159.[303] 1

Salzburg den 22 Decemb: 1777.


Mein Liebes Weib und

Lieber Sohn!


Wegen der Reise nach Paris habe euch bereits mit letzter Post meine Meinung geschrieben; und ich hab durch euer schreiben vom 14ten Decem: mit vergnügen vernohmen, daß ihr aus dem Wirthshause, und überhaupts für diese 2 Monate gut versorgt seyd. Du hättest aber wohl mir die gasse Eurer Wohnung oder den Namen des Hauses x: benennen sollen, um solches auf die Aufschrift des briefes setzen zu können: doch werdet ihr wohl die Brief nun selbst auf der Post abhollen: hl: Wendling ist mir mit seinem Briefe zuvor gekommen, indem ich eben diesen Post-tag ihm schreiben wollte, und ihm schon den vorigen Posttag geschrieben hätte, wenn es mir nicht an der zeit gemangelt hätte, indem auch den P: Maestro Martini[303] schreiben muste,2 um ihm wegen dem bereits abgeschickten Portrait einmal Nachricht zu geben. Der graf Pergheim primier Minister in Bayern ist gähe gestorben, und dem Fürst zeil in der gesellschaft in die arme gesunken. Der arme Mann hat durch diesen gähen Todt viel bagage mit sich abzupacken in die Ewigkeit mit genommen.


Dieses vorhergehende habe gestern nach dem Stundgebeth ambt sontags den 21ten geschrieben, wo Deine Meß aus B gemacht wurde und der Castrat unvergleichlich gesungen hat Nachmittag war kein Betzischüssen. – Nun kommt eine sehr traurige und ohnvermuthete Begebenheit. Ich gieng in die vesper, weil wir heut montags das Thomasfest in der Kirche halten. hl: adlgasser spielte die Orgel. Das Dixit gieng gut. als er nach dem ersten Psalm abschlug, so grief er ganz abscheulich herum und konnte zu keinem Ende kommen. nach dem zweyten Psalm giengs noch schlechter, so daß er das Pedal am Ende um einen Thon diesser aushielt, mit der rechten und lincken Hand so darein grief als wenn ein Hund über die Orgl lief, alles glaubte er wäre besoffen. beym dritten Psalm konnte er gar mit den fingern der linken Hand nicht mehr spielen, sondern legte immer die zusammgebogene saust auf die Claves, ich konnte ihn lange nicht bereden von der orgel zu gehen, und den hl: spizeder spielen zu lassen, da ich ihm unterdessen die linke Hand herabnahm und hl: Spizeder, so gut er konnte, zu dem, was der adlgasser mit der rechten Hand noch spielte, den Baß machte. Endlich brachten wir ihn, ja wir trugen ihn fast weg und setzten ihn auf die banck, wo die Posaunisten blasen. Sein frau war in den Stühlen bey derSacristey, sie kam hinauf, wie auch der Bader Braun, der unten war, ein Ministrant mit wasser, der Seelos vom Chor heraus. Er verdrähte die augen wie ein besoffener Mensch, sprach man sollte ihn nur sitzen lassen, wurde erstaunlich blaß, und endlich erbrach er sich erstaunlich, aber nichts als wasser oder Wein, und NB gar keine trebern. da der bader ihm eben den Puls gegriffen hatte und nun das Erbrechen [304] sahe, so gieng er davon und hielt es für einen starken Rausch, folglich wir alle auch, indem er sonst ganz deutlich reden konnte und bey dem Erbrechen schwitzte, wie es bey solchen übligkeiten vom Magen geschieht. Nun machten wir das Magnificat und blieben beym Rosenkranz, da wir nicht vorbey konnten ohne durch das gespeibe zu tretten, und alles um ihn herum war. unter dem Rosenkranz wurde er in die grosse Sacrystey hinunter gebracht, und um ein Tragsessl geschickt, der noch unter dem Rosenkranz ankam, und vor der Benediction ward er noch fortgetragen. Er war also schon weggebracht, wie ich und hl: spizeder vom Chor herunter kamen. ihr könnt euch das Specktael leicht vorstellen, da beym Stundgebett die ganze Kirche voll der Leute war: da wir aus der Kirche giengen, kam fr: Hagenauerin und andre zu uns, alles sprach von dieser Historie, dann iedermann sahe aufs Chor hinauf-was davorgieng. man sahe den sessl in die Sacristey kommen und wegtragen: und alles glaubte der adlg: hätte sich im drunck übernohmen. ich gieng mit ihnen zum Hagenauer, da kam hl: Johannes und sagte mir daß den augenblick graf Castelbarco beym schiffwirth angekommen. ich gieng gleich dahin, erfuhr aber, daß er geschwind ausgegangen, und in einer Stunde wieder fortreisen werde, um in schwanenstatt seinen Bruder den officier zu überfallen, ihm seine Frau aufzuführen, und daß er in 5 oder 6 tägen wieder in Salzb: eintreffen und sich dann etwas aufhalten werde, ich möchte ihm nur meinen Nahmen sagen: da ich ihm dann solchen sagte, antwortete mir der bediente oh la connosco; il Padre di quel Giovane, che ha Scritto tré opere in Milano. Non manchero di presentare i suoi rispettetti ed attentione al mio Padre.

Ich war nun im Nachhaus gehen begriffen, als mir beym Markbrunnen die Adlg: Victorl weinend begegnete und in die apolecke lief um Hirschhorgeist zu hohlen, sagte mir, daß ihr vatter die augen nicht aufmacht und nur schnarchend daliegt. Nun war ich überzeugt, daß ihn der schlag getroffen. der Dr: Barisani kam um dreyviertl auf 5 uhr, dann vorher schlief er noch seinen Nachmittag schlaf. Man gebrauchte alle Mittl, frotieren, zwicken, Reiben, aderlassen, fisicatori x: er öffnete kein aug mehr, rodelte immer fort, und starb um 3 Viertl [305] auf 7 uhr. Heut war ich dort: Du kannst Dir die Lamentation und das weinen nicht vorstellen. Die Adlgasserin ruft die ganze Welt um hilfe, sie ist mir schier um den hals gefahlen: Es war ganz erschrecklich. morgen nachts den 23 wird er begraben, den 24ten ist bey St: Sebastian der gottes dienst. Nun was haben wir für Organisten? – – Werinstruiert im Capellhaus? – – und die gräfin für ihre freulen? – – ich bin frohe, daß die Nañerl und ich niemals bey ihr waren. Nun wird sie bald gelegenheit suchen mit mir sprechen zu kennen. Sr Exl: Obersthofmeister ließ mich heunte nach der Arcoischen Lection hinaufruffen, und das war, um mit mir zu sprechen, weil er Dich so Lieb hatte, und ob er Dich nicht imdiscurs dem Erzbischof als Organisten proponieren därfte. Ich dankte ihm für diese gnade, und verbath es, und sagte ihm daran wäre nun nicht mehr zu gedenken, erklärte ihm auch alles mit umständen. Er sagte, er ware itzt vergnügt und es wäre ihm ein Stein vom Herzen. ihr werdet leicht begreifen, daß ich dem hl: Wendling (dem ich mich ergbst empfehle) die antwort muß schuldig bleiben, indem der zufall des Adlgassers mich hindert. ich muß hingehen, den Leuten beystehen, und wegen der gottes dienst musik auch anstalten machen, dann am Mittwoch ist zur gleichen Stunde auch das Pfinstag ammt. Ich hatte gestern desswegen zu euerm Brief nur ein blat genommen, weil ich des hl. Wendling brief einschlüssen wollte. Nun addio lebts beyde gesund, gott erhalte euch. Die Mamma soll uns viel, der Wolfg: wenig schreiben, er hat so viel zu thun. Die Nannerl spielt die Sonaten mit der grösten Expression. wir küssen euch million mahl und bin sammt der Nannerl der alte

Mzt


hl: Bullinger und ganz Salzb. empfehlt sich.3

Fußnoten

1 Antwort auf Wolfgangs Brief vom 14. Dezember.


2 S. den folgenden Brief.


3 Folgt eine Nachschrift der Tochter.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 3. München/ Leipzig 1914, S. 306.
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