Vierzehnter Abschnitt.
Fortsetzung der dritten Kunstperiode Gluck's. (1777–1778.) Gluck's Oper »Armida« und Piccini's Oper »Roland.« Fortdauer des Musikstreites.
1777.

Vier Jahre waren verflossen, dass der Ritter Gluck die ausserordentliche Ehre, fast im Alleinbesitze der königl. Akademie der Musik zu seyn, im Frieden genoss. Einige gewagte Versuche, die Einförmigkeit dieses Schauspiels – wie die Anhänger der italischen Schule meinten – durch andere Erzeugnisse zu unterbrechen, hatten einen so geringen Erfolg, dass man füglich sagen konnte, sie dienten mehr dazu, den Triumph des neuen Orpheus zu erhöhen. Selbst Herr Grimm, auch ein Partheigänger der italischen Musik, gesteht es ein, dass Gluck's Musik als eine neue Erscheinung angekündigt, Anfangs manche Verfolgung erfahren musste; man kannte ja den Abscheu der Franzosen gegen alles Neue, ausgenommen in Sachen der Mode; gleichwohl trug ein guter Stern den Ritter Gluck bald über seine Feinde hinweg, selbst über die zum mindesten gefährlichen enthusiastischen Bewunderer, deren Uebertreibungen allen gebildeten Geistern grosses Aergerniss einflössten. Diese, welche zum Beispiel die »Alceste« mit vielem Vergnügen hörten, liebten es nicht, dass man ihnen aus diesem Vergnügen ein Gesetz machte; dass man öffentlich druckte, diejenigen, welche es nicht eingeständen, seien Leute, die mit trockenem Auge die Tugend leiden sähen, und von den wahrhaften Zügen des Edelmuthes und der Seelengrösse nicht gerührt würden. Sie liebten es nicht, dass man sich die Bemerkung erlaubte: »Alceste« gefalle nur vorzüglich guten Menschen, den Familienvätern, den zärtlichen Müttern, den guten Freunden und gefühlvollen jungen Leuten, weil es diesen möglich schien, dass ein Wesen alle jene Eigenschaften besitzen könne.[288]

Aber das Verdienst dieses, jetzt emphatisch gelobten Werkes ward nicht weniger gefühlt, nicht weniger anerkannt – und die musikalische Revolution schritt täglich weiter. So thätig auch die nie rastende Parthei der Ramisten und Lullysten in jenen Tagen noch seyn mochte, ihre Kabale wich bestürzt, das Glück des deutschen Tonsetzers war entschieden, und auch die Theater-Oberleitung befand sich wohl dabei.1

Die im Jahre 1775 zur Darstellung gelangte Oper »La Cythère Assiégée« – hatte nur aus dem Grunde nicht gefallen, weil ihre Handlung den Franzosen zu frostig und geschmacklos erschienen war. Die minder gute Aufnahme dieser Oper brachte ihrem Schöpfer keine Gefahr; man schloss daraus nur, dass Gluck, der Erste in seiner Gattung, diese nicht überschreiten dürfe. – Dass »Alceste« am ersten Tage beinahe durchgefallen war, schrieben die Einsichtsvolleren der linkischen Dichtung, besonders der Unbedeutendheit der Entwicklung zu; man suchte das Lächerliche ein wenig zu entfernen, und das Werk wurde zu den Wolken erhoben. So stand es mit der Liebe zur Musik in Frankreich! –


In dieser Verfassung befanden sich die Gemüther, als Piccini nach Paris kam. Ihm war seit längerer Zeit ein wohlverdienter Ruf vorangegangen. Dieser bestand in dem Erfolge seiner »Bonne Fille,« so übel das Stück parodirt und so mittelmässig es aufgeführt worden war; ferner in dem Erfolge der Opern des Herrn Grétry, der sich als Piccini's Schüler bezeichnete; endlich hatten auch alle, in den Liebhaber-Konzerten und im Concert Spirituel bisher mit Begeisterung aufgenommenen Stücke von der Komposition des Neapler Tonsetzers viele Pariser zu seinen Gunsten gestimmt.

Piccini2 erfreute sich in seinem Vaterlande der höchsten[289] Achtung, und die ersten Häuser in Neapel, unter denen die Fürstin Belmonte-Pignatelli, der die herrliche Stimme des berühmten Sängers Raff in der Jugend das Leben gerettet hatte, ihn besonders wie einen Sohn behandelte, stritten sich um die Ehre, den Tonsetzer in der Stadt und auf ihren Landsitzen zu bewirthen und mit Wohlthaten und Huldigungen zu überhäufen. Kein ausgezeichneter Fremder kam nach Neapel, der ihn nicht zu sehen, zu hören und sich seiner Unterhaltung zu erfreuen strebte, die eben so liebenswürdig und reizend war, als seine Musik.

Diesen Tonsetzer wollte man nun nach Paris ziehen, um ihn unserm Gluck entgegen zu setzen und der italischen Parthei Genüsse in ihrer Weise zu bereiten. Schon früher hatte Laborde, Kammerjunker Ludwig XV., im hohen Auftrage mit Piccini unterhandelt; und nach des Königs Tode erhielt der Neapler Gesandte, Marquis Caracciolo, von der jungen Königin die Erlaubniss, diese Unterhandlungen zu erneuern. Dieser lud Piccini nach Paris ein, indem er ihm eine feste Stellung und ein vortheilhaftes Loos für sich und seine zahlreiche Familie in Aussicht stellte.

Piccini verliess demnach Italien, das er seit mehr als zwanzig Jahren mit seinem Namen und seinen Werken verherrlicht hatte, und kam in den letzten Tagen des Dezembers 1776 nach der Seine-Stadt. Seine Ankunft wurde geräuschvoll angekündigt; die berühmtesten Pariser Künstler, die grössten Virtuosen, mit Ausnahme Grétry's,3 beeilten sich, ihm ihre Huldigungen darzubringen; und als die italischen Schauspieler seine »Bonne Fille« zur Wiederaufführung brachten, da verlangte das Publikum mit lautem Geschrei den Tonsetzer und empfing ihn mit vielfachem Zurufe. Damals zitterte die Parthei der Gluckisten, und die eines Sacchini, Piccini und Traetta gewann wieder Muth.

Man wusste, dass Frankreichs erhabene Herrscherin, die[290] an den Fortschritten aller Künste den innigsten Antheil nahm, selbst einige derselben pflegte und sie alle als kostbare Zweige des öffentlichen Wohles beschützte; man wusste auch, dass diese Königin, obschon sie Gluck nach Paris gezogen hatte, auch Piccini, dem Könige zu Liebe, in Frankreich zu fesseln versuchte, und dass die Opéra ihm eine ansehnliche Besoldung geboten habe; man wusste ferner, dass Marmontel sechs Dichtungen von Quinault4 bereits umgearbeitet habe, um sie für die neuere musikalische Form und Ausdrucksweise geeigneter zu machen; dass er einige derselben dem Maestro schon anvertraute, und dass sie täglich mit einander arbeiteten: allerdings Umstände, um eine neue, lebhafte Bewegung hervorzurufen! – Es war, wie Grimm schalkhaft sagt, eine neue Revolution, die man den Franzosen bereitete! – Welche Tyrannei, ohne Unterlass die Vergnügungen der Franzosen ab ändern zu wollen! – Kann man denn ein musikalisches System wie ein politisches umtauschen? Kaum hatten wir, sagten die Einen, uns an diese neue Musik gewöhnt, die sich wenigstens eben so gut anhören lässt, als die Musik unserer Väter, so sollen wir schon wieder darauf Verzicht leisten! – Kaum hatten wir, sagten die Andern, den Geschmack der Nation gebildet, so will man sie wieder in die alte Barbarei zurückführen. Waren wir nicht bereits dahin gelangt, ihr den erhabensten Geschmack einzuhauchen? – Nun geht man damit um, sie für den Firlefanz und alle jene leichtfertigen Zierrathen, die wir zu verbannen suchten, und deren Italien selbst satt ist, neuerdings einzunehmen. Schafft man denn Musik, um den Ohren allein zu schmeicheln? Nein, sondern um die Leidenschaften in ihrer ganzen Grösse zu malen, auf die Seele zu wirken, den Muth zu heben, die Sinne an die wehmüthigsten Eindrücke zu gewöhnen, Bürger und Helden zu bilden u.s.w. Meine Herren, vereinigen wir unsere Kräfte, die Krisis abzuwenden, die den Ritter von Gluck und die ganze Gesellschaft bedroht! –

Von allen Seiten flogen nun Pamphlete, Sarkasmen, anonyme[291] Briefchen. Der »Courier de l'Europe,« die »Gazette du Soir,« alle Zeitschriften, indem sie den Ritter Gluck mit den übertriebensten Lobsprüchen überhäuften, sä'ten mit vieler Geschicklichkeit jene Meinungen aus, die am geeignetsten schienen, den Erfolgen Piccini's entgegen zu wirken. War es nicht möglich, irgendwie den Tonsetzer lächerlich zu machen, so bemühte man sich, den Dichter anzugreifen, der sein Verbündeter war.

Marmontel erlaubte sich bei einer Aufführung der »Alceste« die Aeusserung, dass der Vers: »Par son accent m'arrache et déchire le coeur« – so erhaben er sei, ihm doch die Ohren zerreisse. Seine Worte wurden in der »Feuille du Soir« abgedruckt; aber man setzte hinzu: »Sein Nachbar, entzückt über die Erhabenheit dieser Stelle und die Art, mit der sie vorgetragen wurde, antwortete ihm: ›Ach, mein Herr! welch ein Glück, wenn der Vers dazu dient, Ihnen andere Ohren zu verschaffen!‹« – Der vorgebliche Nachbar war Niemand Anderer, als der Abbé Arnaud.

Einen musikalischen Streit bei den Ohren zu beginnen, erschien zwar nicht unpassend; aber zwei Mitbrüder und Mitglieder der berühmten Académie française – welch ein Aergerniss! – Marmontel setzte wohl diesem unartigen Ausspruche Verachtung entgegen; ein Gleiches that er in Beziehung auf den Brief des Ritters v. Gluck, in welchem der Dichter schonungslos behandelt wurde, und den der Bailly Du Rollet durchgesehen, verbessert, und die Unbescheidenheit begangen hatte, ihn in ganz Paris die Runde machen, und dann im »Courier de l'Europe,« wider Gluck's Willen, aufnehmen zu lassen.

Aber ein Zug, durch den Marmontel sich besonders verletzt fühlte, weil er darin die entschiedenste Absicht, seinem Freunde Piccini zu schaden, erkennen mochte, war der Scherz, der wenige Wochen später in der nämlichen »Feuille du Soir« erschien, die dazu bestimmt war, die grösste Rolle in jenen Streitigkeiten zu spielen: »Wissen Sie,« sagte Jemand im Amphitheater der Opéra, »dass der Ritter Gluck mit der Musik der ›Armide‹ und des ›Roland‹ in seinem Portefeuille nächstens[292] anlangen wird?« – Des »Roland?« – sprach Einer der Nachbarn: »aber Piccini arbeitet ja so eben daran.« – »Wohlan, desto besser,« entgegnete der Andere, »so werden wir einen Orlando und einen Orlandino haben!«5

Man muss das Genie des Sängers des Orlando, oder alles Talent des Sängers des Orlandino besitzen, um die Empfindlichkeit, den Unwillen und den Zorn, den dieser boshafte Scherz in Marmontel's Gemüth erregte, so wie die trübseligen Folgen dieser ersten Bewegung und die Widerwärtigkeiten, die sowohl für die Musik, als für die Philosophie der Kunst daraus entspringen konnten, naturgetreu zu schildern, oder zur Anschauung zu bringen.

Einige Tage waren seit der Erscheinung dieses Blattes der Zwietracht verflossen, und die Mehrzahl der Leser schien dessen Inhalt bereits vergessen zu haben, als der davon unterrichtete Marmontel in einer Gesellschaft von zwanzig Personen, welche sich bei Herrn de Vismes, ehemaligem Finanzbeamten, versammelt hatte, die offene Erklärung abgab, dass nur ein Nichtswürdiger – ein Schuft – sich solch eines boshaften und schändlichen Sarkasmus habe bedienen können. Die Wärme, mit der Herr Suard die Vertheidigung führte, setzte Marmontel über den wirklichen Erfinder jenes geistreichen Scherzes ausser allen Zweifel. Dieser sah wohl ein, dass er mit Jedermann einer Meinung seyn musste: aber die Titel, womit er so eben Einen seiner Mitbrüder bezeichnet hatte, schienen ihm nichts destoweniger die geeignetsten und passendsten von der Welt.

Nach diesem verhängnissvollen Augenblick bemächtigte sich[293] die Zwietracht aller Gemüther; sie schleuderte das Zerwürfniss selbst in die Pariser Akademie, in die Kaffeehäuser, in alle literarischen Vereine. Die Menschen, die einander einst am eifrigsten gesucht hatten, flohen sich nun; selbst die Tischgesellschaften, die alle Klassen von Geistern und Charakteren vereinigt hatten, waren jetzt in die Fesseln des Zwanges und des Misstrauens geschlagen, und die glänzendsten Versammlungsörter für den Geist, sonst so zahlreich, waren nun zur Hälfte verlassen. Man fragte nicht mehr: »Ist er ein Jansenist, ein Molinist, ein Philosoph, ein Frömmler?« – man fragte: »Ist er ein Gluckist, ein Piccinist?« – Und die Antwort auf diese Frage entschied alle andern.

Gluck's Parthei hatte für sich die beredte Begeisterung Arnaud's, den gewandten Geist des Herrn Suard, die Dreistigkeit eines Bailly Du Rollet und vor Allem – wie die Anhänger der Italiener meinten – einen Orchesterlärm, der in allen Streitigkeiten der Welt nothwendig die Oberhand behalten muss.

Die Parthei der Piccinisten hatte nichts für sich als eine Musik, die dem Ohre schmeichelte, die Stimmen einzelner Künstler, und Marmontel's Eifer, dessen Hitze unermüdlich, und dessen Benehmen mehr als freimüthig genannt werden konnte.

Die einzige Schrift, behauptet Herr Grimm, welche nebst den gediegenen »Petites Lettres« von Suard zu Gunsten Gluck's erschienen wäre, sei Marmontel's: »Essai sur les révolutions de la Musique en France.« – Und doch hätten die Häupter der Gluck'schen Parthei der darin enthaltenen Weisheit und Mässigung ihre Bewunderung gänzlich versagt. Diese Schrift behandle nur den Beweis, dass die gelehrten Deklamationen jener Herren, ihre tiefen und zuweilen sehr dunklen Forschungen uns nicht hindern sollen, dem Wetteifer der Talente die Bahn zu öffnen. Marmontel's billige Gesinnung könne aus folgendem Bruchstücke hinlänglich beurtheilt werden:

»Herr Gluck,« sagt dieser, »wurde von den Franzosen gut empfangen, und er habe es auch verdient. Er gab der musikalischen Deklamation grössere Schnelligkeit, Kraft und Nachdruck;[294] und, indem er den Ausdruck übertrieb, hat er ihn wenigstens vor Uebermass durch das entgegengesetzte Uebermass gerettet (!). Er verstand es, der Harmonie grosse Wirkungen zu entlocken; er zwang unsere Schauspieler zum rhythmischen Gesange, verwendete den Chor bei der Handlung und verband den Tanz mit der Scenerie; endlich seine Art gehöre zur römischen oder gemischten Säulenordnung, wo der deutsche Geschmack zwar vorherrschend, aber zugleich von dem Bestreben durchdrungen sei, die Charaktere der französischen Oper mit der der italischen Musik zu versöhnen. Man gebe ihm Nebenbuhler, würdig, ihn in dem Fache zu erreichen, in welchem er sich auszeichnet, und würdig, ihn in dem Fache zu übertreffen, in welchem er sich nicht auszeichnet; möge er sich dann behaupten, wenn er es vermag, durch die Kraft seines Orchesters und durch die Heftigkeit seiner Deklamation! Die mit ihm ringen, mögen sich durch eine eben so leidenschaftliche und ergreifende Musik, als die seinige ist, dann durch eine ebenso ausdrucksvolle, aber reinere und durchsichtigere Harmonie hervorthun; und möge die französische Nation, nachdem sie den Charakter beider Musikweisen und der von ihnen hervorgebrachten Wirkungen mit Musse gegen einander abgewogen hat, sich selbst berathen, und dann über das grosse Geschäft ihrer Unterhaltungen entscheiden.«

Dieses, in Marmontel's Schrift ausgesprochene Urtheil und noch manche andere, in derselben enthaltene Dinge waren ganz geeignet, die Parthei der Widersacher des Verfassers noch mehr aufzustacheln. Man hörte seitdem nicht auf, in allen Blättern, welche diesen Herren zur Verfügung standen, ihn fortan zu verfolgen. Eine Legion entfesselter Kobolde, die geschworen zu haben schien, ihn mit Nadelstichen zu tödten, heftete sich an seine Fersen. Die Müssiggänger freuten sich dieses Unfuges, die Bosheit fand ein Behagen daran, und die Vernünftigeren beweinten im Stillen das Aergerniss, dem die Philosophie der Kunst preisgegeben wurde. »Man hat uns,« sagte ein Garasse, ein Riballier,6[295] »unsere Unduldsamkeit vorgeworfen, obschon es sich um die heiligsten Wahrheiten handelte: Da seht nun, wie diese Herren einander behandeln; wie sie sich um die leichtfertigsten Meinungen der Welt unter einander zerfleischen! Ist der Gegenstand ihrer Streitigkeiten minder dunkel, als unsere Geheimnisslehren? Sind ihre Erklärungen lichtvoller, als die der Andern? – Man sage uns nach solchen Vorgängen noch einmal, dass es möglich sei, abweichende Ansichten zu hegen, und sich dennoch mit Duldsamkeit zu ertragen.«


In der letzten Faschingsnacht des Jahres 17767 brannte das alte Reggio-Ducale Teatro in Mailand nebst anderen anstossenden Gebäuden, sammt dem ganzen Archive bis auf den Grund nieder. Darauf wurde der Bau des nunmehrigen Theaters alla Scala beschlossen, und in's Werk gesetzt. Das neue Theater sollte im Jahre 1778 eröffnet werden. Der Adel hatte auch hier, wie in den meisten italischen Städten die Oberleitung des Schauspiels; es war nun auch dessen Sorge, sich des besten Maestro für die Komposition der Oper zu versichern; man war jedoch in der Wahl verlegen; denn Italien allein bot die Namen eines Buranello, Sacchini, Piccini, Traetta, Paesiello, Anfossi, Guglielmi und anderer dar. Wer hätte geglaubt, dass die Nobile Direzione in Mailand sich an einen Deutschen, und zwar an unsern Gluck wenden würde, der, den Nachrichten der Kenner eines Pariser Kaffeehauses zufolge, weder Gesang noch Melodie, sondern eine barocke und läppische Harmonie, einen altdeutschen und höckerigen Styl und keine Berühmtheit hatte? – Die mailändischen Nobili schienen demnach – wie diese Herren meinten – nicht zu[296] wissen, wie man über Gluck dachte, als dieser ein von Carlo Caccio, Sekretär der Direktion im Namen dieser abgefasstes, vom 30. August 1777 datirtes Schreiben des Inhaltes erhielt:

»Die Direktoren des neuen Theaters in Mailand wollen das Fest der Eröffnung desselben mit dem grössten Glanze begehen. Durch die Berühmtheit des Ritters von Gluck und dessen allgemeinen Beifall bestimmt, fühlten sie sich bewogen, ihn nach Mailand zu erbitten, um dort eine Opera seria zu schreiben. Von zweien für diese Stagione zu setzenden Opern soll die Eine im Herbste des Jahres 1778, und die Andere im Karneval des Jahres 1779 zur Aufführung gelangen. Sie wüßten gar wohl, dass die Sorge, die Gluck den Vergnügungen seiner souverainen Höfe schuldig ist, ihm nur sehr schwer gestatten werde, sich von denselben zu entfernen; da sie jedoch nur um eine kurze Zeit bitten, so nähren sie die Hoffnung, er werde ihren Wünschen freundlichst entgegen kommen.«

Da aber Gluck schon durch seine früheren, der Pariser Akademie der Musik geleisteten Versprechungen gebunden war; so konnte er diesem Ansinnen nicht mehr nachkommen, und nur eine ablehnende Antwort ertheilen.


1777.

Dienstag, den 23. September gab die königl. Akademie der Musik8 die erste Vorstellung der Oper »Armida« von Gluck, nach Quinault's Dichtung.9

Die Proben zu dieser dramatischen Schöpfung hatten mit[297] Anfang Juli begonnen, und wurden bis zur ersten Vorstellung fleissig fortgesetzt.

Die handelnden Personen sind:

Armide, Zauberin, Hidraot's Nichte (Sopran).

Phénice Armidens vertraute Frauen (Sopran).

Sidonie Armidens vertraute Frauen (Sopran).

Hidraot, Zauberer und König von Damas (Bass), sammt dem Chore des Volkes.

Aronte, Führer der von Armiden gefangenen Ritter (Bass).

Renaud, der tapferste Ritter in Gottfried's Heere (Alt).

Artémidore, Einer der gefangenen Ritter (Alt).

Ein Dämon als Najade (Sopran).

Dämonen als Nymphen, Hirten und Hirtinnen.

Fliegende Dämonen und solche als Zephyre.

Der Hass (Sopran), mit seinem Gefolge.

Ubalde (Bass) Ritter, welche Renaud suchen.

Ein dänischer Ritter (Alt) Ritter, welche Renaud suchen.

Ein Dämon, als Lucinde, Geliebte des dänischen Ritters.

Dämonen als Bewohner der Insel, auf welcher Armida den Renaud zurückhält.

Ein Dämon als Melisse, Geliebte des Ubalde (Sopran).

Dämonen der Vergnügungen und glücklich Liebender.


Gluck's Freunde behaupteten, diese Vorstellung habe die Meinung, die das Publikum von dem Genius des Verfassers hegte, hinlänglich beantwortet. Wenn, wie die Erfahrung lehrt, die besten dramatischen Werke die hohe Stufe verdienter Würdigung nicht selten nur langsam erklommen haben,10 so dürfte diese Erscheinung sich ganz besonders bei den Tonschöpfungen[298] unseres Gluck bewähren, in denen alle Theile mit einer eben so neuen als erstaunenswürdigen Kunst verkettet und einander untergeordnet sind. Eben diese herrliche Uebereinstimmung kann als die Quelle betrachtet werden, der jene grossen Schönheiten entspringen, die in den ersten Darstellungen sowohl von dem Publikum, als von den Sängern, ja selbst von dem Orchester nur schwer begriffen werden konnten.

Wenden wir uns zur Prüfung des Gedichtes, so weiss man nicht, ob man mehr die Kühnheit, womit Gluck den Plan seines Drama's aufgefasst hat, oder die Kunst seiner Durchführung bewundern soll. Es lässt sich leicht wahrnehmen, dass er an der Schwierigkeit seines Unternehmens nicht zweifelte; dass er sie aber siegreich überwunden habe. Dazu geboren, Alles auszudrücken, was sich in einem Trauerspiele als das Erhabenste und Rührendste herausstellt, musste er es auch einsehen, wie sehr »Armida« der grossen pathetischen Wirkungen einer »Iphigénie« und »Alceste« entbehre, weil, mit Ausnahme des fünften Aktes, das Interesse derselben durch das Wunderbare allzu getheilt, gedehnt und geschwächt erscheint; er musste zugleich empfinden, dass diese Fehler nur durch den Reichthum gewisser Einzelnheiten, durch die Mannigfaltigkeit der Schattirungen und durch die Raschheit des Ganges der Handlung einiger Massen verdeckt werden könne.

Der Fortschritt in der Musik hat notwendiger Weise auch die Veränderungen in der Form des lyrischen Drama's herbeigeführt: darum sind in Quinault's Dichtungen die Haupteffekte nicht mehr die günstigsten für den Fortschritt der dramatischen Kunst. Gluck hätte die, in der Oper »Armida« vorgefundenen Klippen durch die Beseitigung aller seichten und zweckwidrigen Stellen füglich umschiffen können, wie man es schon bei den letzten Vorstellungen der Lully'schen Bearbeitung gethan hatte: allein er liess die Stellen absichtlich stehen, um dieses Meisterwerk des lyrischen Theaters der Franzosen in seiner Ganzheit zu erhalten; er überredete sich dabei, dass die Kunst hinreichende Quellen strömen lassen könne, um nicht nur die bewundernswürdigsten Schönheiten in die Bearbeitung zu tragen,[299] sondern auch, um damit alle Schwächen der Dichtung theils zu verdecken, theils zu verschönern. Jedenfalls sind die Bewunderer Quinault's ihm dafür den grössten Dank schuldig.11

Dieses Ereigniss, sagt der neutral scheinen wollende Grimm, – wurde seit langer Zeit von beiden Partheien mit Ungeduld erwartet. Man hielt es für entscheidend, und – es hat nichts entschieden. Die Gluckisten und Piccinisten fuhren fort, dieselben Ansprüche, dieselben Gehässigkeiten, dieselbe Wuth zu äussern. Man war jedoch gezwungen, zuzugeben, dass die Wirkung dieser ersten Aufführung wohl geeignet gewesen wäre, unter Partheigängern von geringerem Fanatismus und, wenn man will, von geringerer Sicherheit in ihrer Lehre, als es die Anhänger des Ritters von Gluck waren, einiger Massen Schrecken zu verbreiten.

Fast die ganze Oper wurde mit Gleichgültigkeit aufgenommen; nur der erste Akt, dann einige Arien des vierten und ein Theil des fünften Akts wurde mit ziemlicher Lebhaftigkeit beklatscht. Die Mehrzahl der Zuschauer erlaubte sich die Bemerkung, dass unter allen Werken Gluck's gerade dieses ihnen das wenigste Vergnügen gewähre. Er wollte, behauptete man, in einem Fache arbeiten, das nicht sein Fach war. Er wendete, sagten sie, Kraft und Nachdruck an, wo Anmuth und Weichheit an der Stelle gewesen wären. Mit Ausnahme der Chöre und einiger Instrumentalsätze gebe es nur wenige Scenen, wo man unversucht bleibe, Lully's leichten und natürlichen Gesang zu vermissen.

Laharpe hatte bisher nicht gewagt; an dem merkwürdigen Streite Antheil zu nehmen; wenigstens war in seinem Blatte von ihm nichts Anderes zu finden, als einige Worte zu Gunsten der Flugschrift Marmontel's, und diese nahm er zwei Tage später in der ›Feuille du Soir‹ wieder zurück, um mehrere Damen seiner Bekanntschaft zu beschwichtigen, zu denen[300] seine Uebereilung ihm den Zutritt verschlossen hatte. Trotz dieser derben Lehre konnte er sich doch nicht enthalten, eine sehr ausgebreitete und bittere Kritik des ganzen musikalischen Systems des Ritters von Gluck, in der er über Harmonie und Melodie, über Gesang und Begleitung, über Recitativ und Melopöe so ausschweifend sprach, dass des Tonsetzers Freunde zur Gegenkritik herausgefordert werden mussten, zu verfassen und der Oeffentlichkeit zu übergeben.

Nachdem er von dem schwachen Haupteindrucke der Oper gesprochen hat, sagt er: »Was die Einzelnheiten betrifft, so schien man mit dem Chore: ›Poursuivons jusqu'au trépas‹ – zufrieden zu seyn, eben so mit dem vorhergehenden Chor: ›Un seul guerrier! un seul! un seul!‹ – in welchem der Tonsetzer diese Worte sehr glücklich benützt hat; das Geschrei der Verwunderung läuft von Mund zu Munde, bis zu jener Stelle, wo Armida vernimmt, dass ein einziger Krieger alle ihre Gefangenen befreit hat. Diese Idee ist genial, und eine Erfindung des Tonsetzers. Ein anderes Tonstück übertrifft jenes an Schönheit; es ist das des Hasses und seines Gefolges im dritten Akte: ›Plus on connoit l'amour et plus on déteste.‹ – Nach der, einen furchtbaren Eindruck bewirkenden höllischen Beschwörung legt der Tonsetzer den Dämonen die Worte in den Mund, die der Dichter den Hass sagen lässt: ›Infortunée Armide! suis l'Amour qui te guide dans un abysse affreux‹ – und die traurigen und widrigen Akkorde, die der lärmenden Raserei folgen, bilden eine glückliche Abwechslung und lassen Armida's Unstern schon in vorhinein ahnen und beklagen. Es ist ein wahrhaft dramatischer, dem Komponisten gehöriger Gedanke! –

Renaud's und Armidens Duett in der ersten Scene des fünften Akts ist vom schönsten Charakter, voll Zärtlichkeit und Reiz; es gehört zu jener kleinen Zahl von Gesangstücken, die man hier und dort in Gluck's Werken wahrnimmt. (!) –

Renaud's Monolog: ›Plus j'observe ces lieux‹ – tritt, besonders durch seine Begleitung, siegreich hervor, und die Arien des vierten Akts haben etwas Angenehmes, ohne ausgezeichnet zu seyn; es sind Hirten, die da singen: aber diese Hirten[301] sind phantastische Wesen, und die Musik hat ein feenartiges Gepräge, anstatt hirtenmässig zu seyn. (!)

In der Rolle der Armida hat man, ausser dem Duette, die Stelle beklatscht: ›Le perfide Renaud me fuit; tout perfide qu'il est, mon lâche coeur le suit.‹ – Die darin ertönenden Schmerzenslaute und die grossen, wohl angebrachten, haushälterisch verwendeten Hilfsmittel verleihen dem Recitativ einen Ausdruck, den es vor Gluck's Zeiten nie hatte. Allein, fährt Laharpe in seiner Weisheit fort, wenn diese Seufzer oft wiederkehren; wenn man sie, wie in der ›Iphigénie‹ und in der ›Alceste,‹ jeden Augenblick hört, selbst in den Arien, wo sie die Stelle der pathetischen und melodischen Gesangsphrasen, die in die Seele dringen, ohne das Ohr zu erschrecken, und solche Stellen einnehmen, wie man sie in den schönen Arien der Italiener und ihrer Nachahmer bewundert: dann fühlt man sich eher betäubt als bewegt; diese rohe Erschütterung der Sinne schadet der Bewegung der Seele; man gewahrt, dass der Verfasser nur allzu oft seinen Ausdruck im Lärmen, und alle seine Mittel im Geschrei zu suchen strebt. (!) Dieses eitle, der Natur entgegengesetzte Bestreben unterscheidet sich sehr von einer Kunst, die sich auf eine verschönerte Nachahmung gründet, und durch die Aehnlichkeit das Wohlgefallen wecken soll. Ich mag den Schrei eines leidenden Menschen nicht hören; ich erwarte von der Kunst des Tonschöpfers schmerzliche, aber keine unangenehmen Töne; ich will, dass diese, wenn sie mein Herz durchdringen, auch meinem Ohre schmeicheln, und dass der Reiz der Melodie sich mit dem, auf mich bewirkten Eindruck vermenge. Ich will ihre harmoniereichen Klagen in meinem Gedächtnisse von dannen tragen, damit sie noch lange in meinem Ohre wiederhallen und in mir die Sehnsucht zurücklassen, diesen Genuss nach Gefallen zu erneuern. Habe ich jedoch nichts anderes, als den Schrei der Verzweiflung, oder die Schreckensseufzer des Unglücks vernommen, so kann ich sie wohl sehr wahr, aber auch so wahr finden, dass ich sie nicht wieder hören mag.« –

»Die Rolle der Armida,« sagt Laharpe weiter, »ist fast von einem Ende zum andern ein eintöniges und ermüdendes Geschrei.[302] (!) Der Tonsetzer hat daraus eine Medea12 gemacht, und vergessen, dass Armida nur eine Zauberin ist. Ausserdem ist dem Tonsetzer mit diesem Gedichte, das übrigens eine Fülle dramatischer Schönheiten enthält, ein schlechter Dienst erwiesen worden, weil dessen Gang der Musik keineswegs günstig ist. Dieses ewige Recitiren muss nothwendiger Weise wirkungslos bleiben. Ich berufe mich dabei auf alle glaubwürdigen Zuschauer, und Jene, die den bewunderungswürdigen Monolog: ›Enfin il est en ma puissance!‹ – noch im Gedächtnisse haben. Diese, auch nur mittelmässig vorgetragene Stelle würde einen sehr lebhaften Eindruck machen: allein sie hat durchaus keinen mit Gluck's Musik bewirkt. (!) Wie widersinnig ist es daher, zwei Künste mit einander zu verbinden, deren Eine die Andere schwächt! Man erinnere sich noch des Traumes der Armida: ›Et par un charme inconcevable!‹ – Man deklamire diese schönen Verse, und sie werden uns bezaubern, aber in der Oper ›Armide‹ uns in Eis verwandeln. (!) – Betrachten wir in der ersten SceneArmidens erhabene Antwort, wo sie, nachdem man sie lange mit dem Ruhme und seinen Lorbeeren, welche die christlichen Krieger triumphirend davon trugen, unterhalten hat, bedeutungsvoll ausruft: ›Je ne triomphe pas du plus vaillant de Tous.‹ – Man lasse eine gute Sängerin diese Verse vortragen und sie werden uns entzücken; allein in der Oper gesungen, werden sie sich von dem langen Klingklang des Gefolges der Armida, mit welchem sie doch einen auffallenden Gegensatz bilden sollten, durch nichts unterscheiden« (!) – u.s.w.

Und so geht es in Laharpe's Kritik fort. Der Tadel jagt in raschen Wettsprüngen dem Lobe so lange nach, bis alles Verdienstliche von Gluck's Arbeit abgestreift oder niedergekämpft ist. Konnte man eine solche Kühnheit ungestraft lassen? –

Unser aufgebrachter Tonsetzer versäumte nicht, gegen diese Ungerechtigkeit sich laut und bitter zu erheben; er begann damit, seinen neuen Aristarch mit ziemlicher Gewandtheit[303] wandtheit zu verspotten; dann berief er sich auf die Hälfte der Gelehrten in Paris, welche die Fähigkeit des Empfindens besässen, und die Geheimnisse seiner Kunst zu enthüllen verständen. Er gab deutlich zu verstehen, dass es sich nun darum handle, den Ruhm der französischen Nation zu rächen, und den Ausländern zu beweisen, dass nicht alle Literaten Frankreichs so unwissend wären, wie Laharpe; er wandte sich endlich ganz besonders an den Anonyme de Vaugirard (Mr. Suard) mit folgender Ansprache:13

»Da ich die Musik nicht bloss als eine, das Gehör ergötzende Kunst, sondern als Eines der grössten Mittel, das Herz zu rühren und die Leidenschaften zu erregen betrachte, und zufolge dieser Ansicht eine neue Methode annahm, habe ich mich mit der Scene beschäftigt, grosse und starke Eindrücke gesucht und vorzüglich dahin gearbeitet, dass alle Theile meiner Schöpfungen innigst unter einander verbunden seien.

Da musste ich nun wahrnehmen, dass alle Sänger und Sängerinnen, ja selbst ein grosser Theil der Musiklehrer gegen mich aufstanden, alle wahrhaft geistvollen und gelehrten Männer Deutschlands und Italiens aber mich dafür durch Lobsprüche und andere Zeichen der Anerkennung schadlos hielten. In Frankreich ist es jedoch anders. Wenn hier Einige, der Wahrheit getreue Männer der Wissenschaft mir den Verlust der guten Meinung Anderer auch reichlich zu ersetzen suchen; so gibt es doch wieder sehr Viele, die sich gegen mich erklären.

Diese Herren scheinen in der Beschäftigung, über fremdartige Gegenstände zu schreiben, sich sehr behaglich zu fühlen: denn wenn ich nach dem Beifall urtheile, den das Publikum meinen Schöpfungen zu spenden die Güte hat; so wird eben dieses Publikum sich um ihre Phrasen und Meinungen sehr wenig kümmern. Aber was denken Sie, mein Herr! von dem neuen Ausfalle, den Einer von diesen Herren, der Herr von Laharpe, sich gegen mich erlaubt hat? – Es ist ein unterhaltender Doktor, dieser Herr von Laharpe! – Er spricht von der Musik[304] in einer Weise, dass die Chorknaben von ganz Europa die Achseln darüber zucken; er spricht nur: ›Ich will – oder meine Lehre will es so!‹ – ›Et pueri nasum Rhinocerotis habent!

Werden Sie ihm, mein Herr! darüber nicht ein Wörtchen sagen? Sie, der Sie mich schon mit so grossem Vortheile vertheidigt haben? – Ach, ich bitte Sie! Wenn meine Musik Ihnen jemals einiges Vergnügen gewährt hat, versetzen Sie mich doch in die Lage, meinen Freunden in Deutschland und Italien beweisen zu können, dass es auch in Frankreich noch Gelehrte gebe, die, wenn sie über die Kunst sprechen, wenigstens wissen, was sie sprechen. Ich habe die Ehre u.s.w.

Der Ritter Gluck.«


Der wackere Anonyme entzog sich dem Vergnügen nicht, Gluck's Wünschen nachzukommen, und mit Herrn Laharpe zur Ehre der ihm wohlgefälligen deutschen Musik eine neue Lanze zu brechen. Er entfaltete in der Vertheidigung des deutschen Tonsetzers all jenen Geist, und jene Geschicklichkeit, die Jedermann nöthigte, seine Tiefe, seine lichtvolle Klarheit, seine logische Schärfe laut anzuerkennen, besonders, als er den Beweis führte, dass Laharpe sowohl in der Musik, als in der griechischen Sprache ganz unerfahren sei; auch konnte man ihm unmöglich grollen, wenn er dem ungeschlachten Gegner zu verstehen gab, dass etwas mehr Höflichkeit der Streitsache keinen Eintrag thue, noch dem Fortschritte des guten Geschmacks zum Schaden gereiche. Derlei Dinge waren Jedermann mundgerecht und eines sicheren allgemeinen Eindruckes gewiss.14[305]

Auch Gluck's »Armida,«15 deren erste Vorstellungen gleichgültig aufgenommen worden waren, gewann nach und nach einen immer günstigeren Boden, ja diese Oper behauptete sich noch spät an den Festtagen der königl. Akademie der Musik. Obgleich die Dichtung, wie gesagt, von allen Stoffen, die Gluck wählen mochte, seinem Fache am wenigsten zuzusagen schien: so kam man doch in Paris allgemein darin überein, dass der deutsche Tonsetzer in diesem Werke gar mancherlei Schwierigkeiten besiegt habe; dass die Chöre von grosser Schönheit, manche Gedanken neu, wenn auch nicht immer am gehörigen Orte, jedoch überhaupt se die gleichförmigste und gelehrteste Arbeit sei, die er für die Pariser Akademie geschaffen habe. Was bei der ersten Aufführung am lebhaftesten beklatscht worden war, nämlich das Ende des ersten Akts, wurde gerade jetzt am meisten bekrittelt. Der Chor, durch den der Tonsetzer die Erzählung des Aronte unterbrechen lässt, nämlich, dass ein einziger (un seul) Krieger alle ihre Gefangenen befreit habe, zeigte sich stets von wunderbarer Wirkung; Gluck hat das »un seul« vom Hauptsatze getrennt, um daraus einen herrlichen Chor der Verwunderung zu bilden, und zwar so herrlich, dass Armidens Ausruf: »Ah! c'est Renaud!« – der ohne Zweifel der Hauptmoment der Scene ist, nicht fürder beachtet wurde. Auch Laharpe hat diesen Tonsatz lobend hervorgehoben. Der folgende: »Poursuivons jusqu'au trépas« – schliesst den Akt zwar in sehr glänzender Weise: allein man machte diesem Chore den Vorwurf, dass der Anfang desselben bloss die Unruhe einer geheimen Verschwörung ausdrücke, und dass dieser Ausdruck sich dem Gedanken des Dichters nicht ganz fügen wolle, zu geschweigen, dass es unnatürlich sei, vom Schrecken zur Verachtung, und von der höchsten Bewunderung zur glühendsten Rache einen so raschen Uebergang zu bilden.[306]

Die Vorstellungen der »Armida« wurden bloss Sonntags und Donnerstags durch die Zwischenspiele »Pygmalion,« »Devin de Village« und durch ein neues Hirtenspiel, »Myrtil und Lycoris« von Desormery, unterbrochen.

Die italischen Schauspieler gaben am 17. Dezember eine Parodie der »Armida« mit dem Titel: »L'Opéra de Province.« – Sie war, wie die Parodie der »Alceste,« das Werk einer Gesellschaft junger Leute voll Geist und Heiterkeit. Der Inhalt ist folgender: Ein junger Mann wurde nach Rheims geschickt, um daselbst seine strengen Prüfungen für die juridische Doktorswürde abzulegen. Aber des Bartholus und Cujacius überdrüssig, wirbt er sich bei einer Truppe an, welche die Oper aufführt. Sein Oheim und der Doktor, mit der Leitung seiner Studien beauftragt, kommen ihn aufzusuchen, wie Ubalde und der dänische Ritter den Renaud suchen; entreissen ihn den Verführungen der ersten Schauspielerin und sperren ihn ein. Dieser Gedanke schien zwar sehr geistreich; man hatte aber die Bemerkung gemacht, dass die Verfasser nicht alle jene Vortheile daraus gezogen haben, die sie hätten daraus ziehen können, wenn sie dem Stoffe weniger Fremdartiges beigemischt und sich damit begnügt haben würden, bloss eine Parodie der »Armida« zu machen, anstatt eine Kritik der Oper.


So stand das Urtheil über Gluck's »Armida« in Frankreichs Hauptstadt: wir werden aus dem Folgenden ersehen, wie ganz anders und würdiger sich dasselbe bei des Tonsetzers Landsleuten, wenn auch erst seit Reichardt, der den Norddeutschen über Gluck zuerst die Augen öffnete, festgestellt hat.

Den Stoff zur Oper »Armida« hat der französische Dichter Quinault dem vielgefeierten romantischen Heldengedichte des Torquato Tasso »Das befreite Jerusalem« – entnommen. Er ist im Wesentlichen folgender:

Zur Zeit der Kreuzzüge, als das abendländische Heer unter[307] den Befehlen des Gottfried von Bouillon vor den Mauern Jerusalems lag, versammelte der Fürst der Unterwelt seine Getreuen zur Berathung, wie man die Macht der Christen stürzen, und das Heer der Kreuzfahrer verderben wolle. Der verschmitzteste der Dämonen erhält den Auftrag, Hidraot, welcher König von Damascus und ein den Christen übelwollender Zauberer war, durch seine Einflüsterungen dahin zu vermögen, dass er seine Nichte Armida, auch eine Zauberin und zugleich die berühmteste Schönheit des Morgenlandes, in das Lager sende, um Gottfried's Ritter zu verführen.

Das Unternehmen gelingt. Mit Erzählung einer erdichteten Begebenheit und mit der Bitte, sie in ihr väterliches Reich, aus dem sie vertrieben worden sei, wieder einzusetzen, und durch die Anwendung jedes Zaubers ihrer Reize, bewegt sie wirklich die tapfersten Ritter im Lager, ihr zu folgen und für sie in Liebe zu entbrennen. Kaum sind sie in ihrer Gewalt, so werden sie überlistet, und gefesselt dem Könige von Aegypten zugesendet.

Auf dem Wege jedoch begegnet ihnen Renaud, der Achilles des deutschen Heeres, der eines Zweikampfes wegen aus dem Lager geflohen war. Dieser fällt mit Löwenmuth die geharnischten Begleiter der Gefangenen an, tödtet jene, und gibt diesen die Freiheit.

Aber die Herzenseroberin Armida sucht den tapfern Jüngling auf, um ihn zu verderben, und findet ihn schlafend auf einer Insel am Orontes. Während sie den Mordstahl auf ihn zuckt, wird sie von dessen männlicher Schönheit plötzlich getroffen; der Dolch entsinkt ihrer Hand, und die heisseste Glut der Liebe durchströmt ihr Herz, obschon sie, die früher keinen Mann erkennen wollte, gegen das Erwachen dieser Leidenschaft vergeblich ankämpft. Sie ruft nun im jungfräulichen Zorne den Hass und sein Gefolge zu Hilfe, um sich jenem Liebesnetze zu entwinden, das der Anblick des schlafenden Feindes über ihr Haupt geworfen hat, allein das Schicksal ihres Geschlechtes hat sich an ihr bereits unerbittlich erfüllt.

Aber auch Renaud entbrennt in sie, und die beiden Liebenden werden von Armidens Dämonen nach einer bezauberten[308] Insel im fernen Ozean getragen, wo der Ritter in weichlicher Musse und sehnsuchtsvollem Schmachten mit der heiss Geliebten alle Wonnen gegenseitiger Liebe geniesst und in den Armen der holden Zauberin seines Heeres und Heldenruhmes vergisst.

Da indessen das Christenheer ohne Renaud's Arm vor Jerusalem nur fruchtlose Stürme wagt; so werdenUbalde und ein dänischer Ritter von Gottfried entsendet, um den Aufenthalt des Verbannten zu erforschen, ihn aus seiner Thatenlosigkeit zu reissen und zu seinem Heere zurückzuführen. Sie segeln in einem Wunderschiffe, das ein christlicher Magier ihnen zugleich mit einem diamantenen, zauberzerstörenden Schilde, einem goldenen Zepter von gleicher Wirkung und einem Schwerte für Renaud gegeben hatte, nach Armidens Insel, landen dort, werden selbst von den zauberischen Erscheinungen ihrer heimatlichen Geliebten in Versuchung geführt, überwinden jedoch diese und alle, die Insel beschützenden Ungeheuer und bewegen den in Liebe versunkenen Renaud, den Ort und seine Verführerin zu verlassen.

Dieser, in Ubalde's Zauberschilde sich entwaffnet und mit Blumengewinden geschmückt erblickend, entreisst sich beschämt den Empfindungen der Lust, entledigt sich des ihn entehrenden Schmuckes, rafft seine Waffen wieder auf, erweckt seinen Muth von Neuem und athmet wieder nichts als Kämpfe.

Die einsame und verlassene Armida glüht vor Hass und Rache; sie gebeut den Dämonen, ihren Zauberpalast zu zerstören, und – ein geflügelter Drachenwagen führt sie von dannen.


Doch Gluck's Armida16 ist nicht die Armida des Tasso, was auch das Textbuch sagen mag. Sie ist wirklich weit eher eine Medea, eine stolze, unversöhnliche Zauberin, die von[309] einer zürnenden Gottheit mit jener verzehrenden Leidenschaft geschlagen wurde, gegen die sie vergebens ankämpft. Sie spricht von ihrer Liebe wie von einem Fluche, und von dem Gegenstande derselben wie von einem Feinde. Sie versucht den widerhakigen, vergifteten Pfeil aus ihrer Brust zu ziehen, und ist von Wuth und Scham erfüllt über ihre schwachen, vergeblichen Anstrengungen. Sie beschwört Furien und Dämonen zu Hilfe; und als sie endlich Renaud durch ihre Zaubereien sich unterworfen hat, fühlt sie das Erniedrigende eines solchen Sieges, die Schmach einer solchen Liebe. »Er liebt mich« – ruft sie – »Renaud glüht für mich! O Flamme, die mich schmähet! Hohn, so geliebt zu seyn! Hier fleht nicht reine Liebe, sie folgt dem Machtgebot der Zauberin allein. Wie anders ist die Glut, die mich für ihn entbrannt! Armida unterlag, selbst in der Rache Feuer, schon den Mordstahl gezückt auf des Schlummernden Brust; des Jünglings Liebreiz allein, der durch Schönheit entzückt ohne magische Waffen, der der Kunst nie gebot, für ihn Liebe zu schaffen. Ach, seine Liebe gleicht der meinigen nicht!« –

Das sind die Zeichen, unter denen ihre Liebe triumphirt; das die Ahnungen, durch die ihr Triumph vergällt wird! – Die Idee ist durchaus hochtragisch, und weit eher griechisch, als italisch. Das Verhängniss schwebt beständig mit seinen dunklen Fittigen über den heitersten Scenen des Drama's; wir sehen überall seinen Schatten. In Tasso's Armida vergessen wir die Zauberin über dem Weibe; wir sehen sie hier sanft schmachtend, ihrer Liebe und ihrem Geliebten dahin gegeben. Gluck's Armida ist stets furchtbar: furchtbar in ihrem Stolze, in ihrer Rache, ihrer Liebe, ihrer Verzweiflung. Diese Armida war für Gluck's Genius weit passender: denn sein Element ist ja das Grosse, Feierliche, Majestätische, Erhabene und Starke, so viel auch daneben einzelne Stücke von ausserordentlicher Zartheit und reizender Schönheit vorkommen.

Die Musik selbst ist meistens schöne Deklamation, und die Instrumentalbegleitung braust oft dahin, wie ein Bergstrom. In dieser Oper vereinigen sich Musik, Poesie, dramatische Kunst[310] und malerische Wirkung zum herrlichsten Ganzen. Die Musik verfolgt immer die Leidenschaften und den Affekt mit dem lebendigsten Ausdruck, und reisst den Zuhörer unwiderstehlich mit sich fort; da ist keine Leere, nichts Mattes, kein kaltes Recitativ, keine gekünstelte Arie; Alles ist Seelenausdruck, Gesang aus der Tiefe des Herzens, oder bald liebliche, bald schauerliche Schilderung. Wie süss ertönt die Musik bei den reizenden Scenen der Lustgefilde, wie schrecklich bei den furchtbaren Verwandlungen des Schauplatzes! Der Glanz, der dieser Oper noch durch die Abwechslung schöner, imposanter, von dem Dichter vorgezeichneter Dekorationen zuwächst, wird durch kunstreiche, mit der Handlung verwebte Ballete und Einzeltänze noch mehr erhöht.

Schon die feurige Ouverture (C maj. Vierzehnter Abschnitt Takt, Moderato, Streichquartett mit Oboi, Corni, Fagotto, Trombe und Timpani) erhebt das Herz und bereitet uns auf den seltensten und erfreulichsten Genuss vor. Ein kurzer Satz von 10 Takten leitet zur

Ersten Scene in die Tonart F. Diese Scene ist ein Duett zwischen Armidens vertrauten Frauen Phénice und Sidonie, die ihre Gebieterin durch die Vorstellung ihres, im Lager der Christen über die vornehmsten Ritter errungenen Sieges ihrer trüben Stimmung zu entreissen suchen. Es ist ein markirtes Andante in F maj. 3/4 Takt, vom Streichquartette begleitet: »Dans un jour de triomphe.« – Der liebliche Satz geht gegen den Schluss in den Vierzehnter Abschnitt Takt über und wird endlich von Armide'n aufgenommen, die sich beklagt, dass sie gerade des tapfersten unter den Rittern, nämlich des so eben vom Lager abwesenden Renaud nicht habhaft werden konnte. Sie erzählt dann einen Traum, der ihr eine unselige Zukunft in Aussicht stellt. Dieser markirte Gesang in B maj. Vierzehnter Abschnitt Takt, in abwechselnden Zeitmassen und Tonarten, mit Streichquartett und Oboe, beginnt mit dem Verse: »Je ne triomphe pas du plus vaillant de tous Renaud.« – Sidonie beschliesst ihn mit Trostesworten.

In der zweiten Scene kommt Hidraot mit seinem Gefolge zu den Vorigen. Er sucht Armide'n zu bereden, dass sie sich unter den Prinzen des Orients einen Gemahl wählen und[311] dem Reiche einen König schenken möge, da er selbst schon vom Alter niedergebeugt und dem Tode nicht mehr fern sei. Der Gesang besteht aus kurzen Recitativen mit alternirenden Sätzen zwischen ihm und Armide'n. Hidraot singt ein Andante in A min. 2/4 Takt, vom Streichquartett undCorni begleitet: »Je vois de près la mort qui me menace.« – Diesem folgt Armidens Erwiderung, die von Hymens Fessel nichts wissen, sondern ihre Freiheit behalten will (in A maj.): »La chaîne de l'Hymen m'étonne.« – Weiters macht ihr Hidraot vorstellig, dass auch die Hölle sich für sie bewaffne, dass Könige ihre Kronen ihr zu Füssen legen, und dass es keine grössere Glückseligkeit gebe, als der Besitz eines liebenden Gemahls. (Arie in Tempo giusto, C min. 2/4 Takt: »Pour vous quand il vous plait, tout l'énfer est armé« – mit Streichquartett und Fagotti.) Armida weist diese Zumuthungen zurück und äussert sich am Schlüsse der Scene, dass sie keinen Mann ihrer würdig halte, und dass der tapfere Renaud der Einzige wäre, der ihre Treue verdienen könne. (Recitativ zwischen Hidraot und Armida, mit einem Arioso.) Beide Arien Hidraot's sind Muster origineller rhythmischer Kunst.

Das Volk von Damas bezeigt in der 3. Scene durch Gesang und Tanz seine hohe Freude wegen des von Armide'n in Gottfried's Lager errungenen Sieges. Dieser schöne Chor (Andante in C maj. 3/4 Takt, mit Streichquartett, Oboi, Clarinetti, Fagotti und Timpani): »Armide est encore plus aimable« – geht nach verschiedenen, von Hidraot, Armide'n und deren Frauen vorgetragenen Zwischensätzen in ein Andante, B maj. Vierzehnter Abschnitt Takt mit den Worten: »Que la douceur d'un triomphe est extrême« –, begleitet vom Streichquartett, Flauti, Oboe und Fagotti, über. Die ganze Scene ist ein Lob- und Feiergesang auf Armida.

Dieser Triumph wird in der 4. Scene durch die Ankunft des Aronte unterbrochen, der die betrübende Nachricht bringt, dass die ihm anvertrauten gefangenen Ritter durch die unwiderstehliche Tapferkeit eines fränkischen Helden befreit worden seien. Hier findet man den effektvollen Chor: »O ciel! ô disgrâce nouvelle!« – mit dem berühmten: »Un seul guerrier« – und dem Chore: »Poursuivons jusqu'au trépas« –(Allegro in [312] B maj. Vierzehnter Abschnitt Takt, mit Streichquartett, Flauti, Oboi, Clarinetti und Corni), womit der Akt schliesst.

Armida erscheint durchaus als ein Wesen höherer Art; mitten unter ihrem Gefolge bewahrt sie ihren heroischen Charakter, und ihre Gesänge werden von der edelsten Instrumentalmusik in bedeutsamen Rhythmen begleitet, während ihre Frauen liederartige Verse auf französische Liederweisen singen. So erhebt aus dem reizenden Gesange der Najaden ihre Deklamation sich dergestalt, dass man fast davor erschrickt.

Die 1. Scene des II. Akts eröffnet ein grosses begleitetes Recitativ zwischen Renaud und Artémidore, dem eine heroische Arie des Ersteren mit einem kurzen Zwischensatze des Letzteren folgt(Maestoso in A maj. Vierzehnter Abschnitt Takt, mit Streichquartett undCorni). Die Scene behandelt frühere Vorgänge und enthält Artémidore's Warnung, Armidens Gegend zu fliehen. Renaud's Arie beginnt mit den Worten: »Le repos me fait violence, la seule gloire a pour moi des appas.«

Mächtig ergreifend ist die Beschwörung in der 2. Scene dieses Aktes: »Esprit de Haine et de Rage!« – Sie ist ein Duett zwischen Armida und Hidraot, dem ein kurzes begleitetes Recitativ vorangeht(Andante in E maj. Vierzehnter Abschnitt Takt, mit Streichquartett,Oboe, Clarinetti, Fagotti und Violoncelli). Die herrliche, musterhafte Orchesterbegleitung, die mit dem Thema stets wiederkehrenden Fagotte und Hörner wirken im höchsten Grade furchtbar und unheilverkündend.

Nun aber folgt in der 3. Scene eine jener Schöpfungen von unvergleichlicher, reiner Schönheit, die das Gemüth unwiderstehlich gefangen nahmen, und mit vollkommener Befriedigung erfüllen. Man fühlt hier, der Genius könne sich nicht höher schwingen, und der unstillbaren Sehnsucht des Herzens nach Schönheit und Harmonie wird hier volles Genüge geleistet. Wir sehen nämlich Renaud in den Gärten jener verführerischen Insel der Armida wandeln, die Tasso in der 59. und 60. Stanze des XIV. Gesanges seines Epos so blühend beschreibt. Die begleitende, von der herrlichsten Fülle der Instrumentalmusik erhöhte[313] Symphonie ist von einer Anmuth, die sich mit Worten nicht schildern lässt:


»Plus j'observe ces lieux et plus je les admire,

Ce Fleuve coûle lentement,

Et s'éloigne à regret d'un séjour si charmant.

Les plus aimables fleurs, et les plus doux zephyrs

Parfument l'air qu'on y respire.

Non, je ne puis quitter des Rivages si beaux,

Un son harmonieux se mêle aux bruits des eaux.

Les Oiseaux enchantés se taisent pour l'entendre

Des charmes du someil j'ay peine à me deffendre.

Ce Gazon, cet ombrage frais,

Tout m'invite au repos sous ce feuillage épais!« –


Es darf uns nicht erst angedeutet werden, dass alle Reize der Natur Renaud's Sinne mit süsser Lockung gefangen nehmen; dass der Gesang der Vögel, das Murmeln der Bäche, die balsamische Luft, der Blumen Dufthauch, kurz alle berauschenden Wonnen des Frühlings ihn umfluthen; man hört dieses Alles; man hört den ganzen unaussprechlichen Zauber der Scene, und ehe noch der bisher unbeugsame Held die Lippen öffnet, fühlt man, dass er verloren ist. Das menschliche Herz vermag der Allgewalt dieser entzückenden Schönheit, wie Gluck's Musik sie malt, nicht zu widerstehen. Und als Renaud in Schlummer sinkt, ist uns sein unvermeidliches Schicksal eben so klar, wie das des erstarrten Wanderers, der im Polarschnee einschläft. Genug, diese Instrumentalmusik allein malt weit beredter, als Worte, weit lebendiger, als Tasso's Poesie, und bezaubernder, als all' das süsse verborgene Gift, das in Armida's Gärten die Lüfte aushauchen. Dieser wundervolle Gesang ist einAndante in D maj. Vierzehnter Abschnitt Takt, mit Streichquartett, Flauti, Oboe, Clarinetti, Fagotti und Corno. Bei vollendeter theatralischer Vorstellung ist dieser einfache Gesang von höchster Wirkung, er zieht, ohne alle Kräuselei, in sich selbst salbungsreich, mit dem einfachen Gemurmel der sich durch die lieblichsten Brechungen der Akkorde hinwindenden Violinbegleitung, die nie rastet, noch ruht, dahin, und schliesst sich auch in einzelnen Tönen so herrlich an die Empfindung an, dass bei diesen süssen Tönen dem Hörer[314] die Brust vor Wollust schwillt. In dem 45. und 46. Takte werden dieselben Brechungen zweimal wiederholt, anstatt dass sie sich in den vorhergehenden immer in verschiedener Weise brechen. Lässt sich wohl etwas Malerischeres denken, als die Stelle: »Ce Fleuve coûle lentement, et s'éloigne à regret d'un séjour si charmant«? – Wie bezeichnend ist dieses Festhalten der Wiederholung, und dieses Abstossen der accentuirten Noten! Ferner wie lieblich die chromatische Stelle bei: »Qu'on y respire«! – Wie schön die Modulation in die weiche Tonart der Arie, wo die Idee: »Er könne doch wohl diese Ufer verlassen müssen« – der Seele des Geniessenden sich dunkel aufdringt! – Wie charakteristisch dieses Aushalten der Stimme bei dem Schweigen der Vögel, und wie ansprechend das Heimliche in den tiefer unten gebrochenen Akkorden gemäss dem Begriffe des dichten, frischen Schattens(sous ce feuillage épais-cet ombrage frais)! –

Der in der 4. Scene folgende Chor mit den fernen Echo's, wo den schlafenden Renaud Najaden, Nymphen, Hirten und Hirtinnen umgaukeln, wird an Schönheit nur von der vorhergehenden Symphonie überragt. Dieser liebliche Chor, der das Glück der Jugend und der Liebe preist, ist ein pastorales Allegro in G maj. 3/8 Takt, vom Streichquartett, Flauto, Oboe, Clarinetti, Fagotti und Corno begleitet; er beginnt mit dem Verse: »Aux temps heureux, où l'on sçait plaire« – geht später in C maj. Vierzehnter Abschnitt Takt über, wechselt mit Tänzen in verschiedenen Tonarten und Zeitmassen und wird endlich von dem Arioso einer Najade geschlossen.

Sehr fein unterschied einst ein Verehrer Gluck's die Schlafscenen des Renaud in der Oper »Armida« nach Lully's und nach Gluck's Komposition. In jener, sagte er, schläft Renaud einen ruhigen Schlaf, in dieser träumt er auch lieblich. –

In der 5. Scene will Armida den schlummerndenRenaud tödten. »Enfin il est en ma puissance!« – Dieser Gesang, zwischen Rachsucht und Zögern schwankend, ist ein herrlicher Monolog, der durch ein heroisches Vorspiel angekündigt, und durch alle Grade der Empfindungen, des grausamen Entschlusses, der[315] durch den Anblick des schönen Helden gehemmten Wuth, des Mitleids, der Schaam, der Bewunderung, der Liebe und der Hoffnung auf die Wirkung des Zaubers mit treffender, schauerlicher und hinreissender Wahrheit durchgeführt wird. Diese Scene, ein grosses begleitetes Recitativ mit darauf folgender Arie, Andante in G maj. C Takt, mit Streichquartett, Oboe und Fagotti, ist Eine der hervorragendsten der ganzen Oper, indem sie den Widerstreit der entgegengesetztesten Gefühle mit kräftigen Farben malt. Sie bildet einen reizenden Anfang der Leidenschaft, und gehört zu jenen meisterhaften Sätzen der Deklamation und des richtigen Auffassens der Dichtung, wodurch Gluck's Genius so siegreich glänzt.

Den III. Akt eröffnet ein Monolog Armidens über den Verlust ihrer Freiheit, ihren gebeugten Stolz und ihre Liebe: »Ah si la liberté me doit être ravie« – in überaus schöner Melodie (Andante con espressione in G. maj. C Takt, mit Streichquartett).Sidonie und Phénice kommen in der 2. Scene und reden der Liebe und dem tapfern Renaud das Wort. Begleitetes Recitativ: »Que ne peut point votre art!« – beginnend mit einem Allegro in C maj. 2/4 Takt und dann übergehend in ein Andante Vierzehnter Abschnitt Takt und endlich in ein Moderato, Vierzehnter Abschnitt Takt in F maj. Alles vom Streichquartett begleitet, wozu im letzteren Zeitmasse noch Clarinetti, Corni und Fagotti treten. Der ganze Satz wird von Armidens Frauen öfters unterbrochen, so dass man diese Scene einen Trialog in musterhafter Deklamation nennen kann.

In der 3. Scene beschwört Armida den Hass mit seinem Gefolge herauf: »Venez, venez, Haine implacable!« – Es ist diess ein heroischer Gesang(Moderato in F maj. C Takt mit Streichquartett, Bassons, Corni und Oboe), welcher in die vortreffliche 4. Scene der Erscheinung des Hasses übergeht. Diese beschliesst den III. Akt. Als die von Armide'n heraufbeschworene, und dann wieder zurückgewiesene Furie zur Strafe den schwersten aller Flüche, den Fluch verschmähter Liebe, auf sie schleudert, wendet sich Armida mit bebender Stimme und fast verzweifelndem Herzen an den Gott der Liebe um Schutz gegen diesen Fluch. Armidens Gesang wird von der herrlichsten[316] Orchesterbegleitung getragen, deren künstlerischen Werth die darin höchst wirksam angebrachten Blechinstrumente noch mehr erhöhen. Eben so schön instrumentirt ist das kurze begleitete Recitativ und Arioso des Hasses, so wie der darauf folgenden mit charakteristischen Tänzen abwechselnden Chöre (Allegro in A maj. Vierzehnter Abschnitt Takt und D maj. Vierzehnter Abschnitt Takt mit Streichquartett, Oboi, Clarinetti und Corni). Der erste Chor beginnt mit den Worten: »Plus on connait l'Amour et plus on le déteste.« – Vermittelst der in den beiden Violinen des Schlusssatzes: »Ah ciel! quel terrible menace!« – liegenden tremulirenden Figur scheinen die Schauer der eben entschwundenen Furien noch lange in Armidens Seele nachzubeben. Der Gesang ist von wundervollem Pathos: denn auch neben Renaud deklamirt und singtArmida im heroischen Tone, während des Ritters hingesunkene Kraft und zärtliche Ohnmacht in weichen, engen Tonfolgen und schmachtenden Melodien hinschleicht, bis überwältigende Liebe Beider Gesang, ja ihr ganzes Wesen in Eins verschmilzt.

Die 1. Scene des IV. Akts beginnt mit einem Duett des, den Renaud suchenden Ubalde und des dänischen Ritters; es wird öfters von Recitativen unterbrochen. Dieses Duett: »Nous ne trouvons par tout que des gouffres ouverts« – ist ein Allegro (in C maj. C Takt mit Streichquartett, Fagotti, Oboe und Clarinetti), das später in ein Andante in A maj. Vierzehnter Abschnitt Takt übergeht und mit einem Recitativ endet.

Die 2. Scene enthält Lucindens Arioso mit den Chören und Tänzen der Hirten. Sie ist demnach ein Pastoralsatz in F maj. 6/8 Takt. Das erste Arioso und der erste Chor beginnen mit dem Verse: »Voici la charmante retraite« – und werden vom Streichquartett, Oboe, Clarinetti, Corni, Flauto und Fagotto begleitet. Lucindens, Ubalde's und des dänischen Ritters Gesänge wechseln dann mit andern Zeitmassen und Tonarten. Die Strophe der Ersteren: »Enfin je vois l'amant« – zeichnet sich durch schöne Deklamation und tiefes Eindringen in den Geist des Dichters aus.

Die 3. Scene enthält ein Recitativ zwischen den beiden Rittern; und die 4. Scene ein Duett zwischen Ubalde und [317] Melisse, dem ein Anderes zwischen den Rittern folgt. Ersteres beginnt mit dem Verse: »D'où vient que vous détournez de ces eaux« – in F maj. C Takt, mit wechselnden Zeitmassen und Tonarten, vom Streichquartett, Clarinetti und Oboe begleitet; das zweite: »Fuyons les douceurs dangereuses« – geht in D maj. Vierzehnter Abschnitt Takt. Beide Ritter entgehen durch die Zaubergaben des Magiers und durch ihre wechselseitigen Warnungen den süssen Lockungen der weiblichen Truggestalten.

Den Anfang des V. Akts bildet ein Duo zwischen Renaud und Armide'n in den Zaubergärten. Er hat seine Rüstung abgelegt und spricht mit Verachtung von seinem Ruhme. Diese ganze erste Scene ist mit hoher Kunst zu einem unnachahmlich schönen Ganzen verarbeitet. Dieser, mit untermengter Deklamation in verschiedenen Zeitmassen und Tonarten, als da sind: D min. B, Es und C maj. fortschreitende Satz, worin zugleich das Vorgefühl naher Trennung bezeichnet wird, beginnt mit Renaud's Ausrufe: »Armide, vous m'allez quitter?« (D min. mit Streichquartett, Oboe und Fagotti.) Hier findet man das berühmte Duett: »Aimons nous!« (in C maj. C Takt), das den Ausdruck der, Alles um sich vergessenden Liebe und Zärtlichkeit in sich schliesst. Bei diesem innigen Ineinanderfliessen beider Naturen am Ende der ganzen musterhaften Komposition, voll der bedeutendsten, charakteristischen Gegeneinanderstellungen, hat Gluck auch den gedehnten melismatischen Gesang auf dem letzten Worte der Verse:


»Non, je perdrai plustôt le jour

Que d'éteindre ma flamme«


nicht verschmäht, so sehr er demselben sonst in der leidenschaftlichen Darstellung feind war. Und von welchem Ausdrucke ist er nicht hier, da er sonst nirgends vorkommt! –

Nun verlässt Armida Renaud und gebietet ihrem Gefolge, ihn in ihrer Abwesenheit zu unterhalten. Sie tanzen, aber was für einen Tanz! Die Musik ist eineChaconne (in C maj. 3/4 Takt, vom Streichquartett und der Oboe begleitet), die in einer französischen Oper nie fehlen durfte; ein seyn sollender Tanz der Dämonen der Vergnügungen, der uns jedoch weit eher an die[318] stattlichen Menuet-Tänzer des 18. Jahrhunderts erinnert. Gluck hatte, als er diese Musik schrieb, gewiss ganz andere Wesen und andere Bewegungen im Sinne.

Die 2. Scene enthält ein schönes Ballet mit reizenden Chören derselben Dämonen und anderer, in glücklich Liebende verwandelter Wesen, mit untermischten Solosätzen, als da sind: »Les plaisirs ont choisi pour azyle ce séjour« – Chor in B maj. Vierzehnter Abschnitt Takt. Darauf ein Tanz, Andante in derselben TonartC Takt, nun wieder ein Chor mit Solos, ein ausdrucksvolles Grazioso in F maj. 3/4 Takt: »C'est l'Amour qui retient dans ses chaînes« – mit Streichquartett, Flauti, Oboe, Clarinetti und Fagotti; dann von Neuem Tänze und ein Chor mit Zwischensätzen in G maj. 3/4 Takt: »Jeunes coeurs! tout vous est favorable« – mit Streichquartett und Flauti, den Renaud mit einem Arioso schliesst. Dieser Gesang, mit welchem er den tanzenden und singenden Chor bis zuArmidens Rückkehr entlässt, ist voll melancholischer Schönheit und düsterer Ahnung; er gleicht dem ersten Aufseufzen des Windes vor einem beginnenden Sturme.

In der 3. Scene erscheinen Ubalde und der dänische Ritter, um Renaud in Tönen kriegerischer Grösse an das Gefühl seiner Erniedrigung und an seine Pflicht zu mahnen. Es ist die berühmte Arie mit einem, nur 12 Takte langen Recitative: »Notre général vous rappelle« – (Adagio in C maj. Vierzehnter Abschnitt Takt, von Trompetten und Pauken begleitet). Der unerwartete Eintritt dieser Instrumente ist höchst überraschend und ergreifend. Der Ruf der Trompette gleicht der Posaune des Engels, der Niemand zu widerstehen vermag.

In der 4. Scene kommt Armida hinzu und bricht, mittelst eines grossen Recitativs, in die heftigsten, leidenschaftlichsten Bitten, Beschwörungen und Vorwürfe aus. Diese Scene ist ein, von den anwesenden Personen in verschiedenen Zeitmassen und Tonarten ausgeführter Gesang. Armida beginnt mit dem Ausrufe: »Renaud! ciel! ô mortelle peine!« – vom Streichquartett und der Oboe begleitet. Auch in diesem vortrefflichen Deklamationsstücke hat der Tonsetzer den Dichter meisterlich aufgefasst. Armidens Recitativ: »Non jamais de l'Amour tu n'as senti le[319] charme« – gehört zu den Glanzpunkten der Oper, und: »Tu m'entends soupirer, tu vois couler mes pleurs« –, wo die Oboe in abgebrochenen Sätzen, gleichsam die Singstimme verfolgend, eintritt; wie nicht minder die Stelle: »Mais après mon trépas« – wo noch die Fagotti hinzukommen, erreicht die Wirkung des Schmerzes und der Klage den höchsten Grad.

Schon wird Renaud von ihrer Verzweiflung gerührt: aber eine neue kräftige Mahnung seiner Gefährten dringt auf ihn ein. Man fühlt, er muss hinweg und – er geht.

Eben so herrlich ist Armidens Schlussrecitativ: »Le perfide Renaud me fuit« – in der letzten Scene, die zu den hervorragendsten der Oper gehört, und in der die ganze Wuth gereizter Leidenschaft und getäuschter Hoffnungen rege wird, und endlich in das Gefühl und den Ruf nach Rache übergeht. Hier ist wahrer tragischer, ungekünstelter Ausdruck und leidenschaftliche Erhabenheit! Armida weiht sich den unterirdischen Mächten und enteilt auf einem Drachenwagen durch die Lüfte. Nur mit dem personifizirten Hasse kommt sie einen Augenblick in gleichen wilden, heroischen Kampf, und so muss sie denn auch am Ende ausrufen:


»Que n'ai-je crû la Haine et la Vengeance!

Que n'ai-je suivi leurs transports!«


Ein schöner kräftiger Instrumentalsatz, wo die Trompetten und Pauken höchst wirksam eintreten, bildet den Schluss des gesammten Meisterwerkes.


Nirgends ist Gluck in seiner dramatischen Musik mehr Dichter und Schauspieler, als in der Rolle derArmida. Eine Sängerin von Verstand und Gefühl kann an seiner Behandlung dieser Rolle, in jeder Periode, in jedem Takte des Recitativs und des Gesanges, an jedem Zwischenspiele, jeder Begleitung des Orchesters genau abnehmen, wie sie die Rolle zu spielen habe, und sie kann die vorgezeichneten Schranken nicht überspringen, ohne dem Widersinne zu verfallen. Selbst in der ängstlichen[320] Duettscene, wo sie für die Treue des Gefangenen zu fürchten beginnt, darf der Stolz nicht aus ihrem Wesen weichen, wenn auchRenaud immer mehr in die zärtlichste Hingebung versinkt. Die Führung und Behauptung dieses Gegensatzes in den beiden Charakteren und die Kunst, mit der Gluck seine Aufgabe in Anwendung aller musikalischen Kunstmittel gelöst hat, ist vielleicht das Höchste in seiner Art, und muss auf dei Seele der Schauspieler unmittelbar wirken, sobald sie es nur recht beachten; und so wirken diese dann auch wieder ganz sicher damit auf ihre Zuhörer, und setzen diese durch die endliche Verschmelzung der Empfindungen Beider in dem letzten wunderschönen Gesange, der die Scene zweistimmig beschliesst, in Entzücken.

Nicht allein die Schönheiten des Gedichts hat also der grosse Künstler ganz benützt; auch aus den schwachen Seiten desselben hat er Veranlassung zu neuem Zauber zu schöpfen gewusst. Der ganze IV. Akt, der nur aus dem wiederholten Spiele mit den beiden getäuschten Rittern besteht, und welche gute französische Kritiker, besonders Boileau, nicht mit Unrecht getadelt und eine Komödienscene genannt haben, hat Gluck angewendet, um sie mit den lieblichsten, zaubervollsten Gesängen und Tänzen zu verbinden, die je auf irgend einem Theater die Zuhörer bezaubern konnten. Welch' unaussprechliche Lieblichkeit liegt nicht in den Melodien der Verse:


»Voici la charmante retraite

De la félicité parfaite;

Voici l'heureux séjour

Des jeux et de l'Amourl«


Welchen Zauber athmet nicht die ganze einfache Melodie mit der noch einfacheren harmonischen Begleitung zu den Versen: »Jamais dans ces beaux lieux notre attente est vaine!« etc. So ist auch die Orchesterbegleitung in Renaud's Monolog: »Plus j'observe ces lieux« etc. das lieblichste, süsseste Tongemälde, das die Instrumentalmusik nur immer darstellen kann. Es scheint, als wenn Gluck in dieser schmelzendsten aller Melodien, die seine gefühlvolle Seele jemals ausgehaucht hat, darauf bedacht[321] gewesen wäre, Laharpe's und Marmontel's dreiste Beschuldigungen, die ihm das Vermögen zum Cantabile absprechen, durch die That selbst auf das bündigste zu widerlegen. Es liesse sich ein Commentar über sie schreiben, wenn man alle ihre Schönheiten entwickeln wollte. Und hätte Gluck auch nur diese Begleitung und nur jene kleinen Gesänge und Tänze der Nymphen und Lufterscheinungen in Musik gesetzt, so wäre schon die von seinen Gegnern so oft ausgesprochene abgeschmackte Behauptung: »Gluck habe keinen Gesang, keine Süssigkeit in seinen Melodien« – in ihr Nichts zerfallen.

Bei Gelegenheit der Aufführung der Oper »Armida« erschienen im Novemberhefte des Journal de Paris vom Jahre 1777 folgende Verse eines Mannes, der (wie er sich ausdrückt) in der Musik und Poesie eben so unwissend, aber zugleich für dieselben eben so empfänglich ist, wie drei Viertheile der Welt:


»Allemand ou Français, qu'importe qui m'éclaire!

Je suis, en fait de goût, neutre sur le pays.

Iphigénie, Orphée, Alceste, ont su me plaire

A Gluck effrontément j'ose donner le prix.

Laissez mourir l'Armide; Armide, Armide même

Renferme des beautés, et d'un ordre suprême!

Pour l'ancien genre enfin bataille qui voudra;

A Jacques, Pierre ou Paul que la palme demeure;

Messieurs de Vaugirard, La Harpe et cetera,

Ou pour, ou contre Armide écrivez: moi, j'y pleure.«


Im Jahre 1805 wurde Gluck's »Armida« zum ersten Male in Berlin aufgeführt.17 – Der grosse Erfolg, den diese Oper hatte, schlug die italische Oper fast ganz darnieder. Der verfehlte Versuch, des grossen Mannes »Alceste« ein Jahr zuvor von Italienern singen zu lassen, diente nur dazu, diesen Erfolg der »Armida« in noch glänzenderem Lichte erscheinen zu lassen.[322]

Der für Gluck'sche Musik unermüdlich wirkende Weber hatte das Werk auch auf das sorgfältigste einstudirt, und Iffland keine Kosten gespart, um gegen die Ausstattung der italischen Oper nicht zurückzustehen. So war das Ziel denn erreicht, der Kampf mit den Italienern ausgekämpft, und Gluck's Manen ein neues Sühnopfer gebracht.


1778.

Aber auch Piccini war bei seinem Debut in Frankreich nicht auf Rosen gebettet. Von allen den goldenen Bergen, die man ihm in Aussicht gestellt hatte, fand er bei seiner Ankunft in Paris, ausser den empfangenen Huldigungen, so viel als – Nichts. Der Marquis von Caracciolo, bei dem er abgestiegen war, hatte ihn zwar mit der grössten Freundlichkeit empfangen, aber die Kleinheit seines Hauses vorschützend, um ihn ferner bewirthen zu können, liess er ihn schon nach einigen Tagen in ein Hôtel garni bringen, das er für Piccini nächst dem Palais Royal gemiethet hatte. Der Tonsetzer verliess dieses jedoch schon nach einem Monate, und liess sich in der Strasse Saint-Honoré, wo damals Marmontel wohnte, auf seine Kosten eine kleine Wohnung herstellen und einrichten.

Noch ehe Piccini sich niederlassen konnte, rüstete er sich zur Arbeit. Vor Allem musste ein grosses Werk abgethan werden: denn er verstand kein Wort französisch. Marmontel übernahm es, ihn darin zu unterrichten. Obschon im Alter vorgerückt, und seit langer Zeit gewohnt, die Morgenstunden literarischen Bestrebungen zu widmen, ging er doch jeden Morgen zu Piccini, mit dem er sich durch zwei oder drei Stunden einschloss. »Roland« war es, den man ausgewählt hatte, um zuerst in Musik gesetzt zu werden. Der Dichter fing damit an, ihm einen Auftritt zu erklären, darauf bezeichnete er die Quantitäten aller Wörter, durch die üblichen prosodischen Zeichen der langen und kurzen Sylben; nun setzte Piccini dasjenige in Musik, was der Gegenstand der Lection gewesen war. Am[323] nächsten Tage sang der Tonsetzer dem Dichter vor, was er geschaffen hatte, der aber nichts weiter beurtheilen konnte, als was die Sprache und die Prosodie betraf. So hatten Beide die Standhaftigkeit durch ein Jahr fortzufahren. Man hätte glauben sollen, dass nach so vieler Mühe der Augenblick, in welchem die Partitur vollendet war, für den Tonsetzer ein freudiger hätte seyn sollen: allein er war im Gegentheile für Piccini eine Zeit voll der grössten Qualen. Um dieses zu begreifen darf man sich nur an den damaligen Zustand der Musik und an alles dasjenige erinnern, was seiner Ankunft in Frankreich vorhergegangen war.18 Endlich war die Oper »Roland« vollendet und zur Aufführung vorbereitet; nun sammelten sich erst die wahren Gewitterwolken über seinem Haupte: denn nie hat es eine Oper gegeben,19 deren Proben beschwerlicher, stürmischer und lärmender gewesen wären. Kaum hatten diese begonnen, rüsteten sich schon die Partheien zum Kampfe. Die Sänger und das Orchester, beide der neuen Musikgattung gleich fremd, immerwährend das Mass verlierend, verfielen bald in ein betäubendes Geräusch, bald in ein schwerfälliges und schleppendes Geleier. Man wusste nicht, wem man sein Ohr leihen, oder seine Aufmerksamkeit widmen sollte; und während sich der Ritter Gluck die grösste Mühe gab, um durch seine Geschicklichkeit als Oberleiter und durch sein Ansehen die dissonirende Maschine wieder in die rechte Stimmung zu versetzen, weilte sein Mitkämpfer und Nebenbuhler angstvoll in einem Winkel des Musentempels, und verzweifelte im Stillen an jedem günstigen Erfolge. Marmontel verkam fast vor Schmerz; er drängte und quälte seinen Freund Piccini, nicht so an sich selbst irre zu werden: »So zeigen Sie ihnen doch den wahren Gang dieser Arie! Sie sehen ja, dass sie bereits eine Ahnung davon haben.« – Piccini erhob sein Auge zum Himmel und antwortete leise: »Ah! tutto va male, tutto!«[324]

Man sieht aus dem Vorhergehenden, dass selbst Gluck Alles that, um die Oper seines Kunstgenossen zu einer gelungenen Darstellung zu bringen. Beide berühmten Nebenbuhler konnten keine Feinde seyn, und Piccini's sanfterer Charakter machte eine Vereinigung zwischen Beiden leicht. Die Kunst würde ohne Zweifel gar Vieles dabei gewonnen haben, wenn die armseligen Zwietrachten der Partheigänger die Ergötzungen einer so friedlichen und zaubervollen Kunst, wie die Tonkunst ist, nicht immer in so trauriger Weise gestört hätten. Man schrie, man beschimpfte und verabscheute sich, Alles um der Noten willen; ja man verwickelte die Frage immer mehr, und schrie um so lauter, als man dahin gekommen war, sich gar nicht mehr zu verstehen. –

Diess war noch nicht Alles. Auch in den inneren Räumen des Tempels der Kunst herrschte ein Unfriede, der dem italischen Tonsetzer neue Angst und neuen Schrecken bereitete.

Als man eines Tages sich vorgenommen hatte, die Proben auch mit den Ersatzmännern (Doubles) vorzunehmen, entbrannte Marmontel's Zorn in all seiner Heftigkeit; er gab in harter Weise die Erklärung ab, dass er die Aufführung der Oper seines Freundes durch Ersatzmänner nicht dulden würde; und auf der Bühne selbst entriss er die Rolle den Händen eines jungen Mannes, der Legros ersetzen sollte. Dieser Ausfall empörte die gesammte Ersatzmannschaft(Doublure) der Opéra dergestalt, dass es zu Beleidigungen, ja, zu Drohungen kam.

Demoiselle Bourgeois erlaubte sich, Herrn Marmontel zu sagen, dass es einem Manne, der ohnehin nur »der Ersatzmann« Quinault's wäre, gar nicht gezieme, die Ersatzmänner der Opéra so zu behandeln, u.s.w. Ja, man versicherte: ein Chorist hätte die Unverschämtheit so weit getrieben, zu sagen, dass er zwar nicht die Ehre habe, ein Ersatzmann zu seyn, aber dass, wenn Herr Marmontel in diesem Tone zu ihm gesprochen hätte, er ihn am Thore der Opéra erwartet haben würde, um ihm hundert Stockstreiche zu geben! –

Nach allen diesen Vorgängen hielt Piccini seinen Fall für[325] unausweichlich. Diess beweist folgendes kurze Schreiben, das er am Tage der letzten Probe an Ginguené sendete:

»Ich fühle, dass mein Schicksal entschieden ist. Mir bleibt keine andere Wahl, als dem Entschlusse zu folgen, den ich in meinem Kopfe trage; und der Teufel soll mich nicht davon abhalten, am andern Tage schon nach Neapel zurückzukehren. Ich danke Ihnen herzlich für jede Theilnahme, die Sie hinsichtlich meiner Erfolge gütigst nehmen mochten, und ich bin Ihnen dafür durch mein ganzes Leben verpflichtet. Allein es ist ohne Nutzen, mein theurer Freund! dass Sie sich noch weiter darüber ärgern, und mit so vielen Feinden einen Kampf aufnehmen wollen. Diese werden siegen, und wir unterliegen. Ich bitte, beruhigen Sie sich! Ich bin ruhig genug, aber auch meines schauerlichen Falles gewiss. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.« –

Als er am Tage der Vorstellung in's Theater gehen wollte, mochte ihn seine Familie nicht dahin begleiten, und wandte Alles an, auch ihn zurückzuhalten: denn unrichtige und übertriebene Berichte hatten sie in die höchste Unruhe versetzt. Seine Frau und seine Diener schwammen in Thränen. Seine Freunde vermochten sie nicht zu trösten. Er allein war ruhig, inmitten der allgemeinen Trostlosigkeit. Als er ging, verdoppelten sich die Thränen und Seufzer, als ob er zum Tode ginge. Er aber tröstete sie und sagte: »Meine Kinder, bedenkt doch, dass wir nicht unter Barbaren leben; wir sind ja bei dem gebildetsten und höflichsten Volke von Europa! Wenn sie mich nicht als Musiker wollen, so werden sie doch den Menschen und Ausländer in mir achten. Lebt wohl! Sammelt euch und hegt gute Hoffnungen. Ich gehe ruhig, und werde eben so wiederkehren, was auch der Erfolg seyn möge.« –

Endlich, nach langem Harren, Dulden und Bitten gelangte man denn doch zur Aufführung der Oper, und zwar zu einer so gelungenen, dass diese, trotz aller Umtriebe sowohl der neuen, als der alten Musik, mit grossem Antheil aufgenommen wurde.

Die Parthei der Gluckisten blieb fest bei ihrer Behauptung stehen, dass Piccini's Oper nichts Anderes, als eine[326] schöne Konzertmusik sei; dass sie zwar dem Ohre schmeichle, das Gemüth aber nicht berühre; dass sie wohl geschaffen sei, um zu gefallen, aber niemals jenen Enthusiasmus, jenes trunkene Entzücken erwecken werde, das die erhabenen Melodien der »Alceste« und des »Orphée« bei ihnen hervorgerufen haben. Die schwachen, jedoch ehrwürdigen Ueberreste der Parthei, die dem Ruhme der alten Oper als Stütze diente, gab, während sie die tempelräuberische Rechte verwünschten, die sich an Quinault's Meisterwerk gewagt hatte, treuherzig zu, dass in der Musik zu »Roland« wohl sehr hübsche Sachen wären, aber diese Schönheiten einer untergeordneten Musik hielten sie der Erhabenheit einer Oper nicht würdig. Das Werk entspreche der Vorstellung nicht, die sie sich von der Grösse dieses Schauspiels gemacht haben; es berühre die Ohren der Franzosen in ganz ungewohnter Weise; sie glauben sich weit eher auf das Brettergerüst eines Marktplatzes, oder auf das Theater der Comédie Italienne versetzt. Die Kunstfreunde, welche die grösste Unpartheilichkeit mit den gründlichsten Kenntnissen zu vereinigen schienen, kamen darin überein, dass man in derOpéra noch niemals einen gleichförmigeren, angenehmeren, schöneren Gesang gehört habe; aber sie waren zugleich der Ansicht, dass die Gefälligkeit, mit der Piccini so gern allen Meinungen nachkommen und allen Rathschlägen gehorchen wollte, deren er in einem Lande zu bedürfen glaubte, dessen Sprache und Geschmack ihm noch unbekannt waren, ihm nicht erlaubt habe, sich zur Höhe seines Genius zu erheben; seine Fittige wären dadurch gelähmt, und die Hälfte seines Schwunges ihm genommen worden. Er habe zwar viel Verdienstliches geleistet, indem er nicht anders konnte: allein diese Tonschöpfung enthalte nichts Eigenthümliches, nichts Neues, ja, es seien darin nicht einmal jene dramatischen Wirkungen zu finden, deren das Werk empfänglich wäre. Sie mussten selbst eingestehen, dass die Wahl der Dichtung keine glückliche gewesen. Die Oper »Roland« böte nur eine sehr schöne Scene, nämlich den Gegensatz der Wuth dieses berühmten Kämpen mit der ruhigen und harmlosen Freude der Hirten, welche Zeugen der Liebe zwischen [327] Angelica und Médor sind. Alles Uebrige enthalte nichts Anziehendes, nichts Theatralisches. Man erinnerte sich auch, was Ludwig XIV., als er das Stück zum ersten Male sah, trotz seiner Vorliebe für Quinault, sagte: »Dieser Roland ist nichts, als ein alter Narr, Angelica eine Grisette und Médor ein verächtlicher Kerl.« –

Die Levasseur gab die Rolle der Angelica mit vielem Verstande; aber ihre nur wenig biegsame Stimme schmiegte sich Piccini's Musik nicht so an, wie jener des Ritters von Gluck. Larrivée hatte sich in der Rolle des Roland selbst übertroffen, besonders in dem schönen Monolog des III. Akts: »Ah! j'attendrai long-temps, la nuit est loin encore« – sie brachte daher die meiste Wirkung hervor.

Der französische Dichter Dorat20 theilt uns aus den Briefen eines Irländers an ihn eine Unterhaltung mit, die dieser bei der ersten Vorstellung des »Roland« in der Oper hatte, und welche einen interessanten Blick auf die damalige musikalische Partheiwuth wirft:

»Ich war des grossen Andranges halber sehr zeitlich in die Oper gekommen, und liess mich in dem Mittelraume nieder, um das Schauspiel desto besser geniessen zu können. Mit jedem Augenblicke sah ich neue Gesichter, die Einen voll Heiterkeit, die Andern voll Unruhe, sich hastig vordrängend. Gross genug, wie ich bin, hatte es den Anschein, als befehligte ich alle die kleinen Fahrzeuge, die sich in einem Wirbel um mich drängten. Doch inmitten dieser Menge mit meinen Gedanken allein, liess ich dieselben in meinem Kopfe kreisen, und achtete nicht auf die lärmenden und verschwimmenden Laute, welche so eben anfingen um mich her wiederzuhallen. Ich athmete noch ziemlich frei, als ich einen kleinen Mann, ganz erhitzt und aufgeregt, Fluth und Ebbe mit sich bringend, mit schriller Stimme und zwinkerndem Auge, von runder Figur und wüthigem Aussehen, von Platz zu Platz, von Getöse zu Getöse, sich in meine Nähe[328] wälzen und seine Anhänger mitziehen sah. Ich weiss nicht, durch welchen Zufall er sich plötzlich ganz allein befand, obwohl man im Gedränge seiner Nachbarschaft schier ersticken wollte. Im Augenblicke ward es stille und er rüstete sich zu reden. ›Wahrhaftig, meine Herren!‹ begann er, ›das wird, wie ich glaube, schön ausfallen. Was sagen Sie zu jenem Original, welches darüber nachdenken will, was der Gesang in der Musik soll! – Gesang! Gesang für französische Ohren! Das ist zu beleidigend; hier muss Gerechtigkeit geübt werden.‹ – Er sprach noch weiter, und ich wette, ohne die Bedeutung der angewandten Ausdrücke zu kennen; er sprach von Melopöe, vom Anapest, vom Jungfrauenchor, von der Abrundung der Arien, von dem Reichthume in den Motiven. Er stampfte, spuckte, nieste und schneuzte sich, und alle Welt sagte, dass er Recht habe.

›Dieser kleine Italiener,‹ fuhr er fort, ›will gegen Gluck kämpfen, der, Gott sei's gedankt, von der Natur den Ausdruck der Leidenschaften erhalten hat, – gegen Gluck, der seine Weisen verknüpft, seine Wirkungen abstuft, das Orchester mit allen Wellenwindungen der Harmonie füllt, – gegen einen Genius, wie noch keiner aufstand; mit einem Wort, gegen einen Mann, der mich bezaubert – mich!

Dieses sinnlose, jedoch mit Nachdruck vorgebrachte Geschwätz fing nach gerade an mir lästig zu werden; ich neigte den Kopf, um meinen Mann zu sehen, und erblickte ihn, wie er sich gebärdete, wie er keuchte, sich aufregte und tropfenweise schwitzte, trotz der Aufmerksamkeit, die man hatte, ihn nicht zu belästigen, aus purer Achtung für seine Beredsamkeit.

Ich begab mich nach meinem Platz, konnte mich aber dabei eines mitleidigen Lächelns nicht erwehren, das ihn traf und um das Bisschen Verstand vollends brachte, das er noch besass.

Von dem Augenblick an bemerkte ich, wie er sich aufrichtete, vor Ungeduld knirschte, mich zu sprechen suchte, sich wieder zurückhielt, dann neu erhob, um mich zu sehen und gesehen zu werden. Ich blieb unbeweglich wie ein Stein. Endlich[329] wurde er von seiner Albernheit oder Neugier besiegt, und brach das Schweigen, indem er mich beim Arme fasste: ›Mein Herr, ein Gluckist, so viel ich sehe?‹ – ›Wer spricht mit mir?‹ entgegnete ich. – ›Ich, mein Herr, ich, der Sie fragt,‹ antwortete er, ›der wissen möchte, ob Sie Gluckist oder Piccinist sind?‹ – ›Weder das Eine, noch das Andere!‹ – ›Aber man muss doch auf der Welt Etwas seyn?‹ – ›Wie, mein Herr? ist man denn auf der Welt nichts, wenn man nicht wenigstens Gluckist oder Piccinist ist?‹ – ›Wahrhaftig, mein Herr, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ausser diesem sehe ich nicht ab, was man noch seyn könnte.‹ – ›So urtheilen Sie?‹ – ›Nun von etwas Anderem! Woher kommen Sie?‹ – ›Aus China.‹ – ›Das scheint mir so, denn ich bemerke, dass man in China urtheilt; hier spricht man sich aus, ohne zu urtheilen.‹ – ›Wirklich?‹ – ›Das heisst, mein Herr, Sie bewundern nicht den Ritter Gluck?‹ – ›Zum mindesten werde ich ihn nicht so bewundern, wie Sie, dafür achte ich ihn allzusehr. Meines Dafürhaltens braucht man Zeit, die Menschen zu würdigen; und darum habe ich ihn ganz so aufgefasst, wie ich musste.‹ – ›Und das Ergebniss Ihrer Betrachtungen?‹ – ›Das Ergebniss, mein Herr? dass Gluck ein Musiker ersten Ranges ist, der Einzige vielleicht in grossartigen Effekten, stark, leidenschaftlich, ansprechend mit eben so viel Wärme als Nachdruck, der die Seele mit einem Schrei des Schmerzes zerreisst, der selbst in seiner Instrumentalbegleitung erhaben ist, der die Automaten Eurer Chöre mit dem Hauche seines Genius belebt, mit einem Worte, geschaffen ist, um eine Revolution in der Musik zu bewirken; nur dass er dann und wann ein Bisschen lärmt und den Zauber der Melodie ein wenig vernachlässigt.‹ – ›Gut! – Ja! da haben wir's! Sie sind ein Piccinist, wie ich es errathen habe.‹ – ›Warum glauben Sie, dass ich mich zu Piccini hinneige? Ich kenne nicht eine Note.‹ – ›Thut nichts! Sie finden einen Fehler an Gluck – es ist klar, dass Sie sein geschworner Feind sind.‹ – ›Ich bin weder sein Feind, noch sein Freund.‹ – Also, Sie sind für den Gesang, Sie haben es gesagt, Sie haben sich selber verrathen; da können Sie nicht[330] mehr zurück. Wohlan, mein Herr! Sie werden jetzt die Güte haben, eine Parthei zu ergreifen! Wollen Sie den ›Roland‹ auspfeifen?« – »Nein, Herr!« – »Werden Sie ihn beklatschen?« – »Nein, Herr!« – »Was? Sie werden weder pfeifen noch klatschen?« – »Richtig!« – »Haben Sie denn keine Seele im Leibe? – Was wollen Sie denn thun?« – »Ich werde zuhören!« – »Meine Herren!« (damit wandte er sich an sein Publikum) »Sie begreifen, der Herr droht uns mit seiner Neutralität – da wird es nothwendig seyn, die Wache zu holen!« –

»Und in der That, die Geister fingen an sich zu erhitzen; da erhob sich glücklicher Weise der Vorhang. Eine Strömung trug mich von meinem Manne fort: aber ich hielt Wort, ich hörte zu, und konnte mir eher kein gründliches Urtheil bilden, bevor ich nicht zwanzig Vorstellungen beigewohnt hatte.« –

Die Gräfin von Genlis hatte Recht, wenn sie die Mehrzahl der Gluckisten eben so verspottete, wie die Piccinisten, und eben so Recht hatte Ginguené mit der Behauptung, dass die Enthusiasten unserem Gluck durch ihre übertriebenen Lobsprüche mehr schadeten, als nützten.


Diese Oper behauptete sich auf dem Theater der königl. Akademie ziemlich lange. Wenn Dem. Laguerre, die später anstatt der Levasseur in der Rolle der Angelica auftrat, in ihrem Spiele weniger Anmuth entfaltete, so besass sie dafür eine sanftere und biegsamere Stimme und erfasste mit mehr Genauigkeit sowohl den Ausdruck als den Geschmack des italischen Gesanges.

Grimm erhebt diese Musik zu den Sternen; wenn man aber weiss, dass auch er feurig der italischen Schule anhing, und also zu denen gehörte, die, wie er es selbst bekennt, in der Oper vorzugsweise das Vergnügen des Ohres und des Auges suchen, alle anderen Erregungen aber dem recitirenden Trauerspiel überlassen: so kann man auf das Schwankende seines Urtheils hinsichtlich der Gluck'schen Schöpfungen leicht[331] schliessen, wie man es in diesen Blättern bei den Grimm'schen Berichterstattungen öfters wahrnehmen wird.

Am 19. März gab man auf dem nämlichen Theater eine Parodie der Oper »Roland« in drei Akten und in Vaudevilles mit dem Titel: »La Rage d'Amour,« welche kein besseres Loos hatte noch verdiente, als alle ihrer Gattung.


In eben diesem Jahre21 erfuhr die Oberleitung der königl. Akademie der Musik eine neue Umwälzung. Nicht mehr die Stadt Paris, noch die Herren Intendanten der Menus Plaisirs, sondern ein Particulier, Herr de Vismes, wurde in Folge der Verwendung des Herrn Campan, Kammerdieners der Königin, und der Betreibungen des Herrn de la Borde, seines Schwagers und Kammerdieners des verstorbenen Königs, mit der Leitung dieser grossen Maschine beauftragt. Für den Genuss dieses Privilegiums musste er eine Sicherstellung von 500,000 Livres niederlegen, von welchem Stammgut ihm jährlich die fünfprocentigen Interessen ohne Abzug ausgezahlt wurden. Der neue Unternehmer hatte sich durch bedeutende Veränderungen und Einrichtungen angekündigt und begann damit, sich ein schönes Hôtel in derRue de la Feuillade zu erbauen. Ueber der Thüre seines Arbeitszimmers liess er folgende drei Worte mit goldenen Buchstaben eingraben: »Ordre, Justice, et Sévérité.« – Er verkleinerte das Theater, verringerte das Orchester, vergrösserte die Zahl der Jahreslogen, führte Sparsamkeit in der Beleuchtung des Saales ein, um der Theaterbeleuchtung mehr Wirksamkeit zu verschaffen. Er erweiterte die Aussichten der Logen, und liess sie mit Spiegelfenstern versehen, was den Corridoren zum Vortheil gereichte, und andere treffliche Einrichtungen mehr. Endlich verschrieb er noch mit grossen Kosten aus Italien eine Possenreisser-Truppe; allein er war nicht im Stande, eine grosse Zahl von Missbräuchen abzuschaffen, ohne Personen von grossem[332] Einflusse zu missfallen, und ohne alle Stände des, seiner Obhut anvertrauten Staates aufzuregen, als da sind: die ersten Schauspieler und Schauspielerinnen, die Mitglieder des Ballets, das Orchester, das Chorpersonale und selbst die Herrn Tonsetzer und Dichter, deren Ehrensold zu beschneiden er sich auch vermass, u.s.w. Da er auf Umstände, angenommene Grundsätze und alte Gebräuche so wenig Rücksicht nahm, so gab er Veranlassung, dass man ihn den »Turgot de l'Opéra« nannte, und seiner Amtswürde keine lange Dauer verhiess.

Das erste neue Stück, mit welchem Herr de Vismes sein Schauspiel eröffnete, gefiel nur wenig. Es war eine Art von Prolog mit dem Titel: »Les Trois Ages de l'Opéra,« Text von Saint-Al phonse, Bruder des neuen Direktors, Musik von Grétry. In diesem Stücke beabsichtigte man die drei Epochen darzustellen, in denen die Formen der musikalisch-dramatischen Komposition der Veränderung unterworfen waren, nämlich die Zeit des Lully, des Rameau, und die des Ritters von Gluck.

Die Musik war nichts, als eine Zusammenstellung der bekanntesten Arien dieser drei genannten Tonsetzer. Das ganze, dem Hrn. Grétry zugeschriebene Verdienst bestand in der Geschicklichkeit, mit der er die verschiedenen Elemente zu verbinden und die nöthigen Schattirungen anzubringen wusste, ohne dem Gehör zu missfallen.

Diesem folgte: »La Fête du Village,« ein kleines Zwischenspiel von Desfontaines, mit Musik von Gossec. Es machte nur eine geringe Wirkung.

Am Donnerstage, den 11. Juni22 war den Parisern ein grosser Tag bestimmt. Die neue Direktion machte den ersten Versuch mit einer komischen Oper im Theater der königl. Akademie der Musik, in einem Theater, das seit so langer Zeit nur dem pomphaften Ernste der Meisterwerke französischen Gesanges gewidmet war. Man gab die »Finte Gemelle« von Piccini. Dieses Schauspiel bewirkte einen grossen Zusammenlauf; die Corridore,[333] so wie das Parterre und die Logen waren angefüllt. Bei dem langen Recitativ der dritten Scene gaben sich einige Zeichen von Ungeduld kund: aber der gute Geschmack der Musik, die bezaubernde Stimme des Garibaldi, das Leichte und Natürliche seines Gesanges, die Anmuth und Fertigkeit der Signora Baglioni, die schönen Augen der Signora Chiavacci, errangen zuletzt den Sieg über die Geschmacklosigkeit des Gedichts, von dem noch dazu die wenigsten Zuschauer etwas verstanden; über die Sonderbarkeit des Kostums der Schauspieler, deren Spiel allen, in Frankreich bestehenden Gewohnheiten fremd, den Parisern nothwendiger Weise entweder ausserordentlich frostig, oder bis zur Lächerlichkeit überladen vorkommen musste.

Dieser Oper folgte ein neues pantomimisches Ballet von Noverre: »Les Petits Riens,« das beifällig aufgenommen wurde.

So rückte der Herbst heran. Die königl. Akademie der Musik23 war nie blühender, als unter dieser Verwaltung: denn nie gewährte das Schauspiel eine grössere Abwechslung. Man sah der Reihe nach in derselben Woche Opere buffe von Sacchini, Anfossi, Paesiello, und grosse französische Opern von Gluck, Piccini, Rameau, Rousseau, Floquet und Andern, Alle mit pantomimischen Balleten von Noverre, Gardel und Andern untermengt. Keinem Fach entzog der Direktor seinen Schutz, ihm galt nur der Grundsatz: »La recette qui fait la seule différence.«24 – Dem Partheigeiste blieb demnach keine andere Zuflucht übrig, als sich diese Recette so viel als möglich zu seinen Gunsten auszulegen. Bei dem Anblicke des ungeheuren Erfolges der »Alceste« und der »Iphigénie,« des Beifallssturmes, den die melodischen Töne der Signora Chiavacci und Baglioni, der Herren Gherardi und Garibaldi erregten, triumphirten sowohl die Gluckisten, als auch die [334] Buffonisten, dass es ihnen endlich gelungen wäre, den Geschmack der Nation zu bilden.

1

S. Grimm et Diderot, Correspondance. II. Edit. T. IX. p. 348 etc.

2

Ginguené, P.L., Notice sur la vie et les Ouvrages de Nicolas Piccini. Paris, An IX. in 8.

3

Warum? – Das wird nicht berichtet – vielleicht aus Furcht, seiner wohlerworbenen Lorbeern verlustig zu gehen? –

4

Es waren: Thesée, Isis, Roland, Atys, Amadis undArmide.

5

Um den wahren Sinn und die ganze Härte dieses Witzes zu verstehen, muss man bemerken, dass Italien in seiner Nationalliteratur zwei poetische Werke verschiedenen Inhaltes, Umfanges und Werthes besitzt, welche sich einer allgemeinen Beliebtheit erfreuen, und auf welche hier angespielt wird. Diese sind: die berühmte episch romantische Dichtung »L'Orlando Furioso« von Ariosto, und das kleine burleske Gedicht »L'Orlandino« von dem makkarontischen Dichter Merlinus Coccajus (Teofilo Folengo).

6

Wer die theologischen Streitschriften dieser Männer, deren Einer zu Anfang des 17., der Andere in der Mitte des 18. Jahrhunderts gelebt hat, kennen lernen will, wolle deren Namen in der »Biographie universelle« nachschlagen.

7

S. Mémoires pour servir etc. pag. 255.

8

S. Grimm et Diderot, Correspondance. Vol. X. p. 379 etc. – und Mémoires pour servir etc. p. 257. –

9

Die gestochene Partitur hat folgenden Titel: »Armide. – Drame héroique mis en Musique par Mr. le Chevalier Gluck. Représenté pour la première fois par l'Académie Royale de Musique le 23. Septembre 1777. Prix 24 Fr. Gravée par Mme Lobry. A Paris. Au Bureau du Journal de Musique, Rue Montmarte vis-à-vis celle des vieux Augustins. A l'Opéra et aux Adresses ordinaires de Musique. A.P.D.R.« In Folio, 379 Seiten.

10

Wir können nicht umhin, hier selbst auf die dramatischen Werke und Quartetten Mozart's hinzuweisen, welche zu ihrer Zeit auch verkannt worden sind.

11

S. Journal de Paris, 24. Sept. 1777, und Mémoires pour servir etc. p. 257.

12

Das war gerade Gluck's Absicht, und zwar um des tragischen Interesses willen, wie wir weiter unten hören werden.

13

S. Mémoires pour servir etc. etc. p. 280.

14

Diese meisterhafte und umfassende Vertheidigungsschrift, die als Antwort auf Gluck's obigen Brief zuerst im »Journal de Paris« vom 23. Oktober 1777 abgedruckt war, wolle der geehrte Leser in den schon oft citirten: Mémoires pour servir etc. etc. p. 282–313, oder in Siegmeyer's deutscher Uebersetzung dieser Mémoires S. 228–252 nachlesen.

15

S. Grimm, Correspondance. T. IX. p. 469.

16

S. Magazin des Auslands. Redigirt von J. Lehmann. Jahrg. 1843. S. 55. – und: Berlin'sche Musikal. Zeitung. Herausgeg. von Reichardt. Jahrg. 1805. No. 28 und 73. –

17

S. Schneider's Geschichte der Oper in Berlin. Berlin, 1852. 8. Seite 306.

18

S. Ginguené, Notice sur N. Piccini. Paris, An IX.

19

S. Grimm, Correspondance. T. IX. p. 498 undT. X. p. 23. 25. und Ginguené, Vie de Piccini etc.

20

Siehe dessen Coup-d'oeil sur la littérature. A Neuchatel 1780. I. Partie. p. 211–216.

21

S. Grimm, Correspondance. T. X. pag. 37.

22

S. Grimm, Correspondance. T. X. p. 52.

23

S. Grimm, Correspondance. T. X. p. 112.

24

Denken die Theater-Direktoren von heute nicht eben so? – Bestimmt bei ihnen nicht die Einnahme zugleich den wahren Werth des Stückes? –

Quelle:
Schmid, Anton: Christoph Willibald Ritter von Gluck. Dessen Leben und tonkünstlerisches Wirken. Leipzig: Friedrich Fleischer, 1854., S. 287-335.
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