V.

Es wurde schon erwähnt, daß von den Instrumentalcompositionen Johann Christophs und Johann Michaels noch weniger gerettet ist als von den Vocal-Werken. In der That sind nur noch einige Trümmer als Zeugen einer unzweifelhaft großen Thätigkeit geblieben. Der Kunstzweig ist aber an sich so wichtig und gewinnt eine doppelte Bedeutung in Hinsicht auf Sebastian Bach, daß wir mit allen möglichen Mitteln suchen müssen, auch diese Seite der kunsterfahrenen Brüder zu beleuchten.

Beide waren ihrem Berufe nach Organisten, und die Orgelkunst bildete bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts den unbestreitbaren Mittelpunkt [95] aller Instrumentalmusik. Wenn dieselbe in Thüringen und Sachsen vorzugsweise blühte und sich endlich auch vollendete, so geschah dies, weil sie in dem protestantischen Choral ein Motiv fand, wie es für ihre Entwicklung nicht geeigneter gedacht werden konnte. Choralbearbeitungen sind es denn auch, mit denen zuerst ein mitteldeutscher Meister bahnbrechend auftrat, und, ob Zufall oder nicht, was uns von den Orgelcompositionen des Bachschen Brüderpaars erhalten blieb, sind ebenfalls Choralbearbeitungen. Die Orgelkunst, früher auf ausgeschmückte Uebertragung von Gesangscompositionen beschränkt, hatte am Ausgange des 16. Jahrhunderts mit Anfängen zur Bildung eines eignen Stils die ersten Knospen einer eigenthümlichen Blüthe angesetzt. In Italien hatte Claudio Merulo in der sogenannten Toccata, einem Tonstücke, was durch abwechselnde Verknüpfung glänzenden Laufwerks mit getragenen Harmonienfolgen den Klangreichthum der Orgel zu entfesseln suchte, eine wenn auch noch regellose und phantastische, so doch sehr entwicklungsfähige Form gefunden. In den Canzonen Joh. Gabrielis waren die ersten Schritte zur Entwicklung der Orgelfuge gethan, und der Niederländer Sweelinck hatte, wie es scheint, vorzugsweise durch Weiterbildung der Technik und ein großes Lehrtalent sich Ruhm erworben, durch gewandte und anmuthige Behandlung das Schwerfällige des Orgelstils leicht und geschmeidig zu machen gesucht. Ein Schüler des letzteren war der hallesche Organist Samuel Scheidt. Er hat in seiner Tabulatura nova (3 Theile, Hamburg, 1624) mit bedeutender Erfindungskraft den Choral in mannigfaltiger und orgelgemäßer Weise zuerst zu bearbeiten gewußt. Diesen frühesten Leistungen auf einem so weiten und neuen Gebiete fehlen natürlich nicht die Merkmale eines ersten Versuchs. Ein neuer Weg ist eröffnet und eine Fülle von Mitteln wird herbeigeschafft, um ihn zu ebnen, aber es mangelt noch die praktische Umsicht und Ordnung, welche ein jedes an seiner Stelle zu verwerthen weiß. Im Laufe des Jahrhunderts bildete sich für die Choralbearbeitung eine Reihe von bestimmten, in sich consequenten Formen heraus. Nur wenige und zwar die nächstliegenden finden sich bei Scheidt einigermaßen rein vor, hierhin ist das Verfahren zu rechnen, wenn Zeile für Zeile des Chorals motettenartig durchgearbeitet wird, und die nahe damit zusammenhängende Choral-Fuge, wobei sich Scheidt aber noch merklich an [96] den Vocalstil anlehnt1. Für die meisten übrigen Formen hat er wohl die Motive aufzuweisen, aber er verwendet sie in bunter Willkür an ein und demselben Gegenstande. So beginnt die Bearbeitung des ersten Verses der Melodie: »Da Jesus an dem Kreuze stund«, aus dem ersten Theile der Tabulatura nova, mit einem Fugato über die Anfangszeile, dann tritt diese selbst in der Oberstimme ein, während Bass und Alt sie canonisch führen; nach der zweiten Zeile findet sich ein freies Zwischenspiel, nach der dritten ein motivisches, nach der vierten wieder ein freies. Pachelbel, Walther oder gar Sebastian Bach würden aus dieser Fülle von Formkeimen vier, mindestens drei verschiedene Bearbeitungen entwickelt haben. Ein anderes Mal behandelt Scheidt den Choral »Vater unser im Himmelreich« (Th. I, erster Vers) so, daß er die erste Zeile praeludirend in motu contrario einführt, aber schon zur fünften Note gesellt sie sich in einer Unterstimme in motu recto, dann abermals nach vier Tönen wiederin motu contrario, weiter nach demselben Zwischenraume in der Oberstimme in motu recto, und endlich noch einmal in gleichem Abstande im Tenor in motu contrario. Hiernach wird der Choral ohne Unterbrechung im Sopran durchgeführt, aber zu jeder Zeile mit neuen Contrapuncten. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß bei einem solchen Allzuviel des Guten an Klarheit und einheitliche Durchbildung nicht zu denken ist. Alles dies soll selbstverständlich nicht das Verdienst des epochemachenden Meisters schmälern, der geleistet hat, was zu leisten war, sondern nur seine geschichtliche Stellung andeuten.

Ein ins Einzelne gehender Nachweis, wie sich nach Scheidt bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts die choralbehandelnde Kunst weiter bildete, wird hier nicht verlangt werden, und wäre auch von mir jetzt nicht zu führen. Die Fortschritte scheinen aber zuerst langsam gewesen zu sein, und dies ist bei der Ungunst der damaligen Zeiten leicht begreiflich. In Scheidts Wegen wandelte weiter der wackere braunschweigische Organist und gesuchte Lehrer seiner Kunst Delphin Strunck (1601–1694), ohne jedoch, nach den wenigen [97] vorliegenden Compositionen zu urtheilen, in der fortlaufenden Behandlung des Chorals schon zu einem festen Kunstprincip durchzudringen. Vermuthlich ist jene motettenhafte Durcharbeitung der einzelnen Choralzeilen fleißig weiter cultivirt; von Johann Theile (1646–1724), einem ungefähren Zeitgenossen Michael Bachs, den man seiner großen Geschicklichkeit wegen den Vater der Contrapunctisten nannte2, wurde z.B. der Choral: »In dich hab ich gehoffet, Herr« in dieser Weise gesetzt, vierstimmig und sehr gelehrt, da alle vier Stimmen selbständige Contrapuncte bilden, aber noch unerträglich steif3. Daneben muß sich frühzeitig der Typus der Choral-Fuge festgestellt haben, wenn wir einmal einen aus der ersten Choral-Zeile gebildeten Fugensatz, in dem am Ende häufig noch die zweite Zeile leise anklingt, so nennen dürfen. Hierher gehört Heinrich Bachs schon erwähnte treffliche Arbeit über »Christ lag in Todesbanden«. Ein Altersgenosse Johann Christoph Bachs, Johann Friedrich Alberti (1642–1710), Organist zu Merseburg, benutzte die Melodie zu: »Der du bist drei in Einigkeit« (O lux beata trinitas) für drei einander folgende Gebilde der Art4. Hier zeigt sich diese Form schon recht entwickelt, man rechnete ihn freilich auch zu den besten Meistern jener ganzen Zeit. Der erste Satz benutzt als Fugenthema nur die sechs Anfangsnoten im punktirten Rhythmus, der im Verlaufe noch einige Veränderungen erleidet. Die Stimmen werden, wie in allen Theilen, sauber und gewandt geführt, der Contrapunct steht allerdings meist Note gegen Note, aber nicht aus Ungeschick, sondern um für die folgenden Abschnitte ein Steigerungsmittel zu sparen; alterthümlich dagegen ist die auch im dritten Abschnitt wiederkehrende Engführung gleich am Anfang. Die Eintritte des Themas heben sich durch vorhergehende Pausen jedesmal deutlich heraus, außerdem bereiten kurze Zwischensätze noch besonders auf sie vor. In Semibreven bringt nun der zweite Vers als Thema die volle Anfangszeile, dazu kommt ein kurzes Contrasubject in Viertelnoten, was auch im doppelten Contrapunct auftritt. Das Thema erscheint nur viermal im ganzen, durch das bewegte Stimmgewebe [98] langgezogen und majestätisch hindurchklingend, zu längeren Zwischensätzen dient das Contrasubject, wie es auch stets das Thema in kunstvollen Nachahmungen begleitet. Endlich die dritte Strophe erhält ihre Steigerung dadurch, daß die Anfangszeile im 3/4 Takt fugirt wird. Eine der zweiten Strophe ähnlich gehaltene Choralfuge über »Gelobet seist du, Jesu Christ«5 ist von nicht geringerer Vortrefflichkeit; das Contrasubject wird zuerst allein durchgeführt, ehe es sich mit der Choralzeile verbindet, und besteht in einem abgerundeten Gedanken, so daß eine vollentfaltete Doppelfuge vorliegt.

Johann Christoph Bach ist nach seiner ursprünglichen Natur auch auf diesem Gebiete einen eignen Weg gegangen und hat denselben, so weit man jetzt noch urtheilen kann, nie verlassen. Die Folge war eine gleiche, wie bei den Vocalcompositionen: schon die nächste Generation verstand ihn nicht mehr und ignorirte ihn darum. Umfassende handschriftliche Sammlungen von Choralvorspielen, durch den Lexicographen Walther, den Amtsgenossen Sebastian Bachs in Weimar, eigenhändig angelegt, weisen auch nicht ein einziges Stück Johann Christophs mehr auf. Acht Bearbeitungen, zum Theil mehrsätzige, enthielt der im Besitz Gerbers befindliche Sammelband6, welcher nach dessen Tode nebst der übrigen höchst werthvollen musikalischen Hinterlassenschaft durch die Nachlässigkeit der Erben spurlos zu Grunde ging. Ein glücklicher Zufall jedoch hat ein geschriebenes Heft mit 44 Choralbearbeitungen der Gegenwart gerettet. Sein Inhalt ist von dem Componisten zu einem bestimmten Zwecke angefertigt, und wenn der jetzige Titel der originale wäre, müßte das Werkchen auch durch Stich veröffentlicht worden sein7. Auf dieses werden wir unser Urtheil zu gründen haben. [99] Aber vorweg ist zu sagen, daß hier die Sache anders liegt, als bei seiner Thätigkeit als Gesangscomponist. Dort hatte er eine großartige Entwicklung hinter sich, auf deren breiter Fläche er sein eigenstes Wesen auseinanderfalten konnte, in der Orgelkunst bewegte er sich auf theilweise bebautem, halbdurchdrungenem Boden. Was er so in seiner Isolirtheit schuf, ist bei genauer Erwägung aller Verhältnisse weder seines großen Talentes unwürdig, noch steht es in Widerspruch mit dem Lobe, was ihm seine späteren Geschlechtsgenossen auch als Orgelmeister zu Theil werden ließen8. Aber einer allein kann nicht alles, und Johann Christoph ist ein schlagendes Beispiel, wie viel wir selbst in der deutschesten Kunstform, dem Orgelchoral, den Italiänern verdanken. Ideales Streben, Gedankenfülle, tiefsinnige Sorgfalt brauchten wir nicht von Fremden zu holen, aber der freie und in großen Formen wirkende Schönheitssinn mußte uns wenigstens gekräftigt und gestützt werden, um etwas meisterliches zu schaffen. Eine solche Hülfe kam auch bald vom Süden zugeströmt, aber Johann Christoph scheint sich ihr verschlossen zu haben, und so sind seine Leistungen nur ein Nebenschößling geblieben, dem Blüthe und Frucht versagt waren.

Ueber die Anforderungen, welche von Seiten der äußern Technik an eine Choralbearbeitung zu stellen seien, ist Bach nicht im Unklaren gewesen. Die Orgel mit ihren schallenden Massen von Zusammenklängen, die ein Einziger durch eigne Kraft erzeugt und nach eignem Willen fortbewegt, steht zu der alten Chor-Musik, diesem reich gewobenen Netze so und so vieler Stimm-Individualitäten, die niemals ganz Instrumente werden können, im denkbar größten Gegensatze. Sie auch vor allem hat die Umbildung aus dem ältern polyphonen in das neuere harmonische System herbeigeführt. Es erscheint vielleicht manchem befremdlich, ist demnach aber doch ganz naturgemäß, wenn auch die besten Meister zwischen 1650 und 1700 ein viel homophoneres Wesen, eine viel unbekümmertere Behandlung [100] der Stimmführung zeigen, als sich nach jetzigen Begriffen mit dem wahren Orgelstil verträgt. Gewiß verlangt der starre massige Ton zu seiner höchsten Idealisirung nicht nur äußerliche Beweglichkeit durch Laufwerk und Accord-Zertheilung, sondern innere Belebung durch Verdichtung zu musikalischen Individuen – was sind Melodien und Motive anderes? – und durch deren vernünftigen Verkehr unter einander. Aber dies ist immer erst ein Zweites, nicht, wie bei der polyphonen Vocalmusik, ein Erstes. Wir bewundern mit Recht den bis ins Kleinste belebten Organismus eines Seb. Bachschen Orgelstückes, aber seine die harmonischen Säulen umkleidende sogenannte Polyphonie ist nur ein schöner Schein. Es ist wie der gothische Dom mit seinen springquellartigen Pfeilergruppen, seinen blatt- und blumenumkränzten Capitälen: sie zaubern den Schein selbständigen Lebens vor die Phantasie, aber sie leben nicht, nur der Künstler in ihnen. Dieser principielle Unterschied kann nicht stark genug betont werden, ohne dessen Erkenntniß ist die ganze selbständige Orgelkunst und alles was mit ihr zusammenhängt, also Seb. Bachs gesammte Thätigkeit, nicht zu verstehen. Wenn daher Johann Christoph Bach die Kluft absichtlich weit aufriß, so zeigte er, daß er wußte, was zu thun war. Seine Stimmfortführungen sind oft ganz unkenntlich, rein nach harmonischem Bedürfniß treten bald drei- bald vierstimmige Accorde auf; in wenigen Fällen nur läßt sich erkennen, was für Pedal-oder Manual-Bass berechnet ist, und im Fugato trägt oft dieselbe Stimme, welche das Thema hatte, es gleich darauf eine Quinte tiefer noch einmal vor. Ueberall hat sich der Gedanke Geltung verschafft, daß die Ausführung eines solchen Stückes in der Hand eines einzigen Individuums beruhe. Aber nur äusserliche Concessionen machte Bach dem Instrumentalstil, dem innern Wesen der Choralbearbeitung für die Orgel blieb er fremd gegenüberstehen. Er hätte nun auch den Versuch wagen müssen, den Choral als selbständiges Motiv zum Kern eines freien Tonstückes zu erheben, er hätte sich von dem Gedanken losmachen müssen, seine Choralbearbeitungen in nothwendige Verbindung mit dem nachfolgenden Gemeindegesange zu setzen und sie im engsten Wortverstande als Vorspiele aufzufassen, die zur Hauptsache erst hinleiten sollten. Hieran aber dachte er nicht, und so konnten nur schwankende Gestalten ohne Mittel-und Schwerpunkt entstehen. [101] Sehen wir die Formen näher an, so wird in einundzwanzig Vorspielen die ganze Melodie durchgenommen, in zehnen nur ein Complex der ersten Zeilen, bei den übrigen dient die Anfangszeile in bereits bekannter Weise als Fugenthema, und die ergänzende zweite klingt gelegentlich an, oder tritt am Schlusse völlig auf, aber nicht fugirt. Bei Bearbeitung der ganzen Melodie hebt jedesmal auch ein Fugato der ersten oder der ersten beiden Zeilen an, die Eintritte werden wohl durch ganz kurze Zwischenspiele vorbereitet, die folgenden Zeilen dann gewöhnlich in engen canonischen Führungen durchgenommen, wobei gern ein Orgelpunkt zu Grunde liegt; oft aber findet sich auch Zerdehnung, motivbildende Zerlegung oder bald mehr bald minder charakteristische Umspielung der Haupt-Melodiezüge, dazwischen wieder bewegtere ganz frei erfundene Sätzchen. Von einer breiten motettenartigen Ausführung, die jeden Melodie-Abschnitt ruhig entwickelt, sind diese Stücke weit entfernt, es ist immer mehr das Totalbild des Chorals, was dem Componisten als Bearbeitungs-Gegenstand vorschwebt, die einzelnen Theile werden kurz und hastig abgethan, am Schlusse hat der, welcher die Melodie kannte, was hier immer vorausgesetzt wird, das Gefühl, als sei sie in Nebel gehüllt an ihm vorübergezogen. Die Contrapunctik ist meistens eine sehr einfache, Note gegen Note richtende, viel in Terzen und Sexten einherschreitende; das harmonische und orgelgemäße Princip wird oft wie mit Absicht betont, wenn er oben einen Accord aus halten, und im Bass dazu ein Fugenthema erklingen läßt. Man sieht recht wohl, der Componist ringt nach einer Form, und einige der durchweg nur mäßig langen Sätze, wie die Bearbeitung von: »Ich dank dir schon durch deinen Sohne«, die im 3/8 Takt ohne Stocken dahin fließt, und doch den ganzen Choral in ihrem Spiegel auffängt, sind auch gelungen zu nennen. Auch darin, wie er oft die Melodiezeilen verschlingt, beim Erscheinen der einen contrapunctisch schon die andre erklingen, oder in der Schlußcadenz sofort einsetzen läßt, endlich die Harmoniewechsel durch Orgelpunkte zusammenhält, zeigt sich sein Formensinn. Aber er ließ sich durch einen außerkünstlerischen Umstand das Recht nehmen, ein Musikwerk nach den ihm innewohnenden Forderungen zu gestalten. Nun ist es das äußere Belieben, nicht ein inneres Gesetz, welches heischt, daß hier plötzlich eine Zeile in verdoppelten Notenwerthen auftritt, dort wenigstens [102] in einigen ihrer Töne ausgedehnt wird, daß hier ein Melodie-Abschnitt umspielt erscheint, dort in seiner ursprünglichen Gestalt, daß grade in dieser Bearbeitung der Schluß in Passagenwerk verläuft, grade an jener Stelle ein längerer Zwischensatz eingeschoben wird9. Auch wenn wir ganz die großartige Consequenz eines Seb. Bach in solchen Dingen vergessen wollen, läßt es sich begreifen, warum schon Johann Christophs Mitlebende auf diesem Wege nicht weiter gehen mochten. Noch weniger Entwicklungsfähigkeit enthält die Bearbeitungs-Methode, nach der nur einige Zeilen des Chorals durchgenommen werden, obwohl hier der Componist zuweilen mehr Reichthum zeigt. Denn es ist weder die poetische Einheit des gesammten Choralgebildes vorhanden, noch die rein musikalische des Aufbaues aus einem Thema, und dies sind doch die beiden Säulen, an welchen sich die ganze Kunst des Orgelchorals emporrankte. In der dritten Gattung endlich, welche wir Choralfuge nannten, betritt er ein schon mehr angebautes Gebiet, und so sind denn auch seine Leistungen hier relativ die besten. Die Behandlung ist so leicht und ungezwungen, wie nur jemand schreiben kann, dem der Charakter seines Instruments völlig klar ist. Dabei erfüllen sie ganz den Zweck des »Praeambulirens«, und sind grade hinreichend leichten Inhalts, um den musikalischen Werth des nachfolgenden Gemeindegesanges nicht in die zweite Linie zu drängen. Die Mehrheit von ihnen bleibt nicht unter der Höhe, welche in der Lösung grade solcher Aufgaben das Jahrhundert erklimmen konnte, und in dieser Gattung hat nachweislich Joh. Christoph auch Nachfolger gehabt. Wären sie nicht zuweilen noch ungelenk in der Harmonie und von zu steifer Bewegung, so könnte man sie Muster nennen, natürlich nur für ihre Zeit. Nicht leicht läßt sich Bach nach dem gesammten Inhalte des Heftes unbefangen und richtig würdigen, und er selbst ist es, der durch die hohe Vollendung seiner Gesangs-Compositionen uns das Urtheil erschwert. Wer von diesen herkommend auf jene Choral-Vorspiele geräth, wird sich zuerst immer enttäuscht sehen. Der ganze Abstand einer hochentwickelten und einer erst unsicher [103] aufsteigenden Kunst tritt eben hier heraus, und ist dem modernen Gefühl um so befremdender, weil wir uns längst gewöhnt haben, die herrlichsten Früchte beider Richtungen, der vocalen wie instrumentalen, neben und in einander zu genießen. Auch die Vermuthung, es seien Jugendarbeiten des Meisters, weist schon genügend der eine Umstand zurück, daß der Choral: »Liebster Jesu, wir sind hier« sich unter den Bearbeitungen befindet. Dieses Lied wurde aber erst im Jahre 1671 bekannt10, vor der Mitte desselben Jahrzehnts wird also die Sammlung schwerlich angefertigt sein, und hier hatte Bach schon einige seiner herrlichsten Motetten geschrieben. Die Dürftigkeit und Leere, welche zuweilen diesen vorzugsweise dreistimmigen Harmonien eigen ist, darf nicht zu der Annahme verleiten, der Meister habe vielleicht für Anfänger, etwa seine eignen musikalischen Söhne, absichtlich leicht geschrieben. Man wird wohl glauben dürfen, daß er in ihnen nicht seine Virtuosität entfaltet hat, aber zuverlässig nicht aus pädagogischen Rücksichten, sondern weil der Charakter der Tonstücke, so wie er sie auszuarbeiten gedachte, es nicht zuzulassen schien. Außerdem werden dieselben ja ganz allgemein zur Verwendung während des Gottesdienstes empfohlen, und dreistimmiger Satz war für solche Aufgaben auch noch später gebräuchlich. Nichts anderes bleibt übrig, als zu sagen, daß er nicht anders konnte, als wir es finden. Und wenn man bei einem so reichen, lebendigen Vocalcomponisten oft über harmonische Armuth und rhythmische Lahmheit sich wundern wollte, so bedächte man nicht den gewaltigen Abstand zwischen einer Chormasse, die selbst bei geringer harmonischer Bewegtheit unendlicher Schattirungen und Färbungen fähig ist, die auch Worte und Sätze durch musikalische Declamation zu bewältigen hat – grade eine Hauptstärke Johann Christophs! –, und der Orgel, die innerhalb eines Tones melodisch nie, und rhythmisch nur ausnahmsweise lebendig werden kann, sondern beides durch Anreihung verschiedener Töne erzielt. Bach erkannte, es sei noch einmal gesagt, diesen Abstand in seiner vollen Weite, und er, der für Menschenstimmen den Choral: »Warum betrübst du dich, mein Herz« so ergreifend schön zu contrapunctiren wußte, konnte ihn für die Orgelpfeifen aus voller Ueberzeugung nur [104] so behandeln, wie er am Schlusse der besprochenen Sammlung sich findet, und man wird, besonders bei dem fleißig durchgeführten schmerzlich-chromatischen Motiv erkennen, wie er auch hier ganz bei der Sache war11. Daß er in dieser Kunstgattung nicht bahnbrechend wurde, daran ist seine in sich gewendete, den Einflüssen der Mitwelt abgekehrte Natur schuld. Wäre er anders gewesen, so hätten wir seine Motetten nicht. Was er aber sonst noch für die Orgel geleistet haben mag, ist, wenn nicht noch Proben davon wieder ans Licht treten, vermuthungsweise nicht zu bestimmen.

Von Johann Michael Bach liegen mir fünf Choralbearbeitungen handschriftlich vor, eine sehr geringe Zahl, aber doch genügend, um das Verhältniß zu seinem Bruder und zu seinen Zeitgenossen einigermaßen zu erhellen. Michael war neuern Einflüssen zugänglicher, wie er sich denn auch mit der gesammten Instrumentalkunst mehr beschäftigt zu haben scheint als Johann Christoph. Walther rühmt von ihm12, daß er auch »starke [d.i. treffliche] Sonaten und Clavier-Sachen gesetzet«. Daher haben seine Sachen eine viel längere Lebensfähigkeit bewiesen, und noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kannte man seine Choral-Vorspiele, wenngleich sie damals nicht mehr viel bedeuten sollten13. In dem erwähnten Gerberschen Sammelbande befanden sich nicht weniger als 72 fugirte und figurirte Choräle, deren manchem noch sechs, acht, zehn Variationen folgten. »Es herrscht nach dem damaligen Zeitalter eine große Mannigfaltigkeit und Abwechselung in diesen Vorspielen, und keins ist des Namens Bach ganz unwürdig.« Dieses im Anfange unseres Jahrhunderts geschriebene Urtheil Gerbers ist das Einzige, was von der Existenz derselben übrig geblieben ist; die mir vorliegenden vier Waltherschen Handschriften mögen um 1730 geschrieben sein. Um aber den Unterschied zwischen den Brüdern zu begreifen, müssen wir vor allem dem Manne einige Aufmerksamkeit schenken, der in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts einen so bedeutenden Fortschritt in der Orgelkunst vor allen andern hervorbringen half, und mit dem Thüringerlande wie mit dem Bachschen Geschlechte eng verknüpft war.

[105] Johann Pachelbel, geboren am 1. Sept. 1653 zu Nürnberg, bildete seine vortrefflichen musikalischen und nicht weniger hervorragenden allgemeinen Anlagen zuerst in Nürnberg, Altorf und Regensburg, war dann drei Jahre lang in Wien Organisten-Gehülfe an der Stephans-Kirche, und kam am 4. Mai 1677 als Hoforganist nach Eisenach. Hier blieb er bis zum 18. Mai 1678 und wurde darauf Organist an der Prediger-Kirche in Erfurt, wo nach Johann Bachs Tode (1673), wie wir sahen, einige Jahre Johann Effler fungirt hatte, der Vorgänger Michael Bachs in Gehren, den wir später unter den weimarischen Organisten noch einmal zu erwähnen haben werden. In Erfurt blieb er länger als an irgend einem andern Orte seines wechselreichen Lebens, erst 1690 zog er davon als Hoforganist nach Stuttgart, war 1692–1695 wieder im thüringischen Gotha und verbrachte den Rest seines Lebens (gest. 3. März 1706) als Organist an der Sebaldus-Kirche seiner Vaterstadt14. An zwei der Hauptsammelstellen der Bachschen Familie nach einander ansässig, hatte er volle Gelegenheit, mit dieser Künstlergenossenschaft in Berührung zu kommen. Sebastians Vater stand mit ihm auf so vertrautem Fuße, daß er ihn zum Pathen einer seiner Töchter und zum Lehrer seines ältesten Sohnes wählte, und die von Bernhard, dem Sohne des Aegidius Bach, noch erhaltenen Choralbearbeitungen sind durch und durch von Pachelbelscher Factur. Andere Beweise inniger Verbindung werden uns weiterhin entgegentreten.

Der wiederholt zwischen Süd- und Mittel-Deutschland wechselnde Aufenthalt ist auch auf die Kunst Pachelbels von wesentlichem Einfluß gewesen, indem er ihn verschiedene Richtungen in sich verschmelzen ließ. Die in Thüringen und Sachsen vorwiegend gepflegte Choral-Figurirung fand zwar in dem Gerüst der Kirchen-Melodie einen Plan vor, der für sie eine wenn auch oft mehr poetische, als rein musikalische Einheit herstellte, aber sie lief Gefahr, in derselben [106] zu sehr ins Kleine und Unzusammenhängende sich zu zersetzen. Italien und der von ihm direct beeinflußte Süden Deutschlands hatten mit dem jenem ersteren Lande eignen Sinne für einfache, große Formen, auf welche grade das Wesen der Orgel so sehr hinwies, und unter viel glücklicheren äußern Verhältnissen Mittel- und Nord-Deutschland in der Orgelkunst um ein bedeutendes überflügelt. Schon Frescobaldi, in der ersten Hälfte des Jahrhunderts Organist an der Peterskirche zu Rom, zeigt eine Höhe der Meisterschaft, die in gewissen Punkten, z.B. in der kunstvollen Contrapunctirung eines Cantus firmus von den katholischen Orgel-Meistern kaum später noch überboten sein dürfte. In der Toccate hatte man sich durch sorgfältige Pflege endlich eine Form herausgebildet, die so ziemlich alle Errungenschaften der Kunst in sich beschloß: Fugen, freiere Imitationen, glanzvolles Laufwerk und mächtig strömende Accordfolgen. Auf diesem Gipfelpunkte, den Georg Muffats großes und ausgezeichnetes Werk: »Apparatus Musico-Organisticus« (1690), sowie die von Joh. Speth veröffentlichte Toccaten-Sammlung15 repräsentiren mag, war man am Ende des Jahrhunderts angelangt. Was noch weiter zu leisten war, das zu erreichen genügten die Kräfte der katholischen Orgelkünstler nicht. Denn ihnen hatte das Motiv des protestantischen Chorals gefehlt. Der gregorianische Gesang, den Frescobaldi mit hoher Trefflichkeit orgelgemäß behandelte, widerstrebte seinem ganzen auf den einstimmigen Vocalvortrag und die Kirchentöne gegründeten Wesen nach einer reicheren Entfaltung im neuen Tonsystem, durch welches doch eine volle Blüthe der Instrumentalmusik erst möglich wurde. Am protestantischen Choral dagegen, an diesen aus dem Herzen des Volkes herausgedrungenen Urweisen, sollte die Orgelkunst jenes Naturelement finden, was die romanischen Völker ihr nicht geben konnten, jenen lautern, unverfälschten Inhalt, der sie stärkend nach allen Richtungen durchdrang. Und nicht nur eine Fülle neuer melodischer Erfindung sollte aus ihm zuströmen, sondern an ihm und durch ihn bildeten sich ganz neue Kunstformen, entwickelte sich ein ungeahnter Reichthum [107] harmonischer Combinationen, eine ungekannte Geschmeidigkeit der Instrumental-Polyphonie. Pachelbel trug die Errungenschaften des Südens in das Herz Deutschlands hinüber, und bemächtigte sich der dort zubereiteten Elemente, um aus beiden ein Neues, Höheres zu schaffen. Nirgends auch mehr als in Thüringen konnte sein Genie so die geeigneten Männer finden, die ihm mit offenem Sinne und bedeutender Leistungsfähigkeit entgegen kamen, um seinen Bahnen sich anzuschließen. Von dieser Zeit ab ist der Schwerpunkt der deutschen Orgelkunst ganz entschieden nach Mitteldeutschland verlegt, der Süden fiel mehr und mehr ab, der Norden mit Dietrich Buxtehude an der Spitze bewahrte sich länger noch eine eigne Haltung und hatte auch eine eigene Art der Choralbehandlung ausgebildet, die aber an Mannigfaltigkeit und Tiefe weit hinter der mitteldeutschen zurückstand. Eine Pachelbel entgegengesetzte, ältere Erscheinung kennt die Geschichte schon in dem Hallenser J.J. Froberger, der freilich dem südlichen Geiste sich überwiegend assimilirte, auch, so weit sich jetzt sehen läßt, mit dem Choral nicht befaßte, aber dennoch bei den mitteldeutschen Orgelspielern, und auch noch von Sebastian Bach hoch in Ehren gehalten wurde. Wie sehr nun Pachelbel als südlicher Orgelmeister auf der Höhe seiner Zeit stand, beweisen am besten seine Toccaten; zugleich zeigen auch diese schon, wie in ihm ein kräftigerer, noch höher hinausstrebender Geist wohnte. Denn während er im allgemeinen ihren auf Glanz und Bravour und Entfaltung breiter Harmonie-Massen gerichteten Charakter unangetastet ließ, hat er sich doch von dem bunten Vielerlei an langsamen und bewegten, fugirten und nicht fugirten, einfachen und passagenreichen Sätzen, was sonst ihren Inhalt zu bilden pflegte, abgewendet. In stetiger Bewegung meist an einer oder einigen Figuren motivisch sich fortspinnend, rauschen die besten und größten seiner Toccaten dahin, gewöhnlich über wenigen langgehaltenen Pedal-Orgelpunkten. So ruht eine derselben nur auf C – 15 Takte, G – 14 Takte, wieder C – 17 Takte und baut sich in groß gedachter Weise aus diesem Motive auf:


5.

Eine andre noch reicher strömende hat zuerst einen Orgelpunkt auf [108] C – 16 Takte, geht dann durch den 5. Accord über Fis nach G, ruht auf demselben durch 10 Takte, macht dann die Wendung 5., hat hier einen Orgelpunkt von 6 Takten, und schließt mit einem solchen über C – 6 Takte; die Bewegung der obern Stimmen ist zuerst in Sechzehnteln, steigert sich dann zu Sechzehntel-Triolen, endlich zu Zweiunddreißigsteln. Zwei weitere prächtige Stücke der Art sind eine Toccate in G moll und eine in F dur; erstere steht nur über einem 17 taktigen G und einem 20 taktigen D, worauf im Schlußtakt G wiederkehrt: zuerst fluthen die Oberstimmen in Terzen- und Sexten-Gängen brausend auf und ab, nachher tritt in gebrochenen Accorden und langsamer wallenden Harmonien die Beruhigung ein. Die letztere ist durch majestätische Anlage und stolz sich gipfelnde Thematik wohl die schönste von allen, in ihr haben wir den Vorläufer jener riesigen F dur-Toccate Sebastian Bachs16. – Auch eine Ciacona in D moll, deren Bass:


5.

35 Mal wiederkehrt, hat dies breite stilvolle Wesen, wenn sie gleich an Geist und harmonischem Reichthum sich mit ähnlichen Arbeiten Buxtehudes nicht messen kann. – Auf dem Felde der Choralbearbeitung aber gebührt Pachelbel das Verdienst, unter die reichlich aber regellos aufschießenden Sprößlinge mitteldeutscher Orgelkunst Zucht, Ordnung und Veredlung gebracht und den Strom südlicher Schönheit in die Tiefe des deutschen Kunstempfindens geleitet zu haben. Der Fortschritt seit seinem Auftreten ist ein ganz auffälliger und auf den ersten Blick zu erkennender. Die Richtung, welche diese Kunstgattung zu nehmen hatte, war die aller ästhetischen [109] Formgebilde: sie sollte sich von dem zufälligen äußern Anlasse, der ihr das Dasein geschenkt, zu selbständigem Leben mehr und mehr entwickeln. Ursprünglich nur zur Einleitung in die Stimmung des kirchlichen Gemeindegesanges bestimmt, hatte sie auch nur im Zusammenhange mit diesem ihren Werth. Dem Hörer tönten einzelne Anklänge und Bruchstücke einer ihm bekannten Melodie entgegen, diese, für ihn mit der zugehörigen Poesie untrennlich verbunden, zogen seine Stimmung in einer bestimmteren Richtung fort, und ließen beim Anheben des Gesanges dieselbe zum vollen, klaren Gefühle erblühen. Auf zweierlei Weise zunächst konnte die Kunst hier ihre Rechte geltend machen. Entweder sie nahm einen hervortretenden Zug der Melodie, etwa ihre Anfangszeile, als Thema und baute darüber nach rein musikalischen Gesetzen ein Tonstück auf, dann bedeutete der Choral an sich nur den Stimmungs-Grund, in welchen das Kunstbild eingezeichnet wurde. Diese Weise lag am nächsten, schon der praktische Gebrauch führte darauf. Der Unterschied zwischen einer als Vorspiel gedachten Fuge, und einem aus dem Choral-Motiv gebildeten Kunstwerke ist nur der, daß jene nur im Zusammenhange mit dem nachfolgenden Kirchengesange ihre Bedeutung hat, dieses einen selbständigen Organismus darstellt, und deshalb auf Erschöpfung des thematischen Gehalts ausgeht, während jene nur andeuten soll. Oder aber man übertrug die volle Melodie auf die Orgel, faßte sie aber mit all den Eigenschaften, welche ihr im kirchlichen Leben als Trägerin einer religiösen Dichtung, als Mittel gemeinsamer Erbauung und als Bestandtheil des Cultus zukommen, und führte nun auf rein instrumentalem Gebiet eine Art von idealem Gottesdienst auf, dessen Mittelpunkt die Melodie bildete. Es ist klar, daß dies Verfahren an Allgemeinverständlichkeit sehr hinter dem andern zurücksteht, da man an die Melodie zu vielerlei appercipiren muß, was außerhalb ihres natürlichen Wesens liegt, und nur auf einer ganz bestimmten poetischen Grundlage hier die tondichterischen Intentionen hell hervortreten können. Aber für eine reiche und tief eindringende Entfaltung war ein unausmeßlicher Raum gegeben, und die subjective Religiosität jener Zeit fand in dieser Form eine unendlich viel reichere Gelegenheit, ihre geheimsten Regungen hineinzuweben und bis in die feinsten Spitzen zu verfolgen, als in der einfachen Klarheit des Gemeindegesanges. Die [110] Entwicklung dieses mit der Kirche so eng zusammenhängenden Kunstzweiges geht ganz parallel der Umbildung des kirchlichen Sinnes überhaupt, und je weniger man sich zu einem starken Gemeingefühl in kernhaften Kirchenliedern vereinigen mochte, desto mehr mußten die Orgelchoräle sagen, was das Innere des Einzelnen erfüllte. Daß dieselben praktisch auch als Vorspiele im Gottesdienst verwendet wurden, ändert an dem innern Verhältnisse nichts. Wenn nun die Choralmelodie den Kern einer solchen Tonandacht bilden sollte, so mußte sie auch musikalisch als solche hervortreten; sie mußte über allem schweben, alles an sich heranziehen, von sich alle bewegenden Keime aussenden. Diese wiederum hatten die Aufgabe, der Melodie Wesen in ihren verschiedensten Seiten zur Entfaltung zu bringen, sich unter einander zu stets neuen, ahnungsvollen Farbentönen zu gruppiren, und, um alles zu vollenden, auch von dem Inhalt der Dichtung durch ausdrucksvolle musikalische Gestalten ein Bewußtsein aufdämmern zu lassen. Um dies alles zu leisten, mußten sie sich mit größtmöglicher Selbständigkeit bewegen nach dem Gesetze, daß, je freier der Dienende ist, um so geehrter der Herrscher. Pachelbel gab zur Zeit seiner höchsten Reife (wahrscheinlich 1693 bei Johann Christoph Weigel in Nürnberg) acht Choralbearbeitungen heraus, welche die Höhe seiner Leistungen in diesem Fache bezeichnen können17. Die Mehrzahl derselben ist so beschaffen, daß die Melodie in ihren getrennten Zeilenabschnitten langsam und bedeutungsvoll in der Ober- oder Unterstimme hinzieht; der Satz ist streng drei- oder vierstimmig, so daß jedesmal erst durch den Zutritt der Melodie die reichste Harmonie entsteht, und dieselbe hierdurch schon sich heraushebt. Eingeleitet wird jede Zeile durch kurze imitatorische Sätze, welche ihren Stoff aus den Anfangsnoten der Zeile nehmen, und so auf diese vorbereiten, aber in doppelter oder vierfacher Verkleinerung, damit der Choral nicht vorher abgeschwächt werde, sondern sich auch rhythmisch bedeutungsvoll abhebe. Das eigentlich contrapunctische Material wird aber nicht daher genommen, sondern frei erfunden, doch werden eine oder einige Figuren festgehalten, die durch gegenseitige Nachahmung einander bedingen und forttreiben. Diese Stelle:


5.

[111] aus dem Choral: »Wie schön leucht't uns der Morgenstern«, welche die letzte Verszeile darstellt, wird die Sache verdeutlichen. Im ersten Takte werden die drei ersten Noten der Melodie, fed, vorbereitend angedeutet, dann tritt diese selbst im Pedale ein und die Oberstimmen spielen imitatorisch darüber hin mit einer bei Pachelbel viel vorkommenden Manier; auch die parallel gehende Bewegung derselben hat er häufig – die höchste Stufe contrapunctischer Freiheit ist eben noch nicht erreicht. Daß die Zwischenspiele mit dem Contrapunct nicht desselben Stoffes sind, ist ebenfalls ein Mangel. Aber sonst ist der Fluß der Stimmen doch schon ein sehr zwangloser und geschmeidiger, dabei natürlich durch und durch orgelgemäßer, und wir wissen, daß er selbst von seinen Schülern eine »cantable« Setzart forderte, was eben nichts andres bedeuten soll18. Auf den Inhalt des Melodietextes geht der Componist bei Bildung der contrapunctirenden Themen gewöhnlich nicht ein, die pastorale, heitere [112] Haltung derselben bei dem Choral: »Vom Himmel hoch« ist etwas vereinzeltes, und hier blieb dem Tiefsinn eines Sebastian Bach noch ein wenig bebautes Feld. – Diese Weise nun herrscht in den Pachelbelschen Chorälen so sehr vor, und wo sie sich bei seinen Zeitgenossen findet, da ist der Einfluß seiner Musik auch an so manchen andern Merkmalen erkennbar, daß man unbedenklich sagen kann, sie seien ihm darin gefolgt, und die ganze Weise als die seinige zu bezeichnen ein Recht hat. Denn wenn auch Ansätze dazu schon früher vorkommen, so ist er es doch gewesen, der mit überlegnem Talent und Formgefühl die zerstreuten Elemente zu einem wirklichen Kunstgebilde zusammengeschlossen hat. Weniger häufig, aber auch mit Meisterschaft, contrapunctirt er die Choralmelodie in fortlaufendem Zuge und ohne Zwischenspiele, wenn man nämlich, wie billig, diesen Namen nur in sich selbständigen, wenn auch noch so kurzen Gebilden giebt, nicht aber einer nur weiter gehenden und vielleicht einen Takt ausfüllenden Figur. Hierzu mag, um bei dem schon angeführten Choralwerke zu bleiben, die Bearbeitung von »Nun lob mein Seel den Herren« ein Beispiel sein19, welche auch deshalb merkenswerth ist, weil die Melodie in der Mittelstimme liegt, eine Aufgabe, an die man sich damals noch nicht gern wagte. Selten nimmt er den Choral so durch, daß die Oberstimme die Melodie colorirend umspielt, und zwischen den Zeilen motivische Zwischensätze ertönen; hierin steht er auch an Feinheit und Geschmack hinter Buxtehude und dessen Schülern zurück. Aber gesteigert hat er den Kunstwerth »seiner« Manier noch dadurch, daß er in einer Anzahl von trefflichen Arbeiten dem Chorale eine Fuge über die erste Melodiezeile voraufschickt. Man erkennt daraus, wie fest der Meister sein Ideal anschaute, den Choral mit all seinen kirchlichen Beziehungen zum Gegenstand rein künstlerischer Verklärung zu machen, und gleichsam als ein Naturschönes für seine Kunstthätigkeit anzusehen. Die vorangehende Fuge ist gewissermaßen das Praeludium, nur daß alles ungehinderter und reicher ausgeführt ist, und sie sich zu einer Choralfuge Johann Christoph Bachs verhält, wie das Ideal zur bloßen Wirklichkeit; ja man braucht nur Pachelbels eigne ausschließlich zum praktischen Kirchengebrauch bestimmten [113] Choralfughetten zu vergleichen, um des ganzen Unterschieds inne zu werden. Die der Fuge nachfolgende Choralbearbeitung stellt sich dagegen mit allen dem Meister zu Gebote stehenden Mitteln als die Hauptsache dar. Die Melodie erklingt in verdoppelten Notenwerthen, oft im Bass mit majestätischen Octavenverdopplungen, und glänzende, ausdrucksvolle Figurationen ranken sich blühend an ihr hinauf. Einige der schönsten sind die Arbeiten über »Allein Gott in der Höh sei Ehr«, »Vom Himmel hoch«, »Nun komm der Heiden Heiland«20, und »Christ lag in Todesbanden«21, andre sind einfacher, aber nicht weniger trefflich. Ueber die alleinstehenden Choral-Kunstfugen braucht nun nicht mehr gesprochen zu werden, da sie ihrem Wesen nach gleich sind und nur selbständig abschließen22. Aber über die Fugenform an sich seien bei dieser Gelegenheit noch einige Worte erlaubt. Man nennt Frescobaldi ihren eigentlichen Erfinder, was wieder nur bedeuten soll, daß er zuerst die fugirte Spielweise nach festeren Kunstgrundsätzen verwendete. Die hohe Bedeutung dieses Meisters ist schon oben zugestanden, doch konnte sich die Form erst recht entfalten nach allgemeiner Durchdringung des harmonischen Systems, weil erst dieses den genetischen Zusammenhang zwischen Führer und Gefährten deutlich fühlbar und überhaupt einen aus rein tonlichen Mitteln hergestellten Plan und organischen Zusammenhang eines Instrumentalwerkes möglich machte. Erst dann bildete sich auch die Quinten-Fuge als unbedingt vollkommenste derartige Form aus allen den Canzonen, Capriccios und Fantasien heraus, mit welchen Namen man früher ohne erkennbaren Wesensunterschied alles fugirte zu benennen pflegte. Das Beste, was die späteren katholischen Orgelmeister in der Fuge geleistet haben, ist in ihren Toccaten enthalten. Die siebente Toccate aus Georg Muffats obengenanntem Werke schließt mit einer Fuge, in der nicht weniger als vier höchst anmuthig erfundene Themen sehr gewandt verarbeitet werden, auch in der zweiten, vierten, sechsten Toccate finden sich treffliche Fugen-Partien, die überall verstreuten frei imitirenden Sätze nicht gerechnet. Aber [114] der Abstand von der spätern mitteldeutschen Fugenkunst ist auch sogleich erkennbar. Die harmonische Stütze der Themen ist eine viel einfachere, man kann sie oft nur als Accorde, nicht als Contrapuncte bezeichnen, sie tragen die Motive viel mehr, als daß sie selbständig mit ihnen verkehrten. Wie wir wiederholt sagten, war es zur Entwicklung der Orgelkunst nothwendig, daß man sich vorher ganz im neuen Tonsystem festsetzte, dann aber drängte das Wesen der Orgel zu einer Polyphonie hin, die, wenngleich grundverschieden von der Vocal-Polyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts, dieser doch ähnlich scheinen konnte. Alle Mittel nun, die zur Erreichung dieses Zieles die Orgelmeister aus der Behandlung des protestantischen Chorals gewannen, fehlen jenen südlichen Künstlern, nicht nur die Biegsamkeit der Harmonie, die Geschmeidigkeit und Freiheit der contrapunctirenden Stimmen, sondern auch das sichere, selbstbewußte Auftreten der Themen, die besonders bei Sebastian Bach sich immer vorstellen wie Individuen mit unvergeßlichen Gesichtszügen. Bei Muffat und andern haben sie in ihrem Auftreten etwas ängstliches, wagen sich nicht recht heraus, suchen an dem frühzeitig eintretenden Gefährten eine Stütze, und verlieren sich darum mit ihrem Ende gewöhnlich in die allgemeine Phrase. Auch hängt hiermit zusammen, daß eine bestimmte Stimmenanzahl nicht immer durchgeführt wird, oder die Stimmen oft nur nach harmonischem Bedürfniß einsetzen und pausiren. Pachelbel zeigt nach dieser Seite hin einen ganz bedeutenden Fortschritt, besonders in dem plastischen Heraustretenlassen der Themen wandelt er schon ganz in dem Wege Sebastian Bachs und Händels, die Contrapunctik ist manchmal schon recht belebt, oft freilich auch noch steif und wenigsagend. Folgendes Beispiel kann alles veranschaulichen23


5.

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[115] Pachelbel bildete in Thüringen eine Menge von Schülern, sowohl durch directe Unterweisung als durch indirecte Anregung. Zu ersteren gehörte J.H. Buttstedt (1666–1727), seines Lehrers Nachfolger an der Predigerkirche in Erfurt, und durch den Streit mit Mattheson wegen dessen »neueröffnetem Orchestre« weniger vortheilhaft bekannt, aber ein tüchtiger Meister seines Instruments und bemerkenswerther Componist von Orgelchorälen und auch Fugen24. Ferner Nikolaus Vetter (geb. 1666), der noch 1730 als Organist in Rudolstadt wirkte, und seinem Lehrer ebenfalls Ehre gemacht hat. Weiter standen in mehr oder minder nahem Verhältniß der jung verstorbene Andreas Armstroff (1670–1699), Organist in Erfurt, der magdeburgische Organist Johann Graff (gest. 1709), und von der nachfolgenden Generation wandelten in seinen Bahnen an hervorragenderen Persönlichkeiten Georg Fr. Kauffmann (1679–1735), ein Schüler Buttstedts, der geistvolle hallesche Organist Gottfried Kirchhoff (1685–1746), und vor allem Johann Gottfried Walther in Weimar (1684–1748). Sein Einfluß machte sich nach und nach durch ganz Thüringen und Sachsen fühlbar, und so auch dem Bachschen Geschlechte, das ihm in dem ältesten Bruder Sebastians einen Schüler gestellt hat, vielleicht auch in dem nachmaligen Eisenacher Organisten Bernhard [116] Bach. Im übrigen war es jedoch innerlich zu selbständig, um sich ganz und gar einer von außen gebrachten Richtung hinzugeben, dies war ja eben der Grund, weshalb es später noch ein Höheres und Umfassenderes leisten konnte. Ja bei Johann Christoph Bach, der doch eine Weile mit Pachelbel in Eisenach zusammenlebte, ist auch nicht einmal irgend welcher Einfluß erkennbar, eher dürfte es umgekehrt sein. Aber Michael Bach hat sich Pachelbels Weise zu Nutze gemacht, und es weisen auch einige Anzeichen auf ein persönliches Verhältniß beider Künstler hin.

Die fünf erhaltenen Orgelstücke Michael Bachs also behandeln die Choräle: »Allein Gott in der Höh sei Ehr«, »Wenn mein Stündlein vorhanden ist«, »Nun freut euch, lieben Christen g'mein«25, »In dich hab ich gehoffet, Herr«, und »Dies sind die heilgen zehn Gebot«. Die letzten beiden sind ganz in der oben beschriebenen, Pachelbelsch zu nennenden Weise. Da auch Johann Christoph, und Pachelbel selbst den Choral »In dich hab ich« bearbeitet haben, so kann man an der Vergleichung sehen, wie jener in biegsamer und melodischer Contrapunctirung hinter den beiden andern zurückbleibt. Nur die Anfänge der drei Bearbeitungen mögen hier neben einander stehen:


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5.

[117] Im dritten Stück contrapunctirt Michael Bach die fortlaufende Choralmelodie recht schön und fließend, bemüht sich auch, bestimmte Figuren fest zu halten, und schickt dem Ganzen eine kurze Fugirung der ersten Zeile voran. Die beiden erstgenannten Choräle zeigen keine ganz klar herausgearbeitete Form, sind unsicherer und unvollkommner. Der zweite von ihnen führt die Anfangszeile dreistimmig einmal durch, schließt nach einem kurzen Zwischenspiel die zweite unfugirt an, interludirt wieder zwei Takte und bringt nun den Cantus firmus beider Zeilen im Pedal, aber nicht in verdoppelten Notenwerthen. Darnach folgt die erste Zeile des Abgesanges einmal imitirt, dann die zweite, welcher das Pedal canonisch nachgeht, und ebenso abschließend die dritte. Die erste Zeile des Abgesanges tritt also im Pedal gar nicht auf, das Stück hat keinen Mittelpunkt und keine Ordnung. Wenn man Pachelbels Arbeit über die gleiche Melodie daneben hält, der, wie er es liebt, dem vollen, reich figurirten Chorale eine Choralfuge voran gehen läßt, so scheint es, als habe Michael Bach diese in nicht ganz glücklicher Weise nachgeahmt. Und wenn Pachelbel einmal den Cantus firmus nicht in vergrößerten Noten einführt, so weiß er ihn doch durch andere Mittel, z.B. reichere Figurirung, plastisch [118] hervorzuheben26; auch dies hat Michael Bach unterlassen. »Allein Gott in der Höh« endlich ist derart angelegt, daß immer eine Zeile fugirt auf dem Rückpositiv vorgetragen wird, und darauf diese Zeile, zuweilen mit der folgenden vereint, auf dem Oberwerk in ganz einfachen vierstimmigen Harmonien eintritt. Dies ist aber auch keine centrale Gestaltung, denn was durch kunstmäßige Mittel hervorgebracht werden müßte, soll hier nur durch Klangwechsel erreicht werden, oder wenn durch den einfachen Choralsatz der Gemeindegesang angedeutet werden soll, so ist die Bedeutung eines kirchlichen Vorgangs mißverständlich auf das ideale Kunstgebiet übertragen, wo ganz andre Wertschätzungen herrschen. Mit der bloßen Copirung der Wirklichkeit ist es nicht gethan. Noch bei dem um funfzehn Jahre jüngern Zachau, dem Lehrer Händels, findet sich ähnliches in Bearbeitungen von »Was mein Gott will, das g'scheh allzeit«, »Erbarm dich mein, o Herre Gott«, »Vater unser im Himmelreich«. Michael Bach stand also mit solchen Mißgriffen nicht vereinzelt da.

Wenn soeben die Vermuthung geäußert wurde, als ob Joh. Christoph Bachs eigenthümliche Größe nicht ohne Eindruck auf Pachelbel geblieben wäre, obgleich dieser als Orgelkünstler ja den ältern Meister weit übertraf, so gründet sich dieselbe zunächst auf eine Behandlung des Chorals »Warum betrübst du dich, mein Herz«27, wo Pachelbel mit der erwähnten Arbeit gleichen Gegenstandes, die Joh. Christophs Choralsammlung beschließt, eine kaum zufällige Uebereinstimmung zeigt. Bach umspielt bei der ersten Einführung die sechste und siebente Note der Melodie durch eine punktirte Achtelfigur, an deren Stelle er aber im Verlauf eine chromatische Figur setzt, um das »betrübte« Herz anzudeuten. Eine solche Umspielung findet sich auch sonst bei ihm, wogegen Pachelbel bei fugirten Sätzen die Melodiezeile unverändert zu lassen pflegt. In der genannten Bearbeitung hat er die Umspielung aber ebenfalls, führt sie consequent durch die ganze Choralfuge und verleiht ihr dadurch größere Berechtigung. Noch mehr, auch das chromatische Motiv ist von ihm [119] angewendet, doch nicht im Thema, sondern als Contrasubject; derartige Andeutungen des Liedinhalts in der Choralfuge sind sonst ebenfalls seine Gewohnheit nicht. So nimmt die ganze Arbeit, wie sie zu des Meisters schönsten gehört, auch eine besondere Stellung unter ihren Gattungsverwandten ein28. Gestützt auf dieses Resultat ist nun vielleicht noch eine weitere Vermuthung erlaubt, daß nämlich Pachelbel durch Joh. Christophs Sammlung von Choralpraeludien zu einem ähnlichen Unternehmen angeregt sei. Er hatte, wohl zunächst zum häuslichen Gebrauche, eine Reihe von 160 Choralmelodien mit beziffertem Basse in ein »Tabulaturbuch« zusammengetragen und der Hälfte derselben kurze Choralfugen als Vorspiele beigefügt29. Diese sind nun ganz desselben Charakters, wie die Bachschen Arbeiten: kurz, leicht die Oberfläche streifend und so für den Gesang der Gemeinde passend vorbereitend; nur zeigt sich, wie zu erwarten, ein freieres und flüssigeres Wesen als bei Bach. Und was besonders merkenswerth ist, auch zu dem Liede: »Warum betrübst du dich, mein Herz« findet sich eine Choralfuge, und zwar ebenfalls mit der punktirten Umspielung. Sollte diese Ansicht das Richtige treffen, so ist klar, mit wie wenig Recht man von andrer Seite behaupten konnte, Bach habe selbst in der vocalen Chormusik von Pachelbel gelernt30. Daß dies bei dem 12 Jahre ältern, in sich abgeschlossenen Bach gegenüber dem bildungsempfänglichen, viel gewanderten Pachelbel schon an sich sehr [120] unwahrscheinlich, leuchtet ein. Man braucht aber auch nur eine Motette des letztern durchzusehen, um die factische Unrichtigkeit dieser Behauptung bewiesen zu finden. Zwischen den freundlichen, wohlklingenden Weisen Pachelbels und den gedankenschweren, kühnen Gestaltungen Bachs ist so gut wie gar keine Verwandtschaft. Wenn aber die Ueberlieferung besteht, daß Pachelbel »die Kirchenmusik vollkommener gemacht«31, so bezieht sich das zuverlässig auf seine concerthaften (d.h. mit obligaten Instrumenten gesetzten Vocalstücke, und besonders auf die Verwendung des Chorals darin. Hier konnte ihm die durch seine Orgelcompositionen erworbene Technik treffliche Dienste leisten, und er hat sie in geschickter Weise für den Vocalstil zu benutzen gewußt, auch in dieser Hinsicht der directe Vorgänger Seb. Bachs. Seine Cantate über das Rodigastsche Lied: »Was Gott thut, das ist wohlgethan«, wovon die Melodie wahrscheinlich ihm ebenfalls angehört, ist ein sehr merkenswerthes Beispiel für den Stand der Kirchenmusik um die Wende des 17. Jahrhunderts32. Man irrt sich jedoch, wenn man ihn für alleinstehend hält mit solchen Arbeiten. Wir werden im Verlaufe Cantaten von Buxtehude kennen lernen, die Pachelbel wenigstens an Innigkeit und Geist noch übertreffen. – Uebrigens liefert zu seiner Thätigkeit als kirchlicher Vocal-Componist vielleicht noch die Dur-Melodie zu »Wo soll ich fliehen hin«:


5.

einen Beitrag. In jener Zeit muß sie entstanden sein, sie findet sich in Pachelbels Tabulatur-Buche, ist hier mit einer Choralfuge versehen, und späterhin auch von Joh. Gottfr. Walther mit besonderer Hingebung bearbeitet, was bei dessen großer Verehrung für Pachelbel sehr ins Gewicht fällt. Wäre dieser ihr Schöpfer33, so besäßen wir daran eine Handhabe, um auf ein vertrauteres Verhältniß zwischen ihm und Michael Bach zu schließen, denn Bach [121] hat die damals noch wenig bekannte Weise seiner Motette: »Das Blut Jesu Christi« eingewoben. Es ist gleich noch ein anderer Umstand zu erwähnen, der ein solches Verhältniß ziemlich sicher bezeugt; durch ihn bestärkt sich die Vermuthung, daß die Verwendung in der Motette eine freundschaftliche Aufmerksamkeit sei, und wird zu einem weitern Wahrscheinlichkeitsbeweise für Pachelbels Urheberschaft der Melodie.

Pachelbel hatte bei seiner Vielseitigkeit nicht nur der Orgel und dem Clavier (er soll zuerst die Form der französischen Ouverture auf dieses übertragen haben), sondern auch andern Instrumentalgattungen seine Thätigkeit zugewandt, unter anderm der Sonate. Man muß zwei Arten derselben unterscheiden, die weltliche, bei Tafelmusiken gebräuchliche, und die Kirchen-Sonate. Letztere ging in der Regel einem kirchlichen Vocalstücke voran, ihr eigentlicher Begründer ist Joh. Gabrieli. Natürlich hat die Form mit unserer modernen Sonate nichts gemein. Es war ein vielstimmiges Instrumentalstück, bei dem es hauptsächlich auf Entfaltung voller und schöner Harmonien ankam, weniger auf Durchführung eines bestimmten Themas; gern wurden die damals in der Kirche gebräuchlichen Tonwerkzeuge: Geigen, Zinken, Posaunen, einander chorweise gegenüber gestellt. Abgesehen von dem immer klareren Heraustreten der neuen Tonarten hat sich das Wesen der Kirchen-Sonate durch das ganze 17. Jahrhundert nicht durchgreifend geändert. Allerdings gewann in den letzten Jahrzehnten die Lullysche Ouverturen-Form, welche auf einen breiten, oft mit glänzenden Passagen verzierten Einleitungssatz langsamen Zeitmaßes ein feurig bewegtes Fugato folgen läßt, einigen Einfluß. Denn wenngleich schon Hammerschmidt einen ähnlichen Gegensatz anwendete, lange ehe Lully seine epochemachenden Ouverturen geschrieben hatte34, so ist doch bei späteren Componisten die contrastirende Zweitheilung oft zu absichtsvoll und scharf, als daß man hier die Anwendung eines bewußten Formprincips verkennen könnte35. Aber vielfach [122] begnügt man sich auch jetzt noch mit einem ruhigen, harmonie- und bindungsreichen Satze, und wenn ein lebhafteres Tempo (oft im ungeraden Takte) folgt, so ist es doch keineswegs immer fugirt, sondern zeigt eben so oft nur einige freie Imitationen. In dieser Weise ist die Sonate gestaltet zu Joh. Christoph Bachs Kirchenstück: »Es erhub sich ein Streit im Himmel«, in jener, freilich ohne ein Muster geworden zu sein, die Einleitung zu Michael Bachs oben besprochener Cantate. Und ebenso ist auch jetzt noch die Gegenüberstellung verschiedener Instrumentenchöre beliebt. Nachzuweisen, wie Sebastian Bach sich zur Kirchen-Sonate stellte, wird am passenden Orte unsere interessante Aufgabe sein. Wenn wir lesen, daß Pachelbel zweichörige Sonaten geschrieben habe, so dürfen wir dies seiner Lebensstellung nach wohl von Kirchensonaten verstehen und wissen also, was darunter zu denken ist. Aber auch mit der weltlichen Instrumentalcomposition, nämlich der Serenata, hat er sich befaßt. Abendmusiken jener Zeit wurden entweder mit vocalen und instrumentalen, oder nur mit instrumentalen Mitteln veranstaltet. Daß für letztern Fall eine besondere Kunstform existirte, ist höchst unwahrscheinlich: man spielte eine Reihe von Tänzen und Märschen auf. Von Pachelbel wird aber berichtet, daß er »eine Serenate« componirt habe, und da sie zugleich mit seinen Sonaten erwähnt wird, so mag sie ähnlich angelegt gewesen sein, nur heiterer und belebter. Diese Serenate nun stand in einer sehr nahen Beziehung zu Michael Bach, und wurde ihm selbst vermuthlich bei irgend einer Feierlichkeit gebracht. Denn er revanchirte sich Pachelbel gegenüber bei passender Gelegenheit mit einem ähnlichen Stücke, und beider Meister Werke sollen von solcher Trefflichkeit gewesen sein, daß Buttstedt noch lange nach ihrem Tode darauf verweisen, und sie in ihrer Art über die Lullyschen Ouverturen stellen konnte36. Michael Bachs Thätigkeit [123] als Sonatencomponist ist oben schon berührt, hier kam es vor allem darauf an, das Bestehen eines intimeren Verhältnisses zwischen ihm und Pachelbel möglichst wahrscheinlich zu machen. Da Sebastian Bach durch seine erste Heirath aufs engste mit Michaels Hause verknüpft wurde, in welchem auch nach seinem Tode die Erinnerung an den Freund fortleben mußte, und dessen Compositionen gewiß besonders hochgeschätzt und vielleicht in reichlicherer Fülle bewahrt wurden, so ist es von weitertragender Bedeutung.

Weder von den gerühmten Sonaten noch den Clavier-Compositionen Michael Bachs ist mir irgend etwas zu Gesicht gekommen. Von Joh. Christoph Bach liegen drei Variationenwerke für Clavier vor, und zu dem Eisenacher Meister, von dem wir ausgingen, zurückkehrend, wollen wir die Darstellung der musikalischen Thätigkeit des Brüderpaars beschließen. Das Clavier spielte lange Zeit der Orgel gegenüber eine untergeordnete Rolle, mit der es, besonders als Clavicembalo, in der Biegungsunfähigkeit des Tones und der Anwendung verschiedener Tastaturen ziemlich verwandt war. Aber der schnell verhallende Klang brachte doch auch das Cembalo wieder in Gegensatz zu der Orgel, und beim Clavichord war ein solcher in der Nuancirungsfähigkeit des wenngleich schwachen Tones noch stärker gegeben. Während nun in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Orgel- und Claviermäßiges nicht geschieden wurde, und – ich denke an Scheidts Tabulatura nova – man der Orgel oft Dinge zumuthete, die sie nicht zu leisten brauchte, so bildete sich in der zweiten Hälfte desselben ein besonderer, vorzüglich auf die Eigenschaften des Cembalo gegründeter Clavierstil aus. Sein Wesen beruht auf einer gesteigerten Beweglichkeit der Tonreihen, wodurch die mangelnde Tonausdauer verhüllt und, so gut es ging, ersetzt werden mußte. Für einen solchen Stil war die figurirende, von Scheidt schon angebaute Variation eine sehr geeignete Form. Ein Tonsatz von einfacher Construction mit klar hervortretender, behältlicher Melodie, eine Arie, Sarabande, ein Choral wurde als Thema aufgestellt und durch Figurationen der rechten Hand so umspielt, daß die Spitzen der Melodie gestreift wurden, oder melodisch leicht umgebildet, [124] daß die wesentlichen Züge immer erkennbar blieben. Abwechslungsweise trat dann auch eine laufende Figur in der linken Hand ein, und oben wurde das einfache Thema vorgetragen. Dabei verließ man die rhythmischen Grundverhältnisse des Themas nicht; war es zweitheilig, so mußten dies auch die Variationen sein, und enthielt jeder Theil acht Takte, so fanden sich diese auch in den Veränderungen wieder. Choräle wurden besonders gern hierzu benutzt, und so mußten die damals Lebenden wohl noch manchmal das leichtfertige Figurenwerk auch auf der Orgel hören. Buxtehude machte sogar aus dem schön-ernsten Choral: »Auf meinen lieben Gott« durch Variationen eine ganze Suite zurecht, mit Sarabande, Courante und Gigue, wo die Melodie sehr geschickt fest gehalten ist trotz der verschiedenen Taktarten und des wechselnden Charakters der Tanztypen37. Solche Arbeiten wurden sicher ohne alle Frivolität nur aus Freude am Tonspiel unternommen. Eine reiche Erfindungskraft in dieser Gattung bewies vor allen Georg Böhm an der Johanniskirche in Lüneburg, ein jüngerer Zeitgenosse Joh. Christoph Bachs, und gleichfalls Thüringer, der auch, wie wir sehen werden, Sebastian Bach in diese Kunst einführte. Auch von Buttstedt, selbst von Pachelbel liegen derartige Arbeiten vor38, ab und an stahl sich aus dem benachbarten Orgelgebiete eine künstlichere und tiefsinnigere Combination hinüber. Die Benennungen waren Veränderung, Variation, Partie, Partita, bei Chorälen auch wohl nur Vers, indem man es liebte, soviel Variationen zu machen, als das Lied Verse hatte, aber ohne erkennbare Rücksicht auf den jedesmaligen Text. Diese leichtbeschwingten, oft höchst anmuthigen Gebilde hatten für die Kunstentwicklung den höheren Zweck, daß sie einmal der Ausbildung der Fingergeläufigkeit dienten, und dann in einer Fülle von Figurationen und geschmeidigen Wendungen ein Material beschafften, dessen sich eine spätere Generation zur Erreichung der höchsten Ziele der Claviermusik bedienen konnte. Einer erheblichen Vertiefung war diese Variationenform nicht fähig, deshalb ging Seb. [125] Bach in seinen Goldbergschen Variationen auch davon ab zu einer frei-motivischen Behandlung des Themas, und Beethoven, Schumann, Brahms wurden darin seine Nachfolger; die bloße Figural-Variation hat daneben freilich üppig fortgewuchert bis in die neuere und neuste Zeit.

Joh. Christoph Bachs zwölf Variationen über eine Sarabande aus G dur39 sind Bildchen voll von Geist und Grazie. Die Sarabande besteht aus drei sämmtlich zu repetirenden Theilen, der erste zählt acht Takte, die beiden letzten zählen je vier; diese echoartige Wiederholung zwei so kurzer Perioden führt auf die Vermuthung, daß der Componist für ein Cembalo von zwei Clavieren geschrieben hat, auf denen die Theilchen abwechselnd gespielt wurden. Es fehlt nicht an feinem harmonischen Gewürz, gleich daß das Thema mit dem Sextaccorde anfängt (nur so kann man die Harmonie verstehen, obgleich das kennzeichnende E nachschlägt), ist eine Chr. Bachsche Kühnheit. In der Schluß-Variation kommt gar diese Accordfolge vor:


5.

Die erste Variation hat eine umspielende Achtelfigur in der rechten Hand, die zweite einen schön fließen den Achtel-Bass, die dritte giebt durch eine anmuthige kleine Umbildung der Melodie einen neuen Charakter, in der vierten wechselt die Achtelbewegung Takt um Takt in beiden Händen ab, von der fünften an treten Sechzehntel auf, dazwischen sind aber als Contrast auch wieder ruhige Variationen gestreut, so z.B. die sechste, welche in ihrer überschwänglichen chromatischen Harmonik einen Buxtehude verwandten Zug hat, die elfte Variation hat wieder Achtel, die letzte schließt ganz ruhig im breiten 3/2 Takt. Sebastian Bach scheint das Werkchen gekannt und geliebt zu haben, in seinen A moll-Variationen [126] findet sich manches ähnlich gedachte, und der Anfang der dritten Goldbergschen Variation40 scheint eine Weiterbildung von J. Chr. Bachs vierter zu sein:


5.

Da nun in ziemlich erkennbarer Weise die herrliche vierte Variation in Beethovens Claviersonate Op. 109 in Sebastian Bachs Composition ihre Wurzel hat, so ließe sich damit der indirecte Einfluß Joh. Christophs bis auf die moderne Zeit darthun. Beethoven verehrte sehr Sebastian Bachs Clavierwerke, und eine solche Weiterbildung hat nichts ungewöhnliches. Reminiscenzen an ihn stoßen besonders in den früheren Claviersonaten häufiger auf.

Ueber eine Arie des damaligen Capellmeisters zu Eisenach, Daniel Eberlin, die etwas wie ein Schlummerlied zu sein scheint und in Es dur steht, sind funfzehn Variationen vorhanden. Manche derselben, welche die Melodie wie einen Cantus firmus bald ruhiger bald bewegter contrapunctiren, haben etwas orgelmäßiges; sehr hübsch macht sich die Melodie in der elften Variation als Tenor, und die neunte bildet ein Seitenstück zur sechsten der vorigen Reihe, aber die Anwendung der Chromatik ist noch verwegener und giebt der Harmonie einen seltsam berauschenden, an modernste Erzeugnisse von Schubert und Schumann erinnernden Ausdruck. [127] Es wäre darauf zu wetten: Niemand würde bei sonstiger Unbekanntschaft mit der Instrumentalmusik des 17. Jahrhunderts heutzutage ahnen, daß diese Variationen im Jahre 1690 componirt sind; eher könnte wegen ihrer weichen Süßigkeit auf Mozart gerathen werden, der ja auch mit wunderbarer Ausdruckskraft chromatische Wendungen und Motive zu gebrauchen wußte. Was die Figuration betrifft, so zeigt sie sich nicht sehr mannigfaltig, wenngleich durchweg anmuthig, auch die Gruppirung der Variationen ist ziemlich dieselbe, wie die des ersten Cyklus. Daß nach dieser Seite hin Joh. Chr. Bachs Talent nicht gravitirte, bestätigt ebenso das dritte Werkchen: funfzehn Variationen über eine zweimal viertaktige Arie in A moll, welches alle liebenswürdigen Eigenschaften der andern beiden theilt, ohne uns jedoch etwas wesentlich neues zu lehren. In einigen Variationen überwiegt wieder der Orgelcharakter: in der siebenten, wo zwischen den ruhigen Viertelgang der übrigen Stimmen in den Tenor ein schöner Sechzehntelstrom gegossen ist, in der achten, wo dasselbe für den Alt geschieht, in der zwölften, welche den Cantus firmus in den Bass verweist. Die Contrapunctirung ist meisterlich und läßt den Verlust wirklicher bedeutender Orgelcompositionen desto mehr beklagen. Uebrigens sind hier die Anklänge an Sebastian Bachs A moll-Variationen noch viel auffälliger und werden schwerlich vom Ungefähr herstammen41.

Daß Joh. Chr. Bach die Gattung noch weiter gepflegt hat, ist anzunehmen, kann aber auch bewiesen werden. Gerber besaß ein Heftchen, enthaltend eine Arie in B dur mit Variationen, in der vierten war der Abschreiber stecken geblieben, das Heft aber wohl auf zwanzig berechnet42. Das ist nun alles verloren gegangen, aber die Arie läßt sich aus andrer Quelle wieder beibringen. Sie ist in dem »Geistreichen Gesangbuche«, das 1698 zu Darmstadt erschien, dem Liede Neanders »Komm; o komm, du Geist des Lebens« beigefügt und von dort in das Freylinghausensche Gesangbuch übergegangen. [128] Später gebrauchte man sie auch zu dem Liede der Gräfin Ludämilia Elisabeth »Jesus, Jesus, nichts als Jesus«. Da unbekannt ist, zu welchem, vermuthlich weltlichen Liede sie ursprünglich gehörte, läßt sich über den Werth dieser einfachen Tonreihen kein abschließendes Urtheil fällen. Als Choral-Melodie ist sie nicht besser und schlechter, als die meisten jener Zeit. Daß sie aber Joh. Christophs eigne Erfindung sei, dürfte kaum bezweifelt werden, da doch sonst, wie bei der Es dur-Arie, etwas über ihren Ursprung bemerkt sein würde.

Hiermit ist alles gesagt, was über die beiden reich begabten Söhne Heinrich Bachs zu melden war. Die Fülle ihrer Werke, dieser Spiegel, welcher hell und treu ihre volle Persönlichkeit zurückwerfen könnte, ist zersplittert, aus vereinzelten Scherben mußten die Hauptzüge hervorgelesen und, so gut es angehen wollte, zu einem Bilde zusammengedacht werden. Sollte dies nicht geglückt sein, so ist doch wenigstens das wohl klar geworden, daß sie verdienen, als künstlerische Persönlichkeiten bei der Nachwelt fortzuleben; sollte es aber, dann wäre dies ein erheblicher Gewinn für das Verständniß ihrer Zeit, wie auch der Kunst Sebastian Bachs, ihres jüngern und größeren Geschlechtsgenossen. Es ist noch übrig, sich nach ihren Nachkommen umzuschauen.

Fußnoten

1 Beispiele sind die Fantasia über: »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ« (Th. I, fol. 239), der erste Vers von: Veni redemptor gentium (Th. III, fol. 119), der erste Vers von: Veni creator spiritus (Th. III, fol. 179). Das letzte Stück ist auch mitgetheilt von Winterfeld, Evang. K. II, Notenbeil. Nr. 214.


2 Adlung, Anl. zur mus. Gel., S. 184, Anm. m.


3 Veröffentlicht von G.W. Körner im »Orgel-Virtuos« Nr. 45.


4 Liegen mir in Walthers Handschrift vor. Vergl. Körners »Orgel-Virtuos« Nr. 65.


5 Auch dieses Stück existirt in Walthers Handschrift.


6 Er spricht über ihn N.L. I, Sp. 208 und 209.


7 Ein etwa um 1700 gefertigtes Manuscript in klein Querquart, in meinem Besitz befindlich. Titel: »CHORAELE | welche | bey wärenden Gottes Dienst zum Praeambuliren | gebrauchet werden können | gesetzet | und | herausgegeben | von | Johann Christoph Bachen | Organ: in Eisenach. |« Unten rechts steht der jetzt unleserliche Name des Schreibers und Besitzers. Bachs Choräle bilden nur den Anfang des Buches, dann folgt von derselben Hand geschrieben noch eine Reihe andrer Choralstücke. Später hat das Buch öfter seinen Herrn gewechselt, deren jeder die Menge der noch leer gebliebenen Seiten zu füllen sich nach Kräften befliß. – Walthers Behauptung, es wäre nichts von Joh. Chr. Bach gedruckt worden (Lexic., S. 64), ist also, nach jenem Titel zu schließen, unrichtig.


8 Die Bemerkung in der »Musikalischen Bibliothek« IV, 1, S. 159, daß er nie mit weniger als fünf realen Stimmen gespielt haben soll, ist aber eine jener mythischen Vergrößerungen. Von sämmtlichen 44 Choralstücken, die er doch auch selbst gespielt haben wird, ist nicht ein einziges fünfstimmig.


9 Eins dieser Stücke, was aber nicht zu den charakteristischsten gehört, ist veröffentlicht in G.W. Körners Praeludien-Buch, Bd. II, Nr. 2; eine Choralfuge über »Wir glauben all an einen Gott« bei Ritter, Kunst des Orgelspiels, Th. III, S. 3.


10 Koch, Geschichte des Kirchenlieds I, 3, S. 355 (3. Aufl.).


11 S. Beilage 1.


12 Lexicon, S. 64.


13 Adlung, Anleit. zur mus. Gel., S. 690.


14 Mattheson hat sich (Ehrenpforte, S. 244–249) um die Feststellung der Lebensumstände Pachelbels, die durch Walthers Lexicon in arge Verwirrung gerathen waren, ein bedeutendes Verdienst erworben. Der Aufenthalt in Eisenach wird aber auch hier fälschlich auf 3 Jahre angegeben, während er genau 1 Jahr und 14 Tage währte, wie die Jahres-Rechnungen der fürstlichen Rent-Kammer zu Eisenach (jetzt im weimarischen Archiv) darthun. Pachelbel war zuerst mit einem Jahresgehalt von 40 Thlr., vom 1. Jan. 1678 mit 60 Thlr. jährlich angestellt.


15 »Organisch-Instrumentalischer Kunst-, Zier- und Lustgarten.« Augsburg, 1693. Theilweise wieder herausgegeben durch Fr. Commer: Compositionen für die Orgel aus dem 16., 17., 18. Jahrhundert, Heft V und VI. Leipzig, Geissler.


16 B.-G. XV, S. 154. Die beiden letzten Pachelbelschen Werke sind herausgegeben von Franz Commer, Musica sacra Bd. I, Nr. 136 und 128 (Berlin, Bote und Bock, früher M. Westphal). Die Nr. 48–144 dieser Sammlung sind sämmtlich von Pachelbel, die von Commer benutzten Vorlagen sind theils gestochen, theils geschrieben auf der Bibliothek des königl. Instituts für Kirchen-Musik in Berlin. Einiges andre ist noch von G.W. Körner in Erfurt herausgegeben im 340. Hefte des »Orgel-Virtuosen«, und im 1. Heft der Gesammtausgabe von Pachelbels Orgelcompositionen (nicht mehr erschienen). Mir liegt außerdem noch ein sehr reiches handschriftliches Material vor.


17 Fr. Commer, a.a.O. Nr. 48–55.


18 Dies berichtet J.H. Buttstedt in seiner Schrift: »Ut, Re, Mi etc. tota musica et harmonia aeterna« u.s.w. Erfurt (1716), S. 58.


19 Commer, Nr. 50.


20 Commer, Nr. 122, 143, 144.


21 Körner, Pachelbels Orgel-Compositionen, Heft I, Nr. 1.


22 Eine solche bei Commer, Nr. 53, bei Körner, a.a.O. Nr. 5.


23 Die ganze Fuge findet man bei Commer Nr. 124. Daselbst auch noch eine Anzahl anderer.


24 Seine veröffentlichten Vocalcompositionen, welche Walther anführt, habe ich in Erfurt vergeblich gesucht. Es wäre der Mühe werth, wenn sie wieder ans Licht kämen.


25 Die Bekanntschaft mit diesem verdanke ich Herrn Musikdirector Ritter in Magdeburg; es steht im Mannheimer Orgel-Journal I, Heft 7, und stammt von Ch. H. Rinck, dem Schüler Kittels, her.


26 Man vergleiche z.B. Nr. 134 bei Commer.


27 Herausgegeben von Körner, Orgel-Virtuos, Nr. 340. Es giebt noch eine andre, ebenfalls sehr schöne Bearbeitung von ihm mit C. f. im Bass, die aber, soviel ich weiß, noch nicht veröffentlicht ist.


28 Auf Pachelbel fußend hat dann Walther die Melodie behandelt mit reichlicher Chromatik in rechter und Gegen-Bewegung und mit colorirtem C.f.


29 »TabulaturBuch | Geistlicher Gesänge | D. Martini Lutheri | und anderer Gottseliger Männer | Sambt beygefügten Choral Fugen | durchs gantze Jahr | Allen Liebhabern des Claviers componiret | von | Johann Pachelbeln, Organisten zu | S. Sebald in Nürnberg | 1704. |« Manuscript in Querquart auf der großherzogl. Bibliothek zu Weimar, aber nicht Pachelbels Autograph. Für das Werk interessirte sich Goethe und schickte es am 27. März 1824 an Zelter, der es nach acht Tagen mit einer für ihn selbst wie für das Buch charakteristischen Beurtheilung zurücksandte (Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, III, 423 bis 426). Erschöpfend hat es Winterfeld beschrieben (Ev. K. II, 636–642), der auch fünf Choralfugen daraus mittheilt. Die zu den Melodien: »In dich hab ich gehoffet, Herr« (fol. 84 b) und »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort« (fol. 130 b) gesetzten sind aber nur abgekürzte größere Choralarbeiten.


30 Winterfeld, Ev. Kircheng. III, 429.


31 Walther, Lexicon, S. 458. Mattheson, Ehrenpforte, S. 247.


32 Theilweise mitgetheilt von Winterfeld, a.a.O. II, Musikbeilage, S. 196–200.


33 Was auch Winterfeld a.a.O. II, S. 639 schon vermuthet hat.


34 S. die Instrumentaleinleitung zu dem Dialogus: »Wer wälzet uns den Stein von des Grabes Thür« im 4. Thl. musikalischer Andachten Nr. 7.


35 Ich nenne hier außer Buxtehude, von dem später die Rede sein wird, Philipp Heinrich Erlebach (1657–1714), Capellmeister in Rudolstadt, und dessen: »Gott geheiligte Singstunde« (Rudolstadt, 1704), enthaltend zwölf Kirchenmusikstücke mit einleitenden Sinfonien. Ihm wurde auch ausdrücklich eine bedeutende Meisterschaft in Behandlung der französischen Ouverture nachgerühmt, s. Buttstedt an der Stelle der folg. Anm.


36 J.H. Buttstedt in der angeführten Schrift, S. 87 und 88, sagt: » – – zu meines seel. Lehrmeisters Herr Pachelbels, 2. Chörichten Sonaten, in specie dessen Serenate, Johann Michel Bachs Revange und dergleichen, wird vielmehr Kunst erfordert« (nämlich als zu den Ouverturen). Es scheint also, daß Bach sein Stück »Revange« (Revanche) genannt habe, worin zugleich äußere Veranlassung und Zweck desselben angedeutet ist. Ueber Thüringen hinaus ist es schwerlich bekannt geworden, zu unserm Schaden, denn sonst hätte es sich vielleicht eher erhalten. Mattheson, der doch eine ziemliche Literaturkenntniß besaß, wußte nichts davon, s. dessen »beschütztes Orchestre«, S. 221.


37 Mattheson ist also im Unrecht, wenn er (Vollkommener Capellmeister, S. 161) sich die Erfindung zuschreibt, durch rhythmische Veränderung aus Choralmelodien allerhand Tänze zu machen.


38 Pachelbel gab 1699 in Nürnberg ein Werk heraus,Hexachordum Apollinis genannt, welches sechs Arien mit Variationen enthält.


39 Handschriftlich auf der königl. Bibliothek zu Berlin.


40 B.-G. III, 266.


41 Von dem zweiten und dritten Variationenwerke besitze ich die Autographe. Vor dem Thema des zweiten steht: »Aria Eberliniana | pro dormente Ca- |millo, | Variata â Joh \ Christoph Bach, org: | Mens. Mart. 5.. 1690. |« Das dritte trägt nur rechts oben den Namenszug: » J : C : B.« Beide Autographe sind in Kleinquart und sehr sauber geschrieben.


42 Gerber, N.L. I, Sp. 209.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1873.
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