14.

Ein Abend am Hofe zu Versailles.

[136] Die Gemächer der Königin in dem Residenzschlosse zu Versailles waren geöffnet. Sie bildeten eine Flucht von fünfzehn Zimmern, von welchen man in unseren Zeiten jedes[136] einen Salon nennen würde. Jetzt erschimmerten sie in dem Lichtmeere von mehr denn 700 Tafelkerzen, die von zahllosen Kronleuchtern aus Bergcrystall und schwer vergoldeten Girandolen herabflammten, und den Glanz und die Pracht all dieser Marmorkamine, dieser Vergoldungen, Stuckatur-Arbeiten und Gemälde, dieser Uhren, Vasen, Statuen und kostbaren Teppiche, in den riesigen Spiegeln wie durch Zauber in hundertfacher Vervielfältigung wiedergaben.

Und doch waren diese Privatgemächer der Königin noch schlicht zu nennen gegen jene, welche die Marquise von Pompadour bewohnte, und die großen königlichen Säle und Apartements Ludwig XIV. und Ludwig XV.

Kannte man doch in jener Zeit kein fürstliches Schloß, das sich jenem von Versailles auch nur hätte vergleichen können! Versailles wird zuerst um das Jahr 1037 als ein unbedeutendes Dorf mit einer alten Ritterburg erwähnt. 1627 ließ Ludwig XIII. hier ein Jagdschloß anlegen, welches der Mittelpunkt der colossalen Anlagen geblieben ist, wodurch später Ludwig XIV. Versailles, nach Mansards Plan, zu einem der merkwürdigsten Punkte für die Geschichte der europäischen Kunst und Politik erhoben hat.

Die ersten Anlagen, welche Ludwig XIV. machen ließ, beschränkten sich auf Erweiterung des Parkes und Verschönerung des Jagdschlosses. Bald aber gefiel sich der König hier so gut, daß er beschloß, sich jährlich mehrere Monate daselbst aufzuhalten, und dies machte denn natürlich bedeutende Erweiterungen des Lustschlosses nöthig. Aber man ging mit Kraft und Energie daran, so daß der ungeheure Neubau 1672 bereits schon so weit vorgerückt war, daß Ludwig XIV. im Februar dieses Jahres seine Residenz zu Versailles aufschlagen konnte. In Folge mehrerer Privilegien stieg nun aber auch die Zahl der Privatwohnungen in der Nähe des königlichen Schlosses bald so hoch, daß Ludwig, um der unbegrenzten Baulust Grenzen zu setzen, 1713 jene Privilegien zurücknahm. Zu Ende der Regierung Ludwig XIV. zählte Versailles, welches bereits das Stadtrecht erhalten, schon gegen 100000 Einwohner, und blieb seitdem bis zu den Octobertagen 1789, wo Ludwig XVI. gezwungen wurde, den Sitz seiner Ahnen zu verlassen, königliche Residenz. Versailles war von nun an der Typus einer Menge von Schlössern. Obwohl die Einförmigkeit des Styles, in[137] welchem es erbaut worden, bei der ungeheueren Ausdehnung des Gebäudes – nur das Blei für seine Dächer kostete zweiunddreißig Millionen Livres! – für den Blick etwas Ermüdendes hat, so trügt das Ganze doch den Stempel der Majestät des Gedankens, der es hervorrief.

Dieselbe Größe herrscht aber auch in der Vertheilung der inneren Räume. Hier verdienen noch jetzt gerechte Bewunderung die Schloßpfarrkirche, Notre-Dame, die Schloßkapelle, der Opernsaal, der Saal des Herkules, der Saal des Mars, das Oeil de Beuf und vor allen Dingen die Gallerie Lebrun, so genannt nach den dort von Lebrun ausgeführten Gemälden. Sie nimmt, in Verbindung mit den Sälen des Krieges und Friedens zu beiden Seiten, die ganze Länge des Hauptgebäudes ein, und ist, bei einer Tiefe von 31 und einer Höhe von 40 Fuß, 217 Fuß lang. Siebenzehn ungeheuere Spiegel machen, ebensoviel mächtigen Bogenfenstern gegenüber, einen herrlichen Effect.

Und alle diese Säle und Gallerien zieren Werke der ersten französischen Maler, Bildhauer und Erzgießer, – Werke eines Lebrun, Lemoine, Lafosse, Blanchard, Jouvenet, Audran, Philipp von Champagne, July, Marsy, Coysevox, Girardin, Reg naudin, Couston, Keller, Aubry, Roger u.s.w.

Aber freilich kostete dieser königliche Riesenbau des prachtliebenden Ludwig XIV. das arme, schon so tief verschuldete Frankreich auch ganz unermeßliche Summen, die durch unglückliche Kriege und die rasenden Verschwendungen des Hofes bis zu der unglaublichen Höhe von 4000 Millionen stiegen. Vergeblich setzten alle auf einander folgenden Finanzminister: Machault, Moreau de Sechelles, Moras, Boulogne, Silhouette u.s.w. alle ihre Kräfte, ja ihr Leben daran, den sinkenden Staat zu retten; ihre Bemühungen waren um so vergeblicher, als eine Pompadour und Du Barry die Einnahmen des Landes wie in rasendem Taumel vergeudeten und verschleuderten.

So ward denn das furchtbare Wort der Ersteren zum Wahlspruch des Hofes und aller Welt, und bei dem tollsten Leben und den sinnlosesten Verschwendungen hieß es: Après nous le déluge!58[138]

Singend, schwelgend, jauchzend taumelte man an dem gähnenden Abgrunde dahin, der bald genug Ludwig XVI. und die arme unglückliche Maria Antoinette verschlingen sollte.

Wer dachte aber jetzt, – wer dachte heute auch nur an die Möglichkeit einer so unseligen Katastrophe? Wer hätte in den lichtstrahlenden, von Pracht strotzenden Zimmern der Königin, in welchen sich eine von Brillanten und Juwelen funkelnde Gesellschaft auf das heiterste bewegte, ahnen sollen, wie unterhöhlt dieser Boden sei! Zwar gab die Hoftrauer um die Infantin der heutigen Soirée äußerlich einen ernsteren Anstrich; aber ein einziger Blick auf die Mienen der Anwesenden, ein kurzes Lauschen auf die Conversation, die die verschiedenen Gruppen beschäftigte, bewiesen, daß hier von Ernst und Trauer nichts herrsche ... als die Farbe, nicht einmal ein Schein der Wahrheit!

Von hohem Interesse war aber gerade die Art der Gruppirung der sich im Haupt-Salon befindlichen Personen, die sich augenscheinlich wie funkelnde Crystalle um zwei Kerne ansetzten. Der König war noch nicht erschienen, da er spät von der Jagd zurückgekommen; wogegen sich die Königin in Mitten ihrer Getreuen auf einem prachtvollen Fauteuil niedergelassen. Aber wie klein war das Häuflein, das sie und die Prinzessinnen: Madame Adelaide und Madame Victoire, umgab; wie einfach und bescheiden erschien die Königin selbst; mit welcher anspruchslosen, von einer sichtlichen Schwermuth überschatteten Grazie pflegte sie die Unterhaltung, die sich über Gegenstände der Kunst und Religion verbreitete.

Ganz anders stand es mit der zweiten Gruppe, die sich – fast am andern Ende des Saales – um eine der Hofdamen der Königin, um die Marquise von Pompadour, gebildet hatte. Sie selbst, gleichfalls einen Sessel einnehmend, strahlte in einer Fülle von Brillanten, die auf den Gewändern von schwarzem Sammt mit doppelter Pracht funkelten und leuchteten. Dabei schmückte ihr Haupt ein Diadem, das einer Krone nicht unähnlich sah. Es war ein Geschenk des Königs und stellte ein Diamanten-Bouquet dar, in dessen Mitte sich eine prachtvolle Rose befand, die auf jeder Seite von sieben kleineren Rosen umgeben wurde. Collier, Armbänder und Bruststück entsprachen dem Diademe vollkommen und gaben der Marquise so sehr das Ansehen einer[139] Königin, daß die darin liegende Absichtlichkeit nur zu deutlich hervortrat. Dabei hatte sie einen Hermelin über ihre Füße breiten lassen und überschaute nun, nachlässig zurückgelegt, mit herablassenden Blicken den sie in weiteren und engeren Kreisen umgebenden Hofstaat, unter welchem sich, außer den Herzogen von Choiseul, Goutaut, Aiguillon, Richelieu und La Valette, der Abbé St. Cyr, der Chevalier von Montaigne, der Graf und die Gräfin von Campan, die Prinzen von Soubise und Guiche, sämmtliche Minister und fast alle übrigen Herren und Damen des Hofes befanden.

Die Situation war in der That zu glänzend, – die unersättliche Herrschsucht, der unbegrenzte Hochmuth der Marquise so sehr befriedigt, als daß ihre stolzen Blicke nicht von Zeit zu Zeit triumphirend nach der Königin geflogen wären. Aber die Tochter Stanislaus Leczinsky's war zu sehr an ähnliche Demüthigungen gewöhnt, die Kraft ihrer Seele schon zu lange gebrochen, als daß sie sich emporrichten und dies Weib hätte niederschmettern können. Auch der Sclave gewöhnt sich mit der Zeit an Schmach und Fesseln und in Maria von Frankreich war längst die Königin der religiösen Schwärmerin, der Dulderin und Märtyrerin zum Opfer gefallen. Sie war gut und fromm, aber geistig unbedeutend und schwach.

Anders freilich stand es mit den Prinzessinnen. Beide fühlten ihr königliches Blut bei solchen Auftritten empört durch ihre Adern rollen, aber sie mußten sich eben dem Herkommen und dem unbeugsamen Willen Ludwig XV., ihres Herrn und Königs, fügen.

Frau von Pompadour schien indessen heute sehr aufgeräumt zu sein, denn sie beliebte mit den sie zunächst umgebenden Herzogen von Choiseul und Aiguillon und dem Prinzen von Soubise zu scherzen, die denn auch mit der Bereitwilligkeit fein gebildeter Höflinge und der Leichtigkeit ihrer Nation auf die Laune der Gebieterin eingingen.

»Herr von Soubise,« – sagte sie jetzt in leichtfertiger Weise – »wissen Sie mir vielleicht zu sagen, warum Choiseul heute ein solches Trappistengesicht macht?«

»O ja, meine Gnädigste!« – entgegnete der alte vornehme Wüstling, aus dessen glitzernden Augen die höchste Frivolität, aus dessen faunenartigen Zügen die derbste Sinnlichkeit leuchtete. – »Er machte es heute wie Maenius einst am neuen Jahre im Capitol!«[140]

»Und was that der?«

»Er rief mit zum Himmel erhobenen Händen:« »Warum bin ich nicht vierzigtausend Thaler schuldig!« und als man ihn fing: »Wie so?« – antwortete er: »Ich würde hundert Procent gewinnen, wenn mich Jupiter erhörte, denn ich schulde achtzigtausend!«

Alle lachten, denn man wußte, daß Choiseul, der als unverbesserlicher Verschwender und Schuldenmacher bekannt war, wieder einmal in Schulden steckte.

»Da hat die Geschichte mit dem Service also nicht viel geholfen?« – rief spöttelnd der Herzog von Aiguillon.

»Nein!« – versetzte in komischem Pathos Choiseul. – »Man schöpft kein Meer mit einer Nußschaale aus.«

»Und darf man die Geschichte von dem Service hören?« – frug die Pompadour.

»Warum nicht!« – entgegnete Aiguillon heiter – »Sie ist eines Finanzministers wie Silhouette würdig.«

»Nun denn!«

»Als der Herr Herzog vorige Woche auf der neuerrichteten Porzellanfabrik von Sevres war; um die Fortschritte dieses, von unserer hochverehrten Gönnerin so warm protegirten Industriezweiges zu inspiciren, fand er in einem der Säle die herumliegenden Scherben eines kostbaren Service, das durch Zufall verunglückt war. Ein Blick ... und ein Gedanke! Choiseul läßt das werthlose Zeug in seinen Wagen und nach Hause bringen. Hier legt er am anderen Morgen mit höchst eigenen Händen, die sämmtlichen Scherben auf ein Tischchen an seiner Thüre. Keine zehn Minuten vergehen, ein ungestümer Mahner dringt ein, wirft den Tisch um .... und .... Choiseul und sein Gläubiger sind quitt!«

»Vortrefflich!« – rief die Pompadour laut lachend. – »Choiseul, Sie müssen die Finanzen übernehmen!«

»Um Gottes Willen!« – versetzte dieser – »ich habe genug zu thun, um mit dem Vermögen meines Vaters fertig zu werden.«

»Darum heißt es,« – trillerte Soubise


»Zwei Schelme müssen sein zu lang erspartem Gut;

Der eine, der's erwirbt, der andere, der's verthut?«


»Und,« – setzte Aiguillon hinzu – »möge die Frau Marquise nur die Rechnungsablage bedenken, die sollte dann gut ausfallen.«[141]

Die Pompadour zuckte spöttelnd mit den Achseln und sagte: – »Warum studirt man denn Geschichte. Perikles, in Verlegenheit, wie er dem Staate Rechnung ablege, sprach mit Alcibiades darüber. Da sagte dieser: Denken Ew. Excellenz vielmehr darauf, wie Sie keine ablegen

»Herrlich!« – »Superbe!« – riefen Soubise und Aiguillon.

»Und, bei Gott!« – fügte Choiseul hinzu – »solcher neuen Periklesse hat die Welt jetzt, so viel als Staaten sind.«

»Nun!« – versetzte die Frau Marquise, – »für was ist denn das dumme Volk da. Die Regierungen stehen fest, so lange der Witz auf ihrer Seite ist. Es giebt zwei Klassen von Dieben, solche, die gehangen werden, und solche, die es nicht werden! Alle Periklesse gehören zu der letzten!« – rief sie dann lachend – »und Choiseul auch!«

»Choiseul, wißt Ihr was?« – rief jetzt Soubise – »Ihr müßt Euch unsterblich machen und ein Werk schreiben.«

»Vielleicht über die Roués?« – frug dieser – »dann würde mir seine Hoheit, der Prinz von Soubise, den trefflichsten Stoff liefern.«

»Nein, nein!« – sagte Soubise und that als ob er nachsinne. – »Es könnte vielleicht den Titel tragen: L'art de faire des dettes et de promener les créanciers, par un homme comme il faut!«59

»Warum nicht!« – entgegnete Choiseul heiter. – »Der erste Grundsatz, den ich darin aufstellen würde, und den sich unser Finanzminister hinter die Ohren schreiben soll, wäre: Alte Schulden zahlen wir nicht und neue lassen wir alt werden!«

»Unübertrefflich!« – rief Soubise. – »Ich erlebe, daß es der edle Herzog bei diesen Grundsätzen, trotz seiner Schulden, noch zu einigen Millionen bringt.«

»Immer besser als der junge Graf von Brancas!« – versetzte Choiseul. – »Als dieser sah, daß er sich nicht mehr halten konnte, rief er seine Gläubiger zusammen, um sie zu befriedigen, ging aber die Nacht zuvor mit Sack und Pack zum Teufel. Die Gläubiger aber lasen an den leeren Wänden:«
[142]

»Créanciers! maudite canaille!

Commissaires, huissiers et recors,

Vous aurez bien le diable au corps,

Si vous emportez la muraille!«60


»O Choiseul! Choiseul!« – rief hier die Marquise, – »Ihr seid noch schlechter und noch boshafter als Soubise, und das will viel heißen! Was hat Euch der arme Graf Brancas gethan, daß Ihr ihn so grausam mitnehmt?«

»Meine Gnädige! ....«

»Kein Wort,« – sagte lachend die Pompadour, – »ich selbst übernehme es, Brancas an Euch zu rächen. Aiguillon?« – frug sie dann, diesem zugewandt, – »Habt Ihr Bleifeder und Papier?«

Der Herzog bejahte.

»Nun denn,« – fuhr sie fort, – »so schreibt die Grabschrift auf, die ich eben für Choiseul gemacht.«

»Die Grabschrift?« – rief der Herzog-Minister mit komischem Ernst.

»Ja!« – entgegnete die Marquise heiter, – »und Aiguillon haftet mir dafür, daß sie dem Herrn Herzog gesetzt wird.«

»Göttlich!« – rief Prinz Soubise, – »und wie lautet sie?«

Und die Marquise dictirte mit boshaftem Lächeln und so lauter Stimme, daß es selbst die Entfernteren hören konnten:


»Ci git Choiseul d'emprunteuse mémoire,

Qui toujours emprunta et jamais ne rendit.

Seigneur! s'il est dans votre gloire,

Çe n'est peut être qu'à crédit.«61


Der Witz war zu treffend, um nicht die allgemeinste Heiterkeit zu erregen, und so entstand ein solches Lachen, daß selbst die Königin über diese unerhörte Aufführung in ihren Apartements erblaßte. Madame Adelaide aber, die[143] älteste der Prinzessinnen, wollte eben ihrer Indignation in scharfen Worten Luft machen, als sich die Flügelthüren öffneten, und der Ruf: »Seine Majestät der König!« eine allgemeine Stille hervorbrachte.

Die Königin, die Prinzessinnen und Frau von Pompadour, – die einzigen, die bis jetzt gesessen hatten, – erhoben sich, während alle Anderen sich tief bückten und verneigten. Ludwig XV. aber grüßte mit einem leichten Kopfnicken, und schritt, den Vorschriften der Etiquette zufolge, auf seine Gemahlin zu, mit der er sich, dem Herkommen nach, nun eine Viertelstunde zu unterhalten hatte, worauf er bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich den Anwesenden das Zeichen zu geben pflegte, daß ein vollständig freies Bewegen einzutreten habe.

Diese Viertelstunde war, wie natürlich, für den ganzen Hof, der während derselben stehend und ohne zu sprechen verharren mußte, höchst peinlich; der stolzen Marquise von Pompadour aber schien sie heute auch demüthigend zu sein, denn sie bemerkte wohl, wie Madame Adelaide von Frankreich, welche an dem Gespräch mit dem Könige geflissentlich laut Theil nahm, jetzt ihre triumphirenden, die tiefste Verachtung sprühenden Blicke nach ihr sandte, – sie gleichsam ihre untergeordnete Stellung fühlen lassend.

Wie hätte sich dies die stolze, herrschsüchtige Frau, in deren Händen das Schicksal von ganz Frankreich ruhte, gefallen lassen können?

Eine flammende Röthe überflog ihre Züge und allem Zwang der Etiquette zum Trotz, wandte sie sich daher zu dem ihr zunächst stehenden Prinzen von Soubise und sagte zu diesem:

»Prinz, Sie sind heute langweiliger denn je!«

Soubise und der ganze Hof erbebte; denn Jedermann wußte, wie streng der König in solchen Dingen auf das übliche Herkommen hielt. Auch Madame Adelaide schaute hoch auf; sei es aber, daß es der König wirklich nicht hörte, oder aber – seiner stolzen Geliebten gegenüber – nicht den Muth hatte zu hören .... kurz, er sprach ruhig fort, und nun war die Reihe an Madame Adelaide, zu erbleichen, während Frau von Pompadour wie ein guter Feldherr den augenblicklichen Sieg benutzte, und mit der größten Ungezwungenheit mit dem Prinzen weiter sprach.[144]

»Geschwind!« – sagte sie, – »unterhalten Sie mich in dieser langweiligen Viertelstunde ein wenig. Wie ich schon von den kleinen Soupers her weiß, sind Sie unerschöpflich in Anekdoten aus Ihrem sündenreichen Leben. Erzählen Sie mir eine.«

»Aber ....« stotterte der sonst gewiß nicht blöde Soubise verlegen – »bedenken Sie, Gnädigste, die Stunde und den Ort!«

»O!« – entgegnete Frau von Pompadour höhnisch und bog stolz ihr Haupt zurück, so daß das prachtvolle Diadem, welches sie trug, in allen Farben des Regenbogens blitzte und funkelte. – »Wenn die Marquise von Pompadour Sie darum bittet, werden Sie es ihr gewiß nicht abschlagen.«

Aber der Prinz hatte sich auch schon von seiner ersten Ueberraschung erholt. Die Frau, mit der er sprach, war zwar nur des Königs Maitresse, aber .... sie war auch die allmächtige Herrscherin in Frankreich. Was bedurfte es mehr! Ein Wort von ihr machte ihn für jede Kühnheit unverantwortlich; ... aber .... ein Wort von ihr konnte ihn auch von dem Hofe von Versailles verbannen, und das wäre für einen Lebemann wie Soubise mehr als ein Todesurtheil gewesen.

Rasch und mit der Geschmeidigkeit eines routinirten Höflings verneigte er sich daher gegen seine Nachbarin und sagte:

»Ein so schöner Mund, wie der Ihre, darf nur befehlen und Soubise wird jedem Ihrer Wünsche entsprechen.«

»Nun denn!« – versetzte Frau von Pompadour, – »so befehle ich, daß Sie nicht langweilig sind!«

»Also eine Anekdote?«

»Ja, und eine unterhaltende, im Geschmack unserer kleinen Soupers!«

»Schön! Von Ludwig XIV.?«

»Wie Sie wollen, nur unterhaltend und nicht erlogen!«

»Wahr, unterhaltend und verliebt?«

»Vortrefflich!«

»Also! Ludwig XIV. begnügte sich – wie Sie, meine Gnädige, wohl wissen, nicht damit, den Herzog von Lauzun zu den höchsten Staatswürden zu erheben, sondern er vertraute ihm auch seine geheimsten Neigungen und verwickelte ihn selbst in seine galanten Abenteuer. Folgendes erzählte mir nun der Herzog lange Zeit nach seiner Rückkunft von Pignerol.[145]

Die Gräfin von Saisons, welche von Fräulein von Lavallière verdrängt worden war, suchte immer nach einer Gelegenheit, der neuen Geliebten des Königs zu schaden. Sie gab daher dem Fräulein von Haudancourt, einer Ehrendame der Königin von bemerkenswerther Schönheit, zu verstehen, daß es nur einiger Winke ihrerseits bedürfe, um die Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu ziehen.

In der That, der König, dessen edles Herz ewig von jener Liebespein gequält wurde, die für Menschen höherer Organisation allein das Glück des Lebens ausmacht, säumte nicht, dem Entgegenkommen der hübschen Dame zu entsprechen. Nun hatte bekannterweise der König im Louvre von jeher ungehinderten Zutritt zu den Gemächern der Ehrendamen. Er wollte sich daher auch jetzt dahin begeben, wie er es vor seiner Vermählung gethan hatte; aber der Eintritt war jetzt allen Männern durch die strenge Herzogin von Noailles untersagt.«

»Sehen Sie nur, Prinz,« – unterbrach hier die Marquise den Erzähler und ein höhnisches Feuer erglänzte in ihrem Auge, – »wie Madame Adelaide vor Zorn und Wuth über unser Gespräch zittert.«

»Bei Gott!« – versetzte Soubise, – »sie wird abwechselnd bleich und roth!«

»Sie hat es verdient!« – sagte Frau von Pompadour mit Härte – »aber fahren Sie fort Prinz, Sie erzählen allerliebst.«

Der Prinz biß sich auf die Lippen, denn er fühlte recht gut, welche Rolle er hier spielte: allein was war zu thun? Er fuhr also, die beste Laune affektirend, fort:

»Ludwig schwur und wetterte; sein Toben war umsonst; er mußte sich dem Verbote fügen und auf andere Mittel sinnen.«

»Ueber die Soubise nicht in Verlegenheit gekommen wäre!« – rief leichtfertig lächelnd die Marquise.

»Allerdings nicht!« versetzte der Prinz – »aber auch Ludwig wußte Auswege. Er versammelte seinen galanten großen Rath, der aus Lauzun, Guiche, Bardes und seinem schlauen Kammerdiener Bontems bestand, und die Hülfe war bald gefunden. Lauzun kannte die Localitäten genau; er war mit den Zugängen zu den Zimmern der Ehrendamen sehr vertraut und erklärte daher, daß für den[146] Augenblick der einzig mögliche Weg dahin über die Dachrinne und durch den Kamin führe.«

»Ein schöner Weg für einen König!« – sagte lachend die Marquise, ohne jedoch ihre Blicke von Madame zu wenden.

»Jeder Weg ist schön!« – versetzte der Prinz, und seine Augen leuchteten in lascivem Feuer auf, – »wenn er zur Eroberung eines geliebten Herzens führt! Der König gestand indessen doch, daß er sich auf diesem für ihn ganz neuen Schauplatz galanter Abenteuer etwas linkisch benehmen dürfte; aber er war doch bereit, den Weg zu betreten. Mitternacht wurde zum Rendezvous bestimmt. Die zu besuchenden Schönheiten hiervon erst zu benachrichtigen, hielt man jedoch für Zeitverschwendung, denn diese Damen waren zu geistvoll, als daß sie sich durch eine derartige Ueberraschung hätten verwirren lassen. Zur bestimmten Stunde also trat der galante große Rath seine abenteuerliche Fahrt über das Dach durch ein Mansardenfensterchen an. Der Weg, den sie zu machen hatten, war weder breit noch sicher, dennoch wurde er glücklich überwunden.«

»Ludwig XIV., glorreichen Angedenkens stieg durch den Schornstein und Kamin nach Lauzun hinab. Ihre Herzen schlugen hörbar; – jede Staffel der Strickleiter, die sie hinabkamen, schien ihnen eine an der Himmelsleiter hinauf, da ....« aber der Prinz Soubise unterbrach sich hier plötzlich mit den Worten: »Majestät scheint sein Gespräch vollendet zu haben .....«

»Das Ende, Prinz, – das Ende Ihrer Erzählung!« – rief die Marquise, der es gerade darum zu thun war, daß sie der König in Unterhaltung finde.

»Nun! .... der Teufel hat sein Spiel!« – fuhr Soubise fort – »die alte Herzogin von Noailles hatte Tags zuvor Fräulein von Haudancourt ausquartiert und selbst diese Zimmer bezogen. Sie schrie aus Leibeskräften: der Böse sei da! der Böse wolle sie holen und so hatten der König und Lauzun kaum Zeit ihren Rückzug im Sturmschritt anzutreten.«

»Der König!« – wiederholte der Prinz erblassend – »er schreitet auf Sie zu!«

»Weiter!« – befahl die Marquise heftig.

»Nun! die böse Welt flüstert sich, als die Sache ruchbar[147] geworden, zu, Ludwig habe für seinen Muth und sein Unglück doch noch den ersehnten Lohn gefunden!«

»Ei, sieh da!« – sagte jetzt der König herantretend in scharfem Tone – »die Frau Marquise scheinen sich sehr angenehm mit dem Herrn Prinzen von Soubise zu unterhalten?«

»Das Wappen der Langeweile ist ein aufgesperrter Kinnbacken. Wer wollte die Kühnheit haben, es neben die Lilien Frankreichs aufzupflanzen?« – versetzte Frau von Pompadour heiter und mit dem Zauber ihrer seelenvollen Stimme, während ihre tiefen, schönen Augen dem Könige einen Blick zuwarfen, der ihn im Innersten vor Lust erbeben machte.

Der König lächelte. Er lächelte über den Witz seiner Geliebten und über das, was ihm ihre Augen sagten, und das ihm nichts weniger als Langeweile versprach, die er in den Tod haßte.

»Freilich!« – versetzte er daher, und seine kleine Aufwallung über die Verletzung der ihm sonst so heiligen Etiquette war schon wieder vergessen, – »freilich! es giebt nichts langweiligeres, als die Langeweile, diese Krankheit der Seele, diese Geißel der Menschheit .....«

»Und« – fiel Frau von Pompadour ein – »diese Tochter des Hergebrachten und Veralteten! Sire, ein König von so viel Geist, wie Ludwig XV. wird uns den Rosenkranz der Anstandsziererei nicht bis zum letzten Kügelchen abbeten lassen!«

»Nein!« – versetzte der König geschmeichelt – »so grausam wollen Wir nicht sein. Wir wissen: das Leben ist eine Quarantaine für das Paradies! – und« – setzte er leiser hinzu: »Wir müssen Uns daher mit denjenigen halten, die Uns, von dieser Quarantaine aus, zeitweise Blicke in dasselbe gestatten. – Was meinen Sie Prinz?«

Soubise verneigte sich ehrfurchtsvoll! dann aber sagte er mit dem ihm eigenen Faunenlächeln:


»Aspettar e non venire,

Star in letto e non dormire,

Ben servir e non gradire,

Son trè cose a far morire!«62
[148]

»Er ist unverbesserlich!« – faßte der König lächelnd, indem er dem Prinzen mit dem Finger drohte – »aber die Apartements der Königin sind kein Choisy-le-Roi

Und dies sagend, gab seine Majestät das Zeichen, daß das große Ceremoniell aufhöre und die Abendunterhaltung beginnen könne.

Sofort gab sich denn auch eine allgemeine Bewegung kund. Man ging hierhin und dorthin; die zum Spiel der Majestäten Befohlenen nahmen unter tiefen Verneigungen ihre Ehrenplätze ein; andere Partieen arrangirten sich um Madame Adelaide und Madame Victoire, so wie um die Marquise von Pompadour, die sich mit dem Prinzen Soubise, der Gräfin von Campan und dem Herzog von Choiseul niedersetzte. Zugleich trugen mehrere Diener ein prachtvolles, fast ganz vergoldetes Clavier, das ungemein künstlich gearbeitet, lackirt und gemalt war, in den Salon der Königin während andere die Flügelthüren öffneten, die zu den Vorzimmern führten, in welchen sich die Künstler befanden, die den heutigen Abend durch ihre Talente verschönern sollten.

»Wir werden also heute einen ganz besonderen Genuß haben!« sagte jetzt mit einem Ausdruck kalter gezwungener Höflichkeit der König, der mit Madame Adelaide an einem Spieltische unweit dem der Königin saß – »einen Genuß, den wir zumeist Ihrer Majestät verdanken.«

»Ja, Sire!« – entgegnete die Königin mit einem ceremoniellen verbindlichen Lächeln, das aber den schmerzlichen Ausdruck ihrer Züge nur noch peinlicher machte: – »Wir haben uns der Hoffnung hingegeben, Unserem königlichen Gemahle eine unterhaltende Stunde bieten zu können, wenn Wir die deutschen Wunderkinder, die beiden kleinen Mozarts, die sich jetzt in Paris befinden, mit ihrem Vater hierher befahlen.«

»Wir haben von denselben gehört;« – versetzte der König, seine Karten ordnend; – Prinz Conti erzählte Uns Unglaubliches von ihnen. »Lassen Sie dieselben eintreten.«

Sofort begab sich Monsieur Hebert Trésorier des menus plaisirs du Roi an die Thüre des Vorzimmers und winkte dem Vice-Capellmeister, der denn auch, begleitet von seinen Kindern, mit der ihm eigenen bescheidenen und doch würdevollen Weise eintrat. Kaum aber hatte Wolfgang nach der ersten ceremoniellen Verbeugung die Königin erblickt, als er in ein[149] freudiges »Ah!« ausbrach und zum Staunen des ganzen Hofes mit freudestrahlendem Angesicht auf die Fürstin zueilte. Diese aber streckte dem freundlichen Knaben die Hände wohlwollend entgegen und sagte:

»Nicht wahr, mein Kleiner, ich habe Wort gehalten, und dich der Königin empfohlen!«

»Ja!« – entgegnete Wolfgang, – »Wort hast du gehalten und ich danke dir dafür; aber wo ist denn die Königin?«

»Wo sie ist?« – wiederholte Marie von Frankreich mit einem schmerzlichen Ausdrucke, indem sie dem Kinde mit mit ihrer kleinen, hübschen Hand liebkosend über die Stirne fuhr, – »ich bin es selbst!«

»Was? wie?« – rief hier überrascht der Knabe – »Du selbst ... bist die Königin von Frankreich?«

»Ja!«

»O wie freundlich und gut bist du« – sagte Wolfgang entzückt, – »jetzt hab' ich dich noch einmal so lieb!«

»Und dies« – setzte die Königin hinzu und wandte den kleinen Mozart mit dem kindlichen, offenen und ehrlichen Gesichte Ludwig XV. zu – »dies ist Seine Majestät.«

Der kleine Wolfgang verbeugte sich bei diesen Worten der hohen Frau mit soviel Anstand und Leichtigkeit, daß es einem kleinen französischen Prinzen Ehre gemacht hätte, und der König wohlgefällig lächelte; worauf er sich – da er kein Deutsch verstand – von seiner Gemahlin erklären ließ, auf welche Weise sie zu dieser Bekanntschaft gekommen sei.

Auch Nannerl und der Vater mußten nun näher treten, um den höchsten Herrschaften vorgestellt zu werden, wobei sich besonders Madame Vic toire de France, die zweite der Prinzessinnen, mit großer Herzlichkeit Wolfgangs annahm. Aber der Knabe war auch um so entzückter von ihr, als er schon nach kurzem in deutscher Sprache geführten Zwiegespräche, ihre große Vertrautheit mit und ihre begeisterte Verehrung für die Musik erkannte. Außerdem war sie ja auch eine Freundin der Gräfin Tessé, die jetzt hinter ihrem Sessel stand, und die dem Knaben schon viel Gutes und Schönes von dieser Prinzessin erzählt hatte.

»Éh bien!« – sagte jetzt der König – »Wir sind begierig Unsere kleinen Künstler nun zu hören!«[150]

Diese Worte waren Befehl. Beide Kinder setzten sich daher an das Clavier, um durch Vortrag einer vierhändigen sehr brillanten und schwierigen Piece ihr kleines Concert zu beginnen.

Das Spiel der Majestäten ging indessen ungestört fort.

Im Anfang achtete vom Hofe außer der Königin, Madame Victoire und der Gräfin Tessé Niemand besonders auf sie. So herrlich der Vortrag der Kinder auch war, man hatte Aehnliches schon gehört; und wie man in jenen höchsten Sphären der menschlichen Gesellschaft in allen Genüssen zu übersättigt zu sein pflegt, langweilt selbst das Vortreffliche; während man in der Zerstreutheit vergaß, daß Kinder vom zartesten Alter und nicht erwachsene Künstler, die ihr ganzes Leben an die Ueberwindung der größten technischen Schwierigkeiten gesetzt, hier spielten.

Es war daher auch nur Madame Victoire, die am Schlusse der Piece mit feurigen Worten ihren Beifall kund gab. Die Königin nickte zwar auch wohlgefällig, aber die Gleichgültigkeit ihres Gatten schnürte ihr die Brust zu. Sie vermochte kein Wort hervorzubringen. Nannerl standen die Thränen in den Augen und der kleine Wolfgang war über diese Kälte so indignirt, daß er das Notenheft höchst unsanft zuschlug, und – zum Vater tretend – sagte:

»Komm, Papa, gehen wir, die verstehen nichts von Musik!«

In der That hatte denn auch der Vice-Capellmeister die größte Mühe, den beleidigten Künstlerstolz des kleinen Maestro zu beschwichtigen. Aber er griff auch diesmal, als kluger, verständiger Mann, nicht fehl.

»Wenn du willst, Wolfgangerl,« – sagte er daher leise nach mehreren vergeblichen Versuchen der Beruhigung – »so ziehen wir uns zurück; aber was wird die Welt sagen, wenn sie hört: in Versailles sind die Mozarts, von welchen so viel Geschrei gemacht wird, so gut als durchgefallen. Sie trugen nur eine einzige Piece vor und diese ließ kalt. Wenn ich an deiner Stelle wäre, zwänge ich den König und den ganzen Hof durch ein doppelt schönes Spiel zur Anerkennung.«

In Wolfgangerls Augen blitzte es auf wie mit Sonnengluth. Es überlief ihn heiß. Sein Gesicht glühte; er fühlte so etwas in sich, wie ein Feldherr, der ein kleines Scharmützel verloren hat und nun bereit ist, die unbedeutende Scharte durch einen gewaltigen Sieg auszuwetzen.[151]

»Du hast recht, Papa!« – sagte er dann, und ohne ein Wort weiter zu verlieren, ging er auf den König zu, verneigte sich leicht und sagte: »Wollen Majestät mir ein Thema angeben, über welches ich phantasiren soll?« –

Ludwig blickte bei dem Klang der Kinderstimme erstaunt von den Karten auf. Er hatte in der That vergessen, was um ihn vorging.

»Ja so!« – sagte er – »die Kinder. Was will der Kleine?«

Madame Adelaide übersetzte ihm Wolfgangs Frage.

»Schön!« – erwiderte der König, dem die Keckheit des Knaben gefiel, und er gab ihm ein Thema aus einer damals sehr beliebten Oper Lully's.

Wolfgang verneigte sich abermals ganz chervaleresque, aber mit höchst ernsten Mienen, und setzte sich sofort an das Instrument.

Jetzt blickte Ludwig XV. schon aus Neugierde dem kleinen Trotzkopf nach, und spielte er auch weiter, so hörte er doch auch. Aber es dauerte gar nicht lange, da kam ein zeitweises Stocken in das Spiel der Majestäten und Prinzessinnen, ja mit einemmale warf der König seine Karten hin und stand ganz erstaunt auf.

Der Hof folgte natürlich, und Wolfgang, der es bemerkte, fühlte, wie es ihm wie glühende Lava durch die Adern rollte, – wie ein Strahl der Begeisterung durch Herz und Kopf zuckte.

Aber .... welch' ein Spiel war dies auch? War dies wirklich ein Kind von sieben Jahren, daß diese Töne dem Instrument entlockte? das, phantasirend, diese neuen musikalischen Gedanken schuf? diese Harmonien wach rief?

Der König strich sich mehr wie einmal mit der Hand über Augen und Stirne, als wollte er sich überzeugen, daß das, was er hörte und sah, weder Traum noch Zauberei sei. Der Königin Augen feuchteten sich und Madame Victoire, selbst eine Virtuosin auf dem Claviere, hatte Mühe ihr unbegrenztes Staunen und Entzücken nicht laut werden zu lassen. Alle diese Menschen aber, einen Soubise, eine Pompadour einbegriffen – fühlten sich seltsam berührt. Es geschah ihnen etwas ganz Ungewohntes: die unsichtbare Macht des Edeln,[152] Großen und Schönen ergriff sie, und hob sie hoch über den Staub der Trivialität. Sie fühlten sich – für Minuten – andere, bessere Menschen.

Wie wunderbar ist doch das innerste Wesen der Musik, wie wenig vermag doch der Mensch ihre tiefen Geheimnisse zu ergründen! Wie ein stilles göttliches Wehen durchzieht sie seine Brust; aber dies stille Wehen wird zur allgewaltigen Macht, die von seinem Innern Besitz nimmt und es mit einem so seligen verklärten Leben erfüllt, daß seines Geistes Schwingen ihn hoch emportragen über die Erde und das armselige Leben mit all seiner niederdrückenden Qual! Dann wächst der Mensch, gleichsam wie ein geistiger Riese – wie ein Titane – empor; göttliche Kraft durchdringt ihn, und sich unbewußt ganz hingebend an das ewige, göttliche, das Weltall erfüllende Sein, vernimmt und versteht er die Sprache der Schöpfung, ja, der Gottheit, und ruft – selbst Schöpfer werdend – Welten aus seinem Innern hervor; – Welten voll zauberhaften, himmlischen Lebens, die Jeden, der sie zu schauen vermag, mit unendlichem, unnennbarem Entzücken erfüllen!

So auch war es hier – wenigstens auf Momente – in diesen Sphären der derbsten Frivolität, des unbeschreiblichsten Leichtsinnes, der tiefsten Verdorbenheit. Es war, als ob ein milder Lufthauch die zauberisch-süßen Blüthendüfte von den Gestaden einer besseren, edleren Welt herübertrüge in dies Sodom und Gomorra der Civilisation. Auf Augenblicke sog Jedes mit tiefen Zügen den Balsamhauch des verlorenen Paradieses ein! – sog ihn ein: leicht froh, gehoben, ... vergessend, daß dies Eden längst für es verschlossen – verschlossen und bewacht durch den Cherub seines eigenen Gewissens – vertheidigt mit dem flammenden Schwerte des Schuldbewußtseins!

Wolfgang hatte geendet. Ein lautes »Bravo« des Königs gab das Signal zu einem – am Hofe zu Versailles seltenen – Beifallssturme. Madame Victoire, die Lieblingstochter Ludwig XV., eilte zu dem jungen, kindlichen Künstler hin, ihn auf das Innigste liebkosend und mit Küssen überdeckend.

Der König hatte sich unterdessen, sein Erstaunen auszudrücken, Frau von Pompadour genähert, und, da auch sie wünschte, den Wunderknaben näher zu sehen, gab er ein Zeichen, ihn herbeizuführen. Monsieur Hebert, Trésorier des menus[153] plaisirs du Roi, der bei solchen Gelegenheiten den Dienst als Ceremonienmeister versah, führte Wolfgang denn auch sofort zu der Marquise.

»Ein kleines Männchen,« – sagte sie spöttelnd – »aber doch ein großes Genie! Stellen Sie ihn vor mich auf den Tisch!«

Man that es, und da sie ihn nun – vor ihm stehend – gnädig anlächelte, neigte sich Wolfgang gegen sie hinüber, um sie, wie er es gewohnt war, zu küssen.

Aber Feuer und Flammen stiegen ihm in's Gesicht, als sich bei dieser Bewegung die stolze Frau zurückbog und ihn abwehrte, und unwillig rief er:

»Ei! wer ist denn die da, daß sie mich nicht küssen will? Hat mich doch die Kaiserin geküßt!«63

Glücklicherweise waren diese unvorsichtigen Worte des Kindes in deutscher Sprache herausgestoßen, und somit von Niemand, als den Seinen – die vor Entsetzen in die Erde zu sinken glaubten – und von der ferne stehenden Prinzessin Victoire – die sich köstlich darüber amüsirte – verstanden worden. Da indessen nun die Schleusen der Bewunderung aufgezogen und selbst der König warm geworden war, mußte Wolfgang von neuem Proben seines glänzenden Talentes abwechselnd mit seiner Schwester, oder auch mit dieser zusammen, ablegen. Hatte aber bis dahin die Verständigen die brillante Manier und die Tiefe seines Spieles, sowie die Fülle entzückender Ideen und die Kenntniß der Harmonie und der Modulationen, die der Genius dieses Kindes verrieth, entzückt, so riß nun die Masse das schon in Wien versuchte Kunststück, auch bei einer, mit einer Serviette verdeckten Claviatur vortrefflich und mit derselben Schnelligkeit und Präcision zu spielen, wie bei unbedeckter, zur größten Begeisterung hin.

Die gewöhnlichen, alltäglichen Menschen, sie mögen nun den höheren oder den niederen Sphären der Gesellschaft angehören, ziehen ja immer unterhaltende Kunststückchen der wahren Kunst, die ein tieferes Verständniß verlangt, vor. Nun gar Franzosen und Höflinge, die ohnedem gewöhnt sind, nur den Champagnerschaum des Lebens zu kosten![154]

Als daher Wolfgang dies Kunststück mehreremale mit seinen allerliebsten kleinen Händchen – die kaum fähig waren eine Sechste zu greifen – gemacht hatte, war Alles vor Bewunderung außer sich. Aber das ärgerte den kleinen Künstler, so daß er sich darüber ganz unumwunden gegen Madame Victoire, die sein ganzes Vertrauen gewonnen, aussprach.

»Sie verstehen Alle nichts von Musik!« – sagte er in komischem Pathos – »nur du verstehst etwas davon und darum will ich es auch mit dir zu thun haben. Gieb mir eine Aufgabe!«

»Geben Sie ihm einen Menuet,« – fiel hier die Gräfin Tessé ein, – »und lassen Sie ihn den Baß unterlegen.«

»Gut!« – versetzte Madame – »Monsieur Le Grand, wollen Sie dem Kleinen ein Menuet aufsetzen, damit er den Baß dazu schreibe!«

Monsieur Le Grand, der Musiklehrer der Prinzessinnen, nicht unbekannt durch seine Compositionen, trat lächelnd hinzu und entwarf mit ungläubiger Miene das Verlangte. Kaum aber war dies geschehen, ergriff das Kind mit der größten Unbefangenheit die Feder und setzte – ohne sich auch nur einmal dem Claviere zu nahen – den Baß vollkommen regelrecht unter den Menuet.

Monsieur Le Grand stand wie verwirrt, denn er wußte sehr wohl, daß er – ein alter tüchtiger Meister und Componist – das nicht zu leisten fähig wäre.

Aber das Erstaunen Aller, die Bewunderung für dies Phänomen sollte sich noch steigern.

»Nun!« – sagte jetzt Madame Adelaide von Frankreich, die sehr schön sang, – »wenn du ein solcher Tausendkünstler bist, so habe auch ich eine Aufgabe für dich.«

»Sprich!« – sagte freundlich und ohne die geringste Verlegenheit Wolfgang.

»Wärst du wohl im Stande, nach dem Gehöre und ohne mich anzusehen, eine italienische Cavatine, die ich auswendig weiß, zu begleiten?«

»Unmöglich!« – rief Le Grand – »das ist vollkommen unmöglich!«

»Ich will's versuchen!« – sagte der Knabe und eilte zum Clavier.

Madame Adelaide begann, sie sang vortrefflich und wahrhaft schön.[155]

Das Kind versuchte einen Baß, der nicht nach aller Strenge richtig war, weil es in der That unmöglich ist, die Begleitung eines Gesanges, den man nicht kennt, genau im Voraus anzugeben. Allein sobald die Cavatine zu Ende war, bat er die Prinzessin, von vorn wieder anzufangen, und nun spielte er nicht allein mit der rechten Hand das Ganze, sondern fügte zugleich mit der Linken den Baß ohne die geringste Verlegenheit hinzu; worauf er zehnmal hinter einander Madame ersuchte von Neuem anzufangen, und bei jeder Wiederholung veränderte er den Charakter seiner Begleitung.64

Dies war das Non plus ultra, was man je gehört – und dies von einem siebenjährigen Kinde!

Die Begeisterung für Wolfgang war aber auch so groß, so allgemein, so gewaltig, wie sie in diesem hohen, stets so vornehmsteifen und aristokratisch nüchternen Cirkel niemals sonst vorgekommen.

Madame Victoire de France ließ ihren kleinen Wolfgang gar nicht mehr aus den Armen. Sie löste selbst eine Diamant-Broche von ihrem Busen und steckte sie im Entzücken ihrem Liebling an, während ihn die Königin wie ein Vögelchen mit leckeren Bissen fütterte und der König sich an dem unbefangenen Geplauder des Kindes ergötzte, das die Königin ihm übersetzen mußte.

Welch' ein Abend war dies für unseren Helden! – – welche Vergötterung des Kindes! Und wie wird es sein, wenn Jahre verstrichen und der bis dahin zur größten Meisterschaft gereifte Genius wieder an dieser Stelle steht?

Fragen wir nicht. Die Weisheit des Ewigen hat mit Vaterliebe die Zukunft unserem Auge verhüllt, und über dem Haupte eines jeden Künstlers schweben in wunderbarer Verschlingung: Lorbeerkranz und Dornenkrone.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 136-156.
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