[1371] Ein und neunzigstes Schreiben.

Anmerkungen über die in der bambergischen Domkirche befindlichen Reliquien des heiligen Vitus, und den darauf gesetzten schwarzen Hahn.

Mein Herr!


Als ich schon vor funfzehn Jahren die Heiligthümer der bambergischen Stiftskirche besah, kam mir sehr bedenklich vor, daß auf dem silbernen Arme, worinnen einige Reliquien des heil. Vitus und der heil. Adelgunda eingeschlossen seyn sollen, ein schwarzer Hahn zu sehen, welcher, wie man hier vorgiebt, voralters aus dieser Ursache darauf gesetzet worden, damit die Heyden, welche dem Hahne, als einem ihrem Mars geheiligten Thiere, große Ehrerbiethung erwiesen, dadurch desto leichter angelocket würden, indem sie vor dem Hahne niederfielen, auch unwissend denen in der silbernen Capsel verborgenen Reliquien der Heiligen die verlangte Hochachtung zu erweisen. Ich habe damals wegen dieses Heiligthums mit dem hiesigen Jesuiten N. etliche Briefe gewechselt, und hoffe ich, es werde meinem Herrn nicht zuwider seyn, wenn ich einen kurzen Auszug daraus hiemit überliefere.

Wenn man die Nachrichten der Martyrologiorum nur ein wenig retten und von offenbarem Widerspruche befreyen will, so muß man zum voraus setzen, daß mehr als ein Vitus unter die Zahl der Heiligen gerechnet worden. Rand rechts: Reliquien vom St. Vitus; DieActa SanctorumBOLLANDImens. Jun. T. II, p. 1021 und SVBIVS melden von einem St. Vitus, der zu den Zeiten Diocletians gelebet, und dessen ganzen Körper der Kaiser Wenceslaus von Pavia nach Prag bringen und in die Kirche St. Vitus vor den großen Altar legen lassen. Rand rechts: zu Prag; Dieses schreibt IohannesPESSINA in seinem Phosphoro oder der Beschreibung der pragischen Kirche St. Vitus dem Kaiser Karl dem vierten zu, und nach seinem Berichte ist diese Translation erst im Jahre 1355 geschehen. Nach anderer Scribenten Berichte hat Wenceslaus I. Sanctus, König in Böhmen, schon im Jahre 931 oder 935 vom Kaiser Henrico Aucupe einen Arm des h. Vitus als ein sonderbares Geschenk sich ausgebethen und erhalten. (conf. Acta Sanctor. l. c. p. 2041.) Ein dergleichen anderer Arm wird in Siena gezeiget. Rand rechts: zu Siena Von diesen Reliquien aber muß nothwendig unterschieden werden derjenige Körper des heil. Vitus, welchen Fulrad, Abt zu St. Denys, unter dem Könige Pipin nach Paris gebracht, und welchen Karl der[1371] große (wie PAPEBROCHIVSin Prolegom. Act. Sanct. l. c. will), oder wie WITICHINDVSlib. I meldet, Ludovicus Pius im Jahre 836 aus Frankreich nach Corbey abführen lassen, unde ipsi Franci testati sunt, quod ab illo tempore gloria Francorum ad Saxones translata sit, wie WITICHINDI Worte lauten. Rand rechts: zu Paris und Corbey. Dieser Vitus ist noch heut zu Tage Patron der gefürsteten Abtey Corvey in Westphalen, deren Mönche sich in Bekehrung der heydnischen Wenden zu dem Christenthume, nach der damaligen Art, insbesondere hervorgethan, ja im Jahre 878 bis auf die Insel Rügen gekommen, wo sie ein Oratorium aufgebauet haben1. Rand links: Bekehrung der Pommern. Rand links: Prätension der corbeyischen Mönche auf die Insel Rügen. Bey den westphälischen Friedenstractaten brachte diese Abtey ein Diploma Lotharius vom Jahre 844 zum Vorscheine, kraft dessen die dem heil. Vitus zum Schutze übergebene Insel Rügen den Mönchen zu Corbey sollte geschenket worden seyn. Es ist solches Diploma bey SCHATENin Annalibus Paderbornensibus, Tom. I, lib. II, ad an. 844 zu lesen, aber von keinem Nachdrucke gewesen, entweder weil es allzu verdächtig geschienen, oder nähere und mächtigere Prätendenten vorhanden waren. Sam. von Pufendorf de reb. gestis Frid. Wilh. lib. II, §. 37, p. 85 drücket die Gedanken des churbrandenburgischen Hofes über des Abts von Corvey Foderung mit folgenden Worten aus: Judicabat Elector, Abbatem otio abundare, ut talibus comminiscendis vacare possit. Hactenus ne mutire quidem ausum, nunc & ipsum in turbido piscari velle. Cæterum optandum esse, ut cum isto solo negotium sibi sit, qui prohibiturus non videatur, quo minus ipse Rugiam retineat. Der Kaiser Lotharius hat die Insel Rügen niemals innen gehabt, auch nach dem verdunischen Frieden keines Rechtes darauf sich anmaßen können, wie sollte er denn solches Land andern verschenket haben? HELMOLDVSlib. II Chron. Slav c. XII, p. 627 schreibt die Donation dem KaiserLudovico Pio zu; die Annales Corbejenses aber ad ann. 844, p. 371 beym PAVLLINIin Synt. Rer. & Antiq. German. dem Lotharius, welche Uneinigkeit der Geschichtschreiber einen neuen Zweifel an der Wahrheit der obgedachten Erzählung hervorbringt.

Nachdem aber auch St. Otto, Bischof zu Bamberg, sich die Bekehrung der Wenden an der Ostsee so sehr angelegen seyn lassen, daß er deswegen der Pommern Apostel genennt wird, so mag bey solcher Gelegenheit entweder der bambergische Arm des heil. Vitus von dem corbeyischen Heiligen genommen, oder wenigstens die Tradition, daß besagte Reliquie vom St. Vitus sey, daher entsprungen seyn. Rand links: Wie St. Veit in Bamberg bekannt worden.

In Bamberg selbst wissen sie von keinem andern heil. Vitus, als dessen das Breviarium Romanum beym 15 Junius gedenkt; was ihnen von seinen Reliquien bekannt ist, gründet sich auf die Tradition und auf ein altes Buch, dessen Titel ist: Die Weisimg undt Außruffung deß hochwirdigen Heylthumbß zu Bamberg, nach den rechten wahren Heilthumb abgezeignet. 1509. In dieser gedruckten Nachricht liest man bey der Abzeichnung des oberwähnten silbernen Arms, der zur Capsel dienet, die Worte: Das ist S. Veits Arm deß heyligen Martirers und dabey der Arm der heilgen Junckfrauen S. Adelgundis, und ein Stück von den Arm der heilgen Junckfrauen S. Luciæ. Aus dem Abrisse ist zu schließen, daß in der einen Capsel, worauf der Hahn steht,[1372] des heil. Vitus Reliquien allein befindlich, und die Heiligthümer der heil. Adelgundis und Luciä in einem besondern Arme verwahret sind.

Was den Hahn anlanget, so war solcher nicht nur dem Mars wegen seiner streitbaren Natur geheiliget, sondern auch dem Mercur, wie man aus der drittenGemma des Wildischen Kabinets, welche zu den Füßen des Mercurs einen Hahn vorstellet, urtheilen kann. Rand rechts: Der Hahn war verschiedenen Gottheiten geheiliget: Marti;Mercurio; (Vide selectas gemmas antiquasex MusæoIacobideWILDE, ab ipso illustratas, Amstelod. anno 1703, 410. p. 103.) LaurentiusBEGERVSin spicilegio Antiquitatis p. 35 führet eine Münze an, auf deren einer Seite Mercurs Kopf und auf der andern ein Hahn zu sehen ist. Was aber der Hahn für eine Gemeinschaft mit dem Mercur habe, zeiget dieses Thier beym LVCIANO selbst an, nämlich daß die Gelehrten und Handelsleute, welche beyde unter dem Schutze des Mercurs stunden, wachsam seyn müßten, wenn sie es in ihren Absichten weit bringen wollten2. Rand rechts: Soli; Æsculapio; Wegen eben dieser Wachsamkeit wurde der Hahn der Sonne, welche er mit seinem freudigen Krähen gleichsam bewillkommet, geopfert, wie auch dem Aeskulap, (vid.RHODIGIN. Ant. Lect. lib. XVI, c. 12.) desgleichen den LaribusIVVENAL. Sat. XIII, v. 233.) und zwar allen diesen genannten Göttern als ein angenehmes, der Nacht aber als ein verhaßtes Thier, weil es durch sein Geschrey das Tageslicht, wodurch die Nacht vertrieben wird, gleichsam hervorzuruffen schiene. (OVID. D. Fastor. lib. I, v. 455.) Rand rechts: der Nacht.

Ob die alten Deutschen und die Wenden bey ihrem heydnischen Gottesdienste mit Hahnen besondere Aberglauben getrieben, dieselben auf einige Art verehret, oder sie geopfert haben, melden die Geschichtschreiber zwar so deutlich nicht; man sollte es aber fast daraus schliessen, daß das gemeine Volk unter denen Thorheiten, die es bey Beschwörungen des Satans und andern abergläubischen Dingen brauchet, gemeiniglich auch auf einen schwarzen Hahn und das davon genommene Blut verfällt. Rand rechts: Der alten Deutschen Aberglauben mit dem Hahne.

In der Mythologie der mitternächtischen Völker wird eines Hahns gedacht3, welcher in der Valhalla, (woselbst die tapfern und im Kriege umgekommenen Leute ihren Himmel und Vergnügen nach dem Tode haben sollten) diese Helden zu ihren täglichen Luftkämpfen mit seinem Geschreye aufweckte, und saget davon die Voluspa in der ein und vierzigsten Strophe:


Gol um Asom

Gullinkambi

Sa vekr haulpa at hiarar

At heria faudrs.


Es erhob um die Gömmer der mit einem goldenen Kamme versehene (Hahn) seine Stimme, und weckte die Männer auf zun Waffen bey dem Vater der Kriegsheere. Dieser Vater der Kriegsheere und oberste Schutzgott der Waffen war Othinus, welcher daher auch Walfader, ein Vater der Wahlstatt, Walfodur, der Vater der Waffen, Audun, ein Verwüster, und Sigmundur, der Geber des Sieges in der XVIII Mythologia der Isländischen Eddæ genennt wird. Da nun der Othinus (in diesem Verstande) gar[1373] vieles mit dem Mars der Griechen und Römer gemein hatte, so kann es gar wohl seyn, daß ihm die Deutschen auch den Hahn als ein streitbares Thier geheiliget haben.

Auf der Insel Rügen wurde von den alten Einwohnern und ihren Nachbarn ein Götze mit Namen Suantevit angebethet, welchem sie den dritten Theil der Beute und des Raubes, den sie ihren Feinden abnahmen, heiligten, weil sie glaubten, er stehe ihnen in ihren Kriegen bey, und helfe selbst in den Schlachten mit streiten. Rand links: Von dem Götzen Suantevit, Die Umstände seiner Verehrung beschreibt SAXO GRAMMATICVSHist. Dan. lib. XIV, p. 320, welcher dafür hält, daß der Namen Suantevit aus Sancto Vito entstanden, und von den Rügianern, da sie von dem Christenthume wieder zur heydnischen Abgötterey abgefallen, zum Spotte und zur Verachtung des corveyischen Heiligen, welchen sie vorher hätten verehren müssen, ihrem Götzen gegeben worden sey. Auf diese Art wüßte man nicht, wie der heydnische Götze ursprünglich geheissen habe. HELMOLDVSin Chron. Slavorum (so bis auf das Jahr 1068 geht) lib. I, c. 6. und der AVTORChronicorum Slavor. (welchen LINDENBROGIVS herausgegeben hat) beziehen sich auf eine alte Tradition, und kommen darinnen mit SAXONE GRAMM. überein, daß der Namen Suantevit oder Sianlevit aus S. Vito entsprungen, halten aber dafür, daß dieser Götze erst entstanden, da das rugianische Volk wieder abgöttisch worden, und aus dem Christenthume die Verehrung des heiligen Vitus beybehalten oder auf heydnische Weise fortgesetzet hätte. Rand links: welcher nichts mit St. Vitus gemein hat. So viele Wahrscheinlichkeit diese Etymologie hat, so wenig halte ich sie gegründet, wenn ich erwäge, daß nicht nur die Beschreibung des Götzenbildes, wie sie SAXO weitläuftig giebt4, gar nichts in sich fasse, das auf einen christlichen Märtyrer, wie St. Vitus war, gezogen werden könnte; sondern es auch nicht nöthig ist, aus dem Lateinischen die Benennung eines Götzen herzuleiten, da solche aus der Sprache des Volkes, von dem er angebethet worden, genommen werden kann. Swante und Swiety heißt in wendischer oder slavischer Sprache5 ein Heiliger, und Wit oder Wiz das Licht. Der geschorne Bart und die kurz geschnittenen Haare des Bildes, sind nach SAXONIS Berichte Dinge, womit sich die rugianische Landsmanier und Mode von andern unterschiede; ist dannenhero[1374] nicht zu glauben, daß, wenn der Götze von fremden Nationen angenommen worden wäre, man gar nichts von der ausländischen Tracht sollte beybehalten haben6.

Ueber dieses ist Suantewil nicht der einzige Abgott der Wenden, welcher in der Endigung seines Namens eine Gleichheit mit dem heil. Vitus hat, sondernSAXO GRAMMATICVS und andere Autoren gedenken auch des Porewith und Rugicwith, welcher letzte vermuthlich nichts anders bedeutet als Deum Rugianorum. Wenn man diese Umstände mit der bambergischen Tradition zusammenhält, so scheint am glaubwürdigsten, daß die damaligen christlichen Missionarien sich des gleichlautenden Schalles der Namen Suantevit und Sancti Viti bedienet, umdie Neubekehrten desto leichter von dem heydnischen Abgotte abzubringen und an die Verehrung der Reliquien, welche zu solcher Zeit schon sehr hoch gestiegen war, zu gewöhnen. Rand rechts: Heydnische Aberglauben schleichen sich in die christliche Religion ein. Dubravius setzet im ersten Buche seiner böhmischen Historie deutlich, daß Wenceslaus Sanctus die vom Kaiser Otto dem ersten erhaltene heilige Reliquien des heil. Vitus seinen Böhmen anstatt des Zuantevitischen Götzendienstes recommendiret habe. Piscatorie nobis agendum est, nun Aristotelice, setzen die pontischen Bischöfe in ihren Schreiben an den Kaiser Leo, nach gehaltenem chalcedonischen Concilio, beym GVSSANp. 1177 seiner Anmerkungen zu des GREGORIIM. Werken, die 1705 in vier Folianten zu Paris herausgekommen sind. Allein daß man mit Beyfügung des Hahns einen Mischmasch aus einer heydnischen Abgötterey und einen Misbrauch der christlichen Religion gemacht, geht viel weiter, als daß es mit dem Deckmantel einerpiscatorlæ prudentiæ oder piæ fraudis entschuldiget werden könnte.

Ueberhaupt, wenn man die Bekehrung der Heyden im zehnten und folgenden Jahrhunderten ansieht, so weis man nicht, was die meiste Verwunderung verdiene, die unverschämte, unerlaubte und öfters sehr grausame Weise die Leute, welche den sogenannten Christen nichts zu leide gethan, zu Annehmung eines neuen Glaubens zu zwingen7, oder die Dummheit und Einfalt unserer Vorfahren, die sich endlich viele solche Lehren aufbürden ließen, so nicht vernünftiger waren, als die Irrthümer, welchen sie absagten. Rand rechts: Anmerkung über die Bekehrung unserer Vorfahren. Anstatt aber, daß nach etlicher[1375] Autorum Meynung das Heydenthum in Ansehung des Suantevit etwas von den Christen entlehnet hätte, so ist es vielmehr geschehen, daß man bey Verehrung der Reliquien des heil. Vitus unerlaubte Misbräuche aus dem Heydenthume angenommen hat.

Wie es mit der Anbethung der Heiligen so weit gekommen, daß ihnen unsere zum christlichen Glauben bekehrte Vorfahren auch geopfert haben, werden diejenigen nicht leugnen können, welche den von BALVZIO herausgegebenen Indiculum Superstitionum & Paganiarum, § 19 zu Rathe ziehen wollen; und daß man insbesondere dem heil. Vitus einen Hahn geopfert, läßt sich daraus muthmaßen, daß noch heut zu Tage in der Karthause Brüel zu St. Veit, eine Vierthelstunde von Regenspurg, jährlich an St. Vitus Tage eine große Proceßion gehalten wird, bey welcher jeder Bauer einen Hahn oder eine Henne dem heiligen Vitus bringt, und (wie sie es noch heißen) opfert. Rand links: Man opferte den Heiligen. Rand links: St. Vito einen Hahn. Rand links: Aberglauben der Wenden mit dem Hahne auch in neuen Zeiten. Wie lange auch die aberglaubische Verehrung des Hahns bey denen zum Christenthume äußerlich gebrachten Wenden, sogar nach den Zeiten der Reformation gedauert habe, erhellet aus des ehemaligen Obersuperintendenten des Herzogthums Zelle, D. Hildebrands Relation, welche er im Jahre 1672 bey der Generalvisitation des Striches Lands, so vom Hause Braunschweig-Wolfenbüttel an den Herzog von Zelle als ein Aequivalent für den Antheil an der Stadt Braunschweig, abgetreten wurde, aufgezeichnet hat. Rand links: Von der Sprache der Wenden im Herzogthume Zelle. In solcher Gegend wohnen noch viele Wenden, welche eifrig an ihren alten Gewohnheiten hangen, sich besser als die Deutschen dünken, und auch ihre eigene Sprache behalten haben, bis ihnen vor ungefähr funfzig Jahren von dem damaligen Oberhauptmann Schenk von Winterstadt solche untersaget worden, da sie denn nach und nach angefangen, dieselbe zu vergessen: und da die Jugend nicht dazu angewöhnet worden, so ist endlich erfolget, daß, da man hernach auf die Gedanken gerathen, es gereiche zu der Ehre eines Landesherrn, wenn vielerley an Sitten und Sprachen unterschiedene Völker seine Oberherrschaft erkenneten, und daher diesen Wenden befohlen worden, ihrer ehemaligen Muttersprache sich wieder zu gebrauchen, solches nicht mehr ins Werk zu richten ist, weil wenige Einwohner die wendische Sprache genugsam innen haben.

Die obangeführte noch ungedruckte und hieher gehörige Nachricht des D. Hildebrand ist in folgenden Worten abgefasset:[1376]

»Im ganzen Drawey8 werden überall zween Bäume sehr hoch und werth gehalten, der Kronen- und der Kreuzbaum. Rand rechts: Aberglauben der Wenden mit dem Kreuz- oder Hahnenbaume. Letzterer hat den Preis vor jenem, und wenn er umgefallen, darf er vor Mariä Himmelfahrt nicht wieder gerichtet werden, weil sie sagen, die Stäte wolle es nicht leiden. Etliche geben die Stäte für einen Geist von männlichem Geschlechte aus, andere machen eine Frau daraus. Darinnen kommen sie überein, daß es ein Genius sey, der sich an der Stäte dieses Kreuz- (oder vielmehr Hahnen-) Baums aufhalte, daher auch kein Wende mit garstigen Füßen über diesen Platz gehen darf. Einsmals begab es sich zu Rebensdorf (oder wie andere vorgeben, zu Dangsdorf), daß der Dorfbulle, als er von der Weyde kam, seine juckende Lende mit solcher Gewalt daran scheuerte, daß der Baum darüber umfiel und den Bullen todtschlug. Dieses nahmen die Bauern als ein doppeltes Anzeichen eines bevorstehenden großen Unglücks an9. Zur Versöhnung aber der beleidigten Stäte wird noch alle Jahre auf den Tag, an welchem der Bulle todtgeschlagen worden, alles ihr Vieh, groß und klein um den Baum getrieben. Es wird auch, wenn ein neuer Kreuzbaum aufgerichtet wird, das Vieh eingesegnet. Diese Einsegnung geschieht folgender Gestalt: Rand rechts: Einsegnung des Viebes. Erstlich saufen sich alle Bauern toll und voll; zum andern tanzen sie in vollen Sprüngen um den Baum, und führet der Schulze in seinen, Sonntagskleidern und mit einem breiten weißen Handtuche, das ihm um den Leib gebunden ist, den Reihen; drittens nimmt der Schulze ein großes Licht nebst einem Glase voll Bier in die Hand, geht damit um das zusammen getriebene Vieh, bespritzet solches mit Bier, und segnet es mit wendischen Worten ein. Zu Büliz und in dem ganzen Drawän werden die Häuser, Ställe, Küchen, Keller, Kammern und Stuben mit Bier oder Brandtewein an dem Tage, wenn der Kreuzbaum aufgerichtet wird, begossen, und glauben sie, die Stäte wolle es also haben, und litte widrigenfalls ihr Vieh Noth. Im Kirchspiele Predöhl jagen sie das Vieh um den Baum, damit es in selbigem Jahre wohl gedeihe, gehen auch mit einem großen Wachslichte, wie überall bey diesen aberglaubischen Gaukeleyen gebräuchlich ist, um den Kreuzbaum und reden etliche wendische Worte. Ja man saget, daß daselbst noch täglich ein alter Greis vor dem Baume niederkniee und seine besondere Andacht halte. Dieser Baum ist zwanzig und mehr Ellen hoch, oben ist ein hölzernes Kreuz10, und über dem Kreuze ein eiserner Hahn11. Rand rechts: Kreuzbaum. Der Stifter dieses Baums soll Karl der große[1377] gewesen seyn, und habe er damit der Wenden Unbeständigkeit abbilden wollen etc. Wenn nun Maria Himmelfahrt herannahet, wählen sie einen andern Baum im Holze, gehen am oberwähnten Tage in einem Haufen dem Holze zu, die Hauswirthe aber treten daselbst von der übrigen Gesellschaft aus, marschiren gerades Weges auf den Baum zu, und muß ein jeder von den Hauswirthen seinen besondern Hieb thun, bis der Baum fällt. Nach diesem legen sie ihn auf einen Wagen, decken den Baum mit ihren Oberröcken zu, daß man nichts davon sieht, und fahren also mit Freuden nach der Stäte, wo der vorige gestanden. Allhier kömmt ein alter Zimmermann von wendischer Art und Geschlechte, hauet ihn mit sonderlichen Ceremonien viereckigt, und stecket auf zwoen gegen einander überstehenden Seiten Pflöcke hinein, vermittelst welcher man als auf einer Treppe hinan steigen kann. Wann solches geschehen, wird der Baum mit großem Freudengeschreye ausgerichtet, der Dorfschulze klettert hinauf, setzet den Hahn über das Kreuz, und segnet ihn mit einem Glase Bier ein. Bey solchem Feste werden nach eines jeden Dorfes Vermögen zehn, zwölf und mehr Tonnen Bier ausgesoffen. Die Einwohner behaupten: wann sie solches unterließen, so gedeihe ihr Vieh nicht. Und dieß ist der Kreuzbaum.

Ein anderer ist nun der Kronenbaum, welcher am Johannistage gesetzet wird. Rand links: Vom wendischen Kronenbaume. Dieß ist ein Weiberbaum, in Betrachtung, daß ihn die Weiber allein hauen, fahren, setzen und aufrichten. Kein Weib ist so alt, sollte sie sich auch mit Krücken behelfen müssen, welche nicht mit hinaus wandere, oder wenigstens an dem Orte, wo der Baum aufgerichtet werden soll, erscheine. Am Abend vor Johannis wird er gehauen, und alle Zweige weggenommen bis an den Gipfel, an welchem man eine Art von Kronen läßt. Rand links: Vorspann von alten Weibern. Am Johannistage selbst nehmen die Weiber das Vordergestell eines Wagens, spannen sich anstatt der Ochsen oder Pferde vor, und ziehen also in das Holz. Das Wetter und der Weg mag beschaffen seyn, wie sie wollen, so fahren sie nicht aus der Heerstraße, sollten sie auch im Moraste und Wasser bis an die Ohren gehen müssen. Die starken jungen Weiber gehen neben dem Wagen her, singen Freudenlieder in wendischer Sprache, und lassen die alten Mütterchen ziehen, daß sie bersten möchten. Sobald sie mit dem Baume zurück an das Dorf gelanget, erheben sie ein Freudengeschrey, eilen gerades Weges nach dem Orte, wo der alte Kronenbaum steht, hauen denselben um, welchen ein Cosater12 oder Häusling kaufen und den alten Weibern zween Schillinge zu Brandteweine geben muß. Der neue Baum wird unter vielem Frohlocken aufgerichtet, mit Kränzen und Bluhmen behängt, und mit zwölf ja mehr Tonnen Bier nach ihrer Art eingesegnet.«

Hiebey ist zu erinnern, daß die Gewohnheit einen Kronenbaum aufzurichten, alle Jahre in Acht genommen worden, und man einen Birkenbaum dazu genommen. Einen neuen Kreuzbaum aber setzte man nicht eher, als wann der vorige Alters halber umgefallen war, und wählte man alsdann die schönste und beste Eiche, um den Platz wieder zu besetzen. Kein[1378] anderer Baum durfte dazu gebraucht werden, und konnte er auch nicht mit Pferden, sondern bloß mit Ochsen angeführet werden. Er stund mitten im Dorfe, wo auch ehemals ihre Bauern- oder vielmehr Trinkstuben waren. Fast alle wendische Dörfer sind in die Runde gebauet, und geht ein einziger Weg hinein, durch welchen man auch wieder heraus muß, wenn man nicht durch einen Bauernhof fahren will noch darf. Der Platz, worauf der Baum steht, ist von alten Zeiten her als ein kleiner Hügel mit Fleiß erhöhet. Rand rechts: Fernerer Aberglaube mit dem Kreuzbaume. Wird ein Kreuzbaum alt, daß man sich stündlich des Umfallens besorgen muß, so darf sich doch niemand daran vergreifen oder ihn vollends umstoßen, sondern man wartet, bis er von sich selbst zu Boden fällt13.

So oft vorzeiten eine junge Frau aus einem andern Orte durch Heirathen in ein solches wendisches Dorf gekommen, um darinnen zu wohnen, mußte sie einen Tanzum solchen Baum thun, und etwas Geld hinein stecken. Dergleichen Opfer geschah auch, wenn jemand von einer Wunde oder Schaden, welche sie fleißig an den Baum zu reiben pflegten, geheilet worden. An solchem Gelde vergriff sich kein Mensch, bis die in hiesige Quartiere gekommene Dragoner die abergläubischen Leute klüger machten. Denn diese mochten von den alten Weibern noch so ernstlich vor dem Unsegen und dem Zorne der Stäte gewarnet werden, so wagten sie es dennoch, ein Stück nach dem andern daraus zu entwenden, und sich den dafür gekauften Toback oder Brandtewein wohlschmecken zu lassen. Rand rechts: Daß der darauf gesetzte Hahn kein Wetterhahn gewesen. Wollte man etwan glauben, daß der Hahn auf die hohe Stange gesetzt worden, um durch seine Wendung die Veränderung des Wetters anzudeuten, so steht solcher Muthmaßung dieses im Wege, daß der Hahn des Kreuzbaumes nichtbeweglich, sondern fest darauf gesetzt ist. Die protestantischen Geistlichen, so nach der Reformation die Seelensorge über die Gemeinden im Drawän erhalten, haben dergleichen heydnische Aberglauben niemals gut geheißen, sondern beständig dawider geeifert; es sind aber die Wenden eine gar hartnäckige Nation, welche auf bloße gute Worte nicht viel zu geben pflegt. Endlich hat man doch nach und nach erhalten, daß die Kronen- und Kreuzbäume fast gänzlich eingegangen sind. Vor dreyßig bis vierzig Jahren war noch ein Kreuzbaum in dem nach Wustrow gepfarreten Dorfe Elennow; ein anderer zu Tangstorf im Kirchspiele Rebensdorf; und der dritte zu Giftenbeck im Kirchspiele Büliz. Von allen dreyen steht keiner mehr; ich habe aber vor ohngefähr zehn Jahren noch einen solchen Hahnenbaum in dem Dorfe Krauze bey Luchow angetroffen. Wo auch keine Kreuzbäume und Bauernstuben mehr sind, versammlen sich doch die Bauern, wenn etwas zu berathschlagen ist14, auf dem erhabenen Platze, wo ehemals der Baum gestanden. Das Sausen aber, worüber sie noch fest und eifrig halten, ist in des Schulzen Haus verleget worden, und wird zu gewissen Zeiten des Jahres fleißig fortgesetzt. Die Aposteltage und insbesondere das Fest der Himmelfahrt Maria haben hierinnen einen Vorzug vor allen andern, und bleiben sie dabey, daß ihr Vieh nicht gedeihe, wenn an solchen Festen nicht gesoffen würde15. Endlich muß bey[1379] der Untersuchung des wendischen Aberglaubens in Ansehen des Hahns, diejenige Gewohnheit nicht mit Stillschweigen vorbeygegangen werden, kraft welcher an etlichen Orten und vornehmlich im Amte Dannenberg jährlich ein Hahn so lange herum gejaget wird, bis er ganz ermüdet hinfällt, da er dann gar todtgeschlagen, gekocht und verzehret wird. Rand links: Anderer Aberglaube mit dem Hahne. Jedermann im Dorfe bekömmt etwas davon ab, so klein auch die Theile werden mögen. Das besonderste dabey ist, daß aus einem eigenen Aberglauben, niemand aus dem Dorfe gehen darf, so lange diese Mahlzeit dauret. Bey dieser Gelegenheit wird auch ein großes Brodt gebacken, von welchem jedweder etwas haben muß. Die Absicht solcher Thorheiten geht ohne Zweifel auf das Gedeihen ihres Viehes, als welches ihnen so nahe am Herzen liegt, daß wenn man in diesen Gegenden einen Bauersmann zum Eide lassen muß, und ihm vorher Gerichtswegen die Pflichten eines Schwörenden nebst der Strafe des Meyneides vorgehalten werden, die Gefahr der Seele, der Himmel und die Hölle, dasjenige sind, worauf der Bauer am wenigsten achtet: er wird aber öfters von einem falschen Eide noch abgehalten, wenn ihmder Richter mit Nachdrucke vorstellet, daß ein Meyneidiger außer dem Fluche über seinen Leib und gesunde Gliedmaßen, auch ohnfehlbar einen Unsegen auf seine Ochsen, Kühe, Schafe und übriges Vieh lade. Dieses fruchtet insgemein bey ihm mehr, als alle aus dem Christenthume genommene Vermahnungen. Rand links: Eide der beutigen Wenden.

Fußnoten

1 Helmold, dieser alte glaubwürdige Geschichtschreiber rühmet den Fleiß der Mönche chron. Slav. l. I, c. 6, §. 3: Tradit veterum antiqua relatio, quod temporibus Ludovici Secundi egressi fuerint de Corveja monachi sanctitate insignes, qui Slavorum salutem sitientes impenderunt seipsos ad subeunda pericula & mortes pro legatione verbi Dei. Peragratisque multis Slavorum provinciis pervenerunt ad eos, qui dicuntur Rani sive Rugiani, & habitant in corde maris. Ibi fomes est errorum & sedes idololatrlæ. Prædicantes itaque verbum Dei cum omni fiducia omnem illam lucrati sunt, ubi etiam oratorium fundaverunt in honorem Domini ac Salvatoris nostri Jesu Christi, & in commemorationem sancti Viti, qui est patronus Corvejæ.


2 Conf. WELSER. Monum. Vindel. August. p. 367.GRVTER. Inscript. Pag. LI. GYRALD. Synt. IX, p. 286.


3 Die Voluspa redet von zween Hahnen, davon der eine die Helden in der Valhalla, der andere die Helden in der Hela zu Kriegesübungen anfrischen mußte, und der letztere hat zu der Mordbrenner Redensart: einen rothen Hahn aufs Haus setzen, Gelegenheit gegeben:


Cantavit de Asis auricristatus

Qui heroes excitat apud Herfodur,

Verum alter cantat infra terram

Pullo colore gallus in palatiis Halæ.


4 Ingens simulacrum, quatuor capitibus, totidemque cervicibus, e quibus duo pectus, totidemque tergum respicere videbantur. Cæterum tam ante quam retro collocatorum, unum dextrorsum, alterum lævorsum aciem dirigebat. Rasa barba, crines attonsi, Rugianorum ritu. In dextra cornu vario metalli genere excultum gestabat, quod sacerdos annuatim mero perfundere consueverat: ex ipso liquoris habitu sequentis anni copias prospecturus. Læva arcum reflexo in latus brachio figurabat. Tunica ad tibias prominens, pedes humo contigui, eorum basi intra solum latente. Haud procul frenum, ac sella fimulacri, compluraque divinitatis insignia, quorum admirationem consplenæ granditatis enfis augebat, cujus vaginam & capulum, præter excellentem cælaturæ decorem, exterior argenti species commendabat.


5 Bey den Wenden in den lüneburgischen Landen heißt Sjunta heilig und Swanta hochheilig. Eben dieselben heißen heute zu Tage das Licht Suece, wofür die Lausizer Swica und die Böhmen Swice brauchen. Gott wird bey den lüneburgischen Wenden im Drawän und der wustrowischen Nachbarschaft eigentlich Büg und Büfaz genennet.


6 In der litthauischen Syrache findet sich noch heutiges Tages das Wort schwante oder schwenias heilig. Das Licht nennen die Polacken schwizka. Dieses kömmt denen zu statten, welche die Sonne unter dem Bilde des Schwantewits verehret wissen wollen. Von der ehrerbiethigen Hochachtung gegen diesen Götzen redet HELMOLD. chron. Slav. l. I, c. 6 und 52: Inter multiformia Slavorum numina præpollet Zwantewith deus terræ Rugianorum utpote efficacior in responsis, cujus intuitu ceteros quass semideos æstimabant. Eben derselbe unterrichtet uns von der Zerstörung des Götzendienstes durch den dänischen König Waldemar im Jahre 1168, B. 2, e. 12, §. 2: Rex fecit produci ssmulacrum illud antiquissimum Zvantewith, quod colebatur ab omni natione Slavorum, & jussit mitti funem in collum ejus, & trahi per medium exercitum in oculis Slavorum, & frustatim concisum in ignem mitti. Et destruxit famun cum omni religione sua, & ærarium locuples diripuit. Et præcepit, ut discederent ab erroribus suis, in quibus nati fuerant, & adsumerent cultum veri Dei. Siehe auch SAXON. GRAMMAT. hist. Dan. l. 14 undCRANZ. Wandal. l. V, c. 12.


7 Die Heyden merkten gar zu wohl, daß man ihnen nicht sowohl die alte Lehre, als vielmehr die alte Freyheit rauben wollte. Helmold führet über das unrechtmäßige Verfahren der Christen die wehmüthigste Klage chron. Slav. l. I. c. 21: Cognosci potest Saxonum insatiabilis avaritia, qui quum inter ceteras gentes barbaris contiguas præpolleant armis & usu militlæ, semper proniores sunt tributis augmentandis quam animabus Domino conquirendis. Eben derselbe führet einen slavischen Fürsten Pribizlaus redend ein B. 1, c. 83: Verba tua, Venerabilis Gerolde, verba Dei sunt & saluti nostræ congrua. Sed qualiter hanc viam ingrediemur tantis malis irretiti? Principes enim nostri tanta severitate grassantur in nos, ut propter vectigalia & servitutem durissimam melior sit nobis mors quam vita: quotidie emungimur& premimur usque ad exinanitionem. Quomodo ergo vacabimus huic religioni novæ, ut ædificemus ecclesias & percipiamus baptisma, quibus quotidiana indicitur fuga? nonne principum erit hæc noxa, qui nos propellunt? Karl der große hatte gegen die Sachsen fast ähnliche Maßregeln genommen. Alkuinus ermahnet ap. PEZ. thesaur. anecd. Tom. II, c. I, p. 4: Esto prædicator pietatis, non decimarum exactor. Decimæ Saxonum subverterunt fidem. Und wie wenig war das Gesetz nach der sanftmüthigen Vorschrift Christi eingerichtet in capit. pro part. Saxon. c. 7: Si quis deinceps in gente Saxonum inter eos latens non baptizatus se abscondere voluerit, & ad baptismum venire contemserit, paganusque permanere voluerit, morte moriatur.


8 Es soll heißen Drawän und liegt dieser Gow oderPagus zwischen Luchow, Dannenberg und Uelzen, gegen welche letztere Seite er sich aber nur bis Rosche, zwo Meilen von Uelzen erstrecket. Den Namen hat er non Drawa oder, wie es die Lausizer Wenden aussprechen, Drewo, welches eine Holzung und Wald, womit vor alten Zeiten dieser Strich Landes bewachsen war, andeutet. Es wird insgemein in zween Theile unterschieden. Der obere Drawan begreift die Kirchspiele Zebelien und Crumafel sammt der fürstlichen Voigtey Kiesen und was von dannen dis an Rosche hinan liegt. Zu dem Unter-Draman werden die Kirchspiele Clenz (mit seinen Filialen), Zeetz, so der Bulizer Pfarre zugelegt worden, Cüsten mit dem Filiale Meuchefiz und Satemien gerechnet, also, daß dieser Pagus bey sechs Kirchspiele, (welche in diesen Landen wegen der vielen Heide gar weitläuftig sind) und darüber in sich fasset. Weil Clenz ein Flecken. so kann derselbe sur den Hauptsitz der drawänischen Wenden angesehen werden. Bulizliegt nicht im Drawän, sondern im Pago Geyn, und werden die Bulizer, Besemscher, Koßbuder, Giftenbecker und die Einwohner von andern dasigen Dörfern durchgehends die Geynschen genennet. Ein anderer Pagus ist der Lennigau, welcher guten Theils der Freyherrlichen Bernstorfischen Familie als Herren des Hauses Gartow gehöret. Die darinnen befindlichen Dörfer sind Pretzier, Crieviz, Prödöhl, Bockleben, Wiedzeit, Trabuhn, Schmarsow, Schletow, Simander, Schueschow und Putball. Noch ein wendischer Gow ist der Nering oder Gering, in welchem die zwey Kirchdörfer Rebensdorf und Woltersdorf; nebst Luebbow; Dangensdorf, Lichtenberg und Turow liegen. Von dem Pago Drawän und den lüneburgischen Wenden überhaupt hat der ehemalige Pastor zu Wustrow, von Jessen genannt, einen Bericht hinterlassen, der aber noch nicht in Druck gekommen ist.


9 Daß man ein großes Wesen aus dem gewaltsamen Tode des Bullen gemacht, ist nicht zu verwundern. Es halten die im braunschweigischen lüneburgischen Landen wohnende Wenden ohnedieß für ein sonderbares Unglück, wenn ein Bulle natürlicher Weise stirbt, und haben sie diesem Thiere öfters sein Begräbniß mitten im Dorfe und in einer dazu verfertigten Grube angestellet, wo hinein ihn der Abdecker oder Schinder stoßen müssen, damit er ordentlicher Weise verscharret werden können.


10 Die Aufrichtung des Kreuzes auf dem Marktplatze war sonst auch ein Zeichen des Burg- oder Stadtfriedens, und liest man im neunten Artikel des sächsischen Weichbildes: Wo man neue Städte bauet oder Märkte machet, da setzet man ein Kreuz auf das Marckt, durch das man sehe, daß Weichfriede da sey, und man hänget auch da des Königes Handschuh daran, daß man dabey sehe, daß es des Königs Wille sey. Diese Gewohnheit aber hat mit dem Kreuzbaume keine Gemeinschaft, weil dieser von den Wenden in allen Dörfern aufgerichtet, und nichts, was zum Amte der weltlichen Obrigkeit gehöret, dabey vorgenommen wird.


11 Auf das Bildniß des Hahns kömmt es hauptsächlich an, und hat man dergleichen Bäume entdecket, auf welchen das Kreuz weggelassen, der Hahn aber sorgfältig beybehalten war.


12 Cosater sind so viel als Casati, wie sie in zateinischen Diplomatibus genennet werden, und versteht man darunter Bauern, die keine ordentlichen Höfe zu eigen haben, sondern nur ein Haus (Casam), wobey höchstens ein Garten ist, sub certo canone bewohnen. An manchen Orten werden sie Köther genennet.


13 Eine Spurder abergläubischen Verehrung der Bäume, welche den alten deutschen und nordischen Völkern gemein gewesen ist. Selbst in den aufgeklärten Zeiten des Christenthums fuchten sie ihre so heilig gehaltenen Bäume beyzubehalten, und versprachen lieber: nihil umquam sanctitatis seu divinitatis arboribus se esse adscripturos, neque numinis vel idoli vice seillas habituros, sed magis pro utilitate fructuum & amœnitate umbrarum, ap. CRAMER. hist. eccles. l. I, c. 24.


14 Diese Gewohnheit sich unter den Bäumen zu berathschlagen hat ein großes Alterthum vor sich. Unsre ältesten Väter erwählten ihre Hayne, daher der Namen Hagespraken seinen Ursprung genommen hat. Hatten doch selbst die unsterblichen Götter unter einem Baume ihren Richterstuhl aufgeschlagen EDDAmyth. 14. Man lese SORBERde comit. German. vet. undKESLER. antiqu. Sept. p. 77 sq.


15 Wenn es wahr ist, daß die alten deutschen und nordischen Völker ihre Festtage durch Sausen entweihet haben: so muß man bekennen, daß ihnen ihre heutigen Nachkommen vollkommen ähnlich sind. Die häufigen Gesetze, welche selbst auf öffentlichen Reichstägen gegeben worden, sind bisher größten Theils fruchtlos geblieben. Ueber den Gräuel der Verwüstung führt Arnkiel gerechte Klagen in der Cimbrisch heydn. Relig. a. d. 165 S. Die Christen sind den Heyden nachgefolget, angesehen unsre Sonn- und Festtage überall mit Sausen und Schlemmen entheiliget werden. Der Sonntag sollte der allerheiligste Tag in der Woche seyn, allein er ist durch den leidigen Saufteufel der allerschändlichste Tag geworden, an dem die Schwelgereyen in der Woche aufgehalten wie eine Fluth durch Teiche und Dämme mit Gemalt ausbrechen und die Christenheit überschwemmen.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 2. Hannover 1751, S. 1380.
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