[186] Fünf und zwanzigstes Schreiben.

Von des Königs in Sardinien Hofstaate.

Mein Herr!


Unter allen Ehrenstellen, wornach ein am königlichen sardinischen Hofe sich aufhaltender Edelmann trachten kann, haben zweyerley den höchsten Rang, nämlich der Ritterorden dell Annonciada und die vierMaitres-Chargen, des Grand Chambellan, Grand Maitre, Grand Ecuyer, und Grand Veneur. Rand links: Von den vier Grands Maitres. Diese vier Bedienungen gehen allen andern vor, und wechseln unter einander nach der Länge der Zeit, in welcher man seine Bedienung bekleidet, ausgenommen, daß keiner in seinem Posten dem andern den Rang giebt. Itziger Zeit sind sie mit folgenden Personen besetzt.

Grand Chambellan ist der Marquis de la Pierre, General de la Cavallerie, Chevalier & Doyen de l'Ordre, ein Savoyard von sechs und neunzig Jahren, welcher schon vor vier und sechszig Jahren dem Könige Ludwig den vierzehnten ein Regiment Savoyarden als Oberster zugeführet, und vorher bey Mad. Christine, Heinrichs des vierten Tochter,[186] Kammerjunker gewesen war. Er ist allezeit wegen seiner guten Gestalt, Herzhaftigkeit, Verstand, aufgeräumten Gemüthes und Höflichkeit, itzo aber sonderlich wegen seiner bey so hohem Alter ganz ungemeinen Munter- und Lebhaftigkeit in großem Ansehen gewesen.

Grand Maitre ist der Marquis de Coudray, Chevalier de l'Ordre, ein Savoyard von etlichen und achtzig Jahren, welcher vordem des Prinzen von Piemont Obersthofmeister gewesen und sich durch seinen Verstand und Höflichkeit vielen Ruhm erworben hat. Er hat als Grand Maitre sechs Offices unter sich, nämlich 1) la Credenze, 2) la Sommeillerie, 3) la Confiturerie, 4) la Fruiterie, 5) la Cuisine, 6) la Vaisselle.

Grand Ecuyer ist Piosasque, Comte de Non, General de la Cavallerie, & Chevalier de l'Ordre, ein Piemonteser von etlichen und siebenzig Jahren.

Grand Veneur ist der Marquis de Tana, ein überaus braver Mann, der außer dieser noch über acht Bedienungen und bey vierzig tausend Livres Besoldung davon hat. Er ist schon seit zehn Jahren vom Hofe und dem Prachte der Welt abgestorben, um den geistlichen Uebungen besser obzuliegen. Aus dieser Ursache hat er auch den Ritterorden dell Annonciada, womit ihn der König bey der letzten Promotion begnadigen wollen, unterthänigst verbethen, welches den König bewogen, solchen wider alles Vermuthen an dessen Bruder den Marquis d'Entreyves zu geben.Mr. de St. Martin, Marquis de Rivarole, Grand Fauconier, Grand Croix & Conservateur de l'Ordre Militaire des SS. Maurice & Lazare, Gentil-homme de la Chambre du Roy, hat die Anwartschaft auf des Marquis von Tana Bedienung, und vertrittindessen, so lange dieser vom Hofe abwesend ist, seine Stelle.

Diejenigen, so itzt gemeldte vier Bedienungen haben, werden les quatre Grands genennet, und bekömmt jeder von ihnen nach der Ausfertigung seines Patentes jährlich zwölf tausend Livres de Piemont, außer demjenigen, was sie von andern Chargen, Gouvernementen, Commanderien etc. ziehen. Rand rechts: Les quatre Grands.

Der Ritterorden dell' Annonciada ist im Jahre 1362 von Amadeo dem sechsten1 gestiftet, und seine Aufrichtung, Mitglieder und deren Wapen von dem Staatssecretär Capré in einem weitläuftigen Folianten, der im Jahre 1654 gedruckt worden, beschrieben. Rand rechts: Orden dell' Annonciada. Von solcher Zeit an aber fehlet die Fortsetzung, und wäre vieles auch in dem Hauptwerke selbst zu verbessern. Das Ordenszeichen ist ein Engel, welcher mit einem Palmzweige der Jungfrau Mariä erscheint. Wenn ich sagte, daß man in Kupferstichen bisweilen die Verkündigung Mariä an diesem Ordensbande aus heiliger Unwissenheit also vorstellte, daß der Engel mit einem Crucifixe der Mutter Christi erscheint: so würde man es ohne Zweifel als eine ersonnene Lästerung, womit man nur Scherz treiben wollte, auslegen, und ist mir dergleichen Vorwurf bey D. R. dem Abbé Bencini und P. Roma wiederfahren; allein es fiel mir nicht schwer, sie mit dem deutlichen Augenscheine schamroth zu machen, und kann ich zum Beweise einem jeden noch täglich vorlegen die Theses oder Exercitationes Physiologicas, über welche Mauritius Blanderatensit ALDOBRANDINVSMarchio de S. GEORGIOd. 3Aug. 1729. in der turinischen Akademie disputiret hat. Rand rechts: Crucifix bey einer Verkündigung Mariä. Sie sind dem Könige dediciret und in Regia Taurinensi Academia apud Joh. Bapt. Chais, S S. R. M. Excellentissimorum Magistratuum Regiæque Universitatis Typographum Superiorum permissu in Folio gedruckt.[187]

Wem mein obiges Vorgeben zweifelhaft vorkommen sollte, denselben ersuche ich, dus Titelblatt dieses Werkes und das daselbst um das königliche Wapen gewundene Ordenszeichen in Augenschein zu nehmen. Die Ritter tragen eine Kette, welche aus goldenen weiß und roth emaillirten Rosen besteht und drey Finger breit ist. Man findet auf derselben die Buchstaben F. E. R. T. mit untermischten Zweifelsknoten, aus welchen etliche französische Scribenten allerley venerische Figuren haben machen wollen, weil sie in dem Wahne gestanden, es sey dieser Orden einer gewissen Weibesperson zu Ehren aufgerichtet worden, wie man auch auf eine ungegründete Art den Ursprung des Ordens vom goldenen Vließe von einer nicht allzuehrbaren Begebenheit hat herleiten wollen. Unten am Orden der Annonciada hängt zwischen drey dergleichen Zweifelsknoten die Abbildung der Verkündigung Mariä. Was die Buchstaben F. E. R. T. sagen wollen, ist noch unausgemacht. Etliche erklären sie: Fortitudo Ejus Rhodum Tenuit, und halten dafür, es habe sie Amadeus der fünfte, nachdem er die Insel Rhodis von einer türkischen Belagerung befreyet, dem savoyischen Wapen, worinnen sie noch heut zu Tage befindlich sind, einverleibet. Allein GVICHENON Tom. I, lib. I, f.141. sq. seiner genealogischen Historie des savoyischen Hauses beweist aus alten Münzen, daß sie schon vor solcher Zeit im savoyischen Wapen zu sehen gewesen seyn. Wie die Gelehrten sich über die fünf Vocales, A. E. I. O. V. welche Kaiser Friederich der dritte dem Erzhause Oesterreich zugeeignet, gemartert haben, ist bekanntgenug. Ein gleiches ist mit dem alten Sinnbilde der Markgrafen von Saluzzo, nämlich den Buchstaben N. O. C. H. geschehen, welche endlich einer im Scherze dahin erkläret hat, daß sie heißen sollten: Non Omnes Capiunt Hoc.

Alle Ritter dell'Annonciada müssen vorher den vom Amadeo dem achten im Jahre 1434 gestifteten Orden de S. Maurice haben, und nehmen sie ihren Rang, nachdem sie früher oder später den letztgemeldten Orden empfangen haben. Die Chevaliers de S. Maurice dürfen nur einmal heirathen, und zwar keine Witwe. Von dem Orden der Annonciada ist der König Großmeister, des Königs Söhne und der erste Prinz vom Geblüte haben nothwendig den Orden, die Zahl der übrigen Ritter darf sich nicht über funfzehn erstrecken, und stehen sie anitzo in nachfolgender Ordnung:


Le Roy, Grand Maitre hereditaire.

S. A. R. le Prince de Piemont.

Amadée de Savoye, Prince de Carignan, Premier Prince du Sang.

  • 1) Le Marquis de la Pierre, Grand Chambellan, Doyen de l'Ordre.

  • 2) Le Marquis de St. Thomas, Premier Ministre.

  • 3) Le Marquis de Coudray, Grand Maitre.

  • 4) Le Baron de Rhebinder, General en Chef.

  • 5) Le Marquis Geraci, Sicilien.

  • 6) L'Abbé de S. Gall.

  • 7) Ernest Leopold, Landgrave de Hesse-Rheinfels, Pere de S. A. R. Madame la Princesse.

  • 8) Eugene de Savoye, Prince de Soissons.

  • 9) Le Marquis del Borgo, Premier Secretaire d'Etat.

  • 10) Le Marquis d'Entreyves, General de Bataille, Colonel des Gardes à pied.

  • [188] 11) Pallavicini, Baron de St. Remy, General d'Artillerie & Gouverneur de la Citadelle de Turin.

  • 12) Le Comte Gouvon, Chevalier d'honneur de la feue Reine.

  • 13) Le Comte Maffei, Ambassadeur en France, cydevant Vice-Roy de Sicile.

  • 14) Le Comte de Non, Grand Ecuyer, General de la Cavallerie.

  • 15) Le Marquis de Garesio, General de la Cavallerie, Gouverneur de Saluces.


Alle diese Ordensritter haben sowohl als les quatre Grands den Titel von Excellence. Die Zahl derselben ist erst in diesem Jahre durch eine starke Promotion wieder ergänzet worden, und zwar nach dem Tode des Generals von Schulenburg: daher einige in den Gedanken stehen, man habe solche mit Fleiße so lange anstehen lassen, weil man ihn weder vorbey gehen und ihm andere vorziehen wollen, noch er wegen der protestantischen Religion in diesen Orden hätte eingenommen werden können.

Der König hat zwölf Kammerherren, die aber nur Gentilshommes de la Chambre genennt werden. Rand rechts: Kammerherren. In der Stadt wechseln sie täglich in ihrer Aufwartung, auf dem Lande aber alle Wochen. Ihre Besoldung geht nicht höher als auf fünfhundert Liveau de Piemont, deren jeder etwan acht und zwanzig Kreuzer austrägt. Es wird niemand zu einer Hofbedienung befördert, der nicht vorher Officier gewesen: wozu Gelegenheit soll gegeben haben, daß der König in einer seiner ersten Kriegsactionen fast von allen seinen Hofleuten, die des Feuers nicht gewohnt waren, verlassen worden2. Rand rechts: Avancements der Officiere. Gedachte Beförderung machet, daß die reichsten und vornehmsten jungen Leute Fähndriche und Lieutenants zu werden suchen.

Die reichsten Herren in demsußsesten Lande sind itzt 1) der Marquis von St. Germain, 2) Marquis von St. George, der über funfzig Güter besitzt; beyde haben ihr meistes Vermögen in Savoyen. 3) Der Marquis von Caraille, 4) Marquis von Entreyves.

Was den Ritterorden von St. Maurice anlangt, so ist der König Grand Maitre davon, und alle Ritterdell Annonciada sind Mitglieder desselben. Rand rechts: Orden von S. Maurice. Von den übrigen führe ich hier nur an:


  • 1) Le Marquis de Morus, Chancelier de l'Ordre.

  • 2) Le Comte de Provana, Grand Hospitalier.

  • 3) Le Marquis de Rivarole, Grand Conservateur.

  • 4) Comte de Morus, Grand Croix.

  • 5) Marquis d'Allinges, Grand Croix.

  • 6) S. A. le Marquis de Suse etc.


Maitre de Ceremonies ist der Marquis d'Angrogna.

Premiers Ecuyers und Gentilhommes de la Chambre du Roy sind, so viel mir itzt bewußt:


  • 1) Le Marquis de Mos.

  • 2) Le Marquis Dogliani, Sohn des Marquis del Borgo.

  • 3) Le Marquis d'Albi.

  • 4) Le Commandeur de Chalan.

  • 5) de Coudray, Marquis d'Allinges. etc.


Bey Ihro Hoheit dem königlichen Prinzen sind:


  • 1) Le Baron de Valaise.

  • 2) Le Comte de Genouil.

  • 3) Le Comte de Biscaret.

  • 4) Le Baron de Blaunay etc.


[189] Zum besondern Hofstaate Ihrer Königl. Hoheit der Prinzeßinn von Piemont gehören: Rand links: Hofstaat.


  • 1) Le Chevalier de Siê.

  • 2) Madame la Marquise de St. Thomas, Dame d'Honneur.

  • 3) Madame la Comtesse de St. Sebastien, Dame d'Atour etc3


Die Liste der vornehmsten Kriegsofficiere werde ich ein andermal einsenden, anitzo füge ich noch die vornehmsten Civil- und Staatsbedienten hinzu, weil durch dieselben der Hof nicht wenig gezieret und vermehret wird.

Das Staatsministerium, was die politischen Sachen anlanget, besteht: Rand links: Staatsminister.


  • 1) aus dem Marquisde S. Thomas, Premier Ministre.

  • 2) Marquis del Borgo, Premier Secretaire d'Etat pour les affaires Etrangeres.

  • 3) Comte Meliarede, Secretaire d'Etat.

  • 4) Comte de Goyon, Ministre d' Etat.

  • 5) President Pensabene, Ministre d'Etat.

  • 6) Comte Fontana, Premier Secretaire des guerres.

  • 7) Comte de la Perouse, Auditeur General des guerres.


In dem Rathe von Sardinien sitzen: Rand links: Rath von Sardinien.


  • 1) Le Regent Calcerini.

  • 2) Le Premier President Riccardi Garde de Seaux.

  • 3) Le Comte de Paesana etc.


Zum Conseil d'Etat gehören:


  • 1) Le Premier President Riccardi, Garde de Sesux.

  • 2) Le Comte Majno, Referendaire.

  • 3) Le Comte Tapparel, Referendairs.

  • 4) Le Sr. Demarchi, Referendaire.


Abwesend sind itzt als Ministeran auswärtigen Höfen:


  • 1) Le Comte Maffei, Chevalier de l'Ordre de l'Annonciade, cydevant Vice-Roy de Sicile, Ambassadeur an dem französischen Hofe.

  • 2) Le Marquis d'Ormea, Ambassadeur zu Rom.

  • 3) Le Marquis de Brayes, Envoyé Extraordinaire am kaiserlichen Hofe.

  • 4) Le Chevalier d'Osorio, ein Sicilianer, Envoyé Extraordinaire an dem englischen Hofe.

  • 5) Le Comte Ciusani, Minister des Königs bey den Generalstaaten.


Von auswärtigen Höfen ist niemand am turinischen Hofe accreditiret, als Monsr. d'Allene, Minister des Königs von Großbritannien, und Monsr. Blondel, königl. französischer Legationssecretär. Rand links: Auswärtige Minister.

Was die vornehme Geistlichkeit bey Hofe anlanget, so gehören hieher, nicht zwar wegen einiger Gewalt oder Autorität in des Königs Gemüthe, sondern wegen ihrer Bedienung. Rand links: Geistliche Bedienungen bey Hofe.


  • 1) Monsignor Francesco Arborio Gattinara, Archeveque de Turin, Grand Aumonier.

  • 2) Monsignor Falleti de Barolles, Archeveque de Cagliari, Primat de Sardaigne, Aumonier du Roy, ein Bruder des Marquis du Cavatour.

  • 3) P – – – ein Feuillant, des Königs Beichtvater.


[190] Ein besonderer Vorzug bey Hofe ist La Grande Entrée beym Könige, und haben solche nur die Chevaliers des obersten Ritterordens, die Erzbischöfe und Bischöfe, die Generale, so en chef die Artillerie, Infanterie oder Cavallerie commandiren, die Staatsminister und Ambassadeurs, desgleichen die Envoyés von auswärtigen Höfen. Rand rechts: La Grande Entrée. Sie besteht aber darinnen: daß vormittags nach zehn Uhr, wenn der König in der Residenz ist und in die Messe gehen will, da alle andern inder Antichambre auf ihn warten, die angeführten Personen (worunter auch die Gentils-hommes de la Cour und der Officier, so die Garde selbigen Tages haben, zu rechnen sind) in des Königs Zimmer den Eintritt haben, und vor ih mwieder hergehen, da indessen die andern auf beyden Seiten des Durchganges stehen. Bey solcher Gelegenheit und in der Messe kann man den König täglich zu sehen bekommen; allein es geschieht sehr selten, daß er mit jemanden spricht, es sey dann, daß man besonderes Gehör verlanget, zu welchem fremde Reisende selten Ursache haben. Leichter kann man mit dem Könige reden, wenn er à la Venerie ist, nicht nur wenn er in die Messe und daraus geht, sondern auch in der Galerie, woselbst er mittags vor der Tafel spazieren zu gehen pfleget. Rand rechts: Hofleben à la Venerie, und in der Stadt. Uebrigens ist alsdann der Hof sehr einsam, und der König liebt solche Stille. Der Kronprinz geht daselbst oftmals herum, ohne daß ihm jemand folgt als der Kammerherr, so wegen seines Amtes bey ihm seyn muß. Die Kronprinzeßinn sieht fast gar niemanden. Wenn man auch hinausfährt, um etwas bey dem Könige vorzubringen oder ihn in die Messe zu begleiten, so kömmt man doch gegen Mittag in die Stadt zurück, und (wie ich schon einmal erwähnet) speiset niemand mit dem Könige als der Prinz von Piemont und dessen Gemahlinn. Letztere kann man in der Stadt alle Abende bey Hofe in der Versammlung sehen; sie spricht aber selten mit jemanden als mit ihren Damen; und die ganze Ceremonie, da die Prinzeßinn auf einem Lehnstuhle sitzt, und vor ihr in einem Zirkel die Damen, hinter solchen aber die Cavaliere stehen, dauret etwan eine halbe Stunde. Für einen Fremden ist das beste, daß er bey solcher Gelegenheit noch den Kronprinzen sprechen kann. Die französische und piemontesische Sprache sind diejenigen, welche gemeiniglich sowohl im ganzen Lande, als bey Hofe, geredet werden. Das Italienische ist weniger bekannt, und viele Damen bleiben bloß bey dem Piemontesischen, welches einem Fremden ihren Umgang beschwerlicher machet. Wenn der Hof in der Stadt ist, so darf niemand dahin in einem Haarbeutel und kleiner Perücke oder ohne einem langen Halstuche kommen. Der einzige Zeitvertreib, welchen man des Winters bey Hofe hat, ist währenden Carnavals die Opera. Rand rechts: Opera. Diese wird) zwar auf dem königlichen Theater gespielet, allein auf Verlag und Unkosten einiger Privatpersonen, welche desfalls in eine Gesellschaft getreten sind, um die in diesem Jahre dazu erfoderte Unkosten von fünf und siebenzig tausend piemontesischen Livres zu bestreiten. Ein Platzim Parterre kostet drey Livres de Piemont, und wenn man eine Loge in dem Rang de la Couronne, welches die andere Reihe von unten auf ist, für die ganze Zeit des Carnavals nimmt, zahlt man dafür zehn Louis d'or. Francesco Bernardi, genannt Senesino, ist in diesem Winter der vornehmste Sänger in Turin, und die berühmte Faustina die beste Sängerinn. Jener bekömmt für seine Bemühung währenden Carnavals sechshundert Louis d'or und diese fünfhundert. Das Opernhaus ist schön, und hat fünf lange mit Schnitzwerke und Verguldungen wohlgezierte Galerien über einander. Wenn jemand von der königlichen Herrschaft in der Opera ist, so darf niemand mit Händeklatschen oder anderm Lärmen sein Wohloder[191] Misfallen an den Singstimmen anden Tag legen, welches für begierige Zuhörer sehr gut und angenehm ist. Was aber die italienische Musik anlanget, werde ich davon meine Gedanken eröffnen, wenn ich vorher mehrere Virtuosen in Italien gehöret habe. Außer dem obgedachten Cercle ist keine Assemblee bey Hofe; man findet aber deren täglich in der Stadt, sonderlich bey der Prinzeßinn von Francheville und Madame de Cavaillar. Rand links: Assembleen. Es kostet nicht viel Mühe, daselbst eingeführt zu werden, wenn man nur spielen will. Rand links: Spiel. Es haben aber Reisende Ursache, wohl auf ihrer Hut zu seyn. Denn wenn man gleich seine Partey mit den ehrlichsten Leuten macht, und keine künstlichen Betrügereyen zu befürchten hat: so muß man doch sehr wohl beschlagen und fast ein Spieler von Profession seyn, wenn man es mit ihnen aufnehmen will, weil die piemontesische Nation gleichsam von Mutterleibe an spielet, und solchergestalt diese Wissenschaft ohne Mühe auf einen so hohen Grad bringt, daß ihr wenige darinnen beykommen. Sonst war die Academie de Pompejo, ein öffentliches Spiel- und Caffehaus, sehr berühmt, und weis mein Herr, was dem großen Finanzier Law darinnen paßiret ist4; es ist aber diese Spielakademie ganz eingegangen, und itzt das Caffehaus de Boiri in der Rüe neuve das einzige, worinnen öffentlich Basset gespielet wird. Rand links: Spielakademie de Pompejo. Law hat gezeigt, daß auf die Weise, wie man in Turin Basset spielet, die Taille allezeit vierzig pro Cent Vortheil über die Pointeurs hat, daher nicht zu verwundern, daß die Freyheit währenden Carnavals in diesem Jahre eine Banque nächst an der Opera auf dem Schlosse zu halten, an die Gesellschaft, welche die Unkosten der Opera übernommen hat, mit funfzig Louis dor bezahlt worden ist.


Ich bin – – –

Turin, den 1 Decemb. 1729.

Fußnoten

1 Dieser Amadeus der sechste wird auch Viridis, oder der grüne zugenennet, weil er im Jahre 1348 auf einem Turnier zu Chambery am ersten Tage in grüner Kleidung und mit grüner Livree erschienen ist.


2 Die Folgerung ist zu weit getrieben, weil ohne Zweifel auch Officiere werden bey ihm gewesen seyn, wenn was zu fürchten war, und man solches vorher hat absehen können. Sonst wäre es eben so viel, als wenn ein anderer Herr verlangte, alle seine Officiere sollten vorher studiren, weil er einsmals in einer wichtigen Sache sich bey seinen anwesenden Officieren keines Raths hätte erholen können.


3 Diese Dame hat nachher noch eine große Rolle gespielet, und die Anmerkung aufs neue bekräftiget, daß das Frauenzimmer dem Könige niemals Glück gebracht habe. Die Erfahrung sollte billig die beste Lehrmeisterinn seyn; allein der König, dem es sonst niemals an Klugheit gemangelt, hat dieselbe in seinen alten Tagen, in Ansehung dieser Gräfinn, nicht zu Rath gezogen.


4 Unter andern versprach er einsmals von seinem Gewinnste im Würfelspiele vier Fünftheile zurück zu geben, und in wenig Zeit gewann er dennoch auf sei nem Antheile 89 Louis d'or. Darauf zeigte er, was für Fehlerer an den Würfeln bemerket, und wie erdaraus abnehmen können, welche Seiten am meisten oder wenigsten auffallen würden.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 192.
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