13.

In Paris.

[129] Die Familie Mozart war bereits in Paris angekommen und in dem Hôtel des baierischen Gesandten, Grafen von Eyck, abgestiegen. Die Nachricht von ihrem Eintreffen verbreitete sich denn auch sofort wie ein Lauffeuer über die Hauptstadt Frankreichs. Hatte doch Grimm, der sie sogleich aufgesucht und auf das herzlichste begrüßte, Sorge dafür getragen, daß die Tagesblätter der deutschen Wunderkinder auf das Wärmste gedachten. Und war eine solche außergewöhnliche Erscheinung nicht ganz für diese sanguinische Nation gemacht?[129]

Unstät, unruhig, für alles Neue und Eclatante sofort bis zum Uebermaß begeistert; vor allen Dingen dem Feinen, Leichten und Zierlichen huldigend, mußte schon die Nachricht von diesen kleinen Wunderblumen in dem Zaubergarten der Musik, .... von diesem siebenjährigen Clavier- und Orgel-Virtuosen und seiner allerliebsten, nicht minder geschickten eilfjährigen Schwester, die Franzosen elektrisiren.

Hier handelte es sich ja nicht von einem Eindringen in die Tiefen der Kunst; ... hier war ein Wunder zu sehen und zu hören, und noch dazu ein allerliebstes, das schon die deutschen Höfe, namentlich den damals befreundeten Kaiserhof zu Wien entzückt hatte. Welch' eine Nahrung für die Vergnügungs- und Zerstreuungssucht des übersättigten französischen Adels, der leidenschaftlichen, genußsüchtigen Pariser!

Grimm, selbst ein Musikfreund, war ganz glücklich; er kam daher seinen Landsleuten, die ja noch dazu an ihn empfohlen waren, auf die zuvorkommendste Weise entgegen, und führte sie, wie sich von selbst versteht, vor allen Dingen bei der Dame seines Herzens, bei Fräulein von Espinasse, ein.

Nun aber entstand in den Kreisen der Encyklopädisten eine neue Rivalität ... und zwar zwischen der reizenden Espinasse und der Gräfin Tessé, die die Kinder mit Liebe und Freundlichkeit geradezu überschütteten. Wolfgang ließ sich dies sehr gern gefallen und machte förmlich – freilich nach der Art der Kinder – der Espinasse den Hof, indem er ihr ganz unumwunden erklärte, daß sie die schönste Dame sei, die er noch gesehen, und daß er sie noch lieber als die kleine Erzherzogin von Oesterreich, die lockenköpfige Maria Antoinette, habe. Es stand also einer Verehelichung der schönen Französin mit Monsieur Wolfgangerl durchaus nichts im Wege, als daß sie – wie unser kleine Held sagte – noch zu schlecht deutsch spräche; und es war nun unendlich komisch, wenn er – sie auf ihr zukünftiges Glück vorbereitend – auf dem Sopha vor ihr stand und ihr Unterricht in der deutschen Sprache gab.

»Sag ... Hochachtung!« – rief Wolfgang, den Zeigefinger der rechten Hand empor gerichtet, wie man es macht, wenn man ein Schooßhündchen aufwarten läßt.

»Okaktunk!« – versetzte die Espinasse, indem sie sich mit aller Gewalt zwang, das Lachen zu verbeißen.[130]

»Ach was, Okaktunk!« – rief das Kind – »wie kann man denn nur Okaktunk sagen, es sind ja gar keine k in dem Wort. Gieb einmal Acht .... aber du mußt auch nicht lachen .... Hoch-acht-ung!«

»Ok-ak-tunk!« – wiederholte die hübsche Französin mit aller möglichen Anstrengung.

»Schrecklich!« – rief in köstlichem Pathos der Knabe, – »sie kann nicht ›ch‹ sagen: Hochachtung!«

Aber das Otaktunk kam immer wieder.

»Nun so sag' Arzt!« – fuhr der kleine Lehrmeister fort.

»Arst!« – versetzte Fräulein von Espinasse.

Wolfgang schüttelte ungeduldig sein kleines olympisches Haupt; faßte aber dann das Schelmenköpfchen seiner bezaubernden Schülerin unter dem Kinn, wand es sich zu, daß Aug' in Auge schaute und wiederholte: »Arzt

»Arstt!« – stammelte mit hellem Lachen die Schöne; aber Wolfgang sprang unwillig von dem Sopha herab und rief:

»Sie lernt nichts! ich kann sie nicht brauchen ..... und sie ist doch so schön!« – –

Aber auch die haute volée stritt sich um das Vergnügen, die Wunderkinder bei sich zu sehen und sie zu hören. Vor allen Dingen standen der Mozart'schen Familie die deutschen Barone von Hopfgarten und von Bose zur Seite; dann die Herzoge von Chartres und von Dürat, die Marquise Villeroi, Mylord Bedfort – der Paris mit Sterne ganz richtig dahin definirte: »The paradise of coquets – the Elysium of petits maitres – the centre of frivolity!«54 aber dem ohngeachtet unendlich gern in diesem Mittelpunkte der Frivolität lebte; – ferner Fürst Gallizin u.s.w. An Huldigungen aller Art fehlte es dabei nicht, und die Gräfin von Eyck hatte sich ein Vergnügen daraus gemacht, den Kindern ein besonderes Zimmerchen einzuräumen, in welchem sie die hunderterlei Geschenke, die sie erhielten, aufstellten.

Und in der That, es war eine kleine allerliebste Ausstellung, in deren Mitte Wolfgang und Nannerl mit kindlicher Lust und dem Behagen schönsten Selbstbewußtseins oft schwelgten. O wie reich träumten sie sich dann bei dem[131] Anblicke dieser goldenen Tabatieren, Uhren, Zahnstocher-Etuis, Ringe, Degenbänder, Bänder und Arm-Maschen, Blumen, Spitzen u.s.w.

Auch Baron von Bose hatte etwas hinzugelegt, was Wolfgang namentlich freute; nicht allein seines inneren Werthes wegen, sondern auch, weil er Bose, – der ein eben so freundlicher und leutseliger Mann, als tüchtiger Musikkenner war – liebte.

Es war ein schönes Buch, Gellerts Lieder, auf dessen erstem weißen Blatte stand:

»Nimm, kleiner siebenjähriger Orpheus, dies Buch aus der Hand deines Bruders und Freundes. Lies es oft – fühle seine göttlichen Gesänge und leihe ihnen (in diesen seligen Stunden der Empfindung) deine unwiderstehlichen Harmonien, damit sie der fühllose Religionsverächter lese – und aufmerke – damit er sie höre – und niederfalle und Gott anbete.

Friedrich Carl, Baron von Bose55

Das religiöse Gefühl des Deutschen, so ganz mit Vater Mozarts Ansichten Hand in Hand gehend, sprach hier beiläufig seine Indignation über die damals in der seinen Pariser Welt herrschenden, durch den Hof und die Encyklopädisten vertretenen, frivolen religiösen Ansichten aus. Aber auch die Poesie entfaltete ihre Flügel; denn als Vater Mozart und Wolfgang eines Morgens aus ihrem Schlafzimmer traten, stand ein Franzose, – den Hut auf dem Kopfe, die Hände in den Taschen der Beinkleider – mit dem Rücken an die Marmorbekleidung des Kamins gelehnt und trillerte heiter:


»La vie n'est qu'un voyage,

Tâchons de l'embellir.

Sémons sur le passage

Les roses du plaisir!«56


Als er aber die Eintretenden bemerkte, gab er sich mit ungemeiner Artigkeit und großem Selbstbewußtsein als einen[132] der berühmtesten Dichter Frankreichs zu erkennen, und bat Wolfgang unter den feurigsten Versicherungen seiner Hochachtung und Bewunderung, folgendes Gedicht anzunehmen:


Mortels chéris des Dieux et des Rois,

Que l'harmonie a de puissance!

Quand les sons modulès soupirent sous vos doigts,

Que de Finesse et de Science!

Pour Vous louer, on n'a que le silence.

Avec quel sentiment le bois vibre et frémit!

Un Corps muet devient sonore et sensible

A Vous, mortels heureux, est-il rien d'impossible!

Tout jusqu'au tacte en Vous a de l'esprit. 57


Wolfgang lachte herzlich, als der Mann fort war; weniger über das Gedicht, als über die enorme Artigkeit des Mannes; denn – wenn sich der Knabe auch noch nicht selbst geläufig in der französischen Sprache ausdrücken konnte, hatte er ihn doch recht wohl verstanden. Grimm aber, der gerade dazu kam, sagte:

»Es ist in der That etwas ganz eigenthümliches mit der Höflichkeit dieser Nation!«

»Mit dem einzigen Worte Monsieur und Madame könnte man durch ganz Frankreich reisen und ganze Gespräche führen. Man tritt in eine Loge und sagt mit einer höflichen Verbeugung: Monsieur! Das Compliment wird erwidert mit einem nicht minder artigen: Monsieur! – Man will sich durch eine Masse Menschen durchdrücken, es bedarf nur des Wortes: Monsieur! begleitet mit einem leisen Anstoß, und es wird mit einem eben so freundlichen: Monsieur! Platz gemacht. Da will es das Unglück, daß man einem Nachbar auf den Fuß tritt; ein scharfes, drohendes Monsieur! erschallt; aber eben so schnell beruhigt den Aufgebrachten auch unser sanftes, Verzeihung flehendes: Monsieur! wieder. Man wünscht die gedruckte Arie der Oper, eine Handbewegung nach ihr und ein fragendes: Monsieur? ist genug, Monsieur! entgegnet der Besitzer und reicht sie uns artig. Freilich« – setzte Grimm hier lächelnd hinzu – »kommt das Monsieur und Madame dem Fremden oft auch so häufig, daß er wohl versucht wird, es zu parodiren, wie es einst Condé bei dem Narren machte, der immer von Monsieur Papa und Madame Mama[133] sprach, indem er ausrief: Monsieur Jean dites à Monsieur mon cocher de mettre Messieurs mes chevaux à Madame ma voitures!«

Alle lachten, der Baron aber sagte zu dem Vice-Capellmeister: »Lassen wir indessen jetzt, mein Bester, die französische Artigkeit und kommen wir lieber auf eine ihrer schönsten Tugenden zu sprechen: die Bereitwilligkeit, alles Neue, was schön und gut ist, anzuerkennen.«

»O, Herr Baron!« – rief Vater Mozart – »davon haben wir ja die schlagendsten Beweise!«

»Das ist alles bis jetzt noch nichts!« – entgegnete der menschenfreundliche Grimm. – »Es soll noch ganz anders kommen.« Und ein Papier, das mit einem großen Siegel versehen war, aus der Tasche ziehend, und es dem Vice-Capellmeister hinreichend, setzte er strahlend hinzu: »Hier, mein Lieber, die Erlaubniß des Herrn Lieutenant général de la police, Ihre Concerte au Théatre de Mr. Félix, rue et porte St. Honoré geben zu dürfen.«

Wolfgang und der Vater waren außer sich vor Freude.

»Endlich! endlich!« – rief der Vice-Capellmeister – »wie sehnlichst haben ich und meine durch die Reise jämmerlich zugerichtete Kasse darauf gewartet!« – Aber Wolfgang hüpfte an Grimm hinauf, küßte ihn und rief: »Himmlischer Mann, laß Dich umarmen! Vivat! jetzt kann ich wieder einmal öffentlich spielen und zwar vor den Parisern!« – Und nach der Thüre laufend schrie er aus vollem Halse ganz selig in das Schlafzimmer der Mutter und der Schwester: »Nannerl! Nannerl! wir spielen! Herr Grimm hat's fertig gebracht, wir dürfen die Concerte geben!«

Und in seiner Wonne das Schooßhündchen ergreifend, das die Frau Gräfin von Eyck der Schwester geschenkt, schloß er es wie ein kleines Kind in seine Arme und tanzte mit ihm wie besessen im Zimmer herum.

Grimm schaute diesen Ausbrüchen der Freude mit unbeschreiblichem Vergnügen zu, während der Vater halb lachend, halb schmollend den Sohn schalt, daß er doch ewig ein »Kindskopf« bleibe.

»Aber« – frug die Mutter, die unterdessen mit Nannerl hereingetreten war, nachdem sie den edlen Hausfreund begrüßt – »wie haben Sie dies denn fertig gebracht?«[134]

»Ei!« – versetzte Grimm heiter – »wie man eben in Paris alles fertig bringt: durch schöne Frauen! Es war in der That nicht leicht, denn diese Erlaubniß läuft schnurgerade gegen die Privilegien der Oper, desConcert spirituel und der französischen und italienischen Theater. Da aber Monsieur Wolfgang einmal den schönsten Damen der Pariser Welt, Fräulein von Espinasse und der Gräfin Tessé, den Kopf verrückt hat, so setzte ich diese in Bewegung. Erstere stürmte nun so lange auf das Herz des Herrn Lieutenant général de la police, Letztere auf das des Königs, bis beide sich ergaben und als Friedensschluß die hier liegende Erlaubniß zum Vorschein kam!«

»O wie soll ich Ihnen danken!« – rief der Vice-Capellmeister – »Sie allein thun Alles für uns. Ich hatte Empfehlungsschreiben des französischen Botschafters in Wien und von dem Minister in Brüssel, Grafen Cobenzl, an den Prinzen Condé, an die Herzogin von Aiguillon, an die Marquise Dufourt und Andere, deren ich eine ganze Litanei herzählen könnte. Was habe ich von allen gehabt? .... nichts, als schöne Worte, leere Phrasen! Der einzige Grimm hat Alles gethan!«

»Nun, nun!« – versetzte Grimm freundlich – »erfordert dies nicht schon die Pflicht, die ich gegen Sie als Landsmann, als Deutscher, habe? und dann – wir sind alle eitle, selbstsüchtige Menschen – Sie sehen ja, wie ich als Protector der liebenswürdigen Familie Mozart glänze!«

»O!« – rief Wolfgang und stellte sich, das Schooßhündchen noch immer wie ein Kind im Arme haltend, gerade vor Grimm – »er macht sich schlechter, als er ist. Ich weiß, er thut es .... nicht um zu glänzen .... sondern, weil er uns lieb hat.«

»Da hast du recht!« – sagte Grimm und reichte dem Kleinen mit aufrichtiger Freundlichkeit die Hand. – »Die Tasche meiner Neuigkeiten ist indessen noch lange nicht ausgeleert. Also weiter.«

»Da ich wußte, daß wir die Erlaubniß zu den Concerten erhalten würden, gab ich mir selbst gleich die Erlaubniß, dafür Sorge zu tragen, daß meine Freunde auch Plätze erhalten würden. Ich legte deshalb Listen in unseren Bureaux d'esprit auf und erhielt in zwei Abenden 320 Unterschriften, wofür hier 80 Louisd'or sind.«[135]

Das war ein Wort für unseren praktischen und vorsorglichen Vice-Capellmeister. Der Sonnenschein der Freude lief über seine Züge, ein schmunzelndes behagliches Lächeln spielte um die Winkel seines Mundes, und schon wollte er auf's Neue in den wärmsten Dank ausbrechen, als Grimm mit beschwichtigenden Geberden rief: »St! lieber Mozart, das Beste kommt nach. Die Königin, die sonst fast niemals einen Wunsch gegen Monsieur d'Hebert, Trésorier des menus plaisirs du Roi ausspricht, hat sich wunderbarerweise sehr warm für Wolfgang verwendet. Sie will ihn und seine Schwester hören, und so ist höchsten Orts beschlossen worden, daß – trotz der Trauer für die Infantin – in diesen Tagen ein musikalischer Abend in den Privatgemächern der Königin stattfinden soll.«

»Hurra!« – rief Wolfgang und sprang hoch in die Höhe – »die Dame von Choisy-le-Roi hat Wort gehalten. Sie hat der Königin meinen Gruß gebracht und nun will die mich hören.«

»Was ist das?« – frug Grimm. Der Vater erzählte ihm die Sache; worauf ersterer, augenscheinlich sehr angenehm überrascht, ausrief: »Ja so, nun verstehe ich alles!«

»Aber wann soll ich denn vor der Königin spielen?« – frug jetzt Wolfgang. – »Ich bin sehr begierig, sie zu sehen!«

»Das eben wollen wir jetzt hören!« – versetzte Grimm. – »Denn ich bin gekommen, den Herrn Vice-Capellmeister und die Kinder abzuholen, um mit ihnen zu Monsieur d'Hebert zu fahren. Der Herr Trésorier des menus plaisirs du Roi wird Ihnen dann Tag und Stunde der Audienz anzeigen. Machen Sie also Toilette, meine Lieben, mein Wagen wartet unten.« – Und nach einer halben Stunde fuhren Grimm, der Vice-Capellmeister und die Kinder zu dem Trésorier des menus plaisirs du Roi!

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 129-136.
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