XXII.

Nohant.

(Reiseperiode mit der Gräfin d'Agoult.

1835–1840.)

Bei George Sand. Klavier-Übertragungen der vier ersten Symphonien Beethoven's des »Erlkönigs« und anderer Lieder Franz Schubert's. Aufsteigende Dissonanzen zwischen George Sand und der Gräfin.


Inzwischen, während Liszt die Misère des Künstlerlebens durchkostete, aber auch neue Ruhmesblätter sich erwarb, lebte die Gräfin d'Agoult in Nohant, die Gastfreundschaft George Sand's genießend. Liszt hatte im Laufe des Winters mehrere Ausflüge dahin unternommen. Nun, wo alle seine künstlerischen Verpflichtungen hinter ihm lagen und er durch Aussprache seiner Auffassung der Kunst sich dem Publikum verständlich zu machen und auch bezüglich der Thalberg-Affaire den Vorwurf kleinlichen Neides durch Darlegung seiner Handlungsmotive zu entkräften versucht hatte, eilte er abermals dahin, um vor dem Antritt der italienischen Reise noch einige Zeit sich hier der Ruhe hinzugeben.

Es war der erste Sommer, den George Sand, wieder glücklich im Besitz ihres Familienerbes, nach einigen Jahren der Abwesenheit in Nohant verlebte. Hatte auch mit der Dichterin von »Léone Léoni« die Romantik ihren Einzug in das alte Erbschloß gehalten und zogen ihre Freunde, Poeten, Literaten, Schauspieler und Berühmtheiten aller Art, ein und aus, so waren doch die Monate, welche Liszt hier verbrachte, ruhiger als manche andere Zeit. Es waren drei Monate, von ihm selbst mit seiner poetischen Auffassung bezeichnet, »voll reichen innerlichen Lebens, deren Stunden er andachtsvoll in sein Herz geschlossen«.[450]

Und in der That – es ist ein reizendes Pastorale, das er, das Leben in Nohant schildernd, durch einen Brief an Pictet uns vorzaubert! »Der Rahmen unseres Tages«, schrieb er ihm, »war einfach und leicht auszufüllen. Um die Zeit todt zu schlagen, bedurften wir weder königlicher Treibjagden noch eines Liebhabertheaters noch sogenannter Landpartien, bei denen alle Welt die eigene Langweile mitbringt, um zur allgemeinen Unterhaltung beizutragen. Unsere Beschäftigungen und Genüsse bestanden im Lesen eines Naturphilosophen oder eines tief denkenden Dichters: Montaigne oder Dante, Hofmann oder Shakespeare; im Empfang von Briefen abwesender Freunde; in langen Spaziergängen an den lauschigen Ufern der Indre; in einer Melodie, welche die daselbst empfangenen Eindrücke zusammenfaßte; im Freudengeschrei der Kinder, die bald einen Abendfalter mit durchsichtigen Flügeln, bald ein armes Grasmückchen, das allzu neugierig aus seinem Nestchen herausguckte, gefangen hatten. »Und das ist alles?« Ja, alles. Sie wissen, das Entzücken unserer Seele mißt nicht nach dem Schein.«

»Mit einbrechender Nacht versammelten wir uns dann auf der Terrasse des Gartens. Das letzte Geräusch des Tages verhallt allmählich in der Ferne, die Natur scheint von sich selbst Besitz ergreifen und sich freuend über die Abwesenheit der Menschen dem Himmel all ihre Töne, all ihren Duft entsenden zu wollen. Das ferne Murmeln der Indre drang bis zu uns, die Nachtigall trillerte ihren reizenden Liebesgesang und selbst das von uns zu Lande verachtetste Thier traf einen reinen und kräftigen Laut, um an der allgemeinen Feier Theil zu nehmen. Ein leiser Wind,. kaum gefühlt, brachte uns abwechselnd den süßen Duft der Linde oder den stärkeren Geruch des Lärchenbaums, wobei der Schein unserer Lampe phantastische Streiflichter auf die benachbarten Bäume warf.« –

Doch träumte man nicht nur auf der Terrasse, es wurde auch manche Nacht hindurch gearbeitet. George Sand liebte die geheimnisvolle Stille der Nacht. Wenn alles zur Ruhe gegangen, wenn Natur und Mensch nur im Traum und leisen Athemzug zu leben scheinen, dann zündete ihr Dichtergenius seine Fackeln an und in diesem Moment nur ihm lebend, überließ sie sich willig und eifrig seinen Eingebungen. Papier und Dinte vor sich, flog die Feder, die durch nichts in ihrer Arbeit sich stören ließ als durch den Schein des hereinbrechenden Morgens. Liszt leistete[451] ihr mehrmals Gesellschaft. Sie schrieb damals ihren einbändigen Roman: »Mauprat«, und der jugendliche Liszt ihr gegenüber durchforschte die Partituren Beethoven's. Nur eine kleine Lampe warf ein dürftiges Licht über das Zimmer, in welchem Poet und Musiker in stiller Geistesarbeit des Schlummers vergaßen. –

Liszt hatte schon in Genf den großen Gedanken gefaßt Beethoven's Symphonien dem Klavier einzuverleiben, wie er es mit der »Épisode de la vie d'un artiste« von Berlioz gethan, und dort mit der Übertragung der Pastoral- und einiger anderen Symphonien begonnen. Hier rückte er diesem Ziele näher. Die Vollendung der Klavier-Partitur der »Pastorale«, sowie die der ersten, zweiten und fünften Symphonie war die Frucht der nächtlichen Studien in Nohant.

Auch noch andere kleine Arbeiten nahm er hier vor. Sein Enthusiasmus für die Lieder Franz Schubert's trieb ihn, auch sie dem Klavier zu erobern. Das erste Heft der von ihm übertragenen Lieder dieses Meisters, unter ihnen der »Erlkönig«, gehört ebenfalls seinem Sommeraufenthalt in der Berry an.

Aber in Nohant wurde nicht nur gelesen, spazieren gegangen, musicirt, geträumt und gearbeitet: es wurde auch viel gescherzt und gelacht. Die Familie »Piffoël«, wenn auch nicht mehr vollzählig, wie bei der Gebirgstour nach Chamounix, feierte hier ihre Nachspiele. Mummereien, improvisirte Lustspiele gehörten zu den feststehenden Scherzen der kleinen Gesellschaft. An ihnen mußten alle Theil nehmen, Hausbewohner und Besucher Dazwischen kamen auch tolle Streiche vor, die bald dem einen bald dem andern galten. Einen derselben, sowie die Art und Weise wie sie sich von einem jener Zudringlichen befreiten, die ruhmlos, aber um so eifriger sich an Ruhmvolle drängen, hat Liszt damals in einem seiner Briefe erzählt1 und viel Heiterkeit damit hervorgerufen. –

So war in poetischem Wechsel ein Theil des Sommers dahin gestrichen. Alles, was dem Blick nach Außen von diesem Aufenthalt sich darbot, zeigte Schönheit, Heiterkeit und Poesie – doch war nicht alles nur Sonnenschein, was in Nohant vor sich gegangen. Es hatten im Stillen sich auch Dissonanzen entwickelt[452] Dissonanzen zwischen der in ihrem Ruhme stehenden französischen Dichterin und der nach Lorbeeren lechzenden schönen Gräfin, die bis jetzt nur einen Ruhm sich hatte erwerben können –: die Geliebte eines berühmten Virtuosen zu sein. Es ist vielfach ausgesprochen worden, daß George Sand's Berühmtheit die Nachtruhe der Gräfin gestört habe. Ohne George Sand hätte es später sicherlich keine »Nélida« gegeben! Jedenfalls fing diese Zeit der Unruhe in Nohant an. Aber auch abgesehen hievon waren beide Naturen solche Kontraste, daß eine innige Harmonie zwischen ihnen kaum denkbar erscheint. Die bedeutend und schöpferisch angelegte George Sand und die geistvolle, aber nur anempfindende Gräfin d'Agoult, jene ein Naturkind, dem am wohlsten war in Stiefel und Blouse und auf feurigem Andalusier ohne Sattel, diese eine vom Scheitel bis zur Zehe aus altfranzösischer Schule hervorgegangene grande dame, die nur in Tausendfrancsroben sich zu bewegen liebte, dort alles Unmittelbarkeit, hier alles Berechnung, bei der George Sand alles Wahrheit, im Guten wie im Schlimmen, bei der Gräfin Schleier über Schleier – wie hätten auch zwei solche Frauenerscheinungen auf die Dauer sich gegenseitig sympathisch berühren können! Die Schleier reizten George Sand zum Cynismus, der Cynismus dieser die Gräfin zur Hypokrisie, ebenso wie das Naturkind die grande dame herausforderte und doch auch wieder der Kothurn der letzteren jenes an seine äußerste Grenze trieb.

Es gab viele Reibungen zwischen ihnen und Liszt hatte, ohne daß dieselben einen andern Grund gehabt hätten als den der Antipathie, hervorgerufen durch den Gegensatz der nackten Natur und höfischer Schminke, in dieser Zeit manches zu schlichten gehabt. Doch als man schied, geschah es in noch gutem Einvernehmen.

Diese weniger guten Beziehungen der beiden Frauen zu einander, welche endlich zu einem ausgesprochenen Bruch kamen, blieben jedoch nicht ohne Nachwirkung auf Liszt's intime Beziehungen zu George Sand. Von dieser Zeit an fangen sie an zu schwinden. Obwohl er innerlich der Gräfin Unrecht geben mußte, so hielt er sich doch, als er wieder Paris besuchte, aus Rücksicht für sie von der Dichterin fern. Und als noch später diese Rücksicht weg fiel, konnte er sich nicht überwinden mit ihr zu verkehren! »Ich mochte mich ihren Sottisen nicht aussetzen«, äußerte er sich später hierüber. Überdies hatte er im Grunde seines Herzens[453] wenig persönliche Sympathie für sie empfunden. Die Genialität und der Schwung ihrer Phantasie waren es, die Kühnheit ihrer Muse, die ihn mit ihr, der »modernen Sibylle, welche wie die einstige Phythia so manche Dinge aussprach, von denen keine andere ihres Geschlechtes etwas wußte und die auszusprechen auch keine hätte wagen dürfen«,2 verbunden hatten.

Liszt besuchte Nohant niemals wieder.3

Fußnoten

1 Brief an Adolphe Pictet.


2 Liszt's »Chopin«


3 In diesen veränderten Beziehungen zu George Sand liegt die Erklärung zu Chopin's Gereiztheit gegen Liszt (II. Buch, X. Kapitel).

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880, S. 450-454.
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