Neuntes Kapitel.

Die letzten Pläne. Das Ende.

[180] In Wien lebte Gluck nunmehr in ruhiger Behaglichkeit; die Folgen eines Schlaganfalls, den er hatte überstehen müssen, hinderten ihn allerdings etwas am Arbeiten. Als im Jahre 1783 ihn die Pariser Akademie aufforderte, einen Componisten zu nennen, den er für befähigt halte, eine Oper für die Akademie zu schreiben, brachte er den Hofkapellmeister Salieri in Vorschlag, mit dem er schon lange in freundschaftlichem Verkehr stand. Nach Professor Cramer1 soll Gluck die Aeußerung gethan haben: »Nur der Ausländer Salieri lerne ihm alle seine Manieren ab, weil kein Deutscher von ihm lernen wolle.« Salieri wurde in Folge von Glucks Empfehlung von der Pariser Akademie beauftragt, die, von dem Parlaments-Advocaten P.L. Moline gedichtete lyrische Tragödie »Les Danaïdes« in Musik zu setzen. Am 26. April 1784 ging sie in Paris in Scene. Auf dem Anschlagzettel war sie als von »den Herren Ritter Gluck und Salieri« bezeichnet. Später ließ dann Gluck im »Journal de Paris« einen Brief einrücken, in dem er erklärte, daß die Musik der »Danaïdes« [180] ganz von Salieri componirt sei, daß er nicht weiter dabei als durch Rathschläge, die er dem Componisten ertheilte, sich betheiligt habe. Von Salieri ist uns auch Manches aus Glucks Leben, wie namentlich über seine letzten Arbeiten berichtet worden. Bereits 1769 war er in dessen Hause heimisch geworden und er blieb es bis zu des Meisters Tode. Kurz vor seinem Ende hatte ihm Gluck auch das »De profundis« gegeben, um es der Bibliothek des Kaisers einzureihen; es ist die einzige bekannte Kirchenmusik von ihm. Zwar soll er auch noch den achten Psalm »Domine Dominus noster quam admirabile«, der in der Zeit von 1753–1757 in einem Hofconcert zu Wien zur Aufführung kam, componirt haben, aber diese Composition ist nicht aufgefunden worden.

Das »De profundis« zeigt eben deutlich, daß der Meister auf diesem Gebiete nicht heimisch geworden war. Selbst in Bezug auf die Chortechnik sind eine ganze Reihe seiner Opernchöre bedeutsamer und meisterhafter ausgeführt, wie diese geistlichen. Hier declamirt der Chor, meist homophon fortschreitend, immer im Sinne des Textes, aber ohne auch nur annähernd specieller zu erläutern; es ist ihm überall nur um die accordische Wirkung zu thun und nur schüchtern wagt er eine etwas mehr polyphone Führung der einzelnen Stimmen.

Namentlich Klopstock hatte in ihm Interesse für das deutsche Lied erweckt. Schmid schreibt darüber: »Ueberhaupt war Klopstock der Lieblingsdichter Glucks, ihm fühlte der Tonsetzer sich nahe, er verehrte, liebte und benützte ihn in seiner letzten Zeit vielfältig. – Gluck setzte, sich zu seinem und seiner Freunde Ergötzen an den Flügel, legte einen Abdruck von Klopstocks Oden, in dem er in Absicht auf die Declamation nur kleine Zeichen, die auch nur er verstand, gemacht hatte, vor sich, und sang nun selbst die Gedichte mit freier Declamation und voll hoher Begeisterung mehr nach Art des gemessenen Recitativs, als des melodischen Gesanges, wozu er meistens nur wenige volle Accorde auf dem Flügel angab und höchstens zwischen den Strophen kleine Zwischenspiele aus den Hauptgedanken seines Gesanges ausführte. Einige Oden Klopstocks mit Glucks Musik, welche sich im Manuscript auf der Wiener Hofbibliothek befinden, sind später bei Artaria in Wien im Druck erschienen; es sind: 1. Vaterlandslied, 2. Wir und Sie, [181] 3. Schlachtgesang, 4. Der Jüngling, 5. Die Sommernacht, 6. Die frühen Gräber, 7. Die Neigung und 8. Willkommen silberner Mond. No. 4 und 6 wurden bereits im Göttinger Musenalmanach von 1775 veröffentlicht und Neefe schreibt in der Vorrede seiner »Oden von Klopstock mit Melodien« (1776): »Der Kapellmeister Bach und der Ritter Gluck haben in dem Göttingischen Musenalmanach gezeigt, daß sich auch Klopstockische Oden componiren lassen.« Alle diese Lieder tragen noch den Charakter der Improvisation. Die Liedform ist im Grunde nur in einem gewahrt, in »Wir und Sie«, aber auch nur äußerst dürftig. Demnächst ist der Schlachtgesang zu nennen, der in seiner rhythmischen Construction, wie in seinen melodischen Phrasen schon stark an die Weise des Bänkelsanges erinnert. Die andern sind vorwiegend nur declamirt, aber lange nicht so klangvoll, wie einzelne Recitative des Meisters.

Lange Zeit trug sich Gluck mit der Composition von Klopstocks »Hermannsschlacht«, aber er gelangte nicht mehr dazu, ernstlich aus Werk zu gehen. Wiederholt hatte ihn der Dichter darum ersucht, die einzelnen Gesänge niederzuschreiben, aber er hatte immer abgelehnt, weil er noch neue Instrumente dazu erfinden müsse. Er beabsichtigte, ein ganz eignes Orchester zusammenzustellen, mit ganz neu construirten Hörnern. Nach Salieri's Bericht wollte er in den letzten Tagen seines Lebens einzelne dieser Gesänge niederschreiben, allein seine Frau hinderte ihn daran, aus Besorgniß für seine ohnehin schwankend gewordene Gesundheit.

Als Johann Friedrich Reichardt, damals königl. preuß. Hofkapellmeister, 1783 nach Wien kam, machte er auch Gluck seinen Besuch und wurde von diesem zu Tisch geladen. Nachdem der Kaffee eingenommen war, sang Gluck seinem Gaste einige Stellen aus dieser Musik zur Hermannsschlacht vor, wobei er mehrmals »den Klang der Hörner und den Ruf der Fechtenden hinter ihren Schildern nachahmte«. Dabei theilte er diesem gleichfalls mit, daß er noch ein neues Instrument erfinden müsse.

Reichardt erzählt auch mehrere charakteristische Anekdoten aus dem Leben Glucks. Er war auch dem Kaiser Joseph vorgestellt worden und hatte mit ihm eine lange Unterredung über Musik, die sich bald [182] auf Gluck lenkte, wobei mehrere Begebenheiten aus Glucks Leben erzählt wurden. Die eine, vom Kaiser selber mitgetheilt, möge hier stehen, da sie den Meister und sein Verhältniß zum Hofe charakterisirt: Als eines Tages der Kaiser mit seinem Bruder Maximilian Franz mehrere Gesänge aus der »Iphigenie in Tauris« mit Begleitung des Claviers und einiger Geigen durchsangen, kam Gluck dazu, schüttelte bedenklich den Kopf und zupfte an seiner Perrücke, so daß der Kaiser sich veranlaßt sah, zu fragen: ob er mit der Ausführung nicht zufrieden sei? worauf Gluck, offen erklärte: er wolle lieber zwei Meilen Post laufen, als seine Oper so aufführen hören, worauf der Kaiser lächelnd antwortete: »Seins ruhig; Sie sollen Ihre Oper nicht länger mißhandeln hören. Da setzen's sich selbstens aus Clavier und geben uns etwas Besseres, als wir Ihnen geben können.«

Seit dem Jahre 1784, in welchem Gluck von zwei Schlaganfällen heimgesucht wurde, verschlimmerte sich sein Gesundheitszustand zusehends, doch hielt der Geist den allmälig ermüdenden Körper noch mehrere Jahre aufrecht. Am 15. November 1787 hatte er noch Gäste in seinem Hause auf der »alten Wieden«. »Auf Anrathen der Aerzte,« erzählt Schmid, »mußte Gluck täglich nach Tische ausfahren, sowol um die freie frische Luft zu genießen, als auch eine mäßige Bewegung zu machen. Das Mahl war beendet, Kaffee und Liqueure aufgetragen und Frau von Gluck, nachdem sie zuvor den beiden Gästen eingeschenkt hatte, ging hinaus, den Wagen zu bestellen. Während ihrer Abwesenheit verweigerte einer der Fremden, von dem credenzten Liqueur zu trinken; Gluck, der früher derlei Getränke sehr geliebt hatte, dem sie aber nun, der Erhitzung des Bluts halber, auf das strengste verboten waren, ermunterte anfangs seinen Freund, das Gläschen zu leeren und als dieser sich fortan entschuldigte, ergriff er es selbst im komischen Zorn über den Widerspenstigen, stürzte es schnell hinunter, wischte sich eben so schnell den Mund und bat den Gast scherzend, ihn seiner Frau ja nicht zu verrathen. Diese kehrte in das Zimmer zurück, der Wagen war angespannt, Frau von Gluck bat die Gäste, sich einstweilen im Garten zu unterhalten, mit dem Beifügen, daß sie und ihr Gatte in [183] einer halben Stunde wieder zurück sein würden. Die Fremden begleiteten das Ehepaar bis an den Wagen: An revoir! adieu! – scholl es von beiden Theilen: doch das Lebewohl war Glucks letztes. – Kaum waren sie eine Viertelstunde gefahren, als ein dritter Anfall von Schlagfluß den theuern Mann überraschte; die erschrockene Gattin ließ ihn sogleich nach Hause fahren, aber er hatte alle Besinnung verloren, der Schleimschlag hatte sich wiederholt und in wenigen Stunden sein ruhmgekröntes Leben im 73. Altersjahre geendet.«

Am 17. November wurde er unter großen Feierlichkeiten auf dem Matzleinsdorfer Friedhofe nach katholischem Ritus begraben; eine unabsehbare Menschenmenge aus allen Schichten der Gesellschaft gab ihm das letzte Geleit. Ein schmuckloser Leichenstein bezeichnet sein Grab, es trägt die Inschrift:


Hier ruht

ein rechtschaffener deutscher Mann. Ein eifriger Christ. Ein treuer Gatte.

Christoph Ritter Gluck

der erhabenen Tonkunst

grosser Meister.

Er starb am 15. November 1787.


Gluck hinterließ seiner Frau ein nicht unbedeutendes Vermögen. Bereits 1768 war er im Besitz eines Hauses am Rennwege, das er 1781 gegen ein stattlicheres auf den Wieden vertauschte. Ein zweites Haus mit Garten besaß er in Berchtoldsdorf bei Wien. Seine gesammte Hinterlassenschaft schätzte man auf 600,000 Franken.

Seine Gattin überlebte ihn noch fast 13 Jahre. Sie wurde an seiner Seite begraben; der Grabstein, der ihr Grab deckt, trägt die Inschrift:


[184] Hier

ruhet sanft neben ihrem Gemahl

Maria Anna Edle von Gluck, geborne Pergin.

Sie war eine gute Christinn

Und im Stillen die Mutter der Armen.

Von jedem, der sie kannte, geliebt und geschätzt, Endete sie im 71. Jahre die Laufbahn ihres Lebens

Und lohnte mit Grossmuth jene,

Die es verdienten.

Sie starb den 12. März 1800.

Dies

Denkmal der innigsten Verehrung

von

ihrem dankbaren Neffen

Karl von Gluck.


Ein schönes Denkmal setzte unserm Meister Piccini mit jenem Briefe, der im »Journal de Paris«2 am 15. December 1787 abgedruckt ist, in welchem er zu einer alljährlichen Gedenkfeier für den Meister auffordert. Der Brief ist zugleich ein schönes Zeugniß für die edle Gesinnung des Mannes, der unserm Meister als Rival gegenüber gestellt worden war, daß er zum Theil wenigstens noch hier Platz finden möge:3


[185] »Meine Herren! ich will in diesem Briefe, den ich Ihnen zu übersenden die Ehre habe, keine Lobrede auf den großen Tonsetzer halten, von dessen Ableben Ihr Journal uns benachrichtigt hat. Der musikalische Krieg, dessen Ursachen dieser berühmte Mann und ich gewesen, dessen Opfer er jedoch nicht war, würde diese Lobrede bei Denjenigen verdächtigen, die mich nur aus meinen Werken oder nach meinem Namen kennen. An Ihnen, meine Herren, den Geschichtsschreibern dieses Krieges und der musikalischen Revolution, die in Frankreich dadurch bewirkt wurde, ist es, den Mann würdig zu loben, dem Ihr lyrisches Theater so viel verdankt, als wie das französische Schauspiel dem großen Corneille. Italien weihte mehr als eine Lobrede, so gut sie sein mochte, dem Gedächtnisse Sacchini's. Florenz hat ihm ein Brustbild in seiner Gallerie bestimmt, Rom hat das Bild des großen Componisten im Panthoon aufgestellt, und der Marmor zeigt den Augen eines Volkes, welches die Musik wahrhaft liebt, die Züge eines Mannes, welcher diese Kunst am meisten geehrt hat.

Ich wage es, Ihnen für den Ritter Gluck eine Huldigung vorzuschlagen, welche länger dauern kann, als der Marmor, und welche selbst der fernsten Nachwelt nicht die Züge, welche die von Ihnen aufgerichtete Büste bewahrt, wol aber das Bild des Genius überliefert, den die Kunst und Frankreich zu ehren verpflichtet sind. Ich schlage Ihnen also vor, ›zur Ehre des Ritters Gluck ein jährliches Concert zu gründen, das an seinem Todestage stattzufinden hätte, wenn dieser Tag nicht ein Operntag ist, und in welchem nichts als [186] seine Musik aufgeführt werden sollte‹. – Eine derartige Stiftung scheint mir am würdigsten Glucks Gedächtniß zu feiern und sie verbindet mit diesem Vortheile zugleich den, der Kunst noch nach seinem Tode zu dienen, die er während seines Lebens auf eine so herrliche Weise geübt hat.«

Fußnoten

1 Magazin 1783 p. 238.


2 No. 349 p. 1501–1502. Samedi 15 décembre 1787.


3 Messieurs, ce n'est pas l'éloge du grand compositeur dont votre journal nous a annoncé la mort que je veux faire dans la lettre que j'ai l'honneur de vous adresser. La guerre musicale dont cet homme célèbre et moi fûmes la cause, mais dont il ne fut pas la victime, ferait suspecter, cet éloge par ceux qui ne me connaissent que par mes ouvrages ou par mon nom. C'est à vous messieurs, historiens de cette guerre et de la révolution musicale qu'elle a opérée en France, à louer dignement l'homme à qui votre théâtre lyrique doit autant que la scène française an grand Corneille. L'Italie vient de consacrer plus qu'un éloge, quelque bien fait qu'il puisse être, à la mémoire de Sacchini-Florence lui a décerné un buste dans a Galerie; Rome a placé l'image de ce grand compositeur dans le Panthéon; et le marbre retrace aux jeux d'un peuple qui aime véritablement la musique, les traits d'un homme qui a le plus honoré cet art.

J'oserai vous proposer pour le chevalier Gluck un hommage qui peut durer plus que le marbre encore, et qui peut transmettre à la postérité la plus reculée non ses traits, que le buste que vous lui avez élevé conservera, mais l'image du génie, que l'art et la France doivent honorer. Je vous propose, en conséquence, de fonder en l'honneur du chevalier Gluck, un concert annuel, qui aura lieu de jour de sa mort, si ce jour là n'est pas un jour d'Opéra, et dans lequel on n'exécuterait que sa musique...Une institution semblable me paraît la plus digne de consacrer la mémoire de Gluck, et elle joint à cet avantage celui de servir encore après sa mort l'art qu'il professa d'une manière si éclatante pendant sa vie.

Quelle:
Reissmann, August: Christoph Willibald von Gluck. Sein Leben und seine Werke. Berlin und Leipzig: J. Guttentag (D. Collin), 1882..
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