172.[364] 1

Salzb: den 23ten feb: 1778


Mon très cher Fils!


Damit Du mich nur gewiß überzeugest, daß Du in allen Sachen zerstreut und unaufmerksamm bist, so sagst Du gleich anfangs in Deinem Brief vom 14t, daß Du aus meinem Brief vom 9t ersehen, daß ich Deine 2 letzten schreiben noch nicht erhalten habe, ich sollte also Deinen schwermerischen mich fast tödenden Brief den Du den 5t erst abgeschickt, schon den 9t beantwortet haben, da Du nach [364] unserm so langen Manheimer Briefwechsel doch wissen solltest, daß ieder Brief ganze 6 Täg zu lauffen hat, und da ich es auch schon geschrieben, daß euere Briefe allzeit Dienstag oder freytag hieher kommen, ihr 14 täge keine antwort darüber lesen könnt. Es würde mir nicht der Mühe werth gewesen seyn, dieses herzuschreiben, wenn es nicht Dir zum unterricht geschehen wäre, da eine solche Beobachtung für reisende höchst nötig ist. Ich weis einmahl richtig, wenn ihr meine Briefe erhalten könnt: und war auch bemühet dahin zu sorgen, daß euch alles zur rechten zeit zu handen kommt. – allein! was hilft alle meine genauigkeit, Sorge, Nachdenken und zu einem so wichtigen und nothwendigen Unternehmen vätterlich angewandte Bemühung, wenn Du (bey einer wichtig scheinenden Hinderniß, die etwa die Mamma längst mag eingesehen haben) kein aufrichtiges vertrauen zu Deinem Vatter hast; und dann erst Deinen Sinn änderst, wenn man zwischen zwey feuer kommt und nicht hinter sich und nicht für sich kann. Wenn ich glaube nun ist alles auf besserem Fusse, und in seinem gang, so kommt wieder im augenblicke ein närrischer unversehener Einfall, oder zeigt sich am Ende, daß die Sache anderst war, als Du mir solche berichtet hattest. So hab ich es dann also abermahl errathen? – – Du hast also nur 96 fl anstatt 200 bekommen? – – und warum? – – weil Du ihm2 nur 2 Concerti und nur 3 quartetti fertig gemacht. – wie viel hättest Du ihm also machen sollen, da er Dir nur die Helfte bezahlen wollte? – – warum schreibst Du mir eine Lüge, daß Du ihm 3 kleine leichte Concertl und ein paar quartette nur machen solltest:3 und warum folgtest Du mir nicht, da ich Dir ausdrücklich schriebe; Du solßt vor allem diesen Herrn, so bald es Dir möglich bedienen. worum? Damit du diese 200 fl sicher bekommst, weil ich die Menschen besser kenne, als Du. – Habe ich nicht noch alles errathen? ich muß also in der ferne mehr sehen, und beurtheilen, als Du, wenn Du gleich die Leute vor der Nase hast Es soll Dir kein zweifl kommen, wenn ich ein Misstrauen gegen die Menschen habe, mir zu glauben, und so sorgsam zu handeln als ich es Dir immer [365] predige, Du hast es ja in kurzer zeit zimmlich zu unserm schaden erfahren. zwar Du hast es mit hl: Wendling schon abgemacht, es müssen Dir solche noch bezahlt werden, Du wirst sie nachschicken. ja – wenn hl: Wendling das, was Du itzt geliefert in Paris an Flautraver freunde gut anbringen kann, dann wird er suchen noch etwas zu bekommen. Der eine muß bezahlen; der andere macht gebrauch davon. weiter schreibst Du mir von einem paar Scolarn, und sondheitl: würde Dir der Holländische officier für 12 Lectionen 3 oder, wie Du gar glaubtest 4 Duggatten bezahlen:4 itzt kommt am Ende heraus, daß Du die Scolaren hättest haben können, weil Du sie aber ein paar mahl etwa nicht angetroffen, so bist Du ausgeblieben5. Du willst lieber aus gefälligkeit Lection geben – ja das willst Du! und Du willst auch lieber Deinen alten vatter in der noth stecken lassen, Dir, als einem iungen Menschen ist für gute Bezahlung diese Bemühung zu viel, Deinem alten 58 jährigen vatter stehet es besser an um eine elende Bezahlung herum zu lauffen, damit er sich und seiner Tochter den nötigen Unterhalt mit Mühe und schweis verschafet und Dich allenfalles mit dem bischen was noch da ist, anstatt die schulden zu bezahlen, unterstützen kann, da Du Dich unterdessen unterhaltest einem Mädel umsonst Lection zu geben. Mein Sohn, denke doch nach, und gieb Deiner vernunft Platz! Denke nach, ob Du nicht grausammer mit mir verfährst als unser Fürst. von ihm hatte ich mir eben nichts zu versprechen. – von Dir versprich ich mir alles. – von ihm muß ich alles als eine gnade erwarten. – von Dir kann ich alles aus Kindlicher schuldigkeit hoffen. Er ist mir endlich fremd – Du aber bist mein Sohn – Du weist was ich seit mehr dann 5 Jahren ausgestanden – ja vielles wegen Deiner mir zu herzen genommen. Das betragen des Fürsten konnte mich nur niederbeugen; Du kannst mich zu boden schlagen: er konnte mich nur Krank machen; Du aber kannst mich um das Leben bringen. hätte ich Deine schwester und den hl: Bullinger, diesen wahren freund, nicht, so würde ich Dir vermuthlich diesen Brief, an dem ich schon [366] 2 täge schreibe, nicht im Stande seyn zu schreiben. aller Welt muß ich meine angst verbergen, diese sind die einzigen 2 Personen, die alles wissen därffen, und die mich trösten. Ich vertraute auf die Wahrheit alles dessen, was Du mir schriebst; und da alles hier die innigste freude hat, wenns Dir wohl geht, und mich immer um Dich fragten, so erzehlte ich mit vergnügen, daß Du Dir geld verdienst umständlich, und daß Du dann nach Paris gehen wirst; Du weist daß man sich eine freude daraus macht dem lrzbfocusi vlrdrhoo6 zu machen; es fehlte nicht an Leuten, welche diese Erzehlung dazu brauchten. Da Du in Manheimm 150 fl nehmen musstest, war der alte hl: Hagenauer sehr betrübt, dann diese Leute wünschen uns verdienste und Einnahme. da ich ihm aber, das, was Du mir geschrieben, sagte, und daß auch euere verpflegung nichts kostet und Du 200 fl bekommen werdest, auch Scolaren hättest, so war er sehr vergnügt. ich muste ihn natürlicher weise bitten, er möchte wegen der Bezahlung der 150 fl gedult haben; so antwortete er mir: Ey was! Ich habe alles vertrauen auf den hl: Wolfgang, er wird als Sohn schon seine schuldigkeit thun, lassen sie ihn nur nach Paris kommen; und leben sie ruhig. erwege nun diese Worte, und die itzigen umstände, und sag, ob mich nicht der schlag treffen soll, da ich als ein ehrlicher Mann Dich so in dieser Lage nicht lassen kann, es koste was es wolle. Du kannst versichert seyn, daß keine Seele weis, daß wir die 150 fl nach Manheim übermacht, denn die Hagenauerischen würden dem lrzbfocusoo7 in Ewigkeit diese Freude nicht machen: allein wie werden sich diese Freunde nicht abermahl betrüben, da ich Dich wieder mit geld unterstützen muß, um Dich nach Paris zu bringen. Daß aber dieser der einzige veste Entschluß bleiben muß, daß will ich Dir beweisen. an dem Vorschlag herumzureisen ist, sonderheitl: bey den dermaligen Critischen Umständen, nicht einmal zu gedenken: man gewinnt oft nicht einmal die Reisekösten; man muß beständig an allen Orten bitten und Betteln und Protecktion suchen damit das Concert einträglich wird, immer nur Recommandations briefe von einem ort zum andern suchen, [367] Erlaubniß bitten, um ein Concert geben zu können, und hundert mit unterlaufende oft niederträchtige umstände ergreiffen, die am Ende kaum so viel einbringen, daß man den Wirth zahlen kann, und zur Reise sein aigenes geld (wenn man eines hat) beysetzen, oder Kleider uhr und Ringe versetzen oder verkauffen muß. Das erste habe erfahren. in Frankfort muste ich bey hl: ollenschlager 100 fl herausnehmen, und in Paris nahm ich gleich bey meiner Ankunft 300 fl von Tourton und Baur, davon ich freylich nach der Hand nicht viel brauchte, weil wir bald zu verdiensten kahmen: allein anfangs musten wir erst bekannt werden, Briefe abgeben etc: und das brauchte an einem so grossen ort seine zeit, da man die Leute nicht allzeit antrift oder sprechen kann. Mein lieber Wolfg: Du überzeugst mich in allen Deinen Briefen, daß Du bey dem ersten hitzigen gedanken der Dir in kopf kommt oder in kopf gebracht wird immer sitzen bleibst ohne die Sache recht zu überlegen und auseinander zu setzen. zum Beyspiel Du schreibst: Ich bin ein Componist, ich darf mein talent zur Composition nicht vergraben xx: Wer sagt dann daß Du das thun sollst? – beym herumzigeunern würdest Du dieß wirkl: thun. Sich als ein Componist der Welt bekannt zu machen must Du in Paris, Wienn, oder Italien seyn. Du bist itzt am nächsten bey Paris. Es ist itzt nur die frage, wo ich mehr Hofnung habe mich hervorthun zu können? in Italien, – wo in Neapl alleine gewiß 300 Maestri sind, und wo durch ganz Italien schon öfters auf 2 Jahre die Maestri für gut zahlende Theater die Scrittura in Händen haben? oder in Paris, wo etwa 2 oder 3 fürs Theater schreiben, und die andern Componisten man an den fingern herzehlen kann? Das Clavier muß Dir die erste Bekanntschaft und Dich bey den grossen beliebt machen, dann kann man auf Subscription etwas stechen lassen, welches ein bischen mehr einträgt, als wenn man einem Italiänischen Cavalier 6 quartetti Componiert, und etliche Duggatten, oder gar ein Tabaltiert von 3 Duggatten dafür bekommt. Da ist es Wienn noch besser, wenigst kann man da eine Subscription auf geschriebene Musik machen. beydes hast Du und andre aus der Erfahrung. Kurz! könnte ich Dir mehr gesetztes wesen, oder nur eine[368] mehrere überlegung bey der Hitze Deiner Einfälle beybringen, so würde ich Dich zum glücklichsten Menschen der Welt machen. allein ich sehe, es kommt nichts vor der zeit. – und doch ist in betreff Deines Talents alles vor der zeit gekommen. Du begreiffest auch alles mit der grösten Leichtigkeit in den Wissenschaften. Warum soll es denn nicht möglich seyn die Menschen kennen zu lernen? – ihre Absicht zu errathen? – sein Herz vor der Welt zu verschlüssen? – und bey ieder Sache genau überlegung zu machen, und sonderheitlich NB nicht immer alleine bey der guten oder mir oder meinen Nebenabsichten schmeichelnden Seite sitzen zu bleiben? warum soll ich nicht meine vernunft dazu anwenden allzeit die böse Seite aufzusuchen, allen fällen und folgen nachzuspühren – und endlich dadurch auf mein interesse zu denken, und der welt zu zeigen, daß ich Einsicht und vernunft habe? oder glaubst Du es ist mehr Ehre, wenn ich mich für einen Narren halten, und von andern zu meinem schaden auf ihren Eigennutz hinlenken lasse, die dann in die Faust lachen und Dich als einen jungen ohnerfahrenen Menschen ansehen, der zu allem zu bereden ist. Mein lieber Sohn, gott hat Dir eine treffliche vernunft gegeben. was Dich hindert solche manchmal nicht recht anzuwenden sind, wie ich einsehe, nur 2 ursachen. denn wie man sie brauchen soll – und wie man Menschen kennen kann, hast Du durch mich, genug gelernet. Du sagtest oft aus spaß, da ich alles so errathen konnte, alles so oft voraus sahe: der Papa kommt gleich nach gott. Was meinst Du wohl was dieß für zwo ursachen sind? – untersuche dich, lerne Dich kennen, mein lieber Wolfg: – Du wirsts finden: es sind ein bischen zu viel Hochmuth, und Eigenliebe; und dann daß Du Dich gleich zu familiär machst, und iedem dein Herz öffnest, kurz! daß Du, da Du ohngezwungen und natürlich seyn willst in das gar zu offenherzige verfällst. Das erste sollte zwar das letztere verdrengen. Dann wer Hochmuth und Eigenliebe besitzt wird sich nicht leicht zur familiarität herablassen. Allein Dein Hochmuth und aigenliebe wird nur beleidiget, wenn man Dir nicht gleich die gebührende Hochschätzung erzeuget: so gar Leute die Dich noch nicht kennen, sollten Dirs an der Stirne lesen, daß Du ein [369] Mensch von genie bist. schmeichlern hingegen die Dich mit absicht Dich auf ihren Eigennutz hin zu ziehen, in den Himmel erheben, kannst Du mit der grösten Leichtigkeit Dein Herz öffnen und ihnen in allen, wie dem Evangelium glauben. Du wirst auch ganz natürlich betrogen, dann sie brauchen sich nicht zu verstellen, weil das Lob billig ist; sie sagen nicht, was nicht die Wahrheit wäre und sie sich zwang anthun müsten, solches vorzubringen; nur ihre absichten bleiben Dir verborgen, die Dir also Nebenumstände zeigen müssen, und zeigen können. und um Dich desto gewisser zu fangen mischen sich die Frauen zimmer darunter – widerstehest Du da nicht, so bist unglückseelig auf Deine Lebenszeit. überlege alles, was Dir immer in der kurzen zeit deines Lebens begegnet ist, – überlege es mit kaltem Bluthe, mit gesunder ohneingenommener vernunft – und Du wirst sehen, daß ich nicht allein als vatter, sondern als Dein gewisser freund mit Dir spreche. Dann so angenehm; so lieb mir der Nahme Sohn zum Herzen dringet; so sehr ist oft den Kindern der Nahme vatter verhasst. Das glaub ich von Dir nicht: obwohl Du von einem frauenzimmer in Wien die Worte gehört hast. ach, wenn doch nur kein vatter wäre. welche Worte allein Dir eine abscheu hatten erwecken müssen. Ich bitte Dich, glaube nicht, daß ich ein Misstrauen in Deine Kindliche Liebe setze; alles, was ich sage geht nur dahin, einen rechtschaffenen Mann aus Dir zu machen. Million Menschen haben keine so grosse gnade von gott erhalten, wie Du. welche verantwortung! Wäre es nicht immer schade, wenn ein so grosses genie auf abwege geriethe! – und das ist in einem augenblick geschehen! – Du bist mehr gefahren unterworffen all die Milion Menschen die das Talent nicht haben, dan Du bist ohnendlich mehr verfolgungen auf einer, und Nachstellungen anderseits ausgesetzt. Die Mamma geht mit Dir nach Paris, Du must ihr in allem mündlich Dein vertrauen und mir durch Briefe wiedmen. mit nächster Post werde alles anzeigen, sammt allen adressen und briefen an Diderot, D'Alembert x: Du wirst auch Reise – – und andre berechnungen von mir erhalten in betreff der Kost, und der Musikalien-stechensunkosten. ich [370] muß schlüssen die Nannerl und ich Kissen euch viel mille mahl und bin

Mzt


alles empfehlt sich, in specie hl: Bullinger

mit nächster Post werde wohl umständlich vernehmen, wie viel ihr geld habt. die chaise wird dann verkauft.

8Im Hellbrunn ist nächtlicher Zeit ein zahmer Hirsch, der iederman das Brod aus der Hand nahm, und dem Fürsten sehr lieb war, todgeschlagen und ausser dem Hellbrunn ausgezogen worden. gestern waren 200 Personen auf dem Baal, am vergangenen Mittwoch nur 36. der Fürst war noch niemals darauf. wir haben gar keine ursache nur an einen Baal zu denken. alles Empf: sich. hl: Deibl der alle Sontag nachfragt Catt: Gilowsky. hl: Bullinger. Salerl xx:

das übrige wegen Paris werde alles nächstens schreiben.

Fußnoten

1 Antwort auf Wolgfgangs Brief vom 14. Februar.


2 De Jean.


3 s. Wolfgangs Brief vom 10. Dez. 1777.


4 S. Wolfgangs Brief vom 20. Dezember 1777.


5 s. Wolfgangs Brief vom 7. Februar 1778.


6 Auflösung der Chiffren: erzbischof verdruß


7 erzbischoff


8 Auf dem Briefumschlag.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 3. München/ Leipzig 1914, S. 371.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon