VIII.

Triebschen bei Luzern.

[174] Königsbesuch zum 22. Mai. – Die beabsichtigten ›Mustervorstellungen‹ durch die politische Lage verhindert. – Bülows in Triebschen. – Arbeit am II. Akt der ›Meistersinger‹. – Kriegsereignisse. – Wagner über die Schlacht von Königgrätz. – ›Konstantin Frantz‹ Besuch. – Fränkische Reise des Königs. – Bülow nach Basel. – Hans Richter in Triebschen.


Von neuem war ich wieder in dem schweigenden Asyl, fern jedem Klange, angelangt, aus welchem ich dereinst in die stumme Alpenwelt blickte, als ich jenen überschwänglichen Plan (des Nibelungenwerkes) entwarf und die Ausführung in Angriff nahm.

Richard Wagner.


Für den Sommer 1866 bestand der sehnlichste Wunsch des Königs in einer völlig korrekten, allen Anforderungen ihres Schöpfers entsprechenden Vorführung des ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ unter Bülows Leitung. Diese beabsichtigten Aufführungen waren für den Monat Juni angesetzt. Wagner war im ganzen eher gegen solche – ihm noch vorzeitig dünkende – Aufführungen seiner eigenen Werke, von denen er öfter abriet, als daß er dazu ermuntert hätte. Wenn er dagegen in bezug auf das Münchener Hoftheater ein wünschenswertes Ziel vor Augen hatte, so bezog sich dasselbe auf etwas ganz anderes, als auf solche vereinzelte Aufführungen seiner Werke: nämlich auf die grundsätzliche und zum Gesetz erhobene Korrektheit der theatralischen Leistungen im allgemeinen. Nur durch allmähliche Übung der Künstler in der korrekten Darstellung der dramatischen Werke aller Stilgattungen durfte er sodann verhoffen zur Ausbildung eines, der Münchener Bühne eigenen Personales zu gelangen, dessen Vorhandensein die Intendanz gegebenen Falles überhoben hätte, für die allerhöchsten Ortes gewünschten ›Mustervorstellungen‹ auswärtige Kunstmittel herbeizuziehen. Für den König kam hauptsächlich das Verlangen in Betracht, zu den geliebten Werken in ihrer szenischen Verkörperung endlich in ein vollbefriedigendes persönliches Verhältnis zu treten Beide hatte er nur in seinen frühen Jünglingsjahren [175] und in ihrer schmählichen Verunstaltung durch Lachner kennen gelernt; seit seinem Regierungsantritt war er nur zur Anhörung jener einen, bloß durch Schnorrs Mitwirkung hervorragenden Aufführung des ›Tannhäuser‹ gelangt, in welche der ausgezeichnete Künstler mit nur einer Probe eingetreten war, während sie in jener anderen Hinsicht die offenkundigen Spuren ihrer bisherigen Verwahrlosung an sich trug.1 Schon im verflossenen Herbst war er daher mit der dringenden Bitte an Wagner herangetreten: sollte es nicht möglich sein, im Laufe dieses Winters den ›Tannhäuser‹ in seiner neuen Bearbeitung zu hören, oder den ›Lohengrin‹?2 Statt dessen war alles so gänzlich anders geworden, und er hatte in schmerzlichster Erfahrung seinen eigenen Dienern gegenüber – den ›Psi‹ und ›Pso‹, wie er selbst sie bezeichnete – seine Ohnmacht empfinden müssen. Und nun sollten die aufs äußerste ungespitzten politischen Verhältnisse die Erfüllung seines Wunsches in letzter Stunde auch noch für den laufenden Sommer unmöglich machen!

Mit wahrer Sehnsucht hatte es ihn außerdem auch nach der persönlichen Anwesenheit Wagners und einem Wiedersehen mit ihm verlangt. So erklärt sich denn sein mit überraschender Plötzlichkeit gefaßter Entschluß: da dieser nicht zu ihm nach München kam, ihn zu seinem 53. Geburtstage in seinem neugewonnenen Schweizer Asyl aufzusuchen. Es war seinen wiederholten schriftlichen Bitten und Beschwörungen nicht gelungen, den Meister in seinen wohlbegründeten Entscheidungen wankend zu machen; nun wollte er es in mündlicher Unterredung versuchen. Wie improvisiert dieser Entschluß seinerseits war, zeigt sich schon in dem Umstande, daß er wenige Tage zuvor (anstatt eines Besuches in eigener Person) seinen Adjutanten Fürst Taxis – ›den einzigen, auf den ich mich von meiner hiesigen Umgebung fest verlassen kann‹ – nach Triebschen geschickt, ja noch um fünf Uhr Morgens am Festtage selbst eine feurige Glückwunschdepesche von Starnberg hatte abgehen lassen, die um 7 Uhr 20 Minuten in Luzern ankam. Sogar hatte er sich noch in den Morgenstunden durch Herrn von Lutz den üblichen Vortrag in Regierungsangelegenheiten halten lassen, dann aber, wie zu einem Spazierritt, sein fertig gesatteltes Roß bestiegen und sich, nur von seinem Reitknecht begleitet, in einem Strich, ohne abzusitzen, vom Starnberger See bis zur Bahnstation Biesenhofen begeben, wo er in den gewöhnlichen Zug einstieg und unerkannt bis Lindau gelangte. ›Als er dort, in seinen weiten Radmantel gehüllt, das Schiff betrat, zog er durch seine imposante Figur die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich; die Zunächststehenden traten ehrerbietig zurück und grüßten, worauf er in der ihm eigenen vornehmen Weise kavaliermäßig dankte.‹3 Nachmittags traf er in Triebschen ein, von niemand erwartet, völlig überraschend [176] Groß war auf beiden Seiten die Freude des Wiedersehens, dem ersten seit jenem so vielverheißenden Besuche auf Hohenschwangau. Gar viel des Wichtigen und Entscheidenden gab es von beiden Seiten mitzuteilen Seinen noch so dringenden Einladungen zu dauernder Rückkehr konnte der Meister allerdings nicht entsprechen. Als einziges Zeugnis der tiefgewogenen Gesinnung seines erhabenen Beschützers erbat er sich vielmehr nur die Gunst, eine Reihe von Jahren in vollständigster Zurückgezogenheit auf seinem einsamen Landhause der Vollendung seiner entworfenen Arbeiten sich widmen zu dürfen. Bloß eine einzige Nacht weilte der König unter dem gastlichen Dache seines großen künstlerischen Freundes; er verließ ihn anderen Morgens früh, tief bewegt durch den Abschied, aber stolz und siegesbewußt, gestählt durch die Wonne des Zusammenseins und in bezug auf die verderblichen Störungen seiner edelsten und weittragendsten Absichten fest entschlossen ›das Unkraut mit der Wurzel auszureißen‹. Noch während des Königs Anwesenheit war dem Meister durch eine Gruppe warm ergebener Münchener Anhänger eine sinnige Überraschung zu seinem Geburtstage bereitet, zugleich als demonstratives Zeugnis dafür, daß es ihm trotz aller Anfechtungen gelungen sei, sich im dortigen Publikum Liebe und Verehrung zu erwerben. Als Zeichen ihres Gedenkens übersandten ihm dieselben einen silbernen Lorbeerkranz, der seiner kunstreichen Arbeit wegen vor dem Abgang an seinen Bestimmungsort einige Tage im Münchener Kunstverein ausgestellt gewesen war. Die begleitende Zuschrift sprach die zuversichtliche Hoffnung aus, den verehrten Meister recht bald wieder in München zu begrüßen. Seine dankende Erwiderung bekundete vor allem die Freude darüber, daß er, durch die ihm erwiesene Aufmerksamkeit, in der bayerischen Hauptstadt Freunde kennen lerne, nachdem er während seines Aufenthaltes daselbst, seinen wenigen Umgang fast ausschließlich der versuchten Versöhnung von Feinden zugewendet ›mit denen sein Beruf ihn in Beziehung setzte‹. ›Daß Sie‹, fährt er dann fort, ›meine Rückkehr so bald erwarten, dürfte mich fast betrüben, wenn ich annehmen sollte, Sie hegten von mir die Meinung, daß ich mein persönliches Wohlergehen den ernsten Rücksichten voranstellen könnte, die mich noch von München fernhalten müssen.‹ Er bittet daher die freundlichen Gönner seiner Kunst, ihn wegen seiner – obwohl schmerzlichen – Trennung eher zu beglückwünschen, weil es ihm eben hierdurch ermöglicht werde, ›das größte, seinem Leben widerfahrene Glück seinem erhabenen Wohltäter mit wahrhaft nützlichem Danke zu erwidern‹.

Mit erhobenem Herzen war König Ludwig in seine Residenz zurückgekehrt und eröffnete hier am 27. Mai (d.h. in demselben Augenblicke, als Wagner die obigen Zeilen schrieb) den Landtag mit einer Thronrede, in welcher er seinem Wunsche einer friedlichen Beilegung der drohenden Konflikte Ausdruck gab: ›noch will ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß das[177] Verderben eines Bürgerkrieges von Deutschland abgewendet werde.‹ Er sprach damit seine aufrichtigste Gesinnung aus; ging es ihm doch nicht wesentlich anders als dem Großherzog von Baden, der ebenfalls nur gezwungen in den Kampf eintrat War doch das Verhalten der süddeutschen Fürsten in diesem verhängnisvollen Kriege ihnen durch ihre gesamte Volksvertretung aufgedrängt, und unter dem Deckmantel der ›Bundestreue‹ waren die maßgebenden Faktoren tatsächlich die Furcht vor Preußen, der beschränkte Partikularismus der Bevölkerungen und das täuschende Vertrauen auf die Macht Österreichs, welches allgemein für die stärkere Partei gehalten wurde. Für Baden entfiel die Hauptverantwortlichkeit auf den, alsbald nach dem Kriege aus seinem Amt entlassenen Minister Edelsheim, für Bayern auf von der Pfordten. Ein besonderer Grund für den König, diesen Mann, wiewohl er in seiner jämmerlichen Haltlosigkeit mit dem einen Fuße im österreichischen, mit dem andern im preußischen Lager stand, nicht vor der schließlichen Entscheidung der durch ihn eingeleiteten Verwickelungen, seines Postens zu entheben. Auf Bismarcks Wunsch hatte Pfordten das Jahr zuvor an den Gasteiner Verhandlungen über die schleswig-holsteinische Frage teilgenommen und sich in – erfolgloser – Vermittelung an den Prinzen von Augustenburg gewandt, um ihn zu einer Verständigung mit Preußen zu bewegen. Der andere Vorschlag, daß Bayern im Kriegsfalle neutral bleibe, war von ihm zurückgewiesen. Nicht dieses Verhalten nebst den daran sich knüpfenden Konsequenzen hat ihm die Geschichte zum Vorwurfe gemacht; wohl aber das verräterische Doppelspiel, durch welches er in geheimen Verhandlungen mit dem überlegenen preußischen Staatsmanne bestrebt war, es andererseits auch mit diesem nicht zu verderben, so daß er – nach Bülows Worten – ›in Preußens Tasche steckte, oder seine Tasche im Preußischen‹,4 und demnach, Bayern gegen Preußen nur in einem Scheinkriege die Waffen hat führen müssen, weil Pfordtens Politik es so verlangte.5 Unter diesen Umständen mögen wir die von Bülow am 22. Mai(während der König in Triebschen weilte) niedergeschriebenen Worte im wesentlichen zugleich als das Glaubensbekenntnis [178] Wagners betrachten: ›Ich bin nach wie vor, Bismarckisch. in der Praxis, weil man die politischen Dinge, wie uns die Erfahrung täglich lehrt, nicht un- und anti-idealisch genug auffassen kann. Mitleid habe ich nur mit dem armen Italien, das am meisten leidet und noch leiden wird, durch die Rüstungskosten seinem finanziellen Ruin entgegen geht und ferner die mir überaus widerwärtige Mazzinische Partei an der Kehle hat. Ein deutscher Bürgerkrieg, ich gestehe es unverhohlen, verstimmt mich ganz und gar nicht. Ich halte ihn für unabwendbar – früher oder später – und für sehr gesund. Die ersten Deutschen, die ich niedergeschossen wünschte, wären freilich (im Interesse des wahren Fortschrittes) sämtliche fortschrittliche Kammermitglieder, Zeitungsschreiber und Juden.‹ In demselben Briefe (vom 22. Mai) heißt es weiter: ›Richard Wagner hat vor einigen Monaten ein hübsches gereimtes Impromptu über die drei unheilvollen »J(od)« gemacht, »Jesuiten, Juden, Junker.« Mein erstes Gebet ist, daß der Himmel unser Vaterland von diesen »J« erlösen möge, unter denen das dritte jedenfalls das unschädlichste ist.‹6

Am Tage nach seiner Thronrede saß der junge Monarch, mit seinem Adjutanten Fürst Taxis, im Erkerzimmer von Schloß Berg, sein Tagebuch schreibend, mit dem Freunde Triebschener Erinnerungen austauschend und sich des allgemeinen günstigen Eindruckes seiner gestrigen Ansprache erfreuend. Und während am 14. Juni, der Pfordtenschen Politik gemäß, in Frankfurt der Bundeskrieg an Preußen erklärt wurde und General von der Tann, als Adjutant des Königs und bayerischer Bevollmächtigter, in Olmütz den Militärvertrag mit Österreich abschloß, war König Ludwig nach der stillen, idyllischen Roseninsel gezogen, um dort da er doch für diesen Sommer auf die geplanten ›Musteraufführungen‹ verzichten mußte, in der Rückerinnerung der unvergeßlichen ›Tristan‹-Aufführungen deren ›Jahrestage‹ zu verleben, dem Freunde den Entwurf des ›Parzival‹ vorzulesen, und so aus dem wirren Getriebe des Zeitlichen in das Ewige zu flüchten. Am 25. begab er sich dann auf einen Tag in das Hauptquartier der bayerischen Armee nach Bamberg. Mit begeistertem Jubel wurde er bei seiner Abreise von der Residenz, sowie bei der Durchfahrt durch Augsburg, Nürnberg usw. begleitet. Ein nicht minder begeisterter Empfang ward dem königlichen Kriegsherrn seitens der versammelten Truppen zuteil, der ganze Tag war ein fortgesetztes Hochrufen, die ganze Reise ein Triumphzug. Die erfrischenden Eindrücke desselben meldet ein Brief des Königs an Wagner, von der Roseninsel aus bald nach der [179] Rückkehr geschrieben; eine Art von Doppelbrief insofern, als der König die nähere Schilderung der ihm dargebrachten Ovationen der Feder des Freundes überläßt. Daß die Absetzung Pfordtens für den bevorstehenden Jahresschluß schon damals beschlossene Sache gewesen sei, scheint nach den von Fröbel angegebenen Indizien7 nicht unmöglich. Ferner hatte der König mit dem, ihm durch Wagner empfohlenen, Herrn v. Neumayr in Angelegenheit der Kabinetsfrage verhandelt und von ihm eine ziemlich befriedigende Antwort mit Vorschlägen zur Neubesetzung erhalten, – alles in dem redlichen Bestreben, ›das Un kraut mit der Wurzel auszureißen‹ und dadurch seine Hauptstadt für den Freund und die Seinigen wieder betretbar zu machen. Und hierzu war es allerdings die höchste Zeit.

Wie entsetzlich um jene Zeit wiederum in der Münchener Presse gegen den Meister und die Seinigen gewütet wurde, davon kann man sich, selbst nach dem früher Angedeuteten (S. 150) doch keinen Begriff machen. Den Herren am Ministertisch und im Kgl Kabinet war ihre bisherige ablenkende Verleumdungs- und Aufstachelungspolitik viel zu gut bekommen, als daß sie nicht – im beständigen täglichen Verteidigungszustand gegen berechtigte Forderungen des Landes – das gleiche Spiel bis zum Halsbrechen hätten fortsetzen sollen. Seit die nie ganz erstickte Angst vor der Möglichkeit einer Rückkehr Wagners durch des Königs Besuch in Triebschen neue Nahrung erhielt, fanden die Angreifer im ›Bayerischen Kurier‹, im ›Volksboten‹ usw. es recht bequem und gefahrlos, sich an seine Freunde zu halten. ›Die Herren Pfordten, Pfistermeister usw. brauchten Sündenböcke; nach Wagners Entfernung wurde uns ungefragt diese Rolle übertragen‹, lesen wir in einem Bülowschen Briefe.8 So brachte der ›Volksbote‹ vom 31. Mai unter anderen gemeinen Verleumdungen die gegen Bülow gerichtete Beschuldigung,


›in dem abgefeimten Wettrennen auf die Kabinetskasse, in der niederträchtigen Weise, wie man den König durch raffinierte Täuschungen zu hintergehen und seinen Namen zu profanieren gesucht, eine elende Rolle gespielt zu haben‹, und die daran geknüpfte Äußerung des ›heißen Wunsches, daß endlich einmal die Komplicendes Rich. Wagner, diese gebrandmarkten Abenteurer, entfernt würden‹.


Gegen diese öffentlichen Beschimpfungen erließ Bülow sogleich am folgenden Tage einen Protest in den ›Neuesten Nachrichten.‹ Außerdem aber fand er sich dazu bestimmt, dem Könige sofort ein Entlassungsgesuch einzureichen und den Redakteur des Blattes, einen gewissen Peter Rothlauf, ›wegen fortgesetzter Ehrenkränkung‹ gerichtlich zu verklagen. Auf das Entlassungsgesuch erwiderte [180] der König mit einem Schreiben voll edler Würde, das er, mit der Berechtigung es veröffentlichen zu lassen, an den Geschädigten richtete. Er versprach darin, ihm gegen jene ›verbrecherischen, öffentlichen Verunglimpfungen‹ ›mit schonungslosester Strenge Gerechtigkeit widerfahren zu lassen‹.9 Für den Empfänger dieses huldvollen Schreibens hatte dasselbe hauptsächlich nur den Wert, daß es ihm ein ehrenvolles Scheiden von München ermöglichte. An eine radikale Erfüllung der ihm darin gemachten Versprechungen vermochte er nicht zu glauben. Nur allzugut war ihm bewußt, wer hinter diesen Zeitungsredaktionen in Wahrheit verborgen war, daß eben diese Blätter ihre Subventionen aus dem Kgl. Ministerium bezogen, ja speziell der Herausgeber des ›Bayerischen Kuriers‹ erst kürzlich für seine Verdienste um das Vaterland mit einem hohen Orden dekoriert worden war! So lange nicht ein völliger Personal- und Systemwechsel erfolgte, war der König tatsächlich gar nicht imstande, die gegebene Zusage (›Bestrafung der Verbrecher‹) zu erfüllen! Selbst wegen des Advokaten, der seine Sache gegen den Peter Rothlauf zu führen hatte, war Bülow in berechtigter Besorgnis. Nach dem persönlichen Eindruck, den er nach kurzem Verkehr von ihm gewonnen, mußte er ihn für einen rechtschaffenen Mann halten: ›aber wer weiß, was eine gewisse Partei ihn einzuschüchtern, ihn zu bestechen, nicht anwenden wird?‹ – Begegnete es doch Anfang Juni (d.h. unmittelbar unter dem Eindruck des obenerwähnten Artikels im ›Volksboten‹) einem bloßen Namensvetter, einem Herrn v. Bülow aus Mecklenburg, der sich kürzlich in München niedergelassen, daß eine Pöbelrotte bei ihm eindrang, ihm die Fenster einwarf und die Möbel zertrümmerte! Erst nach erfolgter Aufklärung des Irrtums zogen die tatenlustigen Bajuvaren wieder ab. Unter diesen Umständen durfte es Bülow schließlich wohl als Genugtuung empfinden, daß gegen Ende des Monats Juni seine Sache vor dem Kgl. Stadtgericht zur Verhandlung gelangte und der betreffende Redakteur nicht etwa freigesprochen, sondern wirklich zu einer Arreststrafe von 3 Tagen und einer Geldstrafe von 10 Gulden verurteilt ward. ›Auf das lächerlich gelinde Strafmaß‹, bemerkt er dazu, ›kommt mir nach ruhiger Erwägung weiter nichts an; die Hauptsache bleibt die Verurteilung, die Verurteilung eines vom Ministerium subventionierten Blattes.‹10

Nicht genug mit diesen Feindseligkeiten am Orte selbst, wurden dann eben dieselben gemeinen Verleumdungen des Meisters und der Seinigen auch noch durch Münchener Korrespondenten in auswärtige Blätter gebracht, so [181] z.B. in eines der Hauptorgane der deutschen Schweiz, den Berner ›Bund‹. Mit Beziehung auf eine derartige Korrespondenz sah sich Wagner veranlaßt, ›wenigstens in andeutender Weise sein seit vorigem Winter unverbrüchlich beobachtetes Schweigen in betreff gewisser Versicherungen zu brechen, welche in München, eben weil ihnen noch nicht widersprochen, mit solcher Zuversicht gegeben und aufgenommen werden, daß (wie aus jener Korrespondenz zu ersehen) selbst der leidenschaftsloseste Beurteiler jener Verhältnisse11 die Wahrheit solcher Versicherungen dennoch als ausgemacht betrachten zu müssen glaubt.‹ ›Wenn ich‹, so fährt diese Entgegnung fort, ›auf Behauptungen, wie: ich hätte »in nicht zu verteidigender Weise die Kasse des Königs mit Sturm belaufen« oder »ein abgefeimtes Wettrennen auf die Kabinetskasse« gehalten, bisher noch in keiner Art entgegnet habe, so ist dies einzig aus dem Grunde geschehen, weil ich mit der Aufdeckung der, jenen Behauptungen zugrunde liegenden Lügen und Verleumdungen notwendigerweise einen Zustand der Dinge und Verhältnisse berühren mußte, mit deren öffentlicher Bezichtigung ich mich in die Lage gebracht hätte, zur Unzeit den Entschließungen und Handlungen meines erhabenen Beschützers vorzugreifen. Da ich von diesen Entschließungen nicht nur meine persönliche Rechtfertigung, sondern zugleich eine bedeutungsvolle, weithin sich erstreckende allgemeine Wirkung zu erwarten gerechtesten Grund habe, so wird es Freunden eines ehrenwerten Benehmens nicht unwillkommen sein, von meinem Schweigen, selbst wenn ich es jetzt noch fortsetze, sich eine vorteilhaftere Meinung zu bilden, als es bisher ihnen möglich zu sein schien, und namentlich hoffe ich, daß auch Ihr geehrter Münchener Privatkorrespondent in Zukunft nach dieser Seite hin mit etwas mehr Vorsicht sich äußere.‹ ›Wir haben‹, fügt die Redaktion des schweizerischen Blattes ihrerseits hinzu, ›von dieser Zuschrift um so lieber Notiz genommen, als uns das Geheul einer gewissen Presse über die Beziehungen des jungen kunstsinnigen Königs zu Richard Wagner, in Anbetracht der meist nichts weniger als edlen und patriotischen Motive, längst mit Ekel erfüllt hat.‹12

Unter solchen Umständen hatte Bülow für sich und die Seinigen kein anderes Asyl, als die stille Zuflucht, die sich der Meister am Vierwaldstätter [182] See erkoren. ›Nach dem Unerhörten, was in München vorgegangen ist und täglich noch vorgeht, riskieren wir vorläufig Lebens- und Eigentumsbeschädigungen. Sonderbar. wir müssen abwarten, bis die Pickelhauben auch in Bayern reine Wirtschaft gemacht; auch unser Heil ruht in Herrn Dreyse aus Sömmerda bei Erfurt‹ (dem Erfinder und Hersteller der preußischen Zündnadelgewehre).

Die entsagungsreiche Periode völliger Einsamkeit im Leben Wagners, deren schmerzliche Krisis wir, am Schluß des vorigen Kapitels, nach den bloß andeutenden Aufzeichnungen einer treuen Dienerin, doch nur sehr unvollkommen miterlebt haben, war damit wenigstens zu einem vorläufigen Abschluß gelangt. Anfang Juni traf Bülow von München aus in dem stillen, weltentrückten Landsitze am Vierwaldstätter See ein; Frau und Kinder waren ihm schon vierzehn Tage früher dahin vorausgeeilt. Das trauliche alte Haus, das sich dem suchenden Meister gerade im rechten Augenblick noch heimatlich aufgetan – sein ›großes Bauernhaus‹ (S. 168) – war nun in seinen beiden Stockwerken bewohnt und belebt: Bülows hatten den oberen Stock, er selbst den unteren inne. Dem Schaffenden, Einsamen ward damit eine, auf allen bisherigen Stationen seines drangsalvollen, wechselreichen Daseins stets versagt gebliebene Wohltat zuteil: die Befriedigung seines tief sehnsuchtsvollen, schmerzlich gesteigerten Verlangens nach einer trauten Familien-Umgebung. ›Das heftige Begehren nach Ruhe und Häuslichkeit‹, sagt H. von Wolzogen, ›deutet auf ein wesentliches Element in der Eigenart des Menschen Wagner hin: war dieser doch überall und selbst in den verworrensten und zerrissensten Augenblicken seines Lebens stets ein so wunderbarer Mensch der Ordnung, der Tagesregel, der Arbeit gewesen. Ruhe und Arbeit vereinigen sich in der deutschen Natur und finden ihre besondere Sphäre in dem lebendigen Behagen eines traulichen Familienlebens.‹ Und was in den Augen der Welt ein bloßer mehrmonatlicher Besuch war und in den gleichzeitigen Briefen Bülows immer nur als solcher bezeichnet wird, hatte doch in Wahrheit eine ganz andere Bedeutung. Die unausbleibliche Entscheidung bahnte sich damit an, durch welche Cosima Liszt sich von ihrem bisherigen Gatten loszusagen hatte, um für Zeit und Ewigkeit die einzig berufene Lebensgenossin dessen zu werden, dem sie als kongeniale Freundin, Beraterin und Gehilfin längst angehörte. Mit dem traurig ernsten Ereignis zu Beginn dieses Jahres, dem Tode Minnas, war auf seiner Seite die starre Scheidewand gefallen; indem sie den hochherzigen Mut bewies, jeder niedrig gehässigen Auslegung zum Trotz, seiner Werbung zu folgen, bezeugte sie sich als seiner wert und ihm ebenbürtig. Doch zog der außerordentliche, an keinem Maßstab des Hergebrachten zu messende Schritt noch gar manche schwere Kämpfe nach sich. Wir vernehmen, daß der Meister und Bülow damals öfter in lauter Unterredung, der eine auf der einen, der andere auf der andern Seite des [183] Zimmers auf und ab gegangen seien. In richtiger Würdigung der Sachlage hatte zwar Bülow von vornherein gegen eine Trennung von seiner Gattin und ihre Verbindung mit dem Meister keine Einwendung zu erheben; doch wünschte er, diese letztere solle nicht unmittelbar nach der ersteren erfolgen, sondern erst nach einer Zwischenzeit von zwei Jahren. Auf so lange sollte Cosima zu ihrem Vater zurückkehren.13 Gerade dies aber war eine Unmöglichkeit: es galt die Erfüllung heilig ernster Pflichten, die keinen Aufschub, keine weitere Verzögerung duldeten. Daß der ganze bedeutungsvolle Vorgang, in diesen schweren Zeiten, buchstäblich unter Feindes Augen sich vollzog, konnte daran nichts ändern. Die eigentümlichen, unerträglich dünkenden Spannungen der ganzen Münchener Periode, so viel Schmerzliches, Aufregendes sie dem Meister und den Seinen gebracht, waren doch in eben dem Maße leichter von ihm ertragen, als in Wahrheit weit tiefer begründete seelische Spannungen, weit ernstlichere Leiden und Schmerzen in jenem tragischen Lebensverhältnis gleichzeitig von ihm und allen Beteiligten bestanden waren, gegen welche alle äußeren Feindseligkeiten sich wie eitel Schaum und Dunst ausnehmen mußten. Für diese galt es die Heilung zu finden. Es war endlich hohe Zeit, dem vereinsamten Gewaltigen, der unter der Verblendung und Lieblosigkeit seiner Zeitgenossen so schwer und so lange gelitten, mit liebevoll sorgender Hand die ihm von den unzähligen Aufregungen und Entbehrungen seines Lebens geschlagenen Wunden zu heilen, den Rest seines Lebens mit allem zu schmücken, was es freundlich zu erhalten vermochte. Wer konnte denn mit solcher Gewißheit die Zahl der ihm noch verbleibenden Lebens- und Schaffensjahre voraussagen, daß ihm zwei davon so ohne weiteres gestrichen werden sollten? Da zu war er nicht mehr jung genug, und jedes weitere Zögern wäre ein frevelndes Spiel mit dem Unersetzlichen gewesen. Im Bewußtsein der wahren Sittlichkeit zu genügen, war hier mit weitblickendem Auge der Bruch mit der konventionellen Sitte zu vollziehen, – ohne Rücksicht auf das verdammende Urteil einer Mitwelt, die sich in ihrem ganzen Verhalten zu dem Genius so unversöhnlich bewiesen, daß sie keinen Anspruch auf ein Opfer erheben konnte, von dessen Wert und Bedeutung sie keine Ahnung besaß. Und doch sollte sich die obige Forderung Bülows – wenigstens in bezug auf den Zeitpunkt – nur allzu buchstäblich erfüllen! Erst volle zwei Jahre später erfolgte die definitive Übersiedelung der edlen Frau an die Stätte ihres Wirkens, so lange hatte der Meister ihre hilf- und segensreiche Anwesenheit zu entbehren.

Über das Leben auf Triebschen während der Sommermonate berichten uns die gleichzeitigen Briefe Bülows mit einiger Ausführlichkeit. ›Seit dem 8. Juni ist Wagner ungeheuer fleißig‹, heißt es in einem derselben.14 ›Ende [184] August wird er den zweiten Akt der Meistersinger fertig komponiert haben – das Instrumentieren geht ihm dann sehr leicht von der Feder. Mir will es scheinen, als ob dieses Werk den Gipfelpunkt seines Genies darstellt. Es ist unglaublich frisch, plastisch, noch reicher im musikalischen Detail als der Tristan: ich verspreche mir davon eine zündende Wirkung im nationalsten Sinne.‹15 Mit tiefster innerer Befriedigung schuf der Meister an diesem seinem Werke, meist von früh acht Uhr bis Nachmittags um fünf auf seinem Zimmer, wo er auch das Frühstück einnahm, und fand sich dann erst um die Speisestunde mit seinen Hausgenossen zum Mahle zusammen, um den Rest des Tages mit ihnen gemeinschaftlich zu verbringen. Nach dem Spaziergang gab es dann in den Abendstunden regelmäßige gemeinschaftliche Lektüre. Bei schönem Wetter wurden auch Bootfahrten auf dem See nach allen Richtungen dieser ›himmlischen‹ Gegend unternommen, sowie Bergpartien auf die umgebenden Höhen16, von denen der Pilatus im Südwesten so dicht an das Haus herantrat, daß man meinen konnte, schon an seinem Fuße zu stehen. In den Vormittagsstunden mußte alles ruhig sein: ›musizieren ist hier nicht möglich, da Wagner komponiert‹, schreibt Bülow von sich. ›Einstweilen lese ich Tacitus, studiere fleißig italienische Grammatik und Konversation, gehe viel spazieren, berühre keine Taste, schreibe keine Note.‹17 Daneben ließ er es sich in seiner unfreiwilligen Muße mit allem Eifer angelegen sein, die gegen den Meister und ihn selbst gerichteten Agitationen in den bayerischen Journalen aufmerksam zu verfolgen, und besuchte zu diesem Zwecke sogar regelmäßig das Luzerner ›Lese-Museum‹. Gegen einen seiner Münchener Schüler, der ihm in diesen Bemühungen beistand,18 verwahrt er sich ernstlichst gegen die falsche Ansicht, als könnten ihn die Äußerungen solcher Organe als sog. ›öffentliche Meinung‹ interessieren. ›Ich muß aber die betreffen den Abscheulichkeiten kennen, weil sie mir den Maßstab des Hasses und der Verfolgungslust unserer Gegner geben; von dieser Erkenntnis allein hängt die Erkenntnis dessen ab, was ich zu tun habe.‹ Schon damals dachte er an eine Übersiedelung nach Florenz, darauf bezogen sich denn auch seine italienischen Studien. ›Zwar habe ich Wagner zugesagt, noch bis zum Oktober warten zu wollen, allein, was wird das nutzen?‹19 Er ermuntert daher den Münchener Freund zu der erbetenen Unterstützung und fügt einmal hinzu: ›Schade, daß wir, die wir hier ohne Nachrichten leben, mehr wissen als Sie.‹20

[185] Mit der hochgehenden politischen Erregung dieses Sommers im Zusammenhang steht ein episodischer Vorfall, der, wenn auch an sich nicht von hervorragender Bedeutung, doch an dieser Stelle nicht mit Stillschweigen übergangen werden soll. Ein dem Meister persönlich unbekannter badischer Patriot, Graf Enzenberg in Karlsruhe – nicht zu verwechseln mit dem reaktionären österreichischen Staatsmanne dieses Namens, dem Adjutanten des Erzherzogs Albrecht – wandte sich an ihn mit einer begeisterten Zuschrift, der Aufforderung zur Schaffung eines vaterländischen Tonstückes, eines Hymnus, mit dessen Klängen viele Millionen ihr teures Vaterland feiern könnten. ›Wir Deutschen haben eine Fahne‹, hieß es in diesem Briefe, ›welche, als der sichtbare Ausdruck einer Idee, in jedem ehrlichen deutschen Herzen unfehlbar die Huldigung des reinsten und erhabensten Gefühles erfährt. Große Eroberungen hat diese, Fahne seit jenen Tagen gemacht, in welchen ihre Verfolgung durch die Verbannung der edelsten Söhne Deutschlands begann. Wie das Kreuz, durch den erhabensten Märtyrer von seiner schmachvollen früheren Bedeutung befreit, heute das Zeichen ist, unter welchem die höchsten Tugenden leben und wachsen, die ehrwürdigsten Erinnerungen ruhen: so hat das Programm dieser Fahne, das seinen Eigner vor Jahren dem Zuchthaus und der Verbannung überwies, sich heute schon in den parkettierten Räumen der deutschen Fürstenschlösser eine, wenngleich vorerst nur geduldete Aufnahme erobert. Wenn sie sänge, die deutsche Fahne, wie würde sie werben!‹ Ihr Schwarz-Rot-Gold deutet dasselbe phantasievolle Schreiben, wie im Hinweis auf ein dreigeteiltes Instrumentalstück, als: Trauer über deutsche Schmach, glühenden Durst nach blutiger Rache, Jubel über den errungenen Sieg. ›O dichten Sie‹, heißt es dann gegen den Schluß, ›diese deutsche Nationalhymne, deren unsere große Fahne noch entbehrt, und geben Sie ihr damit jene demosthenische Beredsamkeit, welche das Härteste selbst, den Ehrgeiz, der Heimatliebe zurückgewinnt!‹ – ›Hochgeborener Herr Graf!‹ erwiderte ihm darauf der Meister (unterm 15. Juni 1866). ›Ihr schöner Brief hat mich tief erwärmt und erfreut. Nehmen Sie meinen innigsten Dank für die edle Meinung, die Sie von mir hegen. Mir ist es längst zur Überzeugung geworden: mit Deutschland steht oder fällt mein Kunstideal. Nur das [186] Deutschland, das wir lieben und wollen, kann mein Ideal verwirklichen helfen. Auch mir schwebt der ernste deutsche Hymnus vor, der schlicht und feierlich unseren Willen zur Tat begeistern möge: nicht Tage des Sinnens, sondern der Augenblick der Begeisterung, der Not, der Entzückung werden mir das Beste eingeben. Die Tage der äußersten Gefahr sind nah: möchten die Fürsten sie begreifen; besser als ihre Diplomaten wird der Sänger ihren Ruf an das Volk auszurichten wissen. Seien Sie gewiß, daß ich Ihrer edlen Mahnung gedenken werde!‹ –

Inmitten der vorrückenden Arbeit am zweiten Akte der ›Meistersinger‹ blieb den kriegerischen Vorgängen, welche ganz Europa in atemloser Spannung erhielten, seitens der Bewohner der Triebschener ›Insel‹ eine lebhafte Teilnahme zugewandt. Mit wahrem Mitgefühl für das ›arme Italien‹ (S. 179) wurde die Nachricht von der Schlacht bei Custozza, die Zurückdrängung der italienischen Armee über den Mincio durch den Erzherzog Albrecht aufgenommen. Dann begann der preußische Kanonendonner im böhmischen Lande, Schlag auf Schlag folgten einander Nachod, Gitschin, Königgrätz, die Besetzung Prags durch die Preußen, – während gleichzeitig die bayerischen Truppen unter Prinz Karl ihre seltsam unrühmlichen, planlosen Kreuz- und Querzüge von Süden nach Norden, von Osten nach Westen ausführten. Daß in der endlich gelieferten ›Anstandsschlacht‹ bei Kissingen (10. Juli) das Blut bayerischer Landeskinder eigens deshalb verspritzt wurde, mm Herrn von der Pfordten auf seinem Ministerposten zu erhalten, war nicht bloß in Bayern ein öffentliches Geheimnis der eingeweihten Kreise!21 Wie zur Rettung der geschlagenen bayerischen Divisionen erschien gerade noch rechtzeitig als deus ex machina der durch die allgemeine Kriegslage begründete Befehl Bismarcks: Oberhessen, Frankfurt, Nassau so rasch als möglich in Besitz zu nehmen, und damit trotz aller Gebote der militärischen Logik auf die völlige Niederwerfung der Bayern zu verzichten.22 ›Gott gebe, daß Bayerns Selbständigkeit gewahrt [187] werden kann‹, schrieb König Ludwig am 18. Juli, nach erfolgter Besetzung von Frankfurt und Darmstadt, an Wagner. ›Wenn nicht, wenn die Vertretung nach außen verloren geht, wenn Wir unter Preußens Hegemonie zu stehen kommen, – dann fort, ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein!‹ So weit war es unter der Leitung desselben Ratgebers gekommen, der in Gemeinschaft mit seinen Genossen die Ausweisung des deutschen Kunstreformators aus München durchgesetzt und das bayerische Volk in seinen breitesten Schichten durch seine bezahlten Preßagenten gegen ihn und die Seinigen aufzureizen fortfuhr. ›Tagtäglich haben mich‹, schreibt Bülow, ›die ultramontanen Pöbelblätter als preußischen Spion verschrieen, mich aller bayernfeindlichen Artikel in norddeutschen Zeitungen beschuldigt,23 kurz meine Wenigkeit zum Sündenbock für die Rechtlichkeit und Schlauheit des Herrn von der Pfordten und die Tapferkeit des Prinzen Karl gemacht. In Bayern wird alles geglaubt, Widerlegungen nützen absolut nichts. Die Roheit und Unwissenheit der zweibeinigen Geschöpfe ist gar zu unglaublich.‹24 ›Ich bin des vielen Redens, Hoffens und Harrens müde und liege deshalb im Streit mit Wagner, der immer noch voll Optimismus. Lassen wir das Volk von den Juden aufgefressen werden, diesen endlichen Besiegern selbst der Preußen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, will ich Dir übrigens melden‹ – der Brief ist (vom 20. Juli) an Alexander Ritter gerichtet, – ›daß wir Drei hier, Wagner inclusive, Bismarck hochleben lassen und daß »delenda Austria« unser gemeinsamer Wahlspruch ist. Bismarck ist für mich die Revolution, die ich meine, »die mein Herz erfüllt«, der große Schüler des großen Meisters, dessen weltgeschichtliches Werk heißen und sein wird: der Sturz des Papsttums. Wagner ist leidlich wohlauf und arbeitet fleißig am 2. Akte der »Meistersinger« (prachtvoll, unglaublich schön, heiter, witzig!). Die ihm und dem deutschen Geiste damit erwiesenen Wohltaten des Königs Ludwig II. müssen für uns so hoch stehen, daß sie uns abhalten, das, was wir fühlen müssen, laut auszusprechen.‹25

Es sollte noch schlimmer kommen, als schließlich die bayerischen Truppen (unter Prinz Karl) aus ihrer Rückzugsstellung dicht vor Würzburg vertrieben, nordwärts über den Main gedrängt und somit von ihrem Vaterlande abgeschnitten wurden. In derselben Zeit war das zweite Reservekorps der preußischen Mainarmee, fast ohne Widerstand zu finden, über Hof und Bayreuth bis nach Nürnberg gelangt. Alle Wege zum Triumpheinzug in München standen ihm offen.26 In diesem entscheidenden Moment wurde denn im ganzen [188] Süden die Kunde von dem Nikolsburger Waffenstillstand mit Jubel begrüßt. Pfordten eilte nach Wien, um daran zu erinnern, daß Österreich durch den Vertrag vom 14. Juni verpflichtet sei, keinen Frieden ohne Beiziehung Bayerns einzugehen. Von Wien herüber kam er dann selbst nach Nikolsburg, fand aber bei Bismarck eine wenig freundliche Aufnahme. ›Ohne Zweifel‹, sagt Fröbel, ›hat unter den damaligen süddeutschen Ministern von der Pfordten die am wenigsten ehrenhafte Rolle gespielt, und wenn er, wie mir Varnbühler erzählt hat, bei den Nikolsburger Verhandlungen von Bismarck mit demonstrativer Geringschätzung behandelt worden ist, so ist ihm das nicht unverdient geschehen. Eine macchiavellistische Politik mag Verräter benutzen; aber sie verachtet auch den Verräter, der ihr dient.‹ Nach Sybel habe Bismarck ihn, der unangemeldet und ohne preußischen Paß durch die Vorposten gedrungen war, mit den Worten empfangen: ›Wissen Sie, daß ich Sie als Kriegsgefangenen verhaften lassen könnte?‹ und ihn dann mit den Bedingungen bekannt gemacht, unter welchen Bayern die Aufnahme in den Friedensvertrag freistünde. ›Pfordten, im höchsten Grade erschüttert und erzürnt, beeilte sich, den österreichischen Freunden sein Leid zu klagen, fand aber dort nur schwachen Trost. Sehr bald entschloß er sich, an dieser Stelle auf Beistand zu verzichten, und, wie die übrigen süddeutschen Staaten, in einer Separatverhandlung mit Berlin sein Heil zu versuchen.‹27

Den geschichtlichen Eindrücken dieser Sommermonate, die für ihn, der das Große in sich trug und überall nur das Schwächliche, Überlebte zusammenbrechen und fallen sah, fast ausschließlich erhebende waren, hat Wagner ein Jahr später in seiner Schrift über ›deutsche Kunst und deutsche Politik‹ einen monumentalen Ausdruck verliehen. Nachdem er von dem belebenden Aufschwung der Freiheitskriege gesprochen, fährt er fort: ›Worin bestand nun der große Undank, mit welchem die deutschen Fürsten den rettenden Taten des deutschen Geistes lohnten? Den französischen Gewaltherrn waren sie los; aber die französische Zivilisation setzten sie wieder auf den Thron, um nach wie vor sich von ihr gängeln zu lassen. Einzig eine Heeresorganisation behielt Preußen bei, welche der Zeit des deutschen Aufschwunges entstammt war: mit diesem letzten Reste gewann die Krone Preußen, zum Erstaunen der ganzen Welt, nach einem halben Jahrhundert die Schlacht bei Königgrätz. So groß war der Schreck vor diesem Heere in allen europäischen Kriegsräten, daß selbst den als mächtigst angesehenen französischen Kriegsherrn das sorgende Verlangen ankommen mußte, so Etwas, wie diese »Landwehr« seiner mit Recht so berühmten Armee einzubilden. Wir sahen vor kurzem, wie das ganze französische Volk gegen diesen Gedanken sich sträubte. Dies also hat die französische Zivilisation nicht zustande gebracht, was dem mit [189] Füßen getretenen deutschen Geiste so schnell und dauernd gelang: ein wahrhaftes Volksheer zu bilden. Sie greift zum Ersatz hierfür zu neuen Gewehrerfindungen, Hinterladern und Infanteriekanonen. Wie wird Preußen dem entgegnen? Ebenfalls durch Vervollkommnung der Gewehre, oder – durch die Benutzung der Erkenntnis seiner wahren, für jetzt von keinem europäischen Volke ihm abzulernenden Machtmittel? – Ein großer Wendepunkt ist seit dieser merkwürdigen Schlacht, an deren Vorabend das fünfzigste Jahresfest der deutschen Burschenschaft gefeiert wurde, eingetreten, und eine unermeßlich wichtige Entscheidung steht bevor. Fast hat es den Anschein, als erkenne der Kaiser der Franzosen diese Wichtigkeit tiefer, als sie die Regierungen der deutschen Fürsten erfassen. Ein Wort des Siegers von Königgrätz, und eine neue Kraft steht in der Geschichte, gegen welche die französische Zivilisation für immer erbleicht.‹28

Vorübergehend sehen wir seine freudig heitere Schaffenslust durch physisches Übelbefinden beeinträchtigt: sein altes Unterleibsleiden, das während jener frühesten schweren Pariser Notjahre seines, sonst so kerngesunden Organismus sich bemächtigt und ihn bis zu seinem Lebensende nicht verließ, bereitete ihm dazwischen immer wieder Belästigungen. Ende Juli schreibt daher Bülow (an A. Ritter): ›Seit einigen Tagen ist der Meister ziemlich leidend. Doppelt traurig, weil er bis jetzt so gut im Zuge der Arbeit war! Zwei Drittel vom 2. Akte der, Meistersinger sind fertig komponiert. Bei Gott – Alles was Ideales im deutschen Geiste noch steckt und Erhaltungswürdiges, das lebt in diesem einzigen Kopfe! Es wird dieses Werk insbesondere das Höchste darstellen, was man unter nationaler Blüte verstehen kann. Du wirst staunen und starren vor Entzücken. Ich habe dieser Wochen eine Art Kunststück gemacht, worauf ich mir etwas einbilde, ein zweihändiges Arrangement des Meistersinger-Vorspiels.‹29 ›Der zweite Akt der Meistersinger‹, heißt es vierzehn Tage später, ›dürfte sicher Ende des Herbstes auch in der Instrumentierung zum Abschluß kommen. Ich glaube mich nicht, unter dem überwältigenden Eindrucke der unmittelbaren Zeugenschaft an dem Vorrücken dieser Komposition, zu täuschen, wenn ich vermeine, daß er damit sein klassischestes (entschuldigen Sie diese Trivialität des Ausdrucks), deutschestes, reifstes und allgemein zugänglichstes Kunstwerk zu schaffen im Begriff ist. [190] Von dem absolut-musikalischen Reichtum, von der Cellini-Arbeit in allen Details können Sie sich keine annähernde Vorstellung bilden. Es ist mir unumstößliches Dogma: Wagner ist der größte Tondichter, ganz ebenbürtig einem Beethoven, einem Bach – und außerdem noch weit mehr. Er ist die Inkarnation des deutschen Kunstgeistes, sein unvergänglichstes Denkmal, auch wenn die deutsche Sprache, vielleicht auch die Musik, eine »tote« geworden sein würde.‹30

Mit Beginn des Spätsommers meldeten sich nun bald noch weitere Hindernisse für ein gedeihliches Wohlbefinden. Es fehlte auch hier an Öfen. Der Monat August trat gleich zu Anfang mit so großer Kälte, so durchdringendem Regen, so wütenden Stürmen auf, daß das Bedürfnis nach diesem Hausgerät sehr fühlbar wurde und die kleine Kolonie von Münchener Exilierten die Köpfe hängen ließ, tiefer als je. ›Es wäre entsetzlich, wenn Wagner wiederum ausziehen, sich aufs neue einrichten, sich neue Ausgaben aufladen müßte, um ein behagliches Asyl für den Winter zu finden. Leider denkt er schon sehr stark daran – wir tun das möglichste, ihn davon abzubringen – denn durch eine besondere Schicksalstücke droht mit diesem Projekt ein furchtbarer Skandal.‹ Somit war unter allen vorhandenen Möglichkeiten die günstigste noch die, das Häuschen mit nächstem – nach Bülows Ausdruck – ›um zu instrumentieren‹, Arbeiter im Hause zu haben und, neben allen dadurch erwachsenen Störungen, auch dafür die Kosten zu tragen.31 Eine unglaubliche Zeit brauchten die Luzerner Arbeiter einzig zur Anlage und Herrichtung eines Kamins im Salon; inzwischen war dieser Hauptraum für den Familienverkehr, mit der Glastür in den Garten, mit Schutt- und Kalkstaub erfüllt, der durch die Ritzen der verschlossenen Tür bis in das angrenzende Arbeitszimmer eindrang. – Noch vor Eintritt dieser Störungen stellten sich in dem einsamen Hause am See zwei Besuche ein. Der eine davon war der, bereits durch Depesche des Königs vom 29. Juli angemeldete seines Adjutanten, des liebenswürdigen Fürsten Thurn und Taxis, zu mancherlei entscheidend wichtigen Besprechungen. Der Bericht des wohlgeneigten und ergebenen Herrn gab – nach Bülows Worten – nur den ›schrecklich zuverlässigen Beweis‹, daß an eine Besserung der Münchener Verhältnisse zur Zeit noch nicht zu denken sei. Im Gegenteil sah sich der Meister gerade dadurch vollends darin bestärkt, von sich aus zur Beruhigung beizutragen, indem er das ihm ›auf Lebenszeit‹ zum Geschenk übergebene Haus in der Brienner-Straße – ›sein Münchener Häuschen‹ – offiziell wieder der Kgl. bayerischen Kabinetskasse [191] zurückstellte, was soviel bedeutete, als für seine dortigen Möbel und Gerätschaften, bis zur völligen Regulierung der Verhältnisse, eigens eine Speichermiete zu zahlen! Der andere, dem ersten fast auf dem Fuße folgende: Besuch war der des konservativen politischen Schriftstellers Konstantin Frantz, einer Persönlichkeit, deren wir bisher noch mit keinem Worte gedacht haben. Dieser originelle politische Denker und Theoretiker, der schon seit den achtundvierziger Jahren die Idee einer europäischen Föderativverfassung gepredigt, hatte sich Wagner zuerst inmitten der Wirren des vergangenen Jahres (1865) durch einen begeisterten Brief genähert: er habe im ›Tannhäuser‹ zu seiner Freude die Grundakkorde des deutschen Wesens erkannt. Dadurch angeregt, hatte Wagner erst die Bekanntschaft seiner Schriften, vor allem seiner so unvergleichlich bedeutenden und originellen ›Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht‹ gemacht, auf Grund deren er ihn nachmals (›in Deutsche Kunst und deutsche Politik‹) als einen der umfassendsten und originellsten politischen Schriftsteller erwähnt, ›auf welchen die deutsche Nation stolz zu sein hätte, wenn sie nur erst ihn zu beachten verstünde.‹ Sehr richtig urteilt Fröbel in seinen mehrfach von uns zitierten Memoiren über die Ursachen der auffallenden Vereinsamung dieses scharfsinnigen, durchaus selbständigen Beurteilers der politischen Weltlage: seine zahlreichen Schriften hätten zu wenig in das Lehrsystem einer bestimmten Partei gepaßt, als daß sie gebührende Beachtung hätte finden können. ›Die Masse der Menschen will nur wissen, was ihr gefällt, in der Politik, was in ihren Kram paßt; und politische Parteien sind unzugänglich für Erwägungen, durch welche eine beliebte Lehrmeinung in Frage gestellt wird. Wenn sie lesen, wollen sie in ihrem politischen Glauben bestärkt sein. Sie lesen darum auch nur die Zeitungen und Schriften ihrer Partei; ihre literarischen Beurteilungen sind Warnungen, die von der Lektüre abhalten sollen, sofern es nicht möglich ist, die Schriften totzuschweigen.‹ Die Fälle von Geist, Kenntnis, Erfahrung, historischem und politischem Wissen, origineller Erfassung der sozialen und nationalen Probleme in seinen Schriften hat nicht verhindern können, daß Frantz bis in seine letzten Lebensjahre unverstanden und bei Seite geschoben blieb und seine Gedanken vielleicht erst nach einem Jahrhundert wieder ausgegraben werden Wenn ihn Fröbel im übrigen an derselben Stelle als einen – bei aller Genialität seiner Gedanken – ›krankhaft gereizten Mann mit vielen Wunderlichkeiten‹ bezeichnet, so ist auch dieses Urteil nicht völlig aus der Luft gegriffen. Acht Tage weilte er damals in Triebschen unter Wagners Dache; genug, um seine ganze Entwickelung, seine Lebensschicksale und -Wendungen auf das Eingehendste kennen zu lernen. In Spanien hatte er eine Zeit lang ein Konsulat bekleidet, seit seiner Rückkehr lebte er im Genusse einer kleinen preußischen Pension mit bescheidenen Ansprüchen an das äußere Leben in dem kleinen Blasewitz bei Dresden. Der erste Eindruck des Mannes auf die [192] Triebschener, erzählte uns später der Meister, sei eine Art Enttäuschung gewesen. Nach seinem literarischen Stil hätten sie eine weltmännische Persönlichkeit von den feinsten Umgangsformen in ihm erwartet. Statt dessen sei er in den gesellschaftlichen Lebensformen von allem Gewohnten abgewichen, bei Tische habe er das Salzfaß umgeworfen, und sei beim Frühstück mit seinem Butterbrot, immer perorierend, im Zimmer herumgegangen, wie er denn überhaupt die Neigung gehabt habe, fast ununterbrochen zu sprechen. So schilderte Wagner den Mann und gab dabei ein fast sichtbares Bild dieses begabten Sonderlings. Er habe ihm so recht zur Bestätigung der Erfahrung gedient, wie in Deutschland das eigentlich Deutsche darauf angewiesen sei in engen, gedrückten, ärmlichen Verhältnissen zu leben. Er entließ den seltsamen Gast mit aller gebührenden Teilnahme, die er ihm auch bei jeder kommenden Gelegenheit bewahrt und bezeugt hat.

Ein Briefchen an Mrazek vom 21. beauftragt diesen, ein beifolgendes Schreiben dem Fürsten von Taxis zuzustellen.32 ›Erkundigen Sie sich sogleich, ob er in der Stadt oder in Berg ist; dann suchen Sie ihn sofort auf: ist er in Berg, so fahren Sie hinaus, – jedenfalls muß der Brief am 24. August in seinen Händen sein.‹ Es handelte sich um die kostbarste aller Geburtstagsgaben, das eigenhändige Original der ›Walküren‹-Partitur (S. 115), welches durch diese Vermittelung dem Könige überreicht werden sollte und wofür ihm dieser bald darauf seinen Dank aussprach.33 ›Sie können dann auch in meinem Auftrage sogleich den Herrn Fürsten bitten, Ihnen zu sagen, wem Sie den Schlüssel und das Haus mit Grundstück übergeben sollen.‹ Mit dem letzteren war das Münchener Haus vollständig geräumt und dem hohen Geber ein für allemal zurückgeliefert; ein Opfer, welches der Meister leichten Herzens seinen Neidern und Verfolgern brachte, um so mehr als deren letzte Stunde nunmehr endlich definitiv geschlagen hatte. Der Prager Friede war geschlossen, mit ihm zugleich aber auch, über den Kopf des Herrn v. der Pfordten hinweg, das – bis zum März des folgenden Jahres – geheim gehaltene Schutz- und Trutzbündnis zwischen Preußen und Bayern, und Ludwig II. richtete am 29. August jenes historisch gewordene Schreiben an den König von Preußen, in welchem er ihm, als zum äußeren symbolischen Ausdruck einer festen und dauernden Freundschaft zwischen ihren Häusern und Staaten, das Anerbieten machte, die ehrwürdige Burg seiner Ahnen zu Nürnberg künftig als einen gemeinschaftlichen Besitz zu betrachten. ›Wenn von den Zinnen dieser gemeinschaftlichen Ahnenburg die Banner von Hohenzollern und Wittelsbach vereinigt wehen, möge darin ein Symbol erkannt werden, daß Preußen und [193] Bayern einträchtig über Deutschlands Zukunft wachen, welche die Vorsehung durch Ew. Königl. Majestät in neue Bahnen gelenkt hat.‹34 Und in neue Bahnen sollte nun auch das Bayerische Staatswesen durch Beseitigung der Männer gelenkt werden, die es bis dahin zu seinem Unheil mißleitet. Wohl hatten diese Personen Ursache gehabt, zu ihrer Selbsterhaltung jede Art von ablenkender Verdächtigung anderer zu betreiben! Es war ihnen nicht genug, im Einvernehmen mit der Jesuitenpartei der Hauptstadt erst Wagner, dann auch Bülow aus München zu entfernen; nicht genug, das bayerische Staatsschiff mit vollendeter bureaukratischer Unfähigkeit auf die gefährlichsten politischen Klippen getrieben zu haben; nein, ihr frevelhaftes Spiel richtete sich unter heuchlerischer Maske der Ergebenheit gegen die Person des Monarchen, in dessen Diensten sie standen. Wir erinnern uns des seltsamen Stichwortes der ›Verleumdung‹, bei welchem das (S. 145 Anm.) von uns mitgeteilte Brieffragment Wagners plötzlich abbricht. Um welche spezielle Verleumdung es sich dabei handelte, das spricht Fröbel offen aus. ›Alles was der König tat und was von seiner Umgebung begünstigt und befördert wurde, war darauf berechnet, ihn von der Welt und den Geschäften fernzuhalten, mißtrauisch zu machen und in den Ruf der Geistesstörung zu bringen, um einen Regierungswechsel notwendig zu machen.‹35 ›Se. Majestät der König‹, schreibt daher Bülow, hart, aber wohlbegründet, in bezug auf die Entlassung Pfordtens, ›hat zum Segen für sich selbst eine der abscheulichsten Bestien seiner Umgebung fortgejagt, deren ganzes Treiben darauf zielte, die Person des Monarchen unpopulär, verhaßt, ja verachtet zu machen und zur – Abdikation zu zwingen. Hätte er länger damit gezaudert, so würde es um ihn selbst schlimm stehen.‹36

Keine schlimmere Verleumdung Wagners ist jedoch zu denken, als die in unzähligen Schriften über ihn kolportierte, daß gerade er die Neigung König Ludwigs zur Zurückgezogenheit begünstigt und ihn somit seinem Volke fern gehalten habe Wer aus Bosheit oder Torheit, jedenfalls aber in völliger Verkennung der Gesinnungen des großen Volksfreundes derartige Behauptungen öffentlich durch Schriften verbreitet, wird wohl wissen, welche [194] besonderen Zwecke er dabei verfolgt; wer ihnen aber Glauben schenkt, der – hat es vor sich selbst zu verantworten! Gerade in den Briefen des Königs an Wagner finden sich wiederholt die entschiedensten Bezeugungen des Gegenteils. Nicht minder in den eigenen brieflichen Äußerungen Wagners. Freunden, die seinen Einfluß auf den jungen Herrscher in irriger Weise beurteilten, hat er dies offen und gerade heraus erklärt: ›Meine Einwirkungen auf unseren königlichen Herrn können sich nur im allgemeinen auf die Richtung beziehen, in welcher ich wünschen muß, daß ein König sich bewege, um, von der Liebe seines Volkes in schwerer Zeit getragen, soweit sich selbst zu befreien, um auch für die Hebung der Kunst energisch und offen eintreten zu können.‹37 Sind auch die Briefe Richard Wagners an König Ludwig auf vorerst nicht abzusehende Zeit dem öffentlichen, wie dem privatesten Einblick verschlossen, so läßt eine Äußerung, wie die vorstehende, über ihren Inhalt auch nicht den mindesten Zweifel übrig. Und so wußte der König selbst sehr wohl, was er schrieb, als er am 6. November 1866, als bereits der erste Schnee zu fallen begann, sich dem Meister dahin mitteilte: ›ich glaube, es wird den Teuersten freuen zu hören, daß ich in einigen Tagen eine kleine Reise in die fränkischen Provinzen unternehmen werde.‹ Es war die bald darauf ausgeführte Winterreise in die vom Kriege heimgesuchten fränkischen Provinzen, nach Bayreuth, Bamberg, Hof, Schweinfurt, Kissingen, Aschaffenburg, Würzburg und Nürnberg, die zu seiner Popularität so wesentlich beitrug. ›Leicht fällt es mir nicht, die Reise jetzt zu unternehmen‹, heißt es in dem obigen Zusammenhange weiter. ›(Aber) ich will mit einem Mal den Dunstkreis der Gehässigkeit, die Wolken der Bosheit und falschen Kunde, welche die Leute geschäftig um meine Person zu verbreiten suchten, auseinander jagen, daß mein Volk erfährt, wer ich bin.‹ Wie nun der König auf dieser winterlichen Reise alle Plätze besuchte, wo Gefechte stattgefunden hatten, die Soldatengräber schmückte, alle Verdienste um die Verwundeten belohnte, wie ihn zu Kissingen und Aschaffenburg die Walfelder und ihre Geschichten, zu Würzburg die noch sichtbaren Zeichen des furchtbaren Ringens erschütterten; und wiederum wie er in Nürnberg verschiedene hervorragende gewerbliche und kunstgewerbliche Anstalten besuchte und auf einem, dortselbst ihm zu Ehren gegebenen Bürgerball sich sogar am Tanze beteiligte und mit den ihm vorgestellten Damen und Herren unterhielt, – das alles finden wir in seinen populären Lebensbeschreibungen38 ausführlich gewürdigt und geschildert. Was aber keiner von diesen populären Biographen gewußt hat und deshalb auch nicht mitteilen konnte, ist die Art, wie gerade Wagner ihn zu dieser Unternehmung ermutigt und eigens veranlaßt hat, und aus der Ferne mit Wotansfreude auf seinen ›Siegfried‹ blickte. Das Bewußtsein, mit diesem Werben um die [195] Liebe seines Volkes im Sinne des großen Freundes zu handeln, klingt in seinen Gegenäußerungen wieder. ›Nicht die Beweise von Liebe und Treue meines Volkes allein‹, schreibt er von dieser Reise am 6. Dezember aus Nürnberg an Wagner, ›sind es, die mich so glücklich machen; mich beseligt der Gedanke, Sein Werk fördern zu helfen, Seinen Willen zu erfüllen; eine Zeile von Ihm, ein Brief der Freundin (S. 166), dies sind die Freuden, die mir teurer denn alles sind.‹

Gegen Ende September war der zweite Akt der ›Meistersinger‹ in der Komposition beendet; am 2. Oktober die musikalische Ausführung des dritten Aktes mit dem weihevoll erhabenen Vorspiel in Angriff genommen, das er so lange von Ort zu Ort im Geiste mit sich herumgetragen! Hier im traulichen Schweizer Asyl sollte es endlich zur Aufzeichnung gelangen. Bülow hatte inzwischen, nachdem er über ein Vierteljahr unter Wagners Dache geweilt, seiner Rückberufung nach München gewärtig, sich privatisierend nach Basel begeben, während seine Familie in Triebschen zurückblieb. Über den wahren, ernsten und bedeutungsvollen Grund dieser Trennung findet sich in Bülows gedruckten Briefen keine Aufklärung; und nicht etwa, weil seine darauf bezüglichen Äußerungen bloß für den öffentlichen Abdruck gestrichen worden wären. Selbst den intimsten Freunden hat es Bülow damals nicht offen bekannt, daß sie, die er vor der Welt immer noch als ›seine Frau‹ zu bezeichnen fortfährt, nicht mehr die Seinige war. ›Leider muß ich‹, so schreibt er aus Basel an A Ritter, wegen Mangel an Wohnung noch Frau und Kinder entbehren. Erstere kommt zuweilen zu den interessanteren Konzerten auf Besuch in meine Garçonbehausung, die übrigens charmant ist ›wiewohl klein‹ Wie wenig er sich und sie durch so vorsichtige Haltung nach außen hin vor den giftigsten Auslegungen zu bewahren vermochte, darüber hat noch kürzlich eine – wenig erfreuliche! – Veröffentlichung von Privatbriefen aus jener Periode belehrt.39

Während die Arbeit Wagners an der musikalischen Ausführung des dritten Aktes der ›Meistersinger‹ in der Particelle stetig vorrückte, wurde die fertige Partitur des ersten Aktes unter seinen Augen kopiert, um dann sofort zum Stich an Schott abzugehen. Zu diesem Zwecke war in der zweiten Hälfte des Oktober ein kaum 24 jähriger junger Wiener Musiker, Namens Hans Richter, nach Triebschen übergesiedelt, den sich der Meister auf Empfehlung Essers und Helmesbergers als musikalischen Sekretär engagiert, eigens um die Kopie der Partitur, späterhin die Stichkorrekturen zu besorgen und anderweitige Dienste dieser Art zu leisten. Seit vier Jahren als Hornbläser im [196] Wiener Hofopernorchester tätig, hatte er damals soeben bei Esser und – Franz Lachner (welcher zufällig, um eine seiner Suiten zu dirigieren, in Wien anwesend war!) die Kapellmeisterprüfung glänzend bestanden, und war nun eines schönen Tages in Triebschen eingetroffen, ohne – bei großer jugendlicher Begeisterung für Wagners Werke – doch eine Ahnung davon zu hegen, welche Bewandtnis es in Wahrheit mit diesen Werken und ihrem Schöpfer hatte und daß dieses vorübergehende Engagement für einen bestimmten Zweck über seine ganze Zukunft entscheiden sollte. Aus seinen Privatbriefen nach Wien gestattete sich damals die Wiener Zeitschrift ›Der Wanderer‹ folgendes Bild von des Meisters ›Lebensweise‹ ihren Lesern vorzuführen, welches mit den Erwähnungen Bülows (S 185) ziem lich genau übereinstimmt: ›Wagner arbeitet den ganzen Tag über in seinem Zimmer und gönnt sich nur Abends einen Spaziergang, auf welchem er gewöhnlich ernst gestimmt ist, während er zu Hause sehr gesprächig, stets voll Humor und zu Scherzen aufgelegt ist. An Sonn- und Feiertagen ist gemeinschaftliche Tafel, an der die Familie Bülow (Frau und Kinder) und der Sekretär teilnehmen; an Wochentagen speist Wagner für sich, gewöhnlich um 4 Uhr. Von den Exzentrizitäten, die ihm seine Freunde und Feinde nacherzählen, ist fast alles erfunden; er läßt sich nichts abgehen, aber von den berühmten 74 Schlafröcken fehlen 73.‹ Während des Nachmittags erwartete der Meister den jungen Freund, um auch diesen vor dem Stubenhocken zu bewahren und ihm eine gesunde Bewegung zu verschaffen, regelmäßig zu einem mehrstündigen Spaziergang, und wenn er auf demselben ›ernst gestimmt‹ und vorherrschend schweigsam war, so erklärt sich das aus einer so tiefernsten Übergangszeit in seinem Leben zur Genüge. Nach Richters eigener späterer humoristischer Erzählung habe nun aber er, damals noch außerordentlich scheu und verlegen, die Verpflichtung gefühlt, zur Belebung der Unterhaltung beizutragen, bei solchen Versuchen aber ungeahnte Qualen erlitten, da ihm durchaus kein ›interessantes Thema‹ einfallen wollte. Eines Tages glaubte er ein solches gefunden zu haben und fragte mit schüchterner Stimme: ›Würden Sie mir wohl sagen, Herr Wagner, welche Oper Sie vorziehen: Tannhäuser oder Tristan?‹ Worauf denn Wagner in ein unbändiges Lachen ausgebrochen sei und, als er sich endlich davon erholt, erwidert habe: ›Mensch, wie können Sie eine so unsinnige Frage an mich richten?‹40 – Nach den gleichen Erinnerungen sei seine Existenz damals in Triebschen die ersten Monate hindurch nicht weiter wesentlich beachtet worden, bis ihm endlich – am Weihnachtstage – die Ehre einer besonderen Einladung zuteil geworden sei. ›Von diesem Zeitpunkt an erfuhr er die liebevolle Behandlung eines »Kindes vom Hause«. Er speiste nicht nur in [197] der Familie, sondern brachte auch die langen Winterabende in ihr zu. Wagner pflegte dann vorzulesen, zumeist E. T. A. Hoffmannsche Erzählungen, die er mit unvergleichlichem Feuer vortrug.‹41

Neben den abendlichen Vorlesungen nahm aber noch eine andere Beschäftigung die Mußestunden des Meisters in Anspruch, der so gern bei einer Arbeit von der andern ausruhte und keinen Augenblick seines Lebens ungenützt verstreichen ließ, sobald es ihm nur vergönnt war, wirklich leben und schaffen zu dürfen. Es war die, ursprünglich auf den Wunsch des Königs42 in Angriff genommene Arbeit an seiner großen, ausschließlich für seine Familie und die allernächsten Angehörigen bestimmten Autobiographie, die er seit dem Sommer dieses Jahres unter mancherlei Unterbrechungen der edlen Freundin unmittelbar in die Feder diktierte. Auch dies eine Frucht der wundervollen Triebschener Jahre mit ihrer vollen beglückenden Einsamkeit und ihrem unvergleichlichen Reichtum an Produktivität!

Nicht das Weihnachtsfest, da ihn Unwohlsein an Basel gebannt hielt,43 wohl aber die letzten Dezembertage44 verbrachte auch Bülow wieder in Triebschen. Er fand den Meister bis zur großen Schlußszene des 3. Aktes vorgeschritten: ›jetzt will er ausruhen, d.h. vom Anfang des 2. Aktes an instrumentieren.‹ Am 1. Januar 1867 ward zu dreien ein gemeinsamer Ausflug nach Zürich unternommen. Hier hatte inzwischen Semper das plastische Modell des, durch den König bei ihm bestellten Nibelungentheaters so weit gefördert, daß es zur Absendung nach München bereit stand. Im Modellzimmer des Züricher Polytechnikums ausgestellt, erregte es einstweilen in den akademischen Kreisen der Stadt und unter den Zöglingen der dortigen Bauschule eine wahre Begeisterung. In seinen charakteristischen Hauptzügen dem nachmaligen Bayreuther Festspielhause entsprechend, war es doch reicher und prachtvoller in der Anlage, wie in den Details, ein wahrhaft königlicher Monumentalbau im edelsten Renaissancestil. Um das eigentliche, alle übrigen Teile an Höhe beherrschende Bühnenhaus lagen (nach der Schilderung Fr. Pechts) vier architektonische Massen: vorn die amphitheatralisch geordneten Sitze für die Zuschauer, nach außen als prächtiges Halbrund hervortretend, das in der Mitte vom Haupteingang durchschnitten war; rechts und links zwei langgestreckte Flügelgebäude, für Konzert- und andere Säle bestimmt; die Rückseite des Ganzen, die Ankleidezimmer und den Malersaal, sowie die Räume zur Aufbewahrung des [198] szenischen Materials umfassend, rechtseitig, fast in Quadratform; das Ganze vom schönsten Reichtum der Grundformen, aber durch die Gleichheit der Dekoration in eine imponierende Einheit zusammengefaßt. Letzteres geschah durch eine umlaufende doppelte Arkadenreihe, etwa wie bei der Bibliothek des Sansovin in Venedig, nur daß die untere Bogenreihe durch Doppelpilaster zwischen Rustica (die in den späteren Werken Sempers die Feinheit der Bauglieder so kräftig und glänzend hervorhebt), die obere durch doppelte Säulen reicher belebt erschien. Für die Ausführung war der Plan entworfen, daß das Gebäude einer überaus zweckmäßigen, vom Saalbau der Residenz aus, parallel der Maximilianstraße, zur Isar führenden und dieselbe auf schöner steinerner Brücke überschreitenden Straße als prachtvoller Abschluß dienen sollte, um als Bekrönung der gegenüberliegenden Uferhöhe den herrlichsten Schmuck der Stadt zu bilden (S. 116). Von der Brücke aus führte auf glücklich komponiertem Terassenbau ein doppelter Weg so majestätisch hinan, daß er – nach den Worten Pechts – ›sicherlich mit der berühmten spanischen Treppe in Rom erfolgreich hätte um die Palme ringen können, wie er das Gebäude um die volle Höhe des Hügels zu vergrößern und aus dem letzteren gleichsam herauswachsen zu lassen schien‹.45 Trotz des stupiden Widerstandes, den die Münchener Bevölkerung, durch Pfaffen und Hofschranzen aufgehetzt, den Absichten des Königs entgegensetzte, hielt dessen hoher Sinn an seinem großen Plane fest. Am 2. Januar 1867 ging das Modell nach München ab; der Verwirklichung des gewaltigen Unternehmens sollten sich aber, immer von der gleichen Seite her, neue Hindernisse in den Weg stellen!

Fußnoten

1 Vgl. dazu: Ges. Schriften VIII, S. 377/78 (›Über das Dirigieren‹).


2 In einem Briefe vom 11. Sept. 1865 aus der ›Degelberghütte‹.


3 C. Beyer, König Ludwig II., S. 125.


4 Bülows Briefe IV, S. 115.


5 Vgl. Fröbel II, S. 406, welcher daran die Bemerkung knüpft: ›der Mann hat freilich Bayern eine europäische Stellung geben wollen, und hätte zu diesem Zweck gern Württemberg, Baden, das großherzogliche Hessen und womöglich auch Tirol annektiert, wozu ihm preußische Gunst erhältlich zu sein geschienen, – wenn er sich nur nicht gleichzeitig vor Österreich gefürchtet hätte!‹ Und wiederum S 435/36: ›Daß im genannten Jahre nicht nur von Bayern, sondern auch von Baden und – nur etwas anständiger – von Württemberg unter geheimem Einverständnis mit Preußen ein bloßer Scheinkrieg geführt worden ist, mit welchem haltlose Politik er ihr gebrechliches Schiff zwischen der Seylla verräterischer Verpflichtun gen und der Charybdis der öffentlichen Meinung ihrer Länder hindurch gebracht haben, ist eine historische Tatsache, die, sie mag zu noch so nützlichen Ergebnissen geführt haben, uns nicht zur nationalen Ehre gereicht.‹


6 In der Tat hat das erwähnte ›Impromptu‹, dessen Gedanke auch in einer Stelle der Schriften Wagners in Prosa angedeutet ist, gleichsam im Sinne einer Steigerung die umgekehrte Reihenfolge: ›Junker, Jude »Jesuit«. Die Prosastelle findet sich in, Religion und Kunst‹, 2. Abschnitt (Ges. Schr. X, 301) und zieht als viertes ›Jod‹ noch den ›Juristen‹ hinzu. Das ›Impromptu‹ ist inzwischen abgedruckt in den ›Gedichten‹ (Berlin, Grote) S. 48.


7 Fröbel II, S. 465/66.


8 An J. Raff. – ›Nach dem unglücklichen Besuch des Königs bei Wagner hatte ich den Vorzug, zugleich als »ami du favori« und als »Prüss« malträtiert zu werden. Die Herren Pfordten, Pfistermeister usw. (nun, wie in Bayern regiert wird, liegt ja aller Welt jetzt klar vor Augen) brauchten »Sündenböcke« usw.‹ w. o. (Bülow, Briefe IV, 135).


9 Leider verbietet uns der Raum einen wörtlichen Abdruck dieses Schriftstückes, so daß wir den Leser für dessen Kenntnis auf die ›Briefe Hans von Bülows‹, Bd. IV, S. 119 verweisen müssen.


10 Übrigens wurde die obige Bestrafung, da Beklagter gegen das Erkenntnis des Stadtgerichts an das Kgl. Bezirksgericht appellierte, in dieser zweiten Instanz vom 13. Nov. 1866 abändernd auf 50 Gulden erhöht (Bülow, Briefe IV, S. 155).


11 Als ein solcher erweist sich der betr. Korrespondent durch seine richtige Beurteilung der Gegner des Meisters. ›Mehr als die drohenden Kriegsgefahren‹, heißt es in dieser Zuschrift, ›erfüllt noch immer die Reise des jungen Königs in die Schweiz fast alle Gemüter mit Staunen, Erbitterung, gemeinen Neid. Wer nur halbwegs sich berechtigt glaubt, schreibt einen Artikel, in dem nicht allein die Person und Handlungsweise des Königs (unter genauester Berechnung, wie weil ungefährdet die Preßfreiheit gehen dürfe) herabgekanzelt, sondern auch Personen in den Kot herabgezogen werden, die durch nichts Weiteres als durch ihre intime Freundschaft mit Wagner, die Zielscheibe des gemeinsten journalistischen Gesudels bilden‹ usw. (›Der Bund‹ Nr. 154 v. 6. Juni 66) -.


12 ›Der Bund‹ Nr. 160 v. 12. Juli 66.


13 Mündliche Mitteilung Alex. Ritters a. d. Verf.


14 An J. Raff (Bülow, Briefe IV, 136).


15 Bülow, Briefe IV, 136.


16 Ebenda S. 118. 138.


17 Ebenda S. 125.


18 E. v. Mihalovich.


19 Ebenda S. 117. 120/21.


20 Auch die übrige – nichtultramontane – deutsche Zeitungswelt, seit Jahren daran gewohnt, mit den Lebensereignissen des großen Reformators ihre Spalten zu füllen, mit den tragischen Katastrophen dieses Lebens die Neugier ihrer Leser zu kitzeln, war mit der seit einem halben Jahre eingetretenen völligen Ruhe wenig zufrieden. Es gab nichts Aufregendes über ihn zu berichten, und das war, trotz des Kriegslärms und der heftigen politischen Erschütterungen des Vaterlandes für ihre Bedürfnisse zu wenig. Es mußte künstlich nachgeholfen werden. Schon zu Beginn des Jahres war daher Wagner, als er kaum in Genf ein Asyl gefunden, auf Rechnung der deutschen Journale nach Paris geschickt worden, wo Mr. Carvalho es an seinem neuerbauten Théatre lyrique (vgl. Band III, S. 224!) angeblich mit dem ›Lohengrin‹ versuchen wollte. Pariser Blätter signalisierten bereits seine erfolgte Ankunft, der ›Temps‹ widersprach. Durch Vermittelung von Wiener Journalen war er von der dortigen Intendanz eingeladen worden, die ersten Vorstellungen seines ›Rienzi‹ zu dirigieren. Er hatte aber dankend abgelehnt – durch dieselben Wiener Blätter. Neben dem allen hatte er aber noch Zeit gefunden, eine ganz neue Oper ›Friedrich von Hohenstaufen‹, ja gar einen ›Wilhelm Tell‹ zu dichten und zu komponieren – ebenfalls in den deutschen Zeitungen!


21 Vgl. die Worte des württembergischen Ministers Varnbühler zu Fröbel: ›Pfordten hat Befehl gegeben, unter allen Umständen eine Schlacht zu liefern, weil er sich sonst nicht halten könne. So sind die Menschen! erst hat Pfordten nichts getan, nun opfert er Menschen, um Minister zu bleiben!‹ ›Ich zweifle nicht‹, fügt Fröbel hinzu, daß der württembergische Minister dem bayerischen tiefer in die Karten gesehen, als aus dieser oberflächlichen Äußerung zu erhellen scheint. Wenn in bezug auf die damalige Kriegführung Prinz Karl von Bayern als Oberkommandant des 7. und 8. Korps der Bundestruppen mit Recht harten Tadel über sich hat ergehen lassen, so glaube ich, daß es ihm weniger an Ehrenhaftigkeit, als an Urteil gefehlt hat. Als von der Pfordten, aus politischen Gründen durchaus eine Schlacht verlangte, weil er bei dem wachsenden öffentlichen Mißtrauen sich sonst keine 24 Stunden länger im Amt er halten könne, habe Prinz Karl geantwortet: die militärischen Gründe seien dagegen; wenn politische Grunde eine Schlacht geböten, so sei das etwas anderes, und eine Schlacht werde geliefert werden. ›Man weiß, wie das dann geschehen ist.‹ (Fröbel II, S. 435. 436/37).


22 H. v. Sybel, Band V, S. 320/21.


23 ›Nach dem Pariser Telegrammwechsel vom 17.-22. Juli hatte Bismarck in den Berliner Zeitungen die Ansicht entwickeln lassen, daß Bayern es vorziehe, mit Tschechen und Kroaten im Bunde gegen Preußen zu kämpfen, anstatt gemeinsam mit Preußen die fremde Einmischung von Deutschland fern zu halten (v. Sybel, a. a. O., S. 300)‹.


24 Bülow, Briefe IV, S. 149.


25 Ebendaselbst S. 128. 129.


26 v. Sybel, a. a. O. S. 335.


27 H. v. Sybel, die Begründung des deutschen Reiches, Band V, S. 300.


28 Ges. Schr. VIII, S 50. 53/54.


29 Dieses Arrangement hatte Bülow schon im Mai in München begonnen und dabei, wie er an A Heintz schreibt, ›häufig aus Verzweiflung die Feder aus der Hand geworfen‹. ›Dergleichen Reduktionen machen schauderhaftes Kopfzerbrechen: alle Details kann man nicht wiedergeben, und läßt man in einer Wagnerschen Partitur das Geringste weg, so wird das Ganze lahm, unplastisch, unverständlich.‹ Nun war er aber selbst mit seiner Arbeit zufrieden. Das bewunderungswürdige, aller Schwierigkeiten der Übertragung spottende Arrangement, von dem hier die Rede ist, leitet nunmehr den Tausigschen Klavierauszug des Werkes ein.


30 An Frau J. Laussot, Briefe IV, S. 141/42.


31 Noch 11/2 Jahre später hören wir die briefliche Klage darüber. Nehme ich später etwas von meiner neuen Oper ein, so sind bereits die Inhaber von Rechnungen für den nötigen Umbau meines Wohnhauses auf diese Ausbeute angewiesen! (1. Mai 68, an Friedrich Schmidt.)


32 Abgedruckt im ›Berl. Tagebl.‹ 24. Juni 1901.


33 ›Still und zurückgezogen feierte ich mit meinem treuen Friedrich (Taxis) auf dem Hochkopf meinen Geburtstag... Dort übergab mir mein Friedrich das herrliche Geschenk des geliebtesten Freundes‹ (3. Sept. 66, an Wagner).


34 Der vollständige Wortlaut des Briefes, durch welchen König Ludwig, seiner deutschen Gesinnung ein so schlichtes und schönes Denkmal gesetzt hat, findet sich bei Sybel, Gründung des deutschen Reiches V, S. 396/97.


35 Dieselben Männer, welche ›Wagner anfeindeten, wo sie ihn nicht benutzen konnten‹, haben ihren Einwirkungen auf den jungen König, das Siegel nüchternster Schurkerei aufgedrückt, indem sie seine, von ihnen beförderten (?) poetischen Kindereien in lächerlichen Übertreibungen unter das Volk brachten. ›Bei meinen damaligen wiederholten Besuchen in München wurden mir Geschichten erzählt, die für mich doppelt betrübend waren, wenn ich annehmen zu dürfen glaubte, daß sie zur Hälfte boshafte Erfindungen, auf einen bestimmten Zweck berechnet, seien‹ (Fröbel II, S. 467/68.)


36 H. v. Bülow, Briefe IV, S. 152.


37 An Friedr. Schmitt, 22. Okt 66.


38 Heigel, König Ludwig II. v. Bayern, S. 184/88.


39 Vgl. E. Istel, Richard Wagner im Lichte eines zeitgenössischen Briefwechsels Briefe des Kapellmeisters Esser in Wien an den Verleger Wagners, Franz Schott, in der Zeitschrift ›Die Musik‹, Jahrgang 1902.


40 Nach mündlicher Erzählung Richters im ›Guide Musical‹ 1893, und hiernach in der Stuttgarter ›Neuen Musikzeitung‹ desselben Jahrganges reproduziert.


41 Ebendaselbst.


42 ›Eine unaussprechliche Freude‹, hatte ihm dieser einst nach Durchlesung der ›autobiographischen Skizze‹ geschrieben, ›würden Sie mir mit einer ausführlichen Beschreibung Ihres Geistesganges und auch äußerlichen Lebens bereiten! Darf ich wohl die Hoffnung nähren, diese meine Bitte dereinst erfüllt zu sehen?‹ (Geschrieben am 28. Mai 1865, in der ›Tristan‹-Wartezeit!)


43 Bülows Briefe IV, S. 162. 168: ›Unmöglich das Weihnachtsfest bei den Meinigen in Wagners Hause zu verleben! Dagegen – im Bette‹


44 Ebendaselbst S. 167.


45 Vgl. Fr. Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts I, S. 189/90.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 174-199.
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