12.

Choisy-le-Roi.

[111] »Sind wir denn noch nicht bald in Paris?« – frug eine zarte Kinderstimme mit dem Ausdrucke der höchsten Ungeduld, aus dem Schlage eines Wagens heraus den Postillon, als dieser eben, um die Ecke eines Waldes biegend, abermals in ein kleines, armseliges französisches Dorf einfuhr.

»In zwei Stunden, Monsieur!« – war die Antwort des Postillons; aber .... im gleichen Augenblicke gab das Schicksal eine andere; denn die Pferde, scheu gemacht durch ein paar schreiend daherrennende Bauernkinder, sprangen zur Seite, und ehe der Postillon die Zügel noch anziehen konnte, war der Wagen mit solcher Gewalt gegen eine Mauer geschleudert, daß er krachend zusammenbrach.[111]

Der durchdringende Schrei zweier weiblichen Stimmen begleitete diese Katastrophe, die indessen für die Insassen des Wagens noch glücklich vorübergegangen war; denn unter dem Zusammenlauf der sogenannten Dorfjugend und dem Fluchen des Postillons entwanden sich jetzt mühselig vier Personen der umgestürzten Chaise. Es waren Vater Mozart mit Gattin und Kindern.

»Da haben wir die Bescheerung!« – sagte endlich der Vice-Capellmeister, nachdem er den Seinen zur Freiheit verholfen und sich überzeugt, daß Niemand ein Unglück zugestoßen – »jetzt sind wir vom frühen Morgen bis zur Stunde – ohne uns Ruhe zu gönnen – gefahren, haben Trinkgelder auf Trinkgelder bezahlt, um ja Paris noch am Tage zu erreichen und nun können wir vielleicht, zwei Stunden von der Hauptstadt entfernt, in einem elenden Neste übernachten!«

»Ach!« – seufzte die Capellmeisterin, deren Herz von dem Schrecken noch wie Hammerschläge pochte – »danken wir Gott, daß wir so davon gekommen sind!«

»Ja, Mutter!« – versetzte Vater Mozart – »das wollen wir auch, und in meinem ersten Briefe an Freund Hagemann in Salzburg will ich ihn bitten, vier heilige Messen zu Maria-Plain und eine bei dem heiligen Kindel zu Loretto lesen zu lassen;49 ..... aber unangenehm bleibt die Sache deshalb doch. Du weißt ja, daß man uns heute gegen Abend im Hotel des bayerischen Gesandten, Grafen von Eyck,50 der uns so freundlich eingeladen hat, erwartet. Dort sollen wir wohnen, .... die Zimmer sind bereitet, und nun liegen wir hier an der Landstraße. Hätten wir uns nur nicht durch den Besuch der gräflich Lillibonnischen Güter verleiten lassen, diesen Weg einzuschlagen.«

»Und wenn das nur kein böses Omen ist,« – seufzte die Mutter, die sich, um sich zu erholen, auf einen großen Stein gesetzt hatte. Aber Wolfgang sprang zu ihr, faßte sie ungestüm um den Hals, küßte sie und rief mit der ganzen Zuversicht der Jugend und des Genies: »Mama! sei unbesorgt, ich werfe nicht um!«

»Glaub's, Herzenskind!« – versetzte die Mutter mit freudestrahlenden Augen. – »Bin nur froh, daß wir Alle mit ganzen Gliedern davongekommen sind!«[112]

»Und das Rad und die Achse, die zerbrochen, wird man ja bald auch gemacht haben!« – meinte Nannerl.

»Wird eben nicht so geschwind gehen!« – versetzte der Postillon, den Hut etwas lüftend und sich verlegen auf dem Kopfe kratzend. – »Hier giebt es nur einen Wagner und der ist, wie ich so eben erfahre, im Felde. Weiß Gott, wenn er nach Hause kommt!«

»So schickt man nach ihm!« – meinte Wolfgang.

»Ja!« – rief der Postillon – »wird viel helfen; sein Schwager ist der Wirth des Dorfes und dem zu Gefallen bleibt er dann eher noch eine Stunde länger aus!«

»Schöne Aussichten!« – sagte der Alte – »wie heißt denn das Nest?«

»Choisy!« versetzte der Postillon.

»Choisy?« – wiederholte Wolfgang freudig.

»Ei, Papa, da muß ja auch hier das Schloß Choisy-le-Roi sein, von dem uns die Gräfin Lilli bonne so viel erzählt. Wie meinst du? Könnten wir nicht, während man auf die Rückkehr des Wagners und die Herstellung der Chaise wartet, nach dem Schlosse und seinen Gärten gehen?«

»Der Einfall, Männchen, ist gut!« sagte der Vater. – »Meine Glieder sind ohnedem von dem langen Fahren steif, ich sehne mich darnach, ein wenig zu gehen.«

»Nun, so geht!« – fiel hier die Mutter ein – »ich bleibe so lange bei dem Wagen und unseren Sachen zurück. Der Schreck ist mir ohnedem in die Beine gefahren, so daß ich lieber ausruhe.«

Es war somit ein Auskunftsmittel getroffen, die Zeit, die man hier nachgedrungen verbringen mußte, auf die vernünftigste Weise zu tödten, und so machte sich der Vater mit Wolfgang und Nannerl nach dem Schlosse auf den Weg.

Aber es war auch in der That der Mühe werth, diese prächtige Besitzung der Könige von Frankreich zu besichtigen; – diese Besitzung, an welche die Geschichte so viele Erinnerungen knüpft; – Erinnerungen der Freude und des Schmerzes, froher Tage voll Jubel und Seligkeit und Jahre der Thränen und bodenlosen Jammers!

Das Schloß – jetzt längst den Stürmen der Revolution erlegen und von deren wildbrandenden Wogen von der Erde hinweggespült – wurde im Jahre 1674 von der Prinzessin [113] von Montpensier, der Enkelin Heinrich IV., Tochter Gastons von Orleans, Nichte Ludwig XIII. und Base Ludwig XIV., erbaut.

Mademoiselle von Montpensier, deren Grundeigenthum von ungeheurer Ausdehnung war, die in Paris das Palais-Luxembourg und in der Provinz die Schlösser von Eu, Aumale, Thiers, Dombes, Ctâtellerault und Saint Fargeau besaß, fand, daß diesen prächtigen Wohnstätten, so fürstlich sie auch waren, ein Vorzug anderer ähnlicher Schlösser fehlte, nämlich der, daß sie nicht, wie Versailles, Sceaux und Saint-Germain, in der Nähe der Hauptstadt lagen. Sie wollte gern in deren Umgebung einen stillen Wohnort haben, wohin sie sich, wenn es ihr beliebte, von Zeit zu Zeit begeben konnte, – eine einsame Stätte, in die sie sich vor dem Geräusche der großen Welt flüchten, und der Belästigung der ceremoniösen Visiten entziehen, – ein ländliches Boudoir, wo sie unbelauscht ihrem liebeglühenden Herzen Luft machen konnte, und wo sie keine anderen Zeugen hatte, als die befiederten Sänger ihrer Gärten und die Schiffer, die auf den Gewässern der nahen Seine dahinruderten.

Diesen Zufluchtsort, diese liebliche Einsiedelei, dies ländliche Boudoir suchte und fand sie in dem Dorfe Choisy.

An den Ufern der Seine, inmitten großartiger Laubwaldungen und zahlreicher Alleen alter Linden, Ulmen und Pappeln gelegen, war ihre neue Wohnung vollkommen mit ihrem Seelenzustande in Uebereinstimmung. Der berühmte Lenotre, den sie nach Choisy holen ließ, um sich hinsichtlich der Anlage des Parkes und der Gebäude seines Rathes zu bedienen, war der Meinung, man müsse alle diese buschigen, dunklen Anpflanzungen niederschlagen, weil sie den Zugängen zu dem Schlosse hinderlich seien, das man sonst nur durch einige Waldlücken erblicken könne. Aber diese dichtbelaubten alten Bäume, diese laubenförmigen Alleen, dieses Halbdunkel, welches so wenig zu den Plänen Lenotre's paßte, harmonirte gerade mit den süßen, schwermüthigen Gedanken von Mademoiselle; deshalb schickte sie den Architekten Ludwig XIV. nach Versailles zurück und entschloß sich, nur die Pläne, welche ihre eigene Phantasie geschaffen hatte, in Ausführung bringen zu lassen.

Das nach ihren selbstentworfenen Plänen erbaute Schloß Choisy wurde nun und blieb ihr ganzes Leben lang der bevorzugte[114] Gegenstand ihrer aufmerksamsten Sorgfalt, und da sie es mit Recht als ihr Werk betrachtete, so liebte sie es, wie eine Mutter ihr Kind liebt, und schmückte es ohne Unterlaß mit neuen Zierden; sie wollte sogar, daß es ihren Namen trüge, so daß es bis zur Zeit Ludwig XV., wo es Choisy-le- Roi genannt wurde, nur unter dem Namen Choisy-Mademoiselle bekannt war.51

Aber wie herrlich hatte es Ludwig XV. wieder herstellen, wie großartig verschönern lassen!

Staunend standen jetzt Vater und Kinder vor diesem Wunderbau, zu dessen stolzer, prunkvoller Erscheinung alle Künste hatten beitragen müssen.

Außerhalb desselben sah man überall nur Statuen, Bosquets und Springbrunnen in marmornen Bassins; die äußeren Mauerwände selbst waren mit tausenderlei in Stein gemeißelten Ornamenten überladen; ja der kleine Wolfgang hatte Recht, als er bemerkte, daß es unmöglich sei, einen Blick auf das Gebäude zu werfen, ohne sogleich irgend einem pausbackigen Liebesgott zu begegnen, der nicht auf die anmuthigste Weise von der Welt dem staunenden Beschauer eine enorme Rosenguirlande entgegen halte. Ebenso war keine einzige Fenstereinfassung zu sehen, welche nicht mit dieser – in jener Zeit unvermeidlichen – Zierde gekrönt gewesen wäre.

Und nun gar das Innere des Schlosses, das ein höflicher Castellan den Fremden bereitwillig um ein kleines Trinkgeld öffnete: – wie prunkte es in der ganzen Pracht des französischen Renaissance-Styles! Da gab es nicht ein Fach des Holzgetäfels, auf welches nicht der Pinsel eines Boucher oder Vanloo, inmitten der anmuthigsten Sinnbilder, Götter, Göttinnen, Amoretten, Nymphen und Satyre hingezaubert hatte. Die ganze Mythologie war erschöpft und hätte von einem Wißbegierigen hier studirt werden können.

Da gab es keinen Plafond, keinen Karnies, an welchem das Gold nicht in reicher Fülle verschwendet worden wäre. Und dann diese zahllosen Spiegel – auch eine Eigenthümlichkeit der damaligen Bauart und Mode – die, zum Entzücken der Mozart'schen Kinder, ihnen ihre lieblichen Köpfchen in hundert getreuen Bildern zurückwarfen.

Sie verweilten lange in den Zimmern, dann aber drängte Wolfgang auch die Gärten zu sehen; denn ihm ward bange[115] in all' der todten Pracht, und sehnsüchtig schlug sein Herz der Freiheit und der Natur entgegen.

Während aber Vater Mozart mit den Kindern den langen Alleen und den vielen künstlich verschlungenen Wegen unter dem dichten grünen Laubdache hundertjähriger Eichen und Buchen entlang ging, kamen in einem anderen Gange des Parkes zwei ältere Damen langsam einhergeschritten. Sie waren beide nicht schön, aber dennoch sprachen die Züge der einen, bei einem Ausdruck von Hoheit, zugleich Milde und Menschenfreundlichkeit aus. Es war die Königin von Frankreich, die Tochter des entthronten Königs von Polen und Herzogs von Lothringen und Bar, Stanislaus Leczinsky's, die sanfte, fromme, vielgeprüfte Gemahlin Ludwig XV., gefolgt von ihrer Oberhofmeisterin.

Die tiefe Trauer, in welche sie und den Hof der vor wenigen Tagen erfolgte Tod der Infantin versetzt, stand dem bleichen Antlitze der königlichen Frau mit den Zügen tiefen langjährigen Kummers wohl an, aber sie machte sie noch bleicher, hob den Ausdruck einer, über der ganzen Erscheinung ruhenden Wehmuth nur noch schärfer hervor.

Aber welche Kränkungen und Zurücksetzungen hatte auch die arme Königin Marie seit langen Jahren ertragen müssen.

Als sie Ludwig XV., König von Frankreich, ehelichte, schien der Himmel das ganze Füllhorn des Glücks über sie ausgegossen zu haben. Marie war damals 22 Jahre alt, ihr königlicher Bräutigam aber – um jene Zeit ein Ideal der Schönheit und ritterlicher Tugenden – zählte deren erst fünfzehn. Aber Ludwig liebte und verehrte seine Gattin auch aufrichtig, so daß er einen entschiedenen Widerwillen gegen das Maitressenwesen zeigte, das unter seinen Vorgängern und der Regentschaft den französischen Hof Angesichts der ganzen Welt gebrandmarkt hatte. Alle Pläne der geschmeidigen Höflinge, die von der Sinnesänderung des Monarchen Nutzen zu ziehen hofften, scheiterten daher auch an der ehelichen Treue Ludwig's. Ja als einst einer dieser Elenden in seiner Nähe die Reize einer Dame geflissentlich bis in den Himmel erhob, trat der König auf ihn zu und frug: – »Hätten Sie wohl die Frechheit, diese Dame schöner als meine Gemahlin zu finden?« Von da an vermied man natürlich sorgfältig, diesen Punkt nur im entferntesten zu berühren; aber die schlauen Verführer gaben darum ihre Absichten nicht auf. Ein tugendhafter[116] König ist ja den Schlechten nie angenehm; denn es giebt keine besseren und sicheren Handhaben zur Beherrschung eines Regenten, als seine Schwächen. Man überließ sich also der Hoffnung, die Zeit werde den Monarchen schon anders stimmen. Und man hatte leider nicht vergebens gehofft.

Die Altersverschiedenheit des königlichen Paares wurde nach 10 Jahren fühlbarer; Ludwig's Zuneigung zur Königin, obgleich sie ihm schon mehrere Kinder geboren hatte, erkaltete allmälig, und nun trat auch die Verführungskunst wieder an das Licht. Der erste Schritt der Untreue machte den zweiten leicht, und schon nach wenigen Jahren war Ludwig XV. zu jenem unwürdigen Fürsten herabgesunken, der, durch Wollust, Andächtelei, Verschwendung und Despotismus, die Uebel des Staates unheilbar machte.

Seit jener Zeit war es um das Glück der armen Königin geschehen. In stillem Schmerz zerfließend, mußte sie sehen, wie eine Mailly ihre Nebenbuhlerin ward, wie diese wieder durch drei ihrer Schwestern verdrängt wurde; wie ihr Gatte, die letzte derselben, die schöne Frau von Tourelle, als seine Herzenskönigin erhob, und wie endlich die Marquise von Pompadour – die sie selbst als Ehrendame annehmen mußte – alles Andere bei dem Könige verdrängte; ja wie dieses Weib sich als Königin geberdete und Frankreich mit unerhörtem Despotismus regierte.

Und dennoch vergab sich die Tochter Stanislaus Leczinsky's nichts. Allen Schmerz, allen Kummer verschloß sie tief in ihr Herz und während sie so viele ihrer Nächte durchweinte, zeigte sie dem Könige, dem Hofe und der Welt ein sanftes freundliches Antlitz. Die Religion war dabei ihre einzige Stütze; wer wird es da der königlichen Dulderin verübeln, wenn sie nun ihr Alles in der Kirche und einer übertriebenen Kirchlichkeit fand. Der König ließ ihr übrigens dazu Zeit genug, weil er die seine zwischen der Pompadour, der Annehmlichkeiten des Hirsch-Parkes, der Frankreich eine Milliarde kostete, der Jagd und scandaleusen Orgien theilte. Die Königin Marie war daher auch am glücklichsten, wenn sie von Zeit zu Zeit, begleitet von ihrer Oberhofmeisterin, der Herzogin von Ayas, Versailles verlassen und sich auf Stunden nach einem der benachbarten Schlösser begeben konnte.

So hatte sie denn auch heute die über den Hof verhängte Trauer benutzt, um in der Einsamkeit von Choisy-le-Roi[117] ihren Träumen und Schmerzen nachzuhängen. Aber sie selbst fühlte jetzt bei ihrem Dortsein, daß sie in der Wahl des Orts nicht glücklich gewesen. Auch an diese Alleen, mit ihren buschigen Seitengängen und versteckten Plätzchen, auch an dieses Schloß, mit seinen prachtvollen Hallen und Sälen und Zimmern knüpften sich peinliche Erinnerungen.

Sie sprach dies eben gegen ihre Gefährtin, die Herzogin von Ayas, aus:

»Aber,« – setzte sie dann schmerzlich bewegt hinzu, – »wo soll ich Arme freilich hingehen, um nicht auf Zeugen meiner Schmach und meiner Schande zu stoßen? – Die Königin von Frankreich, so reich an den herrlichsten Besitzungen, ist doch ärmer, als ihre ärmste Unterthanin, der die Liebe ihres Gatten den geringfügigsten Besitz doppelt werth macht.«

»Aber, Majestät!« versetzte die Herzogin, – »warum auch Alles in den schwärzesten Farben sehen. Choisy-le-Roi hat der geschichtlichen Erinnerungen so viele, daß wir uns ja nicht an diejenigen anklammern müssen, die uns gerade peinlich sind.«

»Der geschichtlichen Erinnerungen!« – wiederholte die Königin. – »O ja! die Prinzessin von Montpensier, die es erbaut, hat hier Jahre lang um den von ihr so sehr geliebten Gatten geweint, um diesen elenden Lauzun, den sie aus dem Staube erhoben, und der sie dafür verachtete, ihre Güter verpraßte und das arme Weib so schmählich mißhandelte, daß er einst, von einer Jagdpartie zurückgekehrt, Mademoiselle zurief: Louise von Orleans, zieh mir die Stiefeln aus! und ihr, als sie – die Nichte Ludwigs XIII. – ihn mit verächtlichen Blicken zurückwies, einen Fußtritt versetzte.«

»Es war ein Elender!« – versetzte die Oberhofmeisterin im Tone tiefster Verachtung, – »ein Elender, der in Mademoiselle die Krone und das Weib beschimpfte; aber .... Majestät! lag nicht auch hierin eine Fügung Gottes? Jener Fußtritt machte, daß die Prinzessin fortan ihr Leben nur frommen und religiösen Uebungen weihte und zu einer wahren Heiligen ward.«

»Ja!« – sagte die Königin, mit einem trüben Blicke und einem sanften Neigen des Kopfes, – »und brach ihr das Herz!«[118]

»Nun denn!« – fuhr die Herzogin fort, – »desto heiterer ging es hier unter dem Großdauphin zu. Der Sohn Ludwig XIV. und Zögling Bossuet's schlug in Choisy den Sitz der Freude auf.«

»An was erinnern Sie mich, Herzogin!« – rief hier die Königin, – »War es nicht Fräulein von Rambure, eine Hofdame seiner Gemahlin, mit deren Liebe er hier seine erotische Laufbahn begann? War es nicht die Schauspielerin Raisin, der hier die tollsten Feste gegeben wurden? O, meine Liebe,« – fuhr Marie traurig fort, – »das Alles ruft mir eben die kleinen Soupers von Choisy-le-Roi in das Gedächtniß, die auch mein Gatte hier feiert.«

»Er ist König!« – sagte mit besonderer Betonung die Ayas.

»Aber auch Mensch, Christ und Gatte!« – versetzte die Königin, – »und er war einst so gut, so edel, so treu!«

»Die Stellung eines Herrschers ist eine schwierige!« – fuhr die Oberhofmeisterin beschwichtigend fort, – »die vielen Versuchungen ...«

»O! ich kenne seine Verführer!« – rief Marie schmerzlich bewegt. – »Es sind dieselben, mit welchen er hier jene unseligen kleinen Soupers hält: der Prinz von Soubise, die Herzoge von Duras und Richelieu

»Majestät!« – bat in aufrichtiger Theilnahme die Herzogin von Ayas, – »vergessen Sie! ... Werfen Sie den Schleier der christlichen Liebe über diese kleinen Sünden eines sonst großen Königs.«

»Meine gute Ayas!« – entgegnete die Königin sanft, – »Du weißt, daß ich für meinen Gatten und König kein Wort, keine Miene des Vorwurfs habe. Diese Zeiten sind längst vorüber. Mein Herz ist – ihm gegenüber, – begraben und todt, so wie ich todt für ihn bin. Nur als eine Puppe figurire ich noch am Hofe: einzig, um durch die Pracht meiner Staatskleider, das Flimmern meiner Krone, das Blitzen meiner Brillanten und den eitlen Prunk meiner Umgebung den Glanz des Hofes Ludwig XV. zu erhöhen, duldet, ja wünscht man es, daß ich dort noch erscheine. Aber für mich und meinen Schmerz ist dies Herz leider noch nicht abgestorben. Darum, meine alte, treue Freundin, gönne mir, daß ich hier und gegen dich, mich ausspreche, ausweine in der Einsamkeit. O ich weiß es,« – fuhr dann die Königin fort, den schmerzlichen[119] Blick auf die Zimmer des Schlosses gerichtet, das aus der Ferne, vergoldet von den Strahlen der sich neigenden Sonne, stolz und spöttelnd auf sie herniederblickte, – »o ich weiß es nur zu gut, daß bei diesen vertraulichen Zusammenkünften der König beim Eintritt in diese Räume seine Majestät ablegt; dann giebt es für Alle, die geladen sind, – Herren und Damen keine Etiquette mehr. Jedes kann seiner Laune die Zügel schießen lassen und den Frohsinn seines Naturells, so wie die Begabung seines Temperaments an den Tag legen. Ich weiß es,« – fuhr die Königin in gesteigerter schmerzlicher Erregung fort, – »daß bei diesen auserlesenen, unseligen kleinen Soupers ein ununterbrochenes Kreuzfeuer pikanter Witze, unlauterer Epigramme unterhalten wird ....«

»O Majestät!« – wagte die Oberhofmeisterin zu unterbrechen, – »diese Gäste sind keine großen Geister ...«

»Aber sie besitzen jenen Scharfsinn,« – sagte die Königin, ihre Hand auf den Arm der Herzogin von Ayas legend, – »jene Sicherheit, jene kecke Frivolität, die in der feinen Welt als Geist gelten. Und dann,« – fuhr die Fürstin immer erregter fort und ein leises Fieberroth zeigte sich auf ihren sonst so bleichen Wangen, – »gegen Ende des Mahles, wenn die Köpfe durch reiche Libationen der edelsten Weine erhitzt sind, wird die Unterhaltung lebhafter, die Manieren gestalten sich freier und jede Grenze fällt – ich will nicht sagen des Anstandes – wohl aber der Achtung, welche sich Jeder selbst schuldig ist, sei er nun König, Herzog oder Bettler!«

Und die Königin verhüllte bei diesen Worten ihr Antlitz mit dem feinen kostbar gestickten Battisttuche, das sie in der Hand hielt, um ihre Thränen zu verbergen und ihr leises Schluchzen zu ersticken.

Die Oberhofmeisterin war tief ergriffen, aber sie war zugleich auch indignirt, daß man es gewagt, der Gattin Ludwig XV. solche genaue Berichte über die Ausschweifungen ihres Gemahls zu geben.

»Und sollte sich Ew. Majestät hier nicht von Ihrer aufgeregten Phantasie täuschen lassen?« – sagte die Herzogin.

»Nein, meine Liebe!« versetzte die Fürstin, ihre Thränen trocknend. – »Ich weiß das Alles aus guter Quelle.«

»Und wer konnte so grausam sein, das edle Herz meiner hohen Gebieterin durch solche Berichte so tief zu verletzen?« frug Frau von Ayas weiter.[120]

»Diese Wunden wurden und werden in guter Absicht geschlagen,« – entgegnete die Tochter Stanislaus Leczinsky's, – »um das Herz einer armen Büßerin ganz von den Banden der Erde zu befreien. Ich verdanke diese Berichte meinem Beichtvater.«

»Pater Chaulie also!« – sagte die Herzogin mit devoter Miene – »da muß ich schweigen.«

»Und dieser Soubise!« – fuhr die Königin fort, und, all ihrer Sanftmuth ungeachtet, blitzte jener keusche Zorn aus ihren Augen, der die Tugend entflammt, wenn sie dem Laster gegenüber tritt, – »dieser Soubise, dieser fünfzigjährige Wollüstling, dieser Charles von Rohan, dieser Prinz, der sich nicht schämt, ein feiger Diener einer Pompadour zu sein; dem die unselige Schlacht bei Roßbach das Siegel der Schmach auf die Stirne gedrückt, das kein Marschallstab wieder lösen kann, ... er ist der Führer in diesen Gesellschaften, wie er von je der Verführer meines einst so guten Gatten war. Wissen Sie, Herzogin, was er bei dem letzten Souper von sich selbst erzählte?«

»Nein, Majestät!« – versetzte die Herzogin – »aber sollte der Bericht davon Ew. Majestät nicht allzusehr aufregen?«

»Nein, mein Kind!« – sagte die Königin gelassen – »vergönne meinem armen Herzen, daß es sich ausspricht. Es wird dadurch leichter. Setzen wir uns einige Minuten auf diese Marmorbank. Es ist ein schönes Plätzchen. Sieh' nur wie diese Trauerweide ihre thränenschweren Aeste über jene Urne senkt; – o gewiß, hier hat die arme Erbauerin von Choisy-le-Roi auch oft gesessen und mit feuchtem Auge in die dunklen Wipfel dieser Bäume geschaut.«

Die Königin schwieg hier einen Augenblick und schien zu lauschen.

»Horch!« – sagte sie dann und ein wunderbarer melancholischer Ausdruck belebte die Züge ihres Antlitzes. – »Horch! flüstert es da nicht in den Zweigen, – – rauscht es da nicht wie ferne, ferne Melodien?«

Und in der That hörte man jetzt wunderbar schöne Accorde, die, wie aus der Unendlichkeit Tiefen, leise, leise auf den Flügeln des Abendwindes herüberschwebten, wie Grüße aus einer besseren Welt.

»Seltsam!« – rief die Oberhofmeisterin, und ein leichter Schauer durchrieselte sie. – »Auch ich höre eine ferne wunderschöne[121] Musik. Es klingt wie Orgelton, und doch – die einzige Orgel, die Choisy-le-Roi aufzuweisen hat, befindet sich in der Kapelle des Parkes. Wer aber sollte und könnte die jetzt spielen; denn hier ist kein Organist, wenn der Hof hier nicht wohnt.«

Aber die leisen, fernen Töne klangen fort und fort, so süß und wieder so fromm, in so seltsam fremdartiger Weise und doch auch wieder so sehr zum Herzen sprechend, daß beiden Frauen die Thränen in die Augen traten. Unwillkürlich hatten sie die Hände gefaltet und lauschten – halb hörend, halb betend – bis es still und stiller ward und sich endlich wieder die tiefe Ruhe, das großartige Schweigen der Einsamkeit über die weiten Räume des Parkes lagerten.

»Das waren keine irdischen Töne!« – sagte jetzt die zu jeder religiösen Schwärmerei nur zu geneigte Königin. – »Ich fühle es in meinem Innern, es waren die Stimmen der Geister dieses Schlosses, die mein Herz beruhigen wollten. Es ist ihnen gelungen und so will ich Ihnen, Herzogin, nun mit Ruhe erzählen, was ich vorhin mit leidenschaftlicher Erregung thun wollte. Ich will es, damit Sie sehen, welch ein Mensch dieser Soubise ist; – damit Sie erkennen, daß in solcher Gesellschaft auch das edelste Herz untergehen muß .... und edel, gut und groß war Ludwig, .... da er noch mein war.«

Die Königin hielt hier abermals einige Minuten, wie in Gedanken verloren, inne; dann fuhr sie mit ihrem Tuche über die Stirne als wolle sie die Bilder längst vergangener Zeiten verwischen, und hub an:

»Es war bei dem letzten kleinen Souper, welches der König hier in Choisy-le-Roi gegeben, als er sich etwas ermatteter wie gewöhnlich fühlte. Er wollte daher das geräuschvolle Vergnügen, das unter seinen wenigen auserlesenen Gästen herrschte, ein wenig mildern, und schlug deshalb der Gesellschaft vor, das Souper dadurch zu beschließen, daß jedes der Anwesenden ein pikantes Abenteuer aus seinem Leben erzähle.

Der Vorschlag war neu und wurde bereitwillig angenommen, und da Ludwig den Prinzen von Soubise als denjenigen bezeichnete, der den Anfang machen solle, so erzählte dieser folgende Geschichte:

Als ich zwanzig Jahre alt war, hatte ich eine hübsche[122] Gestalt und eine elegante Haltung. Dabei befand ich mich im Besitz eines Vermögens, welches meinem Aeußeren einen noch höheren Werth verlieh, während mich die größte Lust von der Welt beseelte, mich zu Grunde zu richten, – eine Lust, welche ich seitdem vollkommen befriedigt habe, zumal, wie ich bald merkte, die Frauen keinen Abscheu vor mir zeigten, und es, mein Herz zu entstammen, durchaus nicht nöthig war, daß sie Sprößlinge edler Häuser seien, oder Gewänder von Sammt und Seide trugen.«

»O!« – sagte hier die Oberhofmeisterin, – »der Frivole. Ich höre ihn ordentlich in diesen lasciven Worten!«

»Hören Sie nur weiter, es kommt noch besser!« – versetzte die Königin. –

»Mein erster Kammerdiener, – fuhr also Soubise fort, – hieß Finot und war ein eben so schlechtes Subject, trotzdem, daß er nur Kammerdiener war, wie so mancher vornehme Seigneur bei Hofe.«

»Das heißt wenigstens die Wahrheit sprechen!« – meinte Frau von Ayas.

»Namentlich wenn es der Herzog auf sich bezog!« – sagte die Königin, dann fuhr sie also fort: »Eines Tages sprach er mir mit Begeisterung von einer seiner Cousinen, die schön wie ein Engel und keusch wie eine Vestalin sei. Er hatte mit ihr von Liebe gesprochen, aber trotz seiner großen Erfahrungen hatte er sein Ziel doch nicht erreicht; denn das Mädchen wußte, daß ihr Cousin Finot bereits verheirathet sei. Sie wies ihn daher schnöde ab.«

»Dies alles, sagte Soubise, hatte mir Finot erzählt, und nicht ohne Absicht; denn als er jetzt bemerkte, daß seine Schilderung der schönen Annette Dumont mich zu entflammen begann, setzte er mit pfiffiger Miene hinzu: Monseigneur, Sie sind – außer Seiner Majestät – der hübscheste junge Herr des ganzen Königreichs; an ihrer Stelle würde ich dieser kleinen Coquette den Hof machen; Ihnen wird sie nicht widerstehen können: Sie werden glücklich sein, und ich, ich werde den Trost einer famosen Rache haben.«

»Abscheulich!«

»Die Idee Finot's, – erzählte Soubise weiter, – mißfiel mir nicht. Es war dies ein Abenteuer nach meinem Geschmack; ich sehnte mich, das reizende Mädchen zu sehen und ward von den damit verbundenen Schwierigkeiten erst recht[123] aufgestachelt. Mich in dem Glanze meines Ranges ihr zu nahen, war unmöglich, denn ihre Eltern, rechtschaffene Handwerksleute, vollgepfropft von den lächerlichsten Begriffen von Tugend und Ehrbarkeit, würden dies nie gelitten haben. Finot aber war ein köstlicher Bursche voller Ränke und Schliche. Auf seinen Rath zog ich den Livreerock eines meiner Bedienten an und war nun mein zweiter Kammerdiener, der College Finot's und sein Freund. In dieser Eigenschaft wurde ich denn auch seinem Onkel und seiner Tante vorgestellt und selbst von der Tochter freundlich aufgenommen.«

»Nie!« – rief hier Soubise aus, – so erzählte die Königin weiter, – »nie habe ich ein reizenderes Mädchen gesehen. Sie hatte ein wahrhaftes Engelsgesicht; Augen von unbeschreiblicher Tiefe, einen schönen Wuchs, und so kleine Hände und Füße, daß sie einer Prinzessin Ehre gemacht hätten. Kurz ich verliebte mich sogleich sterblich in sie.«

»Da gehörte allerdings nicht sehr viel dazu!« – meinte die Herzogin.

»Gewiß nicht!« – versetzte ihre königliche Gebieterin, – »aber hören wir weiter, was Monseigneur erzählte: Ich war galant und aufmerksam und so gestand sie mir denn nach einigen Besuchen, daß ich ihr nicht mißfalle; aber .... sie sprach von solider Liebe .... und .... vom Heirathen. Ich machte ihr also begreiflich, daß ich für jetzt noch nicht daran denken könne, da ich erst zu kurze Zeit im Dienst des Prinzen stehe. Unterdessen gestattete sie mir, ihr den Hof zu machen und .... ich benutzte diese Gelegenheit so gut ich konnte.«

»O Gott!« rief hier die Oberhofmeisterin empört, – »welche Frevler sind doch die Männer!! Bei allen Heiligen! es ist in der That ein Wunder göttlicher Gnade und Langmuth, daß er dies ganze Geschlecht nicht schon längst vertilgt hat!«

Die Königin seufzte tief auf.

»Und doch,« – sagte sie dann mit gepreßter Stimme, – »sind wir immer wieder so schwach, sie zu lieben!«

»Majestät!« – rief die Herzogin, den Kopf stolz in den Nacken werfend, und ihre Mienen nahmen einen Ausdruck erschreckender Härte an, – »nicht Alle sind dies. Ich kenne seine Hoheit den Herzog von Ayas nur noch dem Namen nach.«

»Sie!« – versetzte die Königin trübe und legte mild und beruhigend ihre Hand auf die ihrer Vertrauten, – »aber nicht alle Herzen sind auch so stark, wie das Ihre.«[124]

Die Oberhofmeisterin zuckte leise mit den Achseln, und es war, als ob ein Zug spöttischen Lächelns über ihr Antlitz gleite; aber er verschwand in demselben Momente wieder. Ihre Liebe und Theilnahme für die Fürstin – die in der That noch unglücklicher war, als sie selbst – siegte über ihre persönliche Ansicht, und mit aller ihr zu Gebote stehenden Milde bat sie ihre königliche Freundin, um den Gedanken derselben eine andere Richtung zu geben, in der begonnenen Erzählung fortzufahren.

»Um diese Zeit,« – fuhr also die Königin fort, »wurde eine neue Tragödie von Voltaire aufgeführt, von der in ganz Paris gesprochen wurde. Auch die Familie Dumont bekam Lust sie zu sehen. Ich hatte, – so erzählte der Prinz Soubise weiter – an diesem Tage bei Herrn von La Poplinière dinirt, verließ sein Haus etwas spät, und da ich nicht mehr nach Versailles zurückkehren konnte, ging ich in das Theater. Hier nahm ich meinen Platz in der Loge der Madame René, denn es war zu der Zeit, in der ich diese Dame leidenschaftlich liebte!«

»Der Verräther!«

Am andern Morgen trat Finot ganz verstört in des Prinzen Schlafgemach. Was bedeutet deine bestürzte Miene? – frug dieser. – Monseigneur, eine fatale Neuigkeit ... – Welche? – Meine Cousine Annette ist hier! – Was will sie? – Sie sehen!! Sie hat Sie gestern im Theater erkannt und schwört, daß sie nicht eher von dannen gehen werde, bevor sie mit Ihnen gesprochen.

»Die Scene die jetzt folgte, kann sich Jedermann denken – fuhr der Prinz fort, und wie man mich versichert,« – setzte die Königin mit Indignation hinzu, – »ein diabolisches und perfides Lächeln spielte dabei um die Winkel seines Mundes. Die Thränen – sagte er höhnend, – die Seufzer der zärtlichen Annette, ihre Vorwürfe, ihre Schmähungen waren nicht zu zählen. Die Kleine war zu einer Furie geworden; was sie und die tragische Scene aber lächerlich machte, war ihr Verlangen: sie zu heirathen! Die Idee, – rief der übermüthige Seigneur – war in der That nicht übel; die Tochter eines Tischlers, Gemahlin des Prinzen von Soubise! Ich lachte laut auf .... aber in demselben Momente ward Annette bleich wie der Tod, ihre Thränen stockten, hoch richtete sie sich auf, sagte mir mit eisiger Kälte Lebewohl und verließ mein Zimmer.«[125]

»Ich muß gestehen, – erzählte der Prinz weiter, – daß mich dieser letzte Auftritt doch etwas frappirt hatte. Ich schellte also Finot und befahl ihm, seiner Cousine rasch zu folgen und sie nicht aus den Augen zu lassen. Finot eilte nach. Als er an den Pontneuf kommt, sieht er eine Menge Menschen, welche sich nach der Brustwehr drängen und hinab in den Fluß sehen.«

»O ich ahne!« rief die Oberhofmeisterin mit finsterer Miene, und gedachte der letzten Begebenheit im Hirsch-Park, die sie aus dem berüchtigten Pasquill kannte, von der aber die Königin nichts wußte.

Diese hatte indessen den Ausruf ihrer Vertrauten überhört und fuhr mit sichtbarer Erregung fort:

Finot fragt, was geschehen sei? und erfährt, daß sich ein junges Mädchen eben ertränkt habe. Er bricht sich durch die Menge Bahn, und sieht ... wie Annette vom Strome fortgerissen wird; sie sinkt ... erscheint noch einmal auf der Oberfläche des Wassers und verschwindet dann für immer! Ich war, – sagte Soubise, – als mir Finot dies berichtete – in der That ein wenig bestürzt. Wer hätte auch denken sollen, daß das Närrchen sich gleich ertränken würde. Aber das sind die Folgen dieser albernen bürgerlich-tugendhaften Gesinnungen, wie sie das gemeine Volk hat. Selbst Finot, der Schurke, nahm den Tag darauf seinen Abschied, und ich sah ihn nie wieder. Aber abgehalten hat mich dies nicht, – rief Soubise dabei lachend – noch manches schöne Abenteuer in diesen Ständen zu suchen und zu finden!52

Die Königin war sichtbar angegriffen und erschöpft. Frau von Ayas dagegen rief empört:

»O es ist schrecklich, wie weit diese Menschen in ihrer sündhaften Verblendung gekommen sind!«

»Und dieser Mann,« – sagt die Königin, Thränen im Auge, indem sie die Hand der Herzogin krampfhaft preßte, – »dieser Mann, der zugleich der Günstling einer Pompadour ist, ... ist der intimste Freund meines Gatten, des Königs Ludwig XV. von Frankreich!«

»Majestät!« – rief voll Mitleid die Oberhofmeisterin, – »beruhigen Sie sich.«

»Beruhigen?« – wiederholte die Königin, – »beruhigen?[126] wenn ich sehen muß, wie der Mann, den ich liebe, in solch' verworfener Gesellschaft sein irdisches und sein Seelenheil verspielt? Bedenken Sie, Herzogin, was dazu gehört: solch' eine Geschichte mit fröhlichem Herzen in heiterer Gesellschaft zur Belustigung zum Besten zu geben?«

»Es ist wahr!« – versetzte die Oberhofmeisterin gepreßt, – »solch' eine entsetzliche Erinnerung hätte auf dem Dasein eines jeden Mannes, dessen Herz nicht der Hölle verfallen, für immer mit vernichtender Schwere gelastet. Aber ....« – setzte sie begütigend hinzu, – »vergessen Ew. Majestät nicht, daß es der Prinz von Soubise war, der die Geschichte erlebte und erzählte; .... der Prinz von Soubise, der durch ein fünfzigjähriges Leben voll Intriguen, galanten Abenteuern und Scandalen jedes sittliche Gefühl längst in sich erstickt hat.«

»Und,« – setzte die Königin mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer und bedeutungsvollen Tone hinzu, – »der tägliche Umgang meines Gatten und Herrn ist! – O!« – rief sie dann mit plötzlichem Entsetzen und schmiegte sich dabei fast ängstlich an die Herzogin, – »diese verhöhnten bürgerlich-tugendhaften Gesinnungen, wenn sie sich nur nicht einst fürchterlich an uns Allen rächen! – Schon wankt aller Glaube, – schon hört man das Heiligste nur mit Spott und Hohn erwähnen, – schon tritt überall, in dem Parlamente, in den socialen Kreisen der Hauptstadt, selbst unter dem Volke ein Geist der Opposition auf, wie ihn Frankreich nie gekannt; – schon wanken alle Stützen des Thrones .... Herzogin! ... Herzogin! wenn diese verhöhnten bürgerlich-tugendhaften Gesinnungen nur nicht einst Racheengel an uns Allen werden!«

Die Königin schauerte in sich zusammen.

»Beruhigen Sie sich, Majestät!« – flehte die Oberhofmeisterin! aber es war ihr selbst so unheimlich zu Muthe, daß sie nichts weiter sprechen konnte. Es dämmerte dabei und der Abendwind spielte gespenstisch in den hohen, dichtbelaubten hundertjährigen Bäumen.

Da plötzlich zeigten sich in einiger Entfernung drei menschliche Gestalten in dem Gange, in welchem sich die Königin und ihre Vertraute befanden. Man konnte nicht erkennen, wer es sei, nur soviel ließ sich unterscheiden, daß es ein Mann und zwei Kinder waren.

»Lassen Sie uns in das Schloß gehen!« – sagte bei[127] diesem Anblick, sich rasch erbebend, die Königin. – »Es ist Abend geworden und wir sind nicht allein im Park.«

Die Oberhofmeisterin folgte diesem Befehle sehr gern; aber beide Damen hatten kaum einige Schritte gemacht, als ein netter freundlicher Knabe rasch auf sie zueilte und die Königin in deutscher Sprache mit den Worten anredete:

»Schöne Dame, willst du mir sagen, wo wir sind?«

Die Königin war anfangs erschrocken, und, über die Kühnheit des Buben ärgerlich, wollte sie ihn eben hart anlassen, als sie die deutsche Anrede, sowie seine offenen freundlichen Züge fesselten.

Sie hielt daher an und sagte mit ihrer gewöhnlichen Milde und Güte in schönem reinen Deutsch:53

»Wo du bist, mein Kleiner? .... Nun im Parke von Choisy-le-Roi

»Ja, das weiß ich!« – versetzte Wolfgang, denn Niemand anders war der Knabe, – »aber wir haben uns hier irre gegangen, und finden nun nicht mehr den Weg zum Schlosse zurück!«

»Das ist etwas anderes!« – entgegnete die Königin, – »doch seid Ihr jetzt auf dem rechten Wege; folgt nur dieser Allee und in zehn Minuten liegt das Schloß vor Euch. Aber wer bist du und wie kommst du aus Deutschland hierher!«

»Ich bin der Wolfgang Mozart,« – versetzte mit drolligem Selbstgefühl der Knabe, – »und will mit meiner Schwester, Nannerl, vor dem Könige und der Königin von Frankreich spielen.«

»Spielen? was denn?«

»Ist mir gleich: Clavier, Geige oder Orgel!«

»Du?« – frug lächelnd die Königin.

»Ja, ich!« versetzte fast beleidigt der Junge. – »Du scheinst doch eine vornehme Frau zu sein, hast du denn noch nichts von dem Wolfgang Mozart und seiner Schwester gehört?«

»Nein!« – sagte die Königin, der das offene ungenirte Wesen des Kindes ungemein gefiel, und der es zugleich ungemein lieb war, durch diese freundliche Erscheinung von den trüben Einflüssen der letzten Stunde befreit zu werden.[128]

»Ei!« – meinte Wolfgang den Kopf schüttelnd, – »dann mußt du ja gar keine Zeitungen lesen!«

»Das thue ich auch nicht, mein Kind!« – sagte die Herrscherin Frankreichs. – »Wenn du aber wirklich so geschickt bist, wie du angiebst und vor dem Könige und der Königin zu Versailles spielst, dann werde ich dich dort wiedersehen und auch hören.«

»Wie!« – rief entzückt der Knabe, – »so bist du vom Hofe?«

»Allerdings!« – versetzte die Dame lächelnd.

»Nun!« – fuhr Wolfgang fort, – »dann grüße mir einstweilen die Königin: sie soll, – wie die Gräfin Lillibonne erzählte, eine sehr liebe, gute und fromme Frau sein, und sage ihr, denn sie hat gewiß schon von uns gehört, – der Wolfgang und die Nannerl Mozart wären mit ihren Eltern in Paris angekommen, und würden sie nächtens besuchen!«

Und mit diesen Worten sprang der Knabe zu den Seinen zurück, während die Königin aufgeheitert ausrief:

»Nun, bei unserer lieben Frau, eine drolligere Vorstellung und Einführung am Hofe von Frankreich hat es doch wohl noch nie gegeben!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 111-129.
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