XVII.

Plan zum ›Ring des Nibelungen‹.

[473] Wasserkur in Albisbrunn. – Begnadigungs-Gerücht. – Plan zum ›Ring des Nibelungen‹ als vierteiliges Festspiel. – Günstige äußere Wendung. – Neue Wohnung am Zeltweg. – O. Wesendonck und Frau. – Konzertaufführung der ›Tannhäuser‹-Ouvertüre. – Der ›fliegende Holländer‹ in Zürich. – Sommerfrische auf dem ›Rinderknecht‹. – Mariafeld. – Dichtung der ›Walküre‹. – Alpenausflug.


Mir dieser meiner neuen Konzeption trete ich gänzlich aus allem Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus: ich breche bestimmt und für immer mit der formellen Gegenwart.

Richard Wagner.


Ein mehr als neunwöchiger Kuraufenthalt mit täglichem Wechsel von nassen Einpackungen, Kompressen und kalten Wannen, dazwischen obligaten mehrstündigen Erwärmungspromenaden, von früh 1/26 bis abends um 7 Uhr; dazu Wasserdiät ohne Wein und Bier, ohne Kaffee und Tee, als abendliche Mahlzeit trocken Brot und Wasser, bei strenger Enthaltung von jeder geistigen Arbeit: zu solchem Lose hatte sich der Künstler bis gegen Ende November aus eigenem Antrieb verurteilt, um seinen ›Siegfried‹ in voller Gesundheit zu komponieren. Wie er diese Summe von Entsagungen und nüchternen Langweiligkeiten aushielt? Das beweist die meist gute Laune in dem vollen Dutzend von Briefen, das er allein an Uhlig, im Anschluß an ihren vorausgegangenen mündlichen Verkehr, von Albisbrunn aus gerichtet hat. Der erste in ihrer Reihe beginnt mit den scherzenden, die Situation bezeichnenden Worten: ›Dieser Brief wird Dir sehr gelegen kommen, denn ich schreibe ihn – liegend.‹ Er nennt darin auch seine nächste Kurgenossenschaft: den Uhlig wohlbekannten Kgl. Sächsischen Oberleutnant H. Müller,1 [474] ebenfalls politischen Exulanten, und seinen jungen Freund Ritter. Jedenfalls war er überzeugt, mit allen auferlegten Kasteiungen sich zu nützen, und diese Überzeugung selbst trug das Ihre zu einem erhöhten Wohlbefinden bei. In den ersten Tagen plagte ihn noch, wie eine Krankheit des Kopfes, die hinter ihm liegende ›Theorie und Abstraktion‹ der letzten Jahre, ein ewiges Kreuz- und Querschießen abstrakter, kunsttheoretischer Gedanken, deren Überschuß er gern dem entfernten Freunde zur Verarbeitung Übermacht hätte. Dann schwinden auch diese ›allmählich immer mehr wie graues Gewölk aus dem Hirn‹; ein körperliches Wohlbefinden kommt über ihn, das ihn übermütig heiter aufgelegt macht: ›oft ist mir's, als hätte ich einen angenehmen leichten Rausch, – oh, was ist aller Weinrausch gegen dieses Gefühl des heitersten Behagens, das oft gar keinen moralischen Grund hat‹. Und dazu die umgebende Pracht und Herrlichkeit der Natur. ›Sobald die Luft klar ist, könnte man vor Wonne über diese Aussichten vergehen. Ach, wärst Du hier!‹ Und wieder: ›Wir sitzen im dicken Nebel: soeben komme ich aber von der Albishöhe herunter, wo ich den schönsten Anblick gehabt, seit ich auf einem gewissen Kreuzturme stand: die ganze Alpenkette, vom Säntis bis zum Berner Oberland im hellsten Sonnenlichte, und über alle Tiefen ein dichtes Nebelmeer ausgebreitet, aus welchem die furchtbare Inselwelt herrlich hervorragt. Wie mag es wohl jetzt auf den Räcknitzer Höhen sein?‹

Neben der ›Wasserei‹ und allabendlichen Whistpartie bis nach 9 Uhr, die er mit Karl Ritter und Hermann Müller zu machen pflegte,2 bestand seine Beschäftigung darin, daß er sich – auf dem Papier – mit Zirkel und Lineal ein Haus baute. ›Später‹, fügt er mit Selbstironie hinzu ›werd' ich's in Pappe ausführen.‹3 Wie oft kehrt in seinen Schweizer Briefen der Wunsch nach einer eigenen Häuslichkeit wieder! Der Albisbrunner Plan sollte mit den inzwischen nötig gewordenen Modisikationen erst nach vollen zwei Jahrzehnten bei der Errichtung von ›Wahnfried‹ greifbare Gestalt gewinnen.

Einmal wurde er durch die Nachricht überrascht, er sei vom König von Sachsen vollständig begnadigt worden. Abends, als er eben dem letzten, viertelstündigen Sitzbade entstiegen war, kam atemlos der Postdirektor des benachbarten Ortes Haufen mit einem ganz frischgedruckten Zeitungsblatt in sein Zimmer gestürzt: da stand es buchstäblich zu lesen, da war das Blatt, soeben von Zürich hier eingetroffen.4 Mochte sich nun aber auch die ganze [475] Kurgesellschaft billig darob erregen, so blieb doch der zunächst daran Beteiligte zum Erstaunen des guten Postdirektors gegen die vermeintliche Freudenbotschaft sehr gleichgültig Besser als die arglos biederen Schweizer wußte er, wie die Dinge in Sachsen standen, und ließ sich durch keine wohlfeile Zeitungsente zu voreiligem Jubel verleiten. War doch im Gegenteil soeben noch die Schröder-Devrient – nach erfolgter Trennung von dem ruchlosen Döring mit dem livländischen Edelmann v. Bock neu vermählt – mit ihrem Gemahl, dem nachmaligen livländischen Adelsmarschall, ahnungslos in Dresden eintreffend, sogleich verhaftet und wegen gravierender ›Beteiligung‹ am Mai-Aufstande zur Untersuchung gezogen worden! Zwar wurde diese Untersuchung gegen Ende des Jahres durch die besondere ›Gnade‹ des sächsischen Königs niedergeschlagen; aber ihr Dresdener ›Kriminal prozeß‹ hatte für sie darum nicht weniger unangenehme, ja niederschmetternde Folgen. Wurde sie doch auf Grund desselben noch nachträglich aus Rußland ausgewiesen und dieses Dekret nach vielen vergeblichen Bemühungen und namhaften Opfern von seiten des Herrn von Bock erst im Winter 1854 zurückgenommen! Bis dahin sah sie sich genötigt, größtenteils getrennt von ihrem Gemahl, den im Frühjahr die dringendsten Geschäfte auf sein Gut zurückriefen, als Verbannte in Deutschland zu leben.5 Die Kunde dieses Vorfalles (im Oktober 1851) war um so eher sogleich bis nach Albisbrunn gedrungen, als Wagners Kurgenosse, der sächsische Oberleutnant Müller, in früherer Zeit zu den intimsten Freunden der Künstlerin gehört hatte. Aber auch die kurze, bloß andeutende Nachschrift in einem der Albisbrunner Briefe an Uhlig aus der Mitte desselben Monats: ›Das mit R(öckel) usw. in W(aldheim) ist doch schrecklich;‹6 bezieht sich auf ähnliche Erfahrungen in der teuren sächsischen Heimat. Es war um eben jene Zeit (September 1851) zur Befreiung der politischen Gefangenen des Kgl. Sächsischen Zuchthauses in Waldheim ein Fluchtplan heimlich im Werke gewesen, unter mitwirkender Beihilfe eines wohlgesinnten Teiles der militärischen Besatzung, der sich durch Übernahme der betreffenden Wachtposten der Situation versichern und, wie nicht anders möglich, an der Flucht beteiligen wollte. Außerhalb war der Plan mit Eifer und Vorsicht durch wenige vertraute Freunde vorbereitet und unterstützt, am eifrigsten durch jenen, bereits erwähnten Dr. Florenz Schulze und die bekannte Schriftstellerin Claire von Glümer, deren Bruder als Leidensgenosse Röckels in Waldheim schmachtete. Mehrere Mitgefangene [476] hatten die Beteiligung abgelehnt, die meisten aus Ängstlichkeit, der edelmütige Heubner, weil er durch eine eigenmächtige Entfernung aus dem Gefängnis seinen, bei Übernahme der provisorischen Regierung dem Volke geleisteten Eid gefährdet glaubte. Ein unglücklicher Zufall führte wenige Tage vor dem bestimmten Termin (1. Oktober) zur Entdeckung des Anschlages; es regnete neue Strafverfügungen, Dr. Schulze erhielt sechs Monate Arrest, Röckel aber zwei volle Jahre strenges Isoliergefängnis. Darauf bezieht sich Wagners brieflicher Ausruf. Unter Umständen dieser Art mußte er freilich einer an sich so natürlichen Botschaft gegenüber, wie der seiner politischen Begnadigung, mit Recht sich kühl verhalten. Wäre doch seine – durch einen solchen Begnadigungsakt kundgegebene – Bevorzugung vor anderen nach seinem eigenen Urteil ein ›auffallendes Zeugnis der Willkür‹ gewesen! Wie die Dinge lagen, durfte er seine künstlerischen Hoffnungen (denn nur diese kamen für ihn in Betracht) immer noch eher auf eine, noch immer von ihm erwartete große europäische Umwälzung, als auf eine ihm zu gewährende Amnestie begründen. ›Die Zeit dünkte mich nichtig‹, sagt er selbst in späterem Rückblick auf diese Periode ›und das wahre Sein lag mir außer ihrer Gesetzmäßigkeit. Da ich so gar keine Freude am Bestehenden hatte, und für seine Dauer mich so gar nicht verpflichtet fühlte, stellte ich mir denn die Möglichkeit vor, daß einmal, vielleicht über Nacht, ein Zustand einträte, der verschiedenem Herrlichen, und unter diesem auch unseren vortrefflichen deutschen Theatern, ein Ende machen könnte. Ich stellte mir dieses bedauerliche Ereignis in meiner Weise nicht unergötzlich vor: in welchen Zustand die Theater-Intendanten und -Direktoren geraten möchten, kümmerte mich wenig, da sie jedenfalls etwas Anderes besser verstehen mußten und es demnach an ihrem weiteren richtigen Unterkommen nicht fehlen würde. Auch die meisten unserer Schauspieler und Sänger nötigten mir keine große Teilnahme ab; sie waren als Schneider, Friseure, Ladendiener, oder auch Kalkulatoren und Kontoristen recht gut und tüchtig zu versorgen. Am allerwenigsten beklagte ich aber den eigentlichen wilden Komödianten und Musiker; wo mir beim Theater noch etwas Tröstliches aufgestoßen war, hatte ich es unter diesen verlorenen Kindern unserer modernen bürgerlichen Gesellschaft angetroffen. Diese waren nur zu dem Bewußtsein der Würdigkeit ihrer Leistungen zu erheben, wozu es keiner anderen Anleitung bedurfte, als sie zur Lösung einer würdigen Aufgabe auf den richtigen Fleck zu stellen; und für sie, die wie Zigeuner durch das Chaos einer neuen bürgerlichen Weltordnung umherstreifen sah, wollte ich nun meine Fahne aufpflanzen.‹7 Die Vorstellung, auch den ›jungen Siegfried‹, wie er seinem gestaltenden Geiste vorschwebte, nur einigermaßen entsprechend in Weimar – oder sonstwo – aufführen [477] zu können, ward ihm immer mehr zur tiefgefühlten Unmöglichkeit. ›Ich mag und kann jetzt nicht mehr die Marter des Halben durchmachen‹, ruft er Uhlig zu.8 ›Ach, wenn ich den Liszt noch aus seinen Hofillusionen herausbekäme, das wäre vortrefflich: es gehört eigentlich noch zu meinen Werken. Mein Weimarischer Siegfried wird immer problematischer, – nicht aber der Siegfried selbst: denn soviel ist gewiß, ich mache nur noch in der Kunst, ausgenommen etwas entschiedenes Menschentum.‹9

Wie seltsam! Hier auf der Höhe seines Kurortes, mitten unter Wannenbädern, Kompressen und Einpackungen, gelangte in ihm auf einsamen Gebirgsspaziergängen der Plan zum vollständigen ›Ring des Nibelungen‹ zu letzter Reise. Um ›Siegfrieds Tod‹ zu ermöglichen, hatte er den ›jungen Siegfried‹ gedichtet; aufs neue wiederholte sich nun an diesem dieselbe Erfahrung: der große Zusammenhang, der seinen Gestalten erst ihre ungeheure, weitreichende Bedeutung gab, blieb immer nur durch epische Erzählung, durch Mitteilung an den Gedanken, an die reflektierende Kombination des Zuschauers mitzuteilen. Von jenem ganzen, vollen Nibelungenmythos, wie er ihn als sein dichterisches Eigentum im Herbst 1848 in seiner Dresdener Einsamkeit entworfen, war in diesen beiden Werken nur ein Bruchteil, eine Hauptkatastrophe, in die ›Sinnlichkeit des Dramas‹ aufgegangen. Er sah jetzt, er müsse, um vollkommen von der Bühne verstanden zu werden, den ganzen Mythos plastisch ausführen. Das Schicksal der Eltern seines Helden, Siegmunds und Siegelinds, der Kampf Wotans mit seiner Neigung und der in Fricka verkörperten Sitte, der herrliche Trotz der Walküre, der tragische Zorn, mit dem Wotan diesen Trotz straft: dieser ungeheure Reichtum von Momenten in ein bündiges Drama zusammengefaßt, mußte zugleich eine Tragödie von erschütterndster Wirkung sein. Den nunmehrigen drei Dramen hatte jetzt nur noch ein größeres Vorspiel vorauszugehen, um der Sache ganz auf den Grund zu kommen. Damit stand aber auch der Aufführungsmodus fest: an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit einem Vorabend, zu einem Feste, welches eigens zum Zwecke eben dieser Aufführung zu veranstalten wäre.10 ›An eine solche Aufführung kann ich erst nach der Revolution denken; erst die Revolution kann mir die Künstler und die Zuhörer zuführen. Die nächste Revolution muß notwendig unserer ganzen Theaterwirtschaft das Ende bringen; sie müssen und werden alle zusammenbrechen, das ist unausbleiblich. Aus den Trümmern rufe ich mir dann zusammen, was ich brauche; ich werde, was ich bedarf, dann finden. Am Rheine schlage ich dann ein Theater auf und lade zu einem großen dramatischen Feste ein; nach einem Jahre Vorbereitung führe ich dann im Laufe von vier Tagen mein ganzes Werk auf: mit ihm gebe ich den Menschen der Revolution dann [478] die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen. Dieses Publikum wird mich verstehen; das jetzige kann es nicht. So ausschweifend dieser Plan ist, so ist er doch der einzige, an den ich noch mein Leben, Dichten und Trachten setze. Erlebe ich seine Ausführung, so habe ich herrlich gelebt; wenn nicht, so starb ich für was Schönes. Nur dies aber kann mich noch erfreuen!‹11

Nicht die Aufführung seines Werkes, sondern dessen Ausführung mußte ihm nun zunächst am Herzen liegen. Dazu gehörte vor allem für eine Reihe von Jahren eine ruhige, vor materiellen Sorgen gesicherte Existenz. Und auch zu dieser schien sich, ohne Beihilfe des Weimarer Hoftheaters, eine unverhoffte Grundlage zu bieten. Ein glücklicher Vermögensfall in der ihm so eng befreundeten Familie Ritter, bestehend in einer ganz unerwarteten Erbschaft von nicht unansehnlichem Betrage, sollte der edlen Frau endlich den längst gehegten Gedanken eines ihm zu widmenden Jahrgeldes ermöglichen, für dessen Ausführung sie ehemals um Bundesgenossen geworben und den sie nun – zu inniger Befriedigung ihrer selber, wie ihrer ganzen, dem Meister so feurig ergebenen Familie – unabhängig von fremder Mithilfe, aus ihren eigenen Mitteln und Kräften ins Werk setzen konnte. Auch diese äußere Entscheidung, gerade wie die innere für die Ausführung seines ungeheuren Werkes, fällt in dieselbe Albisbrunner Periode. Der junge Ritter, sein Kurgenosse, konnte ihm die erste Mitteilung davon machen. Welch hohen Wert er dieser großmütigen Anerbietung beimaß, mit welcher Unbedenklichkeit er sie gerade in diesem Augenblick entgegennahm, im Bewußtsein, daß die Sorge für seine Existenz und sein Wohlergehen zugleich die Förderung des Höchsten in sich schloß, das in ihm verkörpert war, zeigt sich in seinen, an Uhlig gerichteten Worten: ›Daß der Vermögensfall in die Rittersche Familie gerade jetzt traf, muß mir fast providentiell erscheinen. Das Jahrgeld, das mir Frau Ritter zuweist, wird mir jetzt zu einer machtvollen Wehr gegen den Andrang der Halbheit und Gemeinheit, sowie zu einer furchtbaren Waffe gegen alle Mattherzigkeit der heutigen Kunstwelt. Auch ohne diesen Fall – soweit kennst Du mich wohl – wäre ich nicht einen Schritt von meiner Bahn gewichen; auch die neueste Krisis in meinem künstlerischen Vorhaben würde sich nicht um ein Haar anders entschieden haben, als es so geschehen ist. Nur hätte ich dann all dies unter Mühen, Sorgen und Kämpfen von der Art zu bestehen gehabt, daß ich in trüber und bitterer Stimmung an das gehen mußte, was ich jetzt mit höchster Heiterkeit angreife.‹12

[479] Mit seiner neuen Konzeption war er nun gänzlich aus aller Beziehung zu dem vorhandenen Theater und Publikum herausgetreten: ›ich breche bestimmt und für immer mit der formellen Gegenwart‹. Dazu gehörte nun auch die förmliche und offizielle Lösung seines mit Weimar im Betreff des ›jungen Siegfried‹ geschlossenen Vertrages. Erst jetzt, mit dieser Erklärung zusammen, konnte er auch Liszt die so lange zurückbehaltene vollendete Dichtung dieses letzteren Werkes mit leichtem Herzen zusenden; erst jetzt, in der frohen Gewißheit, ihr Empfänger brauche sie nun nicht mehr mit der Sorge zu durchlesen, die ihm die Vorstellung ihrer szenischen Verkörperung auf dem Weimarischen Theater notwendig hätte verursachen müssen. Am 20. November versiegelte er das dicke Weimarische Paket: es enthielt einen drei Bogen starken Brief an Liszt;13 einen Brief an den Weimarischen Intendanten Zigesar und die für Liszt bestimmte Abschrift des ›jungen Siegfried‹. In seinem Briefe an Liszt dankt er diesem zunächst mit gerührter Ergriffenheit für dessen, ebenfalls in der Wasserheilanstalt an ihn gelangtes Buch über ›Tannhäuser und Lohengrin‹, und eröffnet ihm sodann seinen großen künstlerischen Plan; in seinem Schreiben an Zigesar spricht er auch diesem in gerührtester Weise seinen Dank für die wohlwollende Absicht aus, die ihn bei der Abschließung jenes Vertrages geleitet. Als Einlage enthielt dieser Brief zugleich die Rückerstattung derjenigen Summe, 200 Taler, die er in Gemäßheit desselben bereits für die Komposition des ›jungen Siegfried‹ im voraus empfangen hatte. Nun erst fühlte er sich auch in dieser Hinsicht frei und leicht. Er hatte jetzt nur noch den Schluß der ›Mitteilung an meine Freunde‹ dahin zu ändern, daß die Ankündigung seines großen Vorhabens diesem autobiographischen Vorwort als würdiger Abschluß dieses Lebensberichtes bereits mit einverleibt würde. Er durfte es jetzt, statt mit dem Hinweis auf einen Weimarischen ›Siegfried‹, mit dem vollständig mitgeteilten Plane seiner viertägigen Festaufführung beschließen: ›Wenn meine Freunde die Gewißheit fest in sich aufnehmen, daß ich bei diesem Unternehmen nichts mehr mit unserem heutigen Theater zu tun habe, so geraten sie dann mit mir endlich wohl auch darauf, wie und unter welchen Umständen es ausgeführt werden könnte, und – vielleicht erwächst so mir auch ihre einzig ermöglichende Hilfe dazu. – Nun denn, ich gebe Euch Zeit und Muße, darüber nachzudenken: – denn nur mit meinem Werke seht Ihr mich wieder!

Ein viertägiger Besuch Minnas hatte seine Albisbrunner Einsamkeit unterbrochen. ›Wär' meine Frau nicht, ich bliebe den ganzen Winter hier‹, hatte er kurz zuvor an Uhlig geschrieben. Nun heißt es: ›meiner Frau zulieb habe ich nun bestimmt, daß ich Sonntag am 23. November wieder heimkehre: [480] den 24. ist unser fünfzehnter Hochzeitstag.‹14 Auch eine drastisch heitere Schilderung dieser Familienfeier im Freundeskreise treffen wir an, – unter dem speziell diätetischen Gesichtspunkt, der gerade Uhlig besonders interessierte. ›Vorigen Montag, an unserem Hochzeitstage, war abends meine Eidgenossenschaft bei mir: sie soffen wie immer, und mein Ekel vor diesem Weingesaufe hat mich vollends davon überzeugt, daß ich wirklich kuriert bin. Meine unverwüstliche Heiterkeit und immer gute Laune – die auch jetzt, trotz meines Angegriffenseins von der zuletzt etwas starken Kur nicht nachläßt – gibt mir immer als Antwort auf alberne Spöttereien ein, daß ich z.B. den Wein durchaus nicht nötig hätte, um lustig zu sein, es gehe ganz vortrefflich ohne folgenden Katzenjammer ab usw.‹ ›So schwelge ich denn im Genusse eines Wohlseins, von dem ich zuvor noch keine Ahnung hatte. Die Kur hat Wunder an mir bewirkt: meine Kopfheiterkeit und Wohlsühligkeit des ganzen Leibes erschließen mir eine neue Welt. Ich begreife nicht mehr, welches Unglück mich treffen müßte, daß ich je wieder zum Wein, Bier usw. meine Zuflucht nähme.‹ So setzte er denn auch während des Winters seine kalten Wannenbäder fort, und blieb ›Wassermann‹ auch in der übrigen Diät: früh trockenes Brot mit Milch, abends sogar nur mit Wasser; mittags englische Küche, in Wasser gekochte Gemüse und Braten vom Spieß, den seine Frau hierfür eigens anschaffen mußte.

Die Feier des fünfzehnten Hochzeitstages mit ›Eidgenossenschaft‹ und ›Weingesaufe‹ hatte bereits die neue Wohnung am Zeltweg, in den vorderen Escherhäusern zum Schauplatz: es war eine Parterrewohnung, zwar sehr klein, aber still und traulich.15 Das sollte nun die häusliche Umfriedigung sein, in der sein gewaltiges künstlerisches Vorhaben sich aus innerstem Kern heraus gestaltete, die Geburtsstätte seines größten, umfassendsten Werkes. Wenn wir von seiner ersten hoffnungsvollen Dresdener Niederlassung in der Ostra-Allee absehen, aus der uns ähnliche Äußerungen vorliegen, so ist es das erstemal, daß die bloße häusliche Umgebung, verbunden mit seiner damaligen heiteren Erregung, ihm die täuschende Empfindung der Möglichkeit eines dauernden Wohlgefühls vorzauberte. Mit einer wahren Kinderlust schleppte er sich – nach seiner eigenen Schilderung – täglich etwas herbei, um seine ›Flüchtlingswirtschaft‹ vollständiger und angenehmer zu machen. So ließ er sich jetzt erst aus Dresden seine sämtlichen Partituren und anderweitigen Musikalien nachschicken,16 und, wie zum völligen Abschluß der nun hinter ihm liegenden, zweijährigen schriftstellerischen Periode, seine literarischen [481] ›sämtlichen Werke‹ rot einbinden: ›schon sind's fünf Bände, die drei Operndichtungen werden den sechsten liefern‹.17 Von Liszt erbat er sich als Weihnachtsgeschenk dessen Medaillon, wonach es ihn schon längst verlangt hatte: ›hast Du ein recht gutes Portrait von Dir, so bitte ich Dich auch um das: Du brauchst dich nicht zu schämen, an meiner Wand zu hängen; bis jetzt hängt da außer dem Corneliusschen Nibelungenblatte nur noch Beethoven‹.18 Über das Schicksal seiner schönen, für seine Bedürfnisse sorgfältig ausgewählten Dresdener Bibliothek, die ihm von seinem eigenen Schwager Brockhaus – als Pfand für eine ältere Schuld! – nach Leipzig entführt worden war, beruhigte er sich damals mit der Hoffnung auf ihre baldige Auslösung:19 er hat sie unseres Wissens nie wieder zu sehen bekommen. In dieser mit Lust und Liebe eingerichteten Häuslichkeit am Zeltweg stand dem Meister die vor fünfzehn Jahren ihm Angetraute als freundliche Wirtin und sorgliche Hausfrau nach bestem Vermögen zur Seite; sie liebte (nach Frau Willes Schilderung) die Geselligkeit und atmete auf in den nunmehr so erfreulich gesicherten Verhältnissen. Trotzdem behaupten die Züricher Freunde, sie habe den Verlust der Dresdener Hofkapellmeisterschaft nie überwunden. ›Rienzi, der die Ursache dieser Berufung war, sei für sie unter allen Werken Wagners das Höchste geblieben; gegen die neuen Schöpfungen ihres Mannes habe sie sich skeptisch, abweisend verhalten.‹ In diesem tiefgreifenden Mißverhältnis sei auch der Kern der allmählich eintretenden Entfremdung beider Gatten zu suchen. ›Sie hatte ihm in ihrer Jugend viel geleistet, Sorge und Not mit ihm geteilt. Aber niemand vermag über sich selbst hinaus zu gehen, auch für den Begabtesten gibt es eine Grenze; deshalb soll sich keiner überheben. Er selbst war frei davon, und tiefes Mitleid mit der Unglücklichen, die ihm nicht mehr zu folgen vermochte, beseelte ihn bis zu ihrem Lebensende.‹20 Dennoch entringt sich ihm, der sich in seiner Albisbrunner Öde so wohl gefühlt, daß er den ganzen Winter dort allein hätte bleiben mögen, im Laufe eben dieses Winters aus der verschwiegensten Tiefe der Seele wieder manch schmerzlicher Klagelaut. Die gute Laune läßt nach, und er hält seine vorausgegangene heitere Aufregung mehr nur für eine, ›Überreizung seiner Vitalität‹. ›Um den Wiedergewinn meiner Jugend, um Gesundheit, Natur, ein rückhaltlos liebendes Weib und tüchtige Kinder – sieh! gebe ich all meine Kunst hin! Da hast Du sie! Gib mir das Andere! – –‹21

Konnte bei der Begeisterung, die ihm sein großer Plan einflößte, von außen her noch irgendetwas zu seiner Erhebung und Bestärkung in seinem [482] vermessenen Vorsatz beitragen, so war es die unbedenkliche Aufnahme seines kühnen Unternehmens durch den Weimarer Freund. Gerade hinsichtlich seiner war er, bei aller hingebend liebevollen Sympathie seines großen Herzens, nicht völlig gewiß gewesen, wie gerade er, nach seinem besonderen Wesen, sich zu einem so außerordentlichen, ja exzentrisch dünkenden Vorhaben verhalten könnte. Liszts enthusiastische Aufnahme seines Gedankens, das unbedenklich in ihn gesetzte Vertrauen bereitete ihm eine unsägliche Freude: ›jedem, der mir nur irgend nahe steht, zeigte ich Deinen Brief, und sagte ihnen: seht, solch einen Freund habe ich!‹ Immerhin konnte er sich der Einsicht nicht erwehren, die ›bodenlose Tollkühnheit‹, seine produktiven Kräfte auf unabsehbare Zeit einem, auf den bestehenden Operntheatern unausführbaren Werke zu widmen, würde von niemand so voll empfunden, als von ihm selbst Liszts kurz darauf geäußerter Hoffnung: er werde, wenn er sich bald dazu aufmachte, vielleicht noch früher als in drei Jahren mit dem ganzen Werke fertig sein ›und seine praktische Erfahrung werde ihn gewiß davor bewahren, etwas Unbestellbares zu schreiben‹,22 mußte er bereits mit der Erklärung entgegnen, dessen teilnehmende Freundschaft sehe wohl, hinsichtlich der Aufführung der Nibelungendramen, die Zukunft für ihn zu heiter an. ›Ich rechne auf ihre Aufführung gar nicht, wenigstens nicht, daß ich sie erleben werde, und am allermindesten in Berlin und Dresden Diese und ähnliche große Städte mit ihrem Publikum sind für mich gar nicht mehr vorhanden. Ich kann mir unter meiner Zuhörerschaft nur eine Versammlung von Freunden denken, die zu dem Zwecke des Bekanntwerdens mit meinem Werke eigens irgendwo zusammenkommen, am liebsten in einer schönen Einöde, fern von dem Qualm und dem Industriepestgeruche unserer städtischen Zivilisation. Wenn ich mich jetzt zu meinem großen Werke wende, so geschieht dies wahrlich nur um Rettung vor meinem Unglück zu suchen, Vergessen meines Lebens! Nichts anders habe ich vor, und glücklich will ich mich schätzen, wenn ich nicht mehr weiß, daß ich vorhanden bin.‹23

Der dichterischen Ausführung seines Werkes ließ sich in keiner Weise durch Übereilung Gewalt antun; es mußte mit allen Einzelheiten und deren ganzem inneren Zusammenhange in seinem Geiste reisen, und er war eher geneigt, alles von sich fern zu halten, was ihn auf seine große Dichtung bringen könnte, um dem Dinge eben – zumal beim Winterfrost – Zeit zu lassen. ›Den Winter‹, schreibt er am 20. Dezember dem alten Heine, ›werde ich (nach ärztlicher Vorschrift) in möglichst behaglichem Faulenzen zubringen, dem einzigen, was mir noch etwas schwer fällt, um so vollkommen gerüstet und genesen im Sommer an das größte Werk meines Lebens zu gehen.‹ Durch Uhlig hatte er sich noch von Albisbrunn aus die von der [483] Hagensche Ausgabe der altnordischen ›Wölsungasaga‹ zu nochmaliger Durchlesung aus der Dresdener Kgl. Bibliothek erbeten; da die Kgl. Bibliothek entflohenen ›Revolutionären‹ billigerweise keine Bücher auslieh, mußte es Uhlig auf seinen Namen entnehmen und ihm in die Schweiz zusenden, wo es am 3. Dezember eintraf. Kaum drei Wochen später erfolgt schon die Mahnung um eine schleunige Rücksendung wegen Ablauf des Termines, wiewohl er in der Zwischenzeit noch kaum zur Durchsicht des Büchleins gelangt war. ›Schnell habe ich nun die Sage noch einmal überblickt, und dabei ersehen, daß ich sie allerdings gar nicht mehr nötig gehabt hätte.‹24 Wir erwähnen diese kleine Episode nur um ihres charakteristischen Schlusses willen, – wie oft hat es sich wiederholt, daß bei der Durchlesung eines Buches ihm ein dichterischer Stoff in allen Details entgegengetreten war, den er bei der Rückerinnerung daran in dem Buche gefunden zu haben vermeinte, der sich aber bei späterer Wiederlesung so sehr als sein geistiges Eigentum erwies, daß er sich an dem gesuchten Orte schlechterdings nicht wieder antreffen lassen wollte. So war auch in diesem Falle der Kern der Sage sogleich in seiner entscheidenden Gestalt von ihm erfaßt und aufgenommen, so daß die nochmalige Durchsicht ihm nichts Neues mehr brachte. Frau Wille berichtet in ihren Erinnerungen von dem in altdeutscher, nordischer und angelsächsischer Weisheit tief gelehrten Züricher Professor Ludwig Ettmüller, einem wunderlichen Heiligen mit langem, gleichsam von nordischem Eise starrendem weißen Bart, der ihr zu einer Zeit, wo sie noch nicht mit dem Meister verkehrte, von dessen Anwesenheit in Zürich erzählt habe: ›der berühmte Komponist studiere die Edda und nordische Heldensage und suche Anweisung und Erklärung, weshalb er ihn oft sehe‹. Gewiß ist, daß der Dichter des ›Siegfried‹ gleich von seinem ersten Eintreffen in Zürich an auch mit dem, in der Tat hochgelehrten Manne verkehrt hat, dessen Schriften er schon von seinen Dresdener Studien her kannte. Ob er indes seiner mündlichen ›Anweisung und Erklärung‹ in Wahrheit etwas Erhebliches zu verdanken gehabt habe, können wir nicht entscheiden und möchten es, da kein weiterer Anhaltspunkt dafür vorliegt, eher bezweifeln. Es gehörte eben zu seiner besonderen Befähigung im Verkehr mit Freunden und Bekannten, daß er bei jeder Begegnung für jeden etwas Eigenes, für ihn Passendes in Bereitschaft hatte, um ihn darüber zu befragen und zu Worte gelangen zu lassen: wer in irgendeinem Wissenssache zu Hause war, konnte gewiß sein, bei solchem Anlaß ernstlich von ihm beachtet und angehört zu werden; worauf er dann freilich der empfangenen Belehrung durch den wissenden Spezialisten, oft zu dessen wahrem Erstaunen, meist eine eigene, tiefer eindringende und begründete Auffassung des Gegenstandes gegenüberzustellen hatte. Noch immer war damals [484] sein Interesse an Feuerbach ein lebendiges; am 3. Dezember meldet er Uhlig: ›Heute habe ich an Feuerbach geschrieben; ich arbeite mit Herwegh daran, ihn hierher zu bekommen. Zunächst soll er uns besuchen. Gelingt es, so wird der Kreis immer anziehender und reicher.‹ Am gleichen Tage schrieb Herwegh, im Einverständnis mit dem Meister, an Feuerbach die einladenden Worte: ›Ich möchte wohl, daß Du Dich entschlössest, einmal einen Sprung in die Schweiz zu machen, kann aber leider kein anderes Motiv für Dich anführen, als mein persönliches unbeschreibliches Verlangen, das freilich Wagner im höchsten Grade teilt. Seit mein Freund Bakunin tot ist,25 kenne ich keinen Menschen mehr, der ein wirklich revolutionäres Naturell, nach der Gefühls-, wie nach der Verstandesseite hin besitzt, als Dich und Wagner.‹26

In der Tat genoß Zürich eben damals einer Periode des Aufschwunges; die großen politischen Erschütterungen der deutschen Staaten hatten das ihre dazu beigetragen, indem sie der Schweiz von überallher neue, geistig regsame und anregende Elemente zuführten. ›Hunderte von eleganten Wohnhäusern sind dieses Jahr im Bau begriffen, wegen des wachsenden Zudranges gebildeter und vermögender Fremden, die sich hier niederlassen, um vor den Ekeln des übrigen Europa zu fliehen. ‹ Unter diesen Umständen gewann auch der, um den Künstler sich schließende Kreis an Ausdehnung: so wenig er von sich aus neue Beziehungen suchte, so unwillkürlich zogen die schon vorhandenen solche nach sich. ›Einige neue Bekanntschaften haben sich mir: (in diesem Winter) aufgedrungen‹, erzählt er rekapitulierend dem Dresdener Freunde, ›ihrem männlichen Teile nach sind sie mir sehr gleichgültig, weniger dem weiblichen nach: ich bin verwundert, so viel Lebhaftigkeit und selbst Reiz unter ihnen anzutreffen Freuen kann ich mich zwar an den Menschen nicht mehr, selbst auch nicht an den Frauen; doch bleibt dies letztere Element immer noch das einzige, das mir ab und zu zu Illusionen verhilft, denn über die Männer kann ich mir keine Illusionen machen. So spiele ich manchmal hier mit ganz seinen Seifenblasen: zerbläst unsere süße Atmosphäre augenblicklich die eine, so macht es mir Spaß, sogleich die zweite wieder steigen zu lassen.‹ Ist hier ganz im allgemeinen bloß von Männern und Frauen die Rede (›aus dem Wald trieb es mich fort, mich drängt es zu Männern und Frauen‹), so wissen wir nun doch, welche damals im ersten Entstehen begriffene Beziehung hier insonderheit gemeint ist. In den Beginn des Jahres 1852 fällt seine Bekanntschaft mit der Familie des rheinischen Kaufmannes Wesendonck, ein Verkehr, der im Laufe der nächstfolgenden [485] Jahre stetig an freundschaftlicher Vertrautheit gewann. Otto Wesendonck,27 ein jüngerer Bruder des Frankfurter Parlamentsmitgliedes gleichen Namens, hatte sich damals seit kurzer Zeit (1851), als Vertreter eines New Yorker Hauses, an der Seite einer liebenswürdigen jungen Gattin, in großem Luxus in Zürich niedergelassen und daselbst, bis zur Errichtung einer eigenen Villa, in den Räumen des Hôtel du lac Wohnung genommen: ›Die persönliche Bekanntschaft Richard Wagners machten wir im Jahre 1852, im Hause seiner Dresdener Freunde, der Familie Marschall von Bieberstein‹ (S. 375), erzählt Frau Mathilde Wesendonck in einem, ihren Erinnerungen an den Meister gewidmeten Gedenkblatt.28 (Diese Zeitangabe stimmt genau zu den brieflichen Äußerungen an Uhlig.) Durch welche Eigenschaft die noch so jugendliche Frau dem gereiften Geiste des Künstlers sogleich eine so freundliche Teilnahme abgewinnen konnte, geht aus ihrer eigenen Erwähnung deutlich hervor, wonach er sie ein weißes Blatt genannt und sich ›vorgenommen habe, es zu beschreiben‹. Es war, neben aller blühenden Anmut und Schönheit, die warme, durch keine falsche Erziehung verbildete und verdorbene Empfänglichkeit ihres Geistes und Gemütes. ›Der Künstler wendet sich an das Gefühl und nicht an den Verstand: wird ihm mit dem Verstande geantwortet, so wird ihm hiermit gesagt, daß er eben nicht verstanden worden ist.‹29 Und so konnte er, dem seiner ganzen Natur nach die ›Männerfreundschaft‹ als das edelste und herrlichste Verhältnis über alles ging,30 wenn er unter denen, die dafür gelten wollten, nach Männern vergeblich suchte, sich hingegen wohl ›durch ein feucht glänzendes Frauenauge mit neuer Hoffnung durchdringen lassen‹.31 Hier war ein Gefühl zu der ihm entsprechenden Erkenntnis zu erwecken und anzuleiten, wie er es lange vor dieser besonderen Begegnung, im Hinblick auf Brünnhildes Erweckung durch Siegfried an Röckel geschrieben hatte: ›In unseren feurigen Dresdener Gesprächen gerieten wir schon darauf: nicht eher sind wir (als menschliche Gesellschaft) das, was wir sein können und sollen, bis – das Weib nicht erweckt ist.‹32

[486] Wie sehr er es andererseits bedurfte, sich mit ›neuer Hoffnung durchdringen zu lassen‹, darüber belehrt uns recht augenscheinlich eine entscheidende Erfahrung des gleichen, so hoffnungsvoll begonnenen Winters von 1851 zu 52. Aus wahrer Sehnsucht, endlich einmal sein, noch nie vernommenes ›Lohengrin‹-Vorspiel zu Gehör zu bekommen, andererseits durch das scheinbare Vorhandensein eines enthusiastischen Zuhörerkreises dazu ermutigt, hatte er um diese Zeit im Sinne, im nächsten Sommer ein großes Instrumental- und Vokal-Konzert aus seinen Werken zu veranstalten; die Auswahl der dafür bestimmten Fragmente war gleichsam als die musikalische Ausführung seines biographischen Vorwortes zu den ›drei Operndichtungen‹ gedacht. Er beabsichtigte dazu für den Monat Juli, gleich nach Beendigung der Theatersaison, das in diesem Winter ausnahmsweise sehr gute Züricher Orchester zu achttägiger Probe zu engagieren; zu derselben Zeit gedachte er dann die besten Musiker der Umgegend, Bern, Basel, St. Gallen usw. zur Mitwirkung einzuladen, um auf diese Weise ein tüchtiges Orchester von 20–40 Violinen zusammenzubringen. Das bereits im einzelnen ausgeführte Programm,33 wie überhaupt der ganze Gedanke, machte ihm völlige Freude. Er war ihm, im Fall eines guten Gelingens, gleichsam die vorbedeutende Gewährleistung für die Möglichkeit fernerer, umfassenderer Unternehmungen. ›Ich zweifle nicht‹, schreibt er in diesem Sinne an Röckel, ›daß mir – wenn ich soweit bin – hier einmal die Mittel geboten werden, meine dramatischen Kompositionen nach meinem Sinne zur Darstellung zu bringen. Dazu gehört natürlich, daß ich eine Reihe von Jahren mich ausschließlich der Ausbildung eines Darstellerpersonales, wie ich es bedarf, widme: habe ich das zu meiner Zufriedenheit erreicht, so führe ich dann in einem besonders errichteten, leicht konstruierten, aber zweckentsprechenden Theater ein Jahr lang alle meine Werke, und namentlich auch meine Nibelungendramen auf, um – wenn auch nicht mein Ideal, so doch wenigstens das erreicht zu haben, was ein Einzelner nach Menschenmöglichkeit erreichen kann.‹34 Als Übergang dazu stellte er sich, vielleicht schon im Sommer 1853, eine vollständige Aufführung seiner bisherigen drei Werke, des ›Holländers‹, des ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹ vor, aus denen das beabsichtigte Konzert gleichsam den ›musikalischen Auszug‹ bieten sollte.35 Allerdings sollten seine enthusiastischen Züricher Verehrer dazu nicht ›ängstlich dasitzen und über Zinsen und Zinseszinsen brüten‹, sondern ›einmal ein paar lumpige Taler Kapital daran wagen‹. ›Ich zehre immer Kapital auf‹, ruft er ein anderes Mal ›wie ungeeignet, daß ich dagegen nur mit Zinsen gefüttert werde!‹ Für jetzt handelte es sich um nichts weiteres, als um die garantierende Sicherstellung der paar tausend Francs, welche das Konzert höchstens für sich beanspruchen konnte. Solange er sich [487] mit dem belebenden Gedanken dieses Unternehmens – und seiner ferneren Perspektive – tragen durfte, hielt auch Gesundheit und gute heitere Stimmung vor. Aber schon in den ersten Wochen des neuen Jahres mußte sie der traurig bitteren Verfassung weichen, die uns bereits in den zuvor mitgeteilten Klagen entgegenklingt. ›Da sitz' ich nun wieder, mit all meinem Wünschen, Dichten und Trachten: jedes meiner Vorhaben muß ich sogleich in seiner öden, grauen Unmöglichkeit erkennen. Das Einzige, was mich in glücklicher Täuschung erhalten könnte, bleibt mir aus: – Teilnahme, wirklich meinem Ohr laut werdende Teilnahme: Alles, was ich berühre, hängt den Kopf, seufzt, schweigt, und fällt nach dieser Mühe ins alte Leder zurück. Alle weiteren Absichten, die ich mit meinem Konzerte verband, sind mir durch dieses Leder meiner Freunde im voraus zunichte geworden.‹ ›Wie zäh, wie langweilig und stumpfig löst sich mir alles von dieser Außenwelt los – so daß mir nur die Reue übrig bleibt, je auf Äußeres gerechnet zu haben. Nun fress' ich mich wieder in mich hinein, und zehre da, bis ich zur Stillung meines Hungers – mich verzehrt haben werde!‹36

Unerfüllt blieb ihm somit das Bedürfnis, bevor er an die Ausführung seines übergroßen neuen Werkes schritt, sich durch die Anhörung bloßer Fragmente seines, vor nun vier Jahren vollendeten, von ihm selbst noch nicht vernommenen ›Lohengrin‹ eine förderlich erfrischende Anregung zu bereiten. Unerfüllt auch das Verlangen, sich andern verständlich und ergreifend mitzuteilen und dadurch den Boden für Künftiges, Größeres zu bereiten. Dagegen trat nun auch in diesem Jahre von neuem die Forderung an ihn heran, in den Züricher Abonnementskonzerten als Dirigent sich zu betätigen. ›Drei Symphonien bin ich angegangen worden, wieder zu dirigieren; ich wähle: achte, Pastorale und C moll. Im übrigen halte ich mir alles vom Halse; mein Ekel ist immer größer geworden: ich lebe nur noch meiner Gesundheit und – meinem dramatischen Vorhaben.‹37 Es blieb indes nicht allein bei den drei genannten Symphonien; schon gleich im ersten der drei Konzerte (am 20. Januar), dessen Abschluß die achte Symphonie bildete, kam als Eingang die ›Egmont‹-Musik hinzu, im zweiten (am 17. Februar) ging der C moll-Symphonie die ›Coriolan‹-Ouvertüre voraus. Das dritte (am 16. März) brachte gar außer der Pastorale die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre. ›Vorgestern führte ich die Egmontmusik und die achte Symphonie auf‹, meldet er Uhlig, ›die Aufführung war – lache nicht! denn ich weiß, was ich sage – vortrefflich. Nur litt ich unter der großen Abspannung meiner Nerven sehr.‹ ›Den Egmont-Entreakt hatte ich dem Hoboisten auf meinem Zimmer, wie einer Sängerin, einstudiert: der Mensch war außer sich vor Freude über das, was er endlich herausbrachte.‹ Besonders [488] erfreute ihn das Entzücken des Nichtmusikers Herwegh über diese Beethoven-Aufführung: dieser behauptete geradezu, sie sei göttlich gewesen.38 In gleichem Sinne berichtet er über das Gelingen der C moll-Symphonie: ›ich glaube, die Aufführung würde Dich nicht kalt gelassen haben; wenigstens ist sie bei weitem besser als die Dresdener, wo ich immer aus lauter Respekt vor Euch erhabenen Kgl. Kammermusikern das Beste, was zu sagen gewesen wäre, verschlucken mußte. Ich wollte nur, Du hörtest hier das Violoncellthema des zweiten Satzes spielen, und verglichest es mit dem verlederten Holz im Vortrage Eurer berühmten Buchstabenspieler!‹ Hinsichtlich der ›Coriolan‹-Ouvertüre tat es ihm wohl, den dichterischen Gegenstand in Gestalt des später allgemein bekannt gewordenen Programmes bestimmt und deutlich zu kennzeichnen. Wer diese Erläuterung von Stelle zu Stelle genau verfolgte, mußte sich eingestehen, ohne sie das über alles plastische Tonstück gar nicht verstanden zu haben, außer wenn es ihm selbst bereits gelungen war, aus der allgemeinen Bezeichnung ›Ouvertüre zu Coriolan‹ gerade die eine bestimmte Szene herauszufühlen: mit dem nun gewonnenen Verständnis war nun aber der Genuß der Tonschöpfung für die Musiker, wie für das Publikum überwältigend erhaben. Der Entschluß, endlich auch die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre in das Programm der Züricher Konzerte aufzunehmen, wurde fast nur durch das Drängen Herweghs eingegeben, gefaßt und durchgeführt ›Herwegh – wohl der einzige Mann, dem ich mich bis zur vollsten Sympathie verständlich machen konnte – bat mich inständig, ihm doch die Tannhäuser-Ouvertüre vorzuführen; ihm zuliebe überwand ich meine Abneigung gegen dies Unternehmen, bot alles auf, um die Schwierigkeiten desselben zu überwinden, und brachte so – immer das Auge auf Herwegh – eine Aufführung zustande, die mich endlich selbst überrascht [489] und ungemein erfreut hat.‹ Die Musikgesellschaft ließ ihm dazu die besten Geiger usw. aus Basel, Aargau, Schaffhausen usw. kommen, fast lauter deutsche Musikdirektoren: 18 bis 20 Geigen, 6 Bratschen und 5 Violoncelle; auch hatte das kleine Züricher Orchester durch die vorausgegangenen gemeinsamen Übungen große Fortschritte gemacht: Klarinette, Oboen und Horn machten ihre Sachen ganz vorzüglich. Ein sehr bezeichnender Zug: sogleich in der ersten Probe der Ouvertüre (ca 20. Februar), die bereits gegen alles Erwarten gut ausfiel, verlangten die Musiker nach dem Vorgang der ›Coriolan‹-Ouvertüre eine poetische Erläuterung des Inhaltes von ihm, weil sie dann ›besser spielen könnten‹. Das war ihm doch in seinem Dresdener Orchester nicht begegnet. Er setzte das bekannte Programm dazu auf; bei dieser Gelegenheit durchlas er noch einmal, was Liszt in seiner Tannhäuserschrift darüber geschrieben hatte, und geriet von neuem in Staunen über dessen geniale Befähigung, die durch die Musik erregten Empfindungen genau und scharf in Worten zum Ausdruck zu bringen.39

Schon die Proben waren fleißig besucht ›Niemals‹, so erzählt Frau Wesendonck,40 ›vergesse ich den Eindruck der ersten Probe zur Tannhäuser-Ouvertüre unter Wagners Leitung, im dunklen Saal des alten Kaufhauses in Zürich. Es war ein Taumel des Glückes, eine Offenbarung; Zuhörer und Musiker waren elektrisiert.‹ Die Aufführung selbst übertraf seine Erwartungen; wie im Sturm schien sie ihm Herzen zu öffnen, deren matter Schlag sie ihm bis dahin ganz gleichgültig lassen mußte. Nicht der Beifallstumult, den sie unmittelbar hervorrief, sondern die tieferen Wirkungssymptome, die ihm erst allmählich zur Kenntnis kamen, waren dabei für ihn das Maßgebende. ›Namentlich die Frauen sind um und umgewendet worden; die Ergriffenheit war bei ihnen so groß, daß Schluchzen und Weinen ihnen helfen mußte. Merkwürdig waren mir die Berichte über die erste Wirkung, die sich meist als ungeheure Wehmut äußerte: erst nachdem sich diese in Tränen Luft gemacht, kam das Wohlgefühl der höchsten, überschwenglichen Freude. So sehr auch mich jetzt mein eigenes Werk wieder ergriff, war ich zunächst über diese ungemein heftige Wirkung erstaunt Gerade eine Frau löste mir aber das Rätsel: ich bin den Leuten als niederschmetternder Bußprediger gegen die Sünde der Heuchelei erschienen. Nach dem, was ich hier mit ihm angerichtet, bilde ich mir jetzt plötzlich auf dieses Tonstück etwas ein: ich weiß mich wirklich auf keine andere Tondichtung zu besinnen, die eine ähnliche Wirkungsmacht auf sinnlich-sinnvolle Gemüter auszuüben imstande wäre. Aber im Konzertsaal ist ihr Platz, nicht nur vor der Oper im Theater: dort würde ich, wenn ich es bestimmen dürfte, nur das erste Tempo der Ouvertüre ausführen lassen; das übrige ist – im glücklichen [490] Falle des Verständnisses – zu viel vor dem Drama, im anderen aber zu wenig.‹41

Wie er sich, statt der geplanten Vorführung bedeutsamer Fragmente aus seinen Werken in einer wohlangeordneten Zusammenstellung, mit der vereinzelten ›Tannhäuser‹-Ouvertüre begnügen mußte, geradeso ging es ihm auch mit der beabsichtigten Gesamtaufführung seiner drei älteren Werke. Statt diese nämlich ganz für sich und außerhalb des Repertoireganges nach sorgfältiger Vorbereitung als außerordentliches Ereignis seinem Publikum vorzuführen, konnte er sich schließlich der schon früher an ihn herangetretenen Zumutung nicht erwehren, seinen ›fliegenden Holländer‹ einzeln im Züricher Operntheater zum besten zu geben. Bereits seit Monaten hatte ihm der Theatermusikdirektor Schöneck, ein junger, talentvoller, zum Dirigenten äußerst befähigter, ungemein lebhafter und feuriger Mann, mit der Bitte angelegen, die Oper zu seinem Benefiz unter Anleitung des Meisters geben zu dürfen. ›Fast schwanke ich schon‹, schreibt er Uhlig am 22. Januar, ›da ich mich gestern überzeugen mußte, daß die Darsteller allerdings recht gut vorhanden sind; der Direktor verspricht in bezug auf Dekoration das Undenklichste zu leisten, das Orchester würde sich freiwillig zu einer anständigen Stärke erheben.‹ Vorübergehend geriet die Sache ins Schwanken: ›Gott sei Lob!‹ ruft er dazu aus, ›so hätte ich fürs nächste diese Marter vom Halse.‹42 Dann aber heißt es (20. März): ›Ich kann's nicht mehr hintertreiben, meine hiesigen Freunde drängen mich zu sehr. Ein Dekorationsmaler und Maschinist sind für die Inszenesetzung eigens verschrieben; für Orchester usw. soll alles mögliche geschehen; die Sänger sind geeignet, und so – wird die Aufführung wahrscheinlich gut, vielleicht rechtgut werden.‹ Aber eine Last von Arbeit und Unruhe sammelte sich daraus für ihn an, die ihm um so störender kam, als mit der vorrückenden schönen Jahreszeit das drängende Verlangen sich einstellte, endlich ungehindert seiner Nibelungen-Dichtung sich zuzuwenden. Zunächst war die in seinen Händen befindliche Partitur einer Umarbeitung zu unterziehen. In dem seit der Vollendung des älteren Werkes verflossenen Jahrzehnt hatte sich seine Instrumentationsweise, namentlich was die Benutzung der Blechinstrumente betraf, wesentlich geändert. Die Orchesterstimmen hatte er sich durch Vermittelung Heines aus Dresden bestellt; als sie aber eintrafen und Schöneck sie nach der neuredigierten Partitur einrichten wollte, fand er zu seiner Verwunderung, daß diese Stimmen bereits sehr umständlich nach einer anderen gründlicheren Bearbeitung abgeändert waren. Sogleich fielen dem Künstler seine von ihm selbst bereits vergessenen, zwecklosen Bemühungen wieder ein, die er sich seinerzeit in Dresden (zwischen [491] ›Tannhäuser‹ und ›Lohengrin‹) um eben diese Partitur – zunächst für Leipzig – gegeben und die dann auch der Dresdener Partitur zugute gekommen waren (S. 173), – leider für beide Orte vergeblich!43 ›Den 20. fliegt hier mein Holländer‹, heißt es am 4. April, ›an Meer und Felsen wird gemalt, an Schiffen usw. gezimmert, daß alles kracht: das wird für mich wieder eine gute Hetze werden!‹44

Die ›Hetze‹ blieb nicht aus, sie wurde aber noch durch allerlei unerwartete Nebenumstände verschärft. Der Theaterdirektor Löwe hatte seinem Versprechen gemäß die fehlenden Musiker engagiert; mochten seine Bedingungen nun aber nicht eben von besonders lockender Art gewesen sein oder was sonst die Ursache war, – kurz, im rechten Moment trafen nicht die bestellten Musiker, sondern ihre schriftlichen Absagen ein, und wollte der Künstler nicht das Gelingen aufs Spiel setzen, so mußte er für eine Aufführung, die ihm keinerlei Honorar oder materielle Vergütung eintrug, für sein eigenes Geld die fehlenden Kräfte schaffen, indem er mehrere ihm von der ›Tannhäuser‹-Ouvertüre her bekannte Musikdirektoren aus Aarau, Burgdorf u.a. O. nach Zürich berief, denen er aber aus eigenen Mitteln für zehn Tage die einzubüßenden Stundengelder zu bezahlen hatte! ›Nur noch das: Löwe ist Jude!‹ teilt er dem fernen Getreuen zur Erklärung dieser ihm abgezwungenen ›Splendidität‹ mit.45 Aber auch hierbei blieb es nicht stehen. Als vielmehr die Aufführung sich näherte (sie war bereits um fünf Tage verschoben worden), stellte sich, wegen gewisser szenischer Vorbereitungen, der Ausfall einer Vorstellung vor dem Aufführungsabend als unumgängliche Notwendigkeit heraus: zu diesem Opfer war nun der Direktor wieder nicht zu bewegen und wußte es so einzurichten, daß ihm der Meister endlich auch noch gegen sein Sträuben die Auszahlung einer wegfallenden Theatereinnahme aufzwang! Und doch, was blieb ihm in solchen Fällen übrig, außer etwa alles aufzugeben und sich ganz zurückzuziehen? Wie oft, und in immer vergrößertem Maßstabe, hat sich nicht auch diese Erfahrung in seinem ferneren Wirken wiederholt, bis zu dem auf seinen Schultern zurückbleibenden Defizit der ersten Bayreuther Festspiele von 1876! ›Ich lasse sicher keinen Holländer mehr fliegen!‹ rief er gleich nach dem Ereignis.46

Inzwischen war die am Sonntag, den 25. April, vor sich gegangene Aufführung in der Tat für Zürich ein ›Ereignis‹ geworden. Sie fand bei sehr stark erhöhten Preisen (1. Rang zu 5 Fr.) und bei übervollem Hause unter Schönecks Leitung statt. Leider war der Träger der Hauptrolle an dem Abend nicht gut disponiert, während Frau Rauch-Wernau als Senta [492] den vollen Glanz ihrer stimmlichen Mittel und darstellerischen Fähigkeiten bewährte. Von gleichem Erfolge waren die drei folgenden Vorstellungen, am Mittwoch, Freitag und Sonntag (2. Mai) begleitet, immer vor vollem Hause und bei den gleichen erhöhten Preisen. Dem unbeschreiblichen Eindruck, den sein Werk bei dieser Gelegenheit hervorrief, widmet er in den Briefen an Liszt einige Worte, die das Ausnahmsweise, Unmittelbare desselben sehr lebendig hervorheben: ›Philister, die nie in das Theater oder in das Konzert zu bringen waren, besuchten jede der vier Vorstellungen in einer Woche, und gelten jetzt für verrückt geworden. Bei allen Frauen habe ich einen gewaltigen Stein im Brette gewonnen. Die Klavierauszüge werden halbdutzendweise bestellt.‹47 Die dritte Vorstellung (am Freitag, 30. April) dirigierte der Schöpfer des Werkes persönlich und wurde danach unter rauschendem Jubel bekränzt und mit Blumen überschüttet. Der betriebsame Direktor bedauerte nichts mehr, als daß er unmittelbar nach der vierten Aufführung mit seiner Gesellschaft zur Sommersaison nach Genf gehen mußte. Er sah nun ein, daß er die Oper mit dem gleichen Erfolge noch viermal hätte geben können. Ernster auf die Sache eingehend, als die mehr das Äußere des Vorganges berührenden Zeilen an Liszt, sind seine an Uhlig gerichteten Betrachtungen über den künstlerischen Wert der Gesamtdarstellung. ›Die Aufführungen‹, meldet er diesem ›wurden von der zweiten an, wo der Baritonist wieder bei Stimme war, ganz gut, – natürlich aber nur im Sinne der »Oper«. Die erste Aufführung klärte mich bereits darüber auf, daß ich alle Illusionen für das »Drama« aufgeben und mich einzig damit begnügen mußte, daß ich das Stück, »Oper«, das noch im fliegenden Holländer steckt, gehörig zur Geltung brächte. Somit mußte der Erfolg mich eigentlich ganz kalt lassen, und nicht das mindeste ist dadurch in meiner innigst bewußten Stellung zum Theater und Publikum geändert. Daß aber der Holländer auch als »Oper« wirkte, ist mir erklärlich geworden, und ich gebe auch gern zu, daß der Eindruck auf mein Publikum ein sehr ungewohnter, tiefer und ernster war.‹48

Leider hatte ihn die ›Holländerei‹ für vier volle Wochen aus aller Sammlung gerissen, deren er jetzt so dringend bedürftig war. Die ihm diktierte Enthaltung von geistiger Beschäftigung hatte er, den Forderungen seiner Natur gegenüber, sehr bald als einen ›großen Irrtum‹ erkannt. ›Bald werdet Ihr erfahren, daß ich in der Nibelungendichtung drin sitze; es ist meine einzige Rettung‹, hatte er schon im Januar an Uhlig gemeldet Kleinere literarische Ansprüche waren inzwischen doch auch an ihn herangetreten: so hatte er sich mit seinem vom 25. Januar datierten offenen Brief [493] an Franz Brendel über die Aufgabe einer musikalischen Zeitschrift49 sogar wieder einmal in Angelegenheiten gemischt, die ihm bereits recht entfremdet waren. Bei solchen Versuchen, den umgebenden Zuständen etwas Erquickliches abzugewinnen, peinigte ihn stets das Gefühl der Selbstbelügung. Der Frühling kam und verscheuchte die trübe Stimmung. ›Die Natur erwacht, und ich erwache mit ihr aus winterlichem Mißmute. Meine große Dichtung nimmt mich immer stärker ein: bald werde ich in Arbeit sein‹, heißt es am 25. März. ›Der Reichtum wächst fast schon bis zum Übermaß, und ich muß bald beginnen, damit ich ihn bald los werde. Allerdings – das wird etwas, das wird es, was ich kann!‹ Am 4. April: ›Der vollständige Entwurf zu meinem großen Vorspiel ward in diesen Tagen fertig, und der kommende Sommer soll meine ganze große Dichtung vollendet sehen.‹ Und am 9. April (offenbar mit bezug auf die ›Walküre‹): ›Mit Mai werde ich vollauf im Dichten stecken: bereits entwerfe ich.‹ Genau in dieser entscheidenden Zeit kam für einen vollen Monat die ›Holländerei‹ dazwischen! Leider wurde ihr unerwarteter Anspruch an seine materielle Leistungsfähigkeit (statt daß sie ihm von Rechts wegen etwas eingetragen hätte!) von verhängnisvollen Folgen für die Erfüllung eines sehnsuchtsvollen Wunsches: sich im Sommer eine kleine Reise nach Italien zu gestatten. Die darauf bezüglichen Ausbrüche seines inneren Verlangens durchflechten sich während des ganzen Frühjahrs immer mit den Nachrichten über das Vorschreiten seiner Arbeit, und immer regen sie sich aufs neue, wenn die Sonne draußen nach trüben Tagen am hellsten scheint und das Wetter anhaltend schön ist.50 ›Wüßte ich nur, wie das anzufangen wäre! – auf diesen Seufzer antwortet mir nur meine eigene Stimme als Echo von einer Wand von Leder her, die rings um mich gezogen ist!‹ – Eine große Veränderung hinsichtlich seiner Wasserkuransichten hatte sich im Laufe des Winters vollzogen. An den Besuch einer Wasserheilanstalt dachte er nicht mehr. Er entsann sich, schon durch Kietz in Paris von einem dortigen deutschen Wasserärzte, Dr. Karl Lindemann, vernommen zu haben, dem sein alter Freund nachgerühmt hatte, er wäre durch ihn bei sehr gelinder Wasseranwendung von einem sehr bösen übel geheilt worden. Verschiedene Umstände wirkten zusammen, um sein Vertrauen zu diesem tüchtigen Arzte zu bestärken. Vor allem schon die volle Unmöglichkeit, sich zu halben Jahren in eine solche Heilanstalt zu setzen: ›allem geistigen Leben und Produzieren vollständig Valet zu sagen, ist für[494] mich der erste Quell zu neuen Beunruhigungen und Leiden.‹ Unter diesen Verhältnissen war ihm ein Kurplan sehr willkommen, den ihm Lindemann auf eine sehr genaue Mitteilung seines Zustandes hin entwarf. Er bestand bei gelinder Wasseranwendung bloß in einem geeigneten Diätetisieren und war auf eine sehr lange Dauer berechnet: ungestörtes künstlerisches Arbeiten war ihm dabei nicht untersagt, sondern völlig zur Pflicht gemacht. Somit sah er sich mit zunehmender Sommerwärme für Kur und Arbeit nur nach einem geeigneten Erholungsaufenthalt in den Bergen um, und auch diesen aufzufinden ward ihm bald Gelegenheit.

Bereits zur vierten ›Holländer‹-Aufführung war nämlich der Dresdener Kammermusikus Kummer, mit seiner ihm kürzlich vermählten jungen Gattin, Julie Ritter, nach Zürich gekommen. Sie hatten sich zunächst nach dem Kurort Elgg begeben, diesen aber zu unheimlich gefunden und sich nach Zürich zurückgewendet, das sie durch des Meisters Anwesenheit unwiderstehlich anzog. ›Wir haben ihnen nun‹, schreibt Wagner an Uhlig ›eine Viertelstunde von der Stadt, auf der Höhe, eine Sommerwohnung verschafft. Die Lage war so schön, und ich bin der Landluft und Frische so bedürftig, daß ich mich schnell entschloß, in derselben Wirtschaft auch zu mieten.‹51 Am Mittwoch, den 12. Mai, bezog er diesen anmutigen Sommersitz auf dem Berge oberhalb Flunterns in der ländlichen Wirtschaft zum ›Rinderknecht‹, von dem uns das bereits erwähnte Gedenkblatt der Frau Wesendonck so anschaulich zu berichten weiß. Dort ›entzückte ihn die herrliche Fernsicht auf das lachende Limmattal, den See und die schneebedeckten Häupter der Glarner Alpen Dort hat er viel gearbeitet, dort auch seine Freunde bewirtet mit vortrefflichem, nach englischer Sitte am Spieße (S. 481) gebratenem Kalbsbraten, den Frau Minna bereitete. An Besuchen aus Deutschland fehlte es nicht; Freund Kummer nebst Frau (sie eine geborene Ritter, er Konzertmeister in Dresden) logierten sich für die Sommerzeit auf dem »Rinderknecht« ein. Frau Minna war eine vortreffliche Hausfrau und verstand, wie wenige, die Kunst: aus wenig viel zu machen!‹52 Allerdings scheinen bei dieser Schilderung einer so regen Geselligkeit in des Meisters ländlichem Aufenthalt mehr die ersten Wochen desselben vorgeschwebt zu haben, besonders seine Geburtstagsfeier [495] am 22. Mai, mit welcher er in sein vierzigstes Lebensjahr eintrat. Dort oben auf dem ›Rinderknecht‹ gelangte an ihn auch die erste Einladung nach dem benachbarten Mariafeld bei Herrliberg am Züricher See,53 wo Dr. François Wille, ehemals Hamburger Journalist und Schleswig-Holsteinscher Deputierter in der Frankfurter Paulskirche, auf einem, ein paar hundert Fuß über dem See unter herrlichen Nuß-, Linden- und Ahornbäumen ganz versteckt gelegenen Landhaus seinen Sitz hatte. An einem schönen Maisonntag machte Wagner, mit Herwegh gemeinschaftlich, seinen ersten Mariafelder Besuch, den er in der Folge, von seiner Frau oder Herwegh begleitet, gern und nicht selten auf ganze Tage wiederholte. Etwas erhöht auf einer Terrasse, von Wiesen und Weinbergen umgeben, lag inmitten des Gartens das gastliche Haus, das in seiner ganzen Bauart eine gewisse altväterische Würde an der Stirn trug, wie es denn schon im vorigen Jahrhundert der Landsitz eines Züricher Patriziers gewesen sein mochte Zwei alte Nußbäume und eine hohe stolze Platane beschatteten die Einfahrt; über eine stattliche hohe Freitreppe gelangte man in den großen, mit mächtigen, reich geschnitzten Schränken besetzten, weißgelünchten Hausflur, auf den sich vier dunkelbraune, mit großen Subporten versehene Türen öffneten. Die weißen Stubendecken waren reich mit Stuck geziert, die aus braunem Nußbaumholz geschnitzten Möbel und riesigen, dunkelgrün glasierten Ofen, mit Reliefs und Verzierungen fast überladen, ganz im Geschmack des achtzehnten Jahrhunderts. Von Garten und Haus blickte man über den See, auf das schöne bebaute Gelände des jenseitigen Ufers, wo sich in weiter klarer Ferne Dorf an Dorf, Landsitz an Landsitz reihte, und darüber hinaus auf die herrliche Kette der Glarner Alpen. Auch die auf der Südseite des Hauses gelegene Veranda, wo man im Schatten alter Kastanien nach Tische den Kaffee zu nehmen pflegte, endigte in einen herrlichen Baumgang mit dem wundervollsten Ausblick über den tief unten liegenden See. In diese schweizerisch-patriarchalische Umgebung hatte sich der stämmige Mann, mit dem kaustischen Witz und den studentischen Hiebnarben im Gesicht, der fast ein volles Jahrzehnt im Mittelpunkt politischer Kämpfe gestanden, freiwillig zu vorzeitiger Ruhe zurückgezogen, als ›nach dem Scheitern der ungeheuren Bewegung in Deutschland der Aufenthalt in Hamburg für die Teilnehmer an allem, was sich ereignet, nicht mehr geboten schien‹.54 ›Habe ich mein Lebenlang für Demokratie und freie Verfassung gewirkt‹, hatte er gesagt ›so muß ich doch wohl dahin gehen, wo ich sehe und erlebe, wie das, was ich gewollt, sich in der Ausübung darstellt.‹ Und so war er in einem der anmutigsten Winkel der Schweiz [496] besitzlich und ansässig geworden Was Wagner an dem Hausherrn von Mariafeld schätzte, war nicht etwa ein höheres ›Kunstverständnis‹, sondern das eigentümlich Markierte und zugleich schlicht und bieder Menschliche seines Wesens, weshalb er ihn einmal, da er ihn morgens im Garten antraf, mit den Worten begrüßte: ›Guten Morgen, Adam!‹ Mit diesem einen prächtigen Worte ist alles zusammengefaßt, was sonstige ähnliche Anführungen aus seinem Munde nur mit anderen Worten umschreiben. ›Sie haben keine Musik; Sie sagen, Sie schaffen nichts? Was tut's? Sie haben das Leben; wenn Sie dabei sind, kommt man zu eignen Gedanken.‹ Und wieder einmal soll er, nach den Erinnerungen der Frau Wille, die Goetheschen Verse auf ihn angewendet haben: ›höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit.‹ In der stets belebten und heiteren Unterhaltung des Mariafelder ›Trios‹ sei Altes und Neues nach der Eingebung des Augenblicks bunt durcheinander gekreist, wozu Jeder nach seinen Neigungen, Wille die Politik und Literatur, Herwegh die Naturwissenschaften heranzog. Ein ferneres Thema wird wiederholt in denselben Erinnerungen ausdrücklich erwähnt, in dessen mehrfacher Anführung wir deutlich die Einwirkung von ›Oper und Drama‹ auf Herwegh, und Wagners Neigung zum Stabreim erkennen: die wurzelhafte Verwandtschaft der Worte und Begriffe. ›Der Sinn einer Sprachwurzel ist die in ihr verkörperte Empfindung von einem Gegenstande‹, hatte der Künstler in seinem genannten großen Werke gelehrt. ›Jenen alten Urwurzeln wohnt, wie den Wurzeln der Pflanzen und Bäume, solange sie noch in dem wirklichen Erdboden (der Volkssprache) sich festzuhalten vermögen, unter der frostigen Schneedecke der Zivilisation eine immer neu zeugende Kraft inne.‹55 ›Der Dichter ist der Wissende des Unbewußten; das Gefühl, das er dem Mitgefühl kundgeben will, lehrt ihn den Ausdruck, dessen er sich bedienen muß: forscht er nun aber nach der Natur des Wortes, das ihm von dem Gefühle als das einzig bezeichnende aufgenötigt wird, so erkennt er diese zwingende Kraft in der Wurzel des Wortes.‹ ›Ehe wir unsere staatlich-politisch oder [497] religiös-dogmatisch bis zur vollsten Selbstunverständlichkeit umgebildeten Empfindungen nicht bis zu ihrer ursprünglichen Wahrheit gleichsam zurückzuempfinden vermögen, sind wir auch nicht imstande, den sinnlichen Gehalt unserer Sprachwurzeln zu erfas sen.‹ An diese Sätze werden wir durch die Erwähnung erinnert, die Beschäftigung mit der Ergründung der Wortwurzeln habe so oft in Ernst und Scherz die Mariafelder Gespräche durchdrungen. ›Das Suchen nach Sprachwurzeln mußte sehr interessant sein; denn hierbei waren die Herren unermüdlich.‹ Im übrigen dürfen wir der Versicherung der Hausfrau unbedingt Glauben schenken, der Meister habe in ihrem Hause keine Vergötterung gefunden, sondern sich dort frei und ungezwungen als Mensch unter Menschen bewegt. Wie Wagner in Wahrheit über diese sog. ›Vergötterung‹ des Genius dachte, daß er in ihr nur einen Zustand der Entbehrung, des Leidens ersah, gerade davon haben wir uns bereits zuvor (S 455) unzweifelhaft überzeugt. ›Was er bei uns fand, war Freundschaft und schlichte Gastlichkeit; damit war er zufrieden. Wir vergaßen fast, daß er höhere Ansprüche machen dürfe.‹56

Kaum 14 Tage nach seiner Ankunft auf dem ›Rinderknecht‹ hatte er inzwischen seine regelmäßige Kur angetreten. Sie bestand in einem kalten Bade des Morgens und in einem viertelstündigen lauen des Abends; die Diät hatte mit dem Albisbrunner Radikalismus gebrochen und schloß ab und zu ein gutes Glas Wein nicht aus. ›Mit Julie sind wir jetzt auf dem Lande allein‹, schreibt er Uhlig am 31. Mai. ›Kummer ist bei Hahn‹ (dem Wasserarzt in Elgg), ›wo er streng aushalten muß. Julie scheint mich sehr lieb gewonnen zu haben; wenigstens folgt sie mir aufs Wort.‹ Vor allem tat ihm die freie Luft sehr wohl, in der er sich morgens, bevor er sich an die Arbeit setzte, zwei bis drei Stunden erging. Der durch die ›Holländer‹-Unruhen unterbrochene Entwurf der ›Walküre‹ wurde hier auf der Höhe vollendet; am ersten Tage des neuen Monats sollte es an die letzte Ausführung der Dichtung gehen. ›Ich bin wieder mehr wie je ergriffen von der Großartigkeit und Schönheit meines Stoffes: meine ganze Weltanschauung hat in ihm ihren vollendeten Ausdruck gefunden. Nach diesem Werke werde ich wohl nicht wieder dichten! Es ist das Höchste und Vollendetste, was meiner Kraft entquellen konnte. Sind die Verse fertig, so werde ich von dann ab wieder ganz Musiker, um dann dereinst nur noch – Aufführer zu sein!‹57 In komischem Kontrast zu dem furchtbaren Ernst seiner Dichtung und seiner Stimmung dabei stehen heute für uns die wunderlich selbstüberhebungsvollen Erinnerungen an jene Sommertage, die vor längerer Zeit einer jener längstverschollenen jungösterreichischen Poeten der vierziger Jahre, H. Rollett, öffentlich zum besten gab. Der Verkehr mit poetischen Literaten [498] hat ja von jeher stets die größte Geduld des Künstlers beansprucht, besonders wenn sie ihren unbewußten Gegensatz zu dem Unbegriffenen oft vor sich selbst mit dem Mantel der Verehrung und Anhängerschaft verhüllten. Der eben genannte, bereits von uns erwähnte58 Gutzkow-Bewunderer und Genosse Alfred Meißners, der sich durch einen im Juniheft der Zeitschrift ›Helvetia‹ abgedruckten ›gedrängten Umriß von Richard Wagners ganzem Wollen und Können im Bereiche der musikalisch-dramatischen Kunst‹59 wohl noch ein besonderes Verdienst erworben zu haben vermeinte, hatte sich für die Sommermonate in einem Bauernhause zu Fluntern, unterhalb der von Wagner bewohnten Anhöhe eingemietet, und traf von dort aus auf des Meisters täglichen Frühspaziergängen öfter um 7 Uhr morgens in einem auf der Hälfte des Weges belegenen Pavillon mit ihm zusammen. ›Er schrieb damals an seinem Nibelungen-Texte und ich an meiner, im Jahre darauf bei O. Wigand in Leipzig erschienenen Jukunde‹ (!).60 Auf diesen morgenlichen Begegnungen habe ihm Wagner ›gewöhnlich‹ (?) das ›Fertiggebrachte‹ von seiner Dichtung vorgelesen. ›Da fehlte es, bei den oft entsetzlichen Formen seiner poetischen Sprache (!), natürlich nicht an manchen Bemerkungen von meiner Seite, die er anhörte, ohne sie jedoch scheinbar viel zu beachten.‹ Bei der Stelle ›Winterstürme wichen dem Wonnemond‹ sei er, der Zuhörer, aufgesprungen und habe lebhaft seine Freude darüber ausgedrückt. er könne schon nicht erwarten, wie die Melodie dazu lauten werde. Da habe der Meister ein Blatt aus einem kleinen Notizbuch gerissen, mit Bleistift fünf Notenlinien darauf gezogen, die Gesangsmelodie dazwischen und den Text darunter gesetzt, und ihm das Ganze andeutend vorgesungen; das beschriebene Blatt aber habe er, Rollett, an sich genommen und sei somit in Besitz des ersten, in der Hauptsache beibehaltenen, musikalischen Entwurfes dieser Stelle gelangt. Wir entnehmen daraus aufs neue, wie die Musik seiner Schöpfungen immer schon während ihrer dichterischen Ausführung in dem Meister lebte und webte; und gerade auch hinsichtlich der ›Walküre‹ meldet er ausdrücklich in einem Briefe an Liszt vom 16. Juni, die [499] Musik dazu werde ihm sehr leicht und schnell vonstatten gehen, denn sie sei ›nur die Ausführung von etwas bereits Fertigem‹.

Bei anhaltend trübem, grauem Wetter – ›schlecht Wetter hatten wir im ganzen Juni‹61 – wurde die Dichtung aller drei Akte innerhalb der vier Wochen vom 1. Juni bis 1. Juli, nach genau einmonatiger leidenschaftlicher Arbeit fertig. ›Die Walküre habe ich in vier Wochen gearbeitet; hätte ich acht Wochen darauf verwendet, so würde ich jetzt besser auf sein.‹62 ›Wenn ich so etwas fertig habe, so ist es mir immer, als hätte ich eine ungeheuere Angst aus dem Leibe geschwitzt, eine Angst, die gegen das Ende der Arbeit wächst, eine Art von Furcht, daß ich etwas verderben könnte: meine Chiffre mit dem Datum schreibe ich immer mit wahrer Hast darunter, als stünde der Teufel hinter mir und wollte mich vom Fertigwerden abhalten.‹63 Alle brieflichen Beziehungen zur Außenwelt sind während dieser Zeit abgebrochen; nur die Genesung von Uhligs schwer erkranktem jüngsten Kinde veranlaßt einen herzlichen Zuruf an den fernen Freund. ›Dein Brief traf mich in der Gesellschaft meiner Frauen (es ist, neben Minna, die eben anwesende, Uhlig ebenfalls nahestehende Julie Kummer gemeint), die mit mir sogleich ahnten, daß er nur von Deinem Kinde handeln könne, da ich ihnen bereits von der Erkrankung desselben gemeldet. Wir standen Deine gräßlichen Sorgen mit aus und empfanden endlich die unsägliche Freude über die Rettung mit Dir.‹

Sehr bald nach der Vollendung der ›Walküre‹-Dichtung wurde der ländliche Aufenthalt auf den Bergen abgebrochen, in der zweiten Juli-Woche ging es zur Stadt zurück. Vor Beginn des ›Rheingoldes‹ bedurfte er dringend einer Reiseerfrischung: ›ich muß in die Alpen und wünsche wenigstens die Grenze Italiens zu benaschen‹. Vor dem Spätherbst, dessen war er sich deutlich bewußt, konnte er doch mit der Dichtung des ganzen Nibelungenwerkes nicht fertig werden: den beiden ursprünglichen Stücken ›Siegfrieds Tod‹ und ›der junge Siegfried‹, stand ja nun ebenfalls eine starke Umarbeitung bevor. Außerdem hatte die Überreizung seiner Kopfnerven während der eben beendeten Arbeit an der ›Walküre‹ es ihm unerbittlich klar gemacht, wie sehr er sich in solchen Dingen im Zaum zu halten habe, um sich beim Arbeiten mit eisernem Willen oft und schnell zu unterbrechen und durch starke Ausflüge die allzu heftige einseitige Anspannung der Gehirnfunktion wieder auszugleichen. So hatte denn der Gedanke, am Rande Italiens wenigstens nippen zu dürfen (da ihm die langerwünschte ›italienische Reise‹ doch aus Mangel an Mitteln versagt blieb!), schon im voraus etwas Erfrischendes für ihn, und die Intervention Liszts machte es möglich, durch einen Vorschuß aus dem Weimarer ›Holländer‹-Honorar das wieder auszugleichen, was der Züricher [500] ›Holländer‹ an seiner Kasse verbrochen. (Daß der ihm übermittelte Betrag indes keineswegs das ›Holländer-Honorar‹, sondern ein generöses Geschenk Liszts war, erfuhr er erst ein Jahr später beim wirklichen Eintreffen jenes, gar nicht mehr erwarteten Honorares.64) Eine Einladung nach Basel als ›Kampfrichter‹ bei einem eidgenössischen Gesangsfest war an ihn ergangen: er mußte die ihm zugedachte Ehre ablehnen. ›Nach Basel habe ich abgeschrieben: ich kann solchen Sums jetzt nicht aushalten‹, meldet er Uhlig. Somit konnte er sich bereits am 10. Juli früh zu seiner Reise aufmachen, die ihn zunächst in rüstiger Fußwanderung in das Berner Oberland führte. Von der Höhe des Faulhornes aus genoß er der furchtbar erhabenen Aussicht in die Gebirgs-, Eis-, Schnee- und Gletscherwelt.65 ›Ich marschiere tüchtig und bin gut auf den Beinen; nur bin ich mit meinem Kopfe noch nicht zufrieden: meine Gehirnnerven sind gräßlich angegriffen: Aufregung und Ermattung, nie rechte Ruhe! Viel besser wird's wohl nie mit mir werden; keine Kur der Welt vermag da etwas, wo nur Eines helfen würde: nämlich, wenn ich ein Anderer wäre, als der ich bin.‹ ›Was haben mich wieder auf dieser Reise, in der wunderbaren Natur, die Canaillen von Menschen geärgert! immer muß ich mich mit Ekel von ihnen zurückziehen, und doch – sehne ich mich so nach Menschen.‹ ›Herrliche Weiber gibt's hier im Oberland; aber nur fürs Auge: Alles ist angefressen von wütender Gemeinheit.‹66 Den Glanzpunkt dieser Tour bildete der Marsch über den Griesgletscher durch das lange herrliche Formazzatal bis nach Domo d'Ossola. Auf der Höhe des ungeheuer wilden, wegen seiner Gefährlichkeit nur selten, von Leuten aus dem Haslitale oder Wallis, überschrittenen Gletscherpasses (über 8000 Fuß) fand sich, zum erstenmal auf seiner Reise, auch Nebel ein, so daß sein Führer über die kalten Schnee- und Felsränder seine Not für einen möglichen Pfad hatte. ›Aber nun dieses Absteigen! Aus den gräßlichsten Eisregionen nach und nach, über verschiedene Talstufen, durch alle Vegetationen des nördlichen Europas bis in das üppigste Italien hinabgedrungen! Ich war ganz berauscht, und lachte wie ein Kind, als ich aus Kastanienwäldern durch Wiesen und selbst Getreidefelder ging, welche wiederum ganz und gar mit Weindächern überdeckt[501] waren, so daß ich oft unter einer Decke von Wein wanderte, ähnlich den Verandas, nur über ganze Flächen ausgedehnt, aus denen wiederum alles wächst, was nur der Boden trägt. Dabei die unendlich reizende Mannigfaltigkeit der Berg- und Talformen, mit der anmutigsten Bebauung, hübschen Steinhäusern und – soweit das Tal – hübschen Menschen.‹67 Mit Humor schildert er sein erstes italienisches Gespräch: um alles in der Welt konnte er sich dabei nicht besinnen, wie ›Milch‹ auf italienisch hieß, weil dieses Wort in allen von ihm dirigierten italienischen Opern nicht vorgekommen war! ›Von Domo d'Ossola fuhr ich an demselben Abend noch mit einer Retourkutsche nach Baveno am Lago maggiore. Diese Fahrt krönte noch den Tag; mir war selig dabei zumute, als ich endlich aus dem Wilden in das ganz Liebliche eintrat.‹68

Anderen Tages fuhr er den See hinauf bis nach Locarno. ›Leider störte mich wieder die Menschencanaille aus meiner reinen Stimmung: auf dem Dampfschiff – voller italienischer Philister, die auch nicht übel sind – wurden arme Tiere, Hühner und Enten, die man transportierte, so niederträchtig gequält und dem schrecklichsten Verschmachten überlassen, daß mich die scheußliche Gefühllosigkeit der Menschen, die immer diesen Anblick vor Augen hatten, wieder mit rasendem Ingrimm erfüllte. Zu wissen, daß man nur ausgelacht wird, wenn man hier einschreiten wollte!!‹ Von Locarno begab er sich weiter nach Lugano als eigentlichem Ziel seines Ausfluges, wo er sich sogleich bei Entwerfung seines Reiseplanes einen mehrtägigen Aufenthalt vorgesetzt hatte, anfänglich sogar mit dem Gedanken, hier vielleicht mit der Dichtung des ›Rheingoldes‹ sich zu beschäftigen.69 ›Hier in Lugano ist es wieder göttlich‹, schreibt er am 22. Juli von dort aus bei großer Hitze an Uhlig ›aber die Einsamkeit plagt mich fürchterlich. Herwegh ist nicht gekommen, der hat jetzt verdrießliche Geschichten;70 und so habe ich meiner Frau geschrieben, sie möge mit Peps kommen.‹ Mit ihr, die auf seinen Ruf alsbald eintraf, ging er dann nochmals an den Lago maggiore, über den Simplon nach Wallis, Chamounix, Mer de glace usw. und über Genf und Lausanne nach Zürich zurück.

Fußnoten

1 Auch er gehörte vor der Revolution zu der (S. 311 dieses Bandes) von uns erwähnten Kgl. Sächsischen Garde in roter Uniform mit Bärenmützen. In Zürich war er nach seiner Flucht als höherer Beamter der schweizerischen Eisenbahn angestellt.


2 Briefe an Minna Wagner, I, S. 80. An Uhlig, S. 122.


3 Ebendaselbst, S. 117.


4 Daß die gleiche irreleitende Nachricht damals – ganz ohne Grund – durch mehrere deutsche Zeitungen gegangen sei, bestätigt Liszts Äußerung vom 1. Dezember: ›Vielleicht kommst Du bald, wie es manche Zeitungen schon jetzt melden, nach Deutschland zurück‹ (Briefwechsel, I, S. 154). Daß Herr v. Beust darüber anders gesinnt war, beweist der Umstand, daß noch zwei Jahre später (1853) der ›Steckbrief‹ Wagners in den deutschen Polizeizeitungen erneuert wurde.


5 Zur Erinnerung an ihre Dresdener Wirksamkeit hatte die Künstlerin durch einen jungen, sehr talentvollen Bildhauer in Gotha ein lebensgroßes Medaillon von sich anfertigen lassen, um es dem Dresdener Theater als Geschenk zum dauernden Schmucke seines Foyers zuzuwenden. Die schmachvolle Behandlung, welche sie damals in Dresden erfuhr, bestimmte sie natürlich, das beabsichtigte Geschenk zu unterlassen.


6 An Uhlig, S. 111.


7 Ges. Schr. VI, S. 369/370.


8 An Uhlig, S. 120.


9 Ebenda, S. 113.


10 An Liszt, S. 149.


11 An Uhlig, vgl. Bayreuther Blätter 1892, S. 99: ›Aus der Geschichte des Bayreuther Gedankens‹, von J. van Santen-Kolff.


12 An Uhlig, Albisbrunn, 20. November 1851.


13 Briefwechsel mit Liszt, I, Nr. 67, S. 143/153.


14 Briefe an Minna, I, S. 86.


15 Noch von Albisbrunn hatte er (7. November 1851) an Minna geschrieben: ›Meine Sehnsucht nach Haus und der hübschen Wohnung wird jetzt immer stärker, und ich freue mich wirklich sehr auf die Rückkehr‹ (Briefe an Minna Wagner, I, S. 86).


16 An Uhlig, S. 113.


17 An Uhlig, S. 126.


18 An Liszt, I, S. 156, vgl. auch S. 342 Anm. des gegenwärtigen Bandes.


19 An Uhlig, S. 127.


20 Vgl. A. Heintz, ›Richard Wagner in Zürich‹, ein Gedenkblatt, Allg. Musik-Zeitung 1896, S. 92, nach den Mitteilungen von Frau M. Wesendonck.


21 An Uhlig, S. 147.


22 Briefwechsel mit Liszt, I, S. 157.


23 Ebenda, S. 161.


24 An Uhlig, S. 139.


25 Bakunin war durch die sächsische Regierung der nach ihm fahndenden russischen ausgeliefert und wurde in der Folge – nach achtjähriger Einkerkerung, die aber Geist und Willen in ihm nicht zu brechen vermochte – in die Verbannung nach Sibirien geschickt. Er war um jene Zeit verschollen, und der Irrtum Herweghs über sein Schicksal wurde von vielen Zeitgenossen geteilt.


26 Briefe von und an Georg Herwegh, München 1896.


27 Otto Friedrich Ludwig Wesendonck, geb. 16. März 1815 zu Elberfeld als zweiter Sohn des Kaufmanns Karl Wesendonck († 30. Mai 1857), reiste im Alter von 18 Jahren im Auftrag eines Elberfelder Hauses nach Amerika und übernahm bei seiner Rückkehr die Vertretung des großen New Yorker Importgeschäftes Loeschigk, Wesendonck & Ko. für Europa, bis er sich Mitte der 60er Jahre von allen Geschäften zurückzog. Am 19. Mai 1848 verheiratete er sich in zweiter Ehe mit Mathilde Luckemeyer (geb. 23. Dezember 1828 in Elberfeld). Die Neuvermählten ließen sich zunächst in Düsseldorf nieder; i. J. 1850 reisten sie nach Amerika, 1851 erwählten sie sich Zürich zu dauerndem Wohnsitz (vgl. Wolfgang Golther, Einleitung zu seiner Ausgabe der Briefe Richard Wagners an Otto Wesendonck). – Der Name Wesendonck wird in den Urkunden und Briefen regellos bald mit k, bald mit ck geschrieben.


28 Allg. Mus.-Zeitung 1896, S. 92/93.


29 Ges. Schr. IV, S. 289.


30 An Liszt, S. 63.


31 An Uhlig, S. 175.


32 An Röckel, S. 8.


33 An Uhlig, S. 133.


34 An Röckel, S. 17.


35 An Uhlig, S. 134.


36 An Uhlig, S. 144. 145.


37 An Uhlig, S. 130.


38 ›Im Januar 1852‹, erzählt ein gewisser Dr. Rollet, Freund Alfred Meißners und Bewunderer Gutzkows, als überall verwiesener ›Jung-Österreicher‹ damals in Zürich weilend, ›wurden im vierten Abonnements-Konzert der Züricher »Allgemeinen Musikgesellschaft« unter Wagners Leitung die Musik zu Egmont und Beethovens siebente (?!) Symphonie zur Aufführung gebracht, und zwar, einzig durch seinen Einfluß, in einer Weise, daß alles von der Gewalt des Genius Beethovens unwiderstehlich, wie niemals, ergriffen war. Ich wohnte nicht nur der Aufführung, sondern auch fast allen vorhergegangenen Proben dazu bei, sowie auch den Proben zu der im April desselben Jahres stattgehabten Aufführung des fliegenden Holländers und den Vorstellungen dieser Oper. Es war geradezu erstaunlich mit welchem Geschick (!) er alle im einzelnen und im ganzen zu beleben wußte, mit welcher Großartigkeit er dem Werke den richtigen Schwung vom Anfang bis zum Ende zu geben verstand, mit welcher Ausdauer und unermüdlichen Kraft er den sturmerregenden und sturmbeschwörenden Kommandostab des Dirigenten führte. Mit Händen und mit Füßen, mit dem ganzen Leibe trat er in die lebhafteste Aktion, und man sah, daß es ihm in jedem Augenblick heiliger flammender Ernst damit war, vom ersten bis zum letzten Takte.‹ (Dr. Hermann Rollet in der Wiener ›Neuen fr. Presse‹ vom 24. März 1883.)


39 An Liszt, I, S. 466.


40 Allg. Mus.-Zeitung 1896, S. 92.


41 An Uhlig, S. 173/74. Vgl. die verwandte Bemerkung über das Genre der Opernouvertüre überhaupt: Ges. Schr., IV, S. 242.


42 An Uhlig, 26. Februar 1852 (S. 165).


43 An Uhlig, S. 178 u. 182.


44 Ebenda, S. 181.


45 Ebenda, S. 185.


46 Ebenda, S. 186.


47 An Liszt, Briefwechsel, I, S. 178.


48 An Uhlig, S. 184/85.


49 Ges. Schr., V, S. 65/81: ›Über musikalische Kritik. Brief an den Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik.‹ Er erschien ursprünglich in der N. Z. f. M., Bd. XXXVI, S. 57; ihm folgte bald darauf (S. 105) der bereits ein Jahr früher geschriebene ›Brief an Franz Liszt über die Goethestiftung‹; dann wurden beide nochmals unter dem Titel: ›Zwei Briefe von Richard Wagner‹ als Broschüre veröffentlicht.


50 An Uhlig, S. 172. 183. An Liszt, I, S. 170. 171. 178. 179.


51 An Uhlig, S. 185. 190/91.


52 Allg. Musikzeitung 1896, S. 92. Ebendaselbst findet sich noch der rätselhafte Zusatz: ›Ein gern gesehener Gast war die Lieblingsschwester Richard Wagners, Frau Cäcilie Avenarius‹, mit der weiteren ausmalenden Hinzufügung: ›stets übte ihre Gegenwart einen günstigen beruhigenden Einfluß auf seine häuslichen Beziehungen und seine Stimmung aus.‹ Da die Tatsache feststeht, daß Cäcilie Avenarius ihren Bruder trotz seiner wiederholten dringenden Einladungen (Familienbriefe S. 194. 198. 204. 233. 242. Briefe an Minna, II, 249/50) nie in der Schweiz besucht hat, kann nur eine Verwechselung vorliegen; es ist aber schwer zu sagen, mit wem? Denn der Besuch der Schwester Klara Wolfram fällt in eine viel spätere Zeit (1856).


53 Die vom 18. Mai 1852 datierte Beantwortung dieser Einladung bildet den ersten der von Frau E. Wille herausgegebenen ›Fünfzehn Briefe von Richard Wagner‹ nebst daran geknüpften ›Erinnerungen‹ (Berlin, 1894).


54 E. Wille, Erinnerungen, S. 28.


55 ›Die Wissenschaft hat uns den Organismus der Sprache aufgedeckt; aber was sie uns zeigte, war ein abgestorbener Organismus, den nur die höchste Dichternot wieder zu beleben vermag. Der nach Erlösung schmachtende Dichter steht jetzt im Winterfroste der Sprache da, und blickt sehnsüchtig über die pragmatisch prosaischen Schneeflächen hin, von denen das einst so üppig prangende Gesilde bedeckt ist. Vor seinem schmerzlich heißen Atemhauche schmilzt aber da und dort der starre Schnee, und siehe da! – aus dem Schoße der Erde sprießen ihm frische grüne Keime entgegen, die aus den erstorben gewähnten alten Wurzeln neu und üppig hervorschießen, – bis die warme Sonne des nie alternden neuen Menschenfrühlings heraufsteigt, allen Schnee hinwegschmilzt, und den Keimen die wonnigen Blumen entblühen, die mit lächelndem Auge froh die Sonne begrüßen.‹ ›Oper und Drama‹ II (›Dichtkunst und Tonkunst im Drama der Zukunft‹). Ges. Schr. IV, (S. 160/61). Vgl. im Wagner-Lexikon den Artikel ›Sprachwur zeln‹.


56 E. Wille, Erinnerungen, S. 54/55.


57 An Uhlig, S. 192.


58 Seite 489, Anm.


59 Er war darin schließlich zu dem Ergebnis gelangt, daß Wagner für die ›Textdichtung‹, bei unzweifelhafter dramatischer Gestaltungskraft ›was die Leichtigkeit und Schönheit, Innigkeit und Sinnigkeit (!) in einfach volkstümlicher Form, kurz was Poesie der Sprache betrifft, die eigentliche Begabung in vollem Maße nicht zu gemessen sei!


60 Mit der naiven Selbsttäuschung dieser eigenartigen Zusammenstellung stimmt die Aufrichtigkeit überein, womit er sich in demselben Zusammenhange fast darüber beklagt, daß ihn Wagner bei seinen ›oftmaligen‹ Besuchen in des Meisters Stadtwohnung ›stets mit einem Lächeln empfangen habe, welches zwar freundlich, aber nichts weniger als auf einer vertraulichen Basis begründet (!) erschien‹. (Ein Autograph von Richard Wagner, Gedenkblatt von Dr. Hermann Rollett, Neue fr. Presse vom 24. März 1883.)


61 An Uhlig, S. 201.


62 An Liszt, I, S. 182.


63 An Uhlig, S. 201.


64 Briefwechsel mit Liszt, I, S. 225.


65 ›Bis jetzt ist meine Reise sehr glücklich von statten gegangen: immer schönes Wetter, nur ein paarmal kurzes Gewitter, was nur interessant war. Montag ging es früh von Interlaken fort nach Lauterbrunnen, auf die Wengernalp (wo man die Jungfrau mit den Händen greifen kann) und von da über die Wengern-Scheideck hinab nach Grindelwald. Dienstag bestieg ich das Faulhorn (8200 Fuß hoch), von wo die Aussicht allerdings furchtbar erhaben ist; dort blieb ich zu Nacht, und ging Mittwoch hinab, über die große Scheideck, an dem Rosenlauigletscher vorbei nach Meiringen‹ (Briefe an Minna Wagner, I, 89).


66 An Uhlig, S. 202/3. Vgl. Briefe an Minna Wagner, I, S. 90: ›Dies Berner Oberland ist das unverschämteste und bettelhafteste Nest, was man sich vorstellen kann. Jeden Tag habe ich noch einen Louisdor einwechseln müssen und an Sparsamkeit oder Einrichtung ist da gar nicht zu denken.‹


67 An Uhlig, S. 204.


68 Ebenda, S. 205.


69 An Uhlig, S. 196.


70 Es war die peinliche Angelegenheit seiner Beziehungen zu dem russischen Emigranten Alexander Herzen und dessen Familie, die ihn mit tiefer Verstimmung erfüllte. ›Wille suchte umsonst, den Herzen, Herweghschen öffentlichen Erklärungen in den Blättern ein Ende zu machen‹, erzählt Frau Wille in ihren Erinnerungen ›und übersandte dem Baron Herzen die Herausforderung Herweghs; jener weigerte sich darauf einzugehen, infolge der Entscheidung eines in London von Mazzini präsidierten Ehrengerichtes.‹ Als darauf Herwegh seitens mehrerer namhafter deutscher Flüchtlinge in Berruf getan werden sollte, trat Wille für ihn ein (E. Wille, Erinnerungen, S. 76).

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 473-502.
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