IV.

Ausklang.

Periodische Rückkehr Liszt's nach Weimar. Die Hofgärtnerei. Charakteristik seines Aufenthalts daselbst. Deine Stellung zu den Künstlern. Schüler-Nachmittage. Ehren-Präsidentschaft der Ung. Landes-Musik-Akademie; Liszt's Virtuosenklasse daselbst, »Caritas«. Auszeichnungen.


Unterm 17. Juni 1868 schrieb Liszt von Rom aus an Brendel:


»Mit nächstem Jahr aber dürfte ein ziemlicher Wechsel in meiner äußeren Existenz stattfinden, der mich Deutschland wieder näher rückt. Wie sich dies letzte Kapitel meiner Lebensbahn gestalten wird, errathe ich noch nicht.«


Der Großherzog von Weimar und Gemahlin wünschten ihn wieder nach Weimar. Als er der dringenden Einladung von da entgegen hielt, »er sei wohnungslos,« ward nach Rom erwidert, es werde eine Wohnung – alles, für ihn bereit sein.

Der Hof-Marschall Graf Beust, der mit dieser Obliegenheit betraut wurde, glaubte eine passende Wohnung in dem Gärtnerlokal der Hofgärtnerei gefunden zu haben und richtete den knapp zugemessenen Raum des ersten Stocks zum Aufenthalt des großen Meisters ein. Man hatte bei dieser Wahl wohl nur an einen Interimsbesuch zur Sommerzeit gedacht. Das Häuschen war leicht gebaut und zugig, abgesehen von dem engen Wohnraum und den mangelnden Bequemlichkeiten, die es bot. Bei der sich von Jahr zu Jahr wiederholenden Wiederkehr Liszt's, dessen Besuche sich des öfteren über den Sommer hinaus in den Winter hinein ausdehnten, machten sich alle Übelstände um so fühlbarer, je mehr er, wenn auch körperlich rüstig, dem Greisenalter, das an sich der Pflege und[473] Verpflegung bedarf, zuschritt.1 Allein man hatte sich mit den Jahren so daran gewöhnt sein Domicil mit der Hofgärtnerei zu identificiren und ihn selbst als eine Ausnahmserscheinung in allen Dingen anzusehen, daß man nicht einmal daran zu denken schien, er könne gleich anderen Sterblichen seines Alters unter irgend welchen Mängeln leiden. So blieb die Wohnung unverändert dieselbe.

Am 12. Januar 1869 betrat der Meister zum ersten Mal die Hofgärtnerei – zum letzten Male am 17. Mai 1886. Damals stand er, wenn auch das Haar gebleicht, noch in ungeschwächter Elasticität und Kraft des seinem 60sten Lebensjahre zuschreitenden Mannes und dann – – ein 75jähriger halbblinder Greis, über dessen Haupt, trotz hohen Muthes, die dunkeln Fittige körperlicher Leiden und des nahenden Todes rauschten.

Liszt's erster Aufenthalt in der Hofgärtnerei währte bis zum 20. März. Erschien er durch das sichtliche Bemühen des großherzoglichen Paares, ihrem Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten die Wiederkehr zu danken und die persönlichen Bande enger zu knüpfen, gleichsam von stillem Feierglanz getragen, so deutete er auf eine abermalige musikalische Hebung Weimars hin, die, – obgleich nur ein Nachklang der 1850er Jahre – die Tradition von damals, welche das inzwischen abgelaufene Dingelstedt'sche Regime brach gelegt hatte, wieder aufrichtete. Liszt trat nicht wieder in die öffentliche Kunstpflege ein. Aber der Amtsnachfolger Dingelstedt's, Freiherr v. Loën, brachte ihm Verständnis und Sympathie entgegen, und so genügte sein alljähriger Aufenthalt, auf sie zurück zu wirken. Mit ihm zog die »Musik« von neuem ein in die Thore Ilm-Athens.

Angeplant gestaltete sich das Leben in der Hofgärtnerei, jetzt und in der Folge, zu einer künstlerischen Fortsetzung des Lebens auf der Altenburg. Künstler aus allen Himmelsgegenden kamen herbei, den Meister zu begrüßen, unter ihnen Rath suchende Komponisten, bepackt mit Manuskripten gereifter und Erstlingswerke,[474] junge Virtuosen und Virtuosinnen, die der Lehre begehrten. Die Hofgärtnerei war belagert zu all den Tageszeiten und Stunden, die der Meister dem persönlichen Verkehr und der Lehre frei gab. Auch die Sonntags-Matinéen, die einstens in den Augen der Weimaraner der Altenburg so große Anziehungskraft verliehen, nahm Liszt wieder auf. Hier ertönten noch dann und wann seine wunderbaren Interpretationen am Klavier. Was Weimar an Elitekünstlern im Instrumentenspiel und Gesang besaß, vereinte sich mit fremden Koryphäen zur Ausführung noch ungekannter Werke älteren und jüngeren Datums. Kompositionen, die erst nach Jahren der Öffentlichkeit übergeben wurden, erklangen hier frisch von der Feder weg, so zu sagen, aus der Unmittelbarkeit ihres Entstehens heraus. Bei solchen Gelegenheiten waren die kleinen Räume bald überfüllt – die Zimmer, der Vorplatz, die Treppe bis hinunter vor die Thüre. –

Und doch – trotz der Fortsetzung – war es so anders wie auf der Altenburg. Vor allem war die Zeit selbst eine andere geworden. Liszt stand jetzt nicht als kühner Bahnbrecher und Vorkämpfer für den Fortschritt auf weimarischem Boden, sondern als Privatmann, friedlicher Vertreter des Errungenen, mit anderen als weltlich-musikalischen Zielen – ein Friedensfürst gegenüber den Meinungsverschiedenheiten der Parteien. Lag es in dem Verfolgen dieser anderen Ziele und in dem mit ihnen verbundenen Abgewandsein von weltlichen Bestrebungen, in der beispiellosen Selbstverleugnung gegenüber den eigenen Werken, die er von der Öffentlichkeit mit dem stehenden Wort: »Ich kann warten« mehr zurückhielt als sie ihr darbot, lag es in dem bittern Schicksalswege den er als schaffender Künstler und als Mensch vornehm und unbeirrt, dabei immer höher steigend, durchschritten –: seine Persönlichkeit übte eine noch größere Gewalt aus, wie ehemals. Während Richard Wagner's Werke das musikalische Europa in Aufruhr versetzten und nach Bayreuth zog, bildete seine Person in Weimar, in Pest, in Rom den Mittelpunkt und die Spitze der Künstler. Die großen Eigenschaften seines Charakters, seine Wahrhaftigkeit und Uneigennützigkeit, das Hülfsbereite gegen Freund und Feind, anerkannten Alle. Sein Ausspruch galt. Naturgemäß blieb er ihr Oberhaupt bis an sein Ende.

Die Zeiten, welche der Meister in der Hofgärtnerei verbrachte, waren fast immer Monate großer Anstrengung und abspannender[475] Arbeit. Korrekturen und Revisionen der im Stiche sich befindenden Werke, als auch neue Kompositionen, bildeten den kleinen, aber ruhigen Theil derselben. Bei weitem aufreibender blieb der, welcher ihm in den Anforderungen seitens der Künstler entgegen trat. Die Durchsicht von musikalischen Manuskripten war zahllos. Dabei verließ keines sein Pult ohne Spuren dieser Durchsicht zu tragen. Broschüren, Bücher, Aufsätze liefen in Massen ein, theils dem Meister zu huldigen, theils ein aufmunterndes Wort von ihm zu vernehmen, oder auch seinen Bücher- und Novitätentisch propagandisch zu belegen – besprochen wurde im Liszt'schen Salon alles. Die brieflichen Begehren seitens Situationsloser, Rath- und Empfehlung Suchender (Musiker der verschiedensten Berufsgattungen) war endlos – – und selten blieb eines unbeantwortet. Die ihm aufgebürdete Brieflast war geradezu erdrückend. Dazwischen kamen Ausflüge nach den Nachbarstädten, nach Jena, Gotha, Leipzig, Altenburg, Sondershausen n.a., um musikalischen Bestrebungen Gewicht durch seine Gegenwart zu geben. Der Tag reichte nicht aus für alles, was man glaubte von ihm und durch ihn erlangen zu können – schon früh um 4 Uhr saß der Meister an seinem Arbeitstisch.

Einen angenehmen Theil bildeten die Verpflichtungen gegen den Hof, wo er manchen Abend im engeren Familienkreise ohne officielle musikalische Obliegenheiten verbrachte. Auch lag es ziemlich feststehend im Sommer-Programm, die Herrschaften auf die Dornburg oder nach Wilhelmsthal zu begleiten und 8–10 Tage daselbst mit ihnen zu verbringen. Er war dem großherzoglichen Hause nach seinem eigenen Ausdruck »inkrustirt« und mit allen Gliedern desselben freundlichst verbunden. Die musikalisch beanlagte Prinzeß Elisabeth – von ihm die »geborene Hof-Pianistin« betitelt – genoß häufig seine Unterweisung. Großherzog Alexander selbst holte sich nicht selten, auch in außermusikalischen Angelegenheiten, Rath bei ihm und äußerte zu verschiedenen Zeiten unumwunden, daß »Liszt ihm nie einen schlechten, und nie einen eigennützigen Rath gegeben.«

Noch wäre hier des »Abend-Heims« zu gedenken, das dem Meister Haus und Familie der geistreichen und musikalischen Baronin Olga von Meyendorff geb. Prinz. Gortschakoff bot – Beziehungen, die von ihrem verstorbenen Gatten stammend, sich von Rom nach Weimar verpflanzt hatten. Ihm Freundin, Schülerin und Nachbarin zugleich, verbrachte er, ziemlich regelmäßig[476] seine Abende2 mit ihr. Dieses Haus blieb das einzige, das eine Art Familienlebens ihm eröffnete.

In des Meisters weimaraner Tageslauf bildeten die Nachmittage, die er regelmäßig zwei- bis dreimal in der Woche jungen Virtuosen und Virtuosinnen widmete, einen Theil für sich.

Die ersten dieser Schüler in der Hofgärtnerei (1869) waren Anna Mehlig, Irma Steinacker, Georg Leitert, Graf L. Tarnowsky, Rafael Joseffy. – In den folgenden Jahren wuchs ihre Zahl ins Fabelhafte und Weimar wurde zu Zeiten der Anwesenheit Liszt's so recht die »Pianistenstadt der Welt.« Edelste Juwelen der reproducirenden Kunst wanderten von hier nach allen Ländern und die Um- und Neubildung des Klavierspiels, welche der Virtuose Liszt einst vollzogen, ward jetzt zum Allgemeingut.3

Der pianistische Zuflug war jedoch nicht immer, und nicht in allem, zum sachlichen Vortheil. Er hatte seine Kehrseite. Der Virtuosenjugend männlichen und weiblichen Geschlechts schien es im allgemeinen als ein pianistisches Anrecht und zugleich als eine unerläßliche Absolutoriumskarte für ihre Öffentlichkeit einige Sommer an den Nachmittagsstunden in der Hofgärtnerei theilgenommen zu haben. Die Wenigsten fragten nach ihrer beglaubigten. Berechtigung durch Begabung und Können, Wenigen erschloß sich die hohe Bedeutung des Liszt'schen Genius und nur Wenige kannten jene Scheu, die davor zurückbebt, einen solchen mit ihren kleinen künstlerischen Leistungen zu behelligen. Die Güte des Meisters, die mit den Jahren sich ins unbegrenzte verlor, wies niemand entschieden zurück. Ein Mißbrauch derselben Güte griff in bedauerlichem Übermaß um sich und wurde, als er, ein Siebenziger, den Strom nicht mehr dämmen konnte, mehr Regel als Ausnahme. Nicht alles blieb schön, wie es hätte sein können, wäre die »Altenburg« fortbestanden. Ohne die schützende Hand, welche den Zudringlichen wehrte, Sitte und Ordnung auf recht erhielt, den Meister selbst vor Überbürdung hütete und seine Häuslichkeit nicht bezahlten[477] Dienern überließ, wurde gar manchmal die schwache Seite seiner Menschengröße gereizt, ausgenutzt und manche beklagenswerthe Verwirrung hervorgerufen – die Folge seines Alleinstehens, unter dem er nie aufhörte zu leiden, und dessen ich schon einmal gedacht habe.

Das Durcheinander aber von Spreu und Weizen, von Geistlosigkeit und Ausdruckstalent, technischem Geklapper und Künstlertechnik bezüglich der Schülermassen, zeitigte neben dem Ächten der Lisztschule ein pianistisches Zerrbild, das sehr wohl dazu angethan war die Bezeichnung »Lisztschüler« bei der Menge gewissermaßen in Mißkredit zu bringen. Der greise Meister wandte sich voll Unmuth von dieser Kehrseite seines Einflusses ab, und mehr als ein Mal hörte ich ihn zornig: »So etwas bietet man mir nicht!« – aber auch seufzen: »Man spielt nicht mehr, man prügelt Klavier«.

Als der Meister zum letzten Male – im Frühjahr 1886 – sein weimaraner Domicil bezog, umstanden ihn nur wenige junge Männer,4 seit mehreren Jahren seine Schüler, und sammelten begierig die letzte Aussaat seiner Lehre.

Hier in Weimar bethätigte er sich ebenfalls wieder mehrere Male als Dirigent. Bei der im wesentlichen von ihm veranstalteten Beethoven-Feier des Allg. D. Musik-Vereins, die dieser mit seiner VIII. Tonkünstler-Versammlung im Mai 1870 verband, dirigirte Liszt zu Ehren Beethoven's dessen Neunte Symphonie und Es dur-Koncert (der Klavierpart ausgeführt von C. Tausig), sowie die zu dieser Feier von ihm komponirte Beethoven-Kantate. Zum ersten Mal, daß man nach der verhängnisvollen »Barbier v. Bagdad«- Aufführung von 1858 ihn in Weimar mit dem Dirigentenstab in der Hand erblickte. In alter Kraft zwang sein Blick und inspirirte er das große, stolze Fest-Orchester, dem sich vornehmste Virtuosen der Zeit – zu Ehren Beethoven's, und ebenso zu Ehren des Dirigenten – eingereiht hatten. Zum letzten Male waltete er als solcher im Mai des Jahres 1884 zu Ehren des 25jährigen Bestehens des Vereins, der seine XXI. Versammlung abermals in der Residenz seines Protektors abhielt. Auch jetzt elektrisirte er seine Mannen, unter denen noch mancher Veteran der glorreichen 1850er Jahre stand.[478] Er dirigirte sein»Salve Polonia« aus dem »Stanislaus«, einen andern Abend H.v. Bülow's »Nirvana«. Als der greise Meister, bereits gebeugt an Gestalt, dem Dirigentenpult sich nahte, stockte der Athem des großen Auditoriums und einen Moment herrschte feierliche Stille, die sich in eine, der Herzensergriffenheit entrissene Begeisterung löste. Man fühlte, ohne es auszusprechen, was kommen werde. Die Kapelle spielte mit einem Schwung, einer Geistigkeit und Durchsichtigkeit der Form, wie sie nur außerordentliche Momente bei außerordentlicher Leitung hervorzubringen vermögen. Der Meister selbst schien verjüngt – als aber der Schlußakkord erklang, erzitterte er, überwältigt von Anstrengung und Erregung. Gestützt auf den Arm seines Große schwankte er zurück in seine Loge. –

Die verschiedenen Jahrgänge der Liszt-Saisons in Weimar wichen in ihrem Verlauf wenig von einander ab. Und doch zeigten sich Nuancen! Diese aber waren persönlicher Natur und spielten aus seelischen Zuständen heraus. Es gab Perioden und Zeiten, in denen seine Umgebung ihn gereizt, bitter, ironisch sah, in denen heftige Stimmungen aus erschüttertem Gemüthe vulkanartig losbrachen und sich »eine Gasse« suchten. Sie ahnte wenig, in welche innere Reibung sein ganzes Wesen – künstlerisch und menschlich – gebracht war. Das war zu den Zeiten, als der Stern Wagner's siegreich in Bayreuth aufleuchtete und sich verwirklichte, was in Liszt's Künstlerglaube, einem Evangelium gleich, trotz Bitterstem, das er hatte erleben müssen, fest stand, und die Frage in Rom diskutirt wurde: ob die Soutane, ob seine jetzige Stellung, seine kirchenmusikalischen Bestrebungen, ob es sich überhaupt mit seiner religiösen Richtung vertrage und vertragen dürfe, der Einweihung der Festspiel-Bühne und den Bayreuther Festspielen bei zuwohnen? Dem Meister selbst schienen solche Fragen überflüssig. Aber sie brachten ihn im Princip in eine Meinungsdifferenz mit seiner fürstlichen Freundin, die sich nicht lösen ließ – jetzt nicht, und später nicht. Da entstanden die Kinder der Ironie, die Mephisto-Walzer, gleichsam als vorübergehende Palliative. Das innere Gleichgewicht jedoch stellte sich wieder her, die Wogen der Erregung wichen dem elegischen Traum, der, eine Abendsonne, die letzten Jahre seines Lebens, umwob. Auch die Beziehung zur Fürstin blieb dieselbe. »Wir sind verbunden über das Grab hinaus. Differenzen ändern hieran nichts«, sagte er bei solcher Gelegenheit zu mir. –[479]

Liszt's Schaffensthätigkeit stand in den Weimarepisoden im Hintergrund. Seine Kompositionen gehörten vorwiegend dem Aufenthalt in Rom und der Villa d'Este an. Mit den Jahren wurde überhaupt sein Schaffen durch eine ausgebreitetere Lehrthätigkeit sehr beeinträchtigt, ganz besonders nach dem die ungar. Regierung gleich einem Markstein des 50jährigen Künstlerjubiläums des Meisters (1873) eine musik. Landes-Akademie zu Budapest dotirte und ihn zu ihrem Ehren-Präsidenten ernannte, womit eine Jahresbesoldung von fl. 4000 verknüpft war. Mit der Entstehung dieser k. Ungar. Landes-Musikakademie erfüllte sich die vor Jahrzehnten von Liszt's Patriotismus inspirirte Anregung.5 Für sein Alter kam diese Schöpfung etwas spät und die ihm auferlegte Ehrenbürde drückte ihn mehr, als er sie – auch aus andern Gründen – gut heißen konnte. Die innere Stellung, welche er ihr gegenüber einnahm, faßte er in die an den Grafen Alb. d'Apponyi geschriebenen Worte:


»Quant à mes »convenances personelles« dont vous voulez bien vous préoccuper amicalement, permettez-moi de vous assurer de nouveau que je n'aspire qu' à un seul bien: la paix du travail dans ma chambre. Orare et laborare. Le point d'honneur que personne mieux que vous comprend, m'attache à la Hongrie, notre patrie. Puissé – je y remplir tout mon devoir de reconnaissance! –«6


»Seinem Vaterland zu nützen«, blieb der bestimmende Gedanke, der ihn seit der Eröffnung der Anstalt alljährlich für mehrere Wintermonate (gewöhnlich von gegen Weihnachten an) nach Budapest führte, ohne jede Rücksicht auf sich selbst und die für ihn mit dem Domicilwechsel verbundenen. Beschwerden.


»Vom nächsten Jahr an bedroht mich vieles Herumfahren!« – schrieb er um jene Zeit an Eduard Liszt. – »Mein dreifaches Domicil: Pest, Weimar, Villa d'Este, und was damit zusammenhängt, erschwert sehr meine Lebensfrist. Selbst der bekannte Trost: »Tu l'as voulu, Georges Dandin« fehlt mir ... Doch bleibt mir die Hoffnung auf die Verkündigung »Et in terra pax hominibus bonae voluntatis.«


An seine Budapester Funktionen reihten sich im Frühjahr,[480] von 1876 an, die Saison in der Hofgärtnerei, dann gegen den Herbst: der Aufenthalt zu Rom –Villa d'Este.

Der Antritt seiner Präsidentschaft zu Budapest erfolgte im Januar 1881. Um diese Zeit war der Ausbau des Akademiegebäudes beendet, und er bezog die ihm bestimmte Amtswohnung. Vordem wohnte er in der Stadtpfarrei.

Die Landes-Musikakademie konnte sich jedoch nicht nach seinen großen Plänen gestalten, nach welchen sie den Fortschritt der Tonkunst nach weltlicher und kirchlicher Richtung, die reformatorischen Errungenschaften der Zeit, als eine erste Lebensbedingung in ihrem künstlerischen Fundament verkörpern und auch in der Wahl ihrer Lehrkräfte repräsentiren sollte.7 Es fehlten die Mittel. – Vom Zeitpunkt ihrer Eröffnung an (1876) übernahm der Meister freiwillig die Leitung einer Klavierklasse für Virtuosen und Lehrer. Zehn Jahre lang hielt er alljährlich um dieselbe Zeit einen mehrmonatlichen Kursus ab, selbst noch im letzten seiner Lebensjahre.

Sein »Atelier« in der Musikakademie trug eine andere Physiognomie als das der Hofgärtnerei, wo ausschließlich die freie Gabe des Meisters im weitesten Sinne waltete, während hier die Vorbedingungen andere waren und auch die Honorar-Pflichten als Schüler einer Staatsanstalt dem übermäßigen Andrang gewisse Schranken zog: ihr Charakter war schulmäßiger.

Seinen Tageslauf selbst charakterisirte er gegen mich:


»Meine diesmalige Winterexistenz in Budapest gleicht sehr den vorjährigen. Jeden Tag wenigstens 4 Stunden Briefe schreiben: dann Visiten, – geschäftliche und andere – gewärtigen: Korrekturen besorgen. Nachmittags die Woche mehrere Stunden Klavier lektioniren mit ein Dutzend Schülern, wovon einige sich meisterlich gebahren: Abends, manchmal Koncerten beiwohnen, und zur Erholung Whist spielen.

Meinen eigentlichen Arbeiten kann ich hier kaum obliegen.«


Diesem Bericht ist vor allem noch die Erwähnung seiner Pflege der »Caritas« hinzuzufügen, die ihn vielfach an Privat- und öffentlichen Koncerten zu Gunsten schöner Zwecke8 und Wohlthätigkeits-Anstalten Budapests und andererer Städte sich ohne Rücksicht auf irgend eine Konfession pianistisch betheiligen ließ. Bei den Szegediner[481] Überschwemmungen 1876 und 1879 war er der ersten einer, die ihre Kräfte dem Lande zur Disposition gestellt haben.9

Eine Whistparthie mit heiterer Unterhaltung als Gewinn10 gehörte obligat zu den Erholungen des Meisters – in Budapest, wie in Weimar, in Rom, wo immer er weilte. Der Zeit aber für seine »eigentlichen Arbeiten« ward weniger und weniger. Reisen, und immer wieder Reisen ließen ihn das ersehnte Ziel »Ruhe« nicht erringen. Dieselben wurden veranlaßt von der Feier seiner Person, welcher seine Verehrer in Form von Liszt-Koncerten Ausdruck zu geben strebten. Einladungen solche zu dirigiren, wies er stets zurück, verlieh den Koncerten aber durch seine Gegenwart Glanz. Er empfand es als einen point d'honneur Dankesschulden durch seine persönliche Anwesenheit anzuerkennen und auszugleichen. Dieses Gefühl ward bei ihm zum Pflichtgefühl, das bis zur äußersten Selbstverleugnung vorging. Das Jahr 1881 ward ihm hierdurch zu einem Reisejahr. In Deutschland, Ungarn, Österreich, Belgien, Italien – in Weimar, Leipzig, Berlin, Freiburg i. Br., Pest, Wien, Antwerpen, Brüssel, Rom u.a. begingen Künstler und musikalische Korporationen mit musikalischen Festlichkeiten das 70ste Lebensjahr des außerordentlichen Greises. Den meisten wohnte er bei.

In der letzten Lebensperiode Liszt's schien sich der Glanz seiner Virtuosenepoche wiederholen zu wollen. Sie war reich an äußeren Ehren. Außer den vielen Koncerten mit nur Werken von ihm, sei noch an sein 50jähriges Künstlerjubiläum 1873 zu Budapest erinnert, desgl. an die vielen Ordensverleihungen und die Ehren-Ernennungen,11 unter ihnen die erbliche Erhebung in den Adelstand seitens Kaisers Franz Josef II., die er seinem Pathen und Namensträger Dr. Franz v. Liszt, dem Sohne seines Vetters und Herzensfreundes Eduard, übertrug, seine (1879) Einsetzung als Titular-Kanonikus in der Diözesankirche des Kardinals Hohenlohe zu Albano, womit die nächste Anwartschaft auf ein Kanonikat, auch ohne die Priesterweihe zu besitzen, verbunden war. Er legte Gewicht auf jede Auszeichnung, aber keine beeinflußte ihn.

Fußnoten

1 Es besaß Liszt's Mohnung z.B. keine Küche für sich. Als ihm die Gasthauskost nicht mehr genügte und er seiner Gesundheit wegen auf andere angewiesen war, ließ sich solche nur unter großen Schwierigkeiten und Kosten ermöglichen. Am selben Herdfeuer der winzigen Gärtnerküche, welche die Gärtnerfamilie benutzte, mußte sie größtentheils aus Konserven hergestellt werden. Diese Zustände bildeten eine ständige große Sorge in der Via del Babuino 89 zu Rom.


2 In letzter Zeit geschah es nicht selten, daß er sein frugales Abendessen, dem Kartoffel in der Schale und Salzhäring nicht fehlen durften, zu ihr tragen ließ, und hier speiste.


3 Bezüglich der Gesammtschüler Liszt's verweise ich nochmals auf A. Göllerich's »Liszt« (Reclam's Universal-Bibliothek No. 2392 »Musiker-Biographien«).


4 Diese waren: C. Ansorge, Milh. Dayas, Aug. Göllerich, B. Stavenhagen, Aug. Stradal, St. Thoman.


5 II./1. Bd., S. 29.


6 Liszt's Briefe: II. Bd. Nr. 158.


7 Vergl. Liszt's Briefe, II. Bd., Briefe Nr. 172, 174, 175, 177, 181, 207, 212, 245 u.f.: – »Bester Lloyd«, Beiblatt zu Nr. 21, 1881.


8 Wie z.B. die Errichtung des Hummel-Monuments zu Preßburg – ein Koncert zu Pest 1873 für Rob. Franz.


9 Für die Szegediner spielte er in Pest, Szegedin, Klausenburg, Wien im Salon der Gräfin Andrassy).


10 Er spielte nie um Geld.


11 Siehe: Dr. A. Mirus, Das Liszt-Museum zu Weimar (L. Thelemann, Weimar 1892) – ein verdienstvoller Führer durch das Weimaraner Liszt-Museum in der Hofgärtnerei.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
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