XVII.

Madame la Comtesse d'Agoult.

(Daniel Stern.)

(Paris 1834–1835.)

Ihre Eltern. Jugend. Charakteristik ihres Wesens. Ihr Verhältnis zu Liszt.


Franz Liszt stand in der Blüte des Jünglingsalters – er war noch nicht dreiundzwanzig Jahre alt –, als die Frau, deren Namen dieses Kapitel trägt, in sein Leben trat. Sie war schön diese Frau, sehr schön, ausgestattet mit den seltensten geistigen und körperlichen Reizen. Sie hatte ein Recht dazu, sich in ihren »Souvenirs« eine Lorelei-Erscheinung zu nennen; sie hatte gewiß Recht – in jedem Sinn.

Die Gräfin d'Agoult, welche als Romantikerin und Schriftstellerin, letzteres unter dem Namen Daniel Stern, vielfach die Augen der Welt auf sich gezogen hat und zwar bis zu dieser Stunde – 1877 –, wo ihre »Souvenirs«1 gleichsam ein letztes Nachflackern eines dahingeschiedenen nimbusbedürftigen Geistes in die Öffentlichkeit getreten, war die Tochter des emigrirten Viecomte Flavigny, ein Sproß einer altfranzösischen Adelsfamilie. Wie die meisten Flavigny's männlichen Geschlechts trug auch dieser den Degen. Er stand im Jünglingsalter, als die Revolution ausbrach und ihn, wie so viele seiner Standesgenossen, über die französische Grenze trieb. Er wandte sich nach der noch von dem Schimmer alter Reichsherrlichkeit umgebenen deutschen Freistadt[318] Frankfurt am Main. Die Wahl dieser Stadt war nicht ohne besonderen Zweck. Sein Aufenthalt sollte dazu dienen, im Auftrag des Prinzen Louis de la Trémoille Soldaten für die französische Armee zu werben – ein Auftrag, welcher ihn in Konflikt mit der Behörde Frankfurts brachte und ihn schließlich ins Gefängnis führte.

Amor und Hymen aber waren dem jungen feurigen Officier gewogen. Eingeführt in die einflußreichste freireichsstädtische Bürgerwelt hatte er eine glühende Zuneigung bei einer achtzehnjährigen schönen Wittwe angefacht. Sie war eine Tochter des reichen und stolzen Bankiers Simon Moritz Bethmann, welcher keineswegs gewillt war diese Flamme zu begünstigen und den jungen Franzosen zum Eidam zu nehmen. Was aber Papa und Mama nicht wollten, wußte die Tochter durchzusetzen. Als der junge Kavalier in Gewahrsam gehalten wurde, theilte sie seine Gefangenschaft. Ihren Eltern blieb nichts anderes übrig als bei der Behörde ihren Einfluß zu seiner Freilassung zu verwenden und den beiden den kirchlichen Segen nicht vorzuenthalten.

Der Vicomte, unabhängig durch das Vermögen seiner Frau, lebte nun mit dieser – 1797 war ihre Ehe geschlossen – mehrere Jahre hindurch abwechselnd in Frankfurt, in München, in Dresden, Wien und andern Städten Deutschlands, wobei er, wie alle Emigrirten, voll Enthusiasmus und Treue für die vertriebenen Bourbonen stets bereit war jedem Ruf des Vaterlandes zur Herstellung alter Ordnung zu folgen.

Im Jahr 1809 endlich trieb ihn die Sehnsucht nach Frankreich zurück. Er kaufte sich in der Touraine an, wo er mehrere Besitzungen erwarb und seinen aristokratischen Passionen, besonders der Gastfreundschaft gegen Standesgenossen und Emigrirte, sowie dem Vergnügen der Jagd und des Fischfangs sich hingab. Die Wintersaison verbrachte er mit seiner Familie nach dem Sturz Napoleons meistens in Paris.

Noch in Deutschland hatte ihn seine Frau mit drei Kindern beschenkt, von denen nur zwei, ein Knabe, der später sich auf konservativer Seite in der Kammer auszeichnende Maurice de Flavigny, und ein Mädchen, die spätere Comtesse d'Agoult, welche zu Frankfurt 1805 geboren wurde, noch am Leben waren.

Der Erziehung seiner Kinder widmete der nun wieder in seinem Vaterland lebende Vicomte de Flavigny eine nur weltliche[319] Sorgfalt. Der junge Vicomte kam in vornehme Erziehungsanstalten, die kleine durch Liebreiz und anmuthiges Wesen bereits bezaubernde Vicomtesse dagegen wurde im elterlichen Hause erzogen. Nicht durch Erzieherinnen. Wenn der Vicomte mit seiner Familie in der Provinz auf Schloß Mortier lebte, übernahm er mit seiner Frau ohne weitere erziehliche Beihilfe die intellektuelle Pflege der Kleinen. Sie war fast immer in der Nähe beider. Mit der Mutter fuhr sie spazieren, mit dem Vater ging sie in den Wald und zum Fischen. Die Mutter las deutsche Märchen mit ihr und unterrichtete sie in Musik; der Vater bestrebte sich seine encyklopädische Bildung ihr zu übertragen und diktirte ihr Geschichten aus der Mythologie der Griechen und Römer, sowie Stellen insbesondere aus Voltaire's Schriften. Die Mutter sprach deutsch, und der Vater französisch mit ihr. So war ihre Erziehung auf dem Lande. War die Familie in Paris, dann wurde sie einem Unterrichtskursus eingereiht, welchen der Abbé Gauttier für die Kinder der Aristokratie des Foubourg Saint-Germain eingerichtet hatte; wodurch einigermaßen, wenn auch oberflächlich genug, die Lücken wieder ausgefüllt wurden, welche der elterliche Unterricht offen gelassen. Auch wurde sie hier in Paris durch Unterricht im Tanzen und in der Etikette frühzeitig für das Parkett der großen Welt geschult.

Die Jahre der Kindheit, welche sie auf diese Weise halb in der Provinz halb in Paris verbrachte, flossen ihr wie ein ungestörter Traum dahin. Lebte sie dort mehr wie ein freier Vogel, der Sonnenglanz, Wald und Wiesengrün nachjagt, so lebte sie hier unter der Zucht gebildeter Lehrer und unter der höfischen Etikette, welche von den. Bewohnern des altadeligen Stadtviertels unzertrennlich war. Eine beneidenswerth freie, sonnige Kindheit! Und doch können ihre Reize ihre Mängel nicht verdecken und unwillkürlich fragt man sich: und wer lehrte das Kind beten? und wer lehrte es die Wahrheit lieben? lehrte es, als es reifer wurde, die Grenze finden, welche zwischen Recht und Unrecht, zwischen innerer Wahrheit und Unwahrheit liegt? wer pflegte ihr ethisches Unterscheidungsvermögen? – Leider war sie auf diesen Gebieten sich selbst überlassen. Ihre Erziehung betonte die weltliche Seite des Lebens.

Dreizehn Jahre alt verlor sie ihren Vater, was für ihre Erziehung nicht ohne Folgen blieb. Ihre Mutter nämlich reiste gegen Ende des Trauerjahres nach Frankfurt am Main und nahm[320] sie mit. Der Aufenthalt im großelterlichen Hause gewährte ihr große Freiheit und Zerstreuung. Körperlich und geistig über ihre Jahre entwickelt wurde sie wie eine erwachsene junge Dame behandelt und in Folge dessen in Gesellschaften und auf Bälle geführt, welche in diesem Winter (1820–1821) durch die zum Bundestag anwesenden Gesandten und Diplomaten auswärtiger und deutscher Höfe besonderen Glanz entwickelten.

Die schöne jugendliche Blondine, halb noch Kind und doch klug plaudernd, blieb in diesen Kreisen nicht unbemerkt – man machte ihr den Hof. Ihrer jugendlichen Eitelkeit war hiemit eine starke Herausforderung geworden, welche Madame de Flavigny veranlaßte ihre Tochter bei einer zweiten Reise nach Deutschland nicht wieder mitzunehmen, sondern sie für die Dauer ihres Fortseins in das ehemalige Hôtel Biron, welches zu dem aristokratischen mit einer Erziehungsanstalt verknüpften Nonnenkloster»Sacré Coeur de Marie« umgewandelt war, zu geben (April 1821).

Sacré Coeur de Marie stand unter der Leitung von Jesuiten. Der Religionsunterricht der jugendlichen Vicomtesse war selbst zu ihrer Konfirmationszeit – sie wurde katholisch konfirmirt – ein sehr. flüchtiger geblieben. Mit elf Jahren hatte sie wie üblich die Ceremonie der Konfirmation durchgemacht und außerdem hielt sie die Osterfasten, – hierin bestanden ihre ganze religiöse Erziehung und ihre devoten Exercitien. Sie hatte nur weltliche und gesellschaftliche Interessen kennen gelernt.

Man bemerkte im Kloster sehr bald ihre völlige Gleichgültigkeit für religiöse Dinge. Da sie aber in dem Alter stand, in welchem Phantasie und Gefühl ebenso erregt wie bestimmbar sind, lernte sie binnen kurzem unter der klugen Leitung, die ihr hier zu Theil ward, die melancholischen Reize des Klosterlebens lieben, Reize, welche für junge Seelen um so anziehender sind, je mehr diese Poesie, Bedürfnis der Liebe und Erregbarkeit der Sinne in sich tragen. Sie wurde eine eifrige Katholikin und es schien – nach ihrer eigenen Erzählung –, als habe man im Kloster besondere Hoffnung auf ihre Devotion und Klosterliebe gesetzt.

Nach ohngefähr einem Jahr erfolgte ihr Rücktritt in das mütterliche Haus. Eine junge Dame, wurde sie nun in die elegante Welt eingeführt. Weltliche Eindrücke waren wieder die einzig leitenden, doch mischte sich mit ihnen die aus dem Klosterleben in[321] das Welttreiben mit herüber genommene Poesie und der Reiz religiöser Ceremonien.

So vergingen fünf Jahre, nach welcher Zeit sie sich mit dem zwanzig Jahre älteren Grafen Charles d'Agoult, ein Officier, dessen alter Adel und Verbindungen am Hof ihr eine glänzende Stellung versprachen, vermählte. Es war eine Konvenienzheirath, wie sie in den aristokratischen Kreisen aller Länder eingebürgert ist. Der Graf, noch im besten Mannesalter stehend, wurzelte mit seiner Bildung und Lebensanschauung ganz und gar in denen des altfranzösischen Adels. In seinen Verhältnissen geordnet, pünktlich in allen Ehrenhändeln, chevaleresk gegen Frauen und liberal gegenüber den Schwächen des Herzens, war er streng in seinen Anforderungen bezüglich der Ehre des eigenen Hauses – ein Aristokrat nach demrégime ancien, comme il faut. Unter seinen gefälligen Eigenschaften jedoch lag ein guter, gesunder Verstand und ein zäher Wille. Als Gesellschafter war er gesucht; doch glänzte er als solcher weniger durch hervorragende Geisteseigenschaften als durch einen sein Ziel nie verfehlenden Witz, dessen trockene Art die Heiterkeit weckte und mehrte.

Den aristokratischen Grundsätzen des Grasen entsprach der Stil und Charakter seiner Ehe. Madame la Comtesse repräsentirte sein Haus und hier seinen Namen, seine Stellung. Er begegnete ihr mit der Kourtoisie, welche der altfranzösische Edelmann öffentlich wie privatim nie gegen seine Gemahlin vergaß und im Übrigen lebten sie in dem formellen Nebeneinander, wie es die Tradition der Aristokratie des achtzehnten Jahrhunderts mit sich brachte. Diese weder glücklich noch unglücklich zu nennende Ehe gewährte der Gräfin eine sehr freie Bewegung und entwickelte unbemerkt Seiten ihres Naturelles, die im Laufe einer weniger konventionellen Ehe und an der Seite eines von ihr geliebten Gatten sich schwerlich entwickelt haben würden – wenigstens kaum bis zu dem Grad, der sie bis zum vollständigen Bruch mit der Sitte führte.

Diesen Folgen gegenüber wäre sicherlich eine weniger bestechende Außenseite mehr eine Gunst des Geschicks für sie gewesen als ihre verlockende Schönheit. Denn die Gräfin d'Agoult war eine schöne, sehr schöne Erscheinung – eine Lorlei. Schlank, vornehm in ihrer Haltung, bezaubernd graziös und doch gemessen in ihren Bewegungen, dazu ein stolz gehobener Kopf mit einer[322] Fülle blonder Locken, die fließendem Golde gleich über ihre Schultern wogten, ein regelmäßig klassisches Profil, das mit dem modernen Hauch von Träumerei und Schwermuth auf ihrem Gesicht in seltsamem und interessantem Kontraste stand, – das waren so im allgemeinen die Gesammtzüge, welche die Gräfin im Salon, im Koncertsaal, im Opernhaus zu einer nie zu übersehenden Erscheinung machten. Und diese wurde noch gehoben durch die ausgesuchteste Toilette, deren Eleganz, selbst in den Salons des faubourg Saint-Germain von nur wenigen übertroffen wurde. Daß hinter der Reinheit ihres Profils die phantastischsten Träume sich bargen und unter der sanften Melancholie ihres Gesichtsausdrucks Leidenschaft, brennend Leidenschaft sich bewegen konnte, war in jener Zeit, als ihre Beziehungen zu dem jungen Künstler entstanden, nur wenigen bekannt.

Die Gräfin d'Agoult hat durch ihre Beziehungen als Freundin hervorragender und zu Extravaganzen aller Art geneigter Männer, als Schriftstellerin und Politikerin, durch die eigenthümlich schwankenden Bewegungen ihres Wesens und Lebens viel von sich sprechen machen – nicht immer Schönes. Und dennoch laßt sich viel zu ihrer Entschuldigung anführen, ohne daß man darum zu den Bekennern des gewagten Wortes: »daß alles begreifen alles verzeihen heißt« zu gehören braucht. Um die Gräfin d'Agoult gerecht zu beurtheilen, darf man sie nicht als eine weder durch ihre Erziehung noch durch sich selbst in sich gefestete Erscheinung betrachten. Sie tritt uns nie und in keiner Zeit ihrer Lebensperioden als ein Produkt höherer Kraft und höherer Selbsterziehung entgegen. Es bleiben bei ihr immer in erster Linie die Einflüsse und Mängel sichtbar, welche ihr von ihrer Geburt an – und schon vor derselben – durch ihre Eltern, ihre Umgebung und Erziehung, wobei auch die Zeit mit ihrem romantischen Gefieder einen wesentlichen Antheil trägt, geworden sind.

Durch ihre Eltern ein Mischling – der Vater war französisch, die Mutter deutsch – umgaben sie von der Wiege an die gegensätzlichsten Eindrücke und Einwirkungen, welche sich durch ihre ganze Jugendzeit fortsetzten. Der Vater französisch, die Mutter deutsch: dort katholische, hier protestantische Grundlagen, aber beide in ihren Ideen von flachem Rationalismus, wie er damals herrschte, geleitet; auf beiden Seiten freie, der humanen Richtung der Zeit entsprungene Lebensanschauungen und doch beide an die Tradition[323] gebunden; dort der Stolz der Aristokratie, hier der bürgerliche Stolz des Besitzes; dort im Hintergrund der in dem Glanz und der Tradition seines Königshauses athmende Feudalismus, hier das auf Ehren und Reichthum der alten freien Reichsstadt sich stützende souveräne Bürgerthum – das waren alles Kontraste so stark, daß ihre Einwirkungen auf ein empfängliches Jugendgemüth nicht spurlos vorüber gehen konnten. Große und starke Naturen allerdings überschreiten, wenn auch oft kämpfend, die Dinge, welche von Außen kommend sich zwischen sie und ihr inneres Selbst legen. Das ihnen Fremde, von Erziehung und Verhältnissen in sie Hineingetragene und ihnen Aufgenöthigte schütteln sie ab mit ihrem wachsenden Bewußtsein, mit ihrer wachsenden Kraft und Eigenartigkeit. Kleine und schwache Naturen dagegen verbinden sich mit solchen Elementen; sie schütteln nichts ab, sie bleiben unter ihren Einflüssen stehen und werden kaum gewahr, daß sie zu einer Frucht derselben geworden sind. Es ist gewiß: individuelle Anlagen können sich gegen von Außen kommende Dinge sträuben, doch ebenso sicher ist anderseits umgekehrt, daß sie ihnen entgegen kommen können.

Letzteres war zweifellos bei der Gräfin d'Agoult der Fall. Ihre Anlagen, voll widerspruchsvoller Gegensätze, schienen eine Fortsetzung und ein Widerhall alles dessen, was ihre Geburt ihr in die Wiege gelegt und was sie umlullt hatte seit ihrem Eintritt in die Welt und das auszustoßen nicht in ihrer Organisation lag. Sie war aufgeweckten Geistes, leicht erregbar und doch Eindrücke fest haltend; von schweifender Phantasie, aber ausgeprägter Beobachtungsgabe; durstig nach Neuem und Aufregendem, ohne Bestehendes aufzugeben; neben accentuirtem Sinnenleben hatte sie ein geringes Gefühl für tieferes Erkennen, einen schwachen Blick für höhere Wahrheit, ein rastloses Bedürfnis Eindruck zu machen, Freude an Glanz, an Außergewöhnlichem, an allem, was Effekt macht. Ihr melancholisches Temperament wob aus diesen Fäden ein Gewebe, das wie ein poetischer Flor sich über sie breitete – es dominirte nicht über die einzelnen Eigenschaften, aber gab ihnen das Kolorit und schrieb ihnen die Art der Bewegung vor. Dem aufgeweckten Sinn gab es eine ernst-sinnige Haltung, die leichte Erregbarkeit dämpfte es, die Beobachtungsgabe führte es zu größerer Stärke vor, den Sinnen schuf es einen Schleier. Es setzte flüchtigen Eigenschaften eine gewisse Trägheit entgegen und gab[324] anderen Beharrlichkeit des Willens – entschieden Schwachen jedoch legte es ein Gewicht zu größerer Schwäche zu. Ihre Melancholie – unter dieser verbarg sich, wie Untiefen unter schweigendem See, sinnlich-leidenschaftliche Gluth.

Für solche Anlagen mußte die Richtung ihrer Phantasie verhängnisvoll werden. Schon als Kind hatte sie viele Romane gelesen. Chateaubriand's narkotische Schriften, Goethe's weltkranker »Werther« – die Taufpathen der Romantik – waren ihre Lieblinge, die ihr Phantasie und Sinne erhitzten und dabei Herz und Gefühl für gesunde Realität unberührt ließen. Wo hätte sie letztere auch damals finden können, da ihr überall bei jedem Schritt, den sie that, romantische Atmosphäre entgegen wehte, ja ganz Paris ein Roman war? Sie las wohl auch die gegen die Erhitzung reagirenden Schriften der Encyklopädisten; allein diese reagirten ebenso gegen das, was einer Natur wie der Gräfin einen Schutz vor sich selbst gewährt haben würde – gegen die Autorität kirchlichen Dogmas. Romantischer Lektüre gab sie jedoch den Vorzug, und jedenfalls gab diese ihr Anregung genug mit ihrem eigenen Selbst phantastische Spiele zu treiben, wobei die Freude am Gefallen tonangebend wurde und eine Eitelkeit emporwucherte, die ihren schöneren Eigenschaften Abbruch that. Das beweisen ihre »Erinnerungen«. Und wie als Schriftstellerin, war sie im Leben.

Es ist schon oft – namentlich jetzt nach dem Erscheinen ihrer »Souvenirs« – die Eitelkeit als Haupttriebfeder ihrer Handlungen bezeichnet worden; und doch, denkt man daran, wie sie von Jugend an bewundert verwöhnt, verzogen wurde, wie sie von Luxus umgeben inmitten einer Luft gelebt, wo die Existenz und die Stellung des Einzelnen gewissermaßen an den Sieg des gesellschaftlichen Ichs gebunden ist, so fragt man sich: wie wäre es bei solchen Verhältnissen möglich gewesen sich ihrer zu erwehren? Selbst eine moralisch kräftiger angelegte Natur als die der Gräfin d'Agoult würde schwerlich sich ihren Einwirkungen völlig entzogen haben. Es scheint darum nur natürlich, daß ihre Eitelkeit und ihre Phantasie – letztere zu gering, um durch die Dichtkunst sich zu äußern, zu stark, um unthätig zu bleiben – sich ihres eigenen Lebens bemächtigte und sie selbst zu einer Heldin auf der Bühne des Lebens erzog. Ihre auf sie selbst gerichtete Phantasie erhielt durch den Lebenskreis, in welchem sie sich bewegte, die[325] charakteristische Färbung. Hier war es wieder die Stellung ihrer Eltern, der in diese herüberschimmernde mit der einstigen Macht der Bourbonen verwobene Glanz der höheren Aristokratie und endlich noch die Koketterie und das Liebäugeln mit Literatur und Kunst, mit »Geist«, wie sie in jenen Kreisen historisch geworden waren und durch den »Salon« zum Ausdruck kamen.

Und widerspruchsvoll genug und ein Zeichen von größeren Anlagen, drängte es sie über den oberflächlichen Dilettantismus der eleganten Salons mit ihrem schöngeistigen Treiben hinaus. Das beweist ihre Theilnahme an Fragen der Zeit und Politik, sowie ihre »Geschichte der Februar-Revolution«. Sie war nicht ohne Kraft, nicht ohne Ernst, nicht ohne Gefühl für Größe und Schönheit, aber die hemmende Hand ihrer Abkunft, der gesellschaftlichen Richtung ihrer Erziehung und ihrer Zeit lag auf ihr. Ohne Entwickelung jener theils im angebornen Wahrheitsgefühl liegenden, theils aus der zum Erkennen und Urtheil sich verschärfenden Beobachtungsfähigkeit hervorgehenden Kritik, verwechselte sie Echtes und Falsches. Es imponirte ihr mehr der Schein, als die Wahrheit. Äußeren Pomp und Pathos nahm sie, befangen in ewiger Täuschung, für echte Größe, äußeren Glanz und Effekt für echte Schönheit. Hören wir freilich sie selbst in ihren »Souvenirs«, so fehlten ihr jene Eigenschaften nicht, so war sie wahrheitsliebend und echt bis anfond du coeur, so war alles menschlich schön und edel an ihr. Aber so schön und meisterlich sie auch den Faltenwurf um ihre Büste drapirt: durch jede Falte schimmert das Verlangen zu den Bedeutenden und Einflußreichen gezählt zu werden – das Versteckenspiel mit sich und der Welt.

Die Gräfin d'Agoult erscheint der geistigen Betrachtung immer mehr und je länger man bei ihr verweilt, als eine jener psychologisch-interessanten Frauennaturen, deren innere Existenz sich durch eine Mischung geistiger Ingredienzien vollzieht, die trotz hervorragender Anlagen nie zur inneren Klärung gelangen, sondern durch alle Lebensperioden hindurch in einem schwebenden Zustand verharren, der sie weder zur Kraft des entschieden Guten noch zur Kraft des entschieden Bösen kommen läßt: das eine nicht, weil der Blick ihnen theils geschwächt theils getrübt ist durch ein überwucherndes unbeschnittenes Phantasieleben und die jede Selbstkritik hindernde Freude am Ich, das andere nicht, weil die Liebe zum schönen Schein zu mächtig in ihnen ist, um sich ihrer entäußern zu können.[326]

Man hat die Comtesse d'Agoult auch vielfach der Hypokrisie beschuldigt – nicht mit Unrecht –, aber es läßt sich behaupten, daß sie sich derselben nicht bewußt gewesen, daß sie im Gegentheil in dem Wahn gelebt, eher alles zu sein als Hypokrit.

Wie dem auch sei, die erwähnte eigenthümliche Mischung ihrer geistigen und moralischen Fähigkeiten, sowie ihr Leben und ihre schriftstellerische Thätigkeit werden sie stets in die Reihe der interessanten und hervorragenden Frauenpersönlichkeiten »ihrer Zeit« stellen müssen, auch dann –, wenn ihr literarischer Ruhm sich als weniger echt erweisen sollte, als es im allgemeinen den Anschein hat. Wir sehen in ihr eine Frauenerscheinung, in welcher sich die französische Romantik jener Epoche mit den traditionellen Eigenschaften des Scheinlebens vornehmer Welt verkörpert hat.

Als die Beziehungen der Gräfin d'Agoult zu Lisz't sich entspannen, mochte sie ohngefähr neun und zwanzig Jahre alt sein. Eine sechsjährige Ehe, aus welcher drei Kinder erblüht waren, lag hinter ihr. Sie selbst war in voller Schönheit und in ihrem Salon sah man Männer und Frauen von Rang, Namen und Talent. Waren auch damals die gefährlichen Eigenschaften, welche sie mit der Welt und der Sitte entzweien sollten, nicht mehr schlummernd, so waren sie doch noch durch die Konvenienz in Schranken gehalten.

Das war die Frau, die eine der anziehendsten Erscheinungen der Salons der vornehmen und eleganten Welt den Pfeil absandte, welcher den jungen Liszt tödlich traf, mit welcher sein Leben sich zehn Jahre hindurch verflocht.

Zehn Jahre! – eine Zeit, lange genug, um einen der männlichen Reise noch ferne stehenden und der väterlichen Autorität entbehrenden Jüngling auf Wege zu führen, die hart an den Abgrund innerer Verwirrung streifen; aber auch lange genug, um den Werth und die Wahrheit der Ideale zu erproben, welche ihm die Romantik mit ihren Theorien über die dämonische Gewalt der Liebe und ihren Absolutismus gegeben hatte.

Das Bündnis zwischen beiden schloß keine plötzlich aus dem Herzen hervorbrechende Liebesflamme, die sich entzündet, da ist, niemand weiß wie. Es war auch nicht das Resultat einer still keimenden, allmählich zur Kraft der Leidenschaft empor treibenden gegenseitigen Neigung, nicht die Frucht innigen Herzensverständnisses – es war ein Zufall, ein Spiel, eine Laune, ein Ungluck.

Die Gräfin hatte bereits »le petit Litz« gekannt. Damals[327] war sie schon eine erwachsene junge Dame, die bereits die Aufmerksamkeit der Herren des Frankfurter Bundestages erregt und die Erziehung des Klosters Sacré Coeur hinter sich hatte. Sie eine Aristokratin, er – ein Wunderknabe, un petit bohémien! Auch für den heranwachsenden Jüngling hatte sie kein anderes Interesse. Als aber sein sich immer bedeutender entwickelndes Wesen ihn zum erklärten und gefeierten Liebling der Salons des faubourg Saint Germain machte und sie selbst Empfangsabende einrichtete, welche Celebritäten der Künste und der Literatur in ihrem Salon versammeln sollten, ward der junge Feuergeist ein Gegenstand ihrer besonderen Aufmerksamkeit. Sie suchte ihn in ihre Gesellschaften zu ziehen, ohne daß es ihr gelingen wollte. War es, daß die Poesie der Burg in den Alpen noch in ihm nachblühte, oder warnte ihn sein guter Genius: er wich ihr aus. Gerade sein Ausweichen reizte sie; es ward die Schlinge für beide. Ihr Geist, ihre Schönheit, die süße Melancholie ihres Wesens, ihre reizenden Manieren – sie spielte und spielte und erreichte ihr Ziel. Es kam eine Episode, wo beide sich flohen, Wochen, ja Monate lang.

Dann kam eine Zeit, in welcher der junge Künstler oft in ihrem Salon zu sehen war und die romantischen Ideale, welche er sich bei den Poeten geholt, in Praxis umzusetzen schien.

In dieser Zeit war es, wo sein Verkehr mit George Sand und ihren Freunden begann. Und so wenig günstig, wie dieser, wirkte ein anderer auf ihn: der Verkehr mit einem Kreis eleganter Männer von Rang und Geist – unter ihnen der seiner Zeit sich durch Reichthum, Schönheit und Genußleben auszeichnende italienische Fürst Belgiojoso – Männer, bei denen das galante Abenteuer sich besonderer Pflege erfreute. War bis jetzt trotz der korrumpirenden Zustände in Paris sein moralisches Gefühl wach geblieben, so scheint nun sein guter Genius die Fackel löschen zu wollen. Er floh nicht mehr die Gräfin d'Agoult. Was anfangs ein leichtfertiger Liebeshandel war, nahm einen andern Charakter an. Eine maßlose Leidenschaft ergriff ihn und sie und ward das Band, welches diese beiden einander so widerstrebenden Naturen verknüpfte. In diesem Moment schien jede Beherrschung und Besinnung ihm verloren. Aber er empfand kein Glück. Er war nur Rausch und Zwiespalt.

Byron's, Sénancour's (Obermann), Voltaire's Schriften waren seine täglichen Gesellschafter. Die innere Zerrissenheit[328] des einen, der Weltschmerz des andern, dazu Voltaire's fliegende. Pfeile gegen den Glauben – das waren die Stimmungen, die seinem eigenen inneren Zustand entsprachen.

In dieser Zeit war es, wo er bei Abbé Lamennais Ruhe suchte. Hier in der Nähe dieses Mannes schien er sich selbst wieder naher. Der Einfluß desselben machte sich zum Guten geltend und der Spuk tönte nicht herüber in das friedliche La Chênnaie. Eine tiefe Sehnsucht erwachte in ihm. Galt sie dem Thal der Kindheit? dem früh entrissenen Vater? Galt sie dem Bild jener Frauenseele, die »rein wie der Alabaster heiliger Gefäße« sein erwachendes Jünglingsgemüth so tief ergriffen hatte? War sie eine Sehnsucht nach religiösem Frieden? – Wer kann die Saiten auseinander halten, welche in Momenten der Erregung, wo Dunkel und Licht ineinander wogen, im Menschengeist erklingen! Jedenfalls war diese Sehnsucht ein Aufschrei seiner edeln Natur, die nach Klarheit und Wahrheit verlangte und nach Gottes Hand suchte.

In diesen Tagen komponirte er seine »Pensée des Morts«. Aus ihr läßt sich manches herauslesen.

Wieder in Paris traten diese Stimmungen in den Hintergrund und die alten Verhältnisse machten sich von neuem geltend. Die moralische Verwirrung der Poeten war auf das Höchste gestiegen, »Léone Léoni« erschien in den Spalten der »Revue des deux Mondes«, die Entfesselung und den Sieg des »Dämons« über Tugend, Sitte und Gesetz als Seligpreisungen wahrer Liebe ausgebend. Die falschen Ideale schienen dem jungen Künstler echte, – für ihn gab es kein Halten mehr: er glich einer Kugel, die im Rollen ist. Aber die Hingabe an die »Leidenschaft« zerriß seine innere Harmonie und der Zwiespalt wuchs. Je mehr sich dieser letztere geltend machte, um so mehr suchte er sich Luft zu schaffen durch Weltschmerz und Ironie, die Zwillingskinder nächtlich überreizter Romantik. Doch kehrte er die Schneide der Ironie nicht nur gegen sich selbst: er kehrte sie ebenso gegen die Frau, die das Buchstabirbuch der Leidenschaft ihm geöffnet hatte.

Ebenso wenig, als der Einfluß der Gräfin d'Agoult auf den jungen Tonkünstler ein günstiger war, läßt sich der seinige auf sie ein solcher nennen. Beide hatten das Unglück gegenseitig zu ihrer Verwirrung beizutragen. Entfesselte sie seine Sinne, so verwirrte seine Ironie ihre ohnedies nicht scharf prononcirten[329] ethischen Begriffe auf das vollständigste. Die Gräfin hatte ihr Ziel erreicht: der gefeierte Jüngling vermehrte den Glanz ihres Salons, er huldigte ihr. Mit ihren Erfolgen aber wuchsen ihre Ziele. Auch ihre Liebe hatte ihre Ideale. Wie Liszt das Ideal hingebender Weiblichkeit vorschwebte, so hing ihre Phantasie an dem Bild angebeteter einflußübender Weiblichkeit. Sie träumte davon, dem genialen Jüngling die Muse seiner Kunst zu werden und fühlte nicht, daß des echten Künstlers Muse aus anderem Stoff gewoben sein muß als aus Sinnesfreude und phantastischer Eitelkeit. Diese traf und geißelte seine Ironie. Waren seine Ideale in dieser Periode auch verwirrt, so waren sie es aus kranker Sehnsucht nach höheren geistigen Zielen, nach Lösung der Probleme des Lebens. Sein Wahrheitsgefühl litt unter dieser Krankheit, doch lag es nicht brach. Es bäumte sich auf gegen die Truggespinnste des eigenen Ichs, es bäumte sich aus gegen die Maske der Vornehmheit und Tugend, die sie, die Gräfin, der Welt gegenüber trug und ironisch drückte er ihr »Léone Léoni« in die Hand und nannte Julietta ein echtes anbetungswürdiges Weib. –

Im blinden Egoismus, der mit solchen Ausbrüchen innerer Zerrissenheit nur sich genug thut, ahnte er nicht, welches Unheil er hiemit anstellte. Seine Worte fielen leider auf einen nur zu guten Boden. In ihrer Verblendung faßte sie die Gräfin nicht ironisch auf, sie führten sie nicht zur Selbsterkenntnis, sondern zu noch größerer Verblendung. Lechzend nach seiner Bewunderung verlor sie allmählich jeden Halt, und was ihr bis jetzt noch einen solchen gewährt, ihr Gatte, ihre Kinder, ihre Stellung – sie wurden ihr zu Mitteln ihm den Beweis ihrer Liebe und vermeintlichen Charaktergröße und Idealität zu liefern, vielleicht auch der Welt ein Schauspiel zu bereiten, das ihr die Bewunderung großer Geister sichern sollte.

In diesem Wahn erscheint die Gräfin d'Agoult ein Opfer der damaligen krankhaften Richtung der Romantik. Doch ehe er zur Katastrophe wurde und die moralischen Wirrnisse zu ihrem Höhepunkt gelangten, trat für beide Theile ein Moment der Ruhe ein.

Im Hause d'Agoult hatte ein schmerzliches Familienereignis plötzlich die leidenschaftlichen Wogen ihres Liebesverhältnisses zum Stehen gebracht: die Gräfin stand am Todtenbett eines Kindes. Angst- und sorgerfüllt um ihren Liebling – denn dieser, die kleine[330] sechsjährige, von allen geliebte Louison lag sterbend in ihren Armen – hatte das Mutterherz der Leidenschaft vergessen und hingegeben an ihren Verlust weinte sie Thränen aufrichtigen, reinen Schmerzes. Angesichts des Todes schweigen die Eitelkeiten, und angesichts des Todes legen die Leidenschaften sich demüthig zu des Ewigen Füßen. Da bangt das Herz. Weltlich Heißbegehrtes erblaßt – die Thräne löscht die Sündentafel und der Schmerz breitet befreiend und erlösend seine königlichen Fittige über das Elend, das die Verwirrung des Herzens über den Menschen verhängt. Der wahre Schmerz ist ein Sendbote des Heils, ein Wecker, ein Mahner, ein Sündentilger! –

Das Mutterherz der Gräfin d'Agoult war ergriffen und seine Trauer breitete über ihr Wesen und ihre ganze Erscheinung einen Hauch idealer Schönheit, welcher auf des Jünglings zerrissene Stimmung wie befreiend zurückwirkte. Er hatte aufrichtigen Antheil genommen an der Sorge und Angst, mit welcher die Eltern und Verwandten das Krankenbett umstanden; er nahm Antheil an dem Schmerz, der alle ergriff als der kleine Liebling der Mutter Erde aus Herz gelegt wurde. Alle edlen Saiten seiner Natur waren erregt. Die Leidenschaft mit ihrem Gefolge von Ironie und Bitterkeit schien mit zur Erde gesenkt und die Ahnung eines beglückenden reinen Rosenschimmers aufkeimen zu wollen.

Das trügerische Spiel, in welches seine Leidenschaft ihn verstrickt, widerte ihn an und er fühlte, daß jetzt der Moment zu scheiden gekommen sei. Er wollte fort von Paris; und da die Koncertsaison ihrem Ende zuneigte – es war im Frühjahr 1835 – und er nach der großen Anstrengung, die sie ihm gebracht, auch der Erholung bedurfte, so schien der gegenwärtige Augenblick der Ausführung seines Vorhabens doppelt günstig. Er hoffte dabei, daß die Gräfin d'Agoult das Richtige und die Nothwendigkeit dieses Schrittes gleich ihm empfinden und ihn hiebei unterstützen würde. Hierin jedoch irrte er sich. Zu tief verstrickt in ihr inneres Gewebe konnte sie ihren Gatten und ihre Kinder aufgeben, nur nicht ihn, nicht das Ideal jener Zeit: eine »große Leidenschaft zu haben«, nicht ihre Truggebilde.

Gegen seine Vorstellung und gegen seinen Willen verließ sie Paris – seine Besinnung war zu spät erwacht.

Des Jünglings nächste Zukunft war hiemit entschieden, ein bleibender Gifttropfen in sein Leben gefallen. –[331] In der pariser Gesellschaft entlud sich ein heftiger Sturm. Sie hatte wohl die Beziehungen der Gräfin d'Agoult zu dem Künstler gekannt; so lange aber diese nicht das Auge der Welt verletzten, schien sie sich ebenfalls nicht verletzt gefühlt zu haben. Der öffentliche éclat jedoch war etwas anderes – er rief ihre Entrüstung hervor. Sie vervehmte ihren Liebling. Unversöhnliche Worte folgten der Gräfin.

Das Unwetter drang auch hinein in die stille friedliche Wohnung der Mutter Liszt's, drang hinein mit allen Entstellungen, welche die geschäftige Fama geschaffen. Doch konnte auch die Welt sich täuschen lassen: das Mutterherz ließ sich nicht erschrecken. Sie wußte um des Sohnes Irren und doch war ihr Vertrauen höher als der Schein groß, der gegen seinen Charakter war. Wußte auch ihr einfacher Sinn wenig davon, daß gerade der hochstrebenden Natur abschüssige Höhen näher liegen als dem im Thale Wandelnden, so fühlte sie doch mit Sicherheit, daß der edelgeborene Mensch seine Natur nicht von sich werfen kann. Sie war überzeugt, daß ihr Sohn seine Schuld sühnen und gut machen werde, was er gefehlt – ein Glauben an ihn, dessen Liszt noch in späten Tagen mit tiefer Rührung und Dankbarkeit gegen Freunde gedacht hat. –

Beide, den jungen Künstler und die Gräfin, finden wir in der Schweiz wieder – zuerst in Bern, dann in Genf. In Bern lag auf ihren Beziehungen noch ein konventioneller Schein. Die Gräfin d'Agoult war in Begleitung ihrer Mutter, der Frau von Flavigny, dahin gereist. Doch diese mußte nach Paris zurück reisen ohne ihre Tochter. Nun gab es für sie überhaupt kein Zurück mehr. Nur ein Weg stand ihr noch zu einer Rehabilitation offen: die gesetzliche Ehe mit Liszt. Als dieser in sie drang zur protestantischen Kirche überzutreten und sich mit ihm zu verbinden, entgegnete sie ihm vornehm:

»Madame la Comtesse d'Agoult ne sera jamais Madame Liszt!«

Von dieser Hypokrisie auf das tiefste verletzt schwieg der Künstler. Er sprach kein ähnliches Wort mehr aus. Bitter jedoch fühlte er, daß es Punkte gebe, denen gegenüber eine geistige und ethische Einigung zwischen ihnen unmöglich sei. – Nun übernahm er alle Verpflichtungen gegen sie, die ein Mann von Ehre gegen seine rechtmäßige Gattin übt. Sie hatte den Namen des bürgerlichen[332] Künstlers wohl ausgeschlagen; sein Stolz aber duldete nicht, daß sie eine ihrer Lebensgewohnheiten aufgebe. Sie war ohne Revenüen. Mit seinen Koncerteinnahmen stand er für sie ein, selbst Verpflichtungen gegenüber, die vor der Zeit ihrer intimen Beziehungen herstammten.

Als man dem Künstler erzählte, daß ganz Paris in Alarm sei über seine »Entführung« der Gräfin – das Schlagwort für derartige Romantik – und man mit dem ganzen Ärgernis nur ihn belaste, entgegnete er mit dem ihn bezeichnenden ritterlichen Stolz: »Gut –, dann werde ich es tragen«. Keine Vertheidigung seiner selbst, keine Blosstellung der Gräfin kam über seine Lippen.

In Paris brach sich jedoch allmählich eine bessere Ansicht über ihn Bahn. Seine Bestrebungen die Gräfin von ihrem romantischen Schritt zurückzuhalten blieben nicht ganz unbekannt. Und als die Jahre belegten, wie pflichtgetreu und großherzig er alle Konsequenzen dieses Schrittes auf sich nahm, nannte man allgemein seine Handlungsweise »korrekt« und selbst der Graf d'Agoult bezeichnete sein Verhalten als das eines »Ehrenmannes«.

Fußnoten

1 »Mes Souvenirs« par Daniel Stern (Madame d'Agoult). Paris, Colmann Lévy, ancienne maison Michel Lévy frères, 1877.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880.
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