XI.

Fr. Liszt als Demokrat und Aristokrat.

(Paris 1834–1835.)

Republikanische Einflüsse. Abneigung gegen die Bourgeoiste, gegen Louis Philippe. Aristokratie des Geistes. Stellung zur Standes-Aristokratie. Kampf für die Aristokratie des Geistes. Witz und Ironie. Idealer Schmerz. Politische Gesinnung.


Komme, o Stunde der Erlösung, wo Dichter und Tonkünstler das »Publikum« vergessen und nur Einen Wahlspruch kennen: »Volk und Gott!«

Diese Schlußworte des Liszt'schen Aufsatzes führen uns zu den politischen Sympathien des Jünglings, welche ihn auch nach dieser Richtung hin auf das innigste mit jener Zeit verbanden. Auch hier riß die allgemeine Strömung der bahnbrechenden Geister ihn mit sich fort: »Dahin sind die Götter, dahin die Könige, aber Gott bleibt ewig und die Völker erstehen!« ruft er mit dem Pathos eines Republikaners von 1834 aus, aber er fügt hinzu: »verzweifeln wir darum nicht an der Kunst«. Die Kunst – sie war die feststehende Kadenz aller seiner Bewegungen, seiner enthusiastischen Ergüsse und religiösen Aspirationen. Wie auch immer die Flammen in ihm sich kreuzen mochten, hier trafen sie alle zusammen. Daß die republikanische Freiheitsströmung nicht spurlos an ihm vorübergehen konnte, liegt bei einer Natur wie der seinen, die noch dazu in dem Stadium des Verlangens stand jeden Zwang von Außen abzuschütteln, um ihre Äußerungen sich selbst zu entnehmen, ebenso auf der Hand, wie die Aufnahme derselben, die seitens des Musikers wohl stets überwiegend mit der individuellen Kraft idealer Stimmung, weniger mit der Kraft des praktischen Gedankens erfaßt werden wird.[252]

Die Partei als solche berührte ihn nicht, am wenigsten die Richtung, welche in Michel de Bourges, dem Spartaner und christlichen Asketiker der zweiten französischen Revolution, sich verkörperte und in der Kunst, im Reichthum und in der Liebe nur Fallstricke der Tyrannei erblickte. Der Despotismus dieser Partei, welcher im Grunde nicht geringer war als der in Centralisation der geistigen Interessen mündende des Königsrégimes, stieß ihn ab, wie das letztere selbst, das mit der »Bourgeoisie« Hand in Hand ging.

Die Bourgeoisie! – sie war das Schreckwort der romantischen, namentlich der künstlerischen Talente, aber auch der geheime Punkt, in welchem Legitimist wie Kommunist in ihrer Antipathie sich verbanden und welcher viele Anti-Republikaner zu Republikanern machte. Sie fanden sich in dem Haß gegen ihre nivellirende Nüchternheit zusammen. Obwohl sie, insbesondere in Scribe und Balzac, ihre Poeten gefunden, so konnten diese doch nicht ihrer Physiognomie die Einzelzüge verwischen, die mit äußerster Prägnanz Geister wie V. Hugo, A. Dumas, Alfred de Musset, George Sand und viele Andere von ihr entworfen.

War sie auch nicht neu diese Klasse, so hat sie doch durch ihren damaligen Sieg über Aristokratie und Proletariat erst ein historisches Gepräge erhalten. Dem Künstler war der Bourgeois der Vertreter der Nüchternheit des auf materiellen Genuß hinzielenden Wohlstandes, der Vertreter der Indolenz gegenüber den höheren geistigen Interessen, er war das an ihre Flügel sich hängende. Blei; dem Aristokraten war er die Macht materiellen Unterthanenverstandes, welche sie ihrer Alleinherrschaft beraubte und Sporen, Degen und Federhut des Kavaliers entwerthete; und dem Proletarier und Kommunisten endlich galt er als das Ungeheuer, das auf breitem Wollsack lagernd der »Gleichheit und Brüderlichkeit« den Weg verengte. »Jede Idee des Opferns und der Humanität«, beschreibt George Sand die reich gewordenen Bourgeois, »jeder religiöse Begriff ist unerträglich mit der Veränderung, welche der Wohlstand in ihrem physischen und moralischen Sein hervorbringt. Sie werden so fett, daß zuletzt der Schlag sie rührt oder sie in Blödsinn verfallen. Ihr Talent des Erwerbens und Erhaltens, anfangs stark entwickelt, erlischt gegen Mitte ihrer Laufbahn und, nachdem sie in wunderbarer Schnelle ihr Glück gemacht, verfallen sie frühzeitig in Apathie, in Unordnung und Unfähigkeit.[253] Bei ihnen ist von keiner socialen Idee, von keinem Bedürfnis des Fortschritts die Rede; Verdauung – das ist das Geschäft ihres Lebens.« So erschien der Bourgeois dem Dichter, dem Künstler, wie dem Aristokraten – allen ein Stein des Anstoßes. Julian Schmid macht die treffende Bemerkung, daß der geheime Sinn der Antipathie wohl der gewesen, daß zum Aufblühen des Romans romanhafte Zustände nöthig sind, daß romanhafte Zustände jedoch sich wohl in der Adelsmonarchie und der Republik, niemals aber unter einer Regierungsform sich entwickeln können, bei der die Mittelklassen dominiren.

Der Romantik aller Klassen jener Zeit war das Wort »Bourgeoisie« das Stichwort ihrer gegnerischen Verbindung. Liszt's Sympathie und Antipathie waren in derselben Weise rege; seine Künstler- und Humanitätsideale fühlten sich durch sie angegriffen. Er sah in ihr den Feind der Kunst und des Künstlers. Hiezu kam, daß der Bourgeois auch mit seinen Lebensgewohnheiten ihn unangenehm berührte. Von Kindheit an in den Kreisen der Aristokratie, war ihm der Verkehr mit ihr Bedürfnis. Ihre feinen Umgangsformen, ihre breitere Lebensbasis, der dem Künstler hier entgegentretende weitere Horizont, auch das phantasiereiche Treiben, welches unter diesem Horizont sich entwickeln konnte, – das alles zog ihn ebenso an, wie bürgerliche Kleinlichkeit, philiströse Regelfestigkeit, Enge und Nüchternheit ihn abstießen. – Und nun das Bürgerkönigthum – diese in Staatsform verkörperte Bourgeoisie! Ihm gegenüber lehnte sich sowohl seine den Idealen der Zeit zugewandte Natur als der Musiker in ihm auf, welcher sich gegen das Nützlichkeitssystem empörte, das mit Louis Philippe auf den Thron gestiegen war und die Tonkunst wie den Tonkünstler empfindlich traf. Denn nicht nur, daß der berühmte »Krämersinn« des Bürgerkönigs die Kirchenmusik, diesen wesentlichen Faktor des katholischen Kultus, beschränkte und die königliche Kapelle auflöste, er verringerte auch und sistirte zum Theil den Pensionsfond der königlichen Kapellisten. Abgesehen davon, daß der der Musik von der Spitze der Gesellschaft und des Staates entzogene Schutz sie in Frankreich ihrer Kultursendung, wenn auch nur für den Moment, beraubte und sie gleichsam in ihrer Entfaltung brach legte, so waren durch diese Handlungsweise viele tüchtige Musiker brodlos und ihre Familien dem Elend preisgegeben.[254]

Alles das war genug, um die tiefe Abneigung eines jungen Künstlers hervorzurufen, dessen Herz voll war von Glauben an seine Kunst und ihre Mission, voll von tiefster Empfänglichkeit für die Leiden der Menschen und seiner Kunstgenossen insbesondere. Diese seine Sympathien waren seine Politik – weiter ging letztere nicht. Aber diese Sympathie war stark und heißblütig genug ihn zum öffentlichen Streiter für Musik und Musiker zu machen. Trotz seiner Auslassungen gegen Louis Philippe und dessen Régime jedoch erscheint er mehr als ritterlicher Kämpe, denn als politischer Parteimann. Aber heißblütig und dem herrschenden Ton der republikanischen Presse angemessen klingt es, wenn er das musikalische Sündenregister des Königs in folgender Weise bloslegt und ironisirt1:


»In Frankreich, wo das Gesetz Gott leugnet, bedachten Sr. Majestät König Louis Philippe, welche selten oder gar nicht die Messe besuchen, sehr richtig, daß eine Kapelle überflüssig sei und die Musiker der Kapelle besser sine cura seien. In Folge dessen beeilten sich Höchstdieselben gleich in den ersten Tagen von Dero Thronbesteigung Almosenpfleger und Künstler zu verabschieden und Hochdero Familie zu bedeuten, daß von nun an der Chorgesang von St. Roch gut genug für Hochdieselbe sein müsse.«

»Gewißlich ist dieses unter den ein tausend und ein Mängeln der Flecken am Stande der Dinge einer, der allein genügen würde unsere Entrüstung zu erregen. Aber einmal im Gange bleibt der bürgerliche Vandalismus nicht auf halbem Wege stehen, rasch treibt er vorwärts. Die ökonomischen Verbesserungen regnen von rechts und links. Die Auflösung der Schule Choron's folgte der Auflösung der Kapelle auf dem Fuß. Aus Furcht des Jesuitismus bezichtigt zu werden schlug man einem Cherubini, einem Plantade, Lesueur die Thüre der Tuilerien vor der Nase zu, und kaum war dies geschehen, so »nahm man der Stunde wahr, eh' sie entschlüpfte«, um die bescheidene Pension der Anstalt in der Rue de Vaugirard aus der Civilliste zu streichen, diese Pension, deren Nutzen und Dienste allgemein geschätzt gewesen und die in Folge dieser echt königlichen und erbärmlichen Knickerei sich gezwungen sah ihre Thätigkeit einzustellen.«

[255] »Übrigens ist das alles nur konsequent und beweist auf das klarste, wie sehr die Kunst beschützt wird und wie beneidenswerth die Stellung der Künstler ist!«


Liszt's Antipathie gegen Bürgerkönigthum und Bourgeoisie wurzelten in den Hindernissen, welche sie der Ausbreitung der Kunst und der Verwirklichung der damaligen Humanitätsideale entgegen trugen. Seine Abneigung war eine konsequente und äußerte sich unzählige Male, insbesondere aber in seiner Haltung gegen Louis Philippe, dem er nicht nur zu begegnen auswich, sondern vor dem er sich auch stets weigerte in den Tuilerien zu spielen. Eine diese Haltung charakterisirende Anekdote dürfte hier Platz finden. Anfangs der vierziger Jahre war Liszt, in der Blüthe seines Ruhmes stehend, gerade in Paris, als Pleyel eine Pianoforteausstellung inscenirt hatte. Eines Tages probirte Liszt die Instrumente, als Louis Philippe mit einigen Herren in den Saal trat, in dem er spielte. Ein Ausweichen war unmöglich. Der König aber ging auf ihn zu und knüpfte eine Konversation an, bei welcher Liszt, innerlich die Zähne knirschend, sich nur durch stumme Verbeugungen und ein kurzes:

»Ja, Sire –«, betheiligte.

»Erinnern Sie Sich noch, sagte endlich Louis Philippe, wie Sie als Knabe bei mir, dem damaligen Duc d'Orléans, spielten? – wie viel hat sich inzwischen verändert.«

»Ja«, platzte Liszt los, »aber nicht zum bessern!«

Die Folge hievon war, daß Louis Philippe eigenhändig einen Strich durch Liszt's Namen zog, welcher auf der Liste derer stand, die durch das Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet werden sollten. –

Wie der Bourgeoisie, so stand Liszt auch zeitweise dem Adel gegenüber. Auch hier tritt uns manches Wort entgegen, das einer inneren Feindseligkeit ähnelt und gleichsam in Opposition zu treten scheint zu den Beziehungen, die zwischen ihm und der Aristokratie bestanden. Aber auch hier ist seine Gereiztheit keine, die dem Stand als solchem gilt. Es war gerade die Zeit, wo in Frankreich die »Aristokratie des Geistes« von der sie vertretenden Gelehrten- und Künstlerwelt diskutirt, das Bestreben ihren Vertretern im praktischen Leben Stellung und Geltung zu gewinnen von den hervorragendsten Männern, unter ihnen von Guizot, welcher[256] mehrfach bemüht war in Wort und That ihr den gebührenden Ausdruck zu geben, angestrebt wurde.

Hatte auch die Macht des Geistes zu allen Zeiten ihre Geltung erprobt und ihre Vertreter sich auf den Höhen der Gesellschaft bewegt, so waren es doch nur einzelne über alle Hervorragende, die diese Höhen erstiegen zu haben, als besondere Gunst des Geschickes sich rühmen konnten. Der die Intelligenz vertretende Gelehrten- und Künstlerstand blieb von ihnen ausgeschlossen und der Stand, welcher das innere Triebwerk alles geistigen Lebens und Fortschrittes ist, blieb mit seinen Rechten im Staatsleben, sowie in der gesellschaftlichen Ordnung und Geltung hinter dem Adel und dem reichen Bürger zurück. Ein positives Mißverhältnis. Das philosophische Zeitalter hatte diese Mißverhältnisse nicht lösen, nur lockern können, und selbst die Jakobinermütze von 1789 hatte nur durch ihren Terrorismus die Ringe periodisch zu durchbrechen gewußt, welche Tradition und Geschichte um die Vorrechte der Geburt gezogen. Wo Vorrechte sind, sind auch Nachtheile. Das Bewußtsein derer, denen die letzteren anheimfielen, mußte endlich zum Schwert werden, welches die weltgeschichtliche Göttin Justitia zwang gleiches Gewicht in die Wage der Stände zu legen. Das so geschmähte französische Bürgerkönigthum hat, indem es den Sieg des Mittelstandes manifestirte, keinen geringen Antheil an der großen nun hinter uns liegenden Bewegung, welche Frau Justitia von dem historischen auf das humane Piedestal hob. Nichtsdestoweniger war mit diesem Sieg auch eine gesellschaftliche Gleichstellung erreicht. Gesellschaftliche Tradition und Etikette blieben im Besitz ihrer bisherigen Rechte und Exklusivität, was den Männern der Intelligenz um so empfindlicher sein mußte, als ihre Beziehungen zum intelligenten Theil der Aristokratie eben so vielseitige wie tiefliegende waren, innere Konflikte aber in der Berührung beider, namentlich jetzt, wo das Bewußtsein und die Thatsache gleicher Rechte im Staat nothwendig auch das Bedürfnis gleicher gesellschaftlicher Stellung hervorrief, nicht ausbleiben konnten.

»Aristokratie des Geistes« wurde das Schlagwort für alle diejenigen, welche sich auf Würde und Adel ihrer geistigen Bevorzugung stellend innerhalb des socialen Lebens die Gleichstellung mit den höheren Schichten erstrebten. Dieser Theil kannte nicht wie das kleine Talent das eitle Liebäugeln mit dem aristokratischen[257] Salon, dem Olymp bürgerlicher Phantasie – im Bewußtsein seines eingeborenen Geistesadels und seiner Bildung verlangte er ohne gesellschaftliche Einschränkung überall verkehren zu können und den Verkehr auf einen ebenbürtigen Fuß gestellt zu sehen. Wie Viktor Hugo seine Bolzen gegen das zeitfremde klassische Ideal richtete und der Poesie den dichterischen Adel an Stelle des konventionellen Adels erkämpfte, so kämpfte er für die der Intelligenz und des Talentes würdige Stellung und für ihre Würdigung in den Augen der Welt.

Gab es auch in dem intelligenteren Theil der französischen Aristokratie so manche, die sich über die Vorurtheile der Tradition erhoben, so bildeten sie doch nur die Ausnahmen von der Regel; wobei sich nicht verschweigen läßt, daß den Künstlern und Gelehrten gegenüber auch nur Ausnahmen gemacht werden konnten. Ihre allgemeine und Weltbildung war keineswegs derartig, um sich mit Leichtigkeit auf dem glatten Parquet der Vornehmen bewegen zu können. Liszt, dem glückliche Umstände alle diese Kalamitäten schon in den Knabenjahren beseitigt zu haben schienen, stand trotzdem, wenn auch nur zum Theil, unter dem bitteren Gefühl, welches seine Standesgenossen zum Kampf gegen die Vorrechte der Aristokratie antrieb. Sein eingeborenes Gefühl für die Würde der Kunst und des Künstlers, sein einem religiösen Dogma gleichender Glaube an diese Würde, sein für Humanität entflammtes Wesen fühlte sich durch die oft mit Ostentation sich geltend zu machen suchenden Vorrechte verletzt, um so leichter, je heißer und reiner jene Gefühle ihn beherrschten. Seine Anschauungen und Empfindungen kamen hier fortgesetzt in eine Reibung, die durch seine Beziehungen zu aristokratischen Familien noch vermehrt wurde, um so mehr, als diese Beziehungen jetzt, da er ein junger Mann war, die Folie seiner gesellschaftlichen Stellung bildeten. Aus ihr ward ihm manche Bitterkeit.

War dem jungen Künstler als Knaben nur die Mißgunst der Kunstgenossen geworden, so trat ihm jetzt als jungem Manne noch die der jungen Kavaliere entgegen, die mit Recht in ihm einen gefährlichen Rivalen sahen, dessen geniales und liebenwürdiges Wesen ihr eigenes im gesellschaftlichen Leben und, was bei dem Kavalier schwer wiegt, – in den Augen der Frauen verdunkelte. Was sie als Aristokraten nicht besaßen, besaß er, und die Eigenschaften, welche Geschichte und Tradition nur ihnen vindicirte und[258] die ihnen dennoch so oft abgingen, waren ihm angeboren. Der historische, nach Seite der Ritterlichkeit sich verkörpernde Adelstypus, jene heroische Anlage, welche ritterlich stets bereit ist gegen Angriffe und zur Hilfe Anderer das Schwert zu ziehen, jenes mit der Zuversicht künftigen Sieges auftretende Unberührtsein bei momentanen Niederlagen, und dann vor allem die stillschweigend angenommene Verachtung des Habens um des Seins willen, die Verachtung des Kleinlichen und des Gemeinen, der Stolz nie zu empfangen, ohne auch Geber zu sein, war bei ihm auf das seltenste ausgeprägt. Sogar jene Eigenschaft, die nur in den Kreisen sich entwickeln konnte, in deren Händen Jahrhunderte lang das Seil und Gängelband der Kabinette, die Diplomatie, lag: die raffinirte Art zu verstehen, was nicht gesagt werden soll, war ihm so eigen, wie nur irgend einem der berufensten aus ihrer Mitte. Grund genug ihm in dieser Gesellschaftsklasse Gegner zu schaffen, und sicher, daß die Reibungen, welche Liszt durch Impertinenzien jugendlicher Kavaliere wurden, dazu beigetragen haben seinen Künstlerstolz zu mehren und ihn in das Heerlager der journalistischen Vertreter der »Aristokratie des Geistes« zu führen, aber keineswegs haben dieselben sein aktives Hineintreten in die Tages- und Zeitfragen hervorgerufen. Der freie stolze Sinn war Liszt angeboren, wie er vor ihm einem Händel, Gluck, Beethoven angeboren war, nur daß er bei letzteren weniger von der Strömung der Zeit getragen ein Ausdruck des nur künstlerischen Selbstbewußtseins erscheint, während er bei Liszt sich verbunden zeigt mit den humanen Idealen modernen Geistes.

Aber auch hier ist seine Gereiztheit keine, die dem aristokratischen Stand als solchem, nämlich der Höhe und Macht galt. Selbst damals, als der Graf St. Crig einer Heirath zwischen seiner Tochter und ihm vorgebeugt, was wohl ein erster geheimer Sporn seiner demokratischen Gesinnungsentwickelung sein mochte, mengte sie sich nicht in seinen persönlichen Verkehr. Noch weniger jetzt. Dem Menschen gegenüber schwand sein Groll und mehr in der Entfernung brach er los wie ein verhaltenes Gewitter, aber er wurde nicht zu Gift, welches gesunde Organe zerstört. Seine Pfeile richteten sich im persönlichen Verkehr gegen die Fehler des Gefühls und der Form, welche unschön waren und im Widerspruch standen mit echter aristokratischer Empfindung. Und journalistisch zeigten sich die Spitzen dieser Pfeile nur vorübergehend, meist in der Form leichten[259] Spottes. Hier – journalistisch – tritt Liszt ausschließlich auf als demokratischer Kämpe für Kunst und Künstler, wobei stillschweigend der Adel ihm als Gradmesser diente seine Forderungen – nicht an diesen, sondern an die Künstler zu stellen. Bei ihm wie bei allen andern hat sich an der Aristokratie des Standes die gesellschaftliche Würde der Aristokratie des Geistes erheben gelernt. Er verlangte vor allem von dem Musiker, daß er in den Besitz einer allgemeinen Bildung sich setze und durch seine Bildung sich zu jenem hinauf arbeite.

Schon in seiner gährenden Jünglingsperiode machte sich bei Liszt der Charakterzug geltend, welcher im Leben Person und Sache scheidet und, im Hintergrund einen weiten mit großem Wahrheitsgefühl verbundenen Horizont, den Dingen auch nach Außen gerecht wird. Diesem Charakterzug gegenüber schwindet der Anschein der Parteigängerschaft, den Liszt durch seine Ex- und Deklamationen über Volk und Volksbildung, durch seine Erbitterung über Louis Philippe und seine Ausfälle auf die Aristokratie sich gegeben, nur eine jugendlich-feurige Natur in den Vordergrund stellend, die dem Ideal der Freiheit nachstürmt.

Seine »demokratischen« Gesinnungen sind in der höheren Gesellschaftsschicht eben so oft ein Stein des Anstoßes geworden wie seine »aristokratischen« in der Künstlerwelt und bürgerlichen Gesellschaft. Und doch irrten beide Parteien. Er stand auf Seite des Volks – ein Demokrat, und stand auf Seite des Adels – ein Aristokrat, und im Grunde nicht der eine noch der andere war er Künstler, der dem hier wie dort erblühenden Schönen und Bedeutenden nachstrebte.

Er hat immer geistreich gegen das protestirt, was man seine »politischen Meinungen« nannte. »Ein Künstler, sagte er, kann Ideen, abstrakte Ideen haben, aber er kann nicht Meinungen dienen, ohne seinen Beruf unmöglich zu machen. Für die Kunst liegt die Lösung aller Meinungen in dem Gefühl für die Menschheit.«

Dieser Anschauung gemäß strebte er die Kunst über die Sphäre der Politik zu erheben und über allen Kämpfen zu erhalten. Darum lieh er sein Spiel niemals politischen Agitationen, selbst dann nicht, wenn seine Sympathien mit ihnen waren. Auch zu Gunsten kämpfender Parteien spielte er nicht. Seine politischen Meinungen lagen in dem »Gefühl für die Menschheit«. Hier waren seine[260] Sympathien immer erregt und thatbereit, mochte es der Vertheidigung der Rechte und Würde des Menschen oder dem Kampfe um Geistesgüter, um Ideen gelten.

Demokrat und Aristokrat zugleich stellte er sich auf Seite der Unterdrückten und Nothleidenden des Volkes. Hier war er Demokrat: kühn im Fordern. Zugleich stellte er sich auf Seite derer, an welche die Forderungen gestellt wurden. Hier war er Aristokrat: groß im Geben. Den Hungrigen und Nothleidenden gab er den Weizen seiner Felder – die Frucht seiner Arbeit. Hunderte seiner glänzenden Koncerteinnahmen wanderten zu den Komités der Fabrikarbeiter, der Wittwen und Waisen, der Kranken und Blinden; ganze Summen in die Hände derer, welche Pensions- und Unterstützungskassen für arme Musiker gründeten. Er half den Künstlern Monumente setzen und ward der Dolmetscher ihrer Werke. Er vertrat ihre Interessen, ihre geistigen wie die ihrer Stellung, und kämpfte hier nicht nur mit der Schwertschneide des Wortes, sondern mit der schwerwiegenden That guten Beispieles.

Seine Erbitterung gegen das vandalistische Bürgerkönigthum, seine Weigerung vor Louis Philippe zu spielen, seine kühne herausfordernde Haltung, die er so oft gegen impertinente Persönlichkeiten der hohen Gesellschaft annahm, sind Lanzen, welche er für die Stellung der Künstler brach. Wenn er die Diamanten Friedrich Wilhelm's IV. zornig in die Koulissen wirft, wenn er mit trotzigem Wort dem Zaren Nikolaus I. die Stirn bietet, wenn er sich weigert den Königen Ernst August von Hannover und Ludwig I. von Bayern die üblichen Einladungsvisiten zu seinen Koncerten zu machen, wenn er am spanischen Hof vor der Königin Isabella nicht spielen will, weil die Hofetikette die persönliche Vorstellung des Künstlers verbietet – so sind das nicht die Launen und der Übermuth eines verwöhnten Virtuosen, sondern die Handlungen eines Aristokraten des Geistes, der seine Würde vertheidigt und ihre Anerkennung erkämpft. – Nach dieser Seite hin ist Liszt ein Held, ein Vorkämpfer des Jahres 1848, dem selbst die persönlichen Interessen, welche bei seiner Virtuosenlaufbahn mit unterliefen, kein Blatt seines Lorbeers rauben konnten. In seinen Thaten sprach sich seine Gesinnung aus. Ihm galt die Idee – er war Künstler. Principien, Doktrinen dieser und jener Partei als solcher berührten ihn wenig.

Die auffallende Erscheinung, daß Liszt gerade damals, wo[261] seine demokratische Gesinnung sich entwickelte, viel mit der Aristokratie verkehrte, findet hierdurch ihre Erklärung und Deutung. Mit vielen hochstehenden Familien stand er nicht nur in künstlerischen, sondern auch in persönlichen Beziehungen. Man sah ihn oft im Palais des österreichischen Gesandten Graf Appony, dessen geistvolle und einflußreiche Gemahlin ihn ihres besondern Schutzes würdigte, in den Salons der Gräfin Plater, der Duchesse de Duras, im Hause ihrer Töchter, der schönen Duchesse de Rauzan und der Vicomtesse de Larauche-Foucold und vieler anderer aristokratischer Familien. Diese gehörten nicht nur zur Elite der geistvollen und großen Welt: sie gehörten zum Theil, wie die Herzogin von Duras mit ihren Töchtern, zu der Spitze der altadeligen Gesellschaft des Faubourg St. Germain, welche durch ihre stark legitimistischen Meinungen und starke Opposition gegen alle anderen Regierungsformen eine historischpolitische bis heutigen Tags noch nicht ganz erloschene Macht in Frankreich waren.

Liszt's bürgerliche Freunde fanden an diesem Verkehr vielfach Anstoß, und nur die zweifelhafte Stellung sehend, in welcher er sich hier und dort, mit Republikanern und Aristokraten, mit Trägern des Fortschritts und mit Konservativen verkehrend befand, nannten sie ihn nicht selten einen Abtrünnigen. Daß er zu denen gehörte, welche wie Goethe Fürstengunst mit Freiheit des Gefühls zu verbinden wußten, ließ sich erst später erkennen.

Sein Enthusiasmus für das Volk aber und seine aristokratischen Beziehungen waren zwei Dinge, welche sich in jener Zeit, wo alles auf die Spitze getrieben war, nicht nur so en passant berühren konnten. Sie brachten ihn in innere Reibungen, ja halb und halb in eine Sackgasse, der er sich nur durch Zurückhaltung seiner Volkssympathien in den Kreisen, wo er durch Bloslegung derselben verletzt haben würde, entziehen konnte. Dieser durch die Lage der Dinge hervorgerufene Widerspruch erzog ihm für den gesellschaftlichen Verkehr Eigenthümlichkeiten, die ihm zur zweiten Natur wurden. Verbunden mit der Feinheit und Schärfe seines Geistes wurden sie zu charakteristischen Reizen, welche seine Unterhaltung pikant-geistreich machten und sie fliehen und suchen ließen. Diese Eigenthümlichkeiten waren Witz und Ironie. Beide haben ferne stehende Personen oft über seine Ansichten in die Irre geführt. Aber nicht allein die gesellschaftlichen Konflikte entwickelten[262] diese, sondern auch von anderer Seite wurden sie gefördert. Die Ironie war in Paris unter Künstlern und Schöngeistern geradezu Mode. Ebenso Wortspielereien, an denen Liszt viel Gefallen fand. Ein Beispiel ist sein aus Venedig an Heine gerichteter Brief2, wo das Wort »s'asseoir« in geistvoll ironischer Weise Spötteleien des Dichters zurückschlägt. Die mit Negationen aller Art gesättigte pariser Luft fand in solcher geistvoll-ironischen Plänkelei ihren Salonton.

Liszt's ironische Ausdrucksweise entwickelte sich damals zur Form, welche die Gedanken in witzige Verneinung hüllt. Seine immer thätige Phantasie faßte ein Wort, einen Gedanken, eine Situation – und in Blitzesschnelle wurden sie zu einer ironischschillernden Leuchtkugel, die er keck und leicht dahin, dorthin warf. Je mehr der Jüngling reifte, um so glänzender entwickelte sich diese Seite seines Witzes. Er war wie Champagner: perlend, überschäumend, berauschend. Seines Witzes ironische Spitzen aber verletzten nicht, sie waren abgebrochen durch seine Noblesse und Liebenswürdigkeit, welche seine ironische Art vor dem zerfressenden Gift bewahrte, mit dem Heine's Ironie durchzogen war. Bei Liszt war sie überwiegend geistvolles Spiel des Moments, bei Heine hingegen war sie der Ausdruck innerer Zerrissenheit und pessimistischer Weltanschauung. Im geistigen Leben Liszt's ist sie nie eine starke Dissonanz geworden, obwohl sie in seinem persönlichen viele kleine Dissonanzen hervorgerufen hat.

Im Hintergrund seiner Ironie lagen allerdings noch andere, tiefer liegende Dinge als die eben erwähnten. Psychologisch sind sie die Hauptquelle derselben. Es ist der schon früher berührte ideale Schmerz, dem sich hoch und warm angelegte Naturen wohl selten im Leben entziehen können und der sich vielleicht ein Tribut nennen läßt, welchen die Geistigbevorzugten ihrem höheren Schicksal entrichten müssen, ein Schmerz, den wohl kein Künstler tiefer in sich getragen wie Liszt. Er lag in seiner geistigen Organisation. Das Herz voll Ideale und die reale Welt voll Trübsal – dieser Bruch des Unendlichen und Endlichen war ihm nie jäher als nach der Julirevolution mit ihren klaffenden socialen Wunden entgegen getreten. Er war in jener Gemüthsverfassung, welche subjektive Naturen leicht zum thatlosen Weltschmerz oder zum flauen[263] Zustand der Blasirtheit führt. Für beide Richtungen aber war seine Natur, trotzdem sie nicht frei von Weltschmerz war, zu gesund und kräftig; auch war seine Anlage zur Objektivität zu groß, um innerlich versinken oder auch zum Indifferentismus verflachen zu können. Den Schmerz aber, den er durch den Bruch, welcher zwischen dem realen und idealen Dasein lag, empfand, suchte er durch die Ironie zu verdecken.

Diese Stimmung des Gemüthes war in seinen Jünglingsjahren sehr ausgeprägt, oft heftig und schroff, aber doch ohne die Zerrissenheit und ohne das Gift, wie sie den Romantikern eigen waren. Im Ganzen schwebte eine milde ergreifende Schönheit über seinem Schmerz. Er sieht das Elend, und wo er es trifft auf geistigem, auf hartem Lebensboden, sucht er die Hand aus die Wunden zu legen und der Schmerz wird zum Erbarmen mit den Leiden seiner Mitmenschen. Erbarmen aber ist nach christlicher Anschauung eine Vorthat der Versöhnung. Liszt's Schmerz trug immer einen Versöhnungszug in sich, ebenso wie er nie ein thatenloser war.

Im Lauf der Jahre entwickelte er sich zu verschiedenen Formen. Er blieb nicht nur Ironie und nicht nur humanes Liebeswerk: er trat auch in sein künstlerisches Schaffen, sich verdichtend zum Kunstwerk. Die edelsten Früchte seines Geistes sind von der Idealität seines Schmerzes untrennbar.

In seiner Jünglingsepoche aber und im Tagesleben äußerte er sich als Ironie, die umflackert von dem Brillantfeuer der Phantasie und im Zusammenstoß seiner demokratischen und aristokratischen Gesinnung zu sprühenden Witzesfunken wurde. Sein damaliger Verkehr mit der Aristokratie, sowie der romantische Salonton der pariser Poeten und Künstler entwickelte diese Form, welche noch an Reiz gewann durch eine kurze, aphoristische, den Stempel des Originellen verschärfende Ausdrucksweise. Begleitet von einem ungemein anmuthigen Lächeln gab er seine ironischen Bemerkungen meist in Bildern, wobei seine Redeweise schnell, kurz, abgebrochen war. Im Ganzen war diese Art seinem geistigen Zustand entsprechend. Gefüllt mit Zündstoffen aller Art, entlockte die leiseste Reibung ihm sprühende Funken.

Fußnoten

1 »Zur Stellung der Künstler« etc.


2 Liszt's Gesammelte Schriften, II. Band, Brief No. 8.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880.
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