XVI.

Im Salon.

(Paris 1832–1835.)

Die pariser Salons der eleganten und vornehmen Welt. Gott Amor. La comtesse Laprunarède.


Nichts war mehr dazu geeignet die Romantik des Herzens mit ihrem koketten Spiel, ihren versteckten Leidenschaften und unzähligen Trugkadenzen zu entwickeln als der pariser Salon – das Parkett, auf welchem die Romantik der Poeten ihre höheren Aktionen auszuführen suchte und die Feuerproben ihres Genies ablegend ihren ésprit übte. Der Salon mit seinem Kerzenschimmer und seinem Glanz von Toiletten, seinen mehr und minder berühmten Persönlichkeiten der Gesellschaft, des Tages und der Zeit, mit seinem funkelnden Witz und seiner Sucht nach geistreicher Unterhaltung lieh der Praxis des Romans den üppigen Boden und poetischen Reiz. Er war seine Bühne, wo tändelnd Knoten sich knüpften und tändelnd sich lösten und deren Koulissen von Geheimnissen umflattert waren, wie ein Sonnenglut athmender Wiesengrund von Libellen und Schmetterlingen. Sie hatten ihre aventures und ihre Helden und ihre Heldinnen, nicht minder pikant und erotischen Zaubers voll, als die Koulissen des echten Schauspielhauses. Nur mit dem Unterschied, daß die Heldinnen des letzteren der glänzenden, knotenschürzenden Mittel der Romantik entbehrten, welche Rang, Reichthum, Konvenienz und – die Scheu vor dem éclat dem Salon der Gesellschaft ausschließlich zu seinen Liebesintriguen zur Verfügung stellten.

Aber der pariser Salon hatte auch seine kulturhistorische Bedeutung. Er war bei den Franzosen nicht nur wie bei andern[312] Nationen ein geselliges Zusammensein, um müßige Stunden des Tages dem Spiele heiterer Laune zu widmen: er war bei ihnen eine Art Wettermacher, Propagandist, eine Art feinster Reklame für die Politik, für die Kirche, für die schönen Künste, für die »Gesellschaft« und für ihre Moden, sollten diese letzteren den Namen der Politik, der Kirche oder einer der schönen Künste tragen; immer aber war er verknüpft mit der eleganten und geistreichen Welt, immer trug er ihren Stempel: den des Glänzenden, der Ambition, des Machtsuchenden, des Espritsprudelnden. Mehr als ein Jahrhundert hindurch begleitete er die kulturhistorischen und politischen Wandlungen Frankreichs, begleitete sie von der geistigen Herrschaft der Encyklopädisten an bis zur zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts, dem Moment, wo Louis Napoleon seinen Staatskoup – von Viktor Hugo ein »Verbrechen« genannt1 – ausübte, und eine frühere Welt unter der Umwälzung des neuen politischen und socialen Régime's zerbröckelt auseinander fiel. Heutigentags ist die Bedeutung des pariser Salon nur noch eine leere Tradition. Der von Napoleon III. geschlossene politische Salon der geistvollen Fürstin Dorothea von Liewen, der langjährigen Freundin des Staatsmannes Guizot, war wohl der letzte unter denen, welche verwoben mit der Geschichte Frankreichs von dieser einen bleibendenlustre empfangen haben.

Ein Vermächtnis des »philosophischen Jahrhunderts« mit seinem dialektischen Verstand, seinen Rousseau'schen Träumen und der Tradition jener echten unter der Dynastie der Bourbonen erblühten Vornehmheit mit ihrem inzwischen dem Wechsel der Zeiten zum Opfer gefallenen Diadem »Noblesse oblige« auf der Stirn – bildeten sich Salons sowohl in den Kreisen, die den Thron umstanden, wie in denen der Dichter und Gelehrten. Stets aber waren es durch Geist oder durch Schönheit hervorragende Frauen, die ihre Spitzen wie ihr Mittelpunkt waren und einen Einfluß auf die vornehme und geistreiche Welt ausübten, welcher sowohl Literatur entwickelnd als Literatur verbreitend war. Sie konversirten, dichteten und schrieben Briefe und erhoben ihren Salon zu einem Musenhof, wo man Talente pflegte und feierte, wo man Poeten erzog, ihnen applaudirte und sie krönte und wo man die Kourtoisie bis zu jener Feinheit ausbildete, daß sie den Schein[313] einer Tugend des Herzens trug. In den altfranzösischen Salons der vornehmen Gesellschaft verhandelte man, wie die Frau von Staël, welche hier in den exquisitesten Cirkeln ihren Geist geschult hatte, erzählt, »ohne Frivolität und ohne Prüderie die höchsten Interessen, wobei der Wunsch zu gefallen den Geist stachelte, die Leidenschaften zügelte und die Unterhaltung zu einer Kunst und einer Waffe machte.«

Während der Restaurationsepoche lebte dieser Geist noch fort, eigentlich wieder auf. Die Schrecknisse, welche das Jahr 1789 über die Bourbonen verhängt hatte, schien der vornehmen altfranzösischen Gesellschaft der faubourgs Saint Germain und Saint Honoré ein böser Traum, der auf der Sankt-Helenen-Insel sein Ende gefunden. Man lebte hier wieder den schönen Traditionen der eleganten und geistreichen Welt. Herzoginnen und Fürstinnen dichteten und lasen ihre Gedichte vor, sie musicirten und ließen musiciren, förderten Künste und Künstler im konservativen Sinn, dem modernen Geist nur soweit Rechnung tragend, als er im Reich humaner Träume blieb, welche an den Säulen der aristokratischen Traditionen vorüberglitten, ohne sie zu berühren. Die geistvolle Herzogin von Duras schrieb ihre Novellen, von denen ihre »Ourica« den Sieg über ihren »Ollivier« und »Edouard« davon trug. Ihr Inhalt, ihre Principien, welche gegenüber den elastischer werdenden Ansichten der jüngeren Generation über die Vornehmheit der Geburt und ihre unumstößlichen Schranken an der Tradition festhielten und gegen das Unheil der Mesalliancen angingen, entzückten den altfranzösischen Adel nicht weniger als den royalgesinnten Bürger. Die »Ourica« war Mode; man trug Ouricafarben und Ouricabänder2, ebensowohl aus dem Sinn feiner Kourtoisie für die hohe Autorin, wie als Zeichen loyaler und konservativer Gesinnung. In diesen Kreisen waren die »Corinna« und die »Delphine« der Frau von Staël keine Vorläuferinnen einer neuen über die Bündnisse des Herzens würdiger denkenden[314] Zeit In den geistreichen Salons, vorzugsweise in denen des faubourg Saint Germain, suchte man alle Neuerungen ferne zu halten, auch die Elemente, die nicht zur guten alten Gesellschaft gehörten. Man war hier in Literatur- und Kunstsachen, wie in der Wahl der Personen, die man empfing, sehr exklusiv. Die schöngeistige Autorität war hier Chateaubriand.

Weniger exklusiv nach beiden Richtungen hin war man in den literarischen Salons jüngerer Geschlechter. Der Herzog von Orleans, der spätere »Bürgerkönig«, hatte hiezu gleichsam das Signal gegeben. Im Palais royal sah man Thiers, Guizot, Royer-Collard, Casimir Périer und viele andere Männer von Gewicht und Bedeutung. Imfaubourg Saint Germain aber sagte man von diesen Abenden: »On n'y connaissait persone« und hielt sich zurück. – Die Salons außerhalb der beiden faubourgs waren gemischt mit moderngeistigen Elementen. Als das Jahr 1830 sein Werk begann und die »Aristokratie des Geistes« ihre Siege der Intelligenz feierte, sah man in den Salons verschiedenster Richtungen im freien Verkehr Künstler und Poeten, die Helden des Tages und der Zeit. Nur im faubourg Saint Germain behielt man »tournure« und blieb geistreich im alten Stil. Die Salons aber wurden im allgemeinen mehr und weniger die Sammelplätze der Parteigänger, mochten diese der Politik oder den Künsten angehören. Die Romantik insbesondere drang durch alle Thüren und wußte sich so ziemlich für alle einen Schlüssel zu fertigen. Aber wo sie auch eindringen mochte, im faubourg Saint Germain oder Saint Honoré, in der Chaussée d'Antin oder in den eleganten Kreisen der haute bourgeoisie – la beauté, la courtoisie, l'ésprit führten das Scepter.

Liszt hatte sich als Pianist in allen diesen Kreisen bewegt. Im faubourg Saint Germain war er eingebürgert. Hier hatte er als Wunderkind seine ersten Triumphe gefeiert, hier war er »le petit prodige« gewesen, dem man die bonbonnière hingehalten und die Wange gestreichelt, hier hatte er sein Informatoramt begonnen, hier war er jetzt – »le grand prodige«, das nicht minder, wenn auch in anderer Weise gehätschelte Kind der vornehmen Damenwelt. Jetzt redete er hier am Klavier der Romantik das Wort, selbst jeder Zoll ein Romantiker. Er spielte aus Berlioz's »Künstler-Episoden« den »Marsch zum Richtplatz«, »l'Idée fixe«, die »Ballscene«, spielte Chopin's Mazurken und[315] wob seine eigenen idées fixes mit hinein in seine Vorträge, deklamirte am Klavier heißherzig und himmelfliegend, wie er in Journalen deklamirte, erzählte in Tönen von seinen Idealen, von seinem Hoffen und Sehnen und dramatisirte, die Poesie der aristokratischen Salons in Musik umsetzend, die Empfindungen, die ihn bestürmten, die kleinen Scharmützel, in die ihn vielleicht soeben erst die Laune oder die Koketterie einer Comtesse, einer Marquise verwickelt hatte, in Monologe und Dialoge. Grollend, stürmisch, ironisch, bittend, stolz, ritterlich – seine Töne sagten alles. Dazwischen warf er neckend tönende Leuchtkugeln unter die ihm lauschenden Schönen, dazwischen fing er kleine Pfeile auf, die von feurigen Augen ihm zugeworfen wurden. Aber in den Pariser Salons war Amor der bezaubernde, der tändelnde, selten der »schreckliche Gott!«, wie Theokritos ihn nannte; seine Pfeile hafteten und verwundeten nicht immer, und tödlich trafen sie nur wenige.

Einer aber von ihnen blieb fester hangen als die anderen. Er kam von der geistsprühenden, koketten Comtesse Adèle Laprunarède (née de Chelèrd), der späteren Duchesse de Fleury, die in den eleganten Cirkeln des faubourg Saint Germain sich zu entschädigen suchte für die Langeweile, welche sie auf dem Lande an der Seite des bereits sehr gealterten Grafen, ihres Gatten, empfinden mochte – und sie war noch so jung, so schön, so lebensfroh, so espritbegabt!

Fest saß er freilich nicht dieser Pfeil, aber doch für eines Winters Länge fest genug, um ihn von Paris fort in das in den Alpen gelegene burgartige Schloß, das sie mit dem Grafen bewohnte, zu locken. Hier verbrachte er einsam mit diesem und seiner jungen Gemahlin, sowie mit einer schon bejahrten Tante der letzteren mehrere Monate, wohl einen ganzen Winter – ein zweifacher Gefangener. Denn nicht nur, daß die feurigen Augen, das kokette heitere Wesen und der literarisch-gebildete Geist der Comtesse Laprunaréde ihn im Bann hielten – draußen auch stürmten die Wetter, es heulten die Winde und der Schnee fiel in Massen. Alle Wege waren verschneit und die Bewohner des Schlosses lebten unerreichbar für andere, wie Märchenprinzen und -prinzessinnen in einem verzauberten, eisumstarrten Palast, und harrten des Lenzes, dessen warmer Hauch seine geschlossenen Thüren entriegeln sollte

Drinnen aber war es heimlich. Das Kaminfeuer knisterte[316] und knasterte, und seine Funken mischten sich mit den funkelnden Wortfechtereien, die goldener Jugendheiterkeit und prickelndem Liebesfeuer entsprangen. – Man lachte, scherzte, las, musicirte. Und als der nahende Frühling Schnee und Eis von Thüren und Straßen hinweg geküßt, wanderte der junge Künstler wieder gen Paris, das Herz gefüllt mit Liebesromantik.

Ein eifriger Briefwechsel entspann sich nun zwischen ihm und der Comtesse – Liszt's erste »höhere Stilübungen in der französischen Sprache«, wie er scherzend denselben uns später nannte. In Paris aber wußte man nichts von diesem tête-a-tête. Seine Helden bewahrten das tiefste Schweigen – den Schleier süßen Geheimnisses. Auch seine Biographen erwähnen es mit keiner Silbe. Sie sagen nur im allgemeinen, daß Liszt zeitweise ganz zurückgezogen gelebt habe und für die Welt unsichtbar gewesen sei. Nur d'Ortigue scheint eine Ahnung von dieseraventure d'amour gehabt zu haben. Seine Worte: »Weltmänner ahnten hinter seinem Verschwinden eine neue Leidenschaft« lassen das errathen.

Die romantische Knospe der Leidenschaft war hiermit im Leben des Jünglings aufgebrochen – nicht umwoben von germanischer Gretchen-Poesie, sondern von der narkotischen Poesie gallisch-romanischen Charakters, wo Frauen, nicht Jungfrauen die Rollen des Zaubers in ihren Händen halten, welche Jünglingen die Sprache der Leidenschaft lehren – die Liebessprache romanischer Poesie. Die germanische spricht mehr aus heiligem Herzenstraum – der war ihm begraben. Jetzt hatte er die Koulissenpoesie vornehmer Welt geathmet. Wie nun im nächsten Winter – im Winter 1833 auf 1834 – sich die aristokratischen Salons wieder öffneten und des Jünglings inzwischen noch mehr entflammtes und liebenswürdig excentrisches Wesen, der Feuerbrand, den er im Koncertsaal entzündet ihn in jenen Kreisen noch gesuchter und gefeierter machten, fing das Spiel der Pfeile wieder an. Und wieder traf einer – und er faß fest.

Amor, der »schreckliche Gott!« hatte die Hand geleitet, die ihn entsendet.

Fußnoten

1 »L'histoire d'un crime.«


2 »Ourica« (die Negerin) war so sehr in der Mode, daß man in Paris eine Farbe – ein tiefes glänzendes Grau, wie die Negerfarbe – nach ihr benannte und die Toiletten der eleganten Welt eine zeitlang ohne Ourikafarbe keine rechte Geltung hatten. In Bänder und Stoffe webte man sogar weiße und rothe Figuren – weiß und roth: die Farbe der Negerzähne und Lippen. – Die Novelle fand auch literarische Nacherzeugnisse: Paul Heyse entnahm ihr den Stoff zu seiner Novelle in Versen.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880.
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