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Salzburg den 1 Decembris 1777


Mon trés cher Fils!


Heute Samstag den 29t schreibe gegenwärtiges – – also heute war Concurs einen Choralisten aufzunehmen anstatt des seel. Egger.2 Es war mir und uns allen lächerlich, daß h: Domdechant auch die h: Haydn, h: Meissner, und h: Spizeder dazu eingeladen, da doch niemand dazu gehört, als die zween Chorregenten vom Domb, und von Seyten des Fürsten der Capellmeister. Ich sagte auch gleich, da ich alle diese Leute beysamm sahe mit lauter stimme: Es ist sehr gefehlt worden; man hätte den Rust im Sessel hertragen sollen, und vor allem den Castraten dazu rufen; damit nur keine Irrung bey der Aufnahme eines Domchoralisten vorbey gehen möchte. Es waren 7 Candidaten. Des Choralisten Seelos Sohn, der gewisse Hözl, den Meissner nach Hof bringen wollte. Der Student vom Nonnberg der immer beym Kolb ist, und einige mahl bey uns violingespielt. Ein thurnergesell, der die Wittib heurathen will x: und wer noch? – – der Westermayr! unter allen war unanimiter des Seelos Sohn im Choral der beste. er machte sein argument Sine errore, die übrigen fehlten alle, mehr oder weniger, manche trafen fast gar nichts. im Figuralgesang, legte ich Dein Alma Redemptoris Mater ex F vor. Seelos sang es recht hipsch – – besser als sein vatter singt – – der Hözl als Meissnerischer Scolar und Pracktikant von Canzonetten à 3 sang es seiner. allein, da es auf den Choral hier ankommt; so wird der Seelos primo Loco gesetzt, dessen Stimme auch stärker und er noch iünger ist, Capellknab war, sein vatter als Choralist 23 jahr dient, viele Kinder hat, und der Sohn nur so lang will Choralist bleiben bis er einen Titulum Mensae bekommt, [275] oder ein Chorherr stirbt, indem er will geistlich werden. Ob aber der Erzbischof (wie gewöhnlich) nicht dennoch einen anderen herausnimmt, muß man erwarten. Um 9 uhr war dieser Concurs, wo die 7 armen Sinder vor der Probe zitterten, da eben auch ein armer Sinder, der, obwohl er erst 19 Jahr alt ist, bey einer starken Diebs-bande war, zur Richtstatt geführt wurde um seinen Kopf herzugeben, damit man ihn aufs Rad stecken kann. gestern Freytags ist vormittags die alte Freul: von Kuefstein in die Ewigkeit gegangen. und nachmittag, da eben h: Bullinger, wie gewöhnlich, bey uns war, haben wir euren Brief vom 23t erhalten. Potz oracl-sprüche, und kein Ende! Ich sagte es ja in meinem letzten schreiben: es müssten Geheimnisse für mich vorgehen. Du hast wohl recht – – sie mögen gut oder böse ausschlagen, so werde es frühe genug erfahren. Ich konnte in meinem vorigen Briefe nichts anders als nach purer vermuthung mit aller nur immer möglichen vorsorge schreiben: und ich muß bekennen, daß, da ich aus euren Briefen nicht das mindeste, als die bevorstehende Reise, und gledamngle3 abnehmen konnte, so mußte ich ganz natürlich sehr besorgt seyn, und da ich dsï Wiet bloolr klnnl4 als ihr alle beyde – die seltne, ja ganz gewiß seltne Erscheinung wmurlr irlhndl,5 so hängt meine Hofnung an lfnla kelfnln uarl.6 Hier ist der fall freilich, daß Du an dla ulrrn Cmnmbfcu lfnln irlhnd uabln wfrot, da sein fñtlrlool wegen olfnlr tscutlr7 damit verknüpfet ist. kurz, ich weis nicht was ich omgln sdlr usiiln8 soll. wann aber in allem falle aus allem nfcuto wfrd?9 überlassen wir lo dla meeamcutfgln Gstt!10 Seyd ihr auf dem masquierten Baall im opera Haus gewesen? – – gestern, dieß schreibe heute den 1 Dècemb. hab ich das beste gegeben, h: Bullinger gewann es für Dich, ich zog für die Mamma 8 xr profit. Cajetan Andretter, Bullinger, gilowsky Cath: und die Nannerl spielten nachdem wie gewöhnlich, und ich statt des Andretter, der um 4 uhr gieng, spielte [276] ich bis nach 5 uhr. Nun etwas andres. Die gewisse Hausmeisterin ist aus dem vordern zimmer, wo Stad ler war, ausgezogen; die Fr. Mosshammerin, ist in dieses Quartier hinübergegangen, und die Mitzerl, die sich allzeit empfehlt, hat sich nach ihrem geschwinden schusß, also gleich hinunter gezogen, wo die Mossham: war, wo es ihr wegen dem stiegen steigen und auch wegen ihrer Kuchl bequemer ist. Da sie nun nach der Hand sahe, daß sie unter 100 Persone nniemand in ihr voriges zimmer nehmen konnte wegen unser; so überließ sie mir das zimmer jährlich für 8 fl – und ich nehme die arme Haubenhesterln die auer Sandl herein. kommenden Mittwoch, übermorgen, wird sie einziehen. wo sie vorhero war, muste sie 12 fl bezahlen. nun giebt sie 8 fl und der tresel monatl: 15 xr fürs einheitzen und auskehren, das sind jährlich 3 fl – so bleibt ihr noch ein gulden über. sie kauft ihr fleisch mit dem unsern, wir lassen es mit sieden, und die tresl richtet ihr als dann ihr Suppen und fleisch an und giebt ihrs hinüber. Es ist mehr Almosen bey einer, als bey herumziehenden faullenzenden armen. In unserer Holzläge, wird ihr, zu ihrem Holz, ein kleiner Platz geraumt, und an den fast-tägen kommt es auf ein paar lösl voll suppen und ein wenig Mehlspeis auch nicht an.

Was Du mir wegen der Lytaney zum heil: Kreuz geschrieben,11 hätte ohne so vielem Umschweife, ad Captandam Benevolentiam, geschehen können. Ich würde ohnehin nicht dagegen gewesen seyn: da ich weis, daß sie solche Lytanien am meisten brauchen. Daß sie aber gar Leute zur Musik verschreiben, weis ich besser, daß es nicht wahr ist. Ich war selbst einige zeit discantist da, und sang oben auf den Stiegen bey der Orgl. Die Musici in der Statt werden eingeladen. Die Hof trompeter kommen dazu, wenn sie da sind. Die Durner zu den Posaunen können sie auch haben x x: und das ist schon genug. Mir ist noch nichts geschrieben worden. Ich würde es ihnen aber lieber Copierter um den puren Copistenpreiß, als in der Spart schicken. vor vielen Jahren, hatte eben der h: Dechant, als organist damals von mir eine Spart 3 Jahre in Händen, bis ichs [277] wieder erhalten konnte: und es würde doch hier schöner geschrieben, als wenn sie es von Studenten abbussen, und die Spart braf herumschmieren lassen. über das weist du, daß manches bey deinen Sparten nicht gut zu lesen ist, wenn manns nicht schon in der übung hat. Ich liebe, daß es recht geschrieben seye und keine schmuzigen flickereyen und fehler.

Vom h: Oberbereuter ist alles stille. vom h: von schiedenhofen geht eine Rede herum, als hätte die Sache, wegen nun entdeckten misslichen gesundheitsumständen der freulein Braut einigen Anstand. Hingegen ist gewiß, daß h: von schiedenhofen seiner schwester nur den 3t theil des vermögens zu gestehen will; daß aber der Hofrath dawider ist; – daß h: Babbius, der nun von Hofrath das vermögen der freulein Louis einzusehen gelegenheit hatte, mit ihr heimlich bekanntschaft gemacht, daß sie immer bey der Fr: von Gayer zusamm kommen, daß Babbius dadurch seine Umstände wird zu verbessern suchen; daß, wenn es ernst seyn sollte, der Hof Canzler, – und dann auch der Erzbischof selbst auf seiner Seite seyn werden, und daß h: schiedenhofen dabey keine freude haben wird, so wenig als die schwester mit der vorzugehenden Hayrath des Bruders zufrieden ist: Dann sollt Babbius die Freyl: v schiedenhofen Hayrathen, so wird ihr ganzes vermögen heraus müssen, und ihr h: Bruder nichts zu seinem vortheil zurückhalten können. H: Secretaire v Hamm, hat mir längst geschrieben, und ich ihm längst geantwortet: seine gegenantwort ist auch schon vor 3 Post-tägen wieder eingetroffen; dann ich ließ ihms über den Ausspruch zu thun, was er mir für Verpflegung und Lehrgeld bezahlen wollte. Er erklärte sich er hoffte, daß ich mich mit jährlichen 150 fl für alles begnügen möchte: das wär nun eben monatl: 12 fl 30 xr, dabey er das frühestück von einem schälchen Coffée und einer Semmel täglich anzumerken nicht vergaß. Ich hab ihm noch nicht geantwortet, da ohnmöglich Zeit hatte, und es ohnehin keine Eyle hat, indem er mir schon im ersten Brief sagte, daß er sein Frl: Tochter auf künftigen Frühejahr schicken wollte, und im zweyten brief dabey blieb, den Winter wegen Reise anführte und noch beysetzte, daß sie erst müste gehörig mit allem versehen – – [278] warum nicht gar Equipiert werden: Es muß demnach erst die Ausfertigung gemacht werden. Vielleicht soll ich sie gar zum Weib nehmen. Vermög dieses vorschlags würde ich also die Ehre haben dem Freulein v Hamm für tägliche 25 xr Kost – trunck – frühestück – zimmer, x: und Unterricht (NB in allem) zu geben. ich werde ihm nächstens schreiben und ihm umständlich erweisen, daß ich sie unter jährlich 200 fl nicht nehmen könnte. – und bis aufs frühejahr wird es noch manchen schnee werfen, und vieles Wasser in allen flüssen hinunterlauffen. H: Leutgeb, der itzt in einer vorstadt in Wieñ ein kleines schneckenhäusl mit einer kästerei gerechtigkeit aufCredit gekauft hat, schrieb an Dich und an mich, kurz, nachdem Du abgereiset, und versprach mich zu bezahlen mit gewöhnlicher voraussetzung der gedult, bis er beym käf-Handl reicher wird, und von Dir verlangte er ein Concert. Nun wird er aber schon wissen, daß Du nicht mehr in Salzb: bist. – Madme Duscheck schrieb mir kürzlich und wünschen er und Sie deinen Aufenthalt und deine Umstände zu wissen. Nun muß ich Dich zum schlusse fragen, ob h: Baron Dürniz Dich in München bezahlt hat? oder ob Du ihm es schenken wirst? – – ob ich oder Du ihn nicht sollten ein bischen erinnern? – – Nun glaube hab alles gesagt, was ich weis. Die Nannerl ist itzt zum Hagenauerischen, und gehet alsdann zu den Robinischen, wo ich auch hinkomme um der freul: Louis die schuster:Duett hören zu lassen. Lebts beyde gesund, wie wir, wir kissen euch viel 100000000000 Mahl und bin der immer wie die unschuldigen Kinder ohne freud und Leid dahin schnaubende Mann und Vatter

Mzt


h: Bullinger, der eben da ist um halbe 3 uhr, empf: sich sammt allen. Er wird, wie oft geschieht, den Brief auf die Post tragen. die Commoedianten sind noch nicht gekommen, und werden auch so bald nicht kommen, wenn sie doch noch kommen; dann sie entschuldigten sich der Prinzipal hätte sich den Arm gebrochen. Mir scheint sie bleiben in ihrer Vorstadt in Wienn, so lange es Leute giebt. bekommen sie keine Leute mehr, dann ist es immer zeit aufzubrechen. haben sie aber immer Leute, so werden sie es vorträglicher finden zu bleiben wo sie sind; als mit Reisekösten erst etwas zu wagen. Herr [279] Rust nimmt immer kraftmittel und ist seit der zeit nicht mehr aus dem zimmer gekommen. Er gedenket sich so weit zu kräften zu bringen, um im frühejahr reisen zu können, da er sonder zweifl durch briefe sich unterdessen um eine opera Buffa per la prima Fera bewerben wird. Die Haydin12 ist schon einige Wochen krank im Bette.

Mit h: grasen Johannes von Arco, den Du kennst, der die Militair dienst quittiert hat, und itzt bey seinem h: Bruder, des grasen Leopoldl vatter in Passau war, hat sich eine abscheuliche Historie zu getragen. Er hatte einen unvergleichlichen guten bedienten. Diesem stand in Passau das Glück vor einen recht guten Herrschaftsdienst zu bekommen. er bath seinen grasen ihn zu reccomandieren; dieser aber ward darüber im höchsten grad aufgebracht, zahlte ihn aus, zog ihm die Livray aus, schickte um den seldwaibl der kays: Werbung, und übergab ihn. Da er nun mit dem seldwaibl über die Donau-brügge gieng, stürzte sich der arme Mensch über die Donau-brügge, und ersäufte sich. Es war abends um 5 uhr, Es wurde ganz Passau rebellisch, und gr: Arco muste aus Passau fliehen, sonst hätten ihn die Studenten und der Pöbl todt geschlagen. nicht wahr eine schöne Cavallier-Historie!addio!

Fußnoten

1 Antwort auf Wolfgangs Brief vom 22. November.


2 S. den Brief vom 27. Oktober.


3 Auflösung der Chiffren: geldmangel


4 die Welt besser kenne


5 wahrer freunde,


6 einem kleinen hare.


7 dem herrn Canabich einen freund haben wirst, da sein iñteresse wegen seiner tochter


8 sagen oder hoffen


9 nichts wird?


10 es dem allmachtigen Gott!


11 S. Wolfgangs Brief vom 20. November.


12 Michael Haydns Gattin.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 3. München/ Leipzig 1914, S. 280.
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