16.

Die Schatten des Todes.

[181] Mozart saß in seinem Arbeitszimmer und neben ihm stand sein intimster und liebster Freund, Abt Stadler, eine edle Gestalt, in das einfache Kleid der Kirche gehüllt.61[181]

Beide sahen eben das Textbuch »der Zauberflöte«, – der neuen Schikanederschen Oper durch, das der Director vor einer Stunde dem Maestro überbracht hatte. Aber Mozart und Stadler schüttelten einmal über das anderemal bei dem Durchlesen des Librettos den Kopf.

Endlich rief Amadeus halb scherzend, halb ärgerlich: »Das wird eine saubere Arbeit geben; da muß ich nun doch einmal auch die langen Ohren kitzeln!«

»Nein, Freund!« – fiel Stadler ein – »solchen Unsinn darf ein Mozart, durch die große und herrliche Gabe, die ihm Gott verliehen, nicht unsterblich machen. Wirf das Buch weg, es ist deiner unwürdig!«

»Lieber, bester Freund!« – entgegnete Wolfgang – »du vergißt, daß ich mein Wort gegeben habe, eine Oper nach dem Zeitgeschmack und für das allgemeine Publikum zu schreiben.«

»Und wie konntest du dies thun! das ist doch schnurgerade deiner Natur entgegen!«

Mozart legte sich auf seinen Stuhl zurück, sah mit seinem offenen, edlen Gesichte den Abt lächelnd an und sagte:

»Maxerl! deine Natur ist auch nicht, im Wasser zu leben; wenn du aber einen Menschen in einen Fluß stürzen und hier mit dem Tode des Ertrinkens ringen siehst, und du kannst ihn retten .... wirst du dich da bedenken, in das Wasser zu springen, weil das Wasser dein Element nicht ist?«

»Nein!« – sagte der Abt beschämt. – »Du hast Recht. Wenn nur dieser Mensch das Opfer würdig wäre, das du ihm bringst.«

»Wirst du in dem eben von mir angeführten Falle des Ertrinkenden, wenn er um Hülfe ruft, dich erst bei den Umstehenden befragen, ob der Untergehende auch eines Rettungsversuches würdig ist?«

»Edle Seele!« – versetzte der Abt, – »ich muß schon schweigen.«

»Muth wird's freilich kosten!« – meinte Amadeus. – »Da kann ich einmal vor allen Dingen in die Flöte blasen, um ein Dutzend Vierfüßler in Bewegung zu setzen; – dann Mohren, denen es gar nicht darum zu thun ist, nach den Tönen eines Glockenspiels tanzen lassen; und hier soll nun gar ein Vogel-Mensch und sein Weibchen ein großes Duett auf die Silbenpa, pa, pa, pa, pa, pa, und immer pa singen.[182] Daß dich und der Teufel! ... aber ich sehe schon, da ich – um des gegebenen Wortes Willen – nun einmal nicht anders kann, so muß der Humor herbei. Die Trivialität trägt ja doch überall den Sieg davon, warum soll ich nicht endlich einmal durch die Behandlung eines recht trivialen Stoffes nationalen Ruhm erlangen, was alle meine edleren Schöpfungen nicht zu Wege gebracht. Es lebe Wien und das Wiener Publikum! Ich werde all' den Unsinn componiren, mich selbst darüber auslachen und – – doch etwas Großartiges schaffen!«

»Du wirst bitter!«

»Nein, das ist ja gerade der Humor bei der Sache. Uebrigens hat mir ja Schikaneder gnädigst erlaubt, daß ich auch den Kennern das Ihrige geben darf. – Freundchen, davon werden wir Gebrauch machen.«

Abt Stadler ging mit langsamen Schritten, aber mit ärgerlicher Miene im Zimmer auf und ab.

»Weißt du« – sagte er endlich zum Freunde gewandt – »wie mir dies Libretto vorkommt?«

»Nun?«

»Wie das Produkt eines kranken Gehirns, – eines Gehirns, das wohl nie gesund war.«

»Das laß gut sein! Schikaneders Speculationen sprechen gewaltig für das Gegentheil.«

»Ein vorübergehendes Delirium eines Menschen hätte wohl vielleicht auch so etwas Exentrisches, aber nie so etwas Flaches hervorgebracht. Man denke sich eine Fabel, die wie ein ungeordneter Traum zusammengestellt ist, ohne Andeutung weder des Ortes noch des Zeitraums, in welchem die Handlung vorgeht; Personen ohne Charakter und ohne Nationalität; Scenen, die nur durch ihre Veränderungen auf der Bühne unter sich ein Band bilden; Wunder, welche nur das Auge sieht, die aber keine Wurzeln, weder in einem bestehenden, noch in einem erloschenen Glauben haben!«

»Und bietet das nicht Alles der Phantasie der Menge reichen Stoff der Bewunderung!« – rief hier Mozart ironisch. – »Und die Poesie in der Form, und der Schwung des Dialogs! ....«

»Gewiß!« – versetzte Stadler, auf den angeschlagenen Ton eingehend – »und Verse, welche den Devisen der Zuckerbäcker entlehnt zu sein scheinen!«[183]

»Und« – sagte jetzt, plötzlich ernster werdend, Mozart, – »ist denn das nicht leider, leider, der Zeitgeschmack! Besteht der ganze Wust der neuen beliebten Kassenstücke nicht aus lauter analogen Elementen?«62

Beide schwiegen einen Moment. Mozart blätterte weiter.

»Indessen« – hub endlich Amadeus wieder an – »was hilft uns all' das Philosophiren. Ich habe zugesagt, um den armen Teufel zu retten, und – die Wiener verdauen eben keine Oper, wenn sie nicht gut Wienerisch ist. Darin hat Schikaneder sicher wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Außerdem freut er sich ganz kindisch auf den Papageno

»Den er wohl selbst nicht?«

»Versteht sich!«

»Gut gewählt!« – meinte Stadler. – »Da spielt er auch sich selbst.«

»Wie so?« – frug Wolfgang.

»Ei nun, mein Bester, der Vogelfänger muß mit Geschicklichkeit seinen Vogelleim und seine Schlingen zu legen verstehen; denn wenn er keinen Vogel fängt, so muß er vor Hunger sterben.«

»Geht das auf mich?« – frug hier Mozart lachend.

»Ohne böse Beziehung, ja! Deine unendliche Herzensgüte hat dich in's Garn gelockt. – Wenn ich nur einen leitenden Gedanken in dem Ding fände.«

»Nun!« – sagte Wolfgang – »man sieht, daß du, Mann der Kirche, in Sarastro's heiligen Hallen nicht zu Hause bist. Der Gedanke des Dichters ....«

»Ich bitte dich, Freund!« – rief der Abt hier – »entweihe den Namen Dichter nicht!«

»Nun«, – fuhr jener heiter fort – »der Gedanke des Librettomachers ....«

»So ist's recht!«

»Ist die Apotheose des Freimaurerordens! symbolisch: der Kampf der Weisheit gegen die Thorheit, der Tugend gegen das Laster, des Lichtes gegen die Finsterniß!«

»Tausend!« – rief Stadler lachend – »und die Finsterniß ist wohl repräsentirt durch die Königin der Nacht, ihre drei Damen und den schwarzen Monostatos[184]

»Spotte nur!« – sagte jetzt Mozart – »die Königin der Nacht wird meine Schwägerin Hofer singen. Du weißt, welch' eminente Stimmmittel sie besitzt. Ich werde ihr Bravour-Arien geben, in welchen sie, vermittelst ihres hohen F, das sie so rein und schön hat, in der That zu den Sternen steigt. Und die Priesterchöre ....«

Mozart verstummte hier plötzlich. Abt Stadler hielt in seinem Auf- und Abgehen inne und sah sich nach ihm um. Der Maestro hatte sich verändert. Sein Gesicht war mit einem Male bleich geworden und der Ausdruck der Heiterkeit war jenem tiefer Trauer gewichen. Mozart hatte wieder eine jener Blutaufwallungen verspürt; aber er sagte nichts davon.

Stadler wußte sich diese sonderbare Veränderung nicht zu erklären; er wiederholte also nur: – »Nun die Priesterchöre?«

Mozart antwortete nicht; aber er schloß, in tiefe Gedanken versunken, das Buch, – legte es bei Seite und murmelte nur:


»Wir wandeln durch des Tones Macht.

Froh durch des Todes düst're Nacht.«63


Stadler konnte nicht begreifen, was das heißen sollte, obwohl er in der letzten Zeit schon öfter ähnliche Auftritte mit Mozart gehabt hatte. Dieser suchte sich dann gewöhnlich auf irgend eine Weise zurückzuziehen, um sich Stunden lang einzuschließen und im trüben Schweigen über irgend etwas zu brüten. Auch Constanze, die diese Erscheinungen, wie ganz natürlich, sehr beunruhigten, hatte schon mit dem Abte darüber gesprochen und dieser seine Zusage zur Erforschung der Sache gegeben. Er hielt daher jetzt den Moment günstig, und als Mozart sich schweigend an das Fenster setzte und trübe und melancholisch hinaussah, in der augenscheinlichen Erwartung, der Freund werde gehen, blieb er; – ja er nahm einen Stuhl, setzte sich neben Wolfgang, legte seine Hand auf die des Freundes und sagte sanft:

»Alter! was hast du? – Warum plötzlich diese auffallende Aenderung in deiner Stimmung?«

Mozart schwieg.

»Ist es ein Kummer, der dich drückt? fühlst du dich unwohl?« – fuhr der Freund milde fort. – »Wir kennen uns[185] seit Kindesbeinen, – wir achten und lieben uns, – wir haben schon so viel mit einander getragen, – uns so viel gegenseitig vertraut, daß ich wohl zu meinen Fragen, als dein innigster und treuester Freund, berechtigt bin.«

»Es ist nichts!« – sagte Mozart jetzt, dem Freunde die Hand drückend. – »Eine trübe Stimmung, die in der Einsamkeit am besten vorübergeht, – sonst nichts!«

»Nein!« – versetzte der Abt bestimmt. – »Eine trübe Stimmung hat bei jedem vernünftigen Menschen auch einen vernünftigen Grund. Laß mich den kennen, Freund.«

Mozart schwieg abermals.

»Nun,« – sagte Stadler, ruhig aufstehend und den Stuhl, auf dem er gesessen, zurückstellend, – »ich will mich nicht in dein Vertrauen drängen; ich will dich auch nicht stören, Alter; aber da es, wie du siehst, eben zu regnen anfängt, erlaubst du mir wohl, noch ein paar Minuten zu bleiben.«

»Bleibe nur,« – sagte Mozart trübe lächelnd – »wer kann ohnedem wissen, wie lange wir noch zusammenleben.«

Stadler that, als ob er die letzten Worte nicht gehört. Er setzte sich an Mozarts Instrument und blätterte in den Noten.

Tiefe Stille trat ein. Mit einem Male erklangen von dem Claviere her Accorde, als ob die Engel im Himmel ein Loblied auf den Ewigen sängen: so milde, so sanft, so unendlich süß, so kindlich fromm, so hingegeben, daß selbst Mozarts Seele leise erbebte. Es war sein eigenes, herrliches Ave verum, das der Abt mit Meisterschaft spielte.

Und: »Ave verum« hauchten die Zauberklänge:


»Ave verum corpus natum

De Maria virgine,

Vere passum immolatum

In cruce pro homine.

Cajus latus perforatum

Unda fluxit et sanguine.

Esto nobis praegustatum

In mortis examine.«


»Ja!« – lispelte Mozart, unter dem sanften Verhauchen der Töne – »sei unser Trost in der Stunde des Todes!« Aber das Eis, das noch eben seine Seele umfangen, war geschmolzen. Er stand auf, ging zum Freunde und sagte mit der ihm sonst immer eignen Herzensgüte, die jetzt nur noch die trübe Stimmung umflorte:[186]

»Treue Seele! Du sollst mein Geheimniß wissen; – aber du mußt mir schwören, gegen Constanzen zu schweigen.«

»Warum?« – frug der Abt – »ist sie nicht dein treu es Weib, das jeden Kummer, jede Sorge freudig mit dir trägt?«

»Eben deshalb!« – sagte Mozart – »sie hat wahrhaftig genug zu tragen. Sie liebt mich so innig, so zärtlich, – sie ist so besorgt um mich, daß ich um keinen Preis der Welt eine neue schwere Sorge auf ihr Herz wälzen möchte. Lieber soll dies unselige Geheimniß ewig in meiner Brust verschlossen bleiben.«

»Gut!« – entgegnete Stadler. – »Du willst es so, so mag es sein. Ich gebe dir mein Wort, gegen Constanze über das zu schweigen, was du mir, als dem treuesten Freunde, jetzt anvertrauen wirst.«

»So wisse denn, daß ich bald sterben werde.«

»Amadeus! welche Idee!«

»Ich trage die Gewißheit in mir.«

»Aber ich bitte dich, wie kommst du darauf?«

»Ich bin vergiftet64

Der Abt stieß einen leisen Schrei aus.

»Ja!« – wiederholte Mozart mit dem Ausdruck tiefster Ueberzeugung – »ich bin vergiftet!«

»Aber« – sagte Stadler jetzt – »lieber, alter Freund, nimm mir's nicht übel, wie kannst du dir solchen Unsinn in den Kopf setzen!«

»Es ist kein Unsinn.«

»So gieb mir vernünftige Gründe dafür an.«

»Ich spüre es! Ich weiß es!«

Es entstand eine längere Pause. Endlich hob der Abt wieder an:

»Mozart!«

»Und?«

»Weißt du, was es heißt: Jemanden vergiften?«

»Ja, ich weiß es: es heißt einen Mord begehen.«

»Und wagt Mozart, der edelste und beste der Menschen, irgend einen seiner Brüder, seiner Mitmenschen, dieses Verbrechens anzuklagen?«[187]

»Nein! Ich weiß woher das Gift kommt; aber meine Lippen werden diese Ueberzeugung nie aussprechen. Doch genug davon. Ich habe dir nun, als dem Freunde meiner Seele, mein tiefstes Geheimniß mitgetheilt. – Du weißt nun, warum ich manchmal plötzlich so trübe, so schwermüthig werde; die kalte Hand des Todes hat mir dann an das Herz gegriffen, daß das lebensfrohe Blut mit Entsetzen aufzischt und im Schreck sich nach dem Kopfe drängt! – – – Dann weiß ich, meine Stunden sind gezählt, und der Schmerz, mein liebes, gutes Weib, meine armen Kinder in Noth und Sorgen zurückzulassen, schnürt mir die Seele zu. Ich selbst – fürchte den Tod nicht; es ruft mir, wie Tamino zu:


›Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann.

Schwingt er sich von der Erde himmelan.‹«


»Ich habe außerdem gethan, was ich konnte, und wenn mein letzter Athemzug verhaucht, ja wenn mein Körper längst in Staub und Asche zerfallen ist, dann – dies selige Bewußtsein trage ich in mir – dann werden meine Tonschöpfungen noch über die Erde wallen, und Tausende werden sich daran erfreuen, begeistern, erheben!«

Er schwieg, aber ein paar große Thränen funkelten in seinen Augen. Stadler biß die Zähne auf die Lippen, um seinen Schmerz nicht zu verrathen, aber in seinem Innern schrie es auf: und das ist das Schicksal eines Mozart!

So ganz wunderbar aber war dieser außergewöhnliche Mann organisirt, daß, als nach einer halben Stunde, die er an seinem Instrumente in den herrlichsten Phantasien zugebracht, sein lieber Schüler Süßmayer und seine Freunde Albrechtsberger und Schack eintraten, keine Spur der trüben Stimmung mehr in ihm war. Sie war in der That mehr auf Stadler übergegangen und Mozart scherzte mit den Ebenangekommenen auf's Neue – über den Text der Zauberflöte.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 181-188.
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