Mozart als Künstler und Mensch.

Die Umrisse von Mozart's Gesicht sind so ausgezeichnet, dass sie, wie die Umrisse der Köpfe von Friedrich II. von Preussen, oder von Sokrates, fast gar nicht ganz verfehlt werden können. Die Körperbildung dieses ausserordentlichen Menschen hatte nichts Auszeichnendes; er war klein, sein Angesicht angenehm, aber es kündigte, wenn man das grosse, feurige Auge ausnimmt, die Grösse seines Genie's auf den ersten Anblick nicht an. Sein Auge war mehr matt als feurig, ziemlich gross und gut geschnitten, mit sehr schönen Augenbrauen und Wimpern. So lange er mager war, standen die Augen etwas vor, er war dann übersichtig. Die Augen sahen gut und scharf: nie hat er Brillen gebraucht. Sein Blick schien unstät und zerstreut, ausser wenn er am Claviere saass; da änderte sich sein ganzes Antlitz! Ernst und gesammelt ruhte dann sein Auge; auf jeder Muskelbewegung drückte sich die Empfindung aus,[622] welche er durch sein Spiel vortrug, und in dem Zuhörer so mächtig wieder zu erwecken vermochte.

Er hatte kleine, schöne Hände; bey dem Clavierspielen wusste er sie so sanft und natürlich auf der Claviatur zu bewegen, dass sich das Auge daran nicht minder als das Ohr an den Tönen ergötzen musste. Zu bewundern ist es, wie er damit so vieles, besonders im Basse greifen konnte. Auch darin zeichnete sich also Mozart vor den tummelnden Kraftgenie's unserer Tage aus!

Sein Kopf war für den Körper verhältnissmässig zu gross: der Körper selbst, die Hände und Füsse gut proportionirt, worauf er auch etwas eitel war. Die Nase war schön; nur so lange er mager war und nach den ersten Jahren seiner Verheirathung war die Grösse seiner Nase auffallend. – Im Morgenblatte wird er einmal der enorm benas'te Mozart genannt.

Der zurückgebliebene Wuchs seines Körpers mochte von seiner frühen Anstrengung und Entwickelung seines Geistes herkommen, nicht aber von dem Mangel an freyer Bewegung in seiner Kindheit (wie einige irrig behaupten); denn gerade in seiner Kindheit und Jugend hatte er bey seinen vielen weiten Reisen die meiste Bewegung; aber in späteren Jahren bey seinen Studien und Compositionen kann ihm Mangel an Bewegung schädlich gewesen seyn. Er war von schönen Eltern gezeugt, und ist selbst ein schönes Kind gewesen. Wie kann sich aber in der Welt Schönheit an sich erhalten, und wie bey einem Manne, der in seinem Leben und meist des Nachts soviel schrieb und dichtete! Da Mozart bekanntermaassen[623] in der Nacht am liebsten spielte und componirte und die Arbeit oft dringend war; so ist leicht begreiflich, wie sehr ein so fein organisirter Körper darunter leiden musste. Dass eine keinesweges starke Constitution eine so starke Prüfung, als seine ungemeine Arbeitsamkeit war, aushalten sollte, war nicht zu erwarten; aber dass bey fehlendem Wohlbefinden der Eifer des Tonkünstlers noch zunahm, davon liegt die Erklärung darin, dass sein Geist sich auf Kosten des Leiblichen ausbildete, bey dieser Ausbildung sich ganz für's Leibliche vergaass und nur das Eine zu pflegen bestrebt war. Daher gab die Zeit seiner nahenden Auflösung seinen Anstrengungen neues Feuer, und spornte oft seinen Fleiss bis zur Ohnmacht. Diese anhaltende Geistesanstrengung hatte nothwendig Erschlaffung und Schwäche zur Folge, ähnlich der, welche Tasso und I.I. Rousseau erlitten: er gerieth nämlich in einen Zustand von Schwermuth, in welcher er immer das schauerliche Todesbild vor sich sah. Dieser unglückliche Eindruck wurde noch durch das Ereigniss bestärkt, welches seinem letzten und edelsten Werke (dem Requiem) die Entstehung gab. Sein früher Tod (wenn er ja nicht auch künstlich befördert war) muss diesen Ursachen hauptsächlich zugeschrieben werden.

Die Leipziger allgem. musikal. Zeitung enthält über seinen frühen Tod beyfolgende Veranlassung: Die jetzt wieder erwachenden Freunde des strengen Styls der Vorfahren werden zu erinnern seyn, die Fortschritte des Zeitalters in anderm Betrachte nicht zu verkennen, und auch dem freyern anmuthigen Styl ein offenes Herz zu erhalten. Den Componisten[624] hingegen, die seit Mozart mit mehr Ernst und Gelehrsamkeit sich in die Tiefen der Harmonie versenken, und desshalb sich vornehmlich an die wieder erweckten Alten halten, scheint es rathsam, zu Gemüthe zu führen, dass die gelehrteste Ausführung allein eine Composition noch nicht zum Kunstwerke mache; dass ein solches nicht nur das Gefühl, oder das Gemüth und den Verstand, sondern die gesammten Geisteskräfte des Menschen beschäftigen müsse; dass, was als Studium unschätzbar ist, doch nur dann erst für die Kunst selbst Vortheile bringen kann, wenn der Künstler es sich ganz zu eigen gemacht und sich dadurch in den Stand gesetzt hat, um so tiefere Ideen gewandter, bestimmter, körniger und edler auszusprechen – einen Gebrauch davon zu machen, wie es Mozart in seinem Requiem that, das gerade in dieser Hinsicht das Vollkommenste ist, was die Welt seit Sebastian Bach und Händel aufzuweisen hat. Eine solche Warnung dürfte um so nöthiger seyn, da die anhaltende und ausschliessliche Beschäftigung mit den Werken des strengsten Styls, wie alles sich Hingeben in die Tiefen der Speculation nach und nach einen bezaubernden Reiz, eine fast unwiderstehliche Gewalt über den Geist bekömmt, und, weil der darin Befangene, indem er unendlich tiefer zu blicken wähnt, weit mehr Kraft aufzuwenden, weit fester zu stehen glaubt, als die meisten seiner Brüder, die mehr ihrem Sinne folgen, leicht überstreng gegen sie und ihre Werke wird, sie verachtet, ihnen Unrecht thut, und der Kunst, die, frisch, webend in den Regionen, wohin alle edleren Menschen gehören, diese beglücken will und soll,[625] Fesseln anlegt. So wird z.B. der Maler, und wenn er auch Seelenmaler ist, schon durch die Gegenstände, die er behandelt, mehr an die Natur gekettet; der Musiker hingegen findet in seiner Kunst kein Band, das ihn an jene schlösse, er wird nur durch gemeinschaftliches Aufeinanderwirken der Geisteskräfte in Verbindung mit dem Tonsinne geleitet, und wenn er durch ununterbrochene Anstrengung und Thätigkeit derselben, gleichsam durch anhaltende Spannung sie erschöpft, sie durch übermässige Spannung gleichsam zur Lähmung bringt, – wie kann er anders werden, als kalt, finster, starr, und für die Welt, der er doch angehört, ganz verloren! – Wie diess aus der Natur der Sache von selbst einleuchtet, so bestätigt es sich näher durch die Geschichte verschiedener anderer grossen Geister und auch der grössten Musiker; und man fühlt gewiss, dass unser Mozart unter die äusserst seltenen Menschen gehöre, die mit allem Scharfsinn auch Tiefsinn und eine so glühende Phantasie und reines Naturgefühl besaassen, deren Talenten keine Fesseln anzulegen waren. Daher war Mozart in den letzten Jahren seines Lebens im Stande, die Kunst gleichsam an ihren beyden Extremen zu erfassen, festzuhalten und darzustellen – und dabey war er nur ein Mensch. Da sich aber, laut aller Erfahrung, übermässige Geisteskräfte nicht mit der Dauer des Körpers vertragen, da sich erstere immer nur auf Kosten des letztern ausbilden, so wandelt der Geist, unbekümmert um seine Hülle, seinen Lauf, und geht dann leicht eine Richtung, die grossen Geistern schon begegnete: von ihrer Höhe fallen sie zur Tiefe herab, die Klarheit[626] neigt sich zur Finsterniss, das Licht zum Schatten, und – der Mensch erlischt. So erging es auch unserm Mozart, der, im Vorgefühle seiner nahen Auflösung, noch in eine Art Schwermuth verfiel, die das gemeinschaftliche Wirken der Seele mit dem Körper nicht beherrschen konnte. Man möchte fast sagen, dass Mozart bey der Arbeit seines Requiem schon nicht mehr lebte, dass seine Seele schon grösstentheils vom Körper getrennt war und er nur als Halbverklärter noch hienieden schuf. Nur auf diese Weise konnte es aber auch kommen, dass Mozart ein Requiem componirte, wie eben sein letztes ist; und hätte er auf andere, nicht zu sehr angestrengte Weise, und nicht meist bey Nacht es arbeiten wollen – nimmermehr wäre ein solches Geistesproduct auf die Welt gekommen.

Da Mozart immer geistig und nur für sein Fach beschäftigt war, so konnte er in seiner Art seinem Verleger Hofmeister, der ihm sagte: Schreib' populärer, sonst kann ich Nichts mehr von Dir drucken und bezahlen, richtig und trefflich antworten: Nun, so verdien' ich Nichts mehr und hungere, und scher' mich doch den Teufel darum!

Sophie, seine noch lebende Schwägerin, bestätigt seine anhaltende Geistes-Thätigkeit, indem sie von ihm und seinen späteren Jahren erzählt: Er war immer guter Laune, aber selbst in der besten sehr nachdenkend, einem dabey scharf ins Auge blickend, auf Alles, es mochte heiter oder traurig seyn, überlegt antwortend, und doch schien er dabey an ganz etwas Anderm tiefdenkend zu arbeiten. Selbst wenn er sich in der Frühe die Hände wusch, ging er dabey[627] im Zimmer auf und ab, blieb nie ruhig stehen, schlug dabey eine Ferse an die andere und war immer nachdenkend. Bey Tische nahm er oft eine Ecke seiner Serviette, drehte sie fest zusammen, fuhr sich damit unter der Nase herum und schien in seinem Nachdenken Nichts davon zu wissen, und öfters machte er dabey noch eine Grimasse mit dem Munde. In seinen Unterhaltungen war er für eine jede neue sehr passionirt, wie für's Reiten und auch für Billard. Um ihn vom Umgange misslicher Art abzuhalten, versuchte seine Frau geduldig Alles mit ihm. Auch sonst war er immer in Bewegung mit Händen und Füssen, spielte immer mit Etwas, z.B. mit seinem Chapeau, Taschen, Uhrband, Tischen, Stühlen, gleichsam Clavier. Just so war sein jüngster Sohn in seiner Kindheit.

In Mozart's unansehnlichem Körper wohnte somit ein Genius der Kunst, wie ihn die Natur nur wenigen ihrer Lieblinge zu verleihen pflegt. Die Grösse und der Umfang seines Genie's lässt sich nur nach dem so frühen, so beyspiellos schnellen Gange seiner Entwickelung und nach der hohen Stufe der Vollkommenheit abmessen, auf die er gestiegen war. Kein Tonkünstler vor ihm hat das weite Gebiet der Kunst in seiner vielseitigsten Richtung so ganz umfasst und in jedem Zweige derselben so vollendete Producte geschaffen, als er. Von der Schöpfung einer Oper an bis zu dem einfachen Liede, von der kritischen Erhabenheit einer Symphonie bis zu dem leichten Tanzstücke herab, sowohl im Ernsten als auch im Komischen, tragen seine Werke überall den Stempel der reichsten Phantasie, der eindringendsten[628] Empfindung und des feinsten Geschmackes. Sie haben eine Neuheit und Originalität, die sein Genie unbezweifelt beurkunden. Selbst das, was man ihm als Fehler vorwirft, zeugt von der Kraft seines freyen, eine neue Bahn gehenden Geistes. Dazu denke man noch die Vollkommenheit, die er zugleich im Clavierspielen erreicht hatte! Mozart will nicht besprochen, nicht erklärt, nur im Fühlen will er verstanden seyn: er ist ein Wunder, welches, der Ahnung und dem Gefühle allein angehörend, von keinem seichten Verstande berührt werden darf. Seine Werke ziehen, ungeachtet ihres ganz neu erschaffenen und alle bis dahin betretenen Bahnen hinter sich lassenden Charakters, durch ihre innere, reiche und alle Mittel der Kunst erschöpfende und doch zugleich himmlisch klare Vollendung den Liebhaber so wie den eigentlichen Musiker gleich mächtig an. So ist namentlich sein Don Juan ein Werk, in dem Alles erschöpft ist, was die Seele des Menschen in ihrer tiefsten Tiefe ahnet und empfindet, aus welchem uns der ewige Geist der Welt selbst in seinem Hauche von Glauben, Liebe und Hoffnung anweht, ein Werk, das selbst in seiner sittlichen Tendenz zu einem jüngsten Gerichte für alle Verruchtheit wird, zu deren Gewissen die Posaune (denn was ist die mit der Erscheinung des Geistes ertönende Musik anders?) in schrecklichen, Alles zermalmenden Tönen redet. – So auch sein Requiem, in welchem Mozart's Geist seine eigene Verklärung feyert. Der Vf. von »Mozart's Geist« sagt: Das heisse Gefühl wird jeden talentvollen Künstler bey wiederholtem Studium des Requiem überzeugen, dass Mozart's unerschöpflicher[629] Reichthum keiner Auseinandersetzung in Worten bedarf, da das geistvolle Anschauen allein vermögend ist, Grazien zu enthüllen, an deren Ausdrucke die Sprache verarmt.

In Sebastian Bach hatte die contrapunctische Periode der Tonkunst ihren Gipfel und ihre Vollendung erreicht; in Verbindung mit der melodischen erlebte sie sie in Mozart.

Alle diese so seltenen, so mannigfaltigen und so innig verwebten Vorzüge bestimmen den Rang, der unserm Mozart unter den Genien der Künste gebührt. Er war einer der grossen, schöpferischen Geister, die in ihrer Kunst Epoche machen, weil sie dieselbe vervollkommnen, oder doch ihren Nachfolgern neue Ansichten und Pfade eröffnen; nach deren Erscheinung indess die Kunst gewöhnlich still steht oder rückwärts geht.

Unter den schönen Künsten ist keine so sehr Sklavin der Mode und des Zeitgeschmackes, als die Musik. Da Musik bloss dem Vergnügen dient, bloss Sache des Einzelnen bleibt, keinen Vereinigungspunct und keine Anstalt hat, wodurch der Geschmack des Publicums die gehörige Richtung bekäme; da ferner ihre Theorie noch zu wenig bestimmt und ihre Entwickelung so schwierig ist, um selbst den Künstlern die Grenzen zu zeigen, oder ein Ideal vorzustellen: so muss sie immer zwischen der Laune der Mode, dem Eigensinne eines verderbten Geschmackes und zwischen den aufgestellten Mustern grosser Künstler unstät hin und her schwanken, und erhält nie einen sichern Gang zur Vollkommenheit. Ueberdiess sind ihre Zeichen und Formen zu unbestimmt, und das[630] Ohr, durch welches sie auf den Geist wirkt, isst ein viel zu untreuer Bote, und seine Sensationen sind zu dunkel, als dass man so deutlich bestimmen könnte, welches das wahre Schöne sey. Was dem grossen Haufen gefällt – heisst schön! Das Neue hat einen starken Reiz: daher ist es seines Sieges über das bessere Alte gewiss; und darum gilt alte Musik und alte Mode einerley. Denn die wenigsten Menschen haben Geschmack und Kenntniss genug, um ächte Schönheit vom Flitterscheine zu unterscheiden. Wenn grössere Geister durch ihre Meisterwerke auch mehr als eine augenblickliche Rührung hervorbringen, so summen doch die Leyermänner mehr die kleinen Sächelchen dem Publicum so lange um die Ohren, bis der Nachhall schönerer Töne verschwindet! Dann kennt man die Namen grosser Meister nur noch aus Büchern; ihre himmlischen Harmonieen sind längst verhallt! Das ist so gewöhnlich das traurige Schicksal der Musik!

Madame de Bawr in ihrer Geschichte der Musik sagt: Jetzt, da der Geschmack am Neuen und die Herrschaft der Mode uns dahin gebracht haben, wo wir sind (1826), ist wohl vorherzusehen, dass jene mächtigen Herrscher uns nicht lange da lassen werden. Allein, wo werden wir hin gerathen? Wird man neue Entdeckungen machen, unsere Ohren noch lärmender zu ergötzen, oder wird man zur Einfachheit wieder zurückkehren? Dieser retrograde Schritt wurde schon einmal gemacht, und Pergolesi's und Vinci's Melodieen verdrängten die gelehrte Harmonie, die sich im 17ten Jahrhundert allein breit gemacht hatte. Italien wollte damals nur zwey Violinen und[631] einen Bass in seinen Orchestern hören, und verwarf die Schätze, welche Jomelli seinem Vaterlande aus der Fremde mitbrachte. Doch wenn man jetzt zurückgeht, wird man nicht zu weit zurückgehen? Ueber diese frage wird die nächste Zeit entscheiden; indessen wollen wir uns unserer Effectmusik freuen, die doch noch genug Frische hat, und für uns nicht zu sehr abgenützt ist; für die Zukunft der Kunst darf uns auch nicht bange seyn, so lange noch eine Partitur von Mozart vorhanden ist. Und bliebe nur eine einzige der Nachwelt übrig, so würde dieser Typus des wahrhaft Schönen zum Leuchtthurme werden, der den verirrten Schiffer stets in den sichern Hafen leitet.

Wie viel Kraft, wie viel klassischer Gehalt muss also in den Werken Mozart's liegen, wenn ihre Wirkung von dieser Erscheinung eine Ausnahme macht! Ihre Schönheit empfindet man gewöhnlich dann erst recht lebhaft, wenn man sie wiederholt gehört, und dadurch recht scharf geprüft hat. Oder haben uns wohl Figaro, Don Juan, Titus, während ihrer vieljährigen Vorstellung noch jemals Langeweile gemacht? Hört man Mozart's Clavier-Concerte, Sonaten, Lieder etc. das dreyssigste Mal nicht fast noch lieber, als das erste Mal? Wer hat die tiefgedachten Schönheiten seiner Violin-Quartetten und Quintetten nach der häufigsten Wiederholung erschöpft? Dieses ist der wahre Probierstein des klassischen Werthes! Die Meisterstücke der Römer und Griechen gefallen bey fortgesetzter Lectüre, und je reifer der Geschmack wird, immer mehr und mehr – das Nämliche widerfährt dem Kenner und Nichtkenner beym Anhören[632] Mozart'scher Musik, besonders der dramatischen Werke. So ging es bey der ersten Vorstellung des Don Juan und insbesondere des Titus in Prag. Das Fremdartige der originellen Werke, die, aus einem tiefen Innern entsprungen, in eigenthümlicher Gestalt auftreten, verblüfft, ihr vom Gewohnten Abweichendes verwirrt, reizt auch wohl zum Widerspruch, ihren eigenthümlichen Sinn fasst man nicht leicht, oder kann sich ihn doch nicht aneignen, ihre Manier scheint erzwungen; doch diess Alles zum Glücke nur auf eine Weile. Dann ist uns das Fremdartige nicht mehr so fremd, dem Abweichenden haben wir uns genähert, der Sinn ist uns heller aufgegangen und die Manier geläufiger geworden. Nun kömmt es darauf an, ob wirklich grosser Gehalt darin ist, dann aber werden diese Werke feststehen. Nur darum fand selbst Mozart's Figaro in Wien und sein Don Juan in Frag anfangs nur sehr mässigen, bald mehrern, und endlich so allgemeinen Beyfall, dass sie auf den Bühnen aller Nationen feststehend sind, und die Welt immer von Neuem entzücken. Nur darum sprach Mozart's erstes Clavier-Quartett, Gb, anfangs so Wenige an, daher der Verleger Hofmeister dem Meister den vorausbezahlten Theil des Honorars unter der Bedingung schenkte, dass er die zwey anderen accordirten Quartette nicht schrieb und Hoffmeister seines Contractes entbunden wäre; – später wurden immer Mehre von dieser Musik eingenommen, und jetzt würden wir das Manuscript, das wir unterdrückten, gewiss mit Perlen aufwiegen, wenn wir es damit hervorzaubern könnten. Ja eben jetzt, nachdem die meisten Schöpfungen seiner Kunst[633] 30 bis 40 Jahre alt sind, gefallen sie am meisten! Wie gern hört man nach manchem Wirrwar neuerer Componisten die still erhabenen, so einfachen Gesänge unseres Lieblings! Wie wohl thun sie unserm Gefühle! – es ist, als wenn man aus einem chaotischen Gewirre, aus dichter Finsterniss ins Licht und in eine heitere Ordnung versetzt würde.

Nebst den oben angeführten Eigenthümlichkeiten und Vorzügen des Mozart'schen Kunsttalentes beobachtet der aufmerksame Zuhörer seiner Werke einen gewissen feinen Sinn, den Charakter jeder Person, Lage und Empfindung auf's Genaueste zu treffen; reddere convenientia cuique. Diese Eigenschaft war sein wahrer Beruf zum dramatischen Componisten, und ist zugleich der Erklärungsgrund des Zaubers und der grossen Wirkung seiner Werke. Daher hat jede seiner Compositionen einen bestimmten, eigenthümlichen Charakter, eine Individualität, die selbst in der Wahl der Tonart sich ankündigt. Kenner seiner Werke bedürfen keiner besonderen Beyspiele, da alle Opern von seiner Composition diese Eigenschaft im hohen Grade in sich tragen, wovon jedoch La Clemenza di Tito das beste Muster seyn mag.

Eine andere sich auszeichnende Eigenthümlichkeit seiner Werke ist die Verbindung der höchsten Compositions-Kunst mit Lieblichkeit und Anmuth. Diese Vereinigung ist eine Aufgabe bloss für Künstler von Mozart'schem Genie. Den Beweis davon giebt die Erfahrung. Er hatte die ersten Werke eines Bach studirt und nahm ihre Gründlichkeit zum Muster der seinigen, ohne jedoch ihre Steifheit nachzuahmen; er gab seinem kräftigen Generalbasse die Leichtigkeit[634] und Grazie der italienischen Musik, ohne in ihre faden Wiederholungen, leeren Kraftlosigkeiten und nichts sagenden Tändeleyen zu verfallen: er verband deutsche Kraft mit italienischer Anmuth, wählte von Beyden die schönste Seite, umging ihre Fehler, und eine neue Musik war seine originelle Schöpfung, die zwar von Beyden abstrahirt, aber keine Nachahmung ist, für sich besteht. Z.B. die Scena con Rondo mit Clavier-Solo für Mselle. Storace und ihn (27sten December 1786). Nach einem meisterhaft geführten und declamirten Recitative folgt dieses Rondo: Non temer, amato bene, das Annehmlichkeit und Reiz des neuern italienischen Singgeschmacks und allen Reichthum der schönsten, bedeutendsten Instrumental-Begleitung mit so viel Wahrheit und Kraft des Ausdrucks vereinigt, als nur immer die glücklichste Anwendung aller jener Zaubermittel selbst dem genievollsten Componisten gestatten mag. Wer dieses, wie alle Mozart'schen Arbeiten, an Modulationen überaus reiche Rondo rein und mit Kraftausdruck vorträgt, mag sagen, dass er singen kann; und wer das Fortepiano dazu mit eben so viel Discretion als Fertigkeit zu accompagniren vermag, so dass Sänger und Publicum zugleich mit ihm zufrieden seyn können, mag sagen, dass er Fortepiano spielen kann, wenn gleich dieses Stück für italienische Kehlen und Finger nicht ist. Wie selten trifft man auf Compositionen, die den beyden Forderungen, der höchsten Compositions-Kunst mit Lieblichkeit und Anmuth verbunden, Genüge leisteten? Entweder sind es bloss contrapunctische Kunststücke, die wohl allen Regeln des Satzes zusagen mögen; aber Wärme,[635] Anmuth und Lieblichkeit, diese Zaubermittel der Rührung, wusste ihnen ihr Meister nicht anzuziffern: oder es sind geistlose, fade Liedeleyen, ohne Sinn und Zusammenhang, und kaum im Stande, dem Ohre mit ihrem süssen Geklingel einen vorübergehenden Kitzel zu verursachen.

Wie ganz anders ist es beym Mozart? Wie schmilzt in seinen Werken das, was man Kunst des Satzes nennt, mit Anmuth, Lieblichkeit und Wohllaut so schön zusammen, dass Eines wegen des Andern da zu seyn scheint – Beydes zur Hervorbringung des höchsten Effectes gleich wirksam ist! Und doch, wie mässig und besonnen war er in dem Gebrauche der Süssigkeiten und Gewürze? Er kannte die hohe Forderung der Kunst und der Natur. Er schrieb, was sein Genius ihm eingab, was sein richtiger Geschmack wahr fand, unbekümmert, ob es nach dem Geschmacke des Parterre seyn würde, oder nicht; und so bildete er sich selber das Publicum, überzeugt, dass wahre Schönheit, wie die Wahrheit, endlich doch erkannt wird und gefällt. Diess thaten immer grosse Künstler, welche die Kraft hatten, einen eigenen Weg zu gehen und der Mode nicht zu fröhnen. Der Punct dieser schönen Vereinigung der Gründlichkeit des Satzes mit Anmuth und Lieblichkeit ist gewiss die treffliche und vor seiner Zeit unbekannte Art, die Blas-Instrumente wirken zu lassen. Hierin glänzt sein erfinderisches Genie ohne Beyspiel und ohne Nebenbuhler. Er maass mit dem feinsten Sinne die Natur und den Umfang der Instrumente ab, zeichnete ihnen neue Bahnen vor und gab jedem derselben die zweckmässigste Stellung, um[636] die kraftvolle Masse von Harmonie hervorzubringen, welche die Bewunderung aller Kenner erzwingt und das Muster und Studium der guten Köpfe bleiben wird. Wie ganz anders sehen hierin die Compositionen selbst grosser Meister vor wie nach Mozart's Periode aus? Wie unendlich viel haben die Neueren gewonnen durch die Anwendung seiner Art, die Blas-Instrumente zu gebrauchen? Selbst des grossen Haydn's Werke bestätigen diese Behauptung. Man vergleiche die älteren Symphonieen von ihm mit den neueren. Die Schöpfung schrieb Haydn erst nach, Mozart's Epoche. Wenn Mozart von Haydn Quartetten zu schreiben gelernt hatte, so hat wohl Haydn die Blas-Instrumente anzuwenden von ihm gelernt.

Gluck war es, der zuerst von den Blas-Instrumenten den gehörigen Gebrauch machte und das Orchester in seine Rechte einsetzte. Piccini und Sacchini folgten ihm mit einer gewissen Schüchternheit. Nur Mozart enthüllte dessen Zauber zum blendendsten Glanze. Wie leise schmiegen sich die Töne der Blas-Instrumente dem Hauptgesange an! wie kühn wetteifern sie bald wieder mit der Singstimme! Welche feine Wendungen! Welche Mannigfaltigkeit und Abwechselung überall! Bald wieder, wo es der Gegenstand oder Affect erfordert, wie abstechend der Contrast! Wie gewaltig das Aufbrausen der Leidenschaft! Selbst in Stücken ohne Singstimmen lehrte Mozart seine Instrumente einen Gesang, der so vernehmlich zu dem Gefühle spricht, dass der Zuhörer nur wenig die Abwesenheit der Singstimme wahrnehmen kann. Er ersetzte dadurch bey seinen Symphonieen gleichsam eine Singstimme. Man höre seine[637] Andante's oder Romanzen in den Clavier-Concerten und Quartetten. Bey dem häufigen Gebrauche der Blas-Instrumente, wie vollkommen wusste doch Mozart alle Ueberladung zu vermeiden! wie richtig den Ort und den Zeitpunct zu treffen, wo sie Effect machen! Nie ist ein Instrument verschwendet oder gemissbraucht, und daher überflüssig! Aber nur er verstand die Oekonomie, mit dem geringsten Aufwande, oft durch einen einzigen Zug eines Instruments, durch einen Accord, einen Trompetenstoss, einen Paukenwirbel die grösste Wirkung hervorzuzaubern! Wie tief stehen viele seiner Nachahmer hierin unter ihm! Was sonst Kunst gewesen, war ihm keine, und er greift daher mit Leichtigkeit aus, wo Andere noch genug zu thun haben, um sich nothdürftig auf den ersten Stufen zu halten. Und doch will Jeder, dem der Theaterdichter ein paar Geister und Fictionen hingaukelte, es ihm nachthun! – Wer nicht mit gewagten Ideen und der Instrumental-Musik so frisch schalten und walten kann, wie Mozart, der sollte ja jede unglückliche Erinnerung an ihn vermeiden.

Die Vervielfachung der Instrumente (sagt Nägeli) in den modernen Orchester-Compositionen (vorausgesetzt, die Componisten sind, wie Haydn und Mozart, erfahren genug, jedes der Instrumente nach seiner akustischen Natur zu behandeln, und reich genug, jedes eigenthümlich zu obligiren) ist nicht, wie schon hat behauptet werden wollen, eine Entartung, sondern, wegen der Reize der akustischen Mannigfaltigkeit, ein wahrer und grosser Vorschritt der Cultur. So gross, so neu immer Mozart in der[638] Instrumental-Partie seyn mag, so entfaltet sich doch sein mächtiges Genie noch reizender in dem Satze des Gesanges für menschliche Stimmen. Mozart ist derjenige Componist, dessen Musik am sangbarsten ist. Mancher Componist behandelt namentlich die Gesangpartie so stiefväterlich, dass die Singstimme zur Begleitung sich beynahe verhält, wie eine Altstimme zur Concertante. Gretry sagte einst: Man hat die Bildsäule ins Orchester, und das Fussgestell auf die Bühne gebracht. Opern sind Musik für den oder jenen Schauplatz – für ein besonderes Personale und Publicum: was Erstere am besten executiren und Letzterm am besten behagt. Daraus erkläre man sich Mozart's sonst übertriebene Forderungen an Sänger und zuweilen an einzelne Instrumente. Hierin, im Satze des Gesanges, erwarb sich Mozart ein zweyfaches, gleich grosses Verdienst. Mit richtigem Geschmacke führte er ihn zu seiner anspruchlosen Mutter, der Natur und Empfindung zurück. Er wagte es, den wälschen Sängern zu trotzen und alle unnützen, characterlosen Gurgeleyen, Schnörkel und Passagen zu verbannen. Auch diess ist eine Ursache der Abneigung der welschen Sänger gegen seine Werke; eine noch stärkere ist die Mühe, die es ihrer Unwissenheit kostete, seine Gesänge einzustudiren. Mozart hat zwar von diesem Grundsatze eine Ausnahme gemacht. Aber war er denn in bestellten Sachen immer frey? Musste er nicht gegen Sänger gefällig seyn, wenn er wollte, dass sie ihm die Sachen nicht verderben sollten? Darum müsste man immer die Sänger kennen, für die er schrieb, wenn man ein richtiges Urtheil über seine dramatischen[639] Werke fällen wollte. Mozart's Gesang ist im hohen Grade dramatisch und wahr; das, was er durch ihn nicht ausdrücken wollte, aus Furcht, die Reinheit der Melodie zu trüben, theilt er sinnreich dem Orchester zu. Aber Gesang und Begleitung sind so innig verbunden, dass sie nicht getrennt werden können, ohne das Ganze in Unordnung zu bringen. Die Folge dieser vollkommenen Verschmelzung ist, dass der Sänger sich gezwungen fühlt, mit dem Orchester gleichen Schritt zu halten; dass die kleinste Laune, die geringste Abweichung vom Zeitmaasse eine unvermeidliche Verwirrung nach sich zieht. Mozart ist daher durch das Wesen seines Styls ein unversöhnlicher Feind der Gurgeleyen und der Verbrämungen, kurz aller der Verschwendung von Zierrathen, welche die musikalische Phrase entstellen und den Ausdruck lähmen. Mit einem Worte: Mozart verlangt, dass man musikalisch sey, um seine Musik zu singen. Die Catalani, als man sie als Directorin in Paris aufforderte, le Nozze di Figaro zu geben, bat, Mozart's Partitur vorläufig zu streichen und eine leichtere Instrumental-Begleitung unterzulegen; als wenn eine Schauspielerin, die die Athalia oder Phädra spielen soll, verlangt, die Verse des Racine in Prosa zu übersetzen! – Arien, wie Voi che sapete, bedürfen, um an das Herz zu dringen, weder Triller, noch Tonsprünge, weder Verdrehung des Kiefers, noch auch jene sogenannten chromatischen auf- und absteigenden Leitern, die in der That Nichts sind, als Gurgeleyen.

Daher ist Mozart's Gesang überall einfach, natürlich, kraftvoll, ein reiner Ausdruck der Empfindung[640] und der Individualität der Person und ihrer Lage. Der Sinn des Textes ist immer richtig und genau getroffen, dass man ausrufen muss: »Wahrlich, die Musik spricht!« Aber Mozart scheint sich selbst zu übertreffen, wenn er den Gesang für mehre Stimmen dichtet, in Terzetten, Quartetten, Quintetten, nämlich in mehrstimmigen Stücken; vorzüglich in seinen unübertrefflichen, fürwahr einzigen Oper-Finalen. Welcher Reichthum! welche Mannigfaltigkeit in Wendungen und Veränderungen! Wie schlingt sich da eine Stimme um die andere! wie schön vereinigen sie sich alle, um ein reizendes Ganzes zu bilden, um eine neue Harmonie hervorzubringen! Und doch sagt jede nur ihre eigene, oft entgegengesetzte Empfindung! Hier ist die grösste Mannigfaltigkeit und die strengste Einheit vereinigt. Man findet wohl auch schöne Arien bey anderen Meistern: aber Niemand wird in mehrstimmigen Sachen Mozart die Palme entreissen. Doch wer mag sie alle entwickeln, die unzähligen Vorzüge, die unerschöpflichen Schönheiten seiner Kunst? Wer mag mit Worten das Neue, Originelle, Hinreissende, Erhabene und Volltönende seiner Musik beschreiben? Seine Musik verfehlt nie ihre Wirkung, wenn sie nur pünktlich und mit Feuer vorgetragen wird. Freylich ist es nicht leicht, seinem Geiste nachzufliegen; und da bey ihm Alles mathematisch genau zu der Harmonie berechnet ist: so giebt es auch kein so arges Missgetön, als wenn rohe Hände unwissender Bierfiedler sich an seine Heiligthümer wagen. Mozart hat sich durch sein frühes Studium der Harmonie so tief und eindringend mit ihr bekannt[641] gemacht, dass es einem ungeübten Ohre schwer ist, ihm auf der Stelle zu folgen und die Schönheiten seiner Musik sogleich zu entdecken. Man muss daher seine Musik öfters hören, mit Aufmerksamkeit ihr folgen, um das zu finden, was man soll, und was sich in derselben so herrlich ausspricht.

Die berühmtesten Tonkünstler erkannten die Grösse seines Genie's und bewunderten seine Werke. Joseph Haydn, dieser Liebling der Grazien, der in seinem Alter noch das Gefühl eines Jünglings zeigte, ist gewiss vor Allen ein befugter und berufener Richter. Sein Urtheil ist unparteyisch, weil er als ein redlicher Mann bekannt ist, und Mozart's aufblühender Ruhm dem seinigen im Wege stand. Schon im Jahre 1785, da Mozart's Vater noch lebte, sagte Jos. Haydn bey seiner Zusammenkunft in Wien zu ihm: »Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher Mann, dass ich Ihren Sohn für den grössten Componisten anerkenne, von dem ich nur immer gehört habe; er hat Geschmack und besitzt die gründlichste Kenntniss in der Kunst der Composition.« In eben diesem Jahre, 1785, sahen Vater und Sohn sich zuletzt. Der Vater besuchte den Sohn in Wien. Wiewohl sein Aufenthalt nur sechs Wochen währte und er die meiste Zeit unpass war, liess er sich doch zum Freymaurer aufnehmen. Der Sohn war früher schon im Orden. Diese Anerkennung Mozart's von Haydn war nicht minder grosssinnig. Er widmete ihm, wie angegeben, sechs Quartetten, die man für sein Bestes in dieser Gattung halten kann. Diese Widmung, sagte Mozart, bin ich ihm schuldig gewesen, weil ich von ihm gelernt habe, Quartetten zu machen.[642]

Im Jahre 1787 im December schrieb eben dieser grosse Haydn an einen Freund in Prag, der mit ihm seit langer Zeit im Briefwechsel stand, und ein Singspiel von seiner Composition für Prag verlangte, folgenden merkwürdigen Brief: »Sie verlangen eineOpera buffa von mir; recht herzlich gern, wenn Sie Lust haben von meiner Sing-Composition Etwas für sich allein zu besitzen. Aber um sie auf dem Theater zu Prag aufzuführen, kann ich Ihnen diessfalls nicht dienen, weil alle meine Opern zu viel auf unser Personale (zu Esterhazy in Ungarn) gebunden sind, und ausserdem nie die Wirkung hervorbringen würden, die ich nach der Localität berechnet habe. Ganz was anders wäre es, wenn ich das unschätzbare Glück hätte, ein ganz neues Buch für das dasige Theater zu componiren. Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen, indem der grosse Mozart schwerlich Jemand andern zur Seite haben kann. Denn, könnt' ich jedem Musikfreunde, besonders aber den Grossen die unnachahmlichen Arbeiten Mozart's so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so grossen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde: so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen. Prag soll den theuern Mann festhalten – aber auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte grosser Genie's traurig, und giebt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum fernem Bestreben; wesswegen leider! so viel hoffnungsvolle Geister darnieder liegen. Mich zürnet es, dass dieser einzige Mozart noch nicht bey einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagirt[643] ist. Verzeihen Sie, wenn ich aus dem Geleise komme: ich habe den Mann zu lieb. Ich bin etc.


Joseph Haydn.«


N.S. An das Prager Orchester und die dasigen Virtuosen mein ergebenstes Compliment.

Wenn ein Haydn so urtheilt, so begeistert spricht – ein Haydn, der allein unter allen Tonkünstlern über seinen Verlust zu trösten im Stande wäre, was will dann das Gekreische einiger kleiner Geister sagen, die an Mozart's Ruhme zu Rittern werden wollten?

Cherubini's Vorliebe für Mozart ist eine Art religiöser Verehrung, aus dem Innersten seiner Seele dem hohen Geiste dargebracht. Er besitzt leider einen sehr schwächlichen Körper und die zarteste Reizbarkeit: so dass er nicht selten mit Nervenzufällen geplagt ist, und versinkt oft in die tiefste Melancholie. In solchen Stunden des Leidens ist oft eine leise Erinnerung an seinen Mozart hinlänglich, ihn zu beruhigen und zu zerstreuen. Dann spricht er allezeit von kleinen Umständen aus dem Leben dieses Meisters und zergliedert die Schönheiten seiner unsterblichen Werke.

Hr. Naumann bezeugte bey seinem Aufenthalte zu Prag auf eine rühmliche Weise seine Hochachtung und Bewunderung für Mozart's Werke in einer rührenden Anrede an Mozart's Sohn, als ihm derselbe von seiner Freundin Duschek vorgestellt wurde. Wer die redliche anspruchslose Denkungsart dieses berühmten Meisters kannte, wird an der Wahrheit seiner Gesinnungen gewiss nicht zweifeln.[644]

Wie sehr ihn Gluck geschätzt habe, ist schon erwähnt worden. Cherubini, dessen Geist dem Mozart'schen am nächsten verwandt scheint, ist sein grösster Bewunderer, und hat seine Werke zum Gegenstande seines beständigen Studiums gemacht. Alle Neueren, wenn sie es auch nicht gestehen wollen, haben von Mozart gelernt, oder ahmen ihn nach.

Cherubini ist durch sein Requiem gleichsam mit Mozart in die Schranken getreten, wodurch auf Veranlassung zweyer sehr gelungener Aufführungen seines Werkes in der Augustiner-Hofkirche in Wien, welche beynahe ein Schisma bewirkten, indem der eine Theil von Cherubini's hoher Genialität und seiner ewig neuen Instrumentirung geblendet, ja hingerissen wurde, während der andere Mozart's engelreines Gemüth, seine tief erschütternden Harmonieen, den andächtigen Sinn und seine Alles überflügelnde contrapunctische Technik nur ungern darin zu vermissen glaubten, die Theilnahme einen sehr hohen Grad erreichte. – Die ausdrucksvollen Worte, die den Charakter der demuthsvollen Bitte oder des zerknirschten Gemüthes an sich tragen: Quid sum miser tunc dicturus, und Salva me fons pietatis sind besser bey Mozart, über alle Vergleichung herrlich, und doch im heiligsten, und der Kirche anpassendsten Style gegeben; und das Tuba mirum von Dies irae sowohl, als auch von Rex tremendae majestatis, durch die grosse charakteristische Behandlung unterschieden, welche dieses Werk Mozart's durchstrahlt und verherrlicht. Nicht so bey Cherubini! –

Ein noch lebender nicht unberühmter Tonkünstler in Wien sagte zu einem andern bey Mozart's[645] Tode mit vieler Wahrheit und Aufrichtigkeit: »Es ist zwar Schade um ein so grosses Genie; aber wohl uns, dass er todt ist. Denn, würde er länger gelebt haben, warlich! die Welt hätte uns kein Stück Brod mehr für unsere Compositionen gegeben!«

Die zahlreiche Klasse gründlicher Tonkünstler in Prag verdient mit Recht unter den Richtern über Mozart's hohen Werth einen ansehnlichen Platz. Die meisten von ihnen sprechen mit einer Achtung von Mozart's Werken, die ein rühmlicher Beweiss ihrer Kenntnisse und der Unbefangenheit ihres Herzens ist. – Einige (lange noch nicht Alle) sind früher schon genannt worden. Der brave Duschek mit seiner Gattin, die als Künstlerin und gebildete Frau im gleichen Maasse auf Achtung und Beyfall Anspruch machen kann, waren Freunde und Bewunderer Mozart's. Wie viele treffliche Künstler, auf welche Böhmen stolz ist – wie viele gründliche und geschmackvolle Dilettanten von Adel und dem Bürgerstande, die in jedem andern Lande für Virtuosen gelten würden, müsste ich nennen, sagt Niemtschek, wenn ich alle Freunde und Verehrer seiner Werke und seiner Talente in Böhmen herzählen wollte!

Doch um Mozart als Tonkünstler ganz kennen zu lernen, ist es nöthig, ihn bey seinem Schreibpulte, wenn er die unsterblichen Werke dichtete, zu beobachten.

So lange Mozart lebte, wurde ihm oft mehr aus unverständigem Preis, als aus neckendem Uebelwollen nachgesagt, er werfe seine Werke, auch die herrlichsten, nur schnell hin. – Mozart schrieb allerdings nicht gern – denn wie schwer oder wie leicht[646] musste ihm bey seinem Alter und Temperamente Stillsitzen und Federführen seyn! –: dazu musste er oft veranlasst, sogar gedrängt werden. Ward er aber das, und war er nur erst warm dabey, dann ging's auch sehr schnell, und doch zugleich, wenigstens in späteren Jahren, mit so beharrlichem Zusammenfassen aller seiner geistigen Kräfte, dass er nicht oft was zu verbessern hatte. Aber desshalb arbeitete Mozart nicht so schnell und leicht hin, dass man es spielend nennen könnte; was er schrieb, fiel ihm sehr selten erst in dieser Stunde bey, und wie viel weniger war diess mit der Anordnung und Gestaltung des Ganzen der Fall! – Mozart hatte die Gewohnheit – war er allein, oder mit seiner Frau, oder mit Anderen, die ihm keinen Zwang auflegten, vor allem aber auf seinen vielen Reisen im Wagen – fast unausgesetzt, nicht nur seine Phantasie auf neu melodische Erfindungen ausgehen zu lassen, sondern auch seinen Verstand und sein Gefühl gleich mit der Anordnung, Benutzung, Ausarbeitung solch eines Fundes zu beschäftigen; wobey er, ohne es zu wissen, oft summte, ja laut sang, glühend heiss wurde, und keine Störung duldete. So fertigte er ganze Musikstücke im Kopfe und trug sie mit sich herum, bis er zum Niederschreiben veranlasst wurde, oder sie durch eigenen Drang los seyn wollte. So konnte freylich hernach sein Schreiben schnell von Statten gehen; ja, er hatte es sogar gern, wenn beym Niederschreiben um ihn her Gleichgültiges gesprochen wurde, und gab wohl auch dazu sein Wort.

Um dergleichen Vorarbeiten nicht zu vergessen oder zu vermischen, brauchte seine leicht entzündbare[647] Phantasie, seine vollkommene Beherrschung aller Kunstmittel der Ausarbeitung und sein für Musik erstaunenswürdiges Gedächtniss nichts weiter als kurze, leichte Andeutungen; und zu diesen musste er stets, vorzüglich aber auf Reisen in einer Seitentasche des Wagens, Blättchen Notenpapier zur Hand haben, welchen dann jene Notizen, jene fragmentarischen Grundrisse anvertraut wurden, und welche Blättchen, zusammen in einer Kapsel aufbewahrt, sein in höherer Bedeutung sogenanntes Reise-Tagebuch ausmachten. Diese Fragmente sind solche Notizenblättchen aus dem Fache der contrapunctischen Studien und Vorübungen. Es wäre zu wünschen, deren auch aus dem Fache der melodischen zu haben, wenn auch schon die Melodieen in ausgeführten Stücken benutzt seyn sollten. Sie würden eben so anziehend und lehrreich seyn, wie die skizzirten ersten Entwürfe grosser Maler, die sie hernach in Gemälden weiter ausgeführt haben, und zu denen sie als Vorbereitung dienten. Solche Symbole für vortreffliche Gedanken sind bey Genie's durchaus nöthig; denn wie oft lässt man im kältern Augenblicke wieder fahren, was der Geist in seiner erhöhteren Thätigkeit gedichtet hat, ja oft ist es später unmöglich, in die erste glückliche Erfindung wieder hinein zu kommen.

Die Künstler vergessen oft, dass die vortrefflichste Anlage nur Anlage ist, dass die Natur allein nie etwas ganz Vollendetes in der Kunst hervorbringt; dass die ewigen Werke der äusserst wenigen Künstler, die nur aussprachen, was ihnen ein Gott gegeben, zu ganz anderen Zeiten und unter ganz anderen[648] Verhältnissen lebten, und dass gerade Deutschland, so viel ich weiss, nicht eine solch siegreiche Natur jemals hervorgebracht hat, und unter den Musikern diess am allerwenigsten. Hier führe man nicht etwa den unsterblichen Mozart an. Er war zwar für Vieles nicht gebildet, aber wie sehr war er's auch für den mechanischen Theil seiner Kunst! Und mit welcher ihn selbst aufreibenden Anstrengung studirte er diesen bis an sein Ende! Man glaube überhaupt dem Geschwätze nicht, als habe er seine bedeutenden Werke nur flüchtig und schnell hingeworfen. Er trug sich sehr lange mit den Hauptideen herum, zeichnete sie sich oft kurz auf, arbeitete im Kopfe die Hauptsachen ganz fertig: dann erst schrieb er das Ganze schnell nieder – und auch nicht so schnell, als man sich einbildet: er besserte sorgfältig nach, nur war er in solchen Compositionen, auf die er selbst Werth legte, äusserst streng gegen sich.

Es ist schon oben gesagt worden, dass er auch in seinen Mannesjahren halbe Nächte beym Claviere zubrachte, welches eigentlich die Schöpferstunden seiner himmlischen Gesänge waren. Bey der sanften Ruhe der allen denkenden Geistern günstigen Nacht, wo kein Gegenstand die Sinne fesselt, entglühte seine Einbildungskraft zu der regsten Thätigkeit und entfaltete den ganzen Reichthum seiner Töne, welchen die Natur in seine Talente gelegt hatte. Hier war Mozart ganz Empfindung und Wohllaut – hier flossen von seinen Fingern die wunderbarsten Harmonieen! Wer Mozart in solchen Stunden hörte, der nur kannte die Tiefe und den ganzen Umfang seines musikalischen Genie's: frey und unabhängig von jeder[649] Rücksicht durfte da sein Geist mit kühnem Fluge sich zu den höchsten Regionen der Kunst hinaufschwingen. In solchen Stunden der dichterischen Laune schuf sich Mozart unerschöpflichen Vorrath, und daraus ordnete und bildete er dann mit leichter Hand erst seine unsterblichen Werke. Dass hierzu eine reiche Ader erforderlich war, begreift leicht Jedermann, denn ohne diese würde drum alle seine Kunst unfruchtbar geblieben seyn. Es giebt zwar Componisten, die durch eisernen Fleiss einige Gedanken erzwingen: aber wie bald versiegt ihre Quelle! Dann hört man sie nur wiederholen: ihre späteren Werke sind gewöhnlich nur die Musterkarte der früheren.

Diese Leichtigkeit, mit welcher Mozart schrieb, hat er, wie wir schon ausgesprochen haben, schon als Knabe gezeigt: ein Beweis, dass sie ein Werk des Genie's war. Aber wie oft überraschte er damit in seinen letzten Jahren selbst diejenigen, die mit seinen Talenten vertraut waren! Die genievolle Ouvertüre zum Don Juan ist hiervon ein merkwürdiges Beyspiel. Mozart schrieb diese Oper im Octbr. 1787; sie war schon vollendet, einstudirt und sollte auf Uebermorgen aufgeführt werden, nur die Ouvertüre fehlte noch. Die ängstliche Besorgniss seiner Freunde, die mit jeder Stunde zunahm, schien ihn zu unterhalten; je mehr sie verlegen waren, desto leichtsinniger stellte er sich. Endlich, am Abende vor dem Tage der ersten Vorstellung, nachdem er sich satt gescherzt hatte, ging er gegen Mitternacht auf sein Zimmer, fing an zu schreiben und vollendete in einigen Stunden das bewunderungswürdige Meisterstück,[650] welches die Kenner nur der himmlischen Ouvertüre der Zauberflöte nachsetzen.

Die Wittwe erzählt den Vorgang so: Den vorletzten Tag vor der Aufführung, als die Generalprobe vorbey war, sagte er Abends zu ihr, er wolle Nachts die Ouvertüre schreiben, sie möge ihm Punsch machen und bey ihm bleiben, um ihn munter zu erhalten. Sie that's, erzählte ihm, nach seinem Wunsche, leichte, muntere Sachen, z.B. von Alladin's Lampe, Aschenbrödel u.s.w., die ihn Thränen lachen machten. Der Punsch machte ihn aber so schläfrig, dass er nickte, wenn sie pausirte, und nur arbeitete, wenn sie erzählte. Da aber die Anstrengung, die Schläfrigkeit und das öftere Nicken und Zusammenfahren ihm die Arbeit gar zu schwer machten, ermahnte seine Frau ihn, auf dem Canapee zu schlafen, mit dem Versprechen, ihn über eine Stunde zu wecken. Er schlief aber so stark, dass sie es nicht über's Herz brachte, und ihn erst nach zwey Stunden aufweckte. Diess war um 5 Uhr früh. Um 7 Uhr war der Copist bestellt und um 7 Uhr war die Ouverture fertig. Die Copisten wurden nur mit Mühe bis zur Vorstellung fertig, und das Opern- Orchester, dessen Geschicklichkeit Mozart schon kannte, führte sie prima vista vortrefflich aus.

Nach der Behauptung des Verfassers von »Mozart's Geist« soll Mozart die erste Ouverture umgearbeitet haben, weil J. Haydn Einiges daran auszusetzen hatte. Die Wittwe weiss indess davon nichts.

Die Musik zur Zauberflöte war schon im Julius 1791 fertig. In der Mitte des Augustus ging Mozart nach Prag, schrieb da innerhalb 18 Tagen La Clemenza[651] di Tito, welche am 5ten September auf's Theater kam. In der Mitte dieses Monats reis'te er nach Wien zurück und schrieb ein paar Tage vor der Vorstellung der Zauberflöte, die am 30sten September 1791 geschah, die beste seiner Ouverturen und den herrlichen Priestermarsch zu Anfange des zweyten Actes der Zauberflöte am 28sten September.

Solcher Beyspiele könnten mehre angeführt werden. Sein ausserordentliches Gedächtniss zeigte sich auch schon in der Jugend; das aufgefasste Miserere in Rom giebt hiervon einen vollen Beweis. Er behielt es ungeschwächt bis an sein Ende. Es hat sich gefunden, dass, als Burney viel später dieses Miserere nach einer Copie des Originals öffentlich bekannt machte, auch nicht eine Note anders als bey Mozart darin war.

Da man seine Compositionen unglaublich suchte: so war er nie sicher, dass ihm nicht ein neues Werk selbst während des Copirens abgestohlen wurde. Er schrieb daher bey seinen Clavier-Concerten gewöhnlich nur eine Zeile für eine Hand auf, und spielte das Uebrige aus dem Gedächtnisse. So hat er einst ein Clavier-Concert, welches er schon seit geraumer Zeit nicht in Händen gehabt hatte, in einer musikalischen Akademie aus dem Gedächtnisse gespielt, indem er die Principalstimme in der Eile zu Hause gelassen hatte.

In seiner Akademie zu Leipzig spielte er zwey Concerte, das sanft heiter reizende aus B dur mit den Variationen aus G moll, und das glänzende, prachtvolle aus C dur, das nach seinem Tode heraus kam. In der Probe, wie am Concert-Abende, hatte er[652] statt der Solostimme für sein Instrument einen blossen Bass, hin und wieder mit Bezifferung, Andeutung der Eintritte und dem Anfange einiger Hauptfiguren auf dem Notenpulte. Die Solostimmen, sagte er, sind wohl verschlossen in Wien: auf Reisen muss ich's so machen, sie stehlen mir sonst Abschriften und drucken sie frich weg. Hätte er auf diesen Reisen, wie Virtuosen wohl pflegen, überall dieselben Compositionen vorgetragen, so wäre davon kein Aufheben zu machen, selbst wenn er davon die Bassstimmen weggeworfen hätte. Aber von seinen vielen Compositionen dieser Gattung spielte er an einem jeden Orte nur die, welche er für das Auditorium am geeignetsten hielt; und dann, welch ein Unterschied auch für das Festhalten im Gedächtnisse, Concerte, wo, wie gewöhnlich, die Solostimme, beginnt sie einmal, durch einen Abschnitt hindurch die Hauptmelodieen und Figuren allein durchführt – und Concerte, wo, wie bey Mozart, die Solostimmen auf's engste verschlungen mit allen anderen, nur die erste unter Gleichen bildet!

Aber wie ist Mozart ein so grosser, ja man möchte sagen, einziger Mann in seiner Kunst geworden? Hat er Alles der Natur, oder seinem Studium und seiner Ausbildung zu verdanken? Einige deutsche Schriftsteller sprechen von einer instinctartigen Beschaffenheit seines Geistes, welche ihn unwillkürlich zur Hervorbringung seiner Meisterwerke getrieben habe. Diese kennen aber sicher Mozart gar nicht, und scheinen die Leichtigkeit, mit welcher er, wenn die Idee des Werkes einmal gebildet war, schrieb, für die instinctartige Wirkung seines Talentes[653] zu halten. Freylich haben die Aeusserungen des Genie's, in so fern es angeboren ist, etwas Instinctartiges: aber nur Bildung und Uebung – Studium giebt ihnen Reife und Vollendung. Mozart hatte von der Natur ein Genie empfangen, wie Shakespeare und andere seines Gleichen, aber er übertraf diese an Geschmack und Correctheit. Er producirte mit Verstand und Wahl. Diese so seltene Vereinigung eines feinen Geschmackes und der richtigsten Beurtheilung mit den grössten Naturanlagen, die Mozart unter den Meistern seiner Kunst den ersten Rang giebt, war grösstentheils sein Werk – das Werk seines Eifers, seines Fleisses, das Werk des tiefen und gründlichen Studiums der Kunst.

Aus der Geschichte seiner Jugend haben wir gesehen, wie sorgfältig er jede Gelegenheit benutzte, um zu lernen, wie weise und streng ihn sein Vater dazu leitete und wie tief er in die Geheimnisse der Kunst so früh schon eingedrungen war. Aber wir wollen ihn selbst einmal darüber hören. Einst – (es war nach den ersten Proben seines Don Juan) – ging Mozart mit dem damaligen Orchester-Director und Kapellmeister Kucharz1 spaziern. Unter andern vertraulichen Gesprächen kam die Rede auf Don Juan. Mozart fragte: Was halten Sie von der Musik zum Don Juan? Wird sie so gefallen wie Figaro? Sie ist von einer andern Gattung!

Kuch. Wie können Sie daran zweifeln? Die Musik ist schön, originell, tief gedacht. Was von Mozart kommt, wird den Böhmen gewiss gefallen.

[654] Moz. Ihre Versicherung beruhigt mich, sie kommt von einem Kenner. Aber ich habe mir Mühe und Arbeit nicht verdriessen lassen, für Prag etwas Vorzügliches zu leisten. Ueberhaupt irrt man, wenn man denkt, dass mir meine Kunst so leicht geworden ist. Ich versichere Sie, lieber Freund, Niemand hat so viel Mühe auf das Studium der Composition verwendet, als ich. Es giebt nicht leicht einen berühmten Meister in der Musik, den ich nicht fleissig und oft mehrmals durchstudirt hätte.

Und in der That, man sah die Werke grosser Tonkünstler, z.B. Seb. Bach's, Durante's, Porpora's, Leo's, Händel's, u. dgl. auch da noch, als er bereits klassische Vollkommenheit erreicht hatte, auf seinem Pulte; besonders waren Bach's und Händel's Fugen und Präludien immer auf seinem Claviere.

Man hat Mozart den Vorwurf gemacht, er habe sich nur mit seinen Werken beschäftigt, sich nicht um das bekümmert und nicht das gekannt, was Andere geleistet haben. Wenn man diesen Vorwurf auf das mehr oder weniger einschränkt, so ist Mozart nicht ganz frey zu sprechen. Indessen liegt die Schuld weit weniger an ihm selbst, als in seinen Verhältnissen, nach denen er, auf Reisen oder componirend, fast nur Neues oder sich selbst hören und kennen lernen konnte. Wo ihm aber etwas Gutes aufstiess, mochte es alt oder neu seyn, war er voll Freude und wusste es zu schätzen. Worin er nicht Etwas von eigenem Geiste fand, das warf er weg, mit den Worten: Es ist ja Nichts darin. Aber auch das leichte Blinken der Funken des Genie's übersah er nicht, nahm den jungen Künstler von Talent in[655] seinen Schutz, und trug bey zu seiner Bildung, Empfehlung, Belohnung und zu seinem Fortkommen. Die Undankbarkeit, die bisweilen sein Loos war, störte ihn nicht darin: er vergass das Böse, was sie ihm anthaten, so schnell, als sie seine Gutthaten.

Zu dem oben Gesagten mögen folgende Anekdoten aus dem Munde eines Augenzeugen, des Hofraths Rochlitz, hier nicht am unrechten Orte stehen.

Auf Veranstaltung des damaligen Cantors der Thomas-Schule in Leipzig, des verstorbenen Doles, überraschte Mozart'n das Chor mit der Aufführung der zweychörigen Motette: Singet dem Herrn ein neues Lied – von dem Altvater deutscher Musik, Sebast. Bach. Mozart kannte diesen Albrecht Dürer der deutschen Musik mehr vom Hörensagen, als aus seinen selten gewordenen Werken. Kaum hatte das Chor einige Tacte gesungen, so stutzte Mozart – noch einige Tacte, da rief er: Was ist das? – und nun schien seine ganze Seele in seinen Ohren zu seyn. Als der Gesang geendigt war, rief er voll Freude: Das ist doch einmal Etwas, woraus sich was lernen lässt! Man erzählte ihm, dass diese Schule, an der Bach Cantor gewesen war, die vollständige Sammlung seiner Motetten besitze und als eine Art Reliquien aufbewahre. Das ist recht, das ist brav, rief er; zeigen Sie her! – Man hatte aber keine Partitur dieser Gesänge; er liess sich also die ausgeschriebenen Stimmen geben – und nun war es für den stillen Beobachter eine Freude, zu sehen, wie eifrig sich Mozart setzte, die Stimmen um sich herum, in beyde Hände, auf die Kniee, auf die nächsten Stühle vertheilte, und, alles Andere vergessend, nicht eher[656] aufstand, bis er Alles, was von Bach da war, durchgesehen hatte. Er erbat sich eine Copie, hielt diese sehr hoch, und – wenn ich nicht sehr irre, kann dem Kenner der Bach'schen Compositionen und des Mozart'schen Requiem, besonders etwa der grossen Fuge Christe eleison – das Studium, die Werthschätzung und die volle Auffassung des Geistes jenes alten Contrapunctisten bey Mozart's zu allem fähigen Geiste nicht entgehen.

In demselben Hause stritt man sich, nach Mozart's Zurückkunft, eines Abends über das Verdienst mancher noch lebender Componisten, besonders über einen Mann, der für die komische Oper offenbares Talent hat, aber – als Kirchen-Compositeur angestellt ist. Vater Doles, der überhaupt etwas mehr, als recht und billig war, an dem Opernwesen in der Kirche hing, nahm jenes Componisten Parthey gegen Mozart's stetes Ist ja all' nichts! sehr lebhaft. Und ich wette, Sie haben noch nicht Vieles von ihm gehört, fiel Doles ebenfalls lebhaft ein. Sie gewinnen, antwortete Mozart; aber das ist auch nicht nöthig: so Einerkann nichts Rechts dieser Art machen! Er hat keine Idee davon in sich. Herr, wenn der liebe Gott mich so in die Kirche und vor ein solches Orchester gesetzt hätte! u.s.w. – Nun, Sie sollen heute noch eine Missa von ihm sehen, die Sie mit ihm aussöhnen wird. – Mozart nahm sie mit und brachte sie den folgenden Abend wieder.

Nun, was sagen Sie zu der Missa von – –

Lässt sich all gut hören, nur nicht in der Kirche! Sie werden's nicht übel nehmen, ich habe bis zum Credo andern Text unterlegt, so wird sich's[657] noch besser machen. Nein, es muss ihn Keiner vorher lesen! Wollen's gleich aufführen!

Er setzte sich an das Fortepiano, theilte die vier Singstimmen aus, wir mussten ihm schon zu Willen seyn, sangen, und er accompagnirte.

Eine possirlichere Aufführung der Missa hat es wohl nie gegeben. Die Hauptpersonen – Vater Doles mit der Altstimme, die er unter stetem ernsten Kopfschütteln über das Scandal doch so trefflich absang;Mozart immer die zehn Finger voll in den Trompeten-und Pauken-reichen Sätzen, unter ausgelassener Freude ewig wiederholend: Na, geht's nicht so besser z'sammen? Und nun der arge und doch herrlich angepasste Text – z.B. das brillante Allegro zu Kyrie eleison: »Hol's der Geyer, das geht flink!« Und zum Schlusse die Fuge, Cum sancto spiritu in gloria, Dei patris: »Das ist gestohlen Gut, Ihr Herren, nehmt's nicht übel!«

Es lag in seiner Reizbarkeit, launig zu seyn, und in der Stimmung seines Gemüths, nicht selten unmittelbar von einem Extreme zum andern überzugehen. Nachdem er in jener ausgelassenen Lustigkeit noch eine Weile verblieben war, und, wie öfters, in sogenannten Knittelversen gesprochen hatte, trat er ans Fenster, spielte, wie gewöhnlich, Clavier auf dem Fensterpolster, und schwärmte, ohne auf die an ihn gerichteten Reden etwas zu geben, als gleichgültige Antworten, fast ohne Bewusstseyn. Das Gespräch über Kirchenmusik war allgemeiner und ernsthafter geworden. Unersetzlicher Schade, sagte Einer, dass es so vielen grossen Musikern, besonders der vorigen Zeit, ergangen ist, wie den alten Malern;[658] dass sie nämlich ihre ungeheueren Kräfte auf meistens nicht nur unfruchtbare, sondern auch Geist-tödtende Sujets der Kirche wenden mussten! – Ganz umgestimmt und trübe wendete sich Mozart hier zu den Anderen und sagte – dem Sinne nach, obschon nicht auf diese Weise: Das ist mir auch einmal wieder so ein Kunstgeschwätz! Bey Euch aufgeklärten Protestanten, wie Ihr Euch nennt, wenn Ihr Eure Religion im Kopfe habt – kann etwas Wahres darin seyn; das weiss ich nicht. Aber bey uns ist das anders. Ihr fühlt gar nicht, was das will: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem u. dgl. Aber wenn man von frühester Kindheit, wie ich, in das mystische Heiligthum unserer Religion eingeführt ist; wenn man da, als man noch nicht wusste, wo man mit seinen dunkeln, aber drängenden Gefühlen hin solle, in voller Inbrunst des Herzens seinen Gottesdienst abwartete, ohne eigentlich zu wissen, was man wollte; und leichter und erhoben daraus wegging, ohne eigentlich zu wissen, was man gehabt habe; wenn man diejenigen glücklich priess, die unter dem rührenden Agnus Dei hinknieeten und das Abendmahl empfingen, und beym Empfange die Musik in sanfter Freude aus dem Herzen der Knieenden sprach: Benedictus qui venit etc.: dann ist's anders. Nun ja, das geht freylich dann durch das Leben in der Welt verloren; aber – wenigstens ist's mir so – wenn man nun die tausend Mal gehörten Worte nochmals vornimmt, sie in Musik zu setzen, so kommt das Alles wieder und steht vor Einem und bewegt Einem die Seele. –

Er schilderte nun einige Scenen jener Art aus[659] seinen frühesten Kinderjahren in Salzburg, dann auf der ersten Reise nach Italien, und verweilte mit besonderm Interesse bey der Anekdote, wie ihm die Kaiserin Maria Theresia als vierzehnjährigem Knaben aufgetragen habe, das Te Deum zur Einweihung – ich erinnere mich nicht, eines grossen Krankenhauses oder einer andern ähnlichen Stiftung, zu componiren, und an der Spitze der ganzen Kaiserlichen Kapelle selbst aufzuführen. Wie mir da war! – wie mir da war! – rief er ein Mal über das andere. Das kömmt doch all nicht wieder! Man treibt sich umher in dem leeren Alltagsleben – sagte er dann, ward bitter, trank viel starken Wein und sprach kein vernünftiges Wort mehr.

Ein Beyspiel, wie Mozart Künstler behandelte. Am Abende seines öffentlichen Concertes in Leipzig nahm Mozart Berger (Carl Gottlieb – Violin-Solospieler, eine Zierde der Leipziger Concerte) zur Seite: Kommen Sie mit mir, guter Berger! Ich will Ihnen noch ein Weilchen vorspielen. Sie verstehen's ja doch besser, als die Meisten, die mich heute applaudirt haben. Nun nahm er ihn mit sich, und phantasirte, nach einem kurzen Mahle, vor ihm bis Mitternacht, wo er dann, nach seiner Weise, rasch aufsprang und rief: Nun, Papa, habe ich's recht gemacht? Jetzt haben Sie erst Mozart gehört. Das Uebrige können Andere auch.

Bey Mozart's letzter Anwesenheit in Leipzig, wenige Jahre vor seinem Tode, rühmte einmal Hiller denGassman.2 Doles wollte nicht recht einstimmen.[660] Papa, sagte Mozart, wenn Sie nur erst Alles kennten, was wir in Wien von ihm haben! Wenn ich jetzt heim komme, will ich seine Kirchenmusiken fleissig durchstudiren, und ich hoffe viel daraus zu lernen.

Mozart war, wo nicht der Erste, doch einer der Ersten, die den Deutschen das Vorurtheil benahmen, dass der Sitz der wahren Musik noch immer in Italien wäre. Doch thun ihm die Kunstrichter Unrecht, die behaupten, er habe nur kunstvolle Harmonie, nur gelehrte Arbeit an Anderen geschätzt. Er liess der durchsichtigsten Musik, nur musste sie etwas Geist und Eigentümlichkeit haben, Gerechtigkeit wiederfahren. So sprach er sehr vortheilhaft (in Leipzig) von Paisiello, dessen Arbeiten ihm sehr wohl bekannt waren. Er sagte: Man kann dem, der in der Musik nur leichtes Vergnügen sucht, nichts Besseres empfehlen. Unter den älteren Componisten schätzte er ganz besonders einige Italiener, die man längst vergessen hat; am allerhöchsten aber Händeln. Die vorzüglichsten Werke dieses in einigen Fächern noch nie übertroffenen Meisters hatte er so inne, als wenn er lebenslang Director der Londner Akademie zur Aufrechthaltung der alten Musik gewesen wäre: Händel, sagte er oft, weiss am Besten unter uns Allen, was grossen Effect macht; wo er es will, schlägt er ein, wie ein Donnerwetter. Diese Liebe zu Händel ging so weit, dass er Vieles, was er aber nicht selbst bekannt gemacht hat, in seiner Manier[661] schrieb. Er schätzte und liebte nicht allein Händels Chöre, sondern auch viele seiner Arien und Solo's. Wenn er da auch manchmal, sagte Mozart,nach der Weise seiner Zeit hinschlendert, so ist doch überall Etwas darin.

Er hatte sogar die Grille, eine Arie in seinem Don Juan nach Händels Manieren zu setzen, und seiner Partitur diess offenherzig beyzuschreiben: man soll sie bey der Aufführung allenthalben weggelassen haben. Eben so findet sich in seinen Clavierheften eine Ouverture nach Händels Style.

Von Hasse und Graun schien er weniger zu halten, als sie verdienen. Vielleicht kannte er ihre Werke nicht. Jomelli schätzte er hoch: Der Mann, sagte er,hat sein Fach, worin er glänzt, und so, dass wir's wohl werden bleiben lassen müssen, ihn bey dem, der es versteht, daraus zu verdrängen, Nur hätte er sich nicht aus diesem heraus machen, und z.B. Kirchensachen im alten Style schreiben sollen.

Von Martini, der damals die ganze Liebhaberwelt zu bezaubern anfing, behauptete er: Vieles in seinen Sachen ist wirklich hübsch, aber in zehn Jahren nimmt kein Mensch mehr Notiz von ihm.

Keiner, sagte er ferner, kann Alles – schäkern und erschüttern, Lachen erregen und tiefe Rührung machen – und Alles gleich gut, wie Joseph Haydn.

Sein gewandter Geist wusste sich den Charakter eines Jeden so anzueignen, dass er sie oft zum Scherze im Satze und Style, und sogar bis zum Täuschen nachahmte.[662]

Sein Gehör war so fein, er fasste die Verschiedenheit der Töne so gewiss und richtig auf, dass er den geringsten Misston selbst bey dem stärksten Orchester bemerkte, und dasjenige Subject oder Instrument, welches ihn beging, genau anzugeben wusste. Nichts brachte ihn so sehr auf, als Unruhe, Getöse oder Geschwätz bey der Musik. Da gerieth der so sanfte, muntere Mann in den grössten Unwillen und äusserte ihn sehr lebhaft. Es ist bekannt, dass er einst mitten im Spiele unwillig von dem Claviere aufstand und die unaufmerksamen Zuhörer verliess. Dieses hat man ihm vielfältig übel genommen; aber gewiss mit Unrecht. Alles, was er vortrug, empfand er selbst auf das stärkste – sein ganzes Wesen war dann Gefühl und Aufmerksamkeit: wie konnte ihn also kalte Fühllosigkeit, Unaufmerksamkeit, oder gar ein störendes Geschwätz in der Laune und Fassung erhalten? Als begeisterter Künstler vergaass er da alle andere Rücksichten.

Von der allzugewöhnlichen Virtuosengrille, sich nur nach überschwenglichem Bitten und Flehen hören zu lassen, war wohl kein Virtuos der Welt mehr frey als Mozart: im Gegentheil machten es, besonders viele gnädige Herren in Wien, ihm zum Vorwurf, dass er vor jedem, der ihn gern hörte, eben so gern spielte. Nur war dabey sein grösstes und und oft von ihm selbst beklagtes Leiden, dass man gewöhnlich von ihm nur mechanische Hexereyen und gaukelhafte Seiltänzerkünste auf dem Instrumente erwartete und zu sehen wünschte; aber dem hohen Fluge seiner Phantasie und seinen gewaltigen Ideen nicht folgen konnte oder nicht folgen wollte. Als er[663] nach N – kam, lud der kunstliebende X – eine zahlreiche Gesellschaft der Honoratioren der Stadt zusammen, um ihnen das Vergnügen zu machen, Mozart zu hören, der versprochen hatte, in die Gesellschaft zu kommen und dort zu spielen. Mozart hielt natürlicherweise die versammelten Herren und Damen, von denen er kaum zwey kannte, für Kenner oder doch gebildete Liebhaber: fing also, wie gewöhnlich, im langsamen Tempo, einfacher Melodie, noch einfacherer Harmonie, die nur nach und nach interessanter wurde – theils um sich selbst erst zu erheben, theils um den Geist der Zuhörer mit sich empor zu tragen, an. Die Leutchen saassen im Halbcirkel des prachtvollen Zimmers und fanden das alltäglich. Mozart wurde nun feuriger: das fand man ganz hübsch. Jetzt wurde er ernst und feyerlich, besonders seine Harmonie frappant, gross, und etwas schwer: das däuchte den meisten langweilig, verschiedene Damen fingen an, einander etwas – wahrscheinlich eine kurze Kritik, zuzuflüstern, mehre nahmen Theil, am Ende sprach vielleicht die halbe Gesellschaft leise; der wirklich kunstliebende Wirth kam immer mehr in Verlegenheit. – Jetzt bemerkte Mozart die Wirkung seiner Musik auf sein Auditorium. Er, der stets leicht gereitzt und jetzt durch das Spiel selbst noch viel mehr reizbar war, liess seinen auf dem Fortepiano bisher ausgeführten Hauptgedanken nicht fahren, bearbeitete ihn aber jetzt mit der Heftigkeit, mit welcher sein Blut durch die Adern fluthen mochte. Als darauf nicht gemerkt wurde, fing er an – erst ganz leise, dann immer lauter auf das unbarmherzigste auf sein Auditorium los zu ziehen[664] und fast zu schmähen. Zum Glück war die Sprache, welche ihm zuerst in den Mund kam (aus anderer Ursache gewiss nicht) die italienische, und nur wenig Mitglieder der Gesellschaft verstanden diese so fertig, dass sie des noch immer fort Spielenden polternde Apostrophen verstanden haben sollten. Man merkte jedoch, was vorgehe und schwieg beschämt. Mozart, der immer noch ununterbrochen fortphantasirte, musste, sobald der Zorn hinweggepoltert war, heimlich über sich selbst lachen; gab seinen Ideen eine galantere Wendung und fiel endlich ein in die damals auf allen Strassen gangbare Melodie des Liedchens: Ich klage dir etc. Dies trug er niedlich vor, variirte sie zehn oder zwölf Mal, abwechselnd mit Fingerhexerey oder affectirter Süsslichkeit, und beschloss hiermit. Alles war nun voll Entzücken, und nur wenige hatten errathen, wie grausam er seine Leutchen zum Besten hatte. Er selbst aber ging bald weg, liess seinen Gastwirth und einige alte Musiker der Stadt kommen, behielt sie beym Abendessen und phantasirte den Alten, auf deren schüchternes Wünschen, mit Vergnügen bis nach Mitternacht vor.

Wie reizbar lebhaft sein Kunstsinn gewesen sey, kann man daraus schliessen, dass er bey der Aufführung einer guten Musik bis zu Thränen gerührt wurde: vorzüglich wenn er Etwas von den beyden grossenHaydn hörte. Aber nicht allein Musik, sondern auch jeder andere rührende Gegenstand ergriff sein ganzes Gefühl und erschütterte ihn. Seine Einbildungskraft war immer thätig, immer mit Musik beschäftigt, daher schien er oft zerstreut und gedankenlos.

[665] So gross war Mozart als Künstler! Den Forscher der menschlichen Natur wird es nicht befremden, wenn er sieht, dass dieser als Künstler so seltene Mensch nicht auch in den übrigen Verhältnissen des Lebens ein grosser Mann war. Eben darin ist, wie uns dünkt, die Natur des wahren umfassenden Genie's begründet, dass dieses, für keine Aussendinge Sinn habend, nur auf sich selbst beschränkt ist und nur seiner Kunst lebt, keinen Einfluss der äusseren Einwirkungen und der Einzelnheiten anerkennend, die nur den blossen Verstand, entblöst von allem eigentlichen Genie, zu interessiren vermögen.

So hat man Mozart häufig seinen Mangel an Allem, was Wissen heisst, zum Vorwurfe gemacht, ein Vorwurf, der, dünkt uns, durch das, was wir so eben gesagt haben, vollkommen widerlegt, ja sogar bey ihm zu einem ehrenden Verdienste wird.

Die Tonkunst machte die Haupt- und Lieblings-Beschäftigung seines ganzen Lebens aus – um diese bewegte sich sein ganzes Gedanken- und Empfindungs-Spiel; alle Bildung seiner Kräfte, die das Genie des Künstlers ausmachen, ging von da aus und bezog sich darauf. Ist es ein Wunder, wenn er den übrigen Dingen um sich weniger Aufmerksamkeit widmete und widmen konnte? Er war Künstler, war es ganz, und war es in einer bewunderungswürdigen Grösse: das ist genug! Wer mag indess die Grenzlinien seiner Geisteskräfte so genau ziehen, um behaupten zu können, Mozart habe ausser seiner Kunst zu Nichts sonst Anlage oder Fähigkeit gehabt? Man setzt freylich das Wesen des[666] Künstler-Genie's in eine überwiegende Stärke der unteren oder ästhetischen Kräfte der Seele; aber man weiss auch, dass die Künste, besonders die Musik, häufig einen scharfen Ueberblick, Beurtheilung und Einsicht in die Lage der Dinge erfordern, welches bey Mozart um so gewisser vorauszusetzen ist, da er kein gemeiner mechanischer Virtuos eines Instrumentes war, sondern das ganze weite Gebiet der Tonkunst mit seltener Kraft und Geschicklichkeit umfasste.

Wie schön und beneidenswerth ist übrigens der Wirkungskreis eines Tonkünstlers! Mit seinen süssen Harmonieen entzückt er tausend gefühlvolle Seelen; er schafft ihnen die reinste Wonne; er erhebt, besänftigt, tröstet! Auch dann, wenn er nicht mehr ist, lebt er dennoch in seinen wiederholenden Gesängen – Tausende segnen und bewundern ihn.

Mozart hatte schon in seiner Jugend zu allen Kenntnissen, die man ihm beyzubringen für nöthig fand, eine grosse Anlage gezeigt, in allen schnelle Fortschritte gemacht; von der Arithmetik ist Erwähnung geschehen. Auch in seinen späteren Jahren liebte er diese Kenntniss sehr, und war wirklich ein ungemein geschickter Rechenmeister. Eben so gross war sein Talent zur Sprachwissenschaft; er verstand Französisch, Englisch, Italienisch u. Deutsch. Im Allgemeinen bietet er einen ausserordentlichen Gegenstand der philosophischen Betrachtung dar. Die Erhabenheit seiner Compositionen war eben so bemerkbar, als das einfache Gepräge seines persönlichen offenen Charakters. Zu bescheiden für Eigendünkel, jagte er nicht nach Beyfall: im Bewusstseyn[667] seines wahren Werthes, war er zu gerecht gegen sich selbst, um sich denselben absprechen oder bestreiten zu lassen. Ohne Affectation zeigte er seine Seele frey und unverstellt, ohne Stolz achtete er das Talent auch in seiner niedrigen Sphäre, und seine eigenen geistigen Kräfte lassen sich in der Benennung zusammenfassen, welche ihm die Italiener gaben: Quel mostro d'ingegno? – Die lateinische Sprache lernte er nicht erst in späteren Jahren, wie Einige irrig berichtet haben, oder nur so viel, als es zum Verständnisse des Kirchentextes, den er allenfalls in Musik zu setzen hatte, erforderte. Mozart hat sowohl für die lateinische Sprache, wovon er mehr wusste, als zum Verstehen des Kirchengesanges noth wendig war (wie es auch seine lateinischen Floskeln in Briefen beweisen), als für die übrigen zu seiner Zeit gewöhnlichen Lehrgegenstände in der Jugend eigene Lehrer gehabt, und machte in allen Fächern, von seinen angebornen Fähigkeiten unterstützt, guten Fortgang, indem sein Vater, der eine gelehrte Erziehung gehabt hatte, ihm zugleich in Allem an die Hand ging, ungeachtet sein Hauptunterricht sich auf die Musik beschränkte.

In allen übrigen Sprachen hat er mehre gute Schriftsteller gelesen und verstanden. Er machte oft selbst Verse, meistens aber nur bey scherzhaften Gelegenheiten, z.B. sein »Mandel, wo ist's Bandel,« ein komisches Terzett mit Clavier-Begleitung. So auch unter anderen bey dem Tode eines geliebten Staares, dem er in seinem gemietheten Garten ein ordentliches Grabmal errichtete und dieses mit einer Grabschrift versehen hatte.[668]

In Knittelversen zu sprechen und zu schreiben, war eine von den Possirlichkeiten, die er mit ausserordentlicher Leichtigkeit und recht gern handhabte. Wie ein für alle Rhetorik Ungebildeter in der Lebhaftigkeit des Gesprächs alle Figuren der Redekunst, ohne es zu wissen, anwendet, so ging es ihm mit den Künsten des Versbaues, von denen er kein Wort wusste. (? Durch mechanische Uebung ist man leicht damit bekannt, durch blosses Hören oder Lesen.) Sein Metrum wechselte immer z.B. mit dem Auszudrückenden. Seine Fertigkeit darin ging so weit, dass er ganze Briefe mit einem Echo schrieb. Man hat einen solchen, der drey Quartseiten lang ist: er ist aber eben so unartig als witzig. Hier als Probe ein Brief an seine Schwester aus Wien vom 18ten August 1784:


Ma très chère Soeur!


Potz Sapperment! – Jetzt ist es Zeit, dass ich schreibe, wenn ich will, dass Dich mein Brief noch als eine Vestalin antreffen soll! – Ein paar Tage später, und – weg ist's! – Meine Frau und ich wünschen Dir alles Glück und Vergnügen zu Deiner Standes-Veränderung, und bedauern nur von Herzen, dass wir nicht so glücklich seyn können, bey Deiner Vermählung gegenwärtig zu seyn; wir hoffen aber Dich künftiges Frühjahr ganz gewiss in Salzburg sowohl als in St. Gilgen als Frau von Sonnenburg sammt Deinem Herrn Gemahl zu umarmen. Wir bedauern nun nichts als unsern lieben Vater, welcher nun so ganz allein leben soll! – Freylich bist Du nicht weit von ihm entfernt, und[669] er kann öfters zu Dir spazirenfahren – allein jetzt ist er wieder an das verfluchte Kapellhaus gebunden! – Wenn ich aber an meines Vaters Stelle wäre, so würde ich vermöge der schon so langen Dienstzeit bitten, in Ruhestand gesetzt zu werden, und nach erhaltener Pension ging' ich zu meiner Tochter und lebte dort ruhig. – Wollte der Erzbischof meine Bitte nicht eingehen, so begehrte ich meine Entlassung und ginge zu meinem Sohne nach Wien – und das ist's, was ich hauptsächlich Dich bitte, dass Du Dir Mühe geben möchtest, ihn dazu zu bereden; ich habe ihm heute das Nämliche geschrieben. – Und nun lebet Beyde so gut zusammen, als wie – wie Zwey. – D'rum nimm von meinem poetischen Hirnkasten einen kleinen Rath an; denn höre nur:


Du wirst im Eh'stand' viel erfahren,

Was Dir ein halbes Räthsel war;

Bald wirst Du aus Erfahrung wissen,

Wie Eva einst Hat handeln müssen,

Dass sie hernach den Kain gebar.

Doch, Schwester, diese Eh'standspflichten

Wirst Du von Herzen gern verrichten,

Denn, glaube mir, sie sind nicht schwer.

Doch jede Sache hat zwo Seiten:

Der Eh'stand bringt zwar viele Freuden,

Allein auch Kummer bringet er.

D'rum, wenn Dein Mann Dir finst're Mienen,

Die Du nicht glaubest zu verdienen,

In seiner übeln Laune macht:

So denke, das ist Männergrille.

Und sag': Herr, es gesehen' Dein Wille

– – – – – – – – – – – – – – – – –


Dein aufrichtiger Bruder

W.A. Mozart.


Thiere und insbesondere Vögel liebte er sehr. In den übrigen Fächern hatte Mozart wenigstens so[670] viel historische Kenntniss, als für einen Mann von Bildung nöthig war. Er zeichnete auch sehr artig. Zu bedauern ist es, dass er nicht über seine Kunst schrieb! Aus seinen Briefen erhellt, dass Mozart, ohne gerade ein Meister im Style zu seyn, die Feder doch besser, als manche Musiker, zu führen wusste. Warum also zweifeln, dass er das Talent besessen habe, sich über die Theorie seiner Kunst deutlich und bestimmt auszudrücken? Aus einem Briefe, welchen er an Frau von Trattner, eine seiner Schülerinnen, über den Vortrag der für sie gesetzten Clavier-Phantasie geschrieben hatte, konnte man sehen, dass er nicht nur die Praxis, sondern auch die Theorie seiner Kunst vollkommen verstand. Noch mehr. – Abbé Stadler besitzt ein sehr schätzbares Werk, nämlich einen Unterricht in der Composition, welchen Mozart seiner Cousine ertheilte, und den er von ihr als Andenken erhielt. So oft ich diese Blätter durchgehe, sagt Abbé Stadler, erinnere ich mich an den grossen Meister, und freue mich, daraus zu ersehen, wie er im Unterrichte zu Werke ging. Fundament des Generalbasses von W.A. Mozart; herausgegeben und mit Anmerkungen begleitet von J.G. Siegmeier. Berlin 1822. – und bey Steiner in Wien, unter dem Titel: Kurzgefasste Generalbass-Schule von W.A. Mozart. – Man untersuche, wie er den Text des Titus behandelt und abgekürzt hat; man lese die Briefe, die er während der Composition des Idomeneo und anderer Opern an seinen Vater schrieb; und man wird den räsonnirenden, denkenden Kopf erkennen. Wie viele Logik zeigt er in seiner Musik![671]

In einem Heft einer musikalischen Zeitschrift von Berlin vor mehren Jahren wurde von Mozart behauptet, er habe eigentlich keine höhere Bildung gehabt. Gelehrte Bildung hatte er freylich nicht. Aber es ist schwer zu errathen, was der Verfasser mit den Worten »höhere Bildung« gemeint habe. Mozart hatte die Welt gesehen, er kannte die Schriftsteller der gebildetsten Nationen, zeigte überall einen offenen freymüthigen Geist: was fehlte ihm also zur höhern Cultur? Muss man in Göttingen, Berlin oder Jena studirt haben, um höhere Bildung zu erlangen? Oder besteht die höhere Bildung darin, dass man weiss, was deutsche Schriftsteller sagen? dass man von allem zu schwatzen versteht?

Der moralische Charakter Mozart's war bieder undliebenswürdig. Unbefangene Herzensgüte, und eineseltene Empfindlichkeit für alle Eindrücke des Wohlwollens und der Freundschaft waren seine Grundzüge. Er überliess sich diesen liebenswürdigen Regungen ganz, und wurde daher mehrmals das Opfer seines gutmüthigen Zutrauens. Oft beherbergte und pflegte er seine ärgsten Feinde und Verderber bey sich.

Schon der Knabe Mozart hatte sich allen Dingen und Personen, woran sein Geist einiges Interesse fand, mit der ganzen warmen und lebhaften Innigkeit, deren ein so zart organisirter Mensch fähig ist, ergeben. Der Mann hatte denselben Haupt-Charakterzug behalten, welches oft zu seinem grössten Nachtheile diente.

Seine Schwägerin hat Mozart nie betrunken gesehen, was man auch in die Welt hinein geschrieben[672] hat: er trank indessen bis zur Lustigkeit. Es freute ihn aber, wenn seine Tischgäste (leider! falsche Freunde und Blutsauger ohne sein Wissen, werthlose Menschen, die ihm zu Tischnarren dienten) es sich bey ihm schmecken liessen. Ihr Umgang schadete ihm an Credit und Ruf.

Bey einer der Sonntagsmusiken, die bey Mozart gehalten wurden, war ein polnischer Graf zugegen, der über ein neues Quintett mit Blas-Instrumenten und Clavier, so wie alle Zuhörer, ganz entzückt war. Er bezeugte ihm dieses und äusserte seinen Wunsch, dass Mozart für ihn ein Terzett für die Flöte gelegentlich machen möchte. Er versprach es gelegentlich. So bald der Graf zu Hause war, schickte er Mozart 100 halbe Souverainsd'or (150 Kaiser-Ducaten), mit einem sehr verbindlichen Billet und wiederholten Danksagungen für das bey ihm genossene Vergnügen. Mozart war wiederum erkenntlich und schickte ihm die Original-Partitur des erwähnten Quintetts, wie er sonst nie that, und erzählte seinen Freunden mit Eifer dieses schöne Verfahren. Der Graf verreis'te, kam nach einem Jahre wieder zu Mozart und fragte nach seinem Terzett. Mozart antwortete, dass er noch nicht sich dazu aufgelegt gefühlt hätte, ihm etwas seiner (des Grafen) Würdiges zu componiren. Der Herr Graf erwiederte: So werden Sie sich wohl auch nicht aufgelegt fühlen, mir die 100 halbe Souverainsd'or wieder zu geben, die ich Ihnen dafür voraus bezahlte. Man erinnere sich obigen Billets, worin das Geld für nichts anders als einen Tribut seiner Bewunderung und seines Dankes für genossenes Vergnügen passirte. Mozart, unwillig,[673] aber edel, bezahlte ihm das Geld. Der Graf behielt die Original-Partitur, und einige Zeit darauf erschien das Quintett als Clavier-Quartett, mit Begleitung einer Violine, Viola und Violoncell, ohne Mozart's Zuthun, bey Artaria in Wien.

Diese seine Schwägerin erzählte: wenn Er Etwas hatte, so hatten auch die, die um ihn herum waren und welche sein gutes unverbesserliches Herz schändlich zu hintergehen wussten. Er war unglücklich in der Wahl seiner Haus- und Tischfreunde: durch sie kam er um Vieles. Die Frau litt in der Stille und unterdrückte ihr Missfallen.

Er hatte zwar oft mit einem schnellen Blicke auch versteckte Charaktere aus dem Innersten ausgeholt: aber im Ganzen genommen hatte er zu viel Gutmüthigkeit, um Menschenkenntniss zu erlangen. Selbst die Art seiner Erziehung, die unstäte Lebensart auf Reisen, wo er nur für seine Kunst lebte, machte eine wahre Kenntniss des menschlichen Herzens unmöglich. Diesem Mangel muss man manche Unklugheit seines Lebens zuschreiben. Uebrigens hatte Mozart für die Freuden der Geselligkeit und Freundschaft einen offenen Sinn. Mozart's jugendliche Briefe zeigen seine liebende Seele. Hier noch eine Probe ihrer Sprache. In seinem Stammbuche unter der Inschrift des Doctor Siegmund Barisani findet man von seiner Hand einen Zusatz. Beydes lautet so:


Wenn Deines Flügels Meisterspiel

Den Britten, der, selbst gross von Geist,

Den grossen Mann zu schätzen weiss,

Dahin reisst zur Bewunderung;

Wenn Deine Kunst, um welche Dich[674]

Der welsche Componist beneidet,

Und, wie er kann und mag, verfolgt;

Wenn Deine Kunst, in der Dir nur

Ein Bach, ein Joseph Haydn gleicht,

Dir längst verdientes Glück erwirbt,

Vergiss da Deines Freundes nicht,

Der sich mit Wonne stets und stets

Mit Stolz erinnern wird, dass er

Als Arzt Dir zwey Mal hat gedient,

Und Dich der Welt zur Lust erhielt;

Der aber noch weit stolzer ist,

Dass Du sein Freund bist, so wie er


Wien,

am 14. April 1787.

Dein Freund Siegmund Barisani,

Physicus primarius am allgemeinen

Krankenhause.


Heute am 2ten September dieses nämlichen Jahres war ich so unglücklich, diesen edlen Mann, liebsten besten Freund und Erretter meines Lebens ganz unvermuthet durch den Tod zu verlieren. – Ihm ist wohl! – aber mir, – uns – und Allen, die ihn genau kannten, – uns wird es niemals wohl werden – bis wir so glücklich sind, ihn in einer bessern Welt – wieder – und aufNimmerscheiden – zu sehen.

Mozart.


Unter guten Freunden war Mozart vertraulich wie ein Kind, voll munterer Laune; diese ergoss sich dann meistentheils in die drolligsten Einfälle. Er hatte eine reiche Gabe von Witz aus der Hand der Natur empfangen. Dass er diesen Schatz oft auf seltsame, nicht eben ausgewählte Weise an den Tag legte, konnte nicht anders kommen, da er, ausser seiner Kunst und dem dieser Nachstehenden, zu wenig verschiedenartige Ideen, also zu wenig Materie besaass, an deren Formirung sein Witz sich hätte auslassen können. Aber wie reich floss ihm die fröhliche Quelle in seiner Kunst! – Wenn er z.B. auf dem Fortepiano phantasirte, wie leicht war es ihm da, ein Thema so zu bearbeiten, dass es hier[675] possierlich, dort gravitätisch, nun halsbrechend und spitz, oder flehentlich oder miserabel auftretend oder hervorlauschend, oder sich hindurch arbeitend zeigte und deuten liess, so dass er mit seinen Zuhörern machen konnte, was er wollte. Das – gerade das hat vielleicht vor und nach ihm nie ein Clavierspieler in diesem Maasse gehabt. Er parodirte mit nicht übel gemeinter Persiflage nicht selten die Kunst- und Geschmackverderber. Seine musikalische Satyre ging jedoch über Schäkerey hinaus, wenn er auf gewisse italienische Componisten und ihre Nachahmer und die ausübenden Künstler kam, welche damals hoch gepriesen waren, und von denen freylich sich Einige gar übel um ihn verdient gemacht hatten. Da führte er nun vor seinem Claviere ganz grosse Opernscenen aus dem Stegreife in jener Manier auf, und es war unmöglich, ihm mit Gleichgültigkeit zuzuhören. Er nahm sich nicht die Mühe, dergleichen aufzuschreiben. Doch hat man eine solche grosse Bravour-Arie einer Prima Donna. Es ist ein künstlich verwebtes und auf den ersten Anblick sehr ernsthaft gemeintes Ganze aus Lieblingsideen der Alessandri, Gazzaniga – und wie sie weiter heissen. Den Text hatte er sich gleichfalls selbst gemacht. Er bestand aus einer Summe von den hochtrabenden oder wüthigen Floskeln und Exclamationen, womit die italienischen Operndichter so gern Alles überschütten, und diese bunten Glasperlen waren nun äusserst possierlich zusammen gereihet. Dove, ohi dove, son io? rief ungefähr die erhabene Prinzessin – Oh Dio! questa pena! o prince.. o sorte.. io tremo.. io manco.. io moro ... o dolce morte .... Da fällt, wie eine[676] Bombe in's Haus, der entlegenste Accord brausend d'rein, und die Schöne singt zusammenfahrend: Ah qual contrasto.. barbare stelle.. traditore.. carnifice ... Und so geht's denn fort über die wankenden Brücken des Imponendo, colla parte, vibrando, rinforzando, smorzando u.s.w. und deren vielfältige Schnäbel und Wiederhaken. Doch vielleicht ist es interessanter und vermehrt zugleich den Genuss an Mozart's bekanntesten Werken, wenn aus diesen einige Belege der Schelmerey des possierlichsten und feinsten Witzes hergesetzt werden.

Vom Leporello im Don Juan, diesem ganz vollendeten Geschöpfe des musikalischen Witzes und der heitersten Laune, sag' ich nichts, weil es hier keiner nähern Hinweisung bedarf, und Leporello auch allzu bekannt ist. Weit weniger bekannt, aber kaum weniger vollendet ist der musikalische Charakter des Don Alfonso, des sogenannten Philosophen in Così fan tutte. Auch er steht in seiner drolligen Individualität so gerundet und so fest da, dass man schon um seinetwillen beklagen muss, dass das Stück, so wie es ist, auf deutschen Theatern sich nicht gut ausnimmt. Es müsste ein deutscher Dichter, der viel Musik verstünde, das Ganze zusammen werfen, und, weit mehr aus der Musik, als aus dem italienischen Texte, etwas Anderes herstellen. Das deutsche Publicum hat wohl überall zu viel Schwere und zu wenig leichtfertigen Muth für diese Art des Komischen; und unsere meisten Sänger und Sängerinnen sind viel zu wenig Schauspieler, und vor Allem zu wenig fein, possierlich und schelmisch für die Gattung der italienischen Burleske, wie sie so weit, wie[677] hier, getrieben wird. So scharf gezeichnet jener Alfonso nun auch in der Musik steht, so ist man doch in Verlegenheit, wenn man mit einigen, Jedermann verständlichen Worten sagen soll, was er ist. – Ein flinkes, rundes, pralles, patziges Männchen, das an der Hand vieljähriger Erfahrung gelernt hat, über manches Grosse, das in der Welt gesucht wird, zu lachen, und dafür manches Kleine, das verachtet wird, mit einem gewissen Ernste zu behandeln, der für den Beobachter weit weniger ernst, als komisch ist. Letzteres ist besonders Mozart trefflich gelungen. Ernsthaft kann der Alte nun einmal nicht seyn, und selbst wenn er mit den Mädchen trauert, oder am Ende zum Tode erschrocken seyn will, so ist's und bleibt's Spaass, so dass sein aufgeschrieenes »Misericordia« in letzter Stelle wirklich nicht weniger drollig ist, als vorn sein altkluges »Amico, finem lauda.« Einzelnes lässt sich eben darum nicht viel anführen, weil das Ganze so gerundet ist. Auf einige einzelne hierher gehörige Züge aus den anderen Partieen dieser Oper will ich aber noch hindeuten. Zur Anführung – gleich der ersten Zeilen der Overtura habe ich noch eine besondere Veranlassung. Ein Kunstrichter, nicht ohne Verdienst und Ruf, schrieb einmal hin, dieser Anfang gerade sey ein Beweis, wieMozart gar keine Auswahl seiner Ideen verstanden habe: denn hier stehe eine erhabene Aufforderung, unmittelbar darauf komme ein sehr gemeines, alltäglich hingeblasenes Sätzchen, und nun gehe es, wieder unmittelbar, im lustigen freyen Allegro fort u.s.w. Wie steht es denn um die Sache? Also. Der Titel: Così fan tutte, ist bekanntlich ein[678] Sprichwort, auch in der Anwendung, in welcher es hier gebraucht wird. Zwey Liebhaber sind mit jenem Philosophen im lebhaften Streite, weil der ewige Lacher ihnen nicht zugeben will, dass Nichts in der Welt ihre Mädchen ihnen untreu machen könnte. Es wird ein Plan ersonnen, die guten Kinder auf eine harte Probe zu stellen. Der Plan wird ausgeführt, die Probe gelingt – aber zum Vortheile des Philosophen. Die Liebhaber wüthen, der Alte hält ihnen eine Kreuz- und Trostpredigt, bringt sie zur Raison, macht ihnen wieder gutes Blut und beschliesst in seiner alten Laune: Ripetete con me, così fan tutte. Im Durchbrechen des guten Muthes fallen sie ein: Così fan tutte. Es wird Friede, und der Dichter setzt, recht gut, den Waidspruch an die Fronte des Stückes. Mozart bleibt nicht dahinten. Er lässt in jener Stelle den Spruch choralmässig absingen, und vorn in der Overtura kömmt richtig auch, nach einigen imponirenden Tacten, welche den Zuhörer auffordern, etwas höchst Bedeutendes zu erwarten, die Melodie jener Firma des Ganzen, so glatt hingesagt, als ob sie vom Thurme geblasen würde. Kann man das verkennen? könnte man's hübscher machen? – Die Scene des vortrefflichen ersten Finale dieser Oper, wo die Verzweifelten Gift genommen haben wollen, ist voll von Zügen der Schelmerey und des possierlichsten Witzes; ich müsste aber die Noten abschreiben, um es anschaulich zu machen. Vielleicht gelingt mir diess aber ohne jenes Abschreiben mit einer Scene des zweyten Finale. Nachdem Friede gestiftet und Alles in integrum restituirt worden, necken die Herren, wie billig, ihre Mädchen mit[679] dem Vorgefallenen. Besonders führt der Eine seiner Geliebten die Scene zu Gemüthe, wo sie von dem zweyten verstellten Liebhaber das erste Geschenk angenommen, und wo Despina, als Medicus, die Vergifteten manipulirend wieder hergestellt habe u.s.w. Mozart nimmt nun die Hauptideen des Accompagnements, welche in den Scenen, wo jenes vorging, weiter ausgeführt wurden, herüber, wirft sie durch einander und bildet daraus einen neuen fröhlichen Satz, welcher so dem Aufmerksamen auch die ganze Musik jener Scenen im entgegengesetzten Lichte wieder vorüber führt. Wenn man darauf nicht merkt, so ist das nicht Mozart's Schuld.

Mit Vergnügen, sagt Niemtschek, denken seine Freunde in Prag an die schönen Stunden, die sie in seiner Gesellschaft verlebten; sie können sein gutes argloses Herz nie genug rühmen; man vergaass in seiner Gesellschaft ganz, dass man Mozart, den bewunderten Künstler vor sich habe.

Noch ein Beweis seines Witzes. Seine Schwester erzählt: Als die Familie 1766 wieder zu Hause war, und Wolfgang sich schon damals berühmt gemacht, obschon er noch nicht das neunte Jahr erreicht hatte, bekamen sie viele Besuche der grossen Herrschaften, worunter denn auch ein sehr stolzer Herr war, der aber nicht wusste, wie er den kleinen Mozart tituliren sollte. Du zu ihm zu sagen, schien ihm nicht zuzukommen, Sie oder Ihnen zuviel; und so glaubte dieser am besten zu thun, wenn er Wir zu ihm spräche. Er begann also: Wir waren also auf Reisen, haben Uns viele Ehre gemacht u.s.f. Sogleich versetzte der kleine Mozart: Ich[680] habe Sie doch nirgends gesehen oder getroffen als in Salzburg.

Nie verrieth er einen gewissen Kunst-Pedantismus oder Caprice, der an manchen Jüngern Apollo's so widerlich ist. Er sprach selten und wenig von seiner Kunst und immer mit einer liebenswürdigen Bescheidenheit. Unaufhörlich mit Original-Composition beschäftigt, waren sein Herz und Geist zu voll von eigenen Producten, um ihm in seinen Unterredungen zu erlauben, bey den Werken anderer Meister zu verweilen. Nichts desto weniger sprach er gern von den Vortrefflichkeiten solcher Componisten, wie Porpora und Durante, Leo und Alessandro Scarlatti, und seine Einsichten lehrten ihn ganz die überschwenglichen Talente Händels schätzen. Er sagte oft, dass er sich durch das Spielen der Bach'schen Arbeit vervollkommnet, und dessen Fingersetzung für die einzig richtige halte.

Hochschätzung des wahren Verdienstes und Achtung für die Person leiteten seine Urtheile in Kunstsachen. Es war gewiss rührend, wenn er von den beyden Haydn, oder anderen grossen Meistern sprach; man glaubte nicht den allgewaltigen Mozart, sondern einen ihrer begeisterten Schüler zu hören. Dass Mozart nie ohne die lebhafteste Achtung von J. Haydn sprach, haben wir schon S. 513. erwähnt und bemerken nur noch, dass er durch jenen dort erwähnten Einfall sich einen unversöhnlichen Feind an L. Kozeluch zugezogen.

Mozart war sehr human gegen Dilettanten, die in seiner Gegenwart spielten und furchtsam waren. Wackerer Mozart, wie gut und freundlich habe ich[681] Dich auch bey solchen Veranlassungen gefunden! Und nicht etwa aus Höflichkeit oder Galanterie, wovon Du, das weiss der Himmel, blutwenig wusstest und Nichts mochtest, sondern weil es in Deiner guten ehrlichen Seele lag, und Du von aller Anmaassung und Pedanterie weit entfernt warst. Er hatte eine liebende Seele.

Von welcher richtigen Seite Mozart, blos von seinem Genius geleitet, die Dinge der Musikwelt ansah, zeugt folgende Anekdote. Er kam auf seinem Reisen zu –, dessen jetzt lebender Sohn in seinem zwölften Jahre schon sehr brav Clavier spielte. »Aber, Herr Kapellmeister, sagte der Knabe, ich möchte auch gern Etwas componiren. Wie fange ich das an?« Nichts, nichts, müssen warten. »Sie haben ja noch viel früher componirt.« Aber nicht gefragt. Wenn man den Geist dazu hat, so drückt's und quält's Einen: man muss es machen, und man macht's auch und fragt nicht darum.

Der Knabe stand beschämt und traurig, da Mozart das herauspolterte, und sagte endlich: Ich meine ja nur, ob Sie mir kein Buch vorschlagen können, woraus ich's recht machen lernte. Nun schaun's, antwortete Mozart freundlicher und streichelte dem Knaben die Wangen, das ist all' wieder Nichts. Hier, hier und hier (er zeigte auf Ohr, Kopf und Herz) ist Ihre Schule. Ist's da richtig, dann in Gottes Namen die Feder in die Hand, und steht's da – hernach einen verständigen Mann darüber befragt!

Einwendungen, auch Tadel liess Mozart sich gefallen. Nur gegen eine einzige Art desselben war[682] er sehr empfindlich, und zwar gegen die, welche ihm gerade am öftersten gemacht wurde – Tadel wegen allzufeurigen Geistes, wegen allzuausschweifender Phantasie. Diese Empfindlichkeit war auch sehr natürlich; denn war der Tadel gegründet, so taugte gerade das Eigenthümlichste und Ausgezeichnetste seiner Werke nichts, und sie verloren in seinen Augen allen Werth.

Seine unglaubliche Langmuth und Nachsicht mit dem, welchem er einmal gut war, erhellt aus Folgendem: Als er nach Frankfurt 1790 reisen wollte, und Geld dazu brauchte, was ihm nur zu ungeheueren Zinsen angeboten ward, schlug seine Frau ihm vor, ihre silberne Toilette und Pretiosen zu versetzen. Es geschah; er reis'te. Als er zurück kam und nicht viel gewonnen hatte, erhielt Stadler den Auftrag, einen Theil, z.B. Besteck etc. einzulösen, und das Andere umschreiben zu lassen. Der Versetzzettel für den Rest ward ihm wahrscheinlich von diesem Hausfreunde entwendet aus seiner stets offenen Chatoulle. Mozart bekam einst 50 Ducaten vom Kaiser. Um diese meldete sich sogleich der lauernde Stadler und sagte, er wäre gänzlich verloren, wenn er sie nicht bekäme. Mozart bedurfte selbst das Gold; sein gutes Herz vermochte ihn, ihm zwey schwere Repetir-Uhren zum Versatz zu geben: Da geh' und bring' mir den Zettel und löse sie zu rechter Zeit. Da diess nicht geschah und Mozart seine Uhren nicht verlieren wollte, so gab er ihm zu der erforderlichen Zeit die 50 Ducaten und Zinsen. Dieser war so niederträchtig, sie zu behalten. Mozart zankte ihn zwar aus, aber blieb sein Freund, Wohlthäter[683] und häufiger Gastgeber. – Für eben denselben componirte er noch (nach Mozart's eigenem thematischen Kataloge No. 144) im October für die Clarinette ein Concert, gab ihm die Composition und Reisegeld nach Prag, und machte, dass er da gebraucht wurde.

Mozart verband mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit dennoch ein edles Bewusstseyn seiner Künstlerwürde. Wie wäre es auch möglich gewesen, nicht zu wissen, wie gross er sey? Aber er jagte nie nach dem Beyfalle der Menge; selbst als Kind rührte ihn nur das Lob des Kenners. Daher war ihm Alles gleichgültig, was bloss aus Neugierde ihn anzugaffen gekommen war. Oft ging dieses Betragen vielleicht zu weit. Er war daher bisweilen auch in der Gegenwart grosser Herren vom höchsten Range zum Spielen nicht zu bewegen; oder er spielte nichts als Tändeleyen, wenn er merkte, dass sie keine Kenner oder wahre Liebhaber waren. Aber Mozart war der gefälligste Mann von der Welt, wenn er sah, dass man Sinn für seine Kunst besitze; er spielte Stunden lang dem geringsten und unbekanntesten Menschen vor. Mit aufmunternder Achtsamkeit hörte er die Versuche junger Künstler an und weckte durch eine liebevolle Beyfalls-Aeusserung das schlummernde Selbstbewusstseyn. Unser bester Clavierspieler und beliebter Tonsetzer, Johann Wittasek, sagt Niemtscheck, dankt ihm diese Erweckung seines Talentes. Die wenigen Stunden, die er bey Mozart zubrachte, schätzt er nach eigenem Geständnisse für einen grossen Zuwachs zu seiner Ausbildung.

Menschenfreundlich und uneigennützig war Mozart in einem hohen Grade; darum sammelte er[684] kein Vermögen. Ganz im Reiche der Töne lebend, schätzte er den Werth des Geldes und der übrigen Dinge zu wenig. Daher arbeitete er Vieles umsonst, aus Gefälligkeit oder Wohlthätigkeit. Jeder reisende Virtuos war gewiss, wenn er sich ihm durch Talent oder moralischen Charakter zu empfehlen wusste, eine Composition für sich zu erhalten. Von seinen einzelnen, in Opern eingelegten Arien und anderen aus Freundschaft gemachten Scenen und Arien sind mehre bey Breitkopf u. Härtel erschienen. So entstanden die Concerte für die übrigen Instrumente, so eine Menge einzelner Sing-Compositionen, unter andern die majestätischen Chöre und die Entre-acts zu dem Schauspiele: König Thamos in Egypten, wovon das Gedicht von dem österreichischen Vicekanzler Baron Gebler ist, welche Chöre den erhabensten Werken Händels und Glucks an die Seite gesetzt werden können und unübertroffene Meisterstücke in diesem Genre sind. In Prag werden sie als Gradualien oder Offertorien bey feyerlichem Gottesdienste seit den ersten 1790ger Jahren ununterbrochen gebraucht und mit dem grössten Beyfalle aufgeführt. Sie sollen in Wien für einen Theater-Unternehmer Schwerlich componirt worden seyn. Nach der Schönheit und Erhabenheit der Composition können sie nicht viel älter als 1783 seyn, mit welchem Jahre nämlich die klassische Schöpfungs-Periode Mozart's anfängt. Auch in Wien werden sie bey grossen Gelegenheiten executirt. 1786 gab Mozart sie in Prag dem bedrängten Theater-Unternehmer des deutschen Schauspiels, Bulla, gratis; und sie verschafften ihm einige gute Einnahmen.[685]

Selbst die Bezahlung, die Mozart für seine Arbeiten bekam, war meistens nur höchst mittelmässig. Der Theater-Unternehmer Guardasoni zahlte ihm für Don Juan nur 100 Ducaten.

Verstellung und Schmeicheley waren seinem arglosen Herzen gleich fremd, und jeder Zwang, den er seinem Geiste anthun musste, unausstehlich. Freymüthig und offen in seinen Aeusserungen und Antworten, beleidigte er nicht selten die Empfindlichkeit der Eigen liebe und zog sich dadurch mancherley Feinde zu.

Seine hohe Kunst und der liebenswürdige Charakter verschafften ihm Freunde, die ihn von ganzer Seele liebten und für sein Wohl eifrig besorgt waren. Es würde das Zartgefühl dieser edlen Menschen beleidigen, wenn sie hier namentlich angeführt würden; wie wäre es auch möglich, alle zu kennen und zu nennen! Indem also diese Betrachtung verbietet, von der grossmüthigen Freundschaft eines Baron van Swieten und des Kaufmanns von Puchberg in Wien, der ihm immer Geld lieh und bey seinem Tode gegen 1000 fl. zu Gute hatte, die er erst mehre Jahre später von der Wittwe verlangte und erhielt, zu reden: so sey es wenigstens erlaubt, hier der ausgezeichneten Wohlthätigkeit eines Wiener Bürgers gegen Mozart zu erwähnen. Dieser brave Mann, Rindum, ein Flecksieder vom Gewerbe, ohne Mozart persönlich zu kennen, blos von Bewunderung für seine Kunst hingerissen, verschaffte seiner kranken Gemahlin, die, nach ärztlicher Verordnung, wegen einer Lähmung am Fusse, Bäder von gekochtem Magengekröse brauchen musste, die Gelegenheit, in seinem[686] eigenen Hause geraume Zeit hindurch die Kur mit vieler Bequemlichkeit brauchen zu können. Er lieferte ihr nicht nur die Flecke unentgeltlich und ersparte dadurch Mozart eine Auslage von mehren hundert Gulden, sondern verlangte auch für Logis und Kost gar Nichts. Aehnliche Beyspiele eines solchen Enthusiasmus für die hohe Kunst Mozart's sind sehr häufig.

Als seine Frau sehr krank war, empfing er jeden Besuchenden mit dem Finger auf dem Munde und dem leisen Ausrufe: bst! Dieses war ihm nun so sehr zur Natur geworden, dass er in der ersten Zeit nach ihrer Besserung auf der Strasse seinen Bekannten mit dem Finger auf dem Munde sein bst! zuzuflüstern und sich dabey auf die Zehe zu heben, fortfuhr.

Er ritt Morgens um fünf Uhr, wenn seine Frau krank oder schwach war, allein spazieren, aber nie ohne ein Papier in Form eines Recepts vor dem Bette seiner Frau zu lassen. Dieses enthielt folgende liebevolle Vorschriften: Guten Morgen, liebes Weibchen! Ich wünsche, dass Du gut geschlafen habest, dass Dich Nichts gestört habe, dass Du nicht zu jäh aufstehst, dass Du Dich nicht erkältest, nicht bückst, nicht streckst, Dich mit Deinen Dienstboten nicht erzürnst, im nächsten Zimmer nicht über die Schwelle fällst. Spare häuslichen Verdruss, bis ich zurückkomme. Dass nur Dir Nichts geschieht! Ich komme um – Uhr etc.

Die Schwester seiner Frau erzählt Folgendes: Wie war der Schwager besorgt, wenn seinem Weibe Etwas fehlte! So war es einmal, als sie sehr krank[687] lag und ich volle acht Monate sie wartete. Ich saass an ihrem Bette; Mozart auch. Er componirte an ihrer Seite. Ich beobachtete ihren nach so langer Zeit sich eingestellten süssen Schlummer. Stille hielten wir Alles, wie in einem Grabe, um sie nicht zu stören. Plötzlich trat ein roher Dienstbote ein. Mozart erschrak aus Furcht, seine Frau möchte gestört seyn, wollte, still zu seyn, winken, rückte den Sessel rückwärts hinter sich weg und hatte gerade das Federmesser offen in der Hand. Dieses spiesste sich zwischen den Sessel und seinen Schenkel, so dass es ihm bis an das Heft in das Bein einstach. Er, der sonst wehleidig war, machte keine Bewegung und verbiss seinen Schmerz, winkte mir, ihm hinaus zu folgen, und ich fand, dass die Wunde wirklich sehr tief war. Durch Johannisöl wurde er geheilt. Obschon er für Schmerz etwas krumm ging, so machte er doch, dass es verborgen blieb und seine Frau Nichts erfuhr.

Aber Mozart hatte auch Feinde, zahlreiche und unversöhnliche Feinde. Wie hätten ihm auch diese mangeln können, da er ein so grosser Künstler und ein so gerader Mann war? Und diese waren die unlautere Quelle, aus welcher so viele hässliche Erzählungen von seinem Leichtsinne und seinen Ausschweifungen etc. geflossen sind. Besaass Mozart als Mensch vielleicht manche Schwachheiten, so mögen ihn diejenigen herabsetzen, die an sich selbst keine entdecken! Ausgemacht ist, dass er nie einer Bosheit fähig war, und dass er sich bey allen Gelegenheiten grösser als seine Feinde zeigte. Lebenslustig und vergnügungssüchtig ist er schon in seiner Jugend[688] gewesen. Man sieht aus Briefen des Vaters, dass er, um ihn nach Salzburg zu ziehen, oft und emsig ihm viele Unterhaltungen versprach. Der Vater hatte ihm also wohl stets in dieser Neigung nachgegeben, und ihn nicht so sklavisch behandelt, wie er es in den Briefen ziemlich thut. Und so blieb er in seinen Mannesjahren eigentlich sehr lustigen Humors. Plötzlich konnte er aber auch sehr ernsthaft werden. Dann hörte und sah er Nichts, ging auf und ab mit ewiger Bewegung der Finger an einem Theile des Körpers, an seinen Manschetten u.s.w. Dann setzte er sich wohl hin um niederzuschreiben, und während diesem liess er sich von seiner Frau Mährchen erzählen. Diese störten ihn nicht, sondern machten ihn oft Thränen lachen, und je dümmer sie waren, desto mehr erfreuten sie ihn.

Mozart war Mensch, folglich Fehlern unterworfen, wie alle Menschen. Die nämlichen Eigenschaften und Kräfte, die das Wesen seiner grossen Talente ausmachten, waren zugleich Reiz und Anlass zu manchen Fehltritten, und brachten Neigungen hervor, die freylich bey Alltagsmenschen nicht angetroffen werden. Seine Erziehung und Lebensart bis zu dem Zeitpuncte, wo er sich in Wien niederliess, war auch nicht geeignet, ihm Menschenkenntniss und Welterfahrung zu verschaffen. Denke man sich einen so zart organisirten Jüngling – einen Tonkünstler von seiner Empfindung in Wien und sich selbst überlassen: braucht es mehr, um zur Nachsicht gegen seine Fehler gestimmt zu werden? Man muss aber gegen diese Erzählungen überhaupt misstrauisch seyn, da gewiss der grösste Theil reine Unwahrheiten[689] und nichts als Schmähungen des scheelsüchtigen Neides sind. Wir haben diess in Rücksicht seiner hinterlassenen Schulden schon bemerkt. Niemand wird es unbegreiflich finden, warum die Welt diesen Ausstreuungen so leicht Glauben beymisst, wenn er sich erinnert, dass man gewöhnlich mit einem Tonkünstler den Begriff eines Verschwenders oder Wollüstlings verbindet. Aber zahlreiche Beyspiele achtungswürdiger Künstler haben bewiesen, wie sehr dieses Vorurtheil einzuschränken sey.

In seiner Ehe mit Constanze Weber lebte Mozart vergnügt. Er fand an ihr ein gutes, liebevolles Weib, die sich an seine Gemüthsart vortrefflich anzuschmiegen wusste, und dadurch sein ganzes Zutrauen und eine Gewalt über ihn gewann, welche sie nur dazu anwendete, um ihn oft von Uebereilungen abzuhalten. Er liebte sie wahrhaft, vertraute ihr Alles, selbst seine kleinen Sünden an – und sie vergalt es ihm mit Zärtlichkeit und treuer Sorgfalt. Sie sagt noch immer: Man musste ihm vergeben, man musste ihm gut seyn, denn er war zu gut. Wien war Zeuge dieser Behandlung, und die Wittwe denkt nie ohne Rührung an die Tage, die sie mit ihm in der Ehe verlebte. Die achtungswürdige Frau betrug sich in ihrem Wittwenstande sehr klug, und sorgte für ihre zwey Söhne mütterlich. Sie lebte in Wien von ihrer Pension und dem kleinen Erwerbe aus dem Nachlasse ihres Mannes.

Mozart's liebste Unterhaltung war Musik; wenn ihm daher seine Gemahlin eine recht angenehme Ueberraschung an einem Familienfeste machen wollte,[690] so veranstaltete sie im Geheim die Aufführung einer neuen Kirchen-Composition von Michael oder Joseph Haydn.

Selbst Personen, die Mozart gekannt haben wollten, haben behauptet, dass ihn Nichts in der Welt interessirt habe als Musik. Ob diese Beschuldigung für den Künstler sehr demüthigend ist, weiss ich nicht, wohl aber weiss ich, dass sie nicht wahr ist. Sie scheint auf oberflächlicher Beobachtung seines Sinnes und folglich auf einem Missverstande zu beruhen, welcher seinen Grund darin hat, dass sich ihm z.B. Schönheiten der Natur und anderer Künste als der seinigen etc. gleichsam nur in der Form seiner Kunst darstellten und nur auf diese Art ihn anzogen. Freylich war er mit der Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse gar bald und ohne Umstände fertig; er übersah sich in deren. Befriedigung oder vielmehr Abfertigung mehr, als ihm selbst gut war. Aber welchen schönen uneigennützigen Sinn hatte er für Freundschaft, für allgemeines Wohlwollen! Wie viel arbeitete er nicht aus blosser Gefälligkeit, bloss für Bekannte! Wie viel mehr für seine Freunde! Wie oft verwendete er sich mit Aufopferung für arme reisende Virtuosen! Wie oft schrieb er für sie Concerte, von denen er nicht einmal eine Abschrift behielt, damit sie unter gutem Vorurtheil auftreten, und Unterstützung finden könnten! Wie oft theilte er mit ihnen Wohnung und Tisch! Kaum Minuten lang ward er über Undankbarkeit unwillig. Als er die erwähnte Betrügerey des Theater-Directors erfuhr, war Alles, was er sagte: Der Lump! Und damit war es vergessen.[691]

Was ich früher von seiner eigenen, dem wahren Künstler natürlichen Art des Genusses der schönen Natur dunkel sagte, will ich durch einen kleinen Zug seines Wesens deutlicher machen.

Wenn er etwa mit seiner Frau durch schöne Gegenden reis'te, sah er aufmerksam und stumm in die ihn umgebende Welt hinaus; sein gewöhnlich mehr in sich gezogenes und düsteres, als munteres und freyes Gesicht heiterte sich nach und nach auf, und endlich fing er an – zu singen, oder vielmehr zu brummen; bis er endlich ausbrach:

»Wenn ich das Thema auf dem Papiere hätte!« –

Und wenn sie ihm etwa sagte, dass das wohl zu machen sey, so fuhr er fort:

»Ja, mit der Ausführung – versteht sich! Es ist ein albern Ding, dass wir unsere Arbeiten auf der Stube aushecken müssen!« –

Ich denke, auch dieser kleine Zug ist für den, der Kunstsinn kennt, nicht ganz unbedeutend.

Das Billardspiel liebte er leidenschaftlich und hatte sogar ein eigenes zu Hause, bey dem er sich täglich mit seiner Frau unterhielt. Ausser dem Billardspiel liebte er noch leidenschaftlich das Tanzen, und versäumte weder die öffentlichen Maskenbälle im Theater, noch die Hausbälle bey Freunden. Er tanzte aber auch sehr schön, besonders Menuett. Im Tanzen war Vestris sein Lehrer gewesen. Ueberhaupt sah er sehr auf seinen Körper, der auch sehr proportionirt war, hielt viel auf schöne Kleider, Spitzen und Uhrketten. Er war einmal recht böse, als er hörte, dass der preussische Gesandte Jemanden ein Empfehlungsschreiben an[692] ihn gegeben, und dabey gesagt hatte, man möge sich an Mozart's unbedeutendes Aeussere nicht stossen.

Er tanzte und componirte selbst Pantomimen und Ballete. In den Redouten hatte er oft Charakter-Masken; so machte er unvergleichlich den Harlekin und den Pierrot.

Die Schönheit der Natur im Sommer war für sein tief fühlendes Herz ein entzückender Genuss; er verschaffte sich ihn, wenn er konnte, und miethete daher fast alle Jahre ein Gärtchen in der Vorstadt, wo er den Sommer über zuzubringen pflegte.

Erstaunend ist die Arbeitsamkeit seiner letzten Lebensjahre. Und man kann sich der Frage um so weniger enthalten, ob er bey längerer Dauer seines Lebens nicht noch genialere Werke geschaffen haben würde? Wer ist im Stande zum Troste der musikalischen Welt diese Frage zu verneinen, oder unsern Schmerz um Mozart's frühen Tod immer dauernd zu machen, und jene Frage zu bejahen! Aus dem vollständigen Verzeichnisse seiner Compositionen seit dem Jahre 1784 bis zu seinem Tode, in welches er mit eigener Hand das Thema eines jeden Stückes und den Tag der Vollendung eintrug, sieht man, wie viel er oft in einem Monate gearbeitet hatte. Dieses Verzeichniss ist bey A. André in Offenbach a.M. im Verlage. Bey der Herausgabe desselben versprach André, von den gegen 250 in seinem Besitze sich befindenden Mozart'schen Original-Manuscripten aus früherer Zeit als 1784 ein chronologisch geordnetes thematisches Verzeichniss, mit den nöthigen Bemerkungen versehen, herauszugeben.[693] Bey Veranstaltung der Herausgabe dieser Biographie erklärte sich Herr André wegen dieses nachträglichen Verzeichnisses in Briefen dahin, dass er nicht allein dieses baldigst im Druck erscheinen lassen werde, sondern dass er auch zugleich damit die öffentliche Bekanntmachung dieser Manuscripte auf dem Wege der Subscription bezwecke, nur habe er mit sich noch nicht einig werden können, wie diese Subscription zu eröffnen sey, damit sie nur einigermaassen Erfolg habe.

Möchte doch dieses schöne und uneigennützige Unternehmen des Hrn. A. André durch eine zahlreiche Anzahl von Subscribenten zur Wirklichkeit werden. Welch ein neuer Gewinn für die Kunstgeschichte, und für den Kunstjünger besonders die beste Schule der Musik, Mozart's Partituren zu sehen und zu lesen, in denen die erste Anlage und die weitere Ausführung derselben am besten eingesehen werden kann!

Die Grösse und Fruchtbarkeit des Mozart'schen Genie's macht nur allein die Möglichkeit so vielfacher und vielseitiger Arbeiten begreiflich.

Die grosse Arbeitsamkeit in den letzten Jahren seines Lebens, sagt seine Frau, bestand darin, dass ermehr niederschrieb. Eigentlich arbeitete er von jeher im Kopfe immer gleich, sein Geist war immer in Bewegung, er componirte so zu sagen immer. Obgleich seine Frau von seinen Verehrern immer angegangen wurde, ihn zur Arbeit anzuhalten: so musste sie es doch für Pflicht ansehen, ihn öfters nur noch abzuhalten und zu temperiren. So wurde Mozart ein Wunder seiner Kunst, der Liebling seines Zeitalters! Sein[694] kurzes aber glänzendes Künstlerleben macht in der Geschichte der Tonkunst eine neue Epoche, und sein Talent brach seinem Fache eine neue Bahn.

Die erste Periode der musikalischen Bildung überhaupt war: der Künstler schuf im Mittelalter aus reiner schaffender Seele, ohne von dem zweifelnden Verstande beengt zu werden, und das Volk genoss mit kindlich frohem Sinne. Noch waren keine Kunst-verderbenden Dilettanten zwischen beyden: die Kunst ward mehr als ein Handwerk getrieben und hatte als solches einen goldenen Boden, und dieser liess die grössten Meisterwerke aller Jahrhunderte, die Vorbilder, in so fern es ihren innern Gehalt betrifft, hoffen. Graun schloss diese in Deutschland mit Händel, Kayser, Hasse.

Die zweyte Periode, in welcher der skeptische Verstand jede freye Productivität unterdrückte und die theilweise noch jetzt herrscht, begann mit Gluck. Dass Mozart's Daseyn in diese Periode des Skepticismus fällt, darf Niemanden befremden, denn die Erscheinung wahrhaft vortrefflicher Geister ist weder an Zeit noch Raum, noch auch an ein Volk und die Einwirkungen von Aussendingen gebunden. Was übrigens Mozart ist, wird, da sein Tod allem Partheygeiste ein Ende gemacht hat, in Deutschland sicher Niemand verkennen. Er ist der erhabenste Geist, den bis jetzt die musikalische Welt aufzuweisen hatte. Ob je ein erhabenerer nach ihm erscheinen wird, lässt sich wohl bezweifeln, aber nicht absolut verneinen. Wer hat wohl je mehr in die Geheimnisse der organisch und intellectuell bildenden Natur in musikalischer Hinsicht geschaut? –[695]

Der grosse feurige Geist, der in seinen Werken waltet, und der volle Strom der Empfindung reissen jedes gefühlvolle Herz mit unwiderstehlicher Gewalt hin. Der süsse Zauber seiner Harmonieen entzückt das Ohr; die Fülle der Gedanken und das Neue in ihrer Ausführung machen das Gefallen an seiner Musik dauerhaft. Wer einmal an Mozart Geschmack gefunden hat, der ist durch Anderer Musik schwer zu befriedigen.

Und alle diese Vollkommenheiten hat er in einem Alter erreicht, was für gewöhnliche Künstler kaum der Zeitpunct der ersten Ausbildung ist! Da er starb, hatte sein Ruhm bereits eine Grösse, wie sie nur selten auch der glücklichste Künstler hoffen darf – und wie kurz war sein Leben! Er hatte ja noch nicht das 36ste Jahr vollendet, als er von uns ging! – Was würde sein unerschöpflicher Geist der Welt noch geliefert haben! – Sein Genie war eine seltene Naturerscheinung, aber noch seltener der hohe Grad seines damit verbundenen Fleisses und Geschmackes. Viel gab ihm die Natur; noch mehr wusste sein Fleiss und seine unermüdete Beharrlichkeit sich zu erwerben.

Erst nach seinem Tode fühlte man den Verlust, dass er in der schönsten Blüthe seines Lebens den grösseren Hoffnungen seiner Freunde und aller Kenner entrissen wurde.

Wäre er nach England gegangen – sein Ruhm würde neben Händels unsterblichem Namen glänzen: in Deutschland rang sein Geist oft mit Mangel; seinen Grabeshügel bezeichnet nicht einmal eine schlichte Inschrift! –[696]

Die sonstige Steiner'sche, jetzt Hasslinger'sche Kunst- und Musik-Handlung zu Wien forderte vor mehren Jahren zur Errichtung eines Denkmals für Mozart auf, was sich zugleich auf seine Zeit- und Kunstgenossen Haydn und Gluck richten sollte. Die Handlung erbot sich, die Subscription dazu anzunehmen. Die Unterzeichnungen, welche bis jetzt geschahen, reichten aber noch nicht zur Ausführung hin, obschon der Kaiser dazu eine bedeutende Summe bewilligt hatte. Dieses Denkmal sollte in der schönen Karlskirche in der Vorstadt Wieden errichtet werden, wozu die Kosten auf 30,000 fl. C.M. angeschlagen waren. Noch ist bey weitem nicht der vierte Theil unterzeichnet worden.

Das Haus, wo Mozart starb, heisst das Kaiserhaus und war einst ein Staatsgebäude.

Auf Mozart's Tod erschienen mehre Trauer-Cantaten, worunter sich besonders zwey auszeichnen, nämlich eine von Wessely, Kapellmeister zu Rheinsberg, und eine von Carl Cannabich, Musik-Director an der Münchner Kapelle.

Einfach und edel war das Fest, welches die Hörer der Rechte zu Prag in ihrer musikalischen Akademie bey der Anwesenheit der Wittwe im Jahre 1794 Mozart's Andenken weiheten; es wurde ausserdem noch durch ein Gedicht vom Professor Meinert verherrlicht. Ein paar Stanzen daraus verdienen hier wohl einen Platz:


Ach! er ward uns früh entrückt,

Der die Saiten der Empfindung

Wie ihr Schöpfer kannt' und griff,

In harmonische Verbindung[697]

Ihre kühnsten Töne rief:

Jetzt ein Gott in seines Zornes

Donner rauschend niederfuhr,

Jetzo lispelnd wie des Wiesenbornes

Welle floss in stiller Flur.


Ach! schon grünt des Edlen Hügel:

Aber ganz birgt er ihn nicht.

Eines, das durch Gräber, Riegel,

Ewig jung und göttlich bricht,

Eines lebt – der hohe, reine

Geistesabdruck ist diess Eine,

Das zur Ewigkeit entblüht,

Norne! deinem Dolch' entflieht.


Fühlt Ihr in der Saiten Beben,

Im begeisternden Gesang,

In des Herzens Sturm und Drang

Fühlt Ihr des Entschlaf'nen Leben?

Horch! es tönen Engel-Harmonie'n –

Das ist Mozart! Seht Ihr ihn

Licht bekränzt? Mit Feentritte

Wallt sein Geist in Eurer Mitte.


Die Verehrung für Mozart in Copenhagen geht so weit, dass ein angesehener Kaufmann, der Hofagent Waagepeterson, seinen Sohn, als er auf die Welt kam, Mozart taufen liess. – Auch sagt die Wittwe Mozart, dass die Werke Mozart's nirgends besser aufgeführt würden, als in dieser Hauptstadt unter der Direction des so sehr geschickten und einsichtsvollen Directors Schall, in Beziehung auf das Orchester. Für die Singstimmen blieb jedoch noch Vieles zu wünschen übrig, welches sich aber auch sehr verbessert hat, seitdem der König von Dänemark den berühmten Siboni zum Singmeister berief.

Ein Brief aus Paris in der Leipz. allg. musikal. Zeitung von 1800 sagt:
[698]

Ach dass noch Mozart lebte! Es sey uns erlaubt, einige Blumen auf seinen Grabhügel zu streuen! Er war der Shakespeare der Musik. Frankreich und Italien, die jetzt angefangen, seinen Werth ganz zu fühlen und seine Verdienste zu verherrlichen, wie Deutschland, das man um den grossen Mann beneiden möchte, schon längst thut, ehren dadurch sich selbst zugleich. Wir berufen uns in Ansehung Frankreichs auf die feyerliche Huldigung, die Mozart bey dem jährlichen Concerte des Conservatoriums in der Rede Lucian Bonaparte's zu Theil ward. Piccini, Cherubini, Gretry, Mehül und andere Meister trugen durch ihre Gegenwart und ihren lebhaftesten Beyfall gleichsam einige schöne Blüthen zu dem Kranze bey, den der den Künsten befreundete Minister wand.

Fußnoten

1 Ein trefflicher Schüler Seegerts und vorzüglicher Organist etc.


2 Kaiserl. Hof-Kapellmeister und Aufseher über die musikalische Kaiserl. Bibliothek in Wien, der Liebling seines Lehrers, des Paters Martini, und des Kaisers Joseph und dessen Mutter, der grossen Maria Theresia. (Mehr lese man in dem klassischen Werke von Gerbers Lexikon.)

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Biographie W.A. Mozart's. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991].
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Biographie W.A. Mozart's
Biographie W. A. Mozarts
Biographie W. A. Mozarts - Kommentierte Ausgabe: Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Rudolph Angermüller.

Buchempfehlung

Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon