uns jedoch nie etwas Näheres bekannt geworden ist!


10 Wiener Zeitungen, denen man schon damals keine besondere Freundlichkeit gegen Wagner nachsagen konnte, schrieben gleichwohl: ›Es zeugt vom knickerischen Geiste eines Volkes, wenn es mit den künstlerischen Intentionen seiner Fürsten allzu haushälterisch rechnet. Würden die ultramontanen Philister es vielleicht vorziehen, wenn König Ludwig die Staatsgelder in Hoffesten à la Compiègne vergeudete, oder wenn er gar noch unedleren Trieben huldigte, wie sie selbst den Großen dieser Erde, ja ganz besonders diesen, bösen Zungen zufolge, nicht fern liegen sollen?‹ (Zitiert aus ›Neueste Nachrichten‹ Nr. 228/33, August 1882.)


11 ›Welche diese zwei oder drei Personen sind, liegt auf der flachen Hand‹, rief der ›Bayerische Kurier‹ vom 1. Dezember aus, – – ›die Beamten des Kabinetssekretariats und der Kabinetskasse. Weg mit ihnen, damit Herr Wagner die Bahn frei hat – und die Ruhe ist hergestellt, Bayern ist glücklich!‹


12 Auf Grund authentischer Vorlagen gibt derselbe Artikel ein namentliches alphabetisch geordnetes Verzeichnis jener biederen Bäcker- und Buchbinder-, Weber- und Loderermeister, Eisen- und Pelzwarenhändler, Konditoren und Zündholzfabrikanten, Lebzeltner, Hoftaschner und Silberarbeiter, die nach ihrem weisen Ermessen die Errichtung eines neuen königlichen Theaters für gänzlich unnötig erachteten und sich damit den Beschlüssen ihres Landesherrn widersetzten! (›Neueste Nachrichten‹ vom 13. August 1882, Nr. 225/26)


13 Wir folgen hier wörtlich der mündlichen Erzählung A. Ritters.


14 Korrespondenz des ›Pfälzischen Couriers‹ aus München vom 7. Dez. 1865.


15 Auch dies geschah summarisch, für alle Preßorgane zugleich. Die Augsb. Allg. Zeitung vom 8. Dezember, die zu gleicher Zeit und in dem gleichen Sinne mit dem gleichen Material von München aus bedient worden war, quittiert darüber mit einer bloßen redaktionellen Erwähnung: ›Über die Summen, welche R. Wagner in der kurzen Zeit seines Münchener Aufenthaltes der kgl. Zivilliste gekostet haben soll, erhalten wir so fabelhaft lautende Angaben, daß wir sie nicht nachschreiben mögen.‹


16 In der österreichischen Zeitschrift: ›Die Wage‹.


17 Von welchem ›Rat‹ hier die Rede ist, entzieht sich unserer Kenntnis.


18 Der obige Brief hat im Originalabdruck noch folgenden Anhang: ›Mein teurer König! Nun noch zu dem Ernstlichsten, was meine Seele erregt. Sie verlangen von mir bestimmte Aufschlüsse über die von mir angedeutete, gegen Ihre erhabene Person selbst gerichtete Verleumdung...‹ Hier bricht die Mitteilung ab; doch dürfte nicht daran zu zweifeln sein, daß der vollständige Brief wohlerhalten ist. In diesem Teile ist er die Antwort auf den noch vom 3. Dezember aus Hohenschwangau an Wagner gerichteten Brief, in welchem die Worte begegnen: ›Ich bitte Sie, nennen Sie mir die Verleumdung, die gegen mich im Werke ist, ich beschwöre Sie, Teurer.‹


19 Siehe H. v. Bülows Briefe IV, S. 73/74.


20Richard Wagner als König. Schonungslose Enthüllung der geheimen Verschwörung zur Ausführung seines unglaublich verwegenen Planes, von ††† emer. Pfarrer (München und Augsburg. Jedes Exemplar ist verschlossen.)‹, so lautete der Titel einer damals in München viel verkauften Broschüre, deren Ironie darin besteht, daß auf ihren enggedruckten 32 Seiten, unter spannenden Kapitelaufschriften, einige platte Scherze abgerechnet, von manchen anderen Dingen, aber nicht von Wagner die Rede ist.


21 Fröbel, Erinnerungen II, S 398.


22 Vgl. den Artikel ›Vor siebzehn Jahren‹ in den ›Neuesten Nachrichten‹ (16. Aug. 1882).


23 Dr. G. C. Wittstein, Wiesenstraße 3.


24 Der Bildhauer Gustav Kietz, Wagners junger Freund während der Dresdener Zeit und ihm zeitlebens anhänglich und ergeben, berichtete dem Verf. brieflich von der tiefen Erregung und Bestürzung, den diese Gemeinheit auf sie gemacht habe. ›Bei einem Besuche in ihrer Wohnung auf der Walpurgisstraße in Dresden traf ich Frau Minna in großer Erregung an. Sie war dort sehr stattlich eingerichtet; ich sah dort Möbel aus früherer Zeit, auch Wagners großen Flügel und verschiedene Bilder meines Bruders. Sie erzählte mir ganz entrüstet, daß man überall lese und davon spräche, daß ihr Mann sie darben ließe und sie von der Armenbehörde in Dresden unterstützt werden müßte, und fügte hinzu: »Mein Mann sollte so etwas tun, der lieber alles entbehren würde, ehe er mich in Not kommen ließe!« Hatte doch Wagner seit den Dresdener Zeiten und den darauf folgenden Flüchtlingsjahren bis zu diesem Augenblick außerdem noch seine armen Schwiegerelternzu unterstützen gehabt!‹


25 Vgl. ›Signale‹ vom 17. Mai 1866.


26 K. v. Heigel, König Ludwig II, S. 126/27.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 127-151.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon