24.

List um List.

[223] O du schöner glücklicher Jugendtraum! Einen kindlichen Freund zu haben, so ganz aus der eigenen Seele genommen, wie ein zweites »Ich!« – und eine Schwester .... eine Schwester ... wie Giuditta!

Freilich hätte Giuditta – nicht durch die Freundschaft, wohl aber durch die gemeinsamen musikalischen Leistungen der jungen Freunde – etwas von ihrem Glücke verlieren können, wenn sich nicht ein Ersatz gefunden hätte, der ihr Amadeus auf Stunden fast ausschließlich gab.

Amadeus hatte nämlich mit seinem musikalisch so fein gebildeten Ohr gar bald entdeckt, daß Giuditta die prächtigsten Stimmmittel besitze.

Augenblicklich war daher der Entschluß gefaßt, ihr einigen Unterricht im Singen zu geben, und die reizende Römerin hütete sich wohl, diese herrliche Gelegenheit, sich dem geliebten Freunde zu nähern und ungetheilt hingeben zu können, zurückzustoßen. Sie war auch die gelehrigste Schülerin; nur ward dem jungen Lehrer oft gar eigenthümlich und sonderbar zu Muthe, wenn sie dabei – im heiligen Eifer für die zu erlernende Kunst – ihren schönen, vollen Arm um ihn legte, und sich, seinen Worten und Tönen lauschend, mit ihren schwarzen Flammenaugen in die seinen so tief versenkte. Er fühlte dann wohl Giuditta's Hand in der seinen leise erzittern, was ihn mit einer Gluth übergoß und mit einem Gefühl durchdrang, das halb Ängstlichkeit, halb Seligkeit war und sein kleines Herz stürmisch schlagen machte.

Außerdem waren beide wunderbar einig in der Art der gegenseitigen Belohnung. Hatte Giuditta recht aufgepaßt und ihre Sache gut gemacht, so faßte der junge Lehrer seine »kleine wilde Katze« gewöhnlich unter dem Kinn, drehte ihr reizendes Gesicht dem seinen zu, und gab ihr, in Anerkennung ihres Fleißes, diverse kräftige Küsse; dann aber fühlte Giuditta wohl, daß sie diese Anerkennung gar nicht verdiene, sie sich aber nie genug bei Amadeus für die viele Mühe bedanken könne, die er sich mit ihr, dem ungeschickten Mädchen, gebe, und so zog sie ihn an sich und drückte ihm aus Dankbarkeit[224] die glühendsten Küsse auf die Lippen ... Küsse, so glühend und feurig, daß Wolfgang, roth bis über die Ohren, oft ganz schwindlich wurde. Aber er ließ es sich doch so gern gefallen, und schaute sie darauf so wonnig an, – daß sich die dankbare Schülerin meistens verpflichtet fühlte, diese Anerkennungsweise mehreremale zu wiederholen.

Vater Mozart, das südlichere Klima nicht gewohnt, hielt gewöhnlich um die Zeit, in der Wolf gang seine Schülerin bei ihm auf dem Zimmer unterrichtete, seine Siesta, und schlummerte meistens schon nach den ersten Übungen der Kinder ein. Tommaso aber pflegte jene Stunde in Gesellschaft seines Hofmeisters zu verbringen. In den herrlichen Nächten aber hatten sich die drei jungen Leute die Laube aus Monatsrosen zum Lieblingsplätzchen erkoren.

Vater Mozart und Linley's Hofmeister, ein äußerst wissenschaftlich gebildeter Mann, gingen dann, in Gesprächen verloren, im Garten auf und ab, oder wurden von Frau Uslinghi mit Strömen der Beredtsamkeit und Erfrischungen materieller Art bedient; während Amadeus und Tommaso musicirten.

Aber Alles auf der Welt ist vergänglich, und so lief auch die Zeit ab, die für den Aufenthalt in Rom bestimmt war.

Der Capellmeister machte bereits Anstalten zur Abreise nach Neapel.

Man kann sich denken, mit welcher Trauer die herannahende Trennung die Herzen der drei jungen Leute erfüllte. War doch die Freundschaft zwischen Amadeus und Tommaso nicht blos Knaben-Anhänglichkeit, sondern wirkliche Zärtlichkeit zweier tieffühlenden, übereinstimmenden Seelen. Beide achteten sich in der That als Künstler.88 Daß aber Giudit ta Amadeus leidenschaftlich liebte, und dieser, wenn auch ohne klares Bewußtsein, für die reizende Tochter Uslinghi's mehr als eine brüderliche Neigung hegte, lag am Tage. Nur Eines tröstete daher alle drei: Die Gewißheit, sich nach einigen Wochen wiederzusehen! Übrigens war doch Vater Mozart in der letzten Zeit nachgerade etwas aufmerksam auf die Neigung geworden, die sich zwischen Giuditta und Amadeus, seiner Meinung nach, zu entspinnen begann. Er blieb daher um so entschiedener auf dem für die Abreise[225] einmal festgesetzten Termin und suchte namentlich auch den Abschied so kurz als möglich zu machen. Tommaso Linley ging den Tag zuvor, – nach den herzlichsten Umarmungen und heißesten Versicherungen dauernder Freundschaft, – mit seinem Hofmeister nach Florenz zurück. Die jungen Leute hielten sich dabei tapfer; keiner zeigte diesmal eine Thräne ... als sie aber allein waren, Linley in der Wagenecke, Wolfgang auf seinem Zimmer, da feuchteten sich doch die Augen und ein großer Schmerz durchzitterte die kindlichen Seelen.

Eine andere Tactik beobachtete der schlaue Concertmeister in Betreff des Abschiedes von Frau Uslinghi und ihrer schönen Tochter. Er war, das wußte er recht gut, beiden vielen Dank schuldig, denn sie hatten ihn und Amadeus auf den Händen getragen,89 auch wollte er ja nach kurzem Aufenthalt in Neapel in dies gastliche Haus wieder zurückkehren, und so nahm er die Sache ganz leicht und scherzhaft und sprach nur von einem kleinen Ausfluge an den neapolitanischen Hof. Den letzten Nachmittag aber brachte er plötzlich die Nachricht, daß sie, auf Veranlassung des Cardinals Pallavicini in Gesellschaft mehrerer Augustiner Mönche aus dem Kloster St. Sebastian mit drei anderen Sedien oder zweisitzigen Wagen abreisen würden. Zu Marino im Augustiner Kloster werde dann das Mittagsmahl eingenommen; da aber die Reise schon vor Sonnenaufgang angetreten werde, so habe er den frommen Vätern zusagen müssen, um keine Störungen zu machen und keinen Verzug zu veranlassen, schon die Nacht im Kloster zuzubringen. Damit aber hatte der schlaue und vorsichtige Mann jeden aufregenden Abschied abgeschnitten, denn jetzt hieß es rasch gepackt und kurz gebunden!

Er war dabei ungewöhnlich heiter, scherzte mit Frau Uslinghi, küßte selbst Giuditta, als seine liebe Tochter, tüchtig ab, sprach aber fast nur von dem nahen Wiederkommen, auf das er sich – wie er sagte – ungemein freue.

Je heiterer aber der Vater, desto unbehaglicher fühlten sich die Kinder. Amadeus war mit dem Freunde und der Freundin in diesen Tagen zu glück lich gewesen, um sich so leicht über den so bald entschwundenen lieblichen Jugendtraum zu trösten, und obgleich er von jeher kein Freund von rührenden Abschiedsscenen gewesen, und seine jugendlichfrische Phantasie[226] ihn rasch über die wenigen Wochen hinwegtrug, die zwischen Trennung und Wiedersehen lagen, hielt ihn doch ein eigenthümliches Etwas so sehr an den Umgang mit Giuditta gefesselt, daß es ihm fast unmöglich schien, ohne sie zu reisen. Indessen: »Nach Gott kommt gleich der Papa!« stand noch immer mit Feuerschrift in seiner Seele geschrieben. Der Wille des Vaters war ihm also heilig!

Giuditta ließ nicht merken, was in ihr vorging. War sie zu stolz, ihren Schmerz zu zeigen? oder ärgerte sie die Geflissentlichkeit, mit der ihr Vater Mozart die letzte schöne Nacht, die schmerzlichsüße Stunde des Abschieds raubte? – Kurz, sie that nichts dergeichen, und war selbst in den letzten Momenten noch so heiter, als ob die lieben Freunde nur auf einen Tag über Land fahren sollten.

»Übe dich recht im Singen!« – rief ihr noch Amadeus im Weggehen zu. – »Wenn wir wiederkommen, setzen wir den Unterricht fort! und« – fügte er zu ihrem Ohr geneigt leise hinzu – »balgen und beißen uns wieder!«

»Ja!« – versetzte Giuditta in gleicher Weise – »und zu Marino, wo ihr morgen im Augustiner- Kloster zu Mittag speist, versäume nicht die Grotte der heiligen Cecilie zu besuchen – aber allein .... hörst du .... allein – und bete dort ein Paternoster für mich!«

»Kannst darauf rechnen, kleine wilde Katze!« – rief Wolfgang mit gezwungener Heiterkeit, das peinliche Gefühl, das ihn erfaßt hatte, heroisch unterdrückend, und folgte dem Vater, der schon einige Schritte voraus war.

Da Wolfgang zum Entzücken der Mönche fast den ganzen Abend auf der Orgel des Klosters zubrachte, das ihn und den Vater beherbergte, vergaß er über sein Spiel alles Andere. Dann folgte ein kurzer Schlaf und mit Sonnenaufgang die Abreise durch die Campagna auf der Straße nach Neapel.

Die Campagna di Roma ist der größte Theil des alten Latiums. Sie grenzt im Westen und Osten an Neapel, im Norden an Toskana und Sabina, und im Osten an das mittelländische Meer, und ist 15 deutsche Meilen lang und 30 Meilen breit.

In früheren Jahrhunderten, zur Zeit der Macht Roms, sah man hier Städte, Landhäuser, Tempel, Haine, Kornfelder, lachende Wiesen, prächtige Landstraßen, Kanäle u.s.w.,[227] während jetzt der ganze Landstrich wüste und öde ist, und die verpestete Luft jedes lebende Wesen ferne hält. Diese schädliche Luft –aria cattiva – hat aber nicht ihren einzigen Grund in den Sümpfen, die überall sich zeigen, da sie sich nicht allein in Wäldern und Tiefen, sondern auch auf Bergen findet – wahrscheinlicher ist, daß sie zum großen Theil die chemische Beschaffenheit des Bodens hervorruft. Sind doch selbst schon mehrere Gegenden und Straßen von Rom dieser verpesteten Luft wegen verlassen worden, die vorzüglich vom Juli bis October die größte Gefahr bringt, und – wenn nicht kräftige Verbesserungsmittel oder ein neuer Vulkan, durch Eruptionen die Atmosphäre von Zeit zu Zeit reinigen, (was um so eher geschehen kann; als das ganze Land vulkanisch ist) möchte wohl der schöne Landstrich, in welchem Rom liegt, mit der Zeit eine Wüstenei werden, welche nur im Winter als Viehweide zu benutzen wäre.

Namentlich sind es bekannterweise die pontinischen Sümpfe, die durch ihre niedere Lage und weil das Wasser gar nicht abgeleitet wird, Miasmen aushauchen.

Dabei ist der Boden der Campagna fast ganz eben, und der Monte Marino, der St. Oresto und die albaner Berge, mit dem Mont Cavo als höchster Spitze, sind die einzigen Erhöhungen, auf denen die Klöster und Orte Marino, Frascati, Colonna, Albana und andere liegen.

Die zerstreut liegenden See'n waren sämmtlich früher Krater von Vulkanen.

Der Boden ist fruchtbar, aber schmählich vernachlässigt im Anbau, und statt, daß fleißige Arbeiter den Segen des Landes ausbeuten, machen Räuber die Gegend unsicher. Vater Mozart selbst hatte schon am 28. April seiner Gattin nach Salzburg geschrieben: »Die Wege sind sehr unsicher, ich gehe von Rom nicht weg, bis ich weiß, daß Sicherheit ist, und mit dem Procaccio ist man in großer Compagnie.«90

Überhaupt hat – wenn man das angenehme Bewußtsein, jeden Augenblick von Räubern überfallen zu werden, als romantisch betrachtet – die Campagna di Roma des Romantischen viel. Trümmer von Thürmen, Tempeln, Grabmälern, Wasserleitungen mit Epheu umrankt, bedecken sie überall. Wilde Rinderheerden sind dabei die einzigen Thiere,[228] welche das ganze Jahr hindurch in der Campagne bleiben. In den Kanälen halten sich zahlreiche Büffel auf und starren unter den zottigen, schwarzen Stirnen mit wildem Blick die Vorüberfahrenden an. Von menschlichen Wohnungen aber sieht man nur das nomadenhafte Bretterhaus des Hirten, der ein elendes und kurzes, den verheerendsten Fiebern ausgesetztes Leben führt.

Das ist die Campagna di Roma, die Amadeus jetzt in Gesellschaft des Vaters und der Augustinermönche durchfuhr. Aber der junge Mozart schenkte weder der Gegend noch der Gesellschaft Aufmerksamkeit, er saß still und in sich gekehrt in einer Ecke des Wagens und dachte an seine reizende Schwester Giuditta! – –

So kam man im Augustinerkloster zu Marino an. Wolfgang war immer noch still, und als er den Vater bat, ihn vom Mittagessen zu dispensiren, da er sich es mit einigen Orangen im Freien genügen lassen wolle, hatte dieser nichts dagegen einzuwenden.

Amadeus war also auf einige Stunden frei und konnte nun ungehindert dem Wunsche Giuditta's nachkommen und in der Grotte der heiligen Cecilie ein Vaterunser für sie beten. War doch diese Heilige, als Beschützerin aller Musiker, auch seine Schutzpatronin. Mit Freuden deutete ihm einer der Mönche den Weg dahin an. Er führte durch ein liebliches Thal, das um so schöner erschien, als es mitten in der öden, baumleeren Campagna, wie eine Oase in der Wüste, lag.

Ein kleiner aber klarer Bach, vom Klosterberge kommend, floß langsam hindurch, bald sein Helles crystallenes Bergwasser zeigend, bald verborgen von den großen Stengeln und Blättern der Canna und anderer Rohrgewächse. Wogende Getreidefelder und frisches Wiesengrün, aus dem Tausende von Anemonen und Maaslieb hervorsproßten, gaben dem einsamen Thale jenes Gepräge der Behaglichkeit, das Amadeus so sehr heute Morgen während der Fahrt durch die Campagna vermißt. Kein Mensch war zu sehen! Alles ruhte in der Mittagsschwüle.

Endlich erblickte der einsame Wanderer die Grotte, die von vulkanischen Felsmassen gebildet wurde, welche wohl einst, vor Tausenden von Jahren eine gewaltige Eruption hierher geschleudert oder aus der Tiefe emporgetrieben hatte.

Der Eingang war mit Baumwurzeln, Epheuranken und anderen Schlinggewächsen, in der ganzen Fülle südlichen[229] Pflanzenreichthums, beinahe verhüllt – ein Beweis seltenen Besuches.

Amadeus bog sie zurück und trat ein. Aber er blieb überrascht stehen, so bezaubernd, so eigenthümlich war der Anblick. Die Höhle verzweigte sich augenscheinlich nach mehreren Seiten und hatte dadurch schon etwas Geheimnißvolles. Aber dies Geheimnißvolle wurde noch gehoben, durch das nächtliche Halbdunkel, das hier herrschte, und von den Büschen, die aus den zerklüfteten Wänden hervorwuchsen und den Eingang wie mit einem grünen Vorhange deckten. Zwischen den Felsen aber stand auf einer Art Altar eine steinerne Statue der heiligen Cecilie, die freilich keiner Meisterhand ihr Dasein verdankte und von der Zeit viel gelitten hatte.

Amadeus verrichtete hier – dem gegebenen Versprechen getreu – seine Andacht; dann suchte er sich tiefer in der Höhle, wo sich eine herrlich – weiche Moosbank befand, ein bequemes Plätzchen, zog seine Orangen aus der Tasche, verzehrte so sein frugales Mittagsmahl, und streckte sich dann, die Augen schließend, der Länge nach hin, um in wachen Träumen den schönen Traum der letzten Wochen noch einmal an seiner Seele vorüberziehen zu lassen.

In diesem Augenblick ertönte nicht weit von ihm ein bekanntes Lied; – bekannt – denn es war von seiner eigenen Composition. Aber noch bekannter war die Stimme. Er sprang empor .... das Ohr eines Mozart konnte sich nicht täuschen; .... aber .... wie sollte sie hier sein? .... das war unmöglich!

Jetzt setzte die Stimme von neuem an .... Amadeus eilte einige Schritte vor .... und stand vor einem Mädchen, das in die Pilgertracht gehüllt war, die in Italien damals alle Wallfahrer und Wallfahrerinnen trugen, da sie für Jeden, selbst für Räuber, unantastbar heilig war. Aber rasch flog nun der breitkrämpige Hut und der lange Muschelkragen ab, und – Giuditta lag an seinem Halse!

»Giuditta!« – rief Wolfgang vor Staunen außer sich – »wie ist es möglich, daß du hier bist?«

»Sehr leicht!« – entgegnete diese lachend. – »Papa hat uns ganz pfiffig den letzten Abschied abgeschnitten, da hole ich mir ihn nun selbst. Meinst du, ich ließe dich so gehen, ohne ein ordentliches Lebewohl? und glaubt Papa, eine Italienerin ließe sich so leicht täuschen? O! da irrt Ihr Euch beide!«[230]

»Aber ich begreife nicht!« – .... rief Amadeus noch immer starr vor Staunen.

»Auf welche Weise die ›kleine wilde Katze‹ hierher kommt?« – frug die Tochter Uslinghi's.

»Ja!«

»Sagte dein Vater nicht selbst, daß Ihr heute zu Marino im Augustinerkloster das Mittagsmahl einnehmen würdet?«

»Allerdings!«

»Nun, Ihr reist mit Mönchen, und wenn Mönche in einem auswärtigen Kloster ein Mittagsmahl einnehmen, so heißt das, daß sie wenigstens sechs Stunden Rast machen: zwei am Tisch, zwei im Keller und zwei schlafend.«

»Aber wie weißt du das?«

»Amadeo!« – rief hier Giuditta heiter – »das ist eine ›deutsche‹ Frage. In Italien kennt dies jedes Kind.«

»Aber dein Hierherkommen?«

»Da ich also wußte, dich jedenfalls noch hier zu treffen, und die Grotte der heiligen Cecilie zu Marino der Ort ist, zu dem ich alljährlich viermal wallfahre, so war mein Entschluß bald gefaßt. Kaum waret Ihr fort, so sagte ich meiner Mutter gerade heraus, daß es für sie und mich eine Schande sei, von Papa Mozart hinter das Licht geführt worden zu sein – – eine Schande, die sich Italienerinnen nicht gefallen lassen dürften. Ich sei daher fest entschlossen, mich zu rächen und mir meinen Abschied von dir durch List zu holen. Sie lachte .... denn das war ganz nach ihrem Sinn, da Euer Uebersiedeln in's Kloster sie auch verdrossen hatte.«

»Aber dein Hierherkommen?«

»Ich nahm also auf der Stelle meinen Pilgerhut und Kragen und machte mich auf den Weg.«

»Gestern schon?«

»Gestern! eine halbe Stunde nachdem Ihr weggegangen.«

»Und du gingst zu Fuße bis hierher?«

»Den Abend und die halbe Nacht durch. Dann schlief ich einige Stunden in Novelli bei meiner Base, und jetzt bin ich schon drei Stunden hier, die ich zum Beten benutzt habe.«

»Aber da mußt du ja namenlos müde sein?«

»Was macht das? dafür hab' ich meinen Kopf durchgesetzt und mir einen Abschied von dir erobert; deinem Papa gezeigt, daß sich eine Italienerin nicht überlisten läßt – und endlich rechnet mir Pater Frattina, mein Beichtvater, die Wallfahrt als Buße an, das weiß ich schon.«

[231] Amadeus schüttelte lächelnd den Kopf. So sehr es ihn freute, Giuditta noch einmal zu sehen, so beunruhigte ihn doch sein Gewissen über den kleinen Betrug, der hier – freilich ohne seinen Willen – dem Vater gespielt wurde, und Amadeus war nicht nur gewohnt, des Vaters Willen als heilig zu achten, sondern auch nichts ohne sein Wissen zu thun. Hatte er bisher auch nicht im Entferntesten etwas Unrechtes in seiner brüderlichen Neigung zu Giuditta gesehen, so machte ihn diese Zusammenkunft irre, dann aufmerksam .... und bei dem glühenden Kusse, den die reizende kleine Italienerin jetzt auf seine Lippen drückte – – wußte er mit einemmale, daß es keine Schwester sei, die er in den Armen halte!

Und doch war dieser Kuß so süß, daß es ihn dabei mit einem seligen Schauer durchrieselte, – und doch hatte ihn noch kein Kuß so wunderbar angenehm berauscht, – und doch fühlte er heute zum erstenmale, daß er mit dem reizenden Mädchen einen Himmel in seinen Armen hielt.

Wie oft hatte er sich mit Giuditta in übertoller Laune gebalgt, sie umfaßt und umschlungen. Er war sich keines anderen Gefühles dabei bewußt geworden, als der Lust eines wilden Knaben, der mit einem anderen, oder seiner Schwester ringt. Heute – seit wenig Minuten war es anders. Der zum Jüngling heranreifende Knabe fing an zu fühlen, was es heiße: ein liebes, holdes, reizendes Mädchen in seinen Armen zu halten. In der That war denn auch die Zaubermacht und die Gewalt dieses neuen Eindruckes so groß, daß er alles Andere darüber vergaß. Und hatte nicht Giuditta für ihn den weiten Weg von Rom bis hierher zurückgelegt? .... war sie nicht Tag und Nacht gegangen, nur um von ihm noch einmal Abschied zu nehmen? Konnte sein edles Herz, sein empfängliches Gemüth für solche Beweise der herzlichsten Schwesterliebe unempfindlich bleiben?

Gewiß nicht! und zwar um so weniger, als es die Natur schon sehr empfänglich geschaffen. Amadeus gab sich also freudig den Gefühlen der Dankbarkeit und der aufkeimenden Liebe hin. In seinen Opern hatte er schon öfter Arien der Liebe componirt, ohne freilich die Liebe je zu kennen; jetzt fühlte er, daß das nur Noten ohne Sinn und Verstand seien – jetzt kam es wie eine ferne Himmelsahnung über ihn, was denn wohl Liebe sei!

[232] Giuditta hatte sich unterdessen niedergesetzt und Amadeus zu sich gezogen, so daß sein Haupt in ihrem Schooße lag und sein feines schönes Gesicht in das ihre schaute. Lange sahen sie sich auf diese Weise lächelnd an, ohne zu sprechen; dann neigten sich beide gegeneinander, wie zwei Rosenknospen, die der Morgenwind wiegt, und fanden sich in langen seligen Küssen.

Stunden vergingen so im traulichen, süßen Geplauder, in Scherzen und Witzen, und sie waren um so schöner und seliger, als gar kein anderes Verlangen zu ihrem Bewußtsein kam und der Engel der Unschuld und Kindlichkeit sie heiligte. Das Morgenroth der Liebe stand über ihnen: rosig, golden, unbeschreiblich schön; – sie schauten im Geiste hinein und schwelgten in der Ahnung des hinter ihnen liegenden Himmels.

Endlich war es Zeit, sich zu trennen. Giuditta mahnte selbst daran; denn auch sie mußte heute noch bis nach Novelli zu ihrer Base zurück. Aber sie sagte:

»Nun, Amadeo, haben wir Abschied genommen; jetzt auch kein Wort mehr. Du kommst wieder, und daß du mich nicht vergißt, weiß ich.«

Dann griff sie in ihren Busen, holte ein kleines goldenes Kreuz hervor und gab es Wolfgang mit den Worten:

»Nimm dies Amulet, es ist vom heiligen Vater selbst geweiht. Ich trage es seit meinem sechsten Jahre auf dem Herzen, trage du es auch da und wenn du es ansiehst, denke an mich.«

Dabei umfaßte sie ihn stürmisch, – noch einen Kuß, und sie war in einem Seitengange der Höhle verschwunden.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 223-233.
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