VI.

Bach war also seit dem Beginn des Jahres 1714 Hoforganist und Concertmeister1. Wir berichteten auch schon, daß er in der letzteren Eigenschaft einen Theil der Capellmeisterpflichten übernehmen mußte. Samuel Drese war durch Alter und Kränklichkeit ziemlich dienstunfähig, und sein Sohn jedenfalls ein höchst unbedeutender Musiker; [520] Herzog Wilhelm Ernst wünschte aber auch bei sich eine regelmäßige Kirchenmusik nach dem Neumeisterschen Muster einzurichten, unzweifelhaft durch das Beispiel seines Vetters in Eisenach veranlaßt. Das hohe Compositionstalent seines Hoforganisten war ihm nicht verborgen geblieben, und deshalb traf er die sonst nicht gewöhnliche Anordnung, daß derselbe als Concertmeister jährlich auch eine gewisse Anzahl von Kirchenstücken zu componiren und aufzuführen habe2. So concentrirten sich mehr und mehr die wichtigsten musikalischen Functionen in Bachs Person.

Der Textdichter für die Kirchencantaten fand sich am Orte selbst. Salomo Franck, geb. am 6. März 1659 in Weimar, wo sein Vater Kammersecretär war, studirte vermuthlich in Jena, von wo er 1685 seine erste Gedichtsammlung herausgab, soll sich darnach eine Weile in Zwickau aufgehalten haben, kam 1689 als schwarzburgischer Regierungssecretär nach Arnstadt, ging 1697 zur Bekleidung eines ähnlichen Amtes nach Jena zurück und lebte später als Gesammt-Secretär des fürstlich sächsischen Oberconsistoriums in Weimar, wo er im Jahre 1725 starb. Er war hier zugleich Bibliothekar und Vorsteher des herzoglichen Münzcabinets. Als Mitglied der »fruchtbringenden Gesellschaft« hieß er der »Treumeinende«3.

Franck gehört unbestreitbar zu den wirklichen Dichtern jener Zeit. An formaler Gewandtheit steht er Neumeister gleich, an Reinheit des Ausdrucks nur wenig nach. Dazu besitzt er, was jenem gewöhnlich fehlt: innigste Wärme der Empfindung. Diese Anlage mußte ihn zur Lyrik führen, was für jene Zeit die geistliche Dichtung bedeutet. Seine Festspiele, Hochzeits-, Trauer- und sonstigen Gelegenheitsgedichte zeichnen sich durch ein gewählteres, vornehmeres Wesen vortheilhaft aus, ohne sonst durch Mannigfaltigkeit und originelle Gedanken hervorzuragen. In der religiösen Poesie dagegen zeigt er sich als eine ganz eigenartige Persönlichkeit. Sein Gebiet ist wohl auch hier nur ein beschränktes, aber Anschauungsweise und Ausdrucksformen sind nicht entlehnt und angelernt, sondern von innen herausgeboren. Das Großartige und Schwunghafte ist [521] seine Sache weniger, wohl aber eine sinnige Schwärmerei und weiche Melancholie; gern verweilt er bei den Leiden und Schmerzen des menschlichen Lebens, bei Tod und Grab und der sehnsuchterweckenden Vorstellung einer überirdischen Seligkeit. In der Behandlung dieser Gegenstände entwickelt er einen nicht gewöhnlichen Phantasiereichthum, hat sich aber rasch auch einen bestimmten Stil, den angemessensten Ausdruck seiner Empfindung, herausgebildet. Wenn man sich einigermaßen in seine Weise hineingefunden hat, ist es fast unmöglich, ihn nicht sofort zu erkennen; hierin sowie in einem gewissen mystisch träumerischen Tone erinnert er, wenn man von dem Unterschied der Zeiten und theilweise der Stoffe absieht, an Eichendorff. Wie sich gewisse Wendungen und Bilder bei ihm häufig wiederholen, so bedient er sich auch mit Vorliebe verschlungenerer metrischer Formen, liebt künstliche Reimverschränkungen, Vermischung längerer und kürzerer Verszeilen und rahmt eine Strophe gern durch denselben Gedanken ein. Die subjective Haltung seiner Gedichte hat nicht gehindert, daß viele in den kirchlichen Gebrauch übergingen. Franck ist ein rechter Beleg dafür, wie der Umwandlung des objectiv kirchlichen Gefühls in das persönlich religiöse die allgemeine Neigung auch außerhalb der eigentlich pietistischen Kreise entgegen kam. Ein Leser seiner Dichtungen würde bei oberflächlicher Kenntniß der Verhältnisse sicherlich auf einen pietistischen Verfasser rathen. Daß er nichts weniger als ein solcher war, beweist schon seine Freundschaft mit dem Arnstädter Superintendenten Olearius4 und die geachtete Stellung, welche er am Hofe Wilhelm Ernsts einnahm; noch mehr beweist es die reiche Fülle von Cantaten-Texten in Neumeisters Manier. Am meisten verbreitet hat sich von seinen Liedern wohl »So ruhest du, O meine Ruh« u.s.w., obwohl es sich durch Mangel an Einfachheit, besonders ein unablässiges Haschen nach Wortspielen als Jugendarbeit verräth, wie es denn auch schon in seiner ersten Sammlung zu finden ist. Diese erschien unter dem Titel: »Salomon Franckens aus Weimar Geistliche Poesie« im Jahre 1685. Zwölf Jahre später gab er in Arnstadt eine Sammlung von Madrigalen über das Leiden Christi heraus, Dichtungen, mit deren [522] Gefühlsinnigkeit man sympathisiren kann, ohne die Geschmacklosigkeit mancher Ausdrücke, den Schwulst und die Incorrectheit vieler Bilder zu verkennen. Mehr und mehr gelang es ihm aber, für seine Gedanken den natürlichsten und ansprechendsten Ausdruck zu finden. Die »Geist- und weltlichen Poesien«, die in zwei Theilen 1711 und 1716 ans Licht traten, bezeichnen den Höhepunkt der Franckschen Leistungen im geistlichen Strophenliede5. Außerdem ist darin wohl das Meiste von dem vereinigt, was er an Gelegenheitsarbeiten bis zum Erscheinungsjahre des zweiten Theils producirt hat, mit Ausnahme gewisser geistlicher Cantaten, die wir gleich näher kennen lernen werden.

Francks früheste Cantaten-Dichtungen sind noch in der älteren Form gehalten und bestehen aus Bibelsprüchen und Strophenliedern. Ein ganzer Jahrgang, betitelt »Evangelische Seelen-Lust über die Sonn-und Festtage durchs ganze Jahr«, ist im ersten Theile der »Geist- und weltlichen Poesien« enthalten (S. 94–210), nur in zwei Gesprächspielen auf den zweiten Weihnachts- und den ersten Ostertag sind recitativische Rhythmen eingemischt, aber unbefangen genug beide Male auch dem Chore zugetheilt. In dem zweiten Theile derselben Sammlung befindet sich ebenfalls ein Jahrgang geistlicher Gedichte, sogenannte »Singende Evangelische Schwanen« (S. 2–86), sämmtlich auf die Sterblichkeit und das jenseitige Leben gerichtet. Während diese ausnahmslos einfache Arien, d.h. Strophengesänge sind, erscheinen aber auf Seite 132, 134 und 190 die ersten Cantaten-Texte in der vollständigen Neumeisterschen Form. Dazwischen treten uns mehre Dichtungen von vermittelnder Form entgegen, welche das Recitativ verschmähen und nur eine Anzahl von modern gestalteten Arien verschiedenen Versmaßes aneinanderreihen, denen zuweilen kurze Schriftsprüche zwischengeschoben sind. Dieser für die Musik nicht vortheilhafte Versuch eines Ausgleiches zwischen älterer und neuerer Cantate ist offenbar dadurch hervorgerufen, daß Franck erst als Funfziger mit der neuen Gattung in Berührung kam, und eine liebgewonnene ältere nicht ohne weiteres fahren lassen [523] mochte. Von den selbständigen drei Cantaten-Jahrgängen seiner Arbeit, die wir überkommen haben, weist der mittlere nur Dichtungen dieser Form auf, während in den andern beiden die Recitative nach Neumeisters Vorgange angewendet sind. Soweit meine Forschung reicht, ist er aber mit seinem Experimente allein geblieben. Daraus nun, daß alle diese neuen Bildungen zuerst im zweiten Theile der »Geist- und weltlichen Poesien« sich finden, erhellt wiederum, daß der Anstoß zur Einführung der neueren Kirchen-Cantate von Eisenach gekommen und hauptsächlich durch Neumeisters dritten und vierten Jahrgang bewirkt ist. Alle jene Dichtungen werden nach dem Jahre 1711 entstanden sein, und es ist sehr möglich, ja wahrscheinlich, daß Bach diese und jene davon componirt hat; auch aus den älteren Franckschen Texten mag er den einen und andren benutzt haben. Unter seinen jetzt bekannten Cantaten findet sich freilich keine daher. Aber daß er sich für Francks Poesien sehr warm interessirte und dessen Texte nicht nur auf höheren Wunsch in Musik setzte, ist unbestreitbar. Mochte er an Kraft, Schwung, Frische ein ganz andrer Geist sein, einen Zug hatte er mit dem Dichter gemeinsam, den transcendentalen, mystischen, die Neigung, aller irdischen Dinge Wirklichkeit im Gegensatze zu dem Traume eines überirdischen Glückes möglichst dunkel und unzureichend anzusehen. Und wenn er sich sagen mußte, daß Franck an Schärfe und Bestimmtheit des Ausdrucks es Neumeister nicht gleichthue, auch mit seinen Arien der Bildung größerer Musikformen aus Mangel an Verständniß dafür zu wenig entgegen komme, so kann er andrerseits für den melodischen Wohllaut seiner Verse nicht unempfänglich geblieben sein. Noch in Leipzig wandte er sich mehrfach zu Francks Poesien zurück, und darf dies bei den Cantaten weniger auffallen, die ja an poetischem Werth Picanders trockne Machwerke hoch überragen, so hatte er doch auch andre Lieder dergestalt lieb gewonnen, daß er ihnen in seinen Tonwerken eine Stätte zu bereiten strebte. Es wird an der gehörigen Stelle nachgewiesen werden, daß eins der herrlichsten Stücke aus der Matthäuspassion auf der Umbildung eines Franckschen Gedichtes beruht, die wohl kaum von einem andern als Bach selbst herrühren kann. Und alles spricht dafür, daß auch in der Johannespassion eine Reihe von Franckschen Texten zur Verwendung kam. Daß beide Männer persönlich [524] einander nahe traten, ist nirgends zu erkennen; glaublich wäre es schon, doch darf nicht vergessen werden, daß Franck 26 Jahre älter war6.

Eine regelmäßige Benutzung Franckscher Texte durch die herzogliche Capelle und mit ihr eine fortlaufende Reihe Bachscher Compositionen beginnt erst mit dem Osterfeste 1715. Welche Ordnung den musikalischen Aufführungen in der Schloßkirche vorher zu Grunde lag, ist nicht erkennbar, und ebensowenig, wie weit sich Bach als Componist daran betheiligte. Selbst das muß also dahin gestellt bleiben, ob eine bestimmte Verpflichtung zur Lieferung gewisser Kirchenstücke ihm schon beim Antritt seines Concertmeister-Amtes auferlegt ist, oder erst im folgenden Jahre. Aber es fällt in diesen Zeitraum die Composition zweier jedenfalls Franckscher Dichtungen, und nimmt man die oben besprochenen Neumeisterschen Cantaten hinzu, so ergeben sich doch Spuren einer schon damals nicht unerheblichen Thätigkeit auf diesem Gebiete. Jene beiden Cantaten gehören dem dritten Trinitatis-Sonntage (17. Juni) 1714 und dem Sonntage Palmarum des Jahres 1714 oder 1715 (25. März oder 14. April)7. Die erstere, »Ich hatte viel Bekümmerniß«, zählt zu den bekanntesten Bachs8. Sie nimmt Beziehung zur Epistel des Sonntags, ist jedoch so allgemein gehalten, daß Bach zugleich darüber schreiben konnte: Für jede Zeit (Per ogni tempo). Vielleicht entstand sie auf eine besondere Veranlassung, denn die Ausführung ist ungewöhnlich breit und reich. Eine sehr schöne Sinfonia (C moll 6.) leitet ein. Sie hat die Form der Gabrielischen Sonate: Oboe und erste Violine imitiren in gesangreichen, bis zum Leidenschaftlichen ausdrucksvollen Gängen, Violine II, Viola, Orgel und Bässe lagern sich in breiten Harmonien darunter. Der vocale Theil besteht aus vier über Bibelstellen gesetzten Chören, deren dritter von einer durchziehenden Choralmelodie getragen wird, drei Arien, zwei Recitativen und einem Duett. Der erste Chor: »Ich hatte viel Bekümmerniß in meinem Herzen, aber [525] deine Tröstungen erquicken meine Seele« (Ps. 94, 19) führt das Thema:


6.

in drängenden Engführungen durch (Einsatz auf der fünften Themanote) und zwar in den ersten 18 Takten mit stufenweiser Erhöhung und stetigen Septimen-und Secund-Vorhalten, dann eine Weile im Quart-Abstande, endlich wieder mit stufenartiger Ueberbietung und viel reicherer Harmonie, bei der zuletzt auch der volle Instrumentenchor sich betheiligt. Mit einem langgezogenen »Aber« wird in ein Vivace: »Deine Tröstungen erquicken meine Seele« hinübergeleitet: glänzendes Auf- und Abwogen sämmtlicher Sing- und Instrumentalstimmen in Sechzehnteln bei vorherrschendem Dur-Charakter, die End-Takte beruhigen sich wieder zur Entfaltung einer äußerst geistreichen Polyphonie und schließen in C mit großer Terz. Es folgt eine Arie für Sopran mit obligater Oboe, die den Empfindungen der Angst und des Kummers mit Bachscher Ueberschwänglichkeit Ausdruck giebt. Ein sehr musikalisches Recitativ für Tenor, die Klage eines Gottverlassenen, leitet zu der zweiten Arie (F moll) hinüber. Der Text vergleicht hier in theilweise unklaren Bildern die Noth des Daseins mit Meeresfluthen, welche das Lebensschifflein zu zertrümmern drohen. Die Bewegung des Streichquartetts ist durch diese Vorstellung hervorgerufen. An harmonischer Fülle und Tiefe sucht die Arie ihres gleichen, die Stimmung der ersten erfährt durch sie noch eine mächtige Steigerung. Der Gesang ist auch hier nur Erster unter Gleichberechtigten, niemals schließt sich ihm ein Instrument unterstützend an, und wo diese sämmtlich in Thätigkeit sind, entsteht Fünfstimmigkeit. Zu dem in den sattesten Farben ausgeführten Schmerzensbilde tritt in Gegensatz ein unglaublich rührender Choranfang: »Was betrübst du dich, meine Seele« (Ps. 42, 6), von Wenigen vorgesungen, von Allen eindringlich wiederholt, der sich auf den Worten »und bist so unruhig in mir« zu einem Tonbild von staunenswerther Künstlichkeit belebt: den Singstimmen werden vier Motive von starker rhythmischer Verschiedenheit zugetheilt, die sich canonisch jagen und alle zugleich ertönen, dazu tritt eine aus ganz[526] neuen Motiven gewobene sechsstimmige Begleitung, die sich erst später mit dem Chor vereinigt. Das unruhige Hoffen und Fürchten des Menschenherzens kann nicht genialer gezeichnet werden. Darauf dann ein neuer Abschnitt »harre auf Gott« voll süßer Ruhe, und ein innig froher Aufschwung, der hinüberführt in die köstliche Schlußfuge (C moll). Der Gesammtsatz ist ein Nachklang von Stimmungen, wie sie in der Musik zum 130. Psalm und an einigen Stellen desActus tragicus hervortreten. In technischer Hinsicht mahnt an die frühere Periode der Bau der Fuge, indem ein einziges Instrument sich in den vierstimmigen Vocalsatz mit dem Thema einschmiegt, dann eine Weile die Instrumente allein fugiren und in ihr weit ausgespanntes Gewebe endlich die Singstimmen wieder hineinschlagen, den Fugenaufbau von neuem beginnend. Ein Recitativ für Sopran und Bass, die allegorischen Vertreter der Seele und Christi, beginnt den zweiten Theil der Cantate. Es ist ebenfalls sehr musikalisch, die begleitenden Streichinstrumente sind oft selbständig beschäftigt. Gleich die Anfangstakte enthalten einen feinen Zug. Zu den Worten der Seele: »Ach Jesu, meine Ruh, mein Licht, wo bleibest du?« steigen die Geigen in leisen Accorden aufwärts zur Dominantharmonie, so recht das sehnsüchtige Ausschauen versinnlichend. Als aber nach der Antwort Jesu: »O Seele, sieh, ich bin bei dir!« die Seele aus ruft: »Bei mir? hier ist ja lauter Nacht!« lassen die Geigen den langgehaltenen hohen Accord los, und sinken jäh durch anderthalb Octaven in die Tiefe hinab, ja nehmen zu dem Worte »Nacht« eine brütend drohende Accordlage an, die sich erst bei den Trostworten Christi wieder aufhellt. Dann folgt zu bloßer Orgelbegleitung ein Duett zwischen denselben beiden Figuren (Es dur 6., nachher 3/8, zum Schluß wieder 6.), und darauf ein großer Choralchor über die zweite und fünfte Strophe von »Wer nur den lieben Gott läßt walten«; die drei andern Stimmen contrapunctiren mit einem selbständigen, tonleitermäßig auf- und absteigenden Motive über die Psalmworte (116, 7): »Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr thut dir Guts«. Es ist dies in den Bachschen Cantaten die erste Uebertragung eines vollständigen Orgelchorals in Pachelbels Form auf den Vocalchor, weit hinausragend aber über Pachelbels Technik durch die consequente Verwendung eines eigenen Contrapuncts. Der Cantus firmus liegt erst im Tenor, dem gegenüber nur Solostimmen aufgestellt[527] sind, auch schweigen alle Instrumente bis auf die Orgel, zur andren Strophe aber ergreift der Sopran die Melodie, der volle Chor tritt in Thätigkeit mit allen früheren Instrumenten, welchen sich noch vier Posaunen gesellen; ein zweiter Contrapunct mischt sich ein, der erste erfährt eine neue Behandlung, alles drängt in erhöhtem Leben voran. Mit eminenter Technik ist das gestaltet. Eine frohbeschwingte Tenor-Arie (F dur 3/8): »Erfreue dich Seele, erfreue dich Herze, entweiche nun Kummer, verschwinde du Schmerze« bildet die Brücke zum Schlußchor (C dur 6.), der strahlenden Krone des Ganzen9. Mit Recht rühmt man an diesem Jubelgesange (Offenb. Joh. 5, 12. 13) die für Bach ungewöhnlich populäre und an Händel erinnernde Haltung. Sie erklärt sich dadurch, daß hier noch einmal mit Macht die Empfindungsweise von Bachs älteren Kirchencantaten sich ausspricht, die später vor der Strenge seiner Mannesgesinnung zurückweichen mußte. Die jugendliche Offenheit und der feurige Schwung sind nur die Kehrseite von jenem schwärmerisch innigen und träumerisch zarten Wesen, das ihnen so ganz eigen ist. Hinsichtlich der Construction hat die Fuge viel Aehnlichkeit mit der Schlußfuge in der Rathswechsel-Cantate von 1708. Solostimmen beginnen wieder, in die vom 15. Takte an die Tuttistimmen von unten auf allmählig hineinwachsen. Wenn sie sich bis oben hindurch gearbeitet haben, nimmt der dreistimmige Trompetenchor das Thema zur Fortführung auf, dann der Chor der Geigen mit Oboe, während die Singstimmen in jauchzenden Sechzehnteln imitiren. Bis jetzt hörte man immer nur Tonika und Dominante. Nun aber erfaßt der Vocalchor mit der ganzen Wucht vierstimmiger Homophonie das Thema in D moll, dann nach einem imitatorischen Zwischensatze in F dur. Der Schluß erfolgt, nachdem die Trompeten dasselbe noch einmal triumphirend erklingen ließen mit fast muthwilliger Ausgelassenheit. Auf Vertiefung ist es in der Entwicklung dieser Fuge kaum abgesehen, sehr dagegen auf Entfaltung von Fülle und Glanz. Die Contrapuncte bleiben immer dieselben und treten nur in verschiedenen Lagen und Stimmen auf. Mit Einsatz des Orchesters beginnt eine canonische Imitation des Themas im Abstand eines Vierteltaktes, und wo von [528] jetzt ab das Thema erscheint, erscheint auch sie. Takt 47–50 stimmen mit 15–18 überein, nur daß alles im Tutti gesungen wird. Eine immer wiederkehrende figurirte Stelle:


6.

ist mir vielfach in Motetten um 1700 aufgestoßen; sie klingt besonders in höheren Lagen brillant, ist aber zu wenig melodisch und deshalb später von Bach gemieden.

Einzelnes von Stil und Manier der Motette haftet auch dem ersten Chore an. Wäre das kleine Zwischenspiel Takt 48 nicht, so könnte man eigentlich des gesammten Instrumentalchors entrathen. Die Singstimmen bilden in sich ein geschlossenes, fortlaufendes Ganzes, selbst der Instrumentalbass, obgleich er die Harmonie voller und deutlicher macht, ist doch kaum wesentlich zu nennen. Manier damaliger Motettencomponisten sind Weckaccorde zu Anfang, wobei der Text oft gemaßregelt wurde; wir fanden sie z.B. in Michael Bachs Motette »Nun hab ich überwunden«10. Mattheson, der die Cantate vermuthlich im Jahre 1720 kennen gelernt hatte, als Bach in Hamburg war, tadelte mit Rücksicht hierauf neben Zachaus Declamation auch die seinige. »Damit«, sagt er11, »der ehrliche Zachau Gesellschaft habe, und nicht so gar allein da stehe, soll ihm ein sonst braver Practicus hodiernus zur Seiten gesetzt werden, der repetirt nicht für die lange Weile also: Ich, ich, ich, ich hatte viel Bekümmerniß, ich hatte viel Bekümmerniß, in meinem Herzen, in meinem Herzen. Ich hatte viel Bekümmerniß :|: in meinem Herzen :|::⌉: Ich hatte viel Bekümmerniß :⌈: in meinem Herzen :⌉: Ich hatte viel Bekümmerniß :⌈: in meinem Herzen :⌈::⌉::⌈::⌉:⌈: Ich hatte viel Bekümmerniß :⌈: in meinem Herzen :⌉: etc. Hernachmal so: Seufzer, Thränen, Kummer, Noth (Pause) Seufzer, Thränen, ängstlichs Sehnen, Furcht und Tod (Pause) nagen mein beklemmtes Herz etc.item: Komm, mein Jesu, und erquicke (Pause) und erfreu mit deinem Blicke (Pause) komm, mein Jesu, (Pause) komm, mein Jesu, und [529] erquicke und erfreu ... mit deinem Blicke diese Seele etc.« In Bezug auf das »Ich, ich, ich« mag ein Tadel berechtigt sein, denn um die Aufmerksamkeit durch einige Accorde zu spannen, wäre das Orchester dagewesen, und auch bei einer Motette dürfte man es nicht loben. Aber hiergegen richtet sich Mattheson nur beiläufig, und bei den andern Ausstellungen ist man verlegen zu sagen, was er denn will. Zuvor hatte er als Declamationsregel aufgestellt, keinen Nebensatz ohne seinen Hauptsatz zu wiederholen, eine Regel, die in ihrer schiefen Fassung offenbar nur von einem vorliegenden Beispiele abstrahirt war. Zachau hatte nämlich über das Satzfragment »Und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen« eine Fuge gesetzt. Derartiges findet sich aber in den Bachschen Stellen nirgends; im ersten Chor ist aus dem Text »Ich hatte viel Bekümmerniß in meinem Herzen« ganz richtig ein abgeschlossener Tongedanke gebildet, der sich um die beiden pathetischen Wörter »Bekümmerniß« und »Herz« krystallisirt und deshalb diese mit ihrem Zusammenhang wiederholt. In der Arie ist nur der Eintritt des Prädicats, im Duett der des Objects hinausgeschoben, weil hier, besonders in der Arie, fast jedes Wort mit Empfindung erfüllt war, die entbunden werden wollte. Nur vom Standpunkte trockner Logik sind solche Anfänge unvollkommen und auch so kaum, wer aber die Worte »Seufzer, Thränen, Kummer, Noth« zu einer herrlichen Melodie gesungen hört, der hat alles, was er zum Verständniß braucht, und Mattheson mußte das wissen. Declamirt er doch selbst und mit viel geringerer Berechtigung: »Ach« (Pause) »wie hungert mein Gemüthe, wie hungert mein Gemüthe, Menschenfreund« (Pause), »Menschenfreund nach deiner Güte«12, und wird es nach seiner Ansicht gewiß tadellos gemacht haben. Es ist klar, daß er nur eine Gelegenheit vom Zaune bricht, Bach zu bemäkeln und der wenig freundschaftlichen Gesinnung, die er gegen seinen großen Zeitgenossen seit dem Jahre 1720 hegte, Luft zu machen. Gäbe es keine anderen Bedenken gegen die Cantate, so könnte man sie ohne Zaudern für so vollkommen erklären, wie überhaupt etwas unter der Sonne ist. Aber sie hat zwei schwache Stellen; an ihnen ist zunächst freilich der Dichter schuld, den Componisten [530] trifft jedoch der Vorwurf, daß er seine Vorlage zu naiv componirte. Der allgemeine Entwicklungsgang des Werks beruht auf dem Gegensatze zwischen höchster Seelenbetrübniß und der Erlösung daraus durch Christi Vermittlung, es zerfällt demnach in zwei entgegengesetzte Stimmungsgebiete und eben so viele Haupttheile. Der erste Chor mußte, zumal nach der leidenschaftlich klagenden Symphonie, nur das Gefühl zum Ausdruck bringen, das den ganzen ersten Theil beherrscht bis zum Schlußchor, wo sich eine Aussicht auf Erlösung, aber auch nur eine Aussicht zeigt. Er thut dies nicht, sondern enthält den Gegensatz, auf den die Cantate gegründet ist, schon für sich. Dies verwirrt; man muß nach dem freudigen Aufschwunge wieder zu Schmerz und Klage zurückkehren und langsam den ganzen Process noch einmal durchmachen. Hierin steht die Cantate hinter der Adventsmusik desselben Jahres entschieden zurück; Franck hätte einen andern Chortext wählen müssen. Die zweite Schwäche liegt in dem Duett; dasselbe ist gradezu ein wunder Punkt. Man kann den Einzelgesang in die Kirchenmusik einführen, vorausgesetzt daß er sich in einer Form äußert, über der man das Individuum vergißt. Man kann mit demselben Rechte von Duetten und Terzetten Gebrauch machen, wenn die Stimmen sich uneigennützig bestreben, einer Gesammtempfindung und einem Gesammtgedanken zum künstlerischen Ausdruck zu verhelfen. Es ist auch wenig dagegen zu erinnern, wenn in den sogenannten »Dialogen« die Seele und Christus, die Furcht und die Hoffnung, oder andre leichtdurchsichtige Allegorien auftreten, und mit ihren Aeußerungen, die eben nur verschiedene Seiten derselben religiösen Empfindung bezeichnen, einander ablösen. Aber alle Kirchenmusik hört auf, sobald zwei Persönlichkeiten dermaßen sich in Aufforderung und Gewährung, in Widerspruch und Zustimmung mit einander zu thun machen, wie es hier geschieht. Da ist von einer Gemeinempfindung, in deren Dienst sie beide sich für alle stellen sollten, nicht mehr die Rede; Satz für Satz sind es nur die eignen Interessen, die in ihren wechselseitigen Beziehungen das Musikstück beleben und im Fluß erhalten. Das Duett ist, was Kirchenmusik niemals sein darf, dramatisch. Bach hat, es muß leider gesagt werden, nicht nur nichts gethan, um das Verfehlte der Dichtung zu mildern, sondern es durch seine Behandlung noch gesteigert. Er verwendet [531] keine Instrumente zur Begleitung, deren melodische Verflechtung einen Theil des Interesses hätte für sich in Anspruch nehmen können. Durch seine Lust am contrapunctischen Stimmenspiel verleitet, hat er, gewiß unabsichtlich, die Dramatik in einer fast peinlichen Weise zugespitzt, wenn die Stimmen sich unersättlich das »ach nein! ach ja! du hassest mich! ich liebe dich!« zuwerfen. Auch hat die durchgehende Wechselrede wahrscheinlich nicht in Francks Sinne gelegen; es ist ziemlich deutlich, daß er am Anfange erst der Seele und dann dem Basse eine zusammenhängende Partie zugetheilt hatte. Als mildernder Umstand läßt sich nur anführen, daß der Sopran ja damals von einer Knabenstimme gesungen ist; dadurch wurde zur Noth der Eindruck vermieden, den das Stück jetzt überall machen muß, der eines reizenden Liebesduetts.

Für die allgemeine Beurtheilung Bachscher Kunst ist es aus diesem Grunde nicht günstig gewesen, daß die Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß« sich so sehr verbreitete, ohne daß zugleich die gehörige An zahl andrer nicht geringerer Gattungsschwestern bekannt wurde. Der oft gemachte Vorwurf theatralischer und pietistischer Elemente in seiner Kirchenmusik findet hier eine scheinbare Stütze. In Wirklichkeit aber giebt es außer diesem Duett nur noch ein einziges aus dem Jahre 1715 von ähnlicher Beschaffenheit. Franck liebte die Form und Bach bequemte sich ihm an. Späterhin hat er, soweit ich seine Cantaten jetzt zu übersehen vermag, kein solches Stück wieder in ihnen angebracht. Traten ihm ähnliche Aufgaben nahe, so verstand er die dialogisirenden Stimmen dergestalt in eine höhere Einheit aufzulösen und in ein Netz instrumentaler Polyphonie einzuweben, daß gar kein Zweifel bleibt: er wußte nunmehr, was er seinem Stile schuldig war13. Mißgriffe nach dieser Seite hin waren aber um so leichter, als alle übrigen Kirchencomponisten ganz wohlgemuth die theatralischen Formen acceptirten und Bach unter ihnen heraus und ihnen entgegen sich erst seinen Weg bahnen mußte.

[532] Ueber die Cantate zu Palmarum können wir kurz sein14. Der Text hat die eigenthümlich Francksche Form, welche Arien verschiedenen Versmaßes ohne Recitative an einander reiht, wenigstens ist ein achttaktiges Bass-Arioso über Ps. 40, 8 und 9 nicht dahin zu rechnen. Auch der Anfangs- und Schluß-Chor sind über Arientexte gebaut, und wir begegnen hier zum ersten Male bei Bach der Da capo-Form im Chorgesange. An Kunstwerth scheint mir diese Cantate der vorigen, mit der sie in der Anlage bedeutende Aehnlichkeit hat, durchaus nicht nachzustehen. Sie beweist aber, mit welcher Sicherheit Bachs Genius entgegengesetzte Stimmungen zu erfassen wußte, und wie tiefsinnig er auf den Charakter der einzelnen Sonntage einging. Gleich die Symphonie (G dur) schlägt den Ton an, der das Ganze einheitspendend durchklingt: ein frühlingsholdes Musikstück, zart und doch festlich froh. Die anmuthig verschlungenen Gänge der hohen Violinen oder Holzbläser über den harfengleichen Pizzicatos des tieferen Streicherchors sind die Laub- und Blumengewinde, welche man zum Willkommen eines theuren Ankömmlings um die Thüre flicht. Und »Himmelskönig, sei willkommen, laß auch uns dein Zion sein. Komm herein, du hast uns das Herz genommen« tönt es im blühenden, schön fugirten Chorgesange. In der Folge der köstlichen drei Arien ist die Stimmung meisterlich entwickelt: bei der Aussicht auf Christi nahen Tod wird sie ernst, trüb, endlich herb und schneidend, verklärt sich aber in einem wundervollen Choralchore:


Jesu, deine Passion

Ist mir lauter Freude,

Deine Wunden, Kron und Hohn

Meines Herzens Weide.

Meine Seel auf Rosen geht,

Wenn ich dein gedenke;

In dem Himmel eine Stätt'

Uns deswegen schenke15.


Darnach kehrt in dem Schlußchore die festliche Stimmung wieder, [533] und nimmt im zweiten Theile einen durch Großartigkeit und kunstvolle Entwicklung gleich ausgezeichneten Aufschwung.

Inzwischen war Francks erster Jahrgang von Cantaten fertig geworden und in zweierlei Formen gedruckt, einmal als Gesammtbändchen mit einer Widmung an den Herzog, und außerdem in Einzeldrucken, welche für jeden Sonntag unter die Gemeinde zum Nachlesen vertheilt wurden. Der Titel war »Evangelisches Andachts-Opfer«16. Die Compositionen, welche Bach beigesteuert hat, sind wohl zum größten Theile, doch sicherlich nicht vollständig mehr erhalten. Der Vicecapellmeister Strattner war mit der Verpflichtung angestellt gewesen, jeden vierten Sonntag eine Kirchenmusik zu componiren. Gewisse Gruppen der Bachschen Cantaten, z.B. die zum 16., 20., 23. Trinitatis-Sonntage, oder zum 4. Advent, Sonntag nach Weihnachten, 2. Sonntag nach Epiphanias zeigen, daß ihm eine ähnliche Verpflichtung obgelegen hat. Jetzt sind aus diesem Jahrgange von Ostern 1715–1716 noch neun Cantaten vorhanden17. Wir mustern sie in chronologischer Folge.

1) Cantate auf den ersten Ostertag (21. April) 1715 (»Der Himmel lacht, die Erde jubiliret«)18. Sie ist später vom Componisten wieder überarbeitet, und nur in dieser erweiterten Gestalt besitzen wir sie noch; im Anfangschore ist eine Singstimme zugesetzt und sind die Instrumente verstärkt, auch die letzte Arie scheint, wenngleich nicht in der Anlage, so doch in der Besetzung verändert zu sein. Es muß also von dem Lobe dieser Cantate für den Bach, wie er noch in Weimar war, etwas in Wegfall kommen. Die Dichtung ist meist sehr gelungen. Sie geht von der Festfreude aus, und zieht [534] mit feinem Gefühl die Frühlingsfeier der erwachenden Natur in dieselbe hinein. In den Solosätzen nimmt sich manches zu lehrhaft aus, was freilich oft schwer zu vermeiden war. Der Schluß dagegen ist wieder eben so musikalisch, wie für Franck charakteristisch: die Gedanken wenden sich von Christi Auferstehung zu der Auferstehung alles Fleisches und dem Eingang in die ewige Herrlichkeit; daran schließt sich (nicht ganz logisch) der Wunsch, daß der Tod kommen möge, um zur Vereinigung mit Jesu zu führen – hier quillt Innigkeit aus jeder Zeile. Bach beginnt mit einer großartigen Sonate (C dur 6/8), deren Bau mit der Instrumentaleinleitung zur Sexagesimae-Cantate »Gleichwie der Regen« übereinstimmt, nur daß in der Verbindung der Ciaconen-Form mit dem italiänischen Concerte zu Gunsten des letzteren noch ein Schritt weiter gegangen ist und das Anfangsthema nicht als durchaus herrschender Gedanke erscheint. Unablässig schuf der Meister in den Gränzen des Vernunftgemäßen neue Formen. So stellt auch der folgende Jubelchor eine Verschmelzung der Fuge mit der Liedform dar und trägt überdies noch einen Zug von der italiänischen Arie. Sein erster Haupttheil gliedert sich wie ein Aufgesang in zwei Stollen, dem der Abgesang in anderm Zeitmaße und wesentlich homophonen Gängen folgt; dieser aber schwingt sich, um dem Totalcharakter treu zu bleiben, zu einer neuen Fuge auf, und als sie geendigt, greift der Instrumentenchor noch einmal auf den Anfang zurück. In der ersten Arie wird man die Gewandtheit nicht übersehen, mit der fünf hinter einander gestellte Fragen musikalisch ausgedrückt werden; das Stück ist über einen frei behandelten ostinato gebaut und schwer in angemessener Weise zu accompagniren. In der Tenor-Arie begegnen wir zum ersten Male einem jener Texte, welche gar keine Empfindung aussprechen und rein dogmatischen Inhalts sind. Wie die älteren Kirchencomponisten bei gewissen dogmatischen Theilen der Messe einfach einer allgemeinen kirchlichen Stimmung Ausdruck geben, so stellt auch Bach in solchen Fällen freie Tonstücke hin, die in jener Stimmungssphäre sich bewegen, welche sein kirchlicher Stil umschreibt. Aber er giebt zugleich auch einen bestimmteren Gefühlsinhalt; denn da in seinen Cantaten die Stimmungen sich im stufenweisen Fortschritt zu entwickeln pflegen, so ist der Inhalt solcher Stücke wesentlich durch ihre Umgebung bedingt. Und besteht zwischen den Textpartien ein vernünftiger Zusammenhang, dann [535] müssen nun auch Dichtung und Musik sich decken; letztere ist zwar nicht aus jener hervorgegangen, aber sie finden in einem höheren Dritten ihre Einheit. So ist es hier. Die Anfangstheile der Cantate beschäftigen sich mit der objectiven Thatsache von Christi Auferstehung, von dem Recitativ unsrer Arie an beginnt die Betrachtung über deren vorbildliche Bedeutung für das Leben des Christen, deren Höchstes das Auferstehen am jüngsten Tage ist. Die Musik schlägt die Brücke von dem Festjubel zu den mystischen Empfindungen über die letzten Dinge. Was sie sagt, läßt sich in Worten nicht definiren, dazu ist es Musik. Aber daß der Inhalt Bach sehr am Herzen lag, sieht man an der außerordentlichen Schönheit der Arie in instrumentaler wie vocaler Hinsicht. Sie ist wie ein Frühlingslied, das ein leiser Hauch der Sehnsucht durchzieht. Formell ähnelt sie der Bassarie in der Palmarum-Cantate, die ja vielleicht nur acht Tage früher zur Aufführung kam, hie und da auch der zweiten Arie in »Ich hatte viel Bekümmerniß«. Die außer der ersten Geige verwendeten Streichinstrumente füllen oft nur die Harmonie aus, jene concertirt viel mit der Stimme allein, kurze Instrumentalsätzchen werden gern zwischenhineingeworfen. Als Merksteine für Bachs Entwicklung sind solche Züge nicht zu übersehen. Außerdem ist beachtenswerth, daß der melodische Gedanke des Ritornells ein andrer ist, als der Anfangsgang der Singstimme, in den es nach Verlauf eines Taktes selbständig hineintritt und auch durch die ganze Arie die Kosten des Accompagnements allein bestreitet19. Ein durch ekstatischen Schwung ausgezeichnetes kleines Recitativ leitet zur letzten Arie:


Letzte Stunde, brich herein,

Mir die Augen zuzudrücken!

Laß mich Jesu Freudenschein

Und sein helles Licht erblicken!

Laß mich Engeln ähnlich sein,

Letzte Stunde, brich herein.


Durch seine Behandlung hat Bach gezeigt, wie sympathisch ihm dieser Ausgang war. Ist es nicht merkwürdig? Zu Ostern, dem Feste [536] des Siegs, des Triumphes, eine Kirchenmusik zu schließen mit der Aussicht auf den Tod und in unbestimmte Fernen, ahnungsvoll und verschwimmend! Aber so ist des Künstlers Wesen. Als echter Kirchenmusiker sieht er alles sub specie aeterni. Doch ist es nicht der majestätische Glanz, den von der hohen Himmelskuppel die Sonne auf alle Creaturen niederstrahlt, es sind Lichtstrahlen, die durch ein halbgeöffnetes Thor in eine Welt des Dunkels fallen, um sie erdämmernd ahnen zu lassen, was ihr fehlt. Auch jene Begebenheiten der Kirche, welche die Freude am Dasein auf das entschiedenste herausfordern, können ihn seinem Sinnen nicht ganz entziehen. Er liebt die blühende Lenzesflur, aber vorzugsweise, wenn das Abendgold sie umfließt.

Mit einem rührend milden Gesange des Soprans concertirt die Oboe; hinein tritt, von beiden Violinen und Violen im Einklange gespielt, mild und voll in tiefer Lage die Melodie »Wenn mein Stündlein vorhanden ist«. Wir kennen die Form aus dem Actus tragicus. Ihr Eigenthümliches ist, daß sie den Hauptfactor, den Choral, wortlos, Nebenfactoren dagegen redend einführt und so das natürliche Verhältniß umdreht. Die Empfindung der Singstimme wird dadurch in den kirchlichen Bereich gezogen, aber da zur Ausdeutung des instrumentalen Chorals die Subjectivität ungehinderten Zutritt hat, verschwimmt das Ganze ins Unbestimmte und Romantische. Wie nun diese Form dort zur Darstellung der beabsichtigten Stimmung überaus geeignet war, so ist sie es auch hier. Aber der Charakter der Cantate erlaubte nicht ein solches Versunkenbleiben in überirdische Ahnungen. In festen Umrissen aus der Dämmerung tritt uns deshalb zum Schluß derselbe Choral in seiner 5. Strophe vom gesammten Chore gesungen entgegen. Diese Strophe hatte der Dichter vorgeschrieben; Bachs geniale Kunstthat besteht darin, daß er die Melodie für das vorige Stück in einer Form anticipirte, die auf den Schlußchoral wie die Blüthe auf die Frucht vorbereitete. Er hatte hiermit wieder eine Kunstform geschaffen, die er fortan mit stets neuem Tiefsinn zu den ergreifendsten Wirkungen verwerthete. Die Harmonisirung des Chorals entspricht dem Vorhergegangenen; es ist eine Seligkeit durch sie hingegossen, daß man wie von Schauern des Unbegreiflichen angehaucht wird. Maßgebend sind für Bach die Anfangszeilen gewesen:


[537] So fahr ich hin zu Jesu Christ,

Mein' Arm' thu ich ausstrecken.


Ueber den Singstimmen wandeln Violine und Trompete in Melodien und Rhythmen, die unwiderstehlich das Bild eines Emporgetragenen wachrufen, der der himmlischen Wonne die Arme entgegenbreitet; von unsäglicher Ueberschwänglichkeit ist der Vorhalt über den Fermaten, der sich immer mit dem zweiten Achtel auflöst. Die sehr hoch geführte Trompete mit ihrem zarten, silbernen Klange, muß hier von zauberischer Wirkung gewesen sein20. – Der Text Francks hat noch eine zweite Composition erfahren durch den Sondershäuser Capellmeister Freislich, welcher Bachs Musik gekannt haben wird, da sein Anfang deutlich daran erinnert21. Die Composition ist freundlich und unbedeutend, interessant für uns nur dadurch, daß an den Schluß die 10. Strophe des Osterliedes »Früh morgens, da die Sonn aufgeht« mit ihrem jubelnden Hallelujah gesetzt ist. Damit den üblichen Abschluß zu machen, war allerdings leichter und – dankbarer.

2) Cantate auf den vierten Sonntag nach Trinitatis (14. Juli) 1715 (»Barmherziges Herze der ewigen Liebe«)22. Sie schließt mit dem Choral »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ«. Bach führt denselben auch in die erste Nummer ein (Fis moll 6/4), wo ihn zu zwei über einem Achtel-Continuo duettirenden Stimmen die Trompete oder Oboe zu blasen hat23. Er macht dadurch einen neuen Gebrauch von der eben besprochenen Combination, indem er den Choral wie in einem weiten Bogen über die gesammte Cantate spannt. Dessen Grundgedanke ist die bittre Klage über die menschliche Schwachheit, neben der die Bitte an Christus um Beistand zu einem gottgefälligen Leben nur als zweites Moment erscheint. Die Einführung der Melodie auch in den ersten Satz bestimmt natürlich dessen Charakter, der so freilich ein ganz andrer wird, als ihn die Textworte zu verlangen scheinen:


[538] Barmherziges Herze der ewigen Liebe,

Errege, bewege mein Herze durch dich,

Damit ich Erbarmen und Gütigkeit übe,

O Flamme der Liebe, zerschmelze du mich!


Zu der Vorstellung, daß die göttliche Liebe das starre Menschenherz zerschmelze und zu christlicher Thätigkeit begeistere, würde wohl eine warm erregte Musik der Absicht des Dichters eher entsprochen haben. Aber es wäre dann eine Stimmung angeschlagen, die, sie mochte gedämpft werden, wie sie wollte, doch immer zu dem Inhalt des Chorals sich im Gegensatz befunden hätte. Das durfte nach Bachs Ansicht nicht geschehen, der in dem Choral die oberste kirchliche Musikform erblickte. Hatte Franck mit der Wahl jenes Liedes einen Fehler begangen, so ward dieser für Bach Veranlassung zu einer tiefsinnigen Combination und ist für uns ein neuer Beweis seiner großen Gestaltungskraft auch auf poetisch-musikalischem Gebiet. Jetzt steht die Cantate als abgerundetes Kunstwerk da. Das Duett bewegt sich kunstreich in canonischen Nachahmungen, doch verlieren sich die Stimmen (Sopran und Tenor) einige Male zu weit aus einander in die Höhe und Tiefe. Einzelne herbe Zusammenklänge sind wohl beabsichtigt, die Melodien durchaus herrlich. Um für die Recitative den Inhalt zu bestreiten, hat sich der Dichter an das moralisirende Sonntags-Evangelium gehalten; daher die Nüchternheit derselben. Bach hat durch seine musikalische Behandlungsart sie trotzdem emporzuheben gewußt. Das erste, für Alt, geht wieder auf ein Arioso aus, das der Instrumentalbass weithin canonisch verfolgt. Dasselbe Verfahren ist auch in der Ostercantate zu bemerken, es findet sich weiter in der Advents – und Oculi-Cantate sowie in der Cantate auf den Sonntag nach Weihnachten desselben Jahrgangs und ist als Stileigenthümlichkeit des Meisters in dieser Periode anzusehen. Eine Alt-Arie (A dur 2/4) stellt das Wonnegefühl der Erwartung eines ewigen Lohnes dar für christliche Handlungen im Leben. Das im Text gebotene Bild von den Garben, welche nach der hier ausgestreuten Saat dort fröhlich eingebracht werden, hat den Grundton der Composition bestimmt. Eine verklärte Heiterkeit, die nach dem schmerzensreichen Anfangsgesange doppelte Wirkung hat, durchdringt dies entzückende Musikstück bis in seine feinsten Fasern, die strenge Polyphonie ist mit Mozartscher Liebenswürdigkeit [539] gehandhabt, voll und wohlig quillt in dankbarster Schreibart der Strom des Gesanges. Einen neuen Beweis formbildender Genialität bietet die nächste Arie (H moll 6.), zu der Franck folgende Worte lieferte:


Das ist der Christen Kunst:

Nur Gott und sich erkennen,

Von wahrer Liebe brennen,

Nicht unzulässig richten,

Noch fremdes Thun vernichten,

Des Nächsten nicht vergessen,

Mit reichem Maße messen.

Das macht bei Gott und Menschen Gunst,

Das ist der Christen Kunst.


Es war jedenfalls nicht leicht, hieraus ein ordentliches Musikstück zu machen. Die Form der italiänischen Arie ließ sich nicht anwenden, da der gedankliche Schwerpunkt nicht in der ersten Zeile ruht, die allerdings zum Schluß wiederholt ist, sondern in den folgenden, es also unmöglich war, über die erste Zeile den musikalischen Hauptsatz zu schreiben. Die strophische Liedform war aber auch nicht zu verwerthen, höchstens wäre es mit dem Arioso gegangen und das sollte hier nicht sein. Es blieb nichts übrig. als daß der Componist eine neue Form schuf. Er nahm deshalb von den Zeilen 2–7 je zwei besonders, faßte sie durch die wiederholte erste Zeile ein und erhielt so drei vierzeilige Strophen. Diese aber derselben Musik unterzulegen und ein Lied zu gestalten, verbot der Fortgang des Textes. Er faßte also nun Zeile 2–7 als ein fortlaufendes Ganzes und schloß dieses abermals durch die erste Zeile ein. Aus den letzten beiden Zeilen bildete er dann noch durch Wiederholung der Worte zwei viertaktige Perioden. Man sieht schon, daß sich hier ein Gerüst aufbaut, welches eine musikalische Umkleidung in der Form des italiänischen Concerts zu tragen bestimmt ist. Dies ist das Haupt- (Tutti-)Thema:


6.

und dieses der Neben-(Solo-) Gedanke:


6.

[540] Die Entwicklung mittelst der beiden contrastirenden Themen erfolgt nun ganz regelrecht durch die verwandten Tonarten. Nach H moll tritt D dur ein, dann A dur, dann zu der größeren Periode, in welcher das zweite Thema weiter ausgesponnen wird, E moll, endlich wieder H moll, wo aber das erste Thema nur durch den Instrumentalbass angegeben wird, der überhaupt eine sehr selbständige Behandlung erfährt. So wurde also der Bau italiänischer Instrumentalformen auch für den Bachschen Sologesang von Wichtigkeit. Von Seite der Empfindung betrachtet, spricht sich in der Arie der Eifer für eine warm gehegte religiöse Ueberzeugung aus, mit einer Eindringlichkeit und wackern Erregtheit, die Bach ganz eigenthümlich ist. Ueber den Schlußchoral, der mit größter harmonischer Energie das Moment der Klage zum Ausdruck bringt, ist wieder eine selbständige Instrumentalstimme in den schönsten Linien hingezeichnet.

3) Cantate auf den sechzehnten Sonntag nach Trinitatis (6. October) 1715 (»Komm, du süße Todesstunde«)24. Das Evangelium erzählt die Auferweckung des Jünglings zu Nain (Luc. 7, 11 – 17), was dem Dichter Veranlassung gab, sein Lieblingsthema vom seligen Tode und ewigen Leben in drei Arien und zwei Recitativen zu behandeln. Den Schlußchoral (Herzlich thut mich verlangen, Str. 4) hat Bach wieder in das Anfangsstück hinübergezogen, wo ihn zu einer von zwei Flöten und Continuo begleiteten Alt-Arie (C dur 6.) die Orgel mit einem hervortretenden Register zu spielen hat25. Die [541] ganze Cantate trägt den Charakter des Erdentrückten und Welterlösten in einem solchen Grade, daß man zuweilen keine irdische Musik mehr zu hören und wie zwischen Geistern zu schweben meint. Die luftigen Flöten in ihren Sechzehntelgängen den erhabenen Schlußchoral des ersten Theils der Matthäuspassion verständlichst ankündigend, wallen dahin wie zarte Wölkchen im reinen Aether, zwischen ihnen schwebt die milde Lichtgestalt der Gesangsmelodie:


6.

6.

26


Und alles dieses bedeckt mit weitgespannten Fittichen die wortlose Melodie des alten Sterbeliedes. Die zweite Arie, durch ein Recitativ von der ersten getrennt (A moll 3/4), senkt sich in trübere Regionen herab, die stillen Flöten machen dem leidenschaftlicheren Streichquartett Platz, den Gesang führt der Tenor. Sprach dort ein verklärter Geist, so redet hier ein todessehnsüchtiger Mensch in Tönen aus Schmerz und Seligkeit wundersam gemischt. Nach einem großen Recitativ, das die Stimmungen vermittelt, ergeht sich die letzte Arie (C dur 3/8) wieder in weicher Schwärmerei. Sie ist mit einer Reminiscenz an die ältere Kirchencantate vierstimmig gesetzt, und abgesehen von einfachen canonischen Führungen zwischen dem obern und untern Stimmpaare ganz homophon gehalten. Streichinstrumente und Flöten begleiten und concertiren in gedanklich und klanglich gleich merkwürdigen Combinationen; namentlich muthen [542] gewisse Zweiunddreißigstel der Flöten seltsam schaurig an: sie klingen wie Geistergelispel. Dem Chor setzt der nachfolgende Choral die Krone auf; über dem vier stimmigen Satze irrt fremdartigen Ganges und auf geheimnißvollen Pfaden die Flöte und bildet wunderbare Harmonien – es ist alles, als ob man's im Traume hörte. Endlich gehören auch die beiden Recitative zu den schönsten, die Bach geschrieben. Sie sind wieder für seine eigenthümliche Manier höchst charakteristisch, überall musikreich und tief melodisch empfunden und doch voll treffender geistsprühender Declamations-Accente. Das erste wird nur vom Continuo begleitet, das zweite zieht den vollen Instrumentalchor heran, der alle hervortretenden pathetischen Sätze vertieft und eindringlicher macht, nicht durch Vor- und Nachspiele, sondern, echt Bachisch, durch mitgehende reich gewebte Tonsätze27. Besonders merkwürdig ist der Schluß. Hier ist von dem Schlagen der letzten Lebensstunde die Rede, wozu die Instrumente ein allgemeines Glockengeläute ertönen lassen, die Bässe in der großen Octave feierlich hin- und herschwingend, in der Mitte wie Betglockenschläge die vereinigten Geigen, oben als helle Signir-Glöckchen die beiden Flöten. Umfluthet von diesem Klangmeer zieht die Singstimme hin, wie ein Erdenpilger auf seinem letzten Gange:


6.

6.

[543] Ob eine solche Tonmalerei berechtigt sei oder nicht, wäre wohl zu fragen. Daß die Musik Töne und Tonreihen musikalischer Instrumente – und als solche sind doch die Glocken zu betrachten –, die sich an bestimmte Lebensgewohnheiten knüpfen, an- und aufnehme, sobald sie solche Ereignisse künstlerisch zu behandeln hat, wird man nicht unbedingt verbieten dürfen. Trompeten- und Hörnerweisen werden bei Kriegs- und Jagdstücken, pastorale Gänge der Oboe bei Schilderungen aus dem Hirtenleben ungesucht sich darbieten. Denn nicht zufällig sind diese Instrumente und gewisse eigenthümliche Tonäußerungen derselben mit jenen Lebensverhältnissen in Verbindung gebracht, ein innerer Zusammenhang trieb dazu; sie offenbaren den innersten Kern des jene Verhältnisse [544] durchdringenden und bewegenden Gefühlslebens, und der Musiker benutzt mit ihnen nur ein dargebotenes Material. Indem diese Tonäußerungen die Phantasie leicht zur Erzeugung einer bestimmten adäquaten Vorstellung treiben, sind sie besonders für oratorische Compositionen ein unverächtliches Mittel. Doch auch die reine Lyrik mag sich ihrer bedienen, nur ist hier die Umbildung zu einem idealen Kunstmotiv unerläßlich. Auch liegt es auf der Hand, daß diese Umbildung desto sorgsamer vorgenommen werden muß, je einfacher und beschränkter die Aeußerungen des Instrumentes sind, da grade dann der Eindruck eines störenden Realismus um so leichter entsteht. Wie wohl Bach auch in Nachahmung des Glockengeläutes dieser Forderung nachzukommen weiß, zeigt die erste Arie seiner Cantate »Liebster Gott, wann werd ich sterben«28, wo zu einem ganz ähnlichen Texte, wie der vorliegende ist: »Was willst du dich, mein Geist, entsetzen, Wenn meine letzte Stunde schlägt?« die Bässe durchgehend das Glockenläuten imitiren, aber so durchaus motivisch und allgemein musikalisch, daß es ganz in den Organismus aufgeht. Dies ist nun an unsrer Stelle nicht der Fall; wir sind im Recitativ, musikalisch unvorbereitet hören wir durch wenige Takte und wenige Harmonien Glockengetön, dann verstummt es wieder. Was der Componist beabsichtigte, ist freilich sehr klar: durch Erinnerung an das Sterbegeläut will er die Stimmung wach rufen, die uns in solchen Fällen überschleicht – eine poetisirende Vertiefung, wie er sie ähnlich durch das Einführen wortloser Choralmelodien anstrebt. Aber ist es richtig und künstlerisch, durch solch ein unorganisches, äußerliches Mittel wirken zu wollen? Im Allgemeinen gewiß nicht, und sicherlich kann für jetzige Zuhörer die Wirkung leicht eine verletzend realistische sein. Etwas anders nimmt sich die Sache aus, wenn wir sie aus der Persönlichkeit Bachs zu begreifen suchen. Wie es seine rein musikalische Richtung mit sich bringt, steht er Tonschilderungen im Ganzen fern, wobei natürlich alles das ausgeschlossen bleibt, was auf Abspiegelung einer sichtbaren Bewegung hinausläuft, denn hier waltet ein tieferes musikalisches Gesetz. Wenn im letzten Recitativ der Advents-Cantate »Nun komm, der Heiden Heiland« ein malerischer Gang der Singstimme [545] fremdartig berührte, so entwickelt er sich doch als Wortaccent gefaßt ganz natürlich aus Bachs Princip, das Declamatorische ins Melodische hinüber zu ziehen, und wirkt an jener Stelle gradezu erhaben, indem er den Gegensatz zwischen sinnlicher Beschränktheit und übersinnlicher Unendlichkeit stark hervortreten läßt. Zerstreute andre Fälle werden an ihrem Orte begründet werden. Die Nachahmung des Glockengeläutes ist aber eine Lieblingsidee Bachs, die in einer ganzen Zahl von Werken wiederkehrt, so in der schon genannten Cantate auch im Anfangschor, in einer Arie der Cantate »Herr, wie du willst, so schicks mit mir«29, ferner in großartiger Conception im zweiten Recitativ der Trauer-Ode auf die Königin Christiane Eberhardine30, ferner in der Trauer-Arie »Schlage doch, gewünschte Stunde«31, beiläufig bemerkt auch einer klar erkennbaren Dichtung Francks. Hier liegt offenbar eine ganz besondere Anschauung zu Grunde. Bachs Verhältniß zur Kirche und ihren Bräuchen war ein so tiefes und inniges, daß ihm das Tönen der Glocken in keiner musikalischen Form der Verwendung für seine Tonwerke unwürdig erschien. Will man dies zu naiv, ja beschränkt nen nen, so erwiedern wir, daß das Genie beschränkt sein muß und nur die ausschließende, blind machende Liebe zum Gegenstande zu allen Zeiten das wahrhaft Große geschaffen hat. Die Musikgeschichte kennt noch einen zweiten, ganz gleichen Fall: die Nachtigall-, Wachtel- und Kuckuckstimmen im Andante der Beethovenschen Pastoralsymphonie. Es ist sehr leicht nachzuweisen, daß Beethoven hier die idealen Gränzen überschritten habe, und dennoch – hätte er nicht den Zauber und die Hoheit der Natur so tief empfunden, daß ihm alles in ihr geheiligt war, wie würde er diese Symphonie haben schreiben können? Was dem einen dieser beiden ebenbürtigen und nahe verwandten Geister die Natur bedeutete, galt dem andern die Kirche; wir deuteten dieses schon früher einmal an.

4) Cantate auf den zwanzigsten Sonntag nach Trinitatis (3. November) 1715 (»Ach ich sehe, jetzt da ich zur Hochzeit gehe« [546] u.s.w.)32. Der Inhalt des Evangeliums ist das Gleichniß vom Könige, der zur Hochzeit seines Sohnes lädt und, nachdem seine Gäste zu kommen verweigert, von den Straßen die Menschen zum Mahle herein ruft, aber die Unwürdigen unter ihnen wieder hinausstößt (Matth. 22, 1–14). Die Grundempfindungen der Cantate sind demnach: Zagen und Bangigkeit, würdig befunden zu werden; Verlangen der armen Menschenseele, durch das Mahl des Herrn sich zu erquicken; Jubel über die Aufnahme an dasselbe. Sie werden in drei Arien dargestellt und durch Recitative vermittelt. Der Bass beginnt (A moll 6.) mit einem Meisterstück an Polyphonie und motivischer Consequenz, die Figur


6.

zieht sich wie ein nagendes Bedenken bis zum Ende durch. Die zweite Arie für Sopran (D moll 12/8) athmet drängendes Flehen und ist wieder einmal ganz anders, als alles von Bach bis jetzt erlebte; schon der dreimal wiederkehrende Ausruf »Jesu!« ist von merkwürdigstem Ausdrucke. Doch wo fehlte diese Neuheit überhaupt? Die letzte Arie, ein Duett zwischen Alt und Tenor, eröffnet abermals ein ungekanntes Gebiet. In ihr ist, man wäre versucht es zu sagen, etwas von dionysischem Jubel, wenn die Stimmen bald in jauchzenden Sechzehnteln sich schwingen, bald langgehaltene Freudenrufe erschallen lassen und darunter der Bass wie zum festlichen Reigen aufspielt:


6.

Das breit ausgeführte Stück bewegt sich mit geistreicher Freiheit in der Form der italiänischen Arie, namentlich ist der Umweg überraschend, auf dem Bach in den ersten Theil zurückkehrt. Die beiden Stimmen gehen bald homophon wie im Zwiegesang, bald entwickeln sie eine lebhafte Polyphonie, die den orgelmäßigen Ursprung verräth; das speciell Bachsche Duett ist es noch nicht ganz, aber von den damaligen Musterduetten Steffanis, welche für Händel Vorbild[547] wurden, ist auch nicht die Spur einer Einwirkung vorhanden. Der Schlußchoral dämpft, dem Anfange entsprechend, die Stimmung ab: die siebente Strophe des Liedes »Alle Menschen müssen sterben« ertönt hier zu einer sonst unbekannten Melodie in A moll. Ob dieselbe von Bach erfunden sei, oder nicht, mag vorläufig unentschieden bleiben.

5) Cantate auf den dreiundzwanzigsten Sonntag nach Trinitatis (24. Nov.) 1715 (»Nur jedem das Seine«)33. An das Evangelium vom Zinsgroschen (Matth. 22, 15–22) sich anlehnend hat Franck einen Text zu Stande gebracht, der zum größeren Theile jedes Empfindungsgehaltes baar ist. Nur die letzte Arie ist direct der Musik zugänglich, von dem Uebrigen möge der Anfang eine Probe geben:


Nur jedem das Seine!

Muß Obrigkeit haben

Zoll, Steuern und Gaben,

Man weigre sich nicht

Der schuldigen Pflicht!

Doch bleibe das Herze dem Höchsten alleine!

Nur jedem das Seine!


Trotz einer solchen grundprosaischen Reimerei ist Bach mit besonderem Interesse an die Composition gegangen. Er wählte seine Lieblingstonart H moll, schrieb die Partitur mit zärtlicher Sorgfalt und hat für die Musik selbst seine ganze Kunst und Feinheit zusammengenommen. Es fühlt sich auch bald heraus, daß er nicht ein rein musikalisches Ideal gestaltete, sondern in Wirklichkeit eine poetische Anregung aus den Worten schöpfte. Um dies nicht unbegreiflich zu finden, muß man vor Augen haben, daß er sie im idealisirenden Lichte der Kirche und des Schrifttextes sah, auch ist nicht zu vergessen, wie genügsam damals der allgemeine Geschmack in Sachen der Dichtkunst und wie wenig entwickelt diese selber war. Bach beweist so hundertfältig seinen hochfliegenden poetischen Sinn, wenn es sich um das vom Grunde der Musik ausgehende Erfassen allgemeiner Anschauungen handelt, daß es ihn nicht entwürdigt, im Verständniß speciell poetischer Dinge auf dem Niveau seiner Zeit [548] zu stehen. Gleich die Art, wie er die erste Arie auffaßt, zeigt, daß er durch die äußere Hülse auf den Kern der Sache sah, wie es seine Kunst erforderte, die das innere Wesen der Dinge tönend enthüllen soll. Der Gedanke des Gesetzmäßigen, Wohlgeordneten, des Sittlichfesten war es, der ihm daraus entgegenleuchtete, und den er nun in einem Musikstücke darstellte, das wie aus Stein gehauen dasteht. Ein andrer hätte mit jenen Worten vielleicht garnichts anzufangen gewußt; daß sie Bach mit solcher Wärme ergriff, ist zugleich ein schöner Beitrag zu seiner persönlichen Charakteristik: Strenge, Sittlichkeit und ein wunderbarer Ordnungssinn waren es eben, die sein ganzes Wesen durchdrangen. Ich kann das Stück nicht weiter beschreiben; die volle Wirkung beruht in dem herbkräftigen Gesammtbilde;


6.

ist der Keim, aus dem es sich ununterbrochen entwickelt. In der folgenden Arie, die das Herz des Christen mit einer abgegriffenen Münze vergleicht, welche nicht werth ist, Christo dargebracht zu werden, wiesen die Worte:


Komm! arbeite, schmelz und präge,

Daß dein Ebenbild in mir

Ganz erneuert werden möge,


der Phantasie des wackern Meisters die Richtung: im Dunkel zweier rüstig arbeitenden Violoncelle (E moll 6.) treibt die Bass-Stimme ihr ernstes Tagewerk. Als schöner Klanggegensatz folgt ein zweistimmiges Recitativ zwischen Sopran und Alt, imitatorisch gehalten und in ein langes Arioso auslaufend. Diese kühne Neuerung war nur bei Bachs Auffassung des Recitativs überhaupt möglich. Daran schließt sich ein kindlich reines Duo derselben Stimmen über einen poetischen Text, dessen Inhalt die Hingabe an den Herrn ist (D dur 3/4), Violinen und Bratschen im Einklange spielen dazu die Melodie »Meinen Jesum laß ich nicht« – ein Tongewebe von entzückender Feinheit! Den Schluß macht aber nicht dieser Choral, sondern die elfte Strophe des Heermannschen Liedes »Wo soll ich fliehen hin« mit der Pachelbelschen Dur-Melodie, die schon Michael Bach in einer Motette verwendet hatte und auf die Sebastian vielleicht durch seine nahen Beziehungen zu diesem, oder durch Walther aufmerksam gemacht war. Zur Einflechtung in das vorhergehende Duett schien sie ihm wohl technisch ungeeignet. Um aber nicht einen Eindruck [549] durch den andern aufzuheben, gönnte er ihr nur die allereinfachste Harmonisirung34.

6) Cantate auf den 4. Advents-Sonntag (22. Dec.) 1715 (»Bereitet die Wege, bereitet die Bahn«)35. Ohne eine Spur von Formalismus zu verrathen, fährt der Meister fort, neue und neue Schätze seiner unerschöpflichen Phantasie zu spenden. Zahl und Anordnung der Musikstücke ist dieselbe, wie in der vorigen Cantate. Eine idyllische Festlichkeit lebt in der ersten Arie (A dur 6/8). Die Oboe spielt vor, ganz ausgesucht nur von Dreiklangsharmonien begleitet:


6.

Auf ē angelangt schwingt sie sich jauchzend zur Octave hinauf, mit hellem Triller die neu einsetzende Melodie der Violine überdachend, dann in den Gesang, der bald um alles zu ebnen und Bahn zu schaffen in Sechzehnteln geschäftig auf und nieder eilt, fröhlich das Motiv hineinwebend. Ganz reizend ist der zweite Theil, wo der Bass zuerst in Fis moll das Hauptmotiv spielt, die Stimme dazu mit folgendem neuen einsetzt:


6.

und als dritte die Oboe diesen Gang ertönen läßt:


6.

darnach im dreifachen Contrapunct sich die Stimmen durch verschiedene Tonarten ablösen, dann wiederholt in ihrem rührigen Treiben plötzlich verstummen und mit dem lauten Rufe »Messias [550] kommt an« der überfrohe Sopran sich allein aus dem Gewimmel des Haufens hervordrängt. Auch wie der zweite Theil in D dur abschließt und ohne sich Ruhe zu gönnen die Instrumente das Da capo beginnen, ist von charakteristischer Anmuth. Allgemach werden (im ersten Recitativ) ernstere Betrachtungen laut36, und wie im Evangelium Priester und Leviten den Täufer Johannes fragten: Wer bist du?, so tritt jetzt beim Empfange des Heilands die strenge Frage der Selbstprüfung an den Christen heran: »Wer bist du? Frage dein Gewissen!« (Bassarie E dur 6.). Zur Singstimme tritt außer der Orgel nur ein figurirter Violoncellbass, der sich mit jener oft seltsam in der Tiefe verwickelt. Auch wenn man die hohe Stimmung der weimarischen Orgel in Rechnung bringt, eine sehr leichte Ausführung der Figur und einen mächtigen Singbass annimmt, bleibt doch die Wirkung dumpf und im Einzelnen unschön. Hierzu kommen an einigen Stellen noch gewisse harmonische Besonderheiten. Bach liebt es unter liegenden, sowohl accordisch festen als gebrochenen Harmonien melodische Reihen hinzuführen, die nur als Durchgangstöne zu einem oft entfernten harmonischen Ziele zu begreifen sind, bis zu dessen Erreichung man das Gehör in der Schwebe lassen muß. Gewöhnt man sich an diese Erscheinungen, die umgekehrte Orgelpunkte genannt werden könnten, unschwer, so werden sie dadurch doch verwickelt, daß er sich auch nicht scheut, die durchgehenden Töne wieder zu Grundlagen selbständiger Harmonien zu machen, welche nun mit der Hauptharmonie in unvermeidliche Collision gerathen. Ich führe zunächst die Stelle Takt 42 und 43 an:


6.

wo der Gesang sich auf die tiefsten Töne des Basses stützt, die [551] Grundharmonie aber in der Terz e-gis besteht. Man vergleiche noch Takt 14 und 26. Kühner noch ist die Fortsetzung des 43. Taktes:


6.

Hier bleibt freilich nur e liegen, was aber theoretisch keinen Unterschied macht, und die Tonentwicklung erfolgt, als ob dies e garnicht vorhanden wäre, sogar mit Vorhalten. Man vergleiche Takt 16 und 28. Daß solche Wagnisse schon jetzt bei Bach vorkommen, beweist wieder, wie früh sein musikalischer Charakter voll ausgeprägt war. Ihre Wirkung ist zuerst abstoßend, hat man aber das Vernunftgemäße und Consequente darin erkannt, so üben sie bald einen merk würdigen Reiz aus und um so mehr, wenn sie wie hier den Wortausdruck steigern. Da diesem Zwecke auch die dumpfe Klangfarbe dienen soll, so scheidet man endlich von der Arie mit dem Eindruck einer felsenharten, imposanten Ganzheit. – Ueber die dritte Arie sei nur bemerkt, daß sie bei Erinnerung an das, was die Menschheit durch Christi Leiden gewonnen hat, wehmüthige Töne anstimmt; das Recitativ hatte hierzu die Brücke geschlagen. Sie ist für Alt und Solo-Violine bestimmt, eine Art von Vorgängerin jenes erhabenen Trauergesanges »Erbarme dich« aus der Matthäuspassion. Die Bevorzugung, welche in allen diesen Cantaten die Altstimme erfährt, läßt auf eine gute Beschaffenheit des damaligen Altisten der Capelle schließen, welcher Bernhardi hieß. Der Choral »Herr Christ, der einge Gotts-Sohn« schließt würdig und erhebend.

7) Cantate auf den Sonntag nach dem Christfeste (29. Dec.) 1715 (»Tritt auf die Glaubensbahn«)37. Sie ist ohne Chor und Choral, nur für zwei Solostimmen gesetzt und gehört überhaupt zu den merkwürdigsten Erzeugnissen Bachs. Ueber ihre Grundstimmung läßt [552] sich aus dem Evangelium nicht viel gewinnen. Das erzählt die Prophezeiungen Simeons und Hannas, daß Christus gesetzt werden solle für viele in Israel zu einem Fall, für viele aber zur Auferstehung, ein Stein, den einen zur Stütze, den andern, um daran zu zerschellen. Diesen Inhalt hat Franck in matte Verse gebracht, zwei Arien und zwei Recitative und zum Schluß ein Duett zwischen der Seele und Jesus angefügt. Bach griff durch den Text hindurch auf die kirchliche Grundbedeutung des Sonntags zurück: Nachklänge vom Weihnachtsfest sind der Kern seiner Musik, jene holde Stimmung, die leise in der Seele nachzittert, ehe neue und ernste Ereignisse des Kirchenjahres sie in Anspruch nehmen. Mit einer ganz ausgesuchten Zusammensetzung von Instrumenten, nämlich je einer Flöte, Oboe, Viola d'amore, Viola da gamba und Orgel führt er zunächst ein langes Instrumentalstück vor. Die Form der französischen Ouverture liegt zu Grunde, doch ist der langsame erste Satz mehr in der Art der Gabrielischen Sonate gehalten, und mahnt, obgleich nur vier Takte lang (E moll 6.), sehr an die Sinfonia zu »Ich hatte viel Bekümmerniß«. Dann folgt eine Fuge mit so reizendem Thema, daß es Bach später in Umbildung noch einmal für die Orgel verwendet hat38:


6.

Hier sind alle Eigenthümlichkeiten der Ouverture festgehalten, auch jene typischen Orgelpunkte auf der Dominante, nur daß statt eines Organismus, dem feuriges Blut durch alle Adern rollt, ein zartes, durchsichtiges Geäder vor uns ausgebreitet wird, mit souveräner Meisterschaft und liebevoller Versenkung gearbeitet (139 Takte). Die Gesangpartien eröffnet eine mild-ernste Bassarie in gewagter aber wohlgeglückter Combination mit einer Oboe über dem Continuo; der Bass trägt auch das nächstfolgende schöne Recitativ mit Arioso vor. Hauptbassist in der Capelle scheint der Hofcantor Wolfgang Christoph Alt gewesen zu sein, er muß, nach den Bachschen Partien zu schließen, ein mächtiges Organ besessen haben. Schon die E dur-Arie der vorigen Cantate war ohne ein solches nicht denkbar; [553] hier im Recitativ finden wir unter anderm folgende Riesensprünge:


6.

Wenn wir auch die Neigung Bachs kennen, mit der Solostimme äußerliche Bewegungen zu malen, so sieht dies doch fast wie ein Spaß aus. Die Krone der Cantate wird durch die nachfolgende Sopran-Arie in G dur gebildet, ein wahres Juwel unter allen Bachschen Arien überhaupt. Sie ist, wenn auch der Text nicht ausdrücklich davon spricht, ein Wiegenlied, an der Krippe des Christuskindes gesungen. Die Verwandtschaft mit der köstlichen Schlummerarie im Weihnachts-Oratorium39 liegt zu Tage, doch ist die Stimmung dort voller und gesättigter, hier, wie es einer nachträumenden Erinnerung zukommt, luftiger und zarter. Eine holdselige Anmuth lächelt aus jeder Note, aus den wiegenden Gängen der einzig begleitenden Flöte und Viola d'amore, aus dem Silberglanz der langgezogenen Töne, der zärtlichen Melodik und dem süßen Terzschlusse des Gesanges, aus den über langsam schwingenden Basstönen kosenden Sexten der beiden Instrumente. Ueber das Schlußduett ist schon bei der Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß« angedeutet, daß es dramatisch und dem Kirchenstile zuwider sei. Hinzu kommt, daß der Tanzrhythmus der Gigue von Anfang bis zu Ende durchgeht, den freilich die Francksche Dichtung fast nothwendig machte. Dagegen ist wieder durch eine, wenngleich spärliche Einflechtung selbständiger Instrumentalgänge etwas mehr zu Gunsten des lyrischen Princips geschehen, als bei dem andern Duett. Als Musikstück ist es, wie wohl nicht versichert zu werden braucht, reizvoll genug.

8) Cantate auf den zweiten Sonntag nach Epiphanias (19. Jan.) 1716 (»Mein Gott, wie lang, ach lange?«)40. Aus dem Evangelium von der Hochzeit zu Cana ist nur der Gedanke entnommen, daß Gott endlich in der Noth hilft, wenn er auch scheinbar auf sich warten läßt. Der einfache psychologische Gang der Cantate ist dadurch [554] vorgezeichnet. Während der Bass auf d in gleichsam endlosen Achteln weiter pocht, klagt recitativisch der Sopran, daß er des Jammers kein Ziel sehe, und endet höchst malerisch, indem er zu dem Worte »Freudenwein« in Zweiunddreißigsteln hinaufwirbelt und dann mit dem Seufzer: »mir sinkt fast alle Zuversicht« müde zwischen den imitirenden Geigen hinabsinkt. Mild aufrichtend läßt sich ein Duett zwischen Alt und Tenor (A moll 6.) vernehmen: »Du mußt glauben, du mußt hoffen«, in deren Gesang ein Fagott theils mit gebrochenen weitliegenden Harmonien, theils mit selbständigen Passagen, theils mit Imitationen der Gesangmelodie geistvoll verwoben ist. Einen Schritt weiter zur Beruhigung thut das Bassrecitativ: »So sei, o Seele, sei zufrieden!«, und nun erschallt in schwungvoller Glaubenszuversicht eine prachtvolle Sopranarie (F dur6. ): »Wirf, mein Herze, wirf dich noch in des Höchsten Liebesarme!« eins von den Bachschen Stücken, die man mit ihrem stahlkräftigen Rhythmus, ihren unaufhaltsam treibenden Septimenharmonien und dem siegesseligen Ausdruck der Melodie sich nicht satt hören kann. Schon hier treffen wir wieder die umgekehrten Orgelpunkte, jene großen harmonischen Bogenwürfe, deren Fluge wir uns im Vertrauen auf die zielsichere Hand des Meisters freudig überlassen. Von großer Wirkung und ganz undefinirbarem Ausdruck ist auch der inmitten und am Schluß der Arie mit Schubertscher Kühnheit ausgeführte Wechsel zwischen Dur und Moll. Was die Verbindung von Achteltriolen und punktirten Achteln betrifft, so sei ein für allemal bemerkt, daß das Sechzehntel dieser rhythmischen Figur in solchen Fällen immer gleich dem letzten Achtel der Triole ist


6.

Diese allerdings nicht ganz genaue, aber breite und würdevolle Art der Ausführung war bis zu der überhandnehmenden Unruhe der neueren Instrumentalmusik die allein gebräuchliche41. – Die vierstimmig gesungene zwölfte Strophe des Chorals »Es ist das Heil uns kommen her« bildet den Schluß der schönen Composition.

9) Cantate auf den Sonntag Oculi (22. März) 1716 (»Alles, was [555] von Gott geboren«). Dieses Werk ist später ganz in die Cantate »Ein feste Burg ist unser Gott«42 übergegangen, deren Gesammtbestand mit Ausnahme der Choralchöre an erster und fünfter Stelle es ausmacht. Eine Spur von seiner Existenz in ursprünglicher Form ist noch vorhanden. Die beiden Chöre müssen bedeutend später hinzucomponirt sein, die übrigen Theile zeigen in der Factur eine vollständige Uebereinstimmung mit den anderen Cantaten des Jahrgangs 1715–171643. So tritt wieder die Melodie des Schlußchorals in der ersten Arie (D dur 6.) instrumental auf, einem Heldenliede des Basses, das die kampfesmuthig stampfenden Geigen und Violen im Einklang umdrängen, wie Schlachtrosse unter streitbaren Reitern. Die zweite Arie, von einem Bassrecitative eingeleitet: »Komm in mein Herzenshaus, Herr Jesu, mein Verlangen« und nur zum Continuo vom Sopran gesungen (H moll 12/8), ist eine rührend kindliche Bitte, die zu dem stahlgepanzerten Kriegsgesange im frappanten Gegensatze steht. Nach einem abermaligen Recitativ des Tenors folgt für diesen und Alt mit Begleitung von Violine und Oboe da caccia ein Duett (G dur 3/4). Das Sonntags-Evangelium erzählt, daß nach der Rede Jesu, die seinen hauptsächlichsten Inhalt ausmacht, ein Weib aus dem Volk gerufen habe: »Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast«, und er darauf erwiedert: »Ja selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren«. Hiernach hatte Franck seinen Text beginnen lassen: »Wie selig ist der Leib, der, Jesu, dich getragen! Doch selger ist das Herz, das dich im Glauben trägt«. Diese in ihrer Naivetät rührende Erzählung war es, aus der Bach die Stimmung des Duetts ableitete. Es fühlt sich eine besondere Art der Weichheit heraus, die von andern zarten Stücken Bachs immer noch wesentlich verschieden ist, man möchte sagen, etwas mütterlich weibliches lebe darin. Auch das Wiegenlied aus der Cantate »Tritt auf die Glaubensbahn« ist anders, obgleich zuweilen anklingend. Die homophonen Terzen, das ungesäumte Hinübergehen in die Tonart der Unterdominante, und gar die Einführung des F – ein feuchter Blick aus Mutteraugen! – das alles sind für einen Bachschen Anfang höchst ungewohnte Erscheinungen. [556] Gleich darauf imitiren die Singstimmen kunstreich, Oboe und Violine umkreisen sie in Sechzehnteln phantastisch und geheimnißvoll. Weiterhin, wo es sich um Christi Antwort handelt, bleibt das Anfangsmotiv, wird aber mit Zuhülfenahme der Instrumente vierstimmig fugirt – eine mit einfachen Mitteln herrlich gelungene Steigerung! So viel Zeilenpaare noch folgen, so viel neue Tonbilder: wer Christus gläubig im Herzen trägt, überwindet alle Feinde – kühnbewegter Satz, in den Figuren an die erste Arie mahnend; er überwindet endlich auch den Tod – Imitationen, die muthig aufstreben und dann in unheimlichen Harmonien ihren Weg ganz zu verlieren scheinen. Der Gedanke an den Tod mit seinen Schrecken macht sich auf einen Augenblick geltend, um jedoch durch die Wiederkehr des milden Ritornells beschwichtigt und durch den Schlußchoral endlich ganz besiegt zu werden. Wir konnten schon zuvor aus der Auffassung eines Arien-Textes auf Bachs Charakter einen Reflex fallen lassen. Die Tiefe, mit welcher er den Sinn jener biblischen Erzählung ergriff, scheint mir für die keusche Innigkeit seines deutschen Gemüthes lauter zu zeugen, als es dieses und jenes äußere Lebensereigniß vermöchte.

Wir sind am Ende. Zurückblickend bemerkt der Leser, daß ausgeführte Chöre in den erhaltenen Resten des Jahrgangs fast ganz fehlen. Der Grund liegt zunächst in den Dichtungen Francks, der von einer Benutzung biblischer Worte hier ganz abgesehen hatte, und Bach wußte sehr wohl, was man von einem Chortext zu fordern habe. Aber der einzige Grund ist dies nicht. So vortreffliches er auch jetzt schon hier und da in den chorischen Formen leistete, seine eigentliche Zeit dafür war noch nicht gekommen. Weimar bedeutet für Bach die Blüthe seiner Orgelkunst, besonders auch im Choral, und diese Höhe mußte zuvor erreicht sein, ehe er einen weiteren Schritt thun und den subjectiveren poetischen Inhalt der Instrumentalformen zu vocalen Kunstgebilden verdichten konnte. Seine größten Leistungen in der Chormusik sind ja Choralchöre und eben sie bilden die entwickeltste Blüthe seiner kirchlichen Kunst überhaupt. Die Stärke dieser weimarischen Cantaten beruht in den Sologesängen, deren Gedankenreichthum, Mannigfaltigkeit und Formvollendung zum Erstaunen zwingt. Jede Melodie trägt ihr besonderes Gepräge, in jedem Stück ist eine eigenthümliche Stimmung von Grund aus [557] er faßt, auch den verschiedenartigsten weiß der Künstler mit bewundernswerther Vielseitigkeit Genüge zu thun. So mühelos und ungesucht sprudelt die Musik hervor, daß der Gedanke, diese Kraft könne je ermatten, garnicht aufkommen kann; complicirte technische Aufgaben werden mit einer ruhigen Sicherheit gelöst, daß sie als solche garnicht mehr ins Bewußtsein treten. Die Auffassung der Worte bezeugt einen grundkirchlichen, aller weltlichen Verflachung abgewendeten Tiefsinn; immer beruht sein Ideal in der kirchlichen Gesammtfeier des jedesmaligen Sonntags, und genügt der Text nicht in Hervorhebung der Hauptgedanken, so greift er durch ihn hindurch auf die Grundlage und giebt ihm durch seine Musik erst die rechte Gestalt. Sehr viel nützt zur Erzielung der kirchlichen Stimmung schon hier die geniale Verwendung des Chorals. Nur der Chor fehlt, um das Ideal der Bachschen Kirchenmusik in diesen Cantaten schon vollendet zu sehen. –

In die Zeit des ersten Jahrgangs fällt das Intermezzo einer weltlichen Cantate. Herzog Wilhelm Ernst pflegte, wie wir erzählt haben, freundschaftliche Beziehungen zu dem Fürsten Christian von Sachsen-Weißenfels. Dieser hatte am 23. Febr. 1716, zur Feier seines fünfunddreißigsten Geburtstages, ein großes Kampf-Jagen veranstaltet. Um das Fest seinerseits zu verherrlichen, ließ Wilhelm Ernst im fürstlichen Jägerhofe eine Cantate als Tafelmusik aufführen, die Salomo Franck hatte dichten und Sebastian Bach componiren müssen44. Ihre Form ist natürlich dramatisch-allegorisch, der poetische Inhalt so unbedeutend, daß seine Darlegung kaum der Mühe lohnt. Der Aufwand an Personen wird wie üblich aus der antiken Mythologie bestritten. Diana tritt auf und äußert ihr ausschließliches Gefallen an der Jagd, Endymion macht ihr Vorwürfe, daß sie ihn vernachlässige. Dies geschehe, entgegnet die Göttin, weil sie heute ihre ganze Aufmerksamkeit dem »theuren Christian« zuwenden müsse, wobei sich der Geliebte beruhigt und mit ihr ein beglückwünschendes Duett singt. Pan, der Gott der Felder, tritt mit gleichen Gesinnungen hinzu, endlich legt auch die Hirtengöttin Pales ihr Opfer an Ergebenheitsbezeugungen nieder. Da nun das Quartett beisammen ist, steht einem rechtschaffenen Musiciren nichts [558] mehr im Wege: erst singen sie vierstimmig, dann Diana und Endymion ein Duett, darauf Pales und Pan je eine Arie und ein allgemeiner Chor macht den Beschluß. Die Cantate ist ziemlich weitläufig, sie zählt zehn Nummern nebst den zugehörigen Recitativen. Bach hat, da es vermuthlich sein erstes Werk in dieser Gattung war, die Composition mit Interesse ausgeführt, und viel reizendes darin niedergelegt. Bei passender Gelegenheit suchte er es mehrfach wieder hervor und verwendete einzelne Stücke auch für eine spätere Kirchencantate. Zunächst diente es wieder, den Geburtstag des Prinzen Ernst August zu verherrlichen (19. April), der, ein Neffe des Herzogs Wilhelm Ernst und älterer Stiefbruder des musikalischen Johann Ernst, jenem im Jahre 1728 als Regent nachfolgte45. In Leipzig wurde es dann zum Geburtsfeste des Königs Friedrich August von Sachsen (ob des ersten oder zweiten wird nicht gesagt) »in unterthänigster Ehrfurcht aufgeführet in dem Collegio musico durchJ. [ohann] S. [ebastian] B. [ach]«46. Vermuthlich nur in theilweiser Aufführung mußte es abermals einen gemeinsamen Ehrentag des Herzogs Christian und seiner Gemahlin Louise Christine, einer gräflich stolbergschen Prinzessin, schmücken47. Endlich gingen im Jahre 1731 zwei Arien daraus erweitert und bereichert in die Pfingstcantate »Also hat Gott die Welt geliebt« über48. Eine derselben ist die erste des Pan (C dur 6.), über deren unmöglichen Text sich Bach dadurch hinweggeholfen hatte, daß er mit thunlichst geringer Rücksicht auf ihn ein kräftiges polyphones Stück schrieb. In der Ueberarbeitung ist der Organismus noch breiter und [559] abgerundeter geworden, auch mit meisterlicher Leichtigkeit die Musik im Einzelnen den abweichenden Forderungen des neuen Textes angepaßt, im Ganzen hätte dieser aber wohl eine andere Composition verdient. Glänzend geglückt ist dagegen das Experiment im zweiten Falle. Die bei den Arien der Pales und die zweite des Pan boten dem Componisten eine wirkliche poetische Anregung, man merkt, wie ihm bei dem Gedanken an das kräftige Naturleben der Hirten und Ackerleute das Herz aufgegangen war. Ein ganz reizendes Stückchen von vollendeter Abrundung ist die erste Pales-Arie »Schafe können sicher weiden«, begleitet von zwei Flöten und Continuo (B dur 6.). Der zweiten (F dur 6.) sah es Bach an, daß noch Schöneres aus ihr entwickelt werden könne. Sie zählt 36 Takte und ist wie die Bass-Arie der Ostercantate von 1715 über einen freien ostinato gesetzt. Er wurde beibehalten, die Melodie aber durch eine andre viel schwunghaftere ersetzt, die mit ihrer Frühlingsseligkeit auch zu den Herzen der heutigen Musikwelt sich den Zutritt ohne Widerstand gewonnen hat. Die Ausführung ist bis zu 52 Takten erweitert und der Modulationsgang geändert; hiermit noch nicht gesättigt führt der Meister das Bassthema in einem Nachspiel von 26 Takten zu Ende. Die Worte: »Mein gläubiges Herze frohlocke, sing, scherze« kamen der Uebertragung entgegen, noch mehr die allgemeine Stimmung zu Pfingsten, dem Feste der Maien. Waren solche Entlehnungen überhaupt möglich, so kann eine Stilverschiedenheit zwischen Bachs geistlichen und weltlichen Compositionen nicht bestehen. Sie besteht auch wirklich nicht. Der Bachsche Stil war der kirchliche, und der kirchliche Stil war der Bachsche. Er legte ihn nicht an und ab, wie ein Gewand, er wendete ihn ohne Reflexion überall an, weil ihm seine Schreibart in naturgemäßer Entwicklung erwachsen war und er sich garnicht anders mehr ausdrücken konnte. In Einzelheiten weltlicher Cantaten versucht er wohl sich etwas leichter zu schürzen und ein hoher Grad von Anmuth ist ihm ja überhaupt eigen. Aber im Ganzen bleibt die keusche Zurückhaltung seiner Polyphonie hier wie dort dieselbe. Die Weißenfelser Sänger, seit langem an das äußerlich wirksame Wesen der Oper gewöhnt, müssen merkwürdige Gesichter bei dieser Musik gemacht haben, obgleich sich Bach in der ersten Arie der Diana augenscheinlich bemüht hat, etwas brillantes und dankbares zu schreiben. [560] Eine Zierde der dortigen Oper war damals (es ist nicht genau bestimmbar; seit wann) Christiane Pauline Kellner, welche die Partie der Diana gesungen haben mag. Sie hatte am Ausgange des 17. Jahrhunderts an der Oper zu Braunschweig, später in Cassel gewirkt und genoß einen großen Ruf als Gesangsvirtuosin; Mattheson rühmt ihr Extemporiren »und mit der Kehle Fantasiren ohne einzige Worte«, sie wird also auch in Hamburg gewesen sein49. Fälle, in denen Bach für Sängerinnen schrieb, sind in seinem Leben höchst selten. Kirchen- und Kammersängerinnen gab es zu seiner Zeit am weimarischen Hofe noch nicht, erst gegen das Ende der zwanziger Jahre kommen sie vor50. –

Der zweite Jahrgang Franckscher Cantaten erstreckte sich vom 1. Advent 1716 bis ebendahin 171751. Für die Zeit von Ostern bis zum 1. Advent 1716 lagen also keine neuen Dichtungen vor; zum Pfingstfeste componirte Bach, wie wir früher sahen, einen Neumeisterschen Text, andre Werke sind nicht nachzuweisen. Aber auch aus dem gesammten zweiten Jahrgange besitzen wir nur noch zwei Cantaten, die sicher in Weimar entstanden sind. Ob er weiter keine componirt hat, oder ob die übrigen verloren gingen, bleibt vorläufig im Dunkel. Die beiden erwähnten gehören dem zweiten und vierten Adventssonntage (6. und 20. Dec.) 1716 an. Es hängt offenbar mit dem am 1. Dec. eingetretenen Tode des alten Capellmeister Drese zusammen, daß Bach sie so rasch hinter einander schrieb. In diesem Jahrgange hat Franck das Recitativ wieder ganz vermieden. Bach überarbeitete in Leipzig die Cantaten noch einmal, schob neu hinzugedichtete Recitative ein und machte sie zweitheilig, indem er auch in der Mitte einen Choral anbrachte. Nur in dieser erweiterten Gestalt sind sie erhalten, doch läßt sich die ursprüngliche leicht reconstruiren, einige Vervollkommnungen im Einzelnen [561] vorbehalten, an denen es nicht gefehlt haben wird. Beide bestanden aus einem Chor, vier Arien und einem Choral.

Das Evangelium des zweiten Advents handelt von der Ankunft Christi zum jüngsten Gericht, und eröffnete jene mystisch-großartige Sphäre, in der Bachs Genius sich vor allen wohl fühlte. In der Cantate zu diesem Sonntage spannt er seine Flügel so mächtig aus, wie man es trotz allem vorhergegangenen nicht erwarten durfte52. Der Anfangschor, in die Form der italiänischen Arie gegossen, zählt 80 breite Takte (C dur 6.). »Wachet, betet!« aus diesem Gegensatze keimt das bedeutungsvolle Tonbild empor. Schon in der Instrumentaleinleitung lebt er, welche alle Motive exponirt, die im Verlauf durch die Instrumente zur Anwendung kommen; unter ihnen sind die wichtigsten das hell hineinfahrende Signal:


6.

und eine feierlich wallende Bewegung in breiten Accordfolgen, wie im C dur-Praeludium des wohltemperirten Claviers, in welche aber leise Weckstimmen der Trompete und Oboe abwechselnd hineintönen: auch das Beten soll ein Wachen sein! Aus ganz andern Motiven erwächst der Chorsatz; eine sich aufraffende Sechzehntelpassage, energische Rufe, rüstige Aufforderungen, und als Gegensatz andachtsvoll getragene Harmonien, wie:


6.

sind sein Material53. Die vier Arien bilden eben so viele Charakterbilder [562] von erstaunlicher Schärfe. So schön die Recitative sind – namentlich großartig und erschütternd ist das letzte, wo zu der gewaltigen Schilderung des Weltuntergangs der Choral »Es ist gewißlich an der Zeit« durch die Trompete geblasen wie aus den Wolken herabtönt – und so vollkommen im Allgemeinen die künstlerische Berechtigung dieser stimmungsvermittelnden Form ist, in dem vorliegenden Falle können sie nicht als nothwendig erscheinen. Ich bilde mir ein, ganz deutlich hindurch zu fühlen, wie sie von Bach ursprünglich nicht beabsichtigt waren. Die psychologische Entwicklung erfolgt durch die vier Arien bis zum Schlußchoral mit einer so lückenlosen Energie, daß auch der Meister selbst keine Einschaltungen mehr machen konnte, ohne die Continuität des Stromes zu stören. Zu sehr war diese Composition als spontaner Erguß aus dem tiefsten Grunde seines Wesens hervorgedrungen; an solchen Erzeugnissen läßt sich später nichts mehr formen, sie sind da. Die erste Arie, für Alt (A moll 3/4), anklingend an den Tenor-Gesang der Advents-Cantate von 1714, die ja theilweise ähnliche Töne anschlug, enthält die ernste Mahnung, sich für den jüngsten Tag zu bereiten, ehe es zu spät sei und er verheerend hereinstürze, wie einst der Feuerregen über die sündigen Sodomiter. Tiefe Wehmuth ist der Mahnung beigesellt, gleichsam in dem Gefühl, daß sie für die Meisten dennoch vergeblich sein werde. Diese glauben es nicht, daß die letzten Zeiten nahen, aber Christi Wort bleibt wahr, und er wird erscheinen als Richter auf den Wolken – zweite Arie (Sopran, E moll 6.) Wunderbar ist hier der Ausdruck der bestimmten Ueberzeugung und der Ergriffenheit durch eine großartige Vorstellung mit unheimlichem Grauen vermischt. Welch majestätische Melodiezüge von Takt 7 bis 12 und 14 bis 20, und welch machtvolles Anschwellen in ihnen! Klingt das breite, gemessene Motiv


6.

mit seinen echoartigen Abschwächungen zum piano und pianissimo nicht wie in den Weltenraum hinausgerufen und dort in der schaurigen Unendlichkeit verhallend? Doch die Frommen mögen ihr Haupt [563] emporheben und getrost sein, sie sollen »in Eden grünen, Gott ewiglich zu dienen«; diesem Gefühle giebt die folgende Tenor-Arie (G dur 6.) Ausdruck54. Sie hat ihre freie Form mit dem Duett der Cantate »Ach ich sehe« gemeinsam: das Hauptthema taucht ganz unerwartet aus dem Dunkel der Unterdominante auf (Takt 34), eine fein poetische Illustration zu den Worten: »Hebt euer Haupt empor«. Die plastisch-schöne Melodie derselben beherrscht mit größerer Ausschließlichkeit, als in andern Arien, das ganze Stück, überall ist sie mit ihrem herzlichen Troste zur Hand. Und sie weiß zu trösten. Denn nun quillt aus voller Brust das Verlangen nach jenem letzten, seligen Tage, der die Frommen hinüberführt in das Reich des Friedens55 – letzte Arie (Bass, C dur 3/4). Selten hat wohl Bach eine Gesangmelodie geschrieben, die so rein zur Geltung gelangt, so vollständig nach allen Seiten heraustritt, als die 24 Adagio-Takte, welche den Anfang der Arie ausmachen. Kein Instrument mischt sich ein, nur von dem feierlichen Klange der Orgel in ruhigen Harmonien unterstützt, strömt die Singstimme ihre Empfindung aus in einer einzigen ununterbrochen auf und ab steigenden Linie. Dann bricht das Weltende herein: die Instrumente tosen, die Orgel braust, Trompetenklang schmettert dazwischen, alle Grundfesten wanken und stürzen zusammen, aber über dem Graus der Vernichtung erhebt sich in himmlischer Glorie jene neue Welt, von der es heißt, daß Gott abwischen wird alle Thränen und der Tod nicht mehr sein wird (Off. Joh. 21, 4). Wie der Empfindungsausdruck sich hier über alles irdische hinausschwingt, so ist auch jede Rücksicht auf eine der gebräuchlichen Formen überflogen: nach dem milden Mittelsatze leitet Bach in das Adagio des Anfangs zurück und läßt unter stiller Orgelbegleitung den Gesang in höchster Ueberschwänglichkeit zu Ende gehen. Mit der fünften Strophe des Chorals »Meinen Jesum laß ich nicht« setzt der Chor ein. Wenn sonst der vierstimmige Vocalsatz[564] wohl noch von einer selbständigen Instrumentalstimme überbaut wurde, so genügte das an dieser Stelle nicht mehr. Dreistimmig im freiesten Melodienschwunge ziehen die Geigen über dem Gesange hin – Sphärenharmonien erklingen! In keiner Cantate hat man unmittelbarer und stärker den Eindruck, daß der Gesammtstrom der Empfindung auf den Schlußchoral als letztes Ziel hinfluthe. Es ist als vernähme man nur das Sichererwartete, was lange vorher schon im Gehöre klang, als sei nun die letzte Hülle entfernt und die Herrlichkeit des Himmels geöffnet.

Blöde und unempfänglich ruht das Auge, das in die Sonne geschaut, auf den Gegenständen der Erde. So ist es für die zweite Cantate: »Herz und Mund und That und Leben«56 ein Nachtheil, daß sie in der chronologischen Betrachtung auf jene folgt. Man würde sonst seine volle Freude haben an dem prächtig frischen Anfangschor (C dur 6/4), an der ausdrucksreichen ersten Arie und auch im Uebrigen Anregendes genug finden. Uns möge die Cantate »Wachet, betet« als Schlußstein der weimarischen Kirchencompositionen gelten. Mag der Meister auch in andren Dichtungen des Jahrganges noch Gelegenheit zu bedeutsamen Tonwerken gefunden haben, von denen die Woge der Zeit vielleicht das eine oder andre einmal wieder ans Ufer spült, kaum kann darin die wunderbare Eigenart seines Genius klarer hervorgetreten sein, dessen liebste Wohnstätte jene über Lust und Leid der Menschen schwebenden seligen Gefilde waren und dem ein Gott die Lippen berührte, den dunkeln Erdensöhnen seine himmlischen Gesichte zu verkünden.

Fußnoten

1 Ein Verzeichniß des vollständigen Bestandes der weimarischen Hofcapelle zwischen den Jahren 1714 und 1716 ist mitgetheilt Anhang B. VI.


2 Mizler a.a.O. S. 163.


3 Schauer, Vorrede zu Salomo Francks geistlichen Liedern. Halle, J. Fricke, 1855.


4 Ein Lobgedicht desselben auf Franck steht vor dessen »Madrigalischer Seelenlust«, Arnstadt, 1697.


5 Eine passende Auswahl derselben hat Schauer in dem angeführten Heftchen herausgegeben, auch in der Vorrede die Werke Francks, soweit sie wieder bekannt geworden sind, aufgeführt.


6 In den »Geist- und weltlichen Poesien« I, S. 529 findet sich ein Hochzeitscarmen »Bey der Unruh-Bachischen Ehe-Verbindung vorgestellet«. Ob diese »Jungfer Bachin« eine Verwandte Sebastians war? Die Kirchenbücher wußten darüber keinen Bescheid zu geben.


7 S. Anhang A. Nr. 27.


8 B.-G. V, 1, Nr. 21.


9 Der Text der Arie ist offenbar zweistrophig; Bach muß Gründe gehabt haben, die erste Zeile der zweiten Strophe uncomponirt zu lassen.


10 S. Buch I, IV (S. 68).


11 Critica musica II, S. 368.


12 In seiner Passions-Musik nach Brockes. Winterfeld, Evang. Kirchenges. III, Beil. 50.


13 Höchst interessant ist es, die Dialoge in den Cantaten »O Ewigkeit, du Donnerwort« (B.-G–. XII, 2. Nr. 60) und »Erfreut euch, ihr Herzen« (XVI, Nr. 66) in dieser Hinsicht zu vergleichen. Selbst die Duette in »Wachet auf, ruft uns die Stimme« sind anders beschaffen.


14 Publicirt von J.P. Schmidt in »Kirchengesänge für Solo- und Chor- Stimmen mit Instrumental-Begleitung von Johann Sebastian Bach«. Berlin, Trautwein. Heft II. Autograph auf der königl. Bibliothek zu Berlin.


15 Strophe 33 des Liedes »Jesu Leiden, Pein und Tod« von Paul Stockmann.


16 »Evangelisches | Andachts-Opffer, | Auf des | Durchlauchtigsten Fürsten und | Herrn, HERRN | Wilhelm Ernstens, | Herzogens zu Sachsen, Jülich, | Cleve und Berg, auch Engern und | Westphalen, etc. etc. | Unsers gnädigsten regierenden Landes-|Fürstens und Herrns | Christ-Fürstl. Anordnung, | in geistlichen | CANTATEN | welche auf die ordentliche | Sonn- und Fest-Tage | in der F.S. ges. Hof-Capelle zur | Wilhelmsburg A. 1715. zu musiciren, | angezündet | von | Salomon Francken, | Fürstl. Sächß. gesamten Ober-Consistorial- | Secretario in Weimar. | Daselbst gedruckt mit Mumbachischen Schrifften |«. Befindlich auf der gräflich stolbergschen Bibliothek zu Wernigerode (nicht in Weimar, wie Schauer a.a.O. S. XXXIX angiebt).


17 S. Anhang A. Nr. 28.


18 B.-G. VII, Nr. 31.


19 Ich bemerke gelegentlich, daß im vorangehenden Recitativ eine Entstellung des Textes stattgefunden hat, die auch in die Ausgabe der Bach-Gesellschaft übergegangen ist. Es muß dort nämlich heißen: »Auf! von den todten Werken! Laß, daß dein Heiland in dir lebt, An deinem Leben merken!«


20 Winterfeld, Ev. K. III. S. 378 scheint mir diesen Satz mißzuverstehen, ebenso Mosewius a.a.O. S. 8.


21 In Stimmen auf der Bibliothek der Schloßkirche zu Sondershausen.


22 Herausgegeben nach dem Autograph auf der königl. Bibl. zu Berlin von J.P. Schmidt a.a.O. Heft III.


23 Daß auch in Weimar die Trompete dazu benutzt wurde, zeigt die Existenz einer Trompetenstimme in G moll, was zum Cornetton der weimarischen Orgel paßt, da die Trompeten immer im Chorton standen. Das Stück ist Duetto überschrieben. Soviel nur hier zur Berichtigung der auch sonst wenig genügenden Ausgabe Schmidts.


24 Eine alte Partitur aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird auf der königl. Bibl. zu Berlin aufbewahrt. Sie scheint in Leipzig geschrieben zu sein, denn die Wasserzeichen des Papiers stimmen überein mit denen, welche sich in den Stimmen zu Bachs Oster-Oratorium »Kommt, eilet und laufet, ihr flüchtigen Füße« erkennen lassen. Sichere autographe Spuren sind nicht darin zu entdecken; vermuthlich war Bach an dieser Copie ganz unbetheiligt. Vollständige Ueberschrift derselben: »Dom: 16. p. Trin: Ko i, du süße Todes Stunde«, rechts von ihr das Zeichen: α ||ω, links: α. ω., darunter von andrer Hand: »item Festo Purific. Mariae«, rechts in der Ecke: »di Bach«. Daß die Cantate in Weimar componirt ist, zeigt ihre mit den andern ganz übereinstimmende Anlage auf den ersten Blick.


25 Die Handschrift schreibt Sesquialtera vor. In einer neueren Copie ist der Choral einer Sopranstimme mit den Gerhardschen Worten: »Wenn ich einmal soll scheiden« u.s.w. zuertheilt. Daß die instrumentale Ausführung für das Ursprüngliche zu halten ist, bedarf nach allem vorhergegangenen wohl kaum der Erwähnung.


26 Eine etwas gesuchte Anspielung auf die Geschichte Simsons; vergl. B.d. Richter, Cap. 14.


27 Von Takt 4–14 weicht der Text der Partitur von der gedruckten Dichtung etwas ab; Bach scheint hier eigenmächtig geändert zu haben, denn die musikalische Declamation paßt weniger gut zu den Originalworten.


28 B.-G. I, Nr. 8.


29 B.-G. XVIII, Nr. 73.


30 B.-G. XIII, 3.


31 B.-G. XII, 2, Nr. 53.


32 Partitur aus dem Nachlasse Fischhoffs auf der königl. Bibl. zu Berlin, der die Originalstimmen aus der v. Vossischen Sammlung zu Grunde liegen sollen. Ich habe dieselben nicht gesehen.


33 Autographe Partitur auf der königl. Bibl. zu Berlin. Vrgl. Anhang A. Nr. 27.


34 Im Autograph steht unter der Aufschrift »Choral semplice stylo« nur der bezifferte Bass ohne Worte. An der Hand des gedruckten Textes ist es aber leicht zu bestimmen, welche Melodie gemeint ist.


35 Autographe Partitur auf der königl. Bibl. zu Berlin. S. Anhang A. Nr. 29.


36 Ueber die merkwürdigen Einklangsfortschreitungen zwischen Bass und Singstimme in Takt 28 und 29, um das »Vereinigen« zu symbolisiren, noch ein Wort zur E moll-Fuge des I. Theils vom wohltemperirten Clavier.


37 Autographe Partitur auf der königl. Bibl. zu Berlin, an Farbe, Stärke und Wasserzeichen des Papiers ganz mit dem Autograph der Advents-Cantate »Nun komm, der Heiden Heiland« übereinstimmend.


38 P.S. V, C. 2, Nr. 3.


39 B.-G. V, 2, S. 68.


40 Autograph auf der königl. Bibl. zu Berlin. Vrgl. Anhang A. Nr. 27.


41 S. Phil. Em. Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, 1. Th. S. 98 (Dritte Aufl., Leipzig, 1787).


42 B.-G. XVIII, Nr. 80.


43 S. Anhang A. Nr. 30.


44 Autograph auf der königl. Bibl. zu Berlin. S. Anhang A. Nr. 31.


45 In der Partitur hat Bach überall, wo der Name »Christian« vorkommt, »Ernst August« darunter oder darüber geschrieben.


46 Wie ein besonderer geschriebener Textbogen meldet.


47 Auf der Schlußseite des die ursprüngliche Fassung enthaltenden (aber nicht von Bach selbst geschriebenen) Textbogens steht von einer zweiten Hand quergeschrieben als Parodie des Textes zum letzten Chore:


Die Anmuth umfange, das Glück Bediene

Den Hertzog u. seine Louyse Christine

Sie weyden in Freuden auf Blumen u. Klee

Es prange die Zierde der Fürstlichen Eh',

Die andre Dione

Fürst Christians Crone!

Die Anmuth umfange u.s.w. d.C.


48 B.-G. XVI, Nr. 68.


49 Mattheson, Das beschützte Orchestre S. 137. Walther, S. 338 und 229. Chrysander, Jahrbücher I, S. 188, 190, 200, 202, 265.


50 Walther, S. 450 a.E.


51 »Evangelische | Sonn- und Fest- | Tages- | Andachten, | Auf | Hochfürstl. Gnädigste Verordnung | Zur | Fürstl. Sächsis. Weimarischen | Hof-Capell-Music | In Geistlichen Arien | erwecket | Von | Salomon Francken, | Fürstl. Sächs. Gesamten Ober-Con-|sistorial-Secretario in Weimar. | Weimar und Jena, | Bey Johann Felix Bielcken. | 1717. |« Befindlich auf der großherzogl. Bibl. zu Weimar. Ohne Vorrede. S. Anhang A. Nr. 32.


52 B.-G. XVI, Nr. 70.


53 Die inbrünstige Declamation der letzten Stelle erinnert an Aehnliches aus dem Kyrie von BeethovensMissa solemnis.


54 Die dritte und vierte Zeile lauten bei Franck: »Der jüngste Tag wird kommen Zu eurer Seelen Flor!« Bach hat die dritte wohl unabsichtlich ausgelassen; der Gedankengang wird dadurch etwas unklar, doch beweist die Auslassung von neuem, wie überwiegend Bachs Sinn nur auf Heraushebung der Grundstimmung gerichtet war.


55 »Seligster Erquickungstag, führe mich zu Friedens Zimmern«, heißt es im gedruckten Text, nicht »zu deinen Zimmern«.


56 In autographer Partitur auf der königl. Bibl. zu Berlin.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1873.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon