V.

Kuhnau hatte während der ganzen Zeit seines Thomas-Cantorats mit der Oper und den Operisten in einem ungleichen und für ihn durchaus erfolglosen Kampfe gelegen. Aus allen seinen Klagen tönt der Grundgedanke hervor, daß wenn er nur ein ausreichendes Personal zur Bestellung der Kirchenmusik zur Verfügung hätte, es ihm schon gelingen werde, die verderblichen theatralischen Tendenzen zu vernichten und einem ernsteren musikalischen Sinn in Leipzig zum Siege zu verhelfen. Er irrte sich; daß sein Einfluß auf das öffentliche Musikwesen ein immer schwächerer wurde, lag nur zum Theil in den äußern Verhältnissen, zu einem eben so großen Theile trugen sein Charakter und die Art seiner musikalischen Begabung die Schuld. In Zeiten, da Altes und Neues mit einander kämpfen, kann nur derjenige ein erfolgreicher Führer werden, der beides versteht und in seiner Berechtigung anerkennt. Die in den Opernformen nach Ausdruck ringende Potenz war Kuhnau unverständlich und seinem innern Wesen fremd. Einige Male hatte er es versucht, auch auf dem Gebiete der theatralischen Musik als Componist aufzutreten.[162] In früheren Jahren hatte er sich einen Operntext »Orpheus« aus dem Französischen selbst übertragen und in Musik gesetzt; mit welchem Erfolg ist nicht bekannt1. Aber mit einer andern Oper, deren Composition in die letzte Zeit seines Lebens fallen muß, machte er entschiedenes Fiasco2. Es war eine Schwäche seiner Natur nicht einzusehen, daß auch der Vielseitigste doch nicht alles könne; er hätte es sich sonst wohl erspart, durch die That den Beweis zu liefern, daß seine Abneigung gegen die Oper von dorther erwiedert werde. Kuhnau ist ein Meister der Claviermusik gewesen; auch in der kirchlichen Composition hielten ihn viele für einen solchen. Und es ist keine Frage, daß er hier Eigenschaften zeigt, welche ihn über seine Zeitgenossen erheben. Der Technik des vocalen Satzes war er in höherem Grade mächtig als mancher andre deutsche Componist von damals. Seine fünfstimmige Gründonnerstags-Motette Tristis est anima mea usque ad mortem3 kann man unter die hervorragenderen derartigen Arbeiten zählen; wenn sie gleich, auch nur auf die technische Seite angesehen, den Motetten Joh. Christoph und Johann Ludwig Bachs durchaus nicht ebenbürtig ist, so hat sie doch einen breitathmigen Zug, welcher das Studium classischer italiänischer Muster verräth. Eine Kammercantate Spirate clementes, o zephyri amici4 beweist es gleichfalls, daß Kuhnau von der Kunst der Italiäner zu lernen suchte. Kirchen-Cantaten liegen siebenzehn vor aus den verschiedenen Perioden seines Lebens5. Scheibe, welcher ihn, Keiser, Telemann und Händel als die größten deutschen Componisten [163] des Jahrhunderts hinstellt, sagt: Kuhnau »ist hie und da von dem Strome der harmonischen Setzer hingerissen worden; daher ist er sehr oft matt, ohne gehörige poetische Auszierungen und ohne verblümte Ausdrückungen und folglich hin und wieder zu prosaisch. Daß er aber dieses auch selbst eingesehen, und zuweilen überaus sinnreich und poetisch zu setzen gewußt hat, zeigen seine Claviersachen und seine letzten Kirchenarbeiten, vornehmlich aber sein Passionsoratorium, das er wenig Jahre vor seinem Tode verfertigte. Wir sehen auch aus diesen Werken, wie deutlich er den Nutzen und die Nothwendigkeit des Rhythmus erkannt hat. Daher ist es auch gekommen, daß er beständig bemühet gewesen, alle seine Kirchensachen melodisch einzurichten und dieselben fließend und sehr oft recht rührend zu machen, ob es ihm schon mit theatralischer Arbeit niemals geglücket hat«6. Diese Worte bezeugen, was sich überdies aus den Werken selbst ergiebt, daß Kuhnau mit der Zeit auch in seiner Kirchenmusik sich dem herrschenden Opernstil anzunähern suchte. Wenn ihn der Strom der »harmonischen Setzer« bisweilen hingerissen haben soll, so hat dieses Urtheil weniger die positive Bedeutung, daß Kuhnau sich in eine polyphone Setzart allzusehr vertieft habe, als die negative, daß er auf melodische Eindringlichkeit und wechselvolle Rhythmik nicht immer bedacht gewesen sei. In seinen älteren Werken, z.B. einer noch aus dem 17. Jahrhundert stammenden Cantate »Christ lag in Todesbanden« steht er durchaus auf dem Gebiete jener sogenannten älteren Kirchencantate, zu der uns früher Buxtehude die erläuternden Beispiele lieferte. Im Grunde ist er auch in späteren Jahren über dieses Gebiet nicht hinausgekommen; wenn er sich auch dem Opernstil in manchen Dingen anbequemte, Neumeistersche, oder in Neumeisters Form gedichtete Texte componirte7, es blieb eben doch ein äußerliches Compromiss. Ganz deutlich erkennt man dieses aus den Recitativen. Auch Bachs Recitative haben etwas stark melodisches, aber dieses ist auf Grundlage [164] des dramatischen Recitativs seiner Zeit neu von ihm geschaffen. Kuhnaus Recitativ ist immer noch das Arioso der älteren Kirchencantate, ausgestattet mit einigen neurecitativischen Wendungen. In der dreitheiligen Arienform hat er einige gelungene Exemplare hingestellt, namentlich ist ein Duett zwischen Alt und Bass in der Himmelfahrts-Cantate »Ihr Himmel jubilirt von oben«, das auch einen sehr flüssigen, geistreich entwickelten polyphonen Satz aufweist, ein Musterstück zu nennen. Weit heimischer aber fühlt sich Kuhnau doch in der alten einfachen Form der geistlichen Arie mit ihren freundlichen aber kurzathmigen Melodiegestalten, und den steifen, ehrenfesten Ritornellen. Von den Chören läßt sich nur sagen, daß sie hier und da Ansätze zu breiteren und kunstvolleren Entwicklungen zeigen, gewöhnlich aber in der landläufigen Weise: alternirend zwischen homophonen Vocalsätzen und bedeutungslosen Zwischenspielen oder zwischen Solostückchen und Tuttisätzen sich abhaspeln. Auch bei den Choralgebilden kann man fast nur von Entwicklungsansätzen sprechen. Eine freie Bewegung der contrapunctirenden Stimmen fehlt noch sehr, man muß sich, wie im Schlußchor der Cantate »Christ lag in Todesbanden« oder am Anfang der Cantate »Wie schön leucht't uns der Morgenstern«, mit einigen kümmerlichen Imitationen begnügen. Soll das Orchester zum Choral figuriren, so bleibt es doch weit entfernt von der Ausführung eines selbständigen Tonbildes; in der Weihnachtscantate »Vom Himmel hoch« singt der Chor diesen Choral im einfachsten homophonen Satze und die Instrumente unterstützen ihn, nur die erste und zweite Violine bringen auf- und absteigende Sechzehntel-Passagen hinzu ganz in der Weise, wie der Schlußchor von Bachs frühem Werke »Uns ist ein Kind geboren« gehalten ist. Ähnlich, nur noch mit Hinzuziehung des Basses, ist der Choral »Gelobet seist du, Jesu Christ« in der Cantate »Nicht nur allein am frühen Morgen« behandelt. Fließend und gewandt geschrieben ist alles, dabei freundlich im Ausdruck, anmuthigen, selbst rührenden Zügen begegnet man oft; aber Tiefe der Empfindung und Größe der Gestaltung fehlt gänzlich. Kuhnau blieb deshalb im Kreise der älteren Kirchen-Cantate stehen, weil er nichts zu sagen hatte, was er nicht vollständig in den Formen derselben zum Ausdruck bringen konnte, dies gilt auch von den einleitenden Instrumentalsymphonien, so bedeutend er sonst grade in der selbständigen [165] Instrumentalmusik war. Seine zur Charwoche 1721 componirte Marcuspassion, welche Scheibe besonders rühmt, ist nur als Skizze erhalten8. Aus derselben läßt sich aber so viel doch ersehen, daß die gewinnenden Eigenschaften der Kuhnauschen Kirchenmusik auch hier vorhanden sind und vielleicht in erhöhtem Grade, daß auch in ihr der Componist bestrebt gewesen ist, sich der eindringlicheren Weise des Operngesanges anzunähern »durch poetische Auszierungen und verblümte Ausdrückungen«, d.h. durch Erfindung von Wendungen und Tonreihen, welche einen gewissen poetischen Begriff mit ihren Mitteln wiederspiegeln. Indessen sein innerstes Wesen ist auch hier dasselbe geblieben. Kuhnau verstand die Welt nicht mehr und sie ihn nicht; es war Zeit, daß sie von einander Abschied nahmen.

Ganz anders war die Stellung, in welcher sich Bach gegenüber der theatralischen Musik befand. Er hatte alle ihre Formen gründlich in sich verarbeitet und für seine Kunst ausgenutzt. So grundverschieden von der Opernmusik seine Compositionen auch erscheinen mögen, er stand jener keineswegs ohne einen andauernden inneren Antheil gegenüber, er hielt es vielmehr für eine berechtigte Forderung der Zeit, daß auch im Kirchenmusikstile auf sie Rücksicht genommen werde. Der Zustand der Musik, das erklärte er in seinem Memorial über die Verbesserung der Kirchenmusik dem Rathe ganz offen, sei jetzt ein andrer als in früherer Zeit, die Kunst habe bedeutende Fortschritte gemacht, der Geschmack sich auffallend geändert, und die ehemalige Art der Musik, wie sie noch Kuhnau componirte, wolle den Ohren der Zeitgenossen nicht mehr klingen. Das Interesse, welches er beispielsweise an den Dresdener Opernvorstellungen nahm, ist erwiesen, und eine Anzahl in dramatischer Form gehaltene weltliche Compositionen von ihm liegen vor. Eine wirkliche Oper hat er, soviel wir wissen, nicht geschrieben. Denn, mochte er auch vielleicht nicht in Gottscheds Urtheil einstimmen, der zu jener Zeit von Leipzig aus erklärte, die Oper sei das ungereimteste [166] Werk, das der menschliche Verstand jemals erfunden9, so begreift es sich doch, daß der gleißende Schein dieser nur der flüchtigen Unterhaltung dienenden Kunstgattung seiner ernsten, echten und tiefen Künstlernatur zuwider sein mußte. Wenn er einmal Lust bekam nach Dresden zu gehen, pflegte er zu seinem Lieblingssohne zu sagen: Friedemann, wollen wir nicht die schönen Dresdener Liederchen einmal wieder hören?10 Ist der Wortlaut der Äußerung genau überliefert, so charakterisirt sie Bachs Stellung zur Oper in treffender Kürze. Scheibe sagt gelegentlich: »Es giebt einige große Geister, die sogar das Wort ›Lied‹ für schimpflich halten; die wenn sie von einem musikalischen Stücke reden wollen, das nicht nach ihrer Art schwülstig und verworren gesetzet ist, solches nach ihrer Sprache ›ein Lied‹ nennen11«. Da ein schwülstiges und verworrenes Wesen grade dasjenige war, was Scheibe an Bach tadelte12, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß mit den angeführten Worten auf Bach gezielt wird. Die einfach construirten Formen der Operngesänge däuchten ihn für die Verwirklichung seines Kunstideales allerdings unzulänglich, und in diesem Sinne mag er wohl manchmal geringschätzig über sie gesprochen haben. Aber wenn ein Hasse sich ihrer bediente und eine Faustina sie dem Hörer vermittelte, konnte er sie dennoch »schön« finden, und er wußte eben so gut wie sein strenger Kritiker, daß ohne die Opernmusik er nicht geworden wäre, was er war13. Nicht im Gegensatze zu ihr, sondern nur mit und auf ihr läßt sich Bachs kunstgeschichtliche Stellung vollständig begreifen. Zu einem lebensfähigen musikalischen Drama konnte sich die Oper damals in Deutschland und überhaupt unter der Hand eines Deutschen noch nicht gestalten. In freieren, breiteren Verhältnissen, wie sie England bot, wurde sie durch Händel zum Oratorium, in Deutschland entwickelte sie sich zur Bachschen [167] Kirchenmusik. Dort erreichte sie ihr Ziel durch Verbindung mit den Formen der italiänischen kirchlichen Tonkunst, hier durch eine gründliche Läuterung, welche sie auf Grund der nationalen Orgelkunst erfuhr. Ganz deutlich lassen auch die Schicksale der deutschen Oper diesen Entwicklungszug erkennen. Nachdem sie um 1700 zu einer bedeutenden musikalischen Macht angewachsen war, sank sie bald rasch von ihrer Höhe herunter und hört in den dreißiger Jahren so gut wie ganz auf, um sich erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts durch einen hauptsächlich aus Frankreich kommenden Anstoß in dem Hiller-Weißeschen Singspiele wieder zu erneuern. In Leipzig selbst war es schon 1729 mit der deutschen Oper völlig vorbei. Was an ihre Stelle trat, war eben Bachs Musik. In dieser war enthalten, was Kuhnau zu erreichen vergeblich getrachtet hatte: der Geist der Zeit, soweit er in den Opernformen einen entsprechenden musikalischen Ausdruck fand, und zugleich wirklich kirchlicher Stil. Ob Bach bewußterweise und unmittelbar etwas gethan hat, was der Leipziger Oper das Lebenslicht ausblies, weiß man nicht. Daß aber seine Kunstrichtung sehr bald dort die herrschende wurde, kann unter den obwaltenden Verhältnissen nicht bezweifelt werden. Es wird allgemein als Thatsache hingenommen und verbreitet, daß Bachs Kirchenmusiken unverstanden verklungen seien und seiner großartigen compositorischen Thätigkeit überhaupt der angemessene Erfolg gefehlt habe. Ich glaube, man legt hierbei auf gewisse abfällige Äußerungen, einzelne unverständige obrigkeitliche Maßnahmen und die zum Theil ungenügenden Mittel, mit welchen Bach sich behelfen mußte, ein zu großes Gewicht14. In Bezug auf den letzten Punkt darf man wohl fragen, ob denn Händel mit seinen Oratorien, Beethoven mit seinen Symphonien immer so viel besser daran gewesen sind, und ob ein eminentes Genie nicht im Stande sein soll, [168] auch mit geringen Kräften außerordentliches zu leisten? Das hohe Ansehen, in welchem Bachs Name und Musik das ganze Jahrhundert hindurch in Leipzig verblieb, der gewaltige Einfluß, den er auf die Musik Mittel- und Norddeutschlands gewann, die Verbreitung selbst mancher seiner kirchlichen Vocalcompositionen in Sachsen und Thüringen, dürften ebenfalls den Schluß berechtigt erscheinen lassen, daß sein Wirken in Leipzig ein tief eingreifendes gewesen ist.

Ein Cantaten-Dichter von Bedeutung war bisher in Leipzig nicht hervorgetreten. Im Jahre 1716 hatte hier Gottfried Tilgner fünf Jahrgänge Neumeisterscher Dichtungen mit Genehmigung des Verfassers zusammengestellt und unter dem Titel »Fünffache Kirchenandachten« herausgegeben15. Während bis dahin sich diese Poesien mehr nur unter der Hand verbreitet hatten, wurden sie jetzt in den weitesten Kreisen zugänglich und so viel gekauft, daß schon im folgenden Jahre eine neue Auflage nöthig war. Tilgner, ein junger Privatgelehrter, lebte in dem Hause des mehrfach genannten Magister Pezold, eines Collegen Kuhnaus16. Kuhnau hat unzweifelhaft manche Neumeistersche Texte componirt und war übrigens ganz der Mann, sich nach Neumeisters Mustern selbst dergleichen zu verfassen. Bach beherrschte die Sprache nicht mit solcher Gewandtheit. Er sah sich deshalb in der ersten Zeit zum Theil auf die Texte auswärtiger Dichter angewiesen, unter denen er Franck vor Neumeister bevorzugte. Nicht lange währte es jedoch, so fand er in Leipzig selbst einen ausreichend geschickten und stets willigen Helfer. Christian Friedrich Henrici, im Jahre 1700 zu Stolpe geboren, hatte in Wittenberg studirt und seit kurzem sich in Leipzig niedergelassen, wo er einstweilen als Privatmann in ärmlichen Verhältnissen und wohl größtentheils vom Ertrage von Gelegenheitspoesien lebte. In zwei Gedichten flehte er den König-Churfürsten an, ihm einen Freitisch zu gewähren und ließ im Jahre 1727 durch den Grafen Flemming ihm zu seinem Namenstage am 3. August eine Cantate »Ihr Häuser des Himmels, ihr scheinenden Lichter« überreichen17. In [169] demselben Jahre erhielt er eine Stelle als Postbeamter und figurirt im Leipziger Adressbuch von 1736 als Ober-Postcommissarius18. 1743 begegnen wir ihm wieder als Land- und Trank-Steuereinnehmer und als solcher ist er 1764 gestorben. Die höheren Kirchen- und Schul-Beamten erhielten jährlich eine gewisse Summe als Ersatz für die allgemein zu zahlende Tranksteuer; es war dies eine besondere Vergünstigung19. Diesem Umstande verdankt ein kleines eigenhändiges Schriftstück Bachs seine Entstehung, in welchem er um Ostern 1743 dem Herrn Einnehmer über einen Steuer-Ersatz für drei Faß Bier quittirt20. Aber beide Männer standen nicht nur im geschäftlichen, sondern seit langem schon im freundschaftlichen und künstlerischen Verkehr. Unter den Pathen eines im Jahre 1737 geborenen Bachschen Kindes bemerkt man auch die Frau Henricis, welcher nunmehr schon seit etwa zwölf Jahren als Dichter für Bach thätig war. Henrici begann seine litterarische Wirksamkeit im Jahre 1722 und zwar als Satiriker; insofern kann man ihn einen Nachfolger Christian Günthers nennen. Übrigens ist er an Talent diesem nicht von weitem zu vergleichen, und die Niedrigkeit und Geschmacklosigkeit seiner Anschauungs- und Ausdrucksweise wirkt darum nur noch abstoßender. Gleich fern stand ihm Günthers unabhängige Sinnesart und verzweifelte Ungenirtheit. Da seine satirischen Poesien [170] böses Blut setzten, bekam er Angst, erklärte, er habe bei seinen derartigen Erzeugnissen nur die beste Absicht gehabt, allein seine unglücklichen Nachfolger hätten ihm das Spiel verdorben und die Drohungen der Übelgesinnten die Lust benommen. Nun dichtete er zeitweilig nur auf Verlangen der Gönner und Freunde, bediente sich aber auch jetzt, wie er nicht leugnen wollte, »einer geschärften Feder«. Im Jahre 1724 warf er sich auf die geistliche Dichtung. Den plötzlichen Umschlag glaubte er öffentlich rechtfertigen zu müssen. Es würden wohl manche lachen, meint er, wenn sie ihn jetzt eine andächtige Miene machen sähen. Er verwahre sich aber dagegen, daß er ganz vergessen hätte an den Himmel zu denken, und glaube es sei nicht tadelhaft, wenn er seinem Schöpfer die Früchte der Jugend, und nicht die Hefen des Alters widme. Auch möge man ihn nicht beschuldigen, daß er die Poesie zu seiner Hauptbeschäftigung und mit andern Wissenschaften sich wenig oder nichts zu thun mache. Er könne nöthigenfalls glaubwürdige Zeugnisse seines akademischen Fleißes vorweisen. Außerdem werde ihm das Versemachen leicht und koste ihn wenig Zeit. Warum er also dies natürliche Talent für seine Existenz nicht verwenden und verwerthen solle? Die Arbeit, welcher er diese und andre Betrachtungen als Vorrede vorausschickte, hieß: »Sammlung erbaulicher Gedanken über und auf die gewöhnlichen Sonn- und Fest-Tage«; er bedient sich hier des seither stetig von ihm festgehaltenen Pseudonyms Picander. Es sind gereimte Betrachtungen größtentheils in Alexandrinern, deren meisten ein strophisches Gedicht nach der Melodie eines Kirchenliedes angehängt ist. Sie erschienen nicht gleich gesammelt; ein ganzes Jahr hindurch wollte der Poet Sonnabends und Sonntags nach geendigter Vesper, wenn sich andre an unzulässiger Leibesvergnügung belustigten, seine Einfälle über die Evangelia in Reime bringen und wöchentlich in einem halben Bogen herausgeben. Diesen Vorsatz hat er durchgeführt: das erste Stück kam zum 1. Advent 1724, das letzte, und mit ihm das Ganze zum 1. Advent 172521. Er glaubte [171] nun wohl seine Sünden genugsam gebüßt und seine Reputation wieder hergestellt zu haben, warf sich daher von neuem der weltlichen Muse in die Arme. Es erschienen 1726 von ihm drei deutsche Schauspiele nämlich: Der akademische Schlendrian, Der Erz-Säufer und Die Weiberprobe, »zur Erbauung und Gemüthsergötzung entworfen« – platte, widerwärtige Possenspiele22, aber der in ihnen herrschende Ton war sein eigentliches Element und er gesteht selbst, es sei ihm angenehmer und leichter, vier Hochzeitlieder zu singen, als nur einen Grabes-Seufzer zu erzwingen. Was er mit diesen Publicationen zumeist bezweckte, wollte sich freilich immer noch nicht einstellen: eine hinreichende materielle Versorgung. Er gab deshalb im Jahre 1727 eine neue Sammlung heraus: Ernst-, scherzhafte und satirische Gedichte, und widmete sie »dem Glücke, das doch höflich sein werde und ihm was wieder schenken«. Das Glück war höflich und er wurde Postbeamter. Nun folgte 1728 eine Sammlung Cantaten-Texte in Neumeisters Form23. Es ist die einzige, welche er herausgab, später verleibte er sie seinen ernst-, scherzhaften und satirischen Gedichten ein, von welchen nach und nach noch vier weitere Theile erschienen24. Henrici hielt sich für einen originellen Kopf und für einen Bahnbrecher zu Gunsten des besseren Geschmacks. Er sehe voraus, sagt er in der Vorrede zu der »Sammlung erbaulicher Gedanken«, daß ihm sofort Nachahmer erstehen würden. Diesen wünsche er nur, daß sie bessere Einfälle hätten als er. Seinerseits liebe er es mehr, auf einem Wege voran zu gehen, als in die Fußstapfen eines andern zu treten. Und dann, mit Anspielung auf den damals beginnenden starken Einfluß der englischen Litteratur: [172] »Es will zu Leipzig alles zu Spectateurs, Patrioten und Haupt-Moralisten werden, ohne seine Kräfte zu prüfen, und ist nur zu bejammern, daß der sonst weltberühmte Name Leipzig ein eitler Deckel solcher öfters unwürdigen Schriften bedeuten muß. Nichts löblicheres ist dannenhero, als die gute Vorsorge der Vorgesetzten, dergleichen untaugliche Scharteken zu unterdrücken, welche das delicate und wegen seines guten Geschmacks bei den Auswärtigen bekannte Leipzig von seiner Entweihung befreien helfen. Wie wohl sich auch solche unzeitige Geburten vor Scham ihrer Unvollkommenheiten endlich selber verlieren«. Das Beste, was er selbst zu leisten vermochte, enthalten seine satirischen Schriften. Sie geben von einer gewissen Schärfe der Beobachtung und einer für des Verfassers Jugend nicht gewöhnlichen Menschenkenntniß Kunde, sind außerdem gewandt gereimt25. Daß er aber von dieser Gattung bald ganz abkam, ist ein Beweis, daß seine Satire nicht sowohl das Product eignen Schöpferdranges, als eine durch äußere Veranlassungen bewirkte Nachahmung war. In den Hochzeitsgedichten, welche den breitesten Raum unter seinen Poesien einnehmen, werden wenige artige Einfälle überwuchert durch die Plattheit des Übrigen und die in glatter Rede vorgetragenen Unanständigkeiten wirken in der Kraftlosigkeit des ganzen Tons um so widerlicher. Thatsache ist indeß, daß seine Dichtungen sich ein Menschenalter hindurch großer Beliebtheit erfreuten; sie erlebten bis zum Jahre 1748 vier Auflagen, und spiegeln unzweifelhaft den poetischen Geschmack des damaligen Leipzig im allgemeinen treu zurück. Noch weniger als in der Satire und dem weltlichen Gelegenheitsgedicht zeigt Picander in seinen geistlichen Dichtungen ursprüngliches Talent. Diese Gattung lag seiner Natur fern und er hätte sich in der eigentlichen Cantatenpoesie wahrscheinlich gar nicht versucht, wenn Bach nicht eben einen Versemacher nöthig gehabt hätte und es dem mit der Noth des Lebens ringenden Jünglinge werthvoll gewesen wäre, zu dem berühmten Künstler in Beziehung zu treten. Es ist denn auch klar ersichtlich, daß Bach sich in ihm sein Werkzeug selbst bereitet hat. Mehre Anzeichen deuten darauf hin, daß er ihn schon zu Neujahr 1724, [173] vielleicht sogar zur Rathswahl 1723 für seine Zwecke beschäftigte. Das erste Picandersche geistliche Gedicht, welches er nachweislich componirte, der Text zur Michaelis-Cantate »Es erhub sich ein Streit«, stammt aus dem Jahre 1725. Während die im Jahre vorher begonnene »Sammlung erbaulicher Gedanken« auf Componirbarkeit noch garkeine Rücksicht nimmt, ist hier die Neumeistersche Form wenigstens in den Recitativen ganz geschickt angewendet, wogegen die Arientexte noch den Neuling verrathen. Da Picander schon vorher mehre weltliche Gelegenheits-Cantaten gemacht hatte, so konnte es ihm nicht schwer fallen, auch den geistlichen Cantaten bald ganz die rechte Fassung zu geben. Viele einzelne Wendungen lassen aber Neumeister als Vorbild deutlich erkennen und auch darin folgte er ihm, daß er durch Einmischung biblischer Ausdrücke und Anspielung auf – oftmals recht entlegene – biblische Vorgänge seiner Diction eine kirchliche Farbe zu verleihen suchte. Im Jahre 1725 verfertigte er auch zum ersten Male eine Passionsdichtung und nahm sich hierbei Brockes zum Muster. Nun wurde der künstlerische Verkehr zwischen Bach und ihm bald ein regerer. Picander war selbst nicht ohne musikalische Begabung und Kenntnisse, er hatte insofern vor Neumeister, dem er in leichter Handhabung der Sprache nicht nachstand, noch etwas voraus. In seinen weltlichen Gedichten sind die Anspielungen auf musikalische Dinge nicht selten und gehen oft so ins Specielle, daß sie auf ein lebhaftes Interesse und eigne Praxis mit Sicherheit schließen lassen26. Einmal giebt er sogar zwei artige Tänze als Notenbeilage27, und durch ein Gedicht vom Jahre 1730 erfahren wir auch, daß er Mitglied eines Musikvereins war – jedenfalls des von Bach dirigirten28. In dem Vorwort des 1728–1729 gefertigten Cantaten-Jahrganges sagt Picander: »Gott zu Ehren, dem Verlangen guter Freunde zur Folge und vieler Andacht zur Beförderung habe ich mich entschlossen, gegenwärtige Cantaten zu verfertigen. Ich habe solches Vorhaben desto lieber unternommen, [174] weil ich mir schmeicheln darf, daß vielleicht der Mangel der poetischen Anmuth durch die Lieblichkeit des unvergleichlichen Herrn Capell-Meisters, Bachs, dürfte ersetzet, und diese Lieder in den Haupt-Kirchen des andächtigen Leipzigs angestimmet werden«. Dieser Jahrgang war also direct für Bach bestimmt und scheint einem unerwartet ausgesprochenen Wunsche des letzteren seine Entstehung zu verdanken, denn er deckt sich nicht mit dem Kreise des Kirchenjahres, sondern beginnt gegen allen Brauch mit dem Johannisfest und schließt mit dem vierten Trinitatis-Sonntage. Für den Charfreitag des Jahres 1729 dichtete Picander auch den Text zur Matthäus-Passion, bediente sich dieses Mal aber nicht der Brockes'schen Form, sondern behielt das Bibelwort unverändert bei. Hier tritt wieder Bachs Beeinflussung stark zu Tage, um nichts weniger aber auch in dem Umstande, daß Picander Francksche Poesie in seinen Passionstext aufnahm. Formale Gründe konnten ihn hierzu nicht bestimmen, denn Franck selbst bewegte sich in der madrigalischen Cantaten-Form zeitlebens nur mit mäßigem Geschick. Bach aber liebte diesen Dichter um seiner innigen, schwärmerischen Empfindung willen, kein andrer als er kann es gewesen sein, der Picandern auf ihn hinwies. Unter Francks Gedichten trägt eines die Überschrift »Auf Christi Begräbniß gegen Abend« und lautet so:


Mein Heiland wird zur Abendzeit begraben,

Damit auch ich am Abend meiner Zeit

Die wahre Ruh könn in dem Grabe haben,

Das durch sein Grab gesaubert und geweiht!

Das Lebenslicht muß blutroth untergehen,

Daß wir schneeweiß vor Gottes Augen stehen.


Am Abend ist die Sünd ans Licht gekommen,

Die Sünde die der erste Mensch verübt,

Am Abend hat sie Christus weggenommen,

Und in sein Grab verscharrt, was uns betrübt.

Des Heilands Grab zeigt uns den hellen Morgen,

Darinnen sich die Sonne selbst verborgen.


Die Taube kam zur Vesperzeit zum Kasten,

Und bracht ein Blatt dem frommen Noah zu.

Zur Abendzeit wollt auch mein Heiland rasten,

Und zeigte mir das Oelblatt wahrer Ruh!

Ich bin gewiß, die Sündfluth sei gefallen,

Gott läßt nicht mehr des Eifers Fluthen wallen.


[175] Mein Leben mag sich nun zum Abend neigen,

Ich lege mich zur Ruh in Christi Grab,

Dies wird an mir auch seine Kraft erzeigen,

Die aller Welt ein neues Leben gab.

Mit Christo muß man erst zu Grabe gehen,

Will man mit ihm zum Leben auferstehen29.


Im Texte der Matthäuspassion heißt es, nachdem Jesus vom Kreuze genommen worden ist:


Am Abend da es kühle war

Ward Adams Fallen offenbar,

Am Abend drücket ihn der Heiland nieder.

Am Abend kam die Taube wieder

Und trug ein Oelblatt in dem Munde,

O schöne Zeit! o Abendstunde!

Der Friedensschluß ist nun mit Gott gemacht,

Denn Jesus hat sein Kreuz vollbracht.

Sein Leichnam kömmt zur Ruh,

Ach liebe Seele bitte du,

Geh lasse dir den todten Jesum schenken,

O heilsames, o köstlichs Angedenken!


Man sieht, daß dieses eine verkürzende Umdichtung des obigen Franckschen Gedichtes ist, namentlich seiner beiden mittleren Strophen. Sie ist nicht überall wohl gerathen: die Zeile »Am Abend drücket ihn der Heiland nieder« ist an sich und in ihrem Zusammenhange ganz unverständlich, erst durch Vergleichung mit dem Franckschen Original ergiebt sich, daß mit dem Adam, welchen der Heiland »niederdrückt«, der alte Adam d.h. der sündige Zustand des Menschen gemeint ist, welchen Christus durch seinen Tod beseitigt hat. Etwas von dem innigen Tone Francks ist aber auch an dem Excerpt haften geblieben, es hebt sich dadurch sehr merkbar aus dem kraftlosen Schwulst der übrigen gereimten Masse heraus. Nach 1729 hat Picander nur noch sehr wenig von neuen geistlichen Texten drucken lassen, woraus nicht zu schließen ist, er habe überhaupt sonst keine mehr verfaßt. Man kann des Gegentheiles gewiß sein, da er ja mit Bach in dauerndem Verkehr blieb und in Leipzig die einzige Persönlichkeit war, welche dergleichen Aufgaben mit hinreichendem Geschick zu lösen vermochte. Wäre nicht Picander auch für die Texte der meisten übrigen Cantaten, die Bach in Leipzig [176] componirte, als Verfasser anzusehen, so müßte es unerklärlich heißen, warum Bach aus den zahlreichen Cantatensammlungen, welche in jener Zeit erschienen und ihm zugänglich gewesen sein müssen, nicht eine einzige in Musik gesetzt hat, wenigstens soweit man jetzt die Bachschen Cantaten kennt30. Daß Picander sie nicht in seine Werke aufnahm, ist nach dem Obigen sehr begreiflich: er legte, und mit Recht, keinen Werth auf diese Fabrikate, welche er dem Freunde zu Gefallen flüchtig zusammenschrieb. Franck dichtete aus wirklichem poetischen Drange, Neumeister als rühriger Theolog und Prediger, Henrici fühlte sich durch keinerlei inneres Interesse zur geistlichen Dichtung hingezogen. Der Impuls zu solchen Arbeiten kam ihm allein durch Bach. Daher denn auch seine Bemühungen fremde Erzeugnisse im Interesse Bachs zu verwerthen und umzudichten, wozu die mit dem Franckschen Liede vorgenommene Manipulation nicht das einzige Beispiel bietet. Bach interessirte sich auch für die Schriften Johann Jakob Rambachs, von dessen Erbauungsbüchern er mehre in seiner Bibliothek besaß. Von Rambachs Cantatentexten, die zu den besten ihrer Art gehören, hat er trotzdem keinen benutzt. Aber auf ein hübsches Madrigal desselben:


Erwünschter Tag,

Den man in Marmor graben

Und in Metallen ätzen mag


scheint er Picander doch aufmerksam gemacht zu haben, da der Text einer seiner Weihnachts-Cantaten mit der ähnlichen Wendung:


Christen ätzet diesen Tag

In Metall und Marmorsteine


anhebt. In einer Rambachschen Cantate auf Mariae Reinigung beginnt eine Arie:


Brechet, ihr verfallnen Augen,

Schließt euch sanft und selig zu,


und in einer von Bach componirten Musik auf dasselbe Fest lautet es gleichfalls:


[177] Schlummert ein, ihr matten Augen,

Fallet sanft und selig zu31.


Eine Ode Gottscheds hatte Bach für die Trauerfeierlichkeiten der Königin Christiane Eberhardine componirt, und wollte die Musik später anderweitig benutzen; Picander war hülfreich und dichtete einen neuen Text, so daß aus der Trauerode nun eine Marcus-Passion wurde32. Ebenso bereitwillig zeigte er sich, zu Compositionen über eigne Texte neue Wortunterlagen zu liefern, wenn dadurch die Musik für andre Zwecke verwendbar gemacht werden konnte.

Es lohnt sich wohl darauf hinzuweisen, wie in dieser Zeit die Schwesterkünste Musik und Poesie denselben Kunstidealen so ganz verschieden gegenüberstanden. Die Tonkunst hob sich an den kirchlichen Idealen zu einer Stufe empor, die in Bezug auf Tiefe und Reichthum des Inhalts, Mannigfaltigkeit und Weite der Formen eine vorher und nachher unerreichte genannt werden muß. Die kirchliche Dichtkunst aber, weit entfernt sich mit ihr zu heben, sank unter den Nachfolgern Neumeisters zu einem gänzlich hohlen und unwahren Scheinwesen herab. Man sagt nicht zu viel, wenn man den Einfluß der Cantaten-Dichtungen auf die poetische Bildung jener Zeit gradezu als einen verderblichen bezeichnet. Denn diese Textsammlungen, wenn sie zunächst auch im Hinblick auf musikalische Behandlung gefertigt waren, traten zugleich doch auch mit dem Anspruch auf, als selbständige Schöpfungen beachtet zu werden. Ursprünglich dem Druck übergeben, um der Gemeinde zum Nachlesen während der Musik zu dienen, wollten sie bald auch als eigne Erbauungsschriften gelten und wurden in der That als solche massenhaft gekauft. Sehr viele dieser Texte sind nie componirt worden; Picander schrieb auch für solche Sonntage des Kirchenjahres Cantaten, an denen, wie er wußte, gar keine Kirchenmusik gemacht wurde, für die Fastensonntage und die drei letzten Adventsonntage. Auf diesem Gebiete tummelten sich größtentheils solche Geister, die entweder [178] überhaupt keine poetische Begabung besaßen, oder deren etwa vorhandenes Talent nach einer andern Seite hin gravitirte; letzteres war bei Picander und, um neben ihm noch eine andre damals viel genannte Persönlichkeit anzuführen, bei dem Schlesier Daniel Stoppe der Fall. Wie gewaltig der Fortschritt war, den Brockes durch sein »Irdisches Vergnügen in Gott« und Gellert durch seine Geistlichen Oden und Lieder bewirkte – um von dem etwas späteren Klopstock ganz zu schweigen – das ermißt sich völlig erst durch den Vergleich mit der überwuchernden Cantatendichtung der Bachschen Zeit. Aber freilich, der in den Werken jener Männer sich regende neue Geist war bezüglich der Musik ein oppositioneller: sie wollten wieder durch eigne dichterische Begeisterung und durch selbständige Mittel wirken. Die künstlerische Stimmung und Empfindung im religiösen Bereiche war während der Bachschen Periode eine fast ausschließlich musikalische und von dem Momente ab, wo die religiöse Dichtung wieder freier ihr Haupt erhebt, beginnt die kirchliche Tonkunst zu verfallen. Dieses erdrückende Übergewicht des musikalischen Factors tritt in dem Verhältnisse Bachs zu seinem Leipziger Poeten recht greifbar hervor. Es hätte für ihn verhängnißvoll werden können, denn eine wirkliche Kirchenmusik ist bei völliger Verflüchtigung der besonderen poetisch-religiösen Stimmung nicht möglich, und die wahrlich nicht gering begabten Keiser, Telemann, Stölzel sind der Gefahr in der That erlegen. Bach bestand sie siegreich, denn wie voll und umfassend er auch den musikalischen Geist seiner Zeit aus sich reproducirte, er stützte sich dabei unentwegt auf den Urgrund der protestantischen Kirchenmusik, auf den Choral.

Bach hat im Ganzen fünf vollständige Jahrgänge von Kirchen-Cantaten auf alle Sonn- und Festtage componirt33. Dies bedeutet nach Abzug der sechs Fasten- und drei letzten Adventsonntage und unter Hinzurechnung der drei Marienfeste, sowie des Neujahrs-, Epiphanias-, Himmelfahrts-, Johannis-, Michaelis-und Reformations-Festes eine Anzahl von 59 Cantaten für das Leipziger Kirchenjahr. Hiernach hätte also Bach im ganzen 295 Kirchen-Cantaten geschrieben. Von ihnen gehören mindestens 29 der vorleipzigischen Periode an; als Maximalzahl der in Leipzig selbst entstandenen wären 266 anzusetzen. Da Bach 27 Jahre in Leipzig wirkte, so würde er [179] durchschnittlich in jedem Jahre daselbst 10 Cantaten componirt haben. Telemann, nur 4 Jahre älter als Bach, hatte schon im Jahre 1718 beinahe 7 Jahrgänge verfertigt34; Johann Friedrich Fasch schrieb 1722–1723 einen doppelten Jahrgang von Kirchenstücken, für die Vor- und Nachmittage, und wenn Festtage einfielen oft vier Cantaten in einer Woche35. Diese äußerliche Gegenüberstellung bloßer Zahlen geschieht nur, um der Meinung entgegen zu treten, als sei Bach ein Viel-und Geschwindschreiber gewesen. Die Anzahl seiner Werke ist freilich eine sehr große, aber dieselben vertheilen sich auch auf ein langes Leben. Telemann, Fasch und andre productive Zeitgenossen waren flachere Talente und insofern bietet ihr Schaffen für dasjenige Bachs keinen ausreichenden Maßstab. Aber auch mit ebenbürtigen Geistern wie Händel oder Mozart verglichen erscheint Bach als ein zwar klarer und sicherer aber doch bedächtiger Arbeiter. Seine Partituren machen nicht den Eindruck, als habe er zuvor viel skizzirt und mit den Grundgedanken experimentirt, wie z.B. Beethoven dieses that. Sie sehen aus als seien sie entstanden, nachdem das betreffende Werk zuvor in gründlicher und umfassender Art vom Componisten innerlich durchgebildet worden war, aber doch wieder nicht soweit, daß er nicht auch während des Niederschreibens noch producirt hätte. Die Fälle, in welchen er die ganze anfängliche Anlage eines Stückes verwarf, sind verhältnißmäßig selten36, häufig dagegen finden sich Änderungen in Einzelheiten. Wenn er nach Verlauf einer gewissen Zeit wieder eines seiner Werke vornahm, geschah es nicht, ohne von neuem zu prüfen und wenn es nöthig schien zu bessern; Compositionen, auf die er besonderes Gewicht legte, pflegte er sauber und zierlich ins Reine zu schreiben. Auch daß er sich am Ausziehen der Stimmen sehr häufig selbst betheiligte, zeigt diesen Zug sinnender Sorgfalt. Die Cantoren hatten unter den Alumnen immer einen oder einige ständige Notisten37 und Bach unterließ nicht, seine Schüler zu diesem Zwecke zeitweilig in eine sehr angestrengte Thätigkeit zu setzen: noch im Jahre 1778 [180] erinnerte sich Doles daran, wie viel Noten Bach die Thomaner habe schreiben lassen38. Auch die Söhne mußten helfen, doch sein bester Copist war seine Frau: die Züge ihrer Hand, welche die allerersten Leipziger Cantaten herstellen half, begegnen uns auch noch in den Kirchencompositionen aus Bachs letzten Lebensjahren, etwas größer und steifer hier, aber gleich fest und treu. Wo so viele Hände hülfreich waren, hätte sich wohl mancher andre die zeitraubende, mechanische Arbeit des Stimmenausschreibens erspart. Die drittehalbhundert Leipziger Cantaten sind das Werk echtesten, nur auf den Gegenstand selbst gerichteten Künstlerfleißes, ein mit sorgsamer Hand Stein auf Stein gefügtes großartiges Monument Ganz unversehrt hat es nicht bis auf unsre Zeit gedauert; einstweilen sind, wenn man die sechs Cantaten des Weihnachts-Oratoriums und die bedeutenderen Fragmente einschließt, alles in allem nur noch gegen 210 Kirchencantaten Bachs bekannt.

Sein Probestück hatte Bach am Sonntage Estomihi (7. Febr.) 1723 aufgeführt; es ist die Cantate »Jesus nahm zu sich die Zwölfe«39. Ursprünglich scheint er zu diesem Zwecke die Cantate »Du wahrer Gott und Davids Sohn«40 bestimmt zu haben, es läßt sich nämlich erkennen, daß sie um dieselbe Zeit und zwar in Cöthen geschrieben ist. Sie besteht aus einem Duett für Sopran und Alt, einem Recitativ für Tenor, einem freien und einem Choral-Chor, und zeigt den Meister auf einer Höhe, an die er mit keinem seiner früheren Werke hinanreicht. Der Text kommt der musikalischen Gestaltung nicht sonderlich entgegen; Bibelwort fehlt darin ganz, die gereimte Dichtung soll madrigalartig sein, schlägt aber mehre Male in den Alexandriner um. Bach hatte hier mehr als anderswo auch dem Ganzen seine Form zu geben und sie ist eine ganz besondere geworden. Der Sonntag Estomihi ist der letzte vor der Fastenzeit, welche die Gemeinde auf das Leiden Christi vorbereiten soll. Im Evangelium dieses Sonntages wird erzählt, wie Jesus in Begleitung seiner Jünger nach Jerusalem hinaufzieht, um den Erlösungstod zu erdulden. Ein Blinder sitzt am Wege; er fleht den vorübergehenden an, sich seiner[181] Noth zu erbarmen und erhält das Augenlicht wieder. Diese beiden Gedanken bilden des Werkes kirchlichen Kern: das brünstige Flehen um Hülfe und der Hinweis auf das düstre Ereigniß, das sie bringen soll. Das Duett (C moll, Adagio molto) wird von zwei Oboen begleitet, die mit dem Bass ihr eignes bewegteres Motiv durchführen und die breitathmigen Melodiezüge und langhallenden Klagetöne der in Nachahmungen gehenden Singstimmen umspielen. Milder wird die Stimmung im Recitativ und steigert sich erst gegen Ende desselben wieder zu leidenschaftlicher Innigkeit. Der Grundton dieses Stückes geht aber nicht vom Gesange aus, sondern von der ersten Violine und den Oboen, welche über den Recitativgängen ganz leise mit der Choralmelodie »Christe du Lamm Gottes« dahin ziehen. Diese kühne Combination von Choral und Recitativ ist auch in Bachs Werken eine ganz neue Erscheinung, auf die er aber bei seiner Art das Recitativ melodisch zu behandeln und nachdem er bereits ein Recitativ – Duett gewagt hatte41, endlich geführt werden mußte. Die Wirkung ist eine ergreifende: die volle traurig-trostreiche Passionsstimmung fluthet über den Hörer dahin. Im prachtvollen Bogen steigt (Es dur) der Chor auf, homophon gesetzt in seinen wiederkehrenden Hauptpartien, welche durch zweistimmige imitirende Zwischensätze des Tenor und Bass auseinander gehalten werden. Doch bildet das kraftvolle Pathos dieses Satzes nicht den Abschluß des Empfindungs-Processes. Der Ausblick auf Christi Leiden und Tod erweist sich als das stärker wirkende Moment: dem Es dur-Chore folgt unmittelbar in G moll der Choralchor »Christe du Lamm Gottes«. Daß alle drei Strophen durchgearbeitet wurden geschah wohl wegen der Kürze der Melodie; sonst pflegt Bach dieses nicht zu thun. Zu der ersten Strophe, welche der Chor ziemlich homophon singt, führen die Instrumente ein selbständiges Tonbild aus von leidvollem, schluchzendem Ausdruck; in der zweiten Strophe wird der Gang der Unterstimmen belebter, die melodieführende Oberstimme von den beiden Oboen einerseits und der ersten Violine andrerseits canonisch nachgeahmt, und zwar von ersteren auf dem dritten Melodietone in der Unterquart, von der letzteren auf dem sechsten Tone in der Oberterz; in der dritten, mit einem Amen schließenden, Strophe contrapunktiren [182] die Unterstimmen in andern Gängen aber mit gleicher Lebendigkeit weiter, über dem Cantus firmus lassen die Oboen eine neue, rhythmisch scharf contrastirende Melodie von höchster Innigkeit ertönen. Die Empfindung erhebt sich aus Betrübniß zu intensivem Schmerz und klärt sich endlich zur frommen, versöhnunghoffenden Bitte. Die Behandlungsart der ersten Strophe zeigt eine neue Choralform, welche Bach später sehr fleißig anwendete und weit entwickelte, während sie hier noch auf bescheidene Verhältnisse beschränkt ist. In der zweiten Strophe offenbart sich eine enorme Kunst polyphoner Combination; das directe Hervorgehen dieser Form aus der Orgelmusik liegt auf der Hand und Bach hat unter vielen andern grade auch diesen Choral in seinem »Orgelbüchlein« canonisch behandelt42. Die letzte Strophe dagegen schließt sich der Manier älterer Componisten an, und ragt nur dadurch über sie hinaus, daß die Instrumentalmelodie einen bestimmten Charakter festhält. Auch kann nicht übersehen werden, daß zwischen dem zweiten und vierten Satze der Cantate jene tiefere poetische Verbindung besteht, auf welche schon bei verschiedenen weimarischen Cantaten hingewiesen wurde43: die in einem früheren Satze einzig durch Instrumente eingeführte Choralmelodie erscheint am Schlusse gesungen, anfänglich bewirkt sie mehr nur Stimmung, schließlich die aus dieser hervorgehende klare kirchliche Empfindung. Nach allen Seiten hin ist diese Cantate ein Probestück, wie es eines Bach würdig war. Vergleicht man sie mit derjenigen, welche er in Wirklichkeit als solches benutzte, so ersieht man leicht, weshalb er sie dennoch einstweilen zurücklegen zu müssen glaubte. Sie war zu ernst, tiefsinnig und kunstvoll. Bach kannte den Geschmack des Leipziger Publicums, das an muntre Opernmusik und Kuhnaus milde Weisen gewöhnt war. In der Cantate »Jesus nahm zu sich die Zwölfe« hat er sich diesem Geschmacke mehr anbequemt. Der fugirte Chor des ersten Satzes zeigt eine Einfachheit der Contrapunktik, wie sie wohl in Telemannschen Stücken gewöhnlich ist, die aber bei Bach auffallen muß. Auf eine sehr anmuthige Tenorarie folgt als Schluß ein leicht verständlicher Choralsatz, in welchem zu dem einfach vierstimmigen Chore die oberste Instrumentalstimme in Sechzehnteln contrapunktirt und in derselben Bewegung kurze Zwischenspiele herstellt. [183] Diese Form war damals beliebt; Bach selbst hatte sich ihrer in früheren Jahren bedient44, hier ist sie nur insofern etwas bereichert, als auch der zweiten Violine und Bratsche wenngleich nicht sehr charakteristische so doch meistens selbständige Gänge zuertheilt sind. Die übrigen Sätze greifen tiefer, namentlich der Eingang des ersten, ein Einzelgesang des Tenors und Basses; der Schwerpunkt liegt hier ganz in dem sehr fein gewobenen instrumentalen Theil, der, nichts weniger als Begleitung, vielmehr fast als ein selbständiges Stück erscheint. Aus diesem Stücke konnte man in der That schon ersehen, daß der Componist seine Sache verstand. Das ganze Werk entsprach seinem Zwecke, aber dem ersteren, das nun wahrscheinlich am Estomihi-Sonntage 1724 zur ersten Aufführung kam, kann es in keiner Beziehung als ebenbürtig gelten45.

Welches die Pfingstmusik war, mit der Bach seine Wirksamkeit an der Universitätskirche eröffnete46, läßt sich nicht mehr feststellen. Es könnte nur an die Cantate »Erschallet ihr Lieder, erklinget ihr Saiten« gedacht werden, aber triftige Gründe sind vorhanden, deren Entstehung um ein oder zwei Jahre später anzusetzen. Seine kirchliche Thätigkeit als Thomas-Cantor begann er am ersten Trinitatis-Sonntage. Zwar wird nicht ausdrücklich überliefert, daß die erste von ihm dirigirte und von den Zuhörern beifällig aufgenommene Kirchenmusik von seiner eignen Composition gewesen ist; nach den Bräuchen der Zeit darf dies jedoch als selbstverständlich gelten47. Es liegen zwei Cantaten auf den 1. und 2. Trinitatis-Sonntag vor, deren letzterer von Bach selbst die Jahreszahl 1723 beigeschrieben ist. Die erstere gleicht ihr in Bezug auf Text, musikalische Form im gesammten und einzelnen, sowie hinsichtlich der Empfindungsart so ganz und gar, daß es bei der oft berührten Eigenthümlichkeit Bachs, eine von ihm angewendete neue Form gleich in mehren Exemplaren hinzustellen, ihre enge Zusammengehörigkeit auch der Zeit [184] nach unzweifelhaft sein dürfte48. Neu ist die Form zunächst insofern, als hier zum ersten Male in Bachs Schaffen die zweitheilige Kirchencantate entgegentritt. Wir wissen schon, daß an den hohen Festen sowohl vor als nach der Predigt Figuralmusik gemacht wurde, und daß letzteres auch wohl an gewöhnlichen Sonn- und Festtagen gestattet war. Eine und dieselbe Composition aber so groß anzulegen, daß sie in zwei selbständige Theile zerfallen konnte, war bisher wenigstens in Leipzig nicht üblich gewesen. Es scheint mir, daß Bach mit dieser Neuerung dem Verfahren der Oratoriencomponisten folgte, deren zweitheilige Werke in der Weise dem katholischen Cultus eingefügt wurden, daß zwischen die beiden Theile die Predigt fiel49. Die Evangelien zu den zwei Sonntagen sind ungewöhnlich gedankentief, und reich an ergreifenden Gegensätzen. Leider hat der Textdichter es wenig verstanden, sie im Interesse der Musik auszunutzen. Beide Male ergeht er sich in lehrhaften Trivialitäten, die mit den biblischen Erzählungen nur mittelbar zusammenhängen, und mit demselben Rechte an sehr vielen andern Sonntagen vorgebracht werden könnten. In der ersten Cantate »Die Elenden sollen essen, daß sie satt werden«50 (E moll) wird mit Anlehnung an die Erzählung vom reichen Mann und armen Lazarus über die Werthlosigkeit und Vergänglichkeit irdischen Reichthums, über Jesus den Inbegriff aller Güter, über ein gutes Gewissen und Genügsamkeit weitläufig gehandelt. In vier gut contrastirenden Arien, deren erste kunst- und phantasievoll aus dem Motiv


5.

entwickelt wird, und sechs Recitativen hat Bach diese Wortmenge bewältigt. Eine bedeutende Rolle spielt in dem Werke der Choral »Was Gott thut, das ist wohlgethan«. Zuerst tritt er am Schlusse des ersten Theiles in einer neuen Combination der Pachelbelschen und einer Georg Böhm insbesondere eigenthümlichen Form51 auf. [185] Dieser Satz wiederholt sich auch am Schlusse des zweiten Theils; als Einleitung zu demselben aber findet sich eine Choralfantasie52 über dieselbe Melodie, nicht für Orgel, sondern für Streichquartett und Trompete: das Quartett führt das selbständige polyphone Tonbild aus, die Trompete bläst die Choralmelodie. Der durch die Predigt zerschnittene Faden der Cantate konnte nicht geistreicher wieder angeknüpft werden. Das lebhafteste Interesse aber zieht der über eine Psalmstelle gesetzte Eingangschor auf sich: in ergreifenden Klängen redet er von Trost im Leiden. Die Empfindung des Leidens ist, wie sich das von Bach erwarten läßt, noch ziemlich stark hervorgehoben, sowohl durch das Orchester, welches im ersten Satze des Chors in stockenden Pulsen selbständig einhergeht, als auch durch die schmerzlich gezogenen Melodien der Singstimmen. Aber eine Ahnung von Glück blitzt wunderbar hindurch (vrgl. namentlich Takt 53 ff.), und bei dem breitathmigen Thema des folgenden Fugensatzes:


5.

trinkt die kranke Brust mit vollen Zügen die Luft, welche ihr Genesung bringen soll. Doch herrscht immer noch ein gewisses umschleiertes Wesen und aus der verrenkten Cadenz Takt 13 (der Fuge) klingt es sogar wie schneidendes Weh. Von hier ab aber sammeln sich alle Kräfte und schwellen endlich in einer wunderschönen Wendung nach D dur hinüber: die im Sopran auftretende große Sexte, ein in der Melodiebildung der alten Praxis durchaus verbotenes, aber zu Bachs Zeit schon ziemlich häufig angewendetes Intervall, ist grade hier von wahrhaft leuchtender und befreiender Kraft.

Nicht nur in ihrer Zweitheiligkeit und der Einfügung eines Instrumentalstückes, auch in der Zahl der Chöre und Choräle, der Recitative und der Arien sowie in der Aufeinanderfolge der Formen stimmt die Cantate auf den zweiten Trinitatis-Sonntag, »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes«53 (C dur) mit der eben besprochenen überein. Ja, ob absichtlich oder nicht, die Arien stehen auch in denselben [186] Tonarten, nur ist die Reihenfolge eine andre. Auch hier liegt das Hauptgewicht auf dem ersten Chore, zwischen dessen Texte und dem Sonntags-Evangelium freilich eine Beziehung kaum vorliegt. Wie dort besteht der Chor aus einem auch in der Taktart übereinstimmenden Anfangstheile mit freien Imitationen und selbständiger Instrumentalbegleitung und aus einer Fuge; dort geht dem Eintritt des vollen Chors ein Satz der Soprane und Alte vorher, hier heben einige Bässe allein an54. Die Gleichheit tritt selbst in ähnlichen Wendungen hervor (s. T. 24 ff. der C dur-, T. 26 ff. der E moll-Cantate). Das ganze Stück ist sehr tonreich und glänzend, das Fugenthema voll kräftigen Schwunges. Ein in der Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß« bemerkter Effect55 kehrt hier und in einem gleich zu charakterisirenden neuen Werke (»Ein ungefärbt Gemüthe«) abermals wieder: Solostimmen beginnen die Fuge, mit neuen Einsätzen des Themas fügen sich nach und nach die Tuttistimmen hinein – ein langsames Crescendo, wie es in der Orgelmusik durch das allmählige Hinzuziehen neuer Register hervorgebracht wird. Endlich lehnt sich noch dadurch diese Fuge an frühere Fugen an, daß die Trompete als fünfte Stimme die Durcharbeitung fortsetzt. Auch der Choral am Schlusse des ersten und zweiten Theils bewegt sich in einer einfachen und bekannten Form. Das Instrumentalstück am Anfang des zweiten Theils ist ein Trio für Oboe d'amore, Viola da gamba und Bass, also eine in die Kirche übertragene Kammermusikform, deren wir bei Bach schon mehren begegnet sind. Bald hernach verwandte Bach dieses Stück für eine seiner Orgelsonaten56, nicht ohne es mehrfach geändert zu haben. Zum Theil sind die Änderungen absolute Verbesserungen, in manchen Verschiedenheiten der älteren Fassung: in den ruhigeren Bässen, der theilweise tieferen Lage der Oberstimmen offenbart sich aber wohl auch die Rücksichtnahme [187] auf den kirchlichen Zweck, denn der zweite Cantatentheil wurde unter der Communion vorgetragen57.

Wahrscheinlich trat Bach schon 14 Tage später, am 4. Trinitatissonntage (20. Juni), mit einem neuen Werke hervor58. Der Verfertiger der Texte der beiden vorigen Cantaten konnte ihm nicht genügen, er griff deshalb zu den bewährten Neumeisterschen Dichtungen zurück. Der dem vierten Jahrgange der Fünffachen Kirchencantaten entnommene Text »Ein ungefärbt Gemüthe« ist in der Versfügung bequem, aber freilich an poetischem Gehalt auch kein Muster. Bach sah sich dieser lehrhaften, prosaischen Abhandlung gegenüber allein auf seine musikalische Phantasie angewiesen. Er hat mit den beiden Arien, welche die Cantate enthält, geistvolle und anregende Musikstücke geliefert; die erste derselben (F dur), welche zugleich das Werk eröffnet, gewinnt überdies den Hörer durch ihren freundlichen, zufriedenen Ausdruck. Man kann sie ein Trio für Geigen, Alt und Bass nennen, und die zweite ein Quatuor für zwei Oboi d'amore, Tenor und Bass, so wenig tritt die Singstimme herrschend auf. Hier war dies Verfahren durch die Qualität des Textes selbst geboten. Auch aus der Verwandtschaft des Hauptgedankens der ersten Arie mit demjenigen des letzten Satzes der H moll-Sonate für Violine und Clavier59 läßt sich schließen, daß Bach hier vorzugsweise im instrumentalen Gebiete lebte. Der an dritter Stelle befindliche Chor über den Bibelspruch Matth. 7, 12 »Alles nun, das ihr wollet, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen« ist in der seinen zweiten Theil bildenden Doppelfuge ein sehr belebtes, energisch und eindringlich declamirtes Stück; die kurzen Perioden, mit welchen Chor und Instrumente anfangs respondiren, erinnern dagegen an den Stil der älteren Kirchencantate und die Takte 11–18 an Takt 11–25 des zweiten Chors aus Bachs früherer Cantate »Ich [188] hatte viel Bekümmerniß«. Der Schlußchoral ist einfach, wie in der Cantate »Jesus nahm zu sich die Zwölfe«, gestaltet60.

Für den 7. Trinitatissonntag (11. Juli) desselben Jahres wählte Bach einen Text aus Francks »Evangelischen Sonn- und Festtags-Andachten«, welche ihm schon in Weimar die Unterlage zu zwei Compositionen geboten hatten61. Franck hatte ihn zum dritten Adventsonntage bestimmt, die Verwendung für einen andern Zweck machte die Umdichtung der ersten beiden Arien nöthig. Recitative, welche in jenen Texten Francks überhaupt nicht vorhanden sind, wurden ein gelegt – man meint in ihnen den wortreichen Redner der Texte zum ersten und zweiten Trinitatis-Sonntage zu erkennen – so reichte der Stoff, um wieder eine zweitheilige Cantate herzustellen. Der erste Chor: »Ärgre dich o Seele nicht« (G moll) ist auffällig kurz und entbehrt einer reicheren Entwicklung, wie man sie sonst bei Bach gewohnt ist. Nach einem Vorspiel bringt der Chor zuerst ein dreitaktiges Sätzchen, das durch einschneidende Vorhalte die Empfindung des »Ärgers« oder Unwillens versinnlichen soll. Man macht bei Bachschen Gesangstücken häufig die Bemerkung, daß einerseits der Charakter derselben nicht sowohl aus dem Text unmittelbar, als vielmehr nur aus der kirchlichen Bedeutung des Sonntags oder einer andern allgemeineren poetischen Vorstellung, oft sogar allein aus dem rein musikalischen Bedürfniß des Contrastes hervorwächst; daß aber andrerseits wieder gewisse ganz specielle Vorstellungen das Motiv zu eigenartigen Tonbildungen hergeben, welche der musikalischen Entwicklung die Richtung weisen, die Empfindung selbst mehr nur äußerlich colorirend, als von innen heraus bestimmend – allgemeinstes und ganz besonderes in unmittelbarer Vereinigung. So ist es auch hier: da der Begriff des »Ärgerns« nur in der Negation auftritt, kann er nicht für die Haltung des Ganzen bestimmend sein; aber er gab Veranlassung zu einem musikalisch interessanten Anfang. In Gegensatz hierzu tritt nun ein mit Bachscher Eindringlichkeit declamirtes Fugato über dieselben Textworte; in kunstvoller Anlage stellen ihm die Instrumente ebenfalls einen Fugensatz über ein andres Thema entgegen, der Instrumentalbass nur geht seine eignen Wege. Nach einmaliger Durchführung [189] erfolgt ein Schluß in D moll und in einer kurzen homophonen Periode der logisch begründende Nebensatz. Dann wiederholt sich der ganze Process in C moll mit Zurückleiten in die Haupttonart; noch sechs Takte Epilog und das Stück ist zu Ende. Trotz der ungewöhnlichen und knappen Form ist dennoch die Stimmung erschöpft; nicht nur in dem kunstvollen Detail, auch in der Gestaltung des Ganzen empfindet man die sichre Meisterhand. Überhaupt ragt die Cantate an innerm Gehalt über die meisten vorhergehenden empor und stellt sich der Cantate »Du wahrer Gott« gleichbedeutsam zur Seite. Durchweg sehr ausdrucksvoll und zum Theil tief ergreifend sind die Recitative, man sehe namentlich die ariosen Ausgänge und unter ihnen wieder denjenigen des zweiten Recitativs mit den geistreich malenden harmonischen Anticipationen des Basses. Die drei Arien überbieten einander an Tiefsinn und Innigkeit, die Perle unter den Solostücken aber ist ein Zwiegesang (C moll) für Sopran und Alt »Laß Seele kein Leiden von Jesu dich scheiden«. Er trägt den Rhythmus einer Gigue und auch jene melancholische Grazie, die so manchen Bachschen Tanzstücken eigen ist. Hohes Interesse erregt endlich der Choral, welcher den ersten Theil der Cantate beschließt. Zum ersten Male tritt hier die Form der Choralfantasie in ihrer Übertragung auf das vocale Gebiet voll entgegen. In der Cantate »Du wahrer Gott« hatte zwar Bach schon die Hand zu dieser Neuschöpfung geregt, war aber in den folgenden Werken zu einfacheren Gebilden zurückgekehrt. Flöten und Violinen mit Bass führen, einander respondirend, ein fromm und kindlich klingendes Instrumentalstück aus; hinein senkt sich die Melodie »Es ist das Heil uns kommen her« mit der Strophe:


Ob sichs anließ, als wollt er nicht,

Laß dich es nicht erschrecken.


Der Cantus firmus liegt im Sopran, die andern Stimmen contrapunktiren, indem sie meistens die Melodie in verkleinerten Notenwerthen imitiren. Ein Choral am Schlusse der ganzen Cantate findet sich in der Partitur nicht; nach den Analogien der Cantaten zum ersten und zweiten Trinitatis-Sonntage ist aber mit Bestimmtheit anzunehmen, daß der Choral des ersten Theils wiederholt werden sollte.

Die Composition eines andern Franckschen Textes liegt für den 13. Trinitatis-Sonntag (22. Aug.) vor. Ganz sicher ist es zwar nicht, [190] ob dieses Werk nicht etwa erst im folgenden Jahre entstand, wo es dann am 3. September seine erste Aufführung erfahren haben würde. Doch halte ich das erstere für wahrscheinlicher62. Bach griff dieses Mal auf das »Evangelische Andachts-Opfer«63 zurück, dessen Poesien sich bequemer musikalisch behandeln ließen. Hier fehlt der Chor ganz, abgesehen von dem einfachen Choral, welcher mit der fünften Strophe des Liedes »Herr Christ der einig Gott's Sohn« am Schlusse ertönt. Das Evangelium giebt die Erzählung vom barmherzigen Samariter, und christliche Milde und Barmherzigkeit ist es, was das ganze Kunstwerk kündet. In der ersten Arie: »Ihr, die ihr euch von Christo nennet, wo bleibet die Barmherzigkeit« (G moll) glaubt man den Heiland selber reden zu hören voll göttlicher Milde aber doch menschlich warm empfindend und antheilvoll, dazu mit einem Beisatz von Schwermuth:


5.

In der zweiten Arie: »Nur durch Lieb und durch Erbarmen werden wir Gott selber gleich« (D moll) eignet sich der Mensch die hohe Lehre des Erlösers an und in der dritten verkündigt er sie mit freudiger Überzeugung zu zweien und in Tönen, die aus der Melodie der ersten Arie hervorgewachsen zu sein scheinen:


5.

Diese beiden Themen werden mit einer selbst bei Bach ungewöhnlichen Beharrlichkeit durchgeführt, meist canonisch im Einklange oder der Octave, im Duett auch in der Gegenbewegung; unablässig erklingt es bald im Gesange, bald in den Instrumenten, wie jenes johanneische Wort: Kindlein, liebet euch unter einander!

Mit einiger Sicherheit läßt sich auch noch die Umarbeitung der herrlichen weimarischen Cantate »Wachet, betet«64 in dieses Jahr setzen. Da an den drei letzten Adventsonntagen in Leipzig keine Kirchenmusik gemacht wurde, so benutzte sie Bach für den 26. Trinitatis-Sonntag, [191] zu dessen Evangelium sie auch sehr wohl paßt. Die Umarbeitung bestand wesentlich darin, daß das Werk durch Einfügung von Recitativen und dem Choral »Freu dich sehr, o meine Seele« zu einer zweitheiligen Cantate erweitert wurde. Einem der Recitative, das zu den großartigsten gehört, welche Bach geschrieben, ist wieder ein instrumentaler Choral zugesellt, der die leidenschaftliche persönliche Empfindung in das Gebiet der kirchlichen Stimmung bannt, während umgekehrt diese durch jene bereichert und individualisirt wird. Bach selbst hielt sehr viel von dieser Composition, und hat sie in späteren Jahren nochmals aufgeführt65.

Außer diesen acht Cantaten fallen in die Zeit des ersten Leipziger Kirchenjahres noch zwei Werke, welche außerordentlichen kirchlichen Veranlassungen ihre Entstehung verdanken. Am 24. August eines jeden Jahres, als am Bartholomäustage, pflegte die Wahl des neuen städtischen Rathes statt zu finden, und am ersten nachfolgenden Montag oder Freitag, bevor derselbe zu seiner ersten Sitzung zusammentrat, wurde ein feierlicher Gottesdienst gehalten. Im Jahre 1723 geschah dies Montag den 30. August66 und Bach componirte hierzu die durch schwung- und glanzvolle Chöre ebenso wie durch warme, melodische Sologesänge ausgezeichnete Festcantate »Preise, Jerusalem, den Herrn«67. Wie die Form des Werkes aus der Vorstellung eines festlichen Actes hervorgegangen ist, zeigt die Anordnung und der Charakter der einzelnen Musikstücke ganz deutlich. An der Spitze steht eine Ouverture im französischen Stil, zu deren Darstellung eine Instrumentenmasse von vier Trompeten, Pauken, zwei Flöten, drei Oboen, Streichquartett und Orgel herbeigezogen ist. Das überaus pompöse Grave wird von den Instrumenten gespielt, beim Allegro 12/8 fällt der Chor ein und führt seinen Bibelspruch (Psalm 147, 12–14) nicht sowohl in fugirter Weise, als mit frei imitatorischer und motivischer Benutzung des zuerst vom Bass [192] intonirten Hauptgedankens durch bis zur Wiederkehr des Grave, das abermals von den Instrumenten allein vorgetragen wird, und hier die Rolle des Nachspiels vertritt. Diese kühne Übertragung einer durchaus weltlichen Instrumentalform in die Kirchenmusik begegnet uns bei Bach nicht zum ersten Male; schon in der 1714 für Leipzig componirten Cantate »Nun komm der Heiden Heiland« tritt sie auf68. Ein wesentlicher Unterschied aber zeigt sich darin, daß in dem älteren Werke die Ouverturenform mit dem Choral combinirt ist, und daß der Gesang sich auch an dem Grave betheiligt. Das betreffende Stück der Rathswahl-Cantate neigt sich, indem es nur einen frei erfundenen Chor enthält, stärker nach der weltlichen, und insofern derselbe sich an zwei Hauptabschnitten der Form garnicht betheiligt, auch entschiedener nach der instrumentalen Seite hin. Es durfte dies hier geschehen, da der Zweck des Werkes kein kirchlicher im engeren Sinne war; übrigens ist durch die im Allegro sich entfaltende speciell Bachsche Polyphonie doch ein kirchlicher Grundton wenigstens gewahrt. Nicht mehr als dieses läßt sich auch in den nun folgenden Recitativen und Arien erkennen, deren Texte die glücklichen Verhältnisse der Stadt Leipzig auseinander setzen. Hätte Bach nicht über eine so große rein musikalische Erfindungsgabe verfügt, so würde es ihm wohl unmöglich gewesen sein, in der zweiten Arie: »Die Obrigkeit ist Gottes Gabe, ja selber Gottes Ebenbild« ein so reizendes Musikstück hinzustellen, denn aus dem Texte konnte er wahrlich keine Begeisterung schöpfen. Daß er aber, wo nur irgend eine poetische Anregung denkbar war, sich dieser sofort hingab, zeigt die erste Arie: »Wohl dir, du Volk der Linden, wohl dir, du hast es gut«. Es ist dies ein so sonniges, tief behagliches Stück, wie es wenige giebt; die hier von Bach angewendeten tiefen Schalmeien (Oboi da caccia) verleihen ihm einen idyllischen und doch – der Umgebung angemessen – ernsten Charakter, so daß es sich von der sonst in der Stimmung wohl verwandten B dur-Arie der Pales aus der Cantate »Was mir behagt«69 immer noch merklich unterscheidet. Ein ganz aparter Satz verbindet diese Arie (G dur) mit der schon genannten zweiten (G moll): eine schmetternde Trompetenfanfare leitet ein Bass-Recitativ ein: »So herrlich stehst [193] du, liebe Stadt«, das hernach außer von dem Generalbass von ausgehaltenen Harmonien zweier Flöten und zweier englischen Hörner begleitet wird, bis zum Schluß wieder die jubelnde Fanfare ertönt; Streichinstrumente sind bei diesem Satze garnicht betheiligt. Nach der G moll-Arie vereinigt sich der gesammte Instrumentalkörper mit den Singstimmen alsbald nochmals zu einem glänzenden Tonbild, das in der Form der Da capo-Arie erscheint. Den ersten Theil bildet eine Fuge, deren Thema:


5.

offenbar aus der ersten Zeile des Chorals »Nun danket alle Gott« gestaltet ist. Dergleichen freie Benutzungen von Choralmelodietheilen sind bei Bach äußerst selten (in der Motette »Nun danket alle Gott« hat er sich noch einmal etwas ähnliches gestattet); der Choral war ihm ein durch die Kirche gleichsam geheiligtes Wesen und wo er ihn einführt, pflegt er ihn unangetastet in den Mittelpunkt der eignen Composition zu stellen. Wenn er hier von diesem Verfahren abwich, glaubte er sich jedenfalls durch den kirchlich-weltlichen Charakter des ganzen Werks dazu berechtigt. Der zweite Theil der gewählten Form bildet zu dem ersten den homophonen Gegensatz; ein im Instrumental-Ritornell von den Trompeten intonirtes singendes Motiv:


5.

wird darin geistreich verarbeitet. Erst am Schlusse der Cantate kommt in ein paar Zeilen aus dem »Herr Gott dich loben wir« die streng kirchliche Empfindung zum Ausdruck.

In Störmthal bei Leipzig wurde während der Jahre 1722 und 1723 die Kirche erneuert und in Verbindung damit eine ganz neue Orgel angeschafft, welche Zacharias Hildebrand, ein Schüler Gottfried Silbermanns, für 400 Thaler zu erbauen hatte. Ein Kammerherr von Fullen, welcher auf Störmthal ansäßig war, hatte die Mittel dazu gewährt und nach Vollendung des Werkes Bach veranlaßt, dasselbe zu prüfen. Am 2. November, als dem Dienstag nach dem 23. Trinitatis-Sonntage fand zur Einweihung der Orgel ein öffentlicher Gottesdienst statt, für welchen Bach eine Cantate »Höchst [194] erwünschtes Freudenfest« componirt hatte, deren Aufführung er persönlich leitete. Die Orgel, welche von ihm »für tüchtig und beständig erkannt und gerühmet worden war«, besteht im wesentlichen noch heute; nur hat sie im Jahre 1840 eine durchgreifende Reparatur durch den Orgelbauer Kreuzbach erfahren, der bei dieser Gelegenheit sich ebenfalls sehr günstig über das Werk geäußert haben soll. Es ist ein laut redender Beweis für das enorme Ansehen, in welchem Bachs Person und Name in Sachsen stand und steht, daß die Tradition von seiner Anwesenheit in Störmthal sich bis heutigen Tages, also mehr als anderthalb Jahrhunderte hindurch, dort erhalten hat70. Die Cantate, welche Bach jedenfalls mit Leipziger Kräften aufführte, ist wohl wegen des hohen Bestellers mit ganz besonderer Sorgfalt geschrieben71. Sie ist aber auch inhaltlich bedeutend und wurde später von Bach, der es liebte seine Gelegenheitscompositionen im Interesse der regelmäßigen Amtspflichten auszunutzen, für das Trinitatisfest bestimmt und an diesem Tage mehrfach in verschiedener Gestalt aufgeführt. Ein Vergleich zwischen ihr und der Rathswahl-Cantate ist lehrreich. Auch hier liegt kein eigentlich kirchlicher Zweck vor und noch stärker als dort machen sich weltliche, wenn auch geläuterte und ins Kirchliche hinübergezogene Grundformen geltend. Den Anfang bildet wieder eine Ouverture im französischen Stil, auch die Art wie die Singstimmen sich betheiligen ist die gleiche, nur in die letzten Takte des am Schlusse wiederkehrenden Grave fallen sie nochmals bekräftigend ein. Übrigens ist das Allegro hier ein wirkliches Fugato, auch die unterbrechenden Triostellen fehlen nicht, sodaß der Ouverturenstil noch genauer bis ins Einzelne hinein beibehalten erscheint. Die erste Arie erhält durch die Wiederkehr des Hauptgedankens:


5.

5.

[195] etwas rondoartiges, obgleich die Arienform festgehalten ist. Die zweite Arie ist ganz im Gavotten-Rhythmus durchgeführt:


5.

Die dritte hält den Charakter der Gigue fest durch folgendes als Bass-Ritornell verwendetes Thema:


5.

72


Die vierte endlich zeigt Menuett-Bewegung:


5.

Man hat hier also die merkwürdige Erscheinung einer Cantate in Form einer Orchester-Partie, nur daß Recitative dazwischen stehen und am Schluß beider Abtheilungen je ein Choral sich befindet. Vermuthlich wollte Bach auf diese Weise dem Geschmack des adligen Patrons der Kirche zu Störmthal ebenso entgegenkommen, wie er sich mit seiner Probecantate dem Geschmack der Leipziger Bürger anbequemt hatte; denn französische Instrumentalmusik war unter [196] August dem Starken am Hofe zu Dresden sehr beliebt. Indessen that Bach damit nichts gegen seine Natur: er hatte einmal die Tendenz, alle Kunstformen jener Zeit in seinen Stil einzuschmelzen. Daher war es auch nicht gradezu ungereimt, wenn er die Orgelweih-Cantate später zum Trinitatisfest wieder aufführte. Unkirchlich ist sie nicht, aber allerdings fehlt ihr jener höchste Grad von Kirchlichkeit, der nur da vorhanden sein kann, wo die Phantasie des Künstlers durch einen für die christliche Gemeinde allgemeingültigen Vorgang zum Produciren gestimmt wird. –

Bach hatte sein Amt in der festlosen Zeit des Kirchenjahres angetreten. Wie bemerkenswerth auch die Thätigkeit war, die er während derselben als Kirchencomponist entfaltete, in seiner ganzen Größe sich zu zeigen hatte er doch erst mit Beginn des neuen Kirchenjahres 1723–1724 Gelegenheit. Selbstverständlich wollte er das erste Mal die Festtage möglichst mit eignen Musiken begehen. Auf diese Annahme gestützt können wir mit ziemlicher Bestimmtheit die meisten Festcantaten dieses Kirchenjahres bezeichnen. Zum ersten Weihnachtstage brachte Bach als Hauptmusik die Cantate »Christen ätzet diesen Tag in Metall und Marmorsteine«73. Die eigenartige Stimmung der Composition wird durch das in ihr befindliche Duett für Alt und Tenor enthüllt. Hier heißt es:


Ruft und fleht den Himmel an,

Kommt ihr Christen, kommt zum Reihen,

Ihr sollt euch an dem erfreuen,

Was Gott hat anheut gethan.


Das allgemeine Gefühl der Weihnachtsfreude erscheint also specialisirt durch die Vorstellung einer festlichen Schaar, die ihren feierlichen Reigen schlingt, gleichsam der Aufforderung des Psalmisten folgend: »Lobet den Herrn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen«. Der Festestanz, welcher im Duett anmuthig und wiegend ausgeführt wird, tritt in den Ritornellen des ersten Chors, deren musikalischer Zusammenhang mit dem Duett augenscheinlich ist, rauschend und prächtig auf. Ohne diesem Charakter untreu zu werden entwickelt sich doch der Chor aus ganz andern zum Theil sehr wirksam canonisch geführten Melodien; er enthält Aufforderungen zur Weihnachtsfeier, und sobald er einen seiner Abschnitte [197] beendigt hat, bricht in unmittelbarer Folge der Jubel des Festreigens wieder herein. Auch der letzte Chor steht unter der Einwirkung dieser Vorstellung, die sich alsbald aber dahin ändert, daß die Schaar dicht gedrängt sich betend vor dem Herrn niederwirft: eine sehr eigenthümliche Doppelfuge von inbrünstigem, intensivem Ausdruck versinnlicht dies. Im zweiten Theile des Chors entspricht ihr eine andre Doppelfuge über die Worte »Laß es niemals nicht geschehn, daß uns Satan möge quälen«, in welcher der in das Wort »quälen« gelegte dramatische Ausdruck überrascht. Die übrigen Stücke der Cantate: zwei Recitative und ein kunstvoll gearbeitetes Duett für Sopran und Bass, in dem Oboe und Instrumentalbass ihr ganz eignes Gedankenmaterial ausspinnen, bewegen sich in einer allgemeineren kirchlichen Stimmung. Sonst aber greift der Stil des Werkes unverkennbar ins Oratorienhafte hinüber und dieses ist es, was dasselbe, dem auch ein sehr bedeutender rein musikalischer Werth innewohnt, unter Bachs Cantaten insbesondere merkenswerth macht. Es verdient Beachtung, daß in ihm der Choral gänzlich fehlt74.

Nach der Predigt wurde an den hohen Festtagen zur Einleitung der Communion das Sanctus im Figuralstile musicirt (vrgl. S. 100). Es liegt eine Anzahl solcher von Bach componirter Sanctus vor, unter welchen ich das für den ersten Weihnachtstag 1723 bestimmte erkennen zu können glaube. Es steht in C dur, wie die Cantate, und ist auch fast ebenso instrumentirt, zeichnet sich durch einen festlichen, glänzenden Charakter aus und wölbt sich im Pleni sunt coeli et terra zu prachtvollen, kreuzweis laufenden Bogen75.

Die Aufführung der Cantate »Christen ätzet diesen Tag« und des zugehörigen Sanctus während des Vormittagsgottesdienstes fand durch den ersten Chor in der Nikolaikirche statt. In der Vesper wurde die Cantate durch denselben Chor in der Thomaskirche wiederholt, nach der Predigt aber der Lobgesang Mariae in lateinischer Fassung figuraliter musicirt. Zu diesem Zwecke schrieb Bach sein großes Magnificat, welches seit es wieder allgemeiner bekannt geworden ist, unter die höchsten Offenbarungen seines Genius mit [198] Recht gezählt wird76. In Veranlassung der Weihnachtsfeier, welcher es dienen sollte, erweiterte Bach seine durch den biblischen Text gegebenen Verhältnisse, indem er vier Gesangstücke an passenden Stellen einlegte, deren Texte in einer ganz besondern Beziehung zu dem Leipziger Cultus standen. Es sind 1) die Anfangsstrophe des Liedes »Vom Himmel hoch«, 2) der Vers: »Freut euch und jubilirt, Zu Bethlehem gefunden wird Das herzeliebe Jesulein, Das soll euer Freud und Wonne sein«, 3) das Gloria in excelsis deo, 4) die Zeilen: Virga Jesse floruit, Emanuel noster apparuit, Induit carnem hominis, Fit puer delectabilis. Alleluja. Obgleich diese Texte zur Hälfte deutsch, zur Hälfte lateinisch und ohne formellen Zusammenhang sind, so hat sie doch Kuhnau zur Grundlage einer Weihnachts-Cantate gemacht und hierbei genau die obige Reihenfolge gewahrt77. Dieselbe ist innerlich wohl begründet, indem sie die Begebenheiten der Christnacht gleichsam dramatisch macht. Daß Bach die Texte unvermittelt aus dem Kuhnauschen Werke entnahm, zeigen mehre Merkmale ganz deutlich. Eines derselben liegt in der Fassung des Engelgesanges Gloria in excelsis. Die griechischen Worte: καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη, ἐν ἀνϑρώποις εὐδοκία sind durch die Worte: et in terra pax hominibus bonae voluntatis in der Vulgata falsch übertragen. Es wird hierdurch der Sinn hineingelegt entweder: Friede auf Erden den Menschen die eines guten Willens sind, oder: Friede auf Erden den Menschen, welchen Gott geneigt ist, während es in Wirklichkeit bedeuten soll: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen, wie Luther ganz richtig übersetzt. Trotzdem wurde die Version der Vulgata auch in den protestantischen Kirchen und namentlich für die musikalische Verwendung der Worte fast überall beibehalten. Wenn die Theologen gegen die Cantoren eiferten, welche ihre Texte meistentheils den päpstlichen Componisten entlehnten und sich oft damit breit machten, wie die Krähe mit bunten Federn, auf diese Weise Irrthümer einführten, oder doch aus Unwissenheit oder Trägheit durch den Gebrauch guthießen, so wurde ihnen nicht mit Unrecht [199] vom Standpunkte der Musiker aus erwiedert, daß die Übersetzung der Vulgata einen melodischeren Rhythmus habe78. Ausnahmsweise hat indessen Kuhnau in der genannten Cantate die Lesart der Vulgata emendirt und das dem Griechischen entsprechende bona voluntas eingesetzt, und Bach, der in allen seinen andern Gloria-Compositionen bonae voluntatis componirt, hat hier das Richtige ebenfalls. Wie aber aus der musikalischen Phrasirung hervorgeht, war ihm entweder der Sinn nicht ganz deutlich oder er hat sich aus musikalischen Gründen über ihn hinweggesetzt. Indem er interpungirt: et in terra pax hominibus, bona voluntas nähert er sich dem Ursinne ohne ihn doch ganz zu treffen, man erkennt, daß ihm die Version der Vulgata im Ohre lag und er einen gegebenen Text schlankweg in Musik setzte, ohne auf die sich daran knüpfende theologische Streitfrage sonderlich Acht zu haben. Ein zweites Merkmal hängt an den Zeilen Virga Jesse u.s.w. Dies ist ein Fragment eines längeren Weihnachtsgesanges, den Vopelius vollständig mittheilt79. Er lautet:


Virga Jesse floruit,

Emanuel noster apparuit,

Induit carnem hominis,

Fit puer delectabilis.

Domum pudici pectoris

Ingreditur Salvator et

Autor humani generis.

Ubi natus est Rex gloriae?

Pastores dicite!

In Bethlehem Juda.

Sause80, liebes Kindelein,

Eya, Eya,

Zu Bethlehem Juda.

Virga Jesse floruit,

Emanuel noster apparuit,

Induit carnem hominis,

Fit puer delectabilis,

Alleluja!


Nur die letzten Zeilen also hat Kuhnau benutzt und es wäre ein allzu [200] seltsamer Zufall, wenn Bach unabhängig auf denselben Gedanken gekommen sein sollte. Aber auch die Reihenfolge, in welcher Bach die vier Textabschnitte dem Magnificat eingefügt hat, ist genau dieselbe, in der sie Kuhnau zusammensetzte. Es wird nicht das letzte Mal sein, daß wir Bach so wie hier Kuhnaus Pfaden folgen sehen. Wie er die Traditionen seines Geschlechtes pflegte und hochhielt, wie er alles was bedeutende ältere und gleichzeitige Künstler geschaffen hatten lernbegierig ergriff, so war er auch jetzt weit entfernt, in den Verhältnissen, wo ein großer Meister vor ihm gewirkt hatte, mit Beflissenheit neu zu erscheinen oder im Gefühl überlegener Kraft die Arbeit des Vorgängers unbeachtet zu lassen. Innerlich stand er freilich dem Wesen Kuhnaus ziemlich fern und eine Fortsetzung seines Werkes konnte nur äußerlich sein. Sie ist aber für Bachs Charakter darum nicht weniger bedeutsam. In diesem Falle hängt übrigens Kuhnaus Weihnachtsmusik mit gewissen kirchlichen Gebräuchen Leipzigs zusammen, welche Bach auch um ihrer selbst willen interessant sein mußten. Der mitgetheilte lateinisch-deutsche Weihnachtsgesang kennzeichnet sich wenigstens zu einem Theile als ein an der Krippe Christi gesungenes Wiegenlied und weil der Leipziger Cantor Vopelius ihn in sein leipzigisches Gesangbuch aufnahm wird er dort gebräuchlich gewesen sein. Althergebracht war im christlichen Gottesdienst die Sitte, zur Christmette in der Kirche eine Krippe aufzustellen und die Vorgänge der heiligen Nacht dramatisch aufzuführen. Knaben stellten die Engel dar und verkündigten die Geburt des Heilandes, dann traten Geistliche, die Hirten, ein und näherten sich der Krippe; andre fragten, was sie dort gesehen hätten (Pastores dicite), sie gaben Antwort und sangen an der Krippe ein Wiegenlied. Auch Maria und Joseph an der Krippe wurden dargestellt; Maria fordert Joseph auf, ihr das Kindlein wiegen zu helfen; er erklärt sich bereit und die Hirten singen ein Lied81. Diese Sitte des Kindleinwiegens, welche sich ganz vereinzelt bis in unser Jahrhundert erhalten hat, herrschte im Anfange des vorigen Jahrhunderts auch noch in Leipzig. Sie gehörte zu den Bräuchen, welche der Rath im Jahre 1702 abschaffen wollte82. Daß er mit diesem Vorschlage nur sehr wenig Anklang [201] fand, ist schon bei einer andern Gelegenheit gesagt worden. Insbesondere der Brauch des Kindleinwiegens hat zuverlässig zu Bachs Zeit noch bestanden, da auch in seinem Weihnachts-Oratorium auf ihn Bezug genommen wird. Weil er mit den Laudes in Verbindung gebracht wird, kann er nur am Schluß der Mette in der Nikolaikirche geübt worden sein. Das Wiegenlied, welches bei dieser Gelegenheit gesungen zu werden pflegte, ist das alte, beliebte: »Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wiegen mein Kindelein«83. Es liegt auf der Hand, daß der Gesang Virga Jesse floruit für denselben Zweck bestimmt gewesen sein muß. Daß er in der Leipziger Christmette wirklich so verwendet worden ist, wird zwar nicht ausdrücklich gesagt; wie aber die Verhältnisse liegen kann man es mit Bestimmtheit annehmen. So viel ist unter allen Umständen klar: die von Kuhnau zu einer Weihnachts-Cantate zusammengefügten und von Bach wieder aufgegriffenen Texte spiegeln jenen alten, naiven und damals noch in Leipzig populären Brauch, die Engelbotschaft und Anbetung der Hirten in der Kirche dramatisch aufzuführen, im idealeren Bilde zurück, sind gewissermaßen sein poetisch-musikalischer Niederschlag. In diesem Lichte angesehen gewinnen sie für Bachs Magnificat eine besondere, die Stimmung dieser mächtigen Composition erheblich vertiefende Bedeutung. Vergleicht man die vier Stücke, welche sich an vier verschiedenen Stellen in das Magnificat hineinschieben und schon durch die theilweise deutschen Texte wie auch durch ihren poetischen Inhalt einen Gegensatz zu demselben bilden, hinsichtlich ihrer Construction mit den in jenem angewandten Mitteln und Formen, so springt ebenfalls eine bedeutende Verschiedenheit in die Augen. Außer dem Gloria, welches in bescheidenem Maße die Instrumente zur Mitwirkung heranzieht, werden alle übrigen Sätze nur vom Continuo begleitet84. Es war in den lutherischen Kirchen von Alters her beliebt, zur Weihnachtszeit mit [202] Wechselchören zu musiciren, sei es nun zwischen Chor und Gemeinde, oder zwischen kleinem und vollem Chor, wobei dieselben auch örtlich von einander entfernt zu sein pflegten85. Geschah dies anfänglich nur mit kürzeren Liedabschnitten, so dehnte man das Verfahren mit der Zeit auch auf längere Stücke aus. In Leipzig selbst waren Aufführungen mit respondirenden Chören nichts seltenes (vrgl. S. 115). Nun besaß die Thomaskirche, in welcher das Magnificat zum ersten Male aufgeführt wurde, eine über dem hohen Chor angebrachte, also der großen Orgel gegenüber befindliche kleinere. Wir wissen, daß sie nur an hohen Festtagen gebraucht wurde. Wozu wurde sie gebraucht? Jedenfalls doch nur zu solchen alternirenden Gesangsaufführungen. Daher glaube ich, daß Bach, als er dasMagnificat zum ersten Male zu Gehör brachte, vom Chor der kleinen Orgel herunter, dessen beschränkte Dimensionen nur für eine geringe Sängerschaar und wenige Instrumentisten Platz boten, jene vier Weihnachtsgesänge ertönen ließ. Durch diese Annahme erklärt sich am leichtesten die Art, wie er die Partitur derselben anlegte und wie er später mit ihnen verfuhr. Er hat sie zwar offenbar zu derselben Zeit wie das Magnificat componirt und mit diesen zusammen als ein Ganzes gedacht, aber sie doch nicht an die ihnen bestimmten Stellen gesetzt. Sondern sie laufen vom zwölften Blatte der autographen Partitur an auf den untersten unbenutzten Systemen der Seiten neben dem Magnificat her und sind mit Hinweisen auf die Stellen versehen, an welchen sie einzufügen waren. Wenn sie vom Chor der kleinen Orgel gesungen werden sollten, so konnten sie nur in der Thomaskirche gemacht werden, in der Nikolaikirche, wo am Nachmittage des zweiten Weihnachtstages die Hauptmusik war, mußten sie fortbleiben, da sich hier eine solche, oder eine ähnliche geeignete Örtlichkeit nicht befand. Und ferner: weil auch zu Ostern und Pfingsten dasMagnificat im Figuralstile musicirt wurde und Bach für diese Feste sein Werk jedenfalls auch verwenden wollte (außer diesem hat er, soviel man weiß, nur noch ein kleines Magnificat für Solo-Sopran geschrieben, das jedoch einstweilen verschollen ist), weil die Zwischenstücke aber nur für Weihnachten paßten, so ist es begreiflich, [203] daß er bei einer späteren Überarbeitung dieselben ganz fortließ86.

Das Magnificat ist für fünfstimmigen Chor componirt mit Begleitung von Orgel, Streichquartett, zwei Oboen, drei Trompeten und Pauken, wozu in der Überarbeitung noch zwei Flöten gefügt sind. Der Anfangschor ist nur über die Worte Magnificat anima mea Dominum gesetzt. Seine Form ist, äußerlich betrachtet, die der italiänischen Arie, wird aber erst durch einen Hinblick auf die Concertform ganz verständlich. Gleich die Instrumental-Einleitung ist weniger im Charakter eines Ritornells als in demjenigen eines Concert-Tuttis gehalten. Wir haben früher gesehen, wie Bach die Form des Concerts aus- und umbildete87, es war dies eine seiner Hauptbestrebungen in Cöthen, und man begreift es um so leichter, daß er frisch von dorther kommend die ihm geläufig gewordene Form hier verwendete. Zwei gegensätzliche Gedanken sind nicht vorhanden, das gesammte Material wird im Tutti dargelegt, dessen jubelnden Charakter das Motiv:


5.

feststellt88. Doch erweist sich in der Behandlung des Chors gegenüber dem Orchester die Concertidee in deutlicher Weise wirksam. Der erste Einsatz des Chors erfolgt wie der eines Solos nur zum begleitenden Grundbasse und seine melodische Gestalt klingt an den Anfang des Tuttis an, wie das ja auch im wirklichen Concert vorkam. Zwei Takte später fällt das Instrumentaltutti von neuem ein, bricht jedoch nach zwei Takten ab, um dem Chor Raum zu geben, sich mit einem andern, ebenfalls dem Tutti entnommenen Gedanken [204] abermals allein hören zu lassen89. Dann setzt es seinen Weg bis zum 16. Takte seiner Gesammtausdehnung und zwar in Gesellschaft des Chors fort, doch so, daß dieser im musikalischen Sinne als das untergeordnete Element erscheint. Seine Gänge schließen sich bald im Einklange bald in der Octave den Instrumentalstimmen an, nicht zwar ganz auf Selbständigkeit verzichtend, sondern sich loslösend und wieder mit ihnen zusammenfließend in Bewegungen von bewundernswerther Leichtigkeit, aber ein gleichberechtigter musikalischer Factor wie z.B. in dem Eingangschor der Cantate »Ärgre dich o Seele nicht« ist der Chor hier keineswegs; nur die Bestimmung der poetischen Empfindung – freilich das in höchster Instanz Entscheidende – geht von ihm aus. Anders liegen die Verhältnisse im zweiten Theil. Hier herrscht der Chor auch in musikalischer Beziehung und verarbeitet fleißig das Motiv, mit dem er das zweite Mal einsetzte, das Orchester redet nur in abgebrochenen Sätzchen, die dem großen Tutti entnommen sind, wiederum in concerthafter Weise hinein. Der dritte Theil gleicht dem ersten, ausgenommen daß die Entwicklung von der Unterdominante in die Grundtonart zurückführt; die letzten 15 Takte des Instrumentaltuttis werden Nachspiel. Um die formbildnerische Kraft Bachs recht zu würdigen, wolle man den Chor der Cantate »Wer sich selbst erhöhet« vergleichen, in welchen ebenfalls concerthafte Elemente hineingearbeitet sind90. Die folgende Arie des zweiten Soprans: Et exultavit spiritus meus in Deo salutari meo steht – ein bei Bach seltener Fall – in derselben Tonart. Sie setzt die anfangs ausgedrückte Empfindung fort, leitet sie aber aus dem Gebiete des allgemeinen Jauchzens und Frohlockens hinüber zu einer stilleren, kindlich-seligen Weihnachtslust. Wir kennen die Art wie Bach diese Empfindung auszusprechen wußte, zu genau, um sie hier nicht sofort wiederzufinden91. Überdies folgt, um über die Intention des Componisten jeden Zweifel zu benehmen, unmittelbar nach dieser [205] Arie als erstes Zwischenstück der Choral »Vom Himmel hoch da komm ich her«. Der Cantus firmus liegt im Sopran; der Satz ist vierstimmig in Pachelbelscher Form und mit ersichtlicher Liebe und Hingabe gearbeitet, die Contrapunkte sind durchweg aus den verkürzten Melodiezeilen gebildet, und mit großer Kunst imitatorisch geführt, nur einige Male ergeben sich etwas gewagte Harmonien. Auch dieses Stück steht in der Haupttonart und schließt sich mit den beiden vorhergehenden zu einer Gruppe zusammen. Man vergegenwärtige sich überdies, daß der Choral »Vom Himmel hoch« zu den Liedern gehörte, welche in der Weihnachtsvesper von der Gemeinde vor der Predigt gesungen zu werden pflegten, um die ganze Wirkung zu ermessen, wenn er jetzt inmitten der dem unmittelbaren Mitempfinden entrückteren lateinischen Gesänge aus der Höhe der Kirche herab in die Versammlung hineintönte. Nun werden andre Weisen angestimmt. Eine Arie des ersten Soprans (H moll) führt die Worte aus: Quia respexit humilitatem ancillae suae. Ecce enim ex hoc beatam me dicent (omnes generationes). Dadurch daß die Kirche in frühesten Zeiten schon den Lobgesang Mariä in die Liturgie aufnahm, ist ihm allerdings der persönliche Charakter abgestreift worden und auch Bach hat ihn, wie seine Composition beweist, in seiner kirchlichen Allgemeingültigkeit aufgefaßt. Andrerseits führten ihn jedoch die opernartigen Formen der Kirchenmusik wieder zu einer schärferen Individualisirung zurück. Wo überhaupt eine solche merkbar wird – und wir werden sie noch mehrfach zu constatiren haben – ist sie aber niemals dramatisch durchgeführt, sondern bezieht sich immer nur auf einen einzelnen Fall, ein einzelnes Musikstück. Sie war ihm in erster Linie Motiv zu musikalischen Zwecken. Überall drang Bach in die tiefsten biblischen und kirchlichen Beziehungen seiner Texte ein, um Anregungen zu neuen Kunstgestaltungen zu gewinnen; aber in deren Wahl bestimmte ihn zunächst immer das Gesetz musikalischer Zusammengehörigkeit oder Gegensätzlichkeit. Man wird bei Bachschen Compositionen, auch wenn man die innersten Beweggründe einzelner Theile nicht erkennen sollte, stets doch den Eindruck eines runden, in sich verständlichen musikalischen Organismus haben; Auffassungen, welche vom Nächstliegenden und Gemeinverständlichen abweichen, sind niemals derart, daß sie als beunruhigende Räthsel die Harmonie des Ganzen störten. Aber wie [206] wir von den Bachschen Sologesängen sagen mußten, daß sie unter einer sicher gefügten, gleichmäßig geebneten Fläche ein leidenschaftlich wechselndes Gefühlsleben bergen, so ist auch im Innern der ruhigen, einleuchtend zweckmäßigen Erscheinung eines mehrtheiligen Ganzen eine Fülle von oft ganz verschiedenartigen Kräften thätig und das eigenthümliche Weben und Walten des Bachschen Geistes begreift sich völlig erst durch die Aufdeckung dieser Kräfte selbst. Die Empfindung der er sten Arie war kindliche Weihnachtsfreude gewesen, bei der zweiten ist es das Bild der Mutter Gottes, welches den Tondichter begeisterte. Kaum dürften reine Jungfräulichkeit, Demuth, schüchtern empfundenes Glück je zu vollendeterem Ausdruck gekommen sein, als in diesem gleichsam ins musikalische übersetzten deutschen Madonnabilde. In der Grundstimmung einigermaßen verwandt ist die H moll-Arie der Cantate »Alles was von Gott geboren«92, doch giebt die directe Bezugnahme auf eine Persönlichkeit ebensowohl wie die zur Begleitung herangezogene Oboe d'amore der Arie des Magnificat eine größere Innigkeit und einen entschiedeneren Charakter. Die oben eingeklammerten Worte omnes generationes singt nicht mehr der Solosopran, sondern der Chor nimmt sie ihm vor dem Munde weg; die dramatische Fiction, welche den Charakter der Arie bestimmte, wird also bereits wieder aufgegeben. Der über jene beiden Worte componirte Chorsatz ist aber nicht minder tiefsinnig, nur nach einer andern Richtung hin. Es bedingt ihn die Vorstellung unzähliger, von einer und derselben Idee erfaßter Völkermassen. Bezeichnend genug für Bach gewinnt aber diese Idee nicht in einer hymnenartigen, lobpreisenden Form, welche die vorhergehenden Worte nahe gelegt hätten, Gestalt. So würde vielleicht Händel verfahren sein, der unpersönlichere Bach versinnlicht nur den Gedanken einer großen allgemeinen Bewegung. Diesen aber auch mit einer unübertrefflichen Plastik. Gleich dadurch, daß das Thema nicht allein, sondern von drei bewegten Stimmen überfluthet eintritt, werden wir wie mitten in den Strudel hineingeschleudert. Die Durchführung ist keine fugenartige, zuerst ergreifen die verschiedenen Stimmen den Grundgedanken, wie er ihnen eben bequem liegt, später überbieten sie sich in stufenweisen Eintritten, endlich thürmen [207] sie sich canonisch über einem Dominant-Orgelpunkt auf. Ein geistvoller Ausleger des Magnificat hat die Vermuthung geäußert, Bach habe hier unter der Idee der welterschütternden Macht des Christenthums gearbeitet, welche die Völkermassen in grimmigem Kampfe gegen einander trieb93. So weit möchte ich nicht gehen, zunächst deshalb nicht weil ein Tonbild dieser Intention für die Bestimmung des ganzen Werkes nicht passend erscheinen will, welches doch dem Jubel des Weihnachtsfestes dienen sollte. Auch habe ich bei Aufführungen gefunden, daß der Charakter dieses Chors wohl ernst und gewaltig wogend aber nicht eigentlich wild und leidenschaftlich ist. Bach giebt schon in Folge seiner musikalischen Natur derartigen Gebilden eine erregtere Haltung, als es andre, z.B. Händel, thun würden. Gewisse Änderungen, welche er bei der späteren Bearbeitung grade mit diesem Abschnitte seiner Composition vornahm, scheinen mir besonders lehrreich. Takt 6 und folgende vom Schluße ging der Bass ursprünglich so:


5.

über der Fermate blieb der zweite Sopran auf 5. liegen, die Instrumente schwiegen von hierab bis zum Eintritt des vorletzten Taktes. Auch im 3. Takte vom Anfang wurde durch diese anfängliche Führung des Basses:


5.

der Ausdruck ein herberer. Man kann nicht annehmen, daß Bach früher mit dem Chore etwas andres habe sagen wollen, als später. Technische Gründe können für die Änderungen auch nicht veranlassend gewesen sein. Vielmehr muß er gefunden haben, daß der Ausdruck hier und da sein Ziel etwas überflog und daher gemäßigt werden müsse94. Die über einen Böhmschen Basso quasi ostinato [208] gebaute Bass-Arie: Quia fecit mihi magna qui potens est et sanctum nomen ejus hellt die dunkler gewordene Stimmung wieder auf und vermittelt den Eintritt des Engelgesanges »Freut euch und jubilirt«, durch welchen eine zweite Gruppe abgeschlossen wird. Sinnvoll ist dieser Gesang nur zwei Sopranen, dem Alt und dem Tenor zuertheilt: er schwebt in lichter Höhe über der dunkeln Erde. Dem Continuo ist eine eigne fünfte Stimme gegeben. Vielleicht erinnerte sich Bach des alten Brauches, Knaben die als Engel verkleidet waren mit Weihnachtsliedern in die Fest-Liturgie einzuführen. Das schöne Stück klingt merkbar an Kuhnaus Composition an. Bei Bach lautet das Thema des ersten Abschnittes:


5.

bei Kuhnau:


5.

Der Mittelsatz ist bei beiden von sehr herzlichem Ausdrucke (Kuhnau schreibt affettuoso vor), der Schluß bei beiden ein regelrechtes Fugato, welches Bach indessen weiter ausgeführt hat. In einem fast ganz homophonen, sehr melodischen Zwiegesang des Alt und Tenor (E moll), zu welchem gedämpfte Geigen und Flöten begleiten, wird die Barmherzigkeit Gottes gepriesen; die Worte timentibus eum bieten Gelegenheit mit einer geistreichen Detailmalerei in interessanter Weise abzuschließen. Im Gegensatz hierzu schildert der Chor Fecit [209] potentiam die Macht des Herrn, welche den menschlichen Übermuth vernichtet und zum dritten Male mündet die Entwicklung in einen Gesang der Himmlischen aus, dieses Mal in das lateinische Gloria in excelsis Deo. Der Chor Fecit potentiam entwickelt in dem Hauptthema eine unwiderstehlich vordringende Energie und in den begleitenden Accorden sowie in dem eignen Rhythmus der Instrumentalbässe eine niederdrückende Wucht. Ein beachtenswerther poetischer Zug offenbart sich darin, daß die Instrumente, zu zwei Chören gesondert, die contrapunktirende Melodie der obersten Stimme:


5.

auf der dritten Note in der Gegenbewegung nachahmen, als ob sie versinnlichen wollten, daß es aus der Hand des Herrn kein Entrinnen giebt. Unter den übrigen frappanten Einzelheiten fesselt vor Allem derAdagio-Schluß, wo durch den gespreizten, aufgeblähten übermäßigen Dreiklang der Sinn der Hoffärtigen mit packender Wahrheit gezeichnet wird. Auch hier begegnet wieder ein Fall, wo dem einzelnen Textworte das Motiv zu einem besonders wirksamen musikalischen Schlusse abgewonnen wird. In späteren Jahren componirte Bach zum Feste der Heimsuchung Mariae ein deutsches, theilweise paraphrasirtes Magnificat,95 in welchem ihm dieselbe Textstelle zu einer ähnlichen malerischen Ausführung Veranlassung gab; dort steht sie im Recitativ und bildet das bei Recitativschlüssen beliebte, in diesem Falle sehr weit ausgeführte Melisma96. Eine vierte Gruppe wird durch zwei Arien und das als Duett behandelte Virga Jesse gebildet. Die erste Arie hat einen sehr energischen, ja gewaltsamen Charakter; sie hat in der Bearbeitung mancherlei Veränderungen erlitten, [210] die nur zum Theil auf praktischen Gründen beruhen und sich merkwürdiger Weise nicht immer als einleuchtende Verbesserungen darstellen. Für die zweite, in milder Stimmung gehaltene Arie hatte Bach auch in der älteren Form schon Flöten eingeführt. Sehr schön ist durch eine auffallende Rhythmisirung dem Hauptgedanken


5.

der Ausdruck des Verlangens eingeprägt; der abbrechende Schluß, eine Illustration der Worte dimisit inanes ist Neuerung der Überarbeitung, ursprünglich waren die Flöten bis zum letzten Tone fortgeführt. Vom Duett sind die Schlußtakte verloren gegangen; die Singstimmen schwingen sich auf und nieder über einem langsam wiegenden Continuo, der sich ähnlich wie in der Arie Quia fecit als ein quasi ostinato erweist. Bis hierher ist es vorzugsweise die naive Weihnachtsfreude gewesen, welche die Grundstimmung der vielgegliederten Composition bedingte. Nachdem das letzte der eigentlichen Weihnachtslieder verklungen ist, wird ein neues Element bemerkbar. In der Vesper wurde über die Epistel gepredigt, welche das Erlösungswerk Christi als den Zweck seiner Menschwerdung hervorhebt. Auf dieses deuten in dem Text desMagnificat allein die Worte Suscepit Israel puerum suum recordatus misericordiae suae mit Bestimmtheit hin. Bach hat sich die Andeutung nicht entgehen lassen. Er benutzt die Worte zu einer Choralfiguration, in welcher zwei Soprane und Alt das Geschäft des Contrapunktirens übernehmen, während eine Trompete (in der Überarbeitung beide Oboen) die altkirchliche Choralmelodie des Magnificat zart ertönen läßt. Über den Sinn dieser Form ist mehrfach gesprochen worden97. Bach wendet sie an, wenn er eine geheimnißvoll unbestimmte Empfindung ausdrücken will. In seinem deutschen Magnificat hat er mit offenbarem Rückblick auf die vorliegende Composition dieselbe Textstelle in derselben Weise behandelt. Die Wirkung ist aber dort nicht ganz die gleiche, weil die Choralmelodie schon vorher durch den Gesang zu Gehör gebracht war, und auch am Schlusse wieder so erscheint. In dem lateinischen Magnificat kommt außer an dieser Stelle der [211] Choral nicht vor. Er klingt daher doppelt ahnungsvoll, in seinem fremdartigen Melodieverlauf trüb und schwermüthig, das ganze Stück aber vermöge seiner hohen Lage wieder seltsam hell und visionsartig. Wie ein Schatten über ein sonniges Feld so gleitet es durch die frohe Stimmung, der man sich bisher hingegeben hatte und welche alsbald, in einer kräftigen fünfstimmigen Fuge ohne concertirende Instrumente, auch wieder die Oberhand gewinnt. Nach kirchlichem Gebrauch wird das Magnificat mit der Doxologie Gloria patri et filio et spiritui sancto, sicut erat in principio et nunc et semper et in saecula saeculorum. Amen geschlossen. Über das dreifache Gloria hat Bach eine sich in rollenden Triolengängen imitatorisch aufthürmende und dann in breiten Harmonien zum Stillstand kommende Musik von seltener Macht und Großartigkeit gesetzt. Im Sicut erat greift er auf den Anfangschor zurück, dessen Hauptmotive noch einmal zu einem strahlenden Bilde zusammendrängend.

Die Rolle, welche dem Magnificat im Vespergottesdienst zugewiesen war, hat auch seine äußere Form bedingt. Vor der Predigt war schon eine Cantate aufgeführt worden; sollte der Gottesdienst sich nicht über Gebühr in die Länge ziehen, so durfte Bach sich auf weite Ausführungen seiner musikalischen Gedanken um so weniger einlassen, als er überdies die Absicht hatte den Text noch durch vier Weihnachtsgesänge zu bereichern. Durch Knappheit und concentrirte Kraft der einzelnen Sätze, namentlich der Chöre, bei großem Mittelaufwand und lebhaft anregender aber nicht beunruhigender Mannigfaltigkeit unterscheidet sich das Magnificat von den übrigen großen Kirchenmusiken Bachs in scharfer Weise. Gleich bedeutungsreich an sich und verheißungsvoll für die weitere Wirksamkeit des gewaltigen und seinem eigensten Elemente zurückgegebenen Genius steht es am Eingang einer neuen fruchtreichen Periode seiner schöpferischen Thätigkeit.

Waren in der Cantate zum ersten Festtag die Gefühle der Christenheit wiedergegeben, welche sich im frohen Reigen um den Altar des heilspendenden Gottes bewegt, hatte im Magnificat die volksthümliche Weihnachtsfreude auf dem Hintergrunde alter, naiver Festgebräuche Ausdruck gefunden, so erscheint in der Cantate, welche wahrscheinlich zum zweiten Weihnachtstage 1723 componirt ist, Christus als der in die Welt gesandte lichte Held, welcher die [212] Mächte der Finsterniß bezwingt98. »Das Licht scheinet in die Finsterniß – das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen – das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit.« Diese Grundgedanken des Evangeliums tragen auch die Cantate. Sie werden durch das erste Recitativ zum Theil wörtlich reproducirt; der ihm vorausgehende große Chor gründet sich auf die Bibelstelle 1. Joh. 3, 8: »Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er die Werke des Teufels zerstöre«. Mehr als in andern Bachschen Cantaten liegt in ihm der Schwerpunkt des Werkes, da der Choral zwar reichlicher als sonst wohl angewendet ist – nicht weniger als drei vierstimmige Choralgesänge finden in ihm Platz – aber mit einer Ausnahme in neueren, dem Gemeindegesange ferner gebliebenen Melodien99. An Neuheit, Kühnheit und Weite des Aufbaus überragt er alle Chöre des Magnificat und der Cantate zum ersten Christtag. Das Instrumental Vorspiel ist kein eigentliches Ritornell, sondern trägt einen concerthaften Charakter, ganz wie im ersten Chore des Magnificat, in welchem Bach seine Schwingen gleichsam zum weiteren Fluge erprobt zu haben scheint. Was die Instrumente in gedrängter Kürze vortragen, wird dann vom Chor weiter ausgeführt. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als arbeite das instrumentale Vorspiel in einem ganz selbständigen Stoffe, bei genauerem Aufmerken überzeugt man sich, daß in ihm die Motive des Chors wie die Frucht in der Hülse beschlossen sind. Der erste Chorabschnitt zeigt ein fast gänzlich homophones Wesen, in kürzesten herausfordernden Abschnitten wechselt er zunächst mit dem Orchester; auf den trotzig declamirten Worten »daß er die Werke des Teufels zerstöre« sammeln sich die streitbaren Massen, sie ziehen sich [213] dann zu dem bei Bach so seltenen Unisono zusammen, um nun wie eine aus einem Lichtcentrum hervorbrechende Strahlengarbe, vor der die Schatten der Nacht entweichen, nach allen Seiten hin sich, zu ergießen. Wie aus dem Vorspiel der erste Theil des Chors, so geht aus diesem wieder die nachfolgende Doppelfuge hervor. Das erste Thema wird durch Verlängerung gebildet, das zweite wahrt die anfänglichen Werthverhältnisse. Mit unerhörter Kühnheit wird es auf der unvorbereiteten Septime eingeführt, das erste Horn, als sei hiermit noch nicht genug geschehen, verdoppelt es in Sexten, und ein wildes, siegesfrohes Kampfgetümmel breitet sich aus. Dann geht es, genau wie im Magnificat, von der Unterdominante aus in den ersten Theil zurück. Wenn gesagt wurde, dieser Chor stelle den eigentlichen Kern und Stamm des Ganzen dar, so gilt das auch insofern, als seine musikalischen Elemente im Verlauf der Cantate weiterwirken. Nach einer übermüthig höhnenden Bass-Arie »Höllische Schlange wird dir nicht bange?« hören wir ein Recitativ, dessen Begleitungsbewegungen in gewissen Instrumentalfiguren des Chors ihre Quelle haben, und auch die Motive der letzten Arie weisen auf Grundelemente dieses machtvollen Musikstückes zurück100.

Auch für den dritten Christtag läßt sich eine Cantate bezeichnen, welche wahrscheinlich in diesem Jahre, jedenfalls in der ersten Leipziger Zeit componirt wurde und zur Aufführung kam101. Sie steht wiederum in einem scharfen Gegensatze zu den vorher beschriebenen Weihnachtsmusiken. Dem Festereignisse selbst tritt sie kaum näher, das hatten die vorhergehenden Compositionen zur Genüge gethan. In paränetischer Art weist sie auf die Liebe Gottes hin, der die Menschen zu seinen Kindern machen will, und auf die unvergänglichen Gnadengüter, welche Jesus durch seine Menschwerdung ihnen gebracht hat. Dies bedingte den Ton ernster Sammlung und gläubiger Hingabe, welcher das Werk durchdringt. Mit der Cantate »Dazu ist erschienen« hat es die reiche Verwendung des einfachen Kirchenliedes gemeinsam, die in solcher Ausdehnung und Mannigfaltigkeit sonst nicht der Weise Bachs entspricht, und ihrerseits die gleichzeitige Entstehung und dieselbe Dichterhand andeutet. [214] Auch hier treten in den Verlauf des Werkes drei verschiedene Choräle hinein. Der erste derselben, die letzte Strophe von »Gelobet seist du Jesu Christ« folgt unmittelbar auf den Eingangschor, eine schöne ernste Fuge über die Worte »Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir seine Kinder heißen«, in welcher die Geigen und der Posaunenchor mit Cornett die Singstimmen verstärken. Die Wirkung dieses Chorals beruhte zum großen Theile auf dem Umstande, daß er vor Absingung des Evangeliums von der Gemeinde angestimmt war und somit die Empfindung desselben ihr hier nochmals im verklärteren Bilde entgegen getragen wurde. Der zweite Choral besteht in der ersten Strophe des Liedes »Was frag ich nach der Welt«; er schließt sich eng an ein Alt-Recitativ an, in welchem auf- oder absteigende flüchtige Bassgänge die Unbeständigkeit alles Irdischen andeuten, das »wie ein Rauch« vergehen muss. In demselben Sinne hatte Bach früher den Orgelchoral »Ach wie flüchtig, ach wie nichtig« contrapunktirt102, gestaltete er später den Eingangschor einer Cantate über diesen Choral103 und arbeitet er jetzt die nachfolgende Sopran-Arie aus. Der letzte Choral steht am Schlusse, die fünfte Strophe von »Jesu meine Freude«, einem Lieblingschorale des Meisters104.

Da Weihnachten in diesem Jahre auf Sonnabend fiel, gab es keinen Sonntag nach Weihnachten; die nächste Musik war also zum Neujahrsfeste 1724 zu schreiben. Unter den Neujahrs-Cantaten Bachs ist nur eine, von welcher sich mit Bestimmtheit behaupten läßt, daß sie zwischen 1724 und 1727 geschrieben sei. Es ist »Singet dem Herrn ein neues Lied«. Sie darf also an dieser Stelle eingereiht werden105. Der erste Chor (D dur 3/4) baut sich über Bibelworten auf, die dem 149. und 150. Psalm entnommen sind. Anfänglich werden die Singstimmen mehr homophon und massenhaft verwendet, mit den Worten »Alles was Odem hat lobe den Herrn« beginnt eine Fuge. An zwei Stellen treten im wuchtigen Unisono aller Stimmen die ersten beiden Zeilen des Chorals »Herr Gott, dich loben wir« in das prachtvolle Tonstück hinein. In dem zweiten Stücke machen sich dieselben Zeilen im vierstimmigen Chorgesang, von Recitativen [215] durchwoben, abermals geltend. Das dritte Stück ist eine Alt-Arie von fröhlichem, fast tanzartigem Charakter und knapper Form (A dur 3/4); nur das Streichquartett begleitet. Ein Bass-Recitativ leitet hinüber zu einem warm empfundenen Duett (D dur 6/8) zwischen Tenor und Bass mit concertirender Violine »Jesus soll mir alles sein«, und nach einem zweiten Recitativ für Tenor macht die zweite Strophe des Neujahrsliedes »Jesu nun sei gepreiset« den Schluß. An Bedeutung steht dieses Werk den vorher besprochenen Weihnachts-Compositionen durchaus nicht nach. Bach erachtete es für würdig, in einer Überarbeitung zum 25. Juni 1730 der Feier des ersten Jubeltages der Augsburgischen Confession zu dienen. Die erforderliche Umdichtung besorgte Picander. Da er sie in seine Werke aufgenommen hat106, da außerdem das letzte Recitativ der älteren Fassung einen ähnlichen Gedankengang nimmt, wie er am Schlusse des für Neujahr 1725 bestimmten Stückes von Picanders »Erbaulichen Gedanken« zu Tage tritt107, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß Picander auch den Text der Neujahrs-Cantate dichtete. Auch erinnert jenes letzte Recitativ lebhaft an das erste Recitativ der Rathswahl-Cantate »Preise Jerusalem den Herrn«, es scheint demnach, daß hier derselbe Dichter thätig gewesen ist (vrgl. S. 173 f. dieses Bandes).108

Mit einer neuen großen Composition erschien Bach zum Epiphaniasfeste, das am 6. Januar gefeiert wurde. Sie bezieht sich nicht auf das lebendige, anregungsreiche Evangelium, sondern auf die Epistel des Tages und ist somit mehr für die Vesper als den Hauptgottesdienst gedacht. Das Auge des Propheten erblickt die Schaaren der Völker, über welche das Licht der neuen Lehre sich verbreitet, die Menge am Meer, die sich zu Christo bekehrt und die Macht der Heiden, welche zu ihm kommt. Leider hat der Dichter diese großartige Vorstellung nicht entschieden genug in den Mittelpunkt gerückt und den größeren Theil des ihm zu Gebote stehenden Raumes zu homiletischen Nutzanwendungen verbraucht, vielleicht durch den lehrhaften Zweck, welchen die Epistel im Gottesdienste hat, verleitet, sicherlich zum Schaden des ganzen Werks. Vom ersten Recitativ [216] an zeigt die Cantate »Sie werden aus Saba alle kommen«109 wohl einen ernsten, angemessenen, aber nicht einen besonders originellen Charakter und auch der Schlußchoral leitet nicht abrundend und zusammenfassend zu der Feststimmung zurück, sondern führt einen allgemeinen durch die letzte Arie angeregten Gedanken aus. Warum Bach nicht wenigstens in diesem letzten Punkte ändernd eingegriffen hat, läßt sich nicht sagen. Man würde glauben können, er habe auch seinerseits der epistolischen Richtung der Cantate Rechnung tragen wollen, wenn nicht dieselbe im Vormittagsgottesdienst ebenfalls zur Aufführung kommen mußte. Der Anfang aber – ein Chor über den letzten Satz der Epistel und ein unmittelbar darauf folgender Choral – ist von hoher, eigenthümlicher Schönheit. In dicht gedrängten Haufen zieht es heran um dem Heiland zu huldigen, »Gold und Weihrauch zu bringen und des Herren Lob zu verkündigen«. Zuerst auf dem Grundtone, dann auf der Dominante breiten sich die Massen der Waller aus, die in engen canonischen Nachahmungen sich fast auf die Fersen zu treten scheinen, nur spärliche Lücken werden in dem Gewimmel der nachfolgenden Fuge sichtbar, einstimmig singen sie in den letzten Takten den Ruhm des Herrn. Hörner, Flöten und Oboi da caccia geben dem Tongemälde einen feierlichen, fremdartigen Glanz. Daß hiernach noch der kurze Choral folgt »Die Könge aus Saba kamen dar«, scheint eine befremdliche Disposition. Nicht sowohl in poetischer Hinsicht, denn er verhält sich zum Vorhergehenden wie Erfüllung zur Weissagung. Musikalisch aber drückt die große und reiche Form die kleine und einfache zu Boden. Es ist wieder die enge Beziehung zum Gottesdienst, welche dem Auffälligen Erklärung und Berechtigung giebt. Der Festhymnus zu Epiphanias war Puer natus in Bethlehem, aus dessen ins Deutsche übersetzter vierter Strophe Reges de Saba veniunt der genannte Choral besteht. Durch die Wiederaufnahme dieses am Beginn des Gottesdienstes vom Chor a cappella gesungenen Hymnus bekommt derselbe ein kirchlich symbolisches Gewicht, das hinreicht um dem großen Chore die Wage zu halten. Er ist aber an dieser Stelle sogar mehr als berechtigt, er ist nothwendig, um dem Werke den vollen kirchlich-festlichen Charakter aufzudrücken. Die Recitative [217] und Arien sammt dem Schlußchoral tragen wohl ein kirchliches Gepräge, stehen aber mit dem Feste in einem zu lockeren Zusammenhange. Der erste Chor giebt dem Grundgedanken des Festes eine wunderbar schöne künstlerische Gestalt, nähert sich aber durch die Art, wie in ihm eine Begebenheit musikalisch verkörpert wird, in sehr bemerklicher Weise dem Oratorienstile, dessen unterscheidendes Merkmal ja darin besteht, daß er die durch ein Ereigniß angeregte Empfindung ohne den Durchgang durch ein kirchliches Medium unmittelbar zur Erscheinung gelangen läßt. Zwischen diesen beiden Gegensätzen wirkt der Choral nach zwei Richtungen hin präcisirend: die allgemein menschliche Empfindung beschränkt er entschiedener auf das kirchliche Gebiet, der allgemein kirchlichen Empfindung giebt er eine direct auf das Fest deutende Spitze. Durch die oratorienhafte Haltung berührt sich der erste Chor mit der Weihnachts-Cantate »Christen ätzet diesen Tag«. Sie sind einander auch in Einzelheiten verwandt. Wenn es im ersten Chor der Weihnachts-Cantate lautet:


5.

und in der Epiphanias-Cantate als Fugenthema:


5.

so erkennt ein jeder denselben Grundgedanken, der nur eine etwas verschiedene Einkleidung erfahren hat. Auch wird dort wie hier (von Takt 27 an) dieser Gedanke canonisch geführt110.

Das nächstfolgende Fest des Kirchenjahres war Mariä Reinigung. Es wurde auf den 2. Februar gefeiert, im Jahre 1724 also am Dienstage nach dem 4. Epiphaniassonntage. Die Musik, welche Bach zu diesem Tage gesetzt zu haben scheint – »Erfreute Zeit im neuen Bunde«111 – bietet ein Seitenstück zu den Eingangschören des Magnificat und der Cantate zum zweiten Christtage, ein Gegenstück [218] zu der Orgelweihcantate vom 2. November des vorhergehenden Jahres. Hier fanden wir eine Cantate in Form einer Orchesterpartie, in den Chören des Magnificat und der Weihnachts-Cantate Nachbildungen der Form eines ersten Concertsatzes. Die Musik zu Mariä Reinigung giebt die Form eines vollständigen italiänischen Concerts. Als wollte Bach dies dem Hörer recht zum Bewußtsein bringen, führt er im ersten und dritten Satze – beides Arien, die erste für Alt, die andre für Tenor – eine concertirende Sologeige ein. Und so lebhaft wird hierdurch die Mahnung an ein Instrumentalconcert, daß man versucht werden kann zu glauben, es läge wirklich ein solches zu Grunde, das nachträglich für den kirchlichen Zweck umgearbeitet wäre. Dem ist nun keinenfalls so. Die Anwendung der Arienform würde zwar nicht dagegen sprechen, da diese auch in wirklichen Bachschen Concerten, wie dem E dur-Violinconcert, vorkommt. Aber schon die regelrechten, wenn auch nach Weise des Magnificat und der Christcantate ausgebildeten Ritornelle beweisen, daß es sich um eine Originalcomposition handelt. Die Form-Übertragung muß eine meisterhafte und für die betreffenden Texte durchaus angemessene genannt werden. Die Worte des alten Simeon enthalten ein dankbares Motiv für eine Dichtung, welche den durch den Glauben an Christus gesicherten seligen Tod behandeln will, und massenhaft haben die Cantatendichter sich dieses Motiv zu Nutze gemacht. In dem vorliegenden Texte tritt es auch wohl auf, aber nicht mit durchgreifender Bedeutung, mindestens ein gleiches Gewicht erhält der Gedanke, daß der Glaube kräftigend und beglückend auch für das irdische Leben wirke. Bach ist durchaus von diesem Gedanken ausgegangen, und um ihn zu gestalten war namentlich der kraftvolle und zugleich geschmeidige Charakter eines ersten Concertsatzes ein eben so vorzügliches wie neues Mittel. Nicht ganz in dem Maße der gigueartige dritte Satz, hier die Tenorarie »Eile Herz voll Freudigkeit vor den Gnadenstuhl zu treten«; das gemeinsame Moment zwischen Gedicht und Tonform ist in dieser Arie zunächst mehr ein äußerliches, durch die Vorstellung des »Eilens« hergestelltes, in der Ausführung aber entwickelt sich auch hier eine spannkräftige und lebensmuthige Natur. Das von den beiden Arien eingeschlossene Stück vertritt gleichsam die Stelle des Concertadagios, mehr jedoch nur durch den Gegensatz zu seiner Umgebung als vermöge der eignen [219] Form. Der Lobgesang des Simeon wurde im Leipziger Cultus als Versikel vor der Collecte vom Chor gesungen112. In dem zweiten Stück der Cantate greift Bach die ersten drei Verse desselben auf, läßt sie vom Bass singen und durch einen selbständigen, zweistimmigen Instrumentalsatz, der bald streng canonisch, bald frei imitatorisch sich entwickelt, begleiten. Unterbrechend treten Recitative hinein. Der streng kirchliche Ausdruck der kunstvoll contrapunktirten alten Melodie setzt den Hörer zu dem ersten und dritten Satze in das rechte Verhältniß. Eine schöne Wirkung macht es, daß die Melodie zu den drei Versen sich nicht in derselben, sondern in immer tieferen Tonlagen wiederholt, ruhiger, dunkler werdend, wie die Todesempfindung eines »der in Frieden dahinfährt«. Auf die Tenorarie folgt noch ein kurzes Recitativ und dann vierstimmig die vierte Strophe des Chorals »Mit Fried und Freud ich fahr dahin«, welcher wenn auch nur in der Vesper dieses Festtages das stehende Gremeindelied war. Es ist nicht ohne Interesse, auf die Tonarten-Ordnung der einzelnen Theile der Cantate zu achten. Der erste Satz, die Altarie, steht in F dur, der zweite, die Choralfiguration, in B dur, der dritte, die Tenorarie, wieder in F dur, der abschließende vierstimmige Choral in D dorisch. Bach vermeidet es sonst, in Cantaten, die nur zwei Arien enthalten und deren zweite nicht zugleich den Schluß der ganzen Composition bildet, beide Arien in dieselbe Tonart zu bringen. Daß es hier geschah, beweist ebenfalls wie ihm die Form des italiänischen Concerts vorschwebte. Die drei ersten Sätze bilden ein musikalisches Ganze für sich, was nachfolgt, ist mehr äußerlich angefügt113.

Was Bach auf das Fest Mariae Verkündigung in diesem Jahre componirt hat, weiß man nicht. Über die Passionsmusik, die er am Charfreitage aufführte, gehen wir einstweilen hinweg und wenden uns dem ersten Ostertage zu. Ein gewaltiges Denkmal steigt vor uns auf, die Cantate »Christ lag in Todesbanden«114. Sicher ist, daß Bach sie in den ersten Leipziger Jahren geschaffen hat. Entdeckt man außerdem, daß der Künstler mit ihr in ähnlicher Weise auf Kuhnau Bezug nahm, wie in dem Magnificat zu Weihnachten, [220] so hat ihre Entstehung zum 9. April 1724 einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit115. In einer Handschrift aus dem Jahre 1693 ist eine kirchliche Composition des Vorgängers von Bach erhalten, welche den Choral »Christ lag in Todesbanden« ebenfalls zum Mittelpunkte nimmt116. Anfang und Schluß machen die erste und die letzte Strophe des Kirchenliedes, in der Mitte steht freie Dichtung in Kirchenliedform, welche die Grundgedanken des Kirchenliedes paraphrasirt. Eine Instrumentalsonate in alter Form bildet die Einleitung, die erste Strophe trägt der Sopran allein vor unter Begleitung von zwei Zinken und einem Continuo in folgender Bewegung:


5.

daran schließt sich unmittelbar ein lebhaftes vierstimmiges Hallelujah. Wer die ersten Theile der Bachschen Cantate: die kurze Instrumentalsinfonie, die Composition der zweiten Strophe, das Hallelujah am Schluß der ersten Strophe dagegen hält, bemerkt sogleich, daß Bach durch Kuhnaus Werk, welches er unter den Musikalien des Thomanerchors vorgefunden haben wird, sich anregen ließ. Die speciell musikalische Anregung erstreckt sich nicht über die ersten Sätze hinaus. Aber die ganze Cantate legt Zeugniß ab von einem geflissentlichen Zurückgreifen auf alterthümliche Ausdrucksformen, die im übrigen Bach längst hinter sich zurückgelassen hatte. Sie steht in dieser Beziehung unter seinen Werken unvergleichbar da. Man darf es dem Tiefsinne des Künstlers wohl zutrauen, daß er hiermit noch mehr bezweckte, als seinem geachteten Vorgänger nachzueifern und ihn zu überbieten. Die Melodie des Chorals gehört zu den allerältesten, sie ist eine leicht erkennbare Umgestaltung des schon im 12. Jahrhundert bekannten Gesanges »Christ ist erstanden«. Wenn dem Componisten das hohe Alter der Melodie bekannt war, was doch sehr wohl denkbar ist, so mußte es ihm nahe liegen, der ganzen aus ihr entwickelten Composition den Charakter des Alterthümlichen aufzuprägen, und dieses glaubte er am sichersten durch die Anwendung und Erneuerung von Formen zu thun, mit denen [221] seine Zeit zwar noch nicht aus aller Verbindung getreten war, die sie aber doch schon als veraltete ansah. Da im Hauptgottesdienste sowohl »Christ lag in Todesbanden« als auch »Christ ist erstanden« und in der Vesper das erstere Lied abermals von der Gemeinde der Nikolai- und Thomaskirche gesungen wurden (s. S. 107), die Melodie also mehr als an andern Festen den Kern der Festempfindung aussprach, so zwang er hierdurch die Stimmung des gesammten Gottesdienstes in seine Bahn. Gleich in der Zusammensetzung des Orchesters erkennt man den alterthümlichen Zug. Das 17. Jahrhundert bevorzugte bekanntlich die fünfstimmige Harmonie fast vor der vierstimmigen und gesellte deshalb den zwei Violinen gern auch zwei Bratschen. Bach ist dieser Sitte in einigen früheren Cantaten ebenfalls noch gefolgt, so in der Adventsmusik »Nun komm der Heiden Heiland« aus dem Jahre 1714, der Ostermusik »Der Himmel lacht, die Erde jubiliret« vom Jahre 1715; in der noch früheren Sexagesimae-Cantate »Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt«, finden sich vier Bratschen, indem die beiden Violinen ganz fehlen. Leipziger Cantaten weisen nur ausnahmsweise noch zwei Bratschen auf, eine dieser Ausnahmen ist die vorliegende. Andre als Streich-Instrumente sind nicht herbeigezogen, nur der Posaunenchor mit dem zugehörigen Zink verstärkt in einigen Sätzen die Singstimmen. Der Componist enthält sich ferner aller madrigalischen Musikformen, auch des Arioso und überhaupt jeglichen Sologesanges. Als Text dient ihm ausschließlich das siebenstrophige Kirchenlied Luthers, dessen Melodie er in ebensoviel Abschnitten in stets neuer Weise verarbeitet, die einzige unter Bachs Kirchenmusiken, welche durchaus in jenem Wortverstande Choralcantate ist, wie Buxtehude, Pachelbel und Bachs Amtsvorgänger in Leipzig deren componirten117. Ganz im Stil der Buxtehudeschen Kirchenmusik bewegt sich die einleitende Sinfonia, und es muß dahin gestellt bleiben, ob Bach sich absichtlich in die Ausdrucksweise einer früheren Zeit zurück versetzte, oder ob eine eigne Jugendarbeit die Grundlage abgab. Die von der ersten Violine zu Gehör gebrachte Melodie:


5.

5.

[222] der in den beiden ersten Takten liegende Ausdruck, die Wiederholungen derselben Wendungen, das stockende Fortschreiten, die motivische Zerpflückung der gleichsam nur im Vorübergehen aufgegriffenen ersten Choralzeile, endlich die sehr geringe Ausdehnung des nur 14 Takte zählenden Stückes, alles dieses ist Bachs entwickelter Schreibweise so fremd, daß die letztere Annahme viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Von den sieben Choralstrophen erfährt eine jede ihre besondere Bearbeitung. Die Pachelbelsche Form ist der ersten und vierten Strophe gegeben. Für sie ist der volle Chor beschäftigt, das eine Mal mit das andre Mal ohne selbständig begleitende Instrumente; dort liegt der Cantus firmus im Sopran, hier im Alt. In der zweiten Strophe, für Sopran, Alt und Continuo, werden die Zeilen nach Böhms Manier motivisch zerlegt und zerdehnt. Die dritte Strophe ist dem Orgeltrio nachgebildet, von den Singstimmen wird nur der Tenor beschäftigt, welcher den Cantus firmus führt. Dagegen singt die fünfte Strophe der Bass allein, die Melodie liegt in der ersten Violine des begleitenden Streichorchesters. Doch werden die Zeilen nicht unmittelbar an einander geschlossen, sondern durch Zwischenspiele, bei denen die erste Violine selbst mitthätig ist, gesondert. Diese Zwischenspiele, sowie den zum Vorspiel gelassenen Raum benutzt der Singbass, um seinerseits die betreffende Zeile vorher erklingen zu lassen, während er zu den Abschnitten, wo die Melodie instrumental auftritt, contrapunktirt. Auf diese Weise hört man jede Zeile zweimal und hört sie auch in denselben Zeitwerthen. Daß der eigentliche Vermittler des Chorals die Instrumente sind und nicht der Gesang, erkennt man nur aus der Tonstufe, auf welcher er bei jenen erscheint. Auch in diesem Abschnitte finden sich an inhaltschweren Stellen jene Erweiterungen der Melodie in Böhms Manier. Die sechste Strophe gehört dem Sopran und Tenor. Der Vortrag des Chorals ist zwischen sie vertheilt: die ersten beiden Zeilen erhält der Tenor, die dritte und vierte der Sopran, die fünfte darauf der Sopran und die sechste der Tenor, an den letzten betheiligen sie sich zusammen. Der Wechselgesang ist ein solcher aber nur rücksichtlich der Choralzeilen, übrigens sind beide Singstimmen meistens gleichzeitig thätig, indem die nicht melodieführende [223] contrapunktirt, vor den ersten beiden Strophenpaaren auch die Melodie vorspielartig, aber auf der Stufe der Oberquarte oder Unterquinte, vorsingt. Mit der siebenten Strophe tritt dann wieder der volle Chor zum einfachen Schlußgesange zusammen. An alterthümlichen Zügen fehlt es auch in diesen Choralbearbeitungen nicht. Sie liegen theils in den mehrfachen Nachbildungen des Böhmschen Choraltypus, theils in gewissen Combinationen der Instrumente im ersten Chor. Während zweite Violine und Bratschen meistens mit den Singstimmen gehen, läuft die erste Violine auf eignem Wege über der gesammten Tonmasse dahin. Indem sie in die Art ihrer Bewegung auch die zweite Violine hinein zieht, entwickelt sich ein Tonspiel, wie wir es in Bachs ältesten Cantaten mehrfach gefunden haben118. Auch die Einsätze der Streichinstrumente im zweiten Takt erinnern an Buxtehudes nur auf Klangfülle gehende Tendenzen, die von einer thematischen Bedeutung der Tonreihen absehen. Andrerseits aber zeigt die Cantate einen Reichthum von choralischen Gestaltungen, wie er den älteren Meistern noch nicht entfernt zu Gebote stand. Ebensowenig hatten sie eine Ahnung von dem poetisch kirchlichen Tiefsinn, dem man auf Schritt und Tritt begegnet. Der Typus des Anfangschors ist zwar der Pachelbelsche, doch nicht in den beiden ersten Zeilen, da gleich mit dem ersten Tone der Cantus firmus einsetzt und eine thematische Anlehnung der contrapunktirenden Stimmen an ihn kaum bemerkbar ist. Wenn aber diese nun zur Einleitung der folgenden Zeilen: »der ist wieder erstanden und hat uns bracht das Leben« einen breiten fugirten Satz anstimmen, den endlich der Sopran mit der verlängerten Melodie krönt, wenn alles anfängt sich zu strecken und zu dehnen und von innerem Leben überquillt, so merkt man, welche tiefe poetische Empfindung hier die herkömmliche Form durchdrang und durchbrach. Die Zerdehnung der Zeilen in der zweiten Strophe geschieht zu nächst nach Maßgabe eines älteren Choraltypus. Aber auch er muß einer poetischen Idee dienen. Wer die einzelnen Perioden aufmerksam betrachtet, sieht leicht, daß sie meistens fünftaktig oder fünftehalbtaktig sind. Der Text sagt von der Ohnmacht der Menschen gegen den geistigen Tod, der sie niedergezwungen hat und gefangen hält. [224] Deshalb also diese matten, geknickten Rhythmen, die sich wie ein schwerer Bann über dem Ganzen lagern. In der sechsten Strophe dasselbe Kunstmittel, aber zu welch anderm Zwecke! »So feiern wir das hohe Fest Mit Herzensfreud und Wonne, Das uns der Herre scheinen läßt, Er ist selber die Sonne«, singt der Dichter, und hinter jedem Melodieabschnitte fällt es wie ein langer Lichtschein auf die durchmessene Bahn. Die Behandlungsart der fünften Strophe haben wir mehrfach als das Ausdrucksmittel einer mystischen Empfindung bezeichnet. Sie ist es auch hier, wo es sich um die geheimnißvollen Beziehungen zwischen dem Osterlamme des Passahfestes sammt seiner schützenden Kraft und dem Opfertode Christi handelt. Die Instrumente, wie ein unsichtbarer Chor, tönen das Mysterium weiter, von welchem der Bass redet. Aber er redet von ihm nicht wie ein katholischer Priester, sondern mit persönlicher, protestantischer Antheilnahme. Das geht aus der Innigkeit hervor, mit welcher sich Bach in die einzelnen Vorstellungen des Textes versenkt. Der Begriff des Kreuzes wird durch ein schmerzvoll verrenktes Melisma, der des Todes durch einen verminderten Duodecimensprung in die nächtige Tiefe, der des überwundenen Würgers durch ein mehre Takte hindurch ausgehaltenes, beinahe prahlerisches Ä eindringlich gemacht; Takt 43 f. und 52 f. ahmt die Stimme gar die Bewegung des »Zeichnens« nach. Überhaupt ist die Cantate an malerischen Zügen reich. Im dritten Vers wird die »Todesgestalt«, welche allein übrig bleibt, während alle wirkliche Macht dem Tode genommen ist, durch eine wie beschämt und verlegen sich hinwegdrückende Contrapunktirung versinnlicht. »Die Schrift hat verkündigt das Wie ein Tod den andern fraß, Ein Spott aus dem Tod ist worden« heißt es im vierten Verse: nachdrücklich und machtvoll wie Heroldsrufe lassen sich zu der ersten Zeile die contrapunktirenden Stimmen vernehmen, zur zweiten weben sie ein enges canonisches Netz, in welchem eine Stimme die andre gleichsam verschluckt, in der dritten umtanzen sie siegesfroh und höhnend den Cantus firmus. Dieser gelangt in der vierten Strophe dadurch zu einer ganz eignen Wirkung, daß er nicht in der Grundtonart, sondern der Tonart der oberen Quinte erklingt; das Kühne und Frappirende dieser Combination dient offenbar auch einer poetischen Idee, denn »es war ein wunderlicher Krieg da Tod und Leben rungen«. Läßt man die Cantate als Ganzes an sich [225] vorüberziehen, so ist in Folge der stetig festgehaltenen Choralmelodie, der stetig festgehaltenen E moll-Tonart, der durchweg tiefen und dunkeln Lage der Eindruck zunächst ein etwas einförmiger. Er belebt sich erst bei tieferem Eindringen, bewährt sich dann aber auch als ein unerschöpflich mannigfaltiger. Ein trübes Licht liegt auf der Cantate, wie vom nordischen Himmel, sie ist knorrig und doch majestätisch gewachsen wie die Eichen des deutschen Waldes. Indem alle italiänischen Formen in ihr fehlen, trägt sie ein exclusiv nationales Gepräge. Unter südlicher Sonne konnte ein Kunstproduct nicht reifen, in welchem das Frühlingsfest der Kirche, das jubelvolle, hoffnungsreiche Ostern mit solch düstern Prachtklängen gefeiert wird.

Die Cantaten, welche Bach zum zweiten und dritten Ostertage des Jahres 1724 schrieb, ebenso die für das Himmelfahrtsfest bestimmte, sind verloren gegangen. Dagegen liegen wieder für den ersten und dritten Pfingsttag sowie für das Trinitatisfest Cantaten vor, die wahrscheinlich in dieses Jahr und sicher in die erste Leipziger Zeit fallen. Dem ersten Pfingsttage gehört die Musik »Erschallet ihr Lieder, erklinget ihr Saiten« an119. Die Dichtung wird von Franck sein. Sie steht allerdings in keiner seiner gedruckten Textsammlungen, indessen zwingt auch nichts zu der Annahme, daß Franck seine sämmtlichen Cantaten-Dich tungen durch den Druck veröffentlicht habe. Ein Blick in die »Geist- und weltlichen Poesien« lehrt uns, daß er es liebte, Bibelsprüche nicht nur an den Anfang oder Schluß eines Textes zu setzen, sondern auch im Verlauf desselben beliebig einzustreuen und aus ihnen die freie Dichtung fortzuspinnen. Einer einheitlichen musikalischen Gestaltung ist dieses Verfahren nicht grade förderlich, aber Franck verstand es überhaupt nur wenig dem Componisten in die Hände zu arbeiten. Auch in der Cantate »Erschallet ihr Lieder« steht der Bibelspruch »Wer mich liebet, der wird mein Wort halten«, welcher billig das Haupt des Ganzen hätte abgeben sollen, an zweiter Stelle. Die Arientexte sind, wie oft bei Franck, so auch hier nicht in der Da capo-Form, sondern wie Kirchenlied-Strophen abgefaßt. Recitativische Texte fehlen ganz. Am deutlichsten tritt Francks Eigenart in dem Duett hervor. [226] Es stellt das bei ihm so sehr beliebte Wechselgespräch zwischen Jesus und der Seele auf Grund der Vorstellungen des Hohenliedes dar. Man vergleiche mit den Zeilen:


Seele. Komm, laß mich nicht länger warten,

Komm, du sanfter Himmelswind.

Jesus.Ich erquicke dich mein Kind.

Seele.Wehe durch den Herzens-Garten,

Liebste Liebe, die so süße,

Aller Wollust Ueberfluß,

Ich vergeh, wenn ich dich küsse.

Jesus.Nimm von mir den Gnadenkuß.

Seele.Sei im Glauben mir willkommen,

Höchste Liebe, komm herein,

Du hast mir das Herz genommen.

Jesus.Ich bin dein und du bist mein120.


beispielsweise folgende Strophen aus einem Pfingsttexte der »Geist- und weltlichen Poesien«121:


Wenn weht von deinem schönsten Munde

Ein süßer Hauch, ein Lebens-West?

Erquicke mich! Ich geh zu Grunde,

Wenn mich dein reiner Geist verläßt!

Wird mir dein Kuß nicht Leben geben,

So ist mein Leben ohne Leben.


Ach! stärke mich, eh' ich vergehe

Und sende mir den kühlen Wind,

Daß er durch meine Seele wehe!

Ach! labe dein erlöstes Kind!

Bewege meines Herzens Klippen

Mit einem Kuß von deinen Lippen.


und man wird denselben Dichter erkennen. Vollends finden sich die letzten vier Zeilen des Duetts fast genau in der Cantate »Himmelskönig, sei willkommen« wieder, indem es dort heißt:


Himmelskönig, sei willkommen,

Laß auch uns dein Zion sein.

Komm herein!

Du hast uns das Herz genommen122.


[227] Wie unten gezeigt werden soll, ist es nicht der einzige ungedruckte Text Francks den Bach in Leipzig componirt hat. Das Duett, welches auch musikalisch an den Chor »Himmelskönig« anklingt, bildet das hervorragendste Stück der Cantate. Ueber einem Basso quasi ostinato duettiren Sopran und Alt; dazu führt eine selbständige Instrumentalstimme den Pfingst-Choral »Komm heiliger Geist, Herre Gott« aus (in einer späteren Bearbeitung hat Bach Bass und Choral der obligaten Orgel zuertheilt). Die Künstlichkeit des complicirten Satzes wird dadurch noch erhöht, daß Bach die Choralmelodie in Buxtehudes Weise reich colorirt verlaufen läßt. Er hat indessen nicht die ganze lange Melodie benutzt, sondern nur die drei ersten und die beiden letzten Zeilen (das doppelte Hallelujah am Schlusse als eine Zeile gefaßt). Beachtung verdient, daß er dieselbe Kürzung auch in der anfänglichen Gestaltung seiner für Orgel gesetzten Choralfantasie über dieselbe Melodie hat eintreten lassen, nur daß hier auch noch das Hallelujah fortgeblieben ist123. Der Satz athmet eine selbst bei Bach überraschende Innigkeit und Ueberschwänglichkeit. Wenn für eine solche Empfindung Buxtehudes Art der Choralführung besonders passend war, so erleichterte die phantastische Freiheit derselben auch die Durchführung der verwickelten Combination, indem sie kleine Abweichungen vom Gange der Melodie, wie beim Hallelujah, oder auch eine gelegentliche Unterbrechung des Melodiefadens, wie Takt 9, gestattete. Charakteristischer Schönheit voll sind auch die übrigen Sologesänge, die Tenor-Arie, wo die Gänge der vereinigten Geigen wie ziehende Frühlingsdüfte anmuthen, und die prächtige Bassarie, zu welcher nur Trompeten, Pauken und Fagott begleiten. Der Chor, welcher am Schlusse wiederholt wird, erinnert an den der Weihnachts-Cantate »Christen ätzet diesen Tag«, ist jedoch weniger bedeutend. Daß auch hier zwei Violen mitwirken, soll mit Rücksicht auf die Ostermusik »Christ lag in Todesbanden« hervorgehoben sein124.

Die Musik für den zweiten Pfingsttag 1724 fehlt wieder. Dagegen [228] dürfte die für den dritten Pfingsttag vielleicht in der Cantate »Erwünschtes Freudenlicht«125 erhalten sein. Jedenfalls gehört auch sie in die ersten Leipziger Jahre. Nur muß freilich kein Anstoß daran genommen werden, daß sie Ueberarbeitung einer weltlichen Cantate ist. Welchem Zwecke das Original bestimmt war, wissen wir nicht; es hat sich keine Spur desselben entdecken lassen. Aber daß wirklich eine weltliche Cantate zu Grunde liegt, erkennt man aus dem tanzartigen, volksthümlichen Duett und vor allem aus dem als Gavotte auftretenden Schlußchore. Mit ihm hat es insofern noch eine besondere Bewandtniß, als er mit anderm Texte auch in einer aus dem Jahre 1733 stammenden weltlichen Gelegenheitsmusik als Schlußchor wiederkehrt, wenngleich nur mit den ersten 24 Takten126. Es bestätigt sich hierdurch, daß er ursprünglich auch für einen weltlichen Zweck erfunden war. Bach muß das Stück selbst besonders gern gehabt haben, denn so häufig es bei ihm vorkommt, daß er weltliche Cantaten zu geistlichen umwandelte, so selten überträgt er aus einer weltlichen Cantate in die andere. Der dieser Gavotte vorhergehende Choral ist erst später eingeschoben, jedenfalls als das Werk eine kirchliche Bestimmung erhielt. Er vermag es nicht, den weltlich-heitern Charakter des Ganzen wesentlich zu ändern.

In dieselbe Zeit, und vermuthlich in dasselbe Jahr 1724 gehört die Cantate zum Trinitatisfest »O heilges Geist- und Wasserbad«, deren Text wieder aus Francks »Evangelischem Andachts-Opfer« entnommen ist127. Eine matte, gedankenarme Dichtung, aus welcher Bach ein, wenn auch nicht bedeutendes, so doch anmuthiges und feines Musikwerk geschaffen hat. Hervorragend ist der als Sopranarie auftretende erste Satz, eine äußerst kunstvolle Fuge mit Engführungen, Umkehrungen und Gegenthemen. Die andern beiden [229] Arien verlaufen einfacher, zeigen aber durchweg dieselbe saubere Detailarbeit. Der Chor tritt nur im einfachen Schlußchorale ein, die Gesammtstimmung ist eine milde, mittlere. –

Hiermit ist die Reihe der Fest-Cantaten geschlossen, welche sich mit größerer oder geringerer Sicherheit in das erste volle Leipziger Kirchenjahr verweisen lassen. Mustern wir nun die den gewöhnlichen Sonntagen bestimmten Compositionen, die diesem Jahre angehören, oder anzugehören scheinen.

1) Sonntag nach Neujahr (2. Januar 1724). Ich setze hierher die Cantate »Schau lieber Gott, wie meine Feind«. Einer großartigen, kühn gebauten Tenor-Arie »Stürmt nur, stürmt ihr Trübsals-Wetter«, und einer Alt-Arie von außergewöhnlichem melodischen Reize gesellen sich drei einfach gesetzte Choräle, von welchen der eine am Anfang, der zweite nach einem von Recitativen eingeschlossenen Bass-Arioso und der dritte am Schlusse seinen Platz hat. Ein Choralchor oder ein frei erfundenes Chorstück fehlt; die Disposition der Formen ist also eine von Bachs sonstigen Gewohnheiten abweichende128.

2) Erster Sonntag nach Epiphanias (9. Jan. 1724) »Mein liebster Jesus ist verloren.« Aehnlich wie in der vorigen Cantate ist der Chor nur mit zwei einfachen Chorälen betheiligt, deren einer den Schluß bildet, während der andere an dritter Stelle steht. Die Arien sind sämmtlich von hoher Schönheit. Schmerzlich verlangend und echt bachisch beginnt in H moll der Tenor:


5.

Die folgenden Zeilen: »O Schwert, das durch die Seele dringt, O Donnerwort in meinen Ohren« spielen offenbar auf das Lied Johann Rists an »O Ewigkeit, du Donnerwort, O Schwert, das durch [230] die Seele bohrt«. Bach hat zwei Cantaten componirt, welche mit diesem Choral beginnen. In einer derselben, zum 24. Trinitatis-Sonntage129, wird die bange Erwartung, mit welcher der Mensch dem göttlichen Richter entgegen sieht, durch eine leise bebende Sechzehntelbewegung der Geigen ausgedrückt. Ganz dasselbe Darstellungsmittel gebraucht Bach zu den analogen Worten hier und es mag ihm bei der Composition der Trinitatis-Cantate, welche um 1732 stattgefunden haben wird, das frühere Werk wieder in den Sinn gekommen sein. Einen andern auffallenden Anklang enthält die dem Schlußchoral vorangehende Tenor-Arie mit dieser Stelle:


5.

In einem Duett der Cantate »Liebster Jesu, mein Verlangen«, die ebenfalls dem ersten Sonntage nach Epiphanias gehört130, findet sie sich ebenso in fleißiger Durchführung. Hier ist an einer bewußten Anspielung nicht zu zweifeln. Wahrscheinlich ist sie aber auch in der Fis dur-Fuge des zweiten Theils des Wohltemperirten Claviers zu erkennen, wo zweimal der polyphone Fortgang durch eine längere homophonere Partie unterbrochen wird, die fast ohne motivischen Zusammenhang mit dem Vorigen obigen Gedanken durchführt. Und noch ein drittes Mal mahnt diese Cantate an eine andere Composition; man vergleiche mit folgender Stelle:


5.

den ersten Satz der Violinsonate in A dur, namentlich Takt 8131. Die Stelle kommt in der Alt-Arie vor:


Jesu, laß dich finden,

Laß doch meine Sünden

Keine dicke Wolke sein.

Wo du dich zum Schrecken

Willst für mich verstecken,

Stelle dich bald wieder ein.


[231] Eine zarte weibliche Anmuth äußert sich in dieser Composition. Gleich aus der Hauptmelodie:


5.

tritt sie entgegen; dadurch daß außer zwei Oboi d'amore nur Violinen und Bratsche im Einklang begleiten erhält das Stück einen milden ätherischen Glanz, und die wiegende Bewegung der Grundstimmen:


5.

welche von letzteren Instrumenten ausgeführt wird, giebt ihm auch ihrerseits einen besonderen Charakter. Die Eltern Christi, so erzählt das Evangelium, waren zum Osterfest mit ihm nach Jerusalem gezogen. Dort hatten sie den Sohn verloren, suchten lange und fanden ihn endlich im Tempel zuhörend und fragend in der Mitte der Lehrer sitzen. Mit sanftem Vorwurf sagt Maria: »Mein Sohn, warum hast du uns das gethan? Siehe dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht«. Darauf rechtfertigt sich das Kind in fast verweisenden Worten. »Und seine Mutter«, heißt es weiter, »behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.« Der Dichter des Cantaten-Textes hat den Vorgang symbolisch auf das Verlangen der Seele nach Christus bezogen, und dies hat Bach auch als Grundempfindung des Werkes aufgefaßt. Aber wir wissen schon, wie gern er sich außerdem specielle Anregungen aus dem Bibeltexte selbst, oder der kirchlichen Bedeutung des Sonntages holt. Wenn man nun überdies sieht, daß auf obige Arie die Bibelworte folgen, welche Jesus dem Vorwurf der Mutter entgegen hält: »Wisset ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist«, so wird man nicht zweifeln, daß bei der Arie das Bild der Maria, welche ja in der Erzählung des Evangeliums so bedeutsam hervortritt, dem tiefsinnigen Tondichter vorschwebte. Es ist ein ähnlicher Fall, wie in der H moll-Arie des Magnificat (s. S. 206 f.)132.

3) Vierter Sonntag nach Epiphanias (30. Jan. 1724) »Jesus [232] schläft, was soll ich hoffen«133. Jesus fährt mit seinen Jüngern über das Meer. Ein Sturm erhebt sich, aber er schläft. Sie wecken ihn angstvoll; er verweist ihnen ihren Kleinmuth, bedroht das Meer und es wird stille. Wer unter der Vorstellung dieser Begebenheit an die Cantate herantritt, den wird die erste Arie überraschen. Denn sie steht ganz außerhalb der bezeichneten Situation. Es ist ein düsteres Nachtstück: der Beschützer schläft, eine grausige Erscheinung entpreßt Angstrufe der Brust des einsam Wachenden. Erst mit der zweiten Arie schließt sich das Kunstwerk mehr an den evangelischen Vorgang an, hier dienen alle Mittel, auch die Singstimme, allein der Schilderung eines im Sturme wallenden Meeres. Im Folgenden wird dann der Anschluß immer enger: wir hören Christus selber, wie er spricht »Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?«, und in der grandiosen E moll-Arie sehen wir ihn hochaufgerichtet mit gewaltigem Ruf das Meer beschwören. Nach einem dramatischen Verlauf, welcher dem Ganzen seine Einheit gäbe, darf man nicht suchen wollen. Eben das ist der Vortheil des Componisten, daß er das Evangelium in seiner einfachen und symbolischen Bedeutung als einigendes Moment voraussetzen darf, er kann nun seinen Gegenstand von verschiedenen Seiten angreifen, und braucht in der Aufreihung der Tonbilder nur auf rein musikalische Forderungen Rücksicht zu nehmen. In dieser Cantate hat Bach gezeigt, wie er auch mit geringen Mitteln das Großartigste zu schaffen vermag. Sie gehört ohne Frage zu den bewundernswerthesten Erzeugnissen nicht nur seiner, sondern überhaupt der deutschen Tonkunst. In jedem Takte derselben, kann man sagen, ist der Genius in seiner vollen Stärke wirksam. Niemand wird dieses so trostvoll in dem Choral »Jesu meine Freude« ausklingende Werk ohne tiefste Bewegung an sich vorübergehen lassen können.

4) Sonntag Estomihi (20. Febr. 1724) »Du wahrer Gott und Davids Sohn«. Ueber diese schon ein Jahr zuvor componirte Cantate ist bereits gesprochen (s. S. 181 ff.).

5) Sonntag Jubilate (30. April 1724) »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen«134. Sehr deutliche Zeichen weisen darauf hin, daß die [233] Cantate mit der Pfingstmusik »Erschallet ihr Lieder« dieselbe Entstehungszeit hat. Indessen ist man, wie zu einem gewissen Theile auch gegenüber der Ostercantate »Christ lag in Todesbanden«, versucht an die Benutzung eines früheren Werkes zu denken. Die autographe Partitur, welche vorliegt, ist eine sehr schöne Reinschrift. Beruht sie auf einer älteren Composition, so dürfte diese in der weimarischen Zeit, etwa gegen 1714, geschaffen sein. Geist und Form der Dichtung verrathen die Art Salomo Francks. Die Sinfonie ist eines jener breiten, voll harmonisirten Adagios, in welchen bei Bach die einsätzige Gabrielische Kirchensonate gipfelt und ausläuft, nicht ohne von der Haltung der ersten Adagiosätze der italiänischen Kammersonate einiges angenommen zu haben; diese Form findet sich häufiger nur noch in seinen früheren Kirchencompositionen135. Der erste Chor hat dreitheilige Arneiform und ist im ersten und dritten Theile ein auf Chor und Orchester übertragener Passacaglio. Auch hierzu findet sich unter Bachs früheren Werken ein Seitenstück: die Ciacona am Schlusse der Cantate »Nach dir Herr verlanget mich«136. In beiden Fällen ist das Form-Problem meisterlich gelöst; musikalisch interessanter, harmonisch tiefsinniger ist noch der Passacaglio. Seine thränengesättigte, in Schmerzen schwelgende Stimmung weist ebenfalls auf jene Periode Bachs zurück, da er noch im Gebiete der älteren Kirchencantate thätig war, und mit den Formen derselben auch das ihnen eigenthümliche Stimmungsgebiet cultivirte. Ueber die innere Verwandtschaft des Passacaglio »Weinen, Klagen« mit einem Chore aus der Mühlhäuser Rathswechsel-Cantate von 1708 und einer Arie Erlebachs ist an einer andern Stelle schon gesprochen (Bd. I, S. 346 f.). Der Bass desselben ist ein Lieblingsmotiv Bachs; es findet sich in der Cantate »Nach dir Herr verlanget mich« ebenfalls, hier jedoch als Fugenthema für den ersten Chor, dann unter andern noch in der Cantate »Jesu, der du meine Seele«, wo außerdem [234] auch andere Wendungen auf den Chor »Weinen, Klagen« zurückdeuten137. Die Arien folgen, wie Franck es liebte, einander ohne zwischengeschobene Recitative. Die Alt-Arie zeichnet sich dadurch aus, daß das Instrumental-Ritornell einen andern Gedanken vorträgt, als die Singstimme; ebenso kommt es in der weimarischen Ostercantate »Der Himmel lacht, die Erde jubiliret« vor (s. Bd. I, S. 536). Darin endlich, daß das Werk in einer andern Tonart schließt, als es beginnt und mit seinen ersten vier und letzten drei Theilen gleichsam in zwei Hälften zerfällt, ähnelt es der 1714 geschriebenen Cantate »Nun komm der Heiden Heiland« (s. Bd. I, S. 501). Ueberall, so sieht man, lassen sich die Fäden aufzeigen, welche es mit einer früheren Schaffensperiode Bachs verbinden. Noch sei bemerkt, daß im 17. Takte der Alt-Arie eine mit dem vierten Achtel eintretende canonische Imitirung der Singstimme durch die accompagnirende Orgel vorausgesetzt wird. Dergleichen kommt nicht nur bei Bach sondern überhaupt in jener Zeit bei Schlußcadenzen, namentlich in Recitativen, öfter vor. Als Beleg diene der Schluß des Recitativs aus der Cantate »Gott der Hoffnung erfülle euch«138:


5.

6) Zweiter Sonntag nach Trinitatis (18. Juni 1724) »Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei«. Die Cantate gehört mit der oben besprochenen Composition auf das Trinitatisfest »O heilges [235] Geist-und Wasserbad« augenscheinlich zusammen. Sie entfaltet sich in größeren Formen und ist bedeutend gehaltvoller. Aber es herrscht eine überraschende Uebereinstimmung im Bau der ersten Sätze und dieser ist ein ganz ungewöhnlicher und besonders complicirter. Was in der Festcantate Sopranarie, ist hier vierstimmiger Chor mit zum Theil selbständigem Grundbass. Das Fugenthema wird in beiden Stücken in motu recto und contrario durchgearbeitet, wie dort tritt auch hier ein zweites Thema auf, das sich hernach mit dem ersten zur Doppelfuge verbindet. Auch ist eine gewisse Verwandtschaft der Themen erkennbar, wenigstens der Hauptthemen. In der Festcantate lautet es:


5.

in der andern:


5.

Die Stimmführung in jener ist noch verwickelter, dichter, fast verkünstelt; man könnte die Arie in Fugenform eine Studie für die ungezwungen und imposant sich ausbreitende Chorfuge nennen. Nicht nur in ihr aber, auch in den beiden Arien und dem Schlußchoral hat Bach von seiner unübertroffenen Combinationsbegabung vollen Gebrauch gemacht; namentlich ist die zweite Arie, in welcher der Sopran mit dem Bass und zwei Oboi da caccia ein richtiges Quatuor herstellt, bewunderungswürdig durch ihren harmonischen und modulatorischen Reichtum. Darin daß die Cantate in einer andern Tonart schließt als beginnt, gleicht sie der vorigen139.

7) Zwölfter Sonntag nach Trinitatis (27. Aug. 1724) »Lobe den Herrn, meine Seele«. Den prachtvollen, festlichen Charakter verdankt die Cantate weniger ihrer Bestimmung für den genannten Sonntag, als dem Umstände, daß sie offenbar zugleich Rathswahl-Cantate sein sollte. Der bei dieser Veranlassung übliche Gottesdienst fand im Jahre 1724 am 28. August statt; in ihm wurde die [236] Cantate also abermals aufgeführt. Eine dritte Aufführung ist gegen 1730 veranstaltet worden; sie diente ohne Zweifel keinem sonntäglichen Zwecke mehr, sondern nur dem Rathswahl-Gottesdienste. Denn die Umarbeitung, welche das Werk für diese Aufführung erlitt, läßt im Texte die Beziehung auf die städtische Obrigkeit noch viel schärfer hervortreten und wendet sich dadurch von dem Inhalte des Evangeliums zum 12. Trinitatis-Sonntage vollständig ab. Die Solostücke dieser Cantate sind von keiner hervorragenden Bedeutung. Seine ganze Kraft aber hat Bach in den Anfangschor gelegt, eine in großen Verhältnissen ausgeführte Doppelfuge mit arienmäßigem Eingange. Er gehört zu den feurigsten, glänzendsten Stücken, welche wir in dieser Art von ihm besitzen140. –

Nachdem wir Bach durch das erste vollständige Kirchenjahr, das er in Leipzig erlebte, begleitet haben, mag nunmehr, was er als Cantatencomponist producirte, in größere Gruppen zusammengefaßt werden. Eine solche Gruppe wird passend abgegränzt durch den 7. September 1727, wo wegen des Todes der Königin Christiane Eberhardine eine viermonatliche Landestrauer eintrat, während welcher Kirchenmusik und Orgelspiel verstummen mußten141. Von dreien während dieser Zeit geschaffenen Cantaten lassen sich Jahr und Tag der ersten Aufführung genauer, von einer Anzahl anderer nur annähernd bestimmen. Picander gab, wie erzählt worden ist, für das Kirchenjahr 1724–1725 eine »Sammlung erbaulicher Gedanken« in wöchentlich erscheinenden Stücken heraus. Durften wir muthmaßen, daß er schon zur Rathswahl 1723 und zu Neujahr 1724 für Bach gereimt habe, so läßt sich vermittelst dieser Sammlung der erste Text aufzeigen, welchen Picander nachweislich für Bach verfertigte. Die »Erbaulichen Gedanken« an sich waren höchstens soweit componirbar als sie Strophenlieder enthielten. Aber ein Strophenlied in die musikalische Form einer madrigalischen Kirchenmusik eingehen zu lassen hatte mancherlei unbequemes. Deshalb sah sich Picander veranlaßt, dem in den »Erbaulichen Gedanken auf das Fest Michaelis« enthaltenen strophischen Gedichte durch Kürzung, Zusammenziehung, Umstellung und mittelst einiger Zusätze[237] die Form eines madrigalischen Textes zu geben. Als erstes einer unzähligen Menge gleichbeschaffener Producte, und weil man von Picanders Art zu arbeiten daraus das deutlichste Bild erhält, mag es hier in seiner Doppelgestalt Platz finden.


Text des strophischen Gedichtes.


(Mel. Allein Gott in der Höh sei Ehr.)


1.

Was ist der Mensch, das Erdenkind,

Der Staub, der Wurm, der Sünder?

Daß ihn der Herr so lieb gewinnt,

Und ihm die Gotteskinder,

Das große starke Himmelsheer

Zu einer Wacht und Gegenwehr,

Zu seinem Schutz gesetzet.


2.

Wir preisen deine Freundlichkeit,

Du Herr der Seraphinen,

Daß uns die Engel allezeit

Bewachen und bedienen.

So groß des Teufels Macht und List

Und alle seine Rüstung ist,

So sind wir doch in Friede.


3.

Gott schickt uns Mahanaim zu,

Wir stehen oder gehen,

So können wir in sichrer Ruh

Für unsern Feinden stehen.

Es lagert sich so nah als fern

Um uns der Engel unsers Herrn

Mit Feuer, Roß und Wagen142.


4.

Drum lasset uns, ihr Menschen, nicht

Auf Menschen wieder trauen;

Viel lieber unsre Zuversicht

Auf Gott alleine bauen.

[238] Je näher Gott, je größer Noth,

Uns muß ein Engel öffters Brod

Wie dem Propheten bringen.


5.

Uns kann kein einige Gefahr

In dem Beruf erschrecken,

Weil uns die Engel immerdar

Mit ihrem Schutz bedecken.

Wenn wir in höchsten Nöthen sein,

Und wissen weder aus noch ein

Muß uns ein Engel trösten.


6.

Drum lasset uns das Angesicht

Der frommen Engel lieben,

Und sie mit unsern Sünden nicht

Vertreiben und betrüben,

Erhebt mit Loben Gottes Reich

Und lasset uns den Engeln gleich

Sein dreimal Heilig! singen.


7.

Befiehlt uns Herr ein sanfter Tod

Der Welt Valet zu sagen,

So laß uns aus der Sterbensnoth

Die Engel zu dir tragen.

Verleihe, daß wir nach der Zeit

In deiner süßen Seeligkeit

Den Engeln ähnlich glänzen143.


Text der Cantate.


Chor.

Es erhub sich ein Streit.

Die rasende Schlange und höllische Drache

Stürmt wieder den Himmel mit wüthender Rache.

Aber Michael bezwingt,

Und die Schaar, die ihn umringt

Stürzt des Satans Grausamkeit.


Bass-Recitativ.

Gottlob! der Drache liegt.

Der unerschaffne Michael

Und seiner Engel Schaar hat ihn besiegt;

Dort liegt er in der Finsterniß

Mit Ketten angebunden,

[239] Und seine Stätte wird nicht mehr

Im Himmelreich gefunden.

Wir stehen sicher und gewiß,

Und wenn uns gleich sein Brüllen schrecket,

So wird doch unser Leib und Seel

Mit Engeln zugedecket.


Sopran-Arie.

Gott schickt uns Mahanaim zu,

Wir stehen oder gehen,

So können wir in sichrer Ruh

Für unsern Feinden stehen.

Es lagert sich so nah als fern

Um uns der Engel unsers Herrn

Mit Feuer, Roß und Wagen.


Tenor-Recit.

Was ist der schnöde Mensch, das Erdenkind?

Ein Wurm, ein armer Sünder.

Schaut, wie ihn selbst der Herr so lieb gewinnt,

Daß er ihn nicht zu niedrig schätzet

Und ihm die Himmelskinder

Der Seraphinen Heer

Zu seiner Wacht und Gegenwehr,

Zu seinem Schütze setzet.


Tenor-Arie.

Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir,

Führet mich auf beiden Seiten,

Daß mein Fuß nicht möge gleiten.

Aber lernt mich auch allhier

Euer großes Heilig singen

Und dem Höchsten Dank zu bringen.


Sopran-Recit.

Laßt uns das Angesicht

Der frommen Engel lieben

Und sie mit unsern Sünden nicht

Vertreiben oder auch betrüben,

So sein sie, wenn der Herr gebeut

Der Welt Valet zu sagen

Zu unsrer Seligkeit

Auch unser Himmelswagen.


Chor. Choral.

Laß dein' Engel mit mir fahren

Auf Elias Wagen roth,

Und mein' Seele wohl bewahren

Wie Laz'rum nach seinem Tod!

Laß sie ruhn in deinem Schooß

Erfüll sie mit Freud und Trost,

Bis der Leib kommt aus der Erde

Und mit ihr vereinigt werde.


Eine Vergleichung der beiden Dichtungen ergiebt, daß der Text [240] der ersten zwei Stücke der Cantate aus dem Ideenkreise der Festtags-Epistel heraus neu hinzu erfunden worden ist. Die Sopran-Arie stimmt wörtlich mit der dritten Strophe aus den »Erbaulichen Gedanken« überein. Das Tenor-Recitativ ist die erste Strophe, mit leichter Hand madrigalartig umgeformt. Dasselbe Verhältniß besteht zwischen den beiden letzten Strophen und dem Sopran-Recitativ, während die Tenor-Arie wieder ziemlich frei erfunden ist. Den Schlußchoral bildet die achte Strophe des Kirchenliedes »Freu dich sehr, o meine Seele«. Darüber daß Cantaten-Text und strophische Dichtung für dasselbe Michaelisfest des Jahres 1725 gemacht worden sind – und zwar letztere, um als selbständiges Werk veröffentlicht zu werden, ersterer nur um der Composition Bachs zu dienen – kann meines Erachtens kein Zweifel sein. Picander schrieb in madrigalischer Form viel zu schnell und mühelos, als daß es ihm hätte beikommen können, in späteren Jahren noch auf ein Gedicht zurückzugreifen, dessen Originalgestalt den Anforderungen eines Cantaten-Textes im ganzen doch nur wenig entsprach. Außerdem verräth sich obiger Michaelistext als frühe Arbeit durch den in der Tenor-Arie vorkommenden Ausdruck: »Aber lernt mich auch allhier Euer großes Heilig singen« – eine sprachliche Nachlässigkeit, der man in Picanders ersten Dichtungen mehrfach begegnet, die er aber später sich nicht mehr hingehen ließ.144 Das Michaelisfest fällt auf den 29. September.

Bei einer früheren Gelegenheit ist darauf hingewiesen, daß Bach sich bei dieser Michaeliscomposition durch ein Werk seines Oheims Johann Christoph Bach habe anregen lassen.145 Wir wissen daß er es in Leipzig aufführte und damit eine große Wirkung machte. Die Anregung zeigt sich zunächst in der Gestaltung des Textes, die Picander zuverlässig nach Angabe Bachs vornahm und welche dem Gebrauche entgegen, soweit es sich mit der Benutzung des vorhandenen strophischen Gedichtes noch vertrug, mehr auf die Epistel als auf das Evangelium Bezug nimmt. Ferner tritt in der [241] Composition das Streben nach plastischen, oratorienhaften Tonbildungen auffallend hervor. Wo nur im Text des ersten Chors ein Begriff entgegen tritt, der sich durch analoge Tonbewegungen versinnlichen läßt, geschieht es mit Beflissenheit. Dennoch entsteht kein eigentlicher Oratorienchor. Es ist nicht die objective – epische, wenn man will – Hingabe an den Gegenstand, welche wirksam wird, sondern ein durch die Vorstellung eines gewaltigen Ereignisses erregter Empfindungsstrom fluthet und braust vorüber, und spiegelt die zitternden Bilder der Begebenheiten nur in gebrochenen, unsichern Linien zurück. Der Chor zeigt durch den Vergleich mit der Composition Johann Christophs deutlich die Eigenthümlichkeit und Gränze von Sebastians Begabung: ein Oratoriencomponist wie Händel hätte nie aus ihm werden können, wären selbst die äußeren Bedingungen dazu vorhanden gewesen; aber den Anforderungen der Kirchenmusik zu genügen, dafür war die Art seines Schaffens grade die rechte. Geistreich wird in der Sopranarie die Vorstellung der »Mahanaim«, wel che den Menschen auf Schritt und Tritt schützend begleiten, durch ein aus der Hauptmelodie gewobenes dichtes Gespinnst ausgedrückt. Noch tiefsinniger ist die Tenorarie combinirt. Das Orchester begleitet den Gesang mit einem nahezu selbständigen Siciliano; dazu bläst die Trompete die Choralmelodie »Herzlich lieb hab ich dich o Herr.« Man hat nicht an die Worte der ersten Strophe dabei zu denken, sondern an die der letzten:


Ach Herr, laß dein lieb Engelein

Am letzten End die Seele mein

In Abrahams Schooß tragen,

Den Leib in sein'm Schlafkämmerlein

Gar sanft ohn einge Qual und Pein

Ruhn bis am jüngsten Tage!

Alsdann vom Tod erwecke mich,

Daß meine Augen sehen dich

In aller Freud, o Gottessohn,

Mein Heiland und Genaden – Thron!

Herr Jesu Christ!

Erhöre mich, erhöre mich!

Ich will dich preisen ewiglich!


Die Länge der Strophe hat auch eine ungewöhnliche Ausdehnung der Arie zur Folge gehabt. Es ist nöthig, die Choralmelodie als den gegebenen musikalischen Kern sich vorzustellen, damit das [242] Stück beim Hören nicht zu lang erscheine. Im übrigen sieht man, wie durch diese Combination der Schlußchoral vorbereitet wird, der von den kriegerischen Bildern des Anfangs weit hinweg zur Ruhe der Seligen führt.146

Die zweite der drei Cantaten aus den Kirchenjahren 1724–1727, deren Entstehungszeit genau bestimmt werden kann, gehört in den Anfang des Februar 1727 und ist ebenfalls von Picander gedichtet. Gleich der Cantate »Lobe den Herrn, meine Seele« vom Jahre 1724 hatte auch diese eine doppelte Bestimmung: sie sollte zugleich Kirchen-Cantate und Gelegenheitsmusik sein. In ersterer Verwendung gehörte sie dem Feste Mariä Reinigung (2. Febr.), in letzterer diente sie einer vier Tage später begangenen Trauerfeierlichkeit. Johann Christoph von Ponickau der Ältere, Herr auf Pomßen, Naunhoff, Großzschocher und Winddorff, Kammerherr, Hof- und Appellationsrath war im October 1726 im 75. Lebensjahre gestorben und wurde am 31. October im Erb-Begräbniß der Kirche zu Pomßen bestattet. Er hatte sich um Sachsen vielerlei Verdienste erworben und war eine hochangesehene Persönlichkeit gewesen. Auch Picander fühlte sich ihm persönlich tief verpflichtet und gab diesem Gefühle in einem Trauergedichte Ausdruck. Am 6. Februar 1727 wurde zu Ehren des Abgeschiedenen in der Kirche zu Pomßen ein solenner Trauergottesdienst veranstaltet; Picander dichtete hierzu eine Cantate »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn« und Bach gab die Musik.147 Es hat den Anschein, daß er dieses weniger aus eigner Bewegung, als dem befreundeten Dichter zu Gefallen that, und seinerseits mehr nur darauf sah, wie die Musik zugleich zu einem kirchlichen Zwecke verwendet werden könne. Der Text enthält sich, wohl auf Bachs Veranlassung, aller persönlichen Anspielungen und konnte ohne Änderung eines Wortes zu dem wenige [243] Tage vorher einfallenden Feste Mariä Reinigung gebraucht werden. Auch die Composition trägt durchaus keinen solennen Charakter; sie ist ein ernstes, sinniges Stück in der Stimmung der Worte des alten Simeon: »Herr nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren«, der Chor fehlt, abgesehen vom Schlußchorale, gänzlich.

Als dritte ist die Cantate »Herz und Mund und That und Leben« zu nennen. Sie entstand freilich zum 4. Adventsonntag 1716 in Weimar, hat aber für Leipzig eine sehr durchgreifende Umarbeitung erfahren und wurde, wegen des Ausfalls der Kirchenmusik in der Adventzeit, nunmehr dem Feste Mariä Heimsuchung (2. Juli) bestimmt. Wenn auch nicht ganz gewiß, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sie diese Bestimmung zuerst im Jahre 1727 zu erfüllen hatte.148

Es folgt eine Reihe von Kirchencantaten, von denen sich mit einiger Sicherheit nur im allgemeinen sagen läßt, daß sie innerhalb der vier Kirchenjahre 1723–1727 geschrieben worden sind.

1) Neujahrsfest »Herr Gott dich loben wir«. Schon bei der Cantate »Jesus nahm zu sich die Zwölfe« ist darauf hingewiesen, daß Bach es nicht verschmähte, sich gelegentlich dem Geschmacke des Leipziger Publicums anzubequemen (s. S. 183). Unter allen bekannten Kirchenmusiken seiner Composition ist diese für das Neujahrsfest diejenige, in welcher ein Anschluß an Telemanns Schreibweise am deutlichsten hervortritt. Nicht freilich geschieht es im ersten Satze, einem prächtigen Choralchore über die vier ersten Zeilen des Ambrosianischen Lobgesanges: in solchen Formen konnte und mochte Bach nichts von Telemann annehmen und Telemann wäre nicht im Stande gewesen, es ihm auch nur von ferne darin nachzuthun. Aber ein ganz andrer Geist scheint aus dem zweiten Chore »Laßt uns jauchzen, laßt uns freuen« zu reden. Der Wechsel zwischen Bass und vollem Chor, die gefällige Melodik, die drastische Art des Ausdrucks, die Chorbehandlung, alles dies sieht Telemannschen Chorsätzen zum Verwechseln ähnlich149 wenn man gleich bei [244] näherem Eingehen selbst hierin Bachs kräftigeren Geist recht wohl spürt. Bachs Verhältniß zu Telemann beruhte nicht nur auf persönlicher Freundschaft, er unterschätzte ihn auch als Componisten keineswegs und schrieb sich zum Gebrauch für seine Leipziger Aufführungen eine Adventscantate desselben eigenhändig ab.150 Auch in der sehr melodischen, weich-innigen Tenor-Arie »Geliebter Jesu, du allein« ist der Widerschein der Keiser-Telemannschen Sologesänge garnicht zu verkennen. Wer sie mit der Tenor-Arie der oben genannten Estomihi-Cantate vergleicht, wird eine gewisse Verwandtschaft in der Empfindungsweise sofort bemerken.151

2) Dritter Sonntag nach Epiphanias »Herr wie du willt, so schicks mit mir.«152 Der an der Spitze stehende Choralchor, welcher auf eine Stelle des Evangeliums, wenngleich nur äußerlich, Bezug nimmt, hat eine in mancher Beziehung neue Form. Recitativische Partien, welche die Gedanken des Melissanderschen Kirchenliedes weiter ausführen, durchziehen ihn. Einer solchen Textanlage begegnet man öfter in Picanders kirchlichen Dichtungen: die letzte Arie von »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn« ist in dieser Weise gehalten, ähnlich auch der Anfang eines auf den 3. Epiphanias-Sonntag 1729 gemachten Textes. Es darf daher vermuthet werden, daß auch der vorliegende Text von ihm herrührt. Der Choral ist vierstimmig und insofern homophon gesetzt, als mit imitatorischen Durchführungen die Singstimmen nirgends behelligt werden. Sehr selbständig benehmen sich die Instrumente. Vor und zwischen den Zeilen lassen sie stets dasselbe, nur in der Tonart nach der jedesmaligen Zeile sich richtende Ritornell hören, das in motivischer Zerlegung auch die recitativischen Stellen begleitet; den Choralgesang umspinnen sie in andersartiger Figurirung. Außerdem treibt der Componist mit einem Motive des Chorals ein seltsames Spiel. Ein Horn153, welches den Cantus firmus verstärkt und anfänglich auch praeludirend vorträgt, macht sich nebenher [245] mit der Zerstückelung und Verkürzung der ersten Melodiezeile, unterstützt von den Saiteninstrumenten, angelegentlich zu schaffen. Namentlich sind es die auf die Worte »Herr wie du willt« fallen den Töne, welche in diminuirten Notenwerthen:


5.

immer und immer wieder angebracht werden. Schließlich, nachdem der Chor längst das seinige gethan hat, scheint es als ob er begriffen hätte, was der Tondichter ihm durch die Instrumente unablässig zuraunen ließ: dreimal nach längeren Zwischenräumen hören wir nun auch von ihm das kurz herausgestoßene »Herr wie du willt«, zuletzt auf dem Dominantseptimen-Accorde abbrechend, worauf die Instrumente rasch die Schlußcadenz machen. Der volle Sinn des seltsamen Tongebildes erschließt sich aber erst durch die Bass-Arie, welche dem Schlußchorale vorhergeht. Der Text besteht aus drei vierzeiligen Strophen, deren jede mit den Worten »Herr so du willt« anhebt. Bach nennt das Stück »Arie«, obwohl die Form desselben frei von ihm erfunden ist. Er setzt in ihm die Gedanken des Anfangschores in einer Weise fort, daß man sieht, diese Dichtung hatte für ihn auf die Gestaltung des Chores rückwärts gewirkt. Das Thema wird ohne Vorspiel von der Singstimme intonirt


5.

dann bemächtigen sich seiner, wiederum in der Verkürzung, alsbald auch die Instrumente, mehr nur den Rhythmus imitirend:


5.

und arbeiten es mit Beharrlichkeit durch. Eine begleitende Sechzehntel-Figur ist ebenfalls dem ersten Chore entnommen. Die Empfindung eines Menschen, der sich mit demuthsvoller Ergebung vor dem unbegreiflichen Rathschlusse Gottes beugt, ist hier mit ergreifender Inbrunst ausgesprochen. Aus der Stelle, wo die Saiteninstrumente pizzicato das Leichengeläut nachahmen, klingt es wie Friedensahnung, die durch die Schauerpforten des Todes herein weht (vrgl. Band I, S. 546).

3) Dritter Sonntag nach Epiphanias »Alles nur nach Gottes Willen«154. Dieses ist ein Text aus Francks Evangelischem Andachtsopfer, [246] und einer der ansprechendsten. Er verfolgt denselben Grundgedanken, wie derjenige der vorigen Cantate, und es scheint sogar, als sei er auf ihn nicht ohne Einfluß geblieben. Indessen nuancirt sich dort die Empfindung mehr nach der Richtung einer frommen Ergebung in die Leiden des Lebens, während hier das selige Genügen gepriesen wird, welches aus dem Bewußtsein erwächst, sich überall in der Hand eines liebreichen Gottes zu befinden. Den phantastischen Zug, die dunkle Färbung der vorigen Cantate findet man hier nicht, wohl aber eine vertrauensselige kindliche Innigkeit von rührender Gewalt. Den stärksten Ausdruck findet dieses Gefühl in der Sopranarie »Mein Jesus will es thun, er will mein Leid versüßen«, einem der holdesten Gesangstücke, die Bach geschrieben hat. Aber in seiner Art nicht weniger entzückend ist alles übrige: die erregtere Alt-Arie »Mit allem was ich hab und bin, Will ich mich Jesu lassen«, das vorhergehende Arioso, in welchem drei- und zweitheiliger Rhythmus so wirkungsreich durch einander spielen, endlich der in herrlicher Breite dahinwallende, von Innigkeit überquellende Eingangschor. Ein paar leichte Änderungen, die Bach im Texte vorgenommen hat, sind doch interessant genug, um hier erwähnt zu werden. Am Schlusse des Arioso heißt es bei Franck:


Herr, so du willt, so sterb ich nicht;

Ob Leib und Leben mich verlassen;

Wenn mir dein Geist dies Wort ins Herze spricht.


»Dies Wort« bezieht sich also bei ihm auf »Herr, so du willt«; Bach hat es auf die folgende Arie »Mit allem was ich hab und bin« bezogen, in welche das Arioso unmittelbar übergeht. In der Sopranarie singt der Dichter:


Mein Jesus will es thun! Er will dein Kreuz versüßen;

Obgleich dein Herze liegt in viel Bekümmernissen,

Soll es doch sanft und still in seinen Armen ruhn,

Wenn ihn der Glaube faßt! Mein Jesus will es thun.


Der Componist aber:


Wenn es der Glaube faßt: Mein Jesus will es thun.


4) Sonntag Septuagesimae »Nimm was dein ist und gehe hin«155. [247] Die Cantate beginnt mit einer Fuge, in welcher die energische, ja harte Abweisung der Forderungen werkgerechten Dünkels einen fast dramatischen Ausdruck gewinnt. Es ist schade, daß der Textdichter den tieferen Sinn des evangelischen Gleichnisses vom Hausvater, welcher Arbeiter für seinen Weinberg dingt, so ungenügend erfaßt hat und im folgen den nichts besseres zu thun weiß, als die Genügsamkeit zu preisen. So muß denn auch das Interesse an der Musik erlahmen. Was Bach aus den trivialen Reimereien machte, hat natürlich Kopf und Fuß; tiefer erregen kann es nicht. Doch scheint grade diese Cantate weitere Verbreitung gefunden zu haben und ihr Text mehrfach componirt zu sein«156.

5) Sonntag Sexagesimae »Leichtgesinnte Flattergeister«. Die Bass-Arie am Anfang, das Bild eines leichtfertigen und flatterhaften Sinnes, welcher die Segnungen des göttlichen Wortes in den Wind schlägt, ist ein Charakterstück von außerordentlicher Schärfe und Eigenart. Am Ende steht ein frei erfundener Chor in Form der italiänischen Arie. Er ist fugirt, aber von sehr populärer Melodik und dürfte ursprünglich eine weltliche Bestimmung gehabt haben157.

6) Sonntag Quasimodogeniti »Halt im Gedächtniß Jesum Christ«. Hier haben wir wieder ein Werk, das auch in poetischer Hinsicht allen gerechten Anforderungen genügt. Die schöne Erzählung des Evangeliums, wie Jesus nach seiner Auferstehung Frieden bietend im Kreise seiner Jünger erscheint und sie im Glauben stärkt, spiegelt sich hell aus der Dichtung zurück, die aus gut angebrachten Bibelstellen, passenden Chorälen und wohlklingenden Versen zusammengesetzt ist. Sie erinnert an die Weise Francks; sollte Picander der Verfasser sein, so hätte er sich selbst übertroffen. Der Sologesang ist in dieser Cantate, abgesehen von ein paar kurzen Recitativen, [248] nur durch eine schöne Tenorarie vertreten. In dem Anfangschor, einem herrlichen aus zwei Hauptthemen frei construirten fugirten Satze, hätte Scheibe seine für eine eindringliche Kirchenmusik erhobene Forderung »poetischer Auszierungen und verblümter Ausdrückungen« (s. S. 166) voll erfüllt finden müssen. Etwa in der Mitte des Werks tritt mit großer Wirkung der Osterchoral »Erschienen ist der herrlich Tag« ein. Aus der Wendung des Recitativ-Textes, durch welche er eingeleitet wird, sehen wir, daß derselbe Choral zuvor von der Gemeinde gesungen worden sein muß. Kirchliche Vorschrift war dies nicht; Bach wird also dieses Gemeindelied für den vorliegenden Fall ausdrücklich bestimmt haben (vrgl. S. 57 f.). Sehr eigenthümlich ist der nächste Chor. Er führt wegen der strophischen Gestaltung des Textes den Namen Aria. Der Bass trägt mit einer tief empfundenen milden Melodie, unter einer sanft schwebenden Begleitung der Flöten und Oboen die Worte Christi vor »Friede sei mit euch«. Ihm gegenüber stellen sich die drei oberen Stimmen mit Worten und Tönen gläubigen Vertrauens auf Christi Schutz und Beistand; im langverhallenden Friedensgruß des Basses klingt das Ganze aus, worauf dann der Choral »Du Friedefürst Herr Jesu Christ« die Stimmung der Cantate noch einmal kurz zusammenfaßt158.

7) Sonntag Misericordias Domini »Du Hirte Israels«. Ein kirchliches Pastoral, das Lieblichkeit und Ernst, Anmuth und Tiefe in selten schöner Vereinigung zeigt. Die Taktart des ersten Chores ist eigentlich nicht als Dreiviertel-, sondern als Neunachtel-Takt zu verstehen, insofern durchgängig Triolenbewegung herrscht und die rhythmische Figur 5. nach damaliger Art wie 5. auszuführen ist (s. Bd. I, S. 555). Hierdurch sowie durch den sackpfeifenartig liegenbleibenden Bass werden dem Tonstücke ganz zart auch die äußern Merkmale einer pastoralen Musik aufgedrückt. Neben seinem bezaubernden melodischen Reize ist der Chor zugleich ein Meisterwerk kunstreichen Satzes. Im Gesange wechseln homophone Partien mit fugirten Durchführungen. Drei Schalmeien (Oboen) schließen sich den drei obern Stimmen verstärkend und farbegebend an. Die Streichinstrumente aber umhüllen sie mit einem schimmernden[249] Netz wiegender und wallender, durchaus selbständiger Tonreihen. Ein solches Stück hatte Bach bisher nicht geschaffen; es ist ein neues Zeugniß seiner unerschöpflichen Phantasie. Zur Stimmung, dem darin entfalteten Klangzauber, wie auch zur Combination der verschiedenen Tonmassen wolle man die Hirtensinfonie aus dem Weihnachts-Oratorium als einzig würdiges Seitenstück vergleichen. Einen in mancher Beziehung ähnlichen Charakter trägt die Bassarie, wogegen die von ihr und dem Chor umschlossene Tenorarie jener beklommenen Empfindung Ausdruck giebt, welche Psalmstellen, wie »Und ob ich schon wandre im finstern Thal fürcht ich kein Unglück« und »Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott zu dir«, anzuregen geeignet sind. Daß Bach an diese Bibelstellen dachte, ist sicher, da auch der Text an dieselben anklingt und eine Strophe des versificirten 23. Psalms den Schluß der Cantate bildet159.

8) Sonntag Cantate »Wo gehst du hin?«. Der Text zeigt, wie leider so oft bei den Bachschen Cantaten, eine betrübende Unfähigkeit des Dichters, den Grundgedanken des Evangeliums zu erfassen und poetisch zu gestalten. Nach einer lockern Anknüpfung an dasselbe befinden wir uns bald wieder in dem alten, ausgetretenen Gleise: Aufforderung an den Himmel zu denken, Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles irdischen. Es erregt Bewunderung, wie Bach immer wieder so ganz bei der Sache war, immer neue und neue Weisen und Formen in diesem poetischen Einerlei zu finden wußte. Das Werk ist Solo-Cantate, indem außer dem Schlußchoral wenigstens kein mehrstimmiger Chorgesang darin zur Anwendung kommt. Besondere Aufmerksamkeit erregen der erste und dritte Abschnitt. In jenem hat Bach es möglich gemacht, über einen Text von vier Worten, der noch dazu eine Frage darstellt (»Wo gehst du hin?«) eine Arie zu componiren. Sie ist eigenthümlich durch die dreitaktigen Perioden, aus denen sie sich aufbaut. Im dritten Abschnitt singt der Sopran die dritte Strophe des Ringwaldschen Liedes »Herr Jesu Christ, ich weiß gar wohl«, die Instrumente führen dazu einen zweistimmigen Contrapunkt aus. Es begegnet uns mit diesem Stücke zum ersten Male die vollständige und angemessenste Übertragung [250] des Choral-Orgeltrios auf die Vocalmusik; in der Cantate »Erfreute Zeit im neuen Bunde« war mehr nur ein Ansatz dazu hervorgetreten. Während Bachs erster Leipziger Zeit entstanden seine sechs großen Orgeltrios in Sonatenform. Wir sehen also, wie die Beschäftigung mit dieser Form hier weiter gewirkt hat160.

9) Sonntag Rogate »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so ihr den Vater bitten werdet«. Ein Werk, das mit dem vorigen nach Inhalt und Entstehungszeit unverkennbar eng zusammengehört. Die Textanordnung ist ganz die nämliche: voran ein dem Evangelium entnommener Bibelspruch, dann Arie, Choral, Recitativ, Arie und Schlußchoral. Die von Bach verwendeten Tonmittel sind auch die gleichen; selbst die Arien sind für dieselben Stimmen gesetzt, nur in umgekehrter Anordnung, beide Male aber beginnt ein Solo des Basses und schließt ein einfach vierstimmiger Choral. Der Choralsatz in der Mitte, über die letzte Strophe von »Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn« gebaut, zeigt sich hier wie dort als eine aus der Orgelmusik übertragene Form; es contrapunktiren dieses Mal drei Stimmen, der melodische Gehalt der Contrapunkte hier und dort ist aber wiederum ein sehr verwandter: in der Cantate »Wo gehst du hin« lautet der Anfang:


5.

in der Cantate »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch«:


5.

Bibelworte im Munde einer einzelnen Stimme pflegt Bach als Arioso zu behandeln, weil eine Anwendung der Opernformen leicht als Profanation erscheinen konnte. Wenn er in der Cantate »Wo gehst du hin« hiervon einmal abwich, so geschah es sicherlich der Eigenthümlichkeit des Textes wegen. Das Musikstück, welches an der Spitze der Cantate »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch« steht, ist freilich auch kein Arioso. Aber die würdige Haltung, welche der Composition eines Bibelspruches zukam, ist auf anderm Wege erreicht, [251] einem Wege allerdings, den nur ein Meister wie Bach wandeln durfte. Er hat den Gesang in eine regelrechte vierstimmige Instrumentalfuge verflochten, und meist so geführt, daß er als selbständige fünfte Stimme erscheint; nur bisweilen fließt er mit dem Instrumentalbasse zusammen, grade hierdurch an die Gewohnheiten des älteren kirchlichen Arioso noch deutlich erinnernd. Ein Seitenstück zu dieser originellen Leistung fehlt nicht; wir haben es im ersten Satze der Cantate »O heilges Geist- und Wasserbad« und es ist demnach wahrscheinlich, daß beide Werke kurz nach einander entstanden sind161.

10) Sonntag Exaudi »Sie werden euch in den Bann thun« (G-moll). Auch zwischen diesem Texte und den der beiden vorigen Cantaten besteht hinsichtlich der Construction vollständige Übereinstimmung. Ebenso zeigt die Composition im allgemeinen eine ähnliche Schreibweise, zumal in den beiden Arien. Das Anfangsstück ist ein Zwiegesang zwischen Tenor und Bass, der in einen Chor übergeht. In dem Zwiegesang herrscht eine große polyphone Kunst, vergleichbar derjenigen, welche im Duett der Cantate »Du wahrer Gott und Davidssohn« aufzuzeigen war (s. S. 182). Der Chor dagegen in seiner populären Disposition und leichtfaßlichen Polyphonie erinnert an die Chöre aus »Jesus nahm zu sich die Zwölfe« (s. S. 183) und »Ein ungefärbt Gemüthe« (s. S. 188). Etwas ganz neues offenbart uns wieder der mittlere Choralsatz »Ach Gott, wie manches Herzeleid«. Zwar keinem Orgel-Trio oder -Quatuor aber einem Choraltypus Böhms ist er frei nachgebildet162. Den schlichten Choral singt der Tenor; es begleitet nur der Generalbass und zwar mit Tonreihen, die durch Verkürzung aus der ersten Choralzeile entwickelt sind und durch chromatische Ausrenkungen das »Herzeleid« andeuten sollen. Da die Strophe nur vier Zeilen enthält so geht der Satz rasch vorüber, fast zu rasch als daß er in seiner ganzen Bedeutsamkeit erfaßt werden könnte. In einer viel späteren Cantate hat Bach diese Melodie in derselben Weise bearbeitet,163 nur daß an Stelle einer Stimme ein vierstimmiger Chor tritt. Aber in der späteren Composition wird die Wirkung dadurch eine größere, daß sich Recitative [252] zwischen die Choralzeilen schieben, und somit der Hörer Zeit gewinnt, den originellen Bau der Form zu begreifen. Den Schlußchoral unserer Cantate bildet die letzte Strophe des Flemmingschen Liedes »In allen meinen Thaten«.164

11) Erster Sonntag nach Trinitatis »O Ewigkeit, du Donnerwort«. Zu Grunde liegt das Ristsche Kirchenlied, dessen 1., 2. und 16. Strophe wörtlich herüber genommen sind; das übrige, mit Ausnahme von Strophe 7 und 8, die keine Berücksichtigung gefunden haben, ist in madrigalische Form umgegossen. Man darf in dieser Arbeit Picanders Hand erkennen, da sie in ähnlicher Weise ausgeführt ist, wie für die Mi chaelis-Cantate »Es erhub sich ein Streit«. Das Werk zerfällt in zwei Theile, deren jeder von einer Choralstrophe, in derselben Harmonisirung, beschlossen wird – also ganz die Weise, wie Bach in der ersten Leipziger Zeit seine Cantaten häufiger anzulegen pflegte. Bach hat ersichtlich mit grosser Hingabe gearbeitet. Eine leidenschaftliche Aufregung, zu deren Darstellung ein staunenswerther Reichthum melodischer, harmonischer und namentlich auch rhythmischer Mittel entfaltet wird, verbindet sich mit kraftvollem, erschütterndem Ernst. In vier Arien und einem Duett wird die Vorstellung von der Furchtbarkeit des göttlichen Richters und der ewigen Qual dem Hörer persönlich so nahe gerückt und mit einer so dramatischen Lebendigkeit gepredigt, wie es der kirchliche Stil nur eben gestattet. Die Stücke contrastiren im Charakter sehr scharf, so daß, obgleich immer derselbe poetische Grundgedanke variirt wird, man doch bis zum Schlusse das lebhafteste Interesse behält; es erhöht die Energie ihres Ausdrucks, daß sie sämmtlich ziemlich knapp gefaßt sind. Und selbst in dem Anfangschor macht sich jene persönliche, leidenschaftliche Auffassung des Gegenstandes geltend, die in gewissem Maße ja immer bei Bach stattfindet, in diesem Werke aber gradezu als charakteristisches Merkmal hervortritt. Man wolle sich die Tonreihen ansehen, mit denen die drei tieferen Stimmen die erste und vorletzte Choralzeile contrapunktiren, die erbebende Bewegung, welche sich T. 13, 17, 23, 27 der Instrumente bemächtigt, die gleichsam entsetzt zusammenfahrenden Rhythmen T. 90 ff. Im übrigen bietet dieser Chor das dritte [253] Beispiel aus Bachs ersten Leipziger Jahren für eine Übertragung der französischen Ouverture in die Kirchenmusik. In den Cantaten »Preise Jerusalem den Herrn« und »Höchst erwünschtes Freudenfest« handelt es sich aber nicht um einen Choral. Indem hier ein solcher mit der Ouverturen-Form verschmolzen ist, bildet die Cantate »O Ewigkeit, du Donnerwort« ein genau entsprechendes Seitenstück zu der Adventsmusik »Nun komm der Heidcn Heiland« aus dem Jahre 1714165. Auch in einer späteren Cantate (»In allen meinen Thaten«)166 findet sich Choral und französische Ouverture combinirt, jedoch tritt der Choral nur im Allegro ein, sodaß das Vorhergehende gleichsam als Vorspiel aufzufassen ist, während er in den andern beiden Fällen auch am Grave betheiligt ist. Bei Stücken festlichen Charakters, wie z.B. auch in der Weihnachts-Cantate »Unser Mund sei voll Lachens«167, läßt sich diese Form verstehen; hier ist man um einen innern Grund verlegen. Die kurz zuvor in zwei andern Werken erprobte Meisterschaft in Verwendung der Ouverturenform mochte den combinationsfreudigen Künstler zu dem Experiment veranlassen. Natürlich ist es in technischer Beziehung vollständig geglückt; daß der Empfindungsausdruck dadurch eine Vertiefung erfahren habe, wird man nicht behaupten können, doch macht sich auch nirgends ein Widerspruch zwischen Form und Inhalt fühlbar168.

12) Fest Johannis des Täufers »Ihr Menschen rühmet Gottes Liebe«. Eine Cantate von geringerer Bedeutung, die zu besonderen Bemerkungen kaum Veranlassung giebt. Ihr Charakter ist heiter und gefällig, die Formen sind durchsichtig und leicht zu fassen. Nur für das mittlere Duett mit Oboe da caccia hat der Meister größere Kunst aufgeboten. Doch haftet grade ihm eine gewisse Trockenheit an, was freilich bei den nichtssagenden Worten desselben nicht Wunder nehmen darf. Als ein hübscher Zug mag erwähnt werden, daß in dem den Schlußchoral einleitenden Bass-Recitativ die erste Zeile desselben gleichsam praeludirend auftritt. Die Form des Chorals [254] selber ist die aus der Cantate »Jesus nahm zu sich die Zwölfe« bekannt169.

13) Achter Sonntag nach Trinitatis »Erforsche mich Gott und erfahre mein Herz«. Man könnte aus Bachs Cantaten eine Gruppe aussondern und mit dem Namen »orthodoxe Compositionen« belegen. Die genannte würde zu ihnen gehören. Es ist ihnen ein Zug strengen bis zur Härte gehenden Eifers eigen, den unter allen Kirchencomponisten jener Zeit nur Bach zeigt und der im vorliegenden Falle besonders stark in dem sehr bedeutenden ersten Chore hervortritt. Die Auffassung der zu Grunde liegenden Bibelworte (Psalm 139, v. 23) wurde durch das gegen die »falschen Propheten« gerichtete Sonntags-Evangelium bedingt – eines der ergiebigsten Themen für orthodoxe Prediger.170

14) Neunter Sonntag nach Trinitatis » Thue Rechnung! Donnerwort.« Der Text ist aus Francks »Evangelischem Andachtsopfer«; aus diesem Grunde muß angenommen werden, daß die Composition in der ersten Leipziger Zeit entstand. Wahrscheinlich schuf sie Bach mit der Cantate »Ihr, die ihr euch von Christo nennet« (s. S. 190 f.) in demselben Jahre.171 Sie enthält außer dem Schlußchoral keinen Chor. Von den Solostücken ist die Tenor-Arie ihres unglaublichen Textes wegen (»Capital und Interessen, Meine Schulden groß und klein Müssen einst verrechnet sein«) schwer genießbar. Die Bassarie dagegen und das Duett zwischen Sopran und Alt sind Prachtstücke an Kraft und charakteristischer Haltung.

15) Neunter Sonntag nach Trinitatis »Herr, gehe nicht ins Gericht«. Mit den Weisen eines inbrünstig flehenden Bußgesanges, anfänglich von den beiden Oberstimmen canonisch geführt, beginnt das Orchester (G-moll). In die Schlußcadenz tritt der vierstimmige Chor ein »Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht« (Psalm 143, v. 2). Er entnimmt dem Instrumentalsatze nur das Motiv der canonischen Führung, baut sich sonst über dem Grundbasse aus einem neu erfundenen Gedanken auf. Nach sechs Takten verstummt [255] er vor dem auf der Oberquinte sich wiederholenden wortlosen Bußgesange der Instrumente. Derselbe erscheint jetzt im doppelten Contrapunkt. Ebenso wird in dem nach acht Takten sich wiederholenden Chore der Sopran zum Tenor, der Alt zum Sopran, der Tenor zum Alt. Die Instrumente entnehmen dem Chorgedanken ein rhythmisches Motiv und entwickeln aus ihm ein selbständiges Gebilde, das meisterlich mit dem Chor zu einem Ganzen zusammengefügt wird. Nochmals eine kurze Chorpause, in welcher die Instrumente ihr Motiv weiter führen, dabei aber auch vernehmlich auf eine gewisse Stelle ihres Anfangssatzes (Takt 5 ff.) zurückdeuten. In den zum dritten Male anhebenden und mit freier Benutzung seines Hauptgedankens weitergeführten Chor treten sie endlich mit ihrem eignen Bußgesange hinein und lassen ihn in der mittleren Tonlage, wie recht aus dem Herzen der singenden Schaar hervorquellend, vollständig vorüberziehen. Der Chor endigt, auf einem langen Dominantorgelpunkte klingt leise die Stimmung aus. An den bewundrungswürdig aufgebauten Adagio-Satz schließt sich eine sehr lebendige Fuge »Denn vor dir wird kein Lebendiger gerecht«. Man könnte ihr als Motto den Bibelspruch beigeben »Ich der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott« (2. Mos. 20, 5). Die Durchführung des energischen Themas führt mehrfach zu Stellen welche wie zürnende Meereswogen rollen und brausen. Einmal tritt – ein bei Bach höchst seltener Fall – plötzlich eine längerePiano-Stelle ein, die hernach sogar im Pianissimo fortgesetzt wird, gleich als ob der Mensch sich vor dem Auge des furchtbaren Gottes scheu verbärge. Hinter der ergreifenden Wirkung dieses Anfangschores steht die der übrigen Theile der Cantate nicht zurück:


»Wie zittern und wanken

Der Sünder Gedanken,

Indem sie sich unter einander verklagen

Und wiederum sich zu entschuldigen wagen.

So wird ein geängstigt Gewissen

Durch eigene Folter zerrissen.«


lautete der gelungene Text der ersten Arie, welchen Bach zu einem hochoriginellen Musikstück verwendet hat. Ununterbrochen zieht sich durch dasselbe eine zitternde Sechzehntel-Bewegung der Violinen, zu denen der Sopran mit einer Oboe in kühn gezeichneten, scharf eindringenden Melodien concertirt. Kein Generalbass tritt [256] hinzu, die tiefste Stimme wird durch die gleichmäßig in Achteln fortbebende Viola gebildet. Eine heimliche Angst, zugleich eine tiefsinnige Traurigkeit ist über die Arie gebreitet. Mit dem folgenden, begleiteten, Bassrecitativ tritt die Wendung ein: in Jesus ist Trost, er öffnet uns einst die ewigen Hütten. Die Töne, in denen dies verkündet wird, konnte in solcher Innigkeit nur ein Bach erfinden. Sie führen zu einer in beruhigter Empfindung ausströmenden, sehr reichen, kunstvoll construirten Tenor-Arie. Namentlich interessant ist ihr Rhythmus. Die Worte des Anfangs »Kann ich nur Jesum mir zum Freunde machen« hat Bach zu einem Hauptgedanken benutzt, der sich in einen halben und einen ganzen Viervierteltakt gliedert:


5.

die drei Töne des ersten Gliedes werden im Verlaufe motivisch in erfinderischer Weise ausgenutzt. Der Schlußchoral faßt die beiden Grundstimmungen der Cantate: Angst und Beruhigtsein noch einmal zusammen. Letzteres kündet der Gesang, erstere die aus der Sopranarie nachhallenden zitternden Sechzehntel der Violinen. Aber das klopfende Herz kommt je länger, je mehr zum Frieden: aus den Sechzehnteln werden allmählig Achtel-Triolen, dann einfache Achtel, dann zusammengezogene Triolen (5.), endlich, in den letzten Takten, Viertel. Daß es Bachs Absicht war, bis zum Schlusse die Erinnerung an die Sopranarie lebendig zu erhalten, geht auch daraus hervor, daß das Choralnachspiel ohne Generalbass, mit der Bratsche als tiefstem Instrumente abschließt. Nie genug kann es bewundert werden, wie vorzüglich die Mischung der entgegengesetzten Stimmungen in diesem Stücke gelungen ist, und wie dadurch ein Gebiet erschlossen wird, von dessen Vorhandensein vor und neben Bach niemand etwas wußte. Die Arie Orests aus Iphigenie in Tauris »Le calme rentre dans mon coeur« preist man mit Recht als eine der musikalisch-dramatischen Großthaten Glucks. Aber der erste, der in dieser Weise die tiefsten Tiefen des unsagbar complicirten menschlichen Empfindens aufdeckte, ist er nicht gewesen; ein halbes Jahrhundert vorher hatte schon Bach gleich meisterlich eine ähnliche Aufgabe gelöst.

[257] Eine auffallende Reminiscenz an Händels Passionsmusik nach Brockes, welche Bach, aller Wahrscheinlichkeit nach in der letzten Cöthener Zeit, zum Theil eigenhändig copirte, soll hier nicht übergangen werden. So frei und bewegt die Melodieführung der Sopranarie in der Cantate ist, so überrascht doch eine Stelle durch ihr fast gesuchtes und gewaltsames, zum übrigen nicht völlig in Harmonie stehendes Wesen. Takt 78 ff. heißt es nämlich:


5.

In Händels Passion kommt folgende Stelle vor:


5.

172


Ich zweifle nicht, daß Bach hier von der Erinnerung an den sehr schönen, eindringlichen Händelschen Satz fortgerissen worden ist. Daß derselbe ihn während der Composition dauernder beeinflußte, kann man wohl auch aus der Anwendung der imitirenden Oboe schließen, die Grundstimmung ist ohnehin eine ähnliche. Für das Interesse, welches Bach an den Werken seines großen Zeitgenossen nahm, ist diese Reminiscenz ein gewichtiges Zeugniß. Wie man sich von früher erinnern wird (s. Band I, S. 781), ist sie nicht die einzige.173

16) Zehnter Sonntag nach Trinitatis »Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei, wie mein Schmerz.« Die Cantate bildet mit der vorigen zusammen ein Paar, welches sicherlich in derselben Zeit geschaffen wurde. Sie stimmen in ihrem Bau und soweit es die verschiedenartige Beschaffenheit des Gegenstandes zuließ, auch in der Empfindungsweise überein. Im Evangelium prophezeit Jesus der Stadt Jerusalem weinend ihren dereinstigen Untergang. Der an diese Vorstellung anknüpfende Text ist recht ungeschickt entwickelt. Er nimmt zuerst Bezug auf die frühere Zerstörung durch [258] Nebukadnezar, macht sodann einen linkischen Uebergang auf die vorausgesagte Zerstörung durch Titus und zieht hieraus die Nutzanwendung auf das allen sündigen Menschen bevorstehende Strafgericht, unter welchem aber Jesus die Frommen liebreich schützen wird. Indem nun durch die musikalische Ausführung auf den Anfang das Hauptgewicht fällt, kommt etwas schiefes und unklares in die poetische Haltung des Ganzen. Dies ist sehr zu beklagen, denn in Bezug auf Conception und Ausführung der einzelnen Stücke gehört die Cantate zu dem Packendsten und Erschütterndsten, was Bach überhaupt geschaffen hat. Mit einer Kraft ohne gleichen ist die Gesammtstimmung der Klagelieder Jeremiae in den ersten Chor (D moll) zusammengedrängt; an jedem Tone hängen Thränen, jede Wendung ist ein Seufzer. Wie in der Cantate »Herr gehe nicht ins Gericht« besteht der Chor aus einem langsamen, in canonartigen Führungen der Singstimmen sich entwickelnden Satze, und einer lebhafteren Fuge. Ersterer zählt 66, letztere 76 Dreiviertel-Takte, die Dimensionen sind also beträchtlich. Sie entsprechen aber nur der Urgewalt der Empfindung, welche in diesen Tönen hervorströmt. Den Chor verstärken an planvoll gewählten Stellen eine Trompete und zwei Oboi da caccia, das Streichquartett und zwei Flöten umkreisen den Adagiosatz in freien, bedeutungsvollen Arabesken. Vernehmlich klingen gewisse schluchzende Flötengänge an den Choralchor der Matthäuspassion »O Mensch, bewein dein Sünde groß« an.174 Aber in der Passion erscheint die Empfindung gelindert durch den Gedanken an Christi Erlösungstod, in der Cantate giebt es für die zehrende Gluth der Schmerzen keinen Trost; wie altes und neues Testament stehen sich diese beiden wunderbaren Schöpfungen ebenbürtig gegenüber. Nächst dem Chor fesselt die mächtige Bassarie »Dein Wetter zog sich auf von weitem« am stärksten die Aufmerksamkeit. Der in Terzen über dem B der Instrumentalbässe auftseigende Hauptgedanke:


5.

[259] hat etwas unheimliches und grauenerregendes, wie es in solcher Stärke bei Bach kaum wieder zum Ausdruck gekommen sein dürfte. Erhöht wird diese Stimmung durch das lange tönende darüberliegende 5. der Trompete175, das wie ein Strahl aus finsterem Gewittergewölk hervorschießt und, wie treffend bemerkt worden ist, eine wahrhaft blutrothe Farbe giebt.176 Von großer Wirkung sind auch im der Mitte (Takt 45–54 und 67–76) die taktweise auf- und absteigenden chromatischen Schritte der Instrumentalbässe. Die Altarie (G moll), welche nur von Flöten und Oboen ohne Generalbass begleitet wird, paraphrasirt Christi Worte: »Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel« (Matth. 23, 37) und ist beruhigend wenngleich ernst gehalten, wie es dem Zusammenhange gemäß war. Im Schlußchoral, der 9. Strophe des Meyfartschen Liedes »O großer Gott von Macht«, lassen sich wieder die Flötengänge des Anfangschors zwischenspielartig vernehmen. Also findet hier eine ähnliche Rückbeziehung statt, wie im Schlußchorale der Cantate »Herr, gehe nicht ins Gericht«.

Es ist früher (Bd. II, S. 152 f.) auseinandergesetzt worden, daß auch beim Vortrag der Chöre die Anwendung von Auszierungen nicht ganz ausgeschlossen war. Zwei Stellen des ersten Chors liefern Beispiele hierzu. Takt 37 sollen im Tenor und Takt 51 im Alt die abwärts führenden Terzenschritte durch Anbringung von Accenten ausgefüllt werden. In den Singstimmen ist dieses nicht vorgeschrieben, [260] wohl aber in den mitgehenden Oboen.177 Nothwendig sind die Accente durchaus, weil nur so eine verständliche Harmonie herauskommt; freilich bleiben sie dann eigentlich keine Verzierungen mehr, sondern werden Hauptnoten. Die Gränze zwischen beiden wird aber von Bach oftmals verwischt (vergl. Band II, S. 147).178

17) Dreizehnter Sonntag nach Trinitatis »Du sollst Gott deinen Herren lieben«. Der Stil dieser Cantate weicht auffällig ab von dem aller bisher besprochenen. Die Arien sind bedeutend einfacher, als wir es nachgrade von Bach gewohnt geworden sind. In einer derselben concertiren zwei Instrumente (vermuthlich zwei Oboen) mit dem Sopran; sie thun dies aber fast immer in parallelen Terzen oder Sexten und eine nennenswerthe Polyphonie entwickelt sich zwischen ihnen nirgends. Die Empfindung streift an jene weiche Schwärmerei, welche Bachs frühesten Kirchencompositionen, da er noch auf dem Gebiete der älteren Cantate sich wohl fühlte, eigen ist, die Sopranarie mahnt sogar vernehmlich an die Arie »Jesu dir sei Dank gesungen« aus der Cantate »Uns ist ein Kind geboren«179. Die Beschaffenheit der autographen Partitur bietet keine Stütze für die Annahme, Bach habe hier ältere Compositionen überarbeitet, man müßte denn in der großen auf Zeitmangel deutenden Eile, in der sie hingeworfen ist, eine solche erkennen. Hinsichtlich des Anfangschors aber beruht die Stilverschiedenheit darin, daß er sich in einer ganz neuen, geistreich erdachten und meisterlich ausgeführten Form präsentirt. Der Text ist dem Evangelium entnommen: »Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüthe, und deinen Nächsten als dich selbst«. Dem bibelkundigen Componisten war [261] es nicht unbekannt, daß der Vorgang, welcher diese Äußerung hervorruft, bei den Evangelisten Matthäus (22, 35–40) und Marcus (12, 28–34) in ausgeführterer Form sich findet. Der dort hinzugefügte Satz: »In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten« wurde ihm bedeutungsvoll. Er führte die Melodie des Lutherliedes »Dies sind die heilgen zehn Gebot« in den Instrumentalbässen mit halben Noten als Cantus firmus ein, entwickelte in Achtelnoten den darüber gebauten Chor aus der ersten Zeile des Chorals und ließ endlich von einer Tromba da tirarsi den Choral in Viertelnoten ertönen. Indem so das Wesen desselben den Tonsatz in allen Theilen durchdringt und von allen Seiten umschließt, erscheint der Gedanke, daß sämmtliche Gebote Gottes in jenen zwei Sätzen einbegriffen seien, in sinnvollster musikalischer Verkörperung.180 Es ist klar, daß die Form, rein vom musikalischen Standpunkte angesehen, die des Orgelchorals ist. Wir besitzen über dieselbe Melodie zwei wirkliche Orgelchoräle Bachs. Der eine steht im dritten Theile der »Clavierübung«181 und gehört somit in Bachs letzte Schaffensperiode. Den andern enthält das »Orgelbüchlein«182, er wird also aus der weimarischen Zeit stammen. Der spätere zeigt die Melodie im strengen Canon der Octave in den Mittelstimmen. Bei dem früheren Orgelchoral liegt die Melodie in der Oberstimme, die Contrapunkte werden aus der ersten Zeile entwickelt. Der Chor hält demnach auch bezüglich seiner musikalischen Form zwischen beiden Orgelchorälen die Mitte. Eine eigentlich canonische Führung zwischen Instrumentalbass und Trompete läßt sich nicht statuiren, da einmal die Notenwerthe nicht dieselben sind noch die Intervallenabstände immer die gleichen, sodann aber auch die Trompete nach jeder Zeile die erste wiederholt, wie um recht nachdrücklich die Worte einzuschärfen »Dies sind die heilgen zehn Gebot«, endlich über dem Orgelpunkt G die ganze Melodie im Zusammenhange abschließend noch einmal ertönen läßt. Dieses Spiel mit Melodiefragmenten – denn so darf man es wohl nennen – deutet eher auf Nachwirkungen des Stiles der nordländischen Schule. Und noch [262] ein andrer Umstand deutet dahin. Sonderbarerweise zerschlägt Bach die vierte Zeile:


5.

in zwei Stücke, indem er die vier ersten Noten abgetrennt behandelt, die letzten drei aber mit dem »Kyrieleis« zusammenzieht. Weder ein poetischer, noch ein musikalischer Grund für dieses Verfahren läßt sich ausfindig machen. Es ist eben ein Spiel jener Künstlerlaune, welche grade die Nordländer so gern schalten ließen, und wirklich findet sich etwas ähnliches in einer Choralbearbeitung Buxtehudes.183 Uebrigens hat Bach in dem Orgelchoral der »Clavierübung« dasselbe Verfahren beobachtet, woraus zu schließen ist, daß er sich bei Composition desselben an den Choralchor erinnert habe.184

17) Sechzehnter Sonntag nach Trinitatis »Liebster Gott, wann werd ich sterben?« Die Cantate scheint der Composition zum 13. Trinitatissonntage »Ihr, die ihr euch von Christo nennet«185 zeitlich ganz nahe zu stehen. Ihr Gegenstand sind Betrachtungen über den Tod, welche durch das Evangelium vom Jüngling zu Nain aber nur sehr äußerlich motivirt erscheinen. Das Neumannsche Kirchenlied »Liebster Gott, wann werd ich sterben« ist am Anfang und Ende mit je einer Original-Strophe verwendet, dagegen sind Strophe 2, 3 und 4 in der Weise madrigalisch paraphrasirt, daß Strophe 2 den Text der Tenor-Arie, Strophe 3 den des Alt-Recitativs, die erste Hälfte der vierten Strophe den Text der Bass-Arie, die zweite den des Sopran-Recitativs bilden. Die arienhafte Weise des Liedes rührt von dem 1721 als Organist der Nikolaikirche zu Leipzig verstorbenen, im Verlauf unserer Darstellung schon mehrfach erwähnten Daniel Vetter her. Vetter war ein Schüler von Werner Fabricius, dem er nach dessen Tode (9. Januar 1679) im Organistenamte folgte [263] (11. August desselben Jahres).186 Er stammte aber aus Breslau und hatte das Lied »Liebster Gott« auf Wunsch eines Freundes, des Cantors Wilisius an St. Bernhardin in Breslau zu dessen Begräbnißfeier (1695) componirt. Es hatte sich verbreitet und viele Entstellungen erlitten, weshalb er es 1713 im zweiten Theil seiner »Musicalischen Kirch-und Haus-Ergötzlichkeit« vierstimmig gesetzt nochmals herausgab.187 Bach hat die vierstimmige Arie gekannt, denn eben dieselbe ist es, welche, wenn auch umgearbeitet, so doch in leicht wieder zu erkennender Gestalt den Schluß seiner Cantate ausmacht. Man sieht wieder, Bach hielt seine Leipziger Kunstvorgänger in Ehren. Im ersten Chore wird die Melodie in der Form einer Choralfantasie (vrgl. S. 190) behandelt. Dieses Stück ist sehr merkwürdig: ein Tonbild wie aus Glockenklang und Blumenduft gewoben, die Stimmung eines Kirchhofs im Frühling athmend. Daß nicht ein eigentlicher Choral, sondern nur eine geistliche Arie zu bearbeiten war, mag wohl zum Theil auf den Charakter des Stückes bestimmend eingewirkt haben, giebt aber keine vollständig genügende Erklärung. Eher wäre, namentlich auch wenn man die gesammte Cantate in Betracht zieht, deren liebliches, manchmal in kindliche Spielseligkeit übergehendes Wesen gegen den Ernst andrer Bachscher Sterbecantaten seltsam contrastirt, die Annahme gestattet, daß die mild anmuthende Erzählung des Evangeliums den Grundton hergestellt habe. In ganz ähnlicher Weise, wie in der weimarischen Cantate »Komm, du süße Todesstunde«188 wird durch Pizzicatos der Saiteninstrumente und schnell repetirte hohe Flötentöne das Sterbegeläut nachgeahmt. Ueber den Saiteninstrumenten gleiten, bald in süßen Melodien einander nachschwebend, bald zu weichen Terzen- und Sextengängen vereinigt, zwei Oboi d'amore dahin. Das in dieser Weise entwickelte Instrumentalstück gewährt fast schon durch sich allein eine völlige Befriedigung. Der musikalische Nachdruck ruht auch auf ihm: er zählt 68 Takte, der homophon zu nennende Chor dagegen, welcher mit Unterbrechungen hineintritt und die Originalmelodie nur durch [264] zarte Melismen ausschmückt, insgesammt nicht mehr als 20 Takte. Dennoch stimmen seine Sterbeworte das Gemüth zu einer ganz eignen Schwermuth, wie man sie etwa am Sarge eines Kindes oder Jünglings empfindet. Der Glockenklang hallt in den Bässen der empfindungsreichen Tenorarie weiter, dringt hier sogar einmal bis in die Singstimme hinein (Takt 29–31). Die melodische, weit ausgeführte Bassarie sowie auch beide Recitative sind von einer den übrigen Stücken entsprechenden hohen Schönheit.189

19) Sonntag nach Weihnachten »Gottlob, nun geht das Jahr zu Ende«. Die letzte Bachsche Composition eines Neumeisterschen Textes190, welche wir zu besprechen haben, und was die Chorverwendung betrifft die großartigste. Der Hauptchor steht hier an zweiter Stelle; er tritt mit solcher Wucht auf, daß sich nur die ausgereifte Schönheit der vorhergehenden Sopranarie mühsam neben ihm behauptet, alles nachfolgende dagegen fast wirkungslos zu Boden sinkt. Bach hat die Composition des Chors früher als die der übrigen Theile in Angriff genommen und zuerst separat entworfen, denn im Zusammenhange der gesammten Partitur zeigt er fast keine Correturen und hat das Ansehen einer Reinschrift. Der Meister sah nach Vollendung des riesigen Stückes selbst mit stolzer Befriedigung auf dasselbe hin; was er sonst fast nie thut, ist hier geschehen: er hat seine 174 Takte gezählt und am Schlusse vermerkt. Es ist ein Choralchor über »Nun lob mein Seel den Herren«, einer Motette ähnlich, insofern die Instrumcnte (Streichinstrumente, drei Oboen, Cornett und drei Posaunen) mit den Singstimmen gehen und nur der Generalbass hier und da seinen eignen Weg nimmt. Die Form ist die des Pachelbelschen Orgelchorals in seiner höchstmöglichen Entwicklung innerhalb der Motettengattung. Dazu gehört ganz besonders auch die sinnvolle musikalische Ausdeutung der einzelnen Strophenzeilen durch die contrapunktirenden Stimmen, welchedie der Vergebung bedürftige Sünde durch schmerzliche chromatische Gänge zeichnen, den Trost Gottes wie aus reichem Füllhorn stromweis über den armen Menschen ausschütten, und »dem Adler gleich« stolz sich aufschwingen. Späterhin [265] hat Bach noch mehre Stücke dieser Art geschrieben191; sie sind dem Erstling ebenbürtig, aber überragen thut ihn keines.192

Am 7. September 1727 trat wegen des Todes der Königin Christiane Eberhardine eine viermonatliche Landestrauer ein. Die Unterbrechung, welche Bachs Thätigkeit hierdurch erfahren mußte, macht einen natürlichen Einschnitt in die lange Reihe seiner Leipziger Kirchencompositionen. Es ist daher angemessen hier einen Augenblick still zu stehen und Rückschau zu halten. Das abschließende Urtheil über die weimarischen Kirchencantaten lautete ungefähr dahin, daß in ihnen das Ideal der Bachschen Kirchenmusik bereits fertig dastehe, wenn man absehen wolle von der Verwendung, welche in ihnen der Chor erfährt.193 Trotz mancher sehr bedeutender Chorstücke wiegen im ganzen genommen doch die Sologesänge schwerer; ihre Formen machen den Eindruck vollkommenster Reife und wer sie gründlich studirt hat, dem werden die späteren Bachschen Sologesänge in formeller Hinsicht nicht allzuviel neues mehr bieten. Aus der Cöthener Cantate »Wer sich selbst erhöhet«194 ging sodann hervor, daß Bach sich aus seiner langen Beschäftigung mit Orgel- und anderer Instrumental-Composition nunmehr auch die volle Meisterschaft erworben hatte, freie Chorsätze in reichen und großen Formen auszuführen. In den Cantaten der ersten vier Leipziger Jahre finden wir den unbegränzten Gestaltenreichthum wieder, welcher dem Künstler daraus erwuchs, daß er die instrumentalen Formen in ungeahnter Weise für seine Kirchenmusik zu verwenden wußte. Wir sehen ihn Theile der Kammersonate ohne weiteres übertragen und als Instrumentaleinleitung dem zweiten Theile der Cantate »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes« voranstellen. Er schmilzt die Elemente des ersten italiänischen Concertsatzes mit Chorformen zusammen, wie im Magnificat und der Weihnachtsmusik »Dazu ist erschienen der Sohn Gottes«. Ganze Cantaten gießt er in die Formen des Concerts (»Erfreute Zeit im neuen Bunde«) oder der Orchesterpartie (»Höchsterwünschtes Freudenfest«). Er combinirt die französische Ouvertüre mit dem frei erfundenen Chor, selbst mit dem Choral [266] (»Preise Jerusalem, den Herrn«, »O Ewigkeit, du Donnerwort«), zwingt die Gigue einem kirchlichen Zwiegesange zu dienen (»Ärgre dich, o Seele, nicht«) und den Passacaglio einen Klagechor zu bauen (»Weinen, Klagen«). In der Cantate »Die Elenden sollen essen« stellt er mit den Mitteln der weltlichen Instrumentalmusik eine Choralfantasie her und in der Michaelismusik »Es erhub sich ein Streit« contrapunktirt er eine Choralmelodie durch einen Siciliano. Was auf dem Gebiete des Orgelchorals von ihm und seinen Vorgängern irgend geschaffen war, versteht er für die kirchliche Vocalmusik auszunutzen. Die Typen Pachelbels, aber auch diejenigen Buxtehudes und Böhms treten uns in neuen sinnvollen Umkleidungen bald rein (»Erschallet ihr Lieder«, »Sie werden euch in den Bann thun«), bald vermischt (»Die Elenden sollen essen« »Christ lag in Todesbanden«, »Du sollst Gott deinen Herrn lieben«) entgegen. Das Choraltrio und -Quatuor, welches Bach für die Orgel so meisterhaft zu gestalten gelernt hatte, finden wir in den Cantaten »Wo gehst du hin?« und »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch« als Gesangsmusik wieder. Mit mächtiger Hand zwingt er Orchester und Chor zur Gestalt der Choralfantasie zusammen. Von dem instrumentalen Choral fordert er, das regellose Recitativ zu begleiten, zu zügeln und mit der heiligen Stimmung der christlichen Gemeinde zu durchdringen, (»Du wahrer Gott und Davidssohn«), zwischen die Theile des Choralchors schiebt er die aufregenden Tonreihen des persönlich betrachtenden Recitativs (»Herr, wie du willst, so schicks mit mir«), und den einstimmigen Gesang zwängt er in die polyphonen Formen der Instrumentalfuge (»O heilges Geist- und Wasserbad«, »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch«). Dazwischen dann immer wieder die altbekannten Formen der Arie, des Arioso, des Recitativs und des einfachen Chorals, aber mit stets neuem Inhalte aus dem Born einer unerschöpflichen Erfindungskraft gefüllt, vertieft, großartig ausgeweitet, auch wohl durch geistreiche, tief poetische Bezüge unter einander oder mit jenen neu geschaffenenen Formen verknüpft. Alles dieses bemerkt man in kleinerem und bescheidenerem Maße schon in den weimarischen Cantaten. Wodurch sich aber die Leipziger Productionen in stark hervortretender Weise von ihnen unterscheiden, das sind die reichlich angewendeten, mächtig und kühn gestalteten Chorbilder. Nur ein geringer Theil der bisher besprochenen Cantaten entbehrt derselben. [267] Es braucht kaum gesagt zu werden, und ergiebt sich überdies schon aus der oben entworfenen Schilderung, daß auch in ihnen die eines Bach würdige größte Mannigfaltigkeit herrscht. Indessen sind – und das ist für diese Gruppe von Cantaten charakteristisch – die frei erfundenen Chöre entschieden in der Ueberzahl. Die Choralchöre, welche sich in den Cantaten »Du wahrer Gott und Davidssohn«, »Christ lag in Todesbanden«, »O Ewigkeit, du Donnerwort«, »Du sollst Gott deinen Herrn lieben«, »Liebster Gott, wann werd ich sterben«, »Gottlob, nun geht das Jahr zu Ende« und hier und da sonst noch finden, sind ein jeder an sich ohne Zweifel tiefsinnige, zum Theil großartige Erscheinungen, wie sie eben nur Bach hinstellen konnte. Auch soll nicht verschwiegen werden, daß in diese Periode noch der Schlußchor des ersten Theils der Matthäuspassion zu setzen ist. Wenn man sie aber insgesammt gegen die Menge der frei erfundenen Chöre dieser Zeit hält, so sieht man doch, daß den letzteren vorzugsweise Bachs Neigung zugewendet war. Die Form derselben ist verschieden; doch erfährt die Fuge, der häufig ein breites Adagio vorhergeht, eine gewisse Bevorzugung. Es ist bei Bachs innigem Verhältniß zum Choral ein nicht zu übersehendes Merkzeichen, daß unter diesen Cantaten solche sind – und zwar keine von geringer Bedeutung – in denen der Choral gänzlich fehlt (z.B. »Christen ätzet diesen Tag«), nicht wenige auch, in denen er eine nur nebensächliche Rolle spielt. Bach fand in Leipzig ein Publicum vor, das neben Kuhnauscher vor allem Telemannsche Musik liebte. Telemanns Stärke lag in einer gewissen Art glänzender, äußerlich lebhafter und durch ihre handgreiflichen Malereien auf die große Menge wirkender Chöre. War nun auch Bach keineswegs gesonnen, ihn hierin sich zum Vorbilde zu nehmen, so mochte doch die Geschmacksrichtung der Menge, welcher er schon in seiner Probecantate Rechnung getragen hatte, ihm ein Impuls sein, sich vorzugsweise mit der freien Chorcomposition zu befassen, wie er denn auch nicht anstand, eine Adventsmusik Telemanns eigenhändig zu copiren. Es fehlt selbst nicht an Zügen in seinen Chören und Sologesängen, die gradezu etwas Telemannsches haben, am stärksten tritt dieses in der Cantate »Herr Gott, dich loben wir« hervor. Aber wir sahen auch, daß er sich an Kuhnau anschloß und einen beliebt gewordenen Tonsatz Vetters berücksichtigte. Dieser [268] offene Sinn für die Productionen seiner Zeitgenossen, die Begierde, von ihnen soweit es irgend möglich war zu lernen oder ihnen und in ihnen ihrem Publicum, wenigstens seine Achtung zu erweisen, ist ein bisher wohl kaum hinreichend gewürdigter, für sein Künstlerthum wie für seinen Charakter gleich bedeutsamer Zug.

Fußnoten

1 »Es war der thörichte Kerl über die Opera vom Orpheus gekommen, die ich ehmals aus dem Frantzösischen in die teutsche Poesie übersetzet, und zugleichcomponiret hatte.« Kuhnau, Der Musicalische Qvack-Salber. S. 456; vrgl. S. 458 ff.


2 Scheibe, Critischer Musikus S. 879, Anmerk.: »Allein ungeachtet aller seiner [Kuhnaus] großen Verdienste, weis man gar wohl, wie schlecht es ablief, als er sich unternahm ein Singespiel in die Musik zu setzen, und solches auf die Bühne zu bringen«.


3 In Stimmen befindlich in der Bibliothek der Leipziger Singakademie, gez. Nr. 362.


4 Auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


5 Zehn auf der königl. Bibliothek zu Berlin, sieben auf der Leipziger Stadtbibliothek. In dieser letzteren Collection befindet sich noch eine Weihnachts-Cantate »O heilge Zeit, wo Himmel, Erd und Luft«, die aber sicherlich keine Kuhnausche, sondern die Composition eines jüngeren Meisters ist.


6 Critischer Musikus. S. 764.


7 Neumeisters Cantate »Uns ist ein Kind geboren« (S.B. I, S. 481 ff.) kam in Leipzig am Weihnachtsfeste 1720 zur Aufführung; aber schon in den Texten zu Kirchenmusiken aus dem Jahre 1711 findet sich die vollständige Neumeistersche Form. Eine in dieser Form gehaltene Dichtung liegt beispielsweise Kuhnaus Cantate »Und ob die Feinde Tag und Nacht« zu Grunde.


8 »Directorium sive Quasi-Partitura Passionis ex Evangelista Marco.« In einer von Burmeister gefertigten Abschrift aus dem Jahre 1729 befindlich auf der königl. Bibliothek zu Königsberg i. Pr., Abtheilung Gottholdsche Bibliothek.


9 Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst. Leipzig, 1730. S. 604.


10 Forkel, S. 48.


11 Critischer Musikus, S. 583.


12 Ebendaselbst, S. 62.


13 Ebendaselbst, S. 591, Anmerk.: »Wenn wir es in Deutschland dahin bringen werden, – – die Singespiele ganz und gar von der Bühne zu verbannen: so können wir auch versichert seyn, daß wir alsdann auch niemals weder einen Hassen, noch einen Graun, noch einen Telemann, Händel, oder Bach, wieder erblicken werden«.


14 Bierey, der bekannte breslauische Musikdirector, wollte, wie er an Julius Rietz erzählte, in Leipzig die Bekanntschaft eines alten Kirchendieners gemacht haben, der schon zu Bachs Zeit im Dienste gewesen war. Er habe in Biereys Bewunderung des Altmeisters aus vollem Herzen eingestimmt, so weit sie sich auf dessen Virtuosität im Orgel- und Clavierspiel bezog, von den Cantaten indessen gemeint: »Na, die hätten Sie aber auch nur hören sollen!« Es steht aber doch dahin, ob der Kirchendiener hier das allgemeine Urtheil wiedergegeben hat.


15 S. Band I, S. 469.


16 Sicul, Die andere Beilage zu dem Leipziger Jahr-Buche, aufs Jahr 1718. S. 187 ff. Melancholie und Lebensüberdruß trieben den begabten und hochstrebenden Mann im Jahre 1717 zum Selbstmorde.


17 Acten des Dresdener Staatsarchivs.


18 Das jetzt lebende und florirende Leipzig. 1736. S. 14.


19 »Fruuntur nostri privilegio potus a collectis cerevisiae exemti.« Kuhnau, Jura circa musicos ecclesiasticos. Leipzig, 1688. 4. Cap. VI, § 1.


20 »Daß von Ihro Königl. Majest. in Pohlen und Churfürstl. Durchl. zu Sachsen Wohlbestallten Creyß- und Tranck-Steuer Einnehmer, Herrn Christian Friedrich Henrici von Quasimodogeniti 1742. biß dahin 1743. laut der Churfürstlich Sächsischen Anordnung de anno 1646 d. 9. Novembris von Drey Faß, iedes à 40 ggr., und also zusammen 5 Thlr. sage


Fünff Thaler


an Steuerpaaren Müntz-Sorten richtig empfangen habe; Solches bekenne hiermit und quittire darüber danckschuldigst. Termino Quasimodogeniti 1743 zuLeipzig.

Joh. Sebast: Bach.«

Darunter stehen noch die eigenhändigen Unterschriften Deylings und eines gewissen Johann Andreas Vater. Das von Bach nebengedrückte Siegel zeigt die Rosette mit Krone darüber. Das Blatt befand sich im October 1870 in der Autographensammlung des seither verstorbenen Generalconsul Clauss zu Leipzig.


21 Der auf dem ersten Stück befindliche Titel lautet, von dem Gesammttitel etwas abweichend,: »Sammlung | Erbaulicher Gedancken, | Bey und über die gewöhnlichen | Sonn- und Festtags- | Evangelien, | Mit | Poetischer Feder entworffen | Von | Picandern. | Leipzig, | Gedruckt bey Immanuel Tietzen«. | 8. Die Vorrede, welche der Gesammtausgabe fehlt, ist vom 30. November 1724 datirt. In der Gesammtausgabe steht statt ihrer nur ein kurzes Wort an den »geneigten Leser«, datirt vom 1. Advent 1725; gewidmet ist sie dem Grafen Sporck. Ein Exemplar auf der königlichen Bibliothek zu Berlin, Ei 2436.


22 Über diese und ihren Zusammenhang mit den Weiseschen Schauspielen vrgl. Gervinus, Geschichte der deutschen Dichtung. 3. Bd. (fünfte Aufl.) S. 600 f.


23 »Cantaten | Auf die Sonn- | und | Fest-Tage | durch | das gantze Jahr, | verfertiget | durch | Picandern. | Leipzig, 1728.« Vorrede datirt vom 24. Juni 1728. Ein Exemplar auf der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden, Lit. Germ. rec. B. 1126.


24 Der zweite 1729, der dritte 1732, der vierte 1737, der fünfte 1751. Der Cantaten-Jahrgang ist im dritten Theile wieder abgedruckt.


25 Am vollständigsten findet man sie in der ersten Auflage des 1. Theils der Ernst-, scherzhafften und satyrischen Gedichte, S. 477–566.


26 Vrgl. »Das Orgel-Werck der Liebe«, aus dem Jahre 1723, in »Ernst-, scherzhaffte und satyrische Gedichte«. 1727. S. 303 ff. – »Die Vortrefflichkeit der Music«, vom Jahre 1728, in der Gesammtausgabe von 1748, Bd. II, S. 662 ff. – S. auch ebendaselbst S. 621 f.


27 Gedichte von 1727, zu S. 540.


28 Gesammtausgabe II, 819 ff.


29 Geist- und Weltliche Poesien. Jena, 1711. S. 31 f.


30 Z.B. aus den von J.D. Schieferdecker und E.G. Brehme zur Musik in den Schloßkirchen zu Weißenfels und Sangerhausen für die Jahre 1731–1735 verfaßten Dichtungen. Bach war Weißenfelsischer Capellmeister und hatte als solcher dem Hofe gewisse Dienste zu leisten.


31 »M. Joh. Jacob Rambachs, | HALLENSIS, | Geistliche | Poesien, | Davon | Der erste Theil | Zwey und siebenzig CANTATEN über | alle Sonn- und Fest-Tags-Evangelia; | Der andre Theil | Einige erbauliche Madrigale, | Sonnette und Geistliche | Lieder | in sich fasset.« Halle, 1720. S. 218 und 257. – B.-G. xx1, S. 37.


32 Diesen Sachverhalt hat W. Rust in überzeugender Weise aufgedeckt im Vorworte zu B.-G. xx2, S. VIII f.


33 Nekrolog, S. 168.


34 Mattheson, Grosse General-Baß-Schule. S. 176.


35 Gerber, N.L. II, Sp. 92.


36 Die ersten Entwürfe der Cantaten »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes« und »Man singet mit Freuden vom Sieg« haben dieses Schicksal erfahren.


37 S. Anhang B, IV, D.


38 In einer unter dem 15. Juli 1778 an den Rath gerichteten Vertheidigungsschrift. S. Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. II.« sign. VIII, B. 6.


39 B.-G. v1, Nr. 22.


40 B.-G. v1, Nr. 23.


41 S. Band I, S. 549.


42 S. Band I, S. 591.


43 S. Band I, S. 537 ff.


44 S. Band I, S. 485.


45 S. Anhang A, Nr. 9.


46 S. S. 37 dieses Bandes.


47 ACTA LIPSIENSIVM ACADEMICA. 1723. S. 514 »Den 30. dito [nämlich Maji] als am 1. Sonnt. nach Trinit. führte der neue Cantor u. Collegii Musici Direct. Hr. Joh. Sebastian Bach, so vom Fürstl. Hofe zu Cöthen hierher kommen, mit gutenapplausu seine erste Music auf.« Vrgl. hierzu S. 38 Anmerk. 6 dieses Bandes. – Bei Sicul, ANNALIVM LIPSIENSIVM MAXIME ACADEMICORVM SECTIO XX. Leipzig, 1726. S. 479 wird noch bemerkt, daß diese Aufführung in der Nikolai-Kirche stattfand.


48 S. Anhang A, Nr. 10.


49 Die Zweitheiligkeit der Oratorien schon des 17. Jahrhunderts, gegenüber der Dreitheiligkeit der Opern, erklärt sich aus diesem Gebrauche, der wenigstens in Italien das ganze 18. Jahrhundert hindurch fortbestand. S. Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise. Erster Band, S. 277.


50 B.-G, XVIII, Nr. 75.


51 S. Band I, S. 204 f.


52 S. Band I, S. 600.


53 B.-G. XVIII, Nr. 76.


54 Anfänglich wollte Bach den Chor gleich mit einer Fuge und selbständig contrapunktirenden Instrumenten anfangen. Dieses sollte das Thema sein:


5.

55 Vrgl. Band I, S. 528.


56 B.-G. XV, S. 40 ff.


57 Beide Cantaten sind abschriftlich auch in verkürzter Gestalt verbreitet worden, die erstere nach dem Anfang des ersten Recitativs unter der Bezeichnung »Was hilft des Purpurs Majestät«, die zweite als »Gott segne noch die treue Schaar« nach dem Anfang des zweiten Theils. Auch wurde die zweite als Reformationscantate gebraucht. S. Breitkopf, Verzeichniß musikalischer Werke. Leipzig, Michaelismesse 1761. S. 20.


58 B.-G. V1, Nr. 24.


59 B.-G. IX, S. 80 ff.


60 S. Anhang A, Nr. 11.


61 S. Band I, S. 561 ff. und S. 812 ff.


62 S. Anhang A, Nr. 12.


63 S. Band I, S. 534.


64 S. Band I, S. 562 ff., und S. 812.


65 S. Anhang A, Nr. 13.


66 Am Montag nach Bartholomäi auch in den Jahren 1724, 1725, 1726, 1727, 1731, 1739; am Freitage nach Bartholomäi dagegen in den Jahren 1728, 1729 und 1730. S. Rathsacten »Rathswahl betr. 1701. Vol. 2.« und »Nützliche Nachrichten von Denen Bemühungen derer Gelehrten und andern Begebenheiten in Leipzig, Im Jahre 1739«. S. 78.


67 B.-G. XXIV, Nr. 119.


68 S. Band I, S. 501.


69 S. Band I, S. 560.


70 Wie mir Herr Pastor Ficker in Störmthal mittheilte, dessen Gefälligkeit ich auch den betreffenden Auszug aus den dortigen Kirchenrechnungen verdanke.


71 Die autographe Partitur nebst den Originalstimmen befindet sich auf der königlichen Bibliothek zu Berlin. Den Stimmen liegt der auf einen Foliobogen gedruckte Text bei.


72 Zu dem vom gewöhnlichen etwas abweichenden Rhythmus vrgl. die Gigue aus Bachs E moll-Partita B.-G. III, S. 133 ff.


73 B.-G. XVI, No. 63.


74 S. Anhang A, No. 14.


75 B.-G. XI1, S. 69 ff. – S. Anhang A, No. 9.


76 B.-G. XI1, S. 3 ff. nach einer von Bach später vorgenommenen Überarbeitung. In der anfänglichen Gestalt erschien es bei N. Simrock in Bonn schon im Jahre 1811.


77 Die Cantate befindet sich in Stimmen auf der Stadtbibliothek zu Leipzig.


78 S. Rango, Von der Musica, alten und neuen Liedern u.s.w. Greiffswald, 1694. S. 22 ff.


79 Neu Leipziger Gesangbuch. 1682. S. 77 ff.


80 »Sausen« = »in Schlaf singen« oder »sich in Schlaf singen lassen«; gebräuchlich noch jetzt in der niederdeutschen Form »susen«.


81 Vrgl. Weinhold, Weihnacht-Spiele und Lieder. Graz, 1870. S. 47 ff.


82 »daß mehr gemelte lateinische Responsoria, Antiphonae, Psalmen, hymni und Collecten, so wol die zur Weihnacht Zeit üblichen so genannten Laudes mit dem Joseph lieber Joseph mein, und Kindlein wiegen, forthin bey dem öffentlichen Gottesdienste alhier weiter nicht gebrauchet – – würden«. S. S. 94 u. 95 und die daselbst angeführten Rathsacten.


83 Man findet es wieder abgedruckt auch bei Schöberlein, Schatz des liturgischen Chor- und Gemeindegesanges. Zweiter Theil. S. 164 ff.


84 Beim »Vom Himmel hoch« ist nicht einmal dieser notirt, was aber nicht beweist, daß die Orgel nicht mitgespielt habe.


85 Beispiele bei Schöberlein a.a.O. S. 52 f. und S. 96 f.


86 Sowohl zu der ersten Conception als zu der Überarbeitung besitzt die königl. Bibliothek in Berlin die autographen Partituren. In letzterer ist das Werk aus Es dur nach D dur transponirt, außerdem hinsichtlich der Instrumentirung bereichert, in der Stimmführung hier und da ausgefeilt, und auch in andern Beziehungen an einzelnen Stellen noch vollkommener gemacht oder doch abgeändert. Diese Überarbeitung hat gegen 1730 statt gefunden. – Über das verschollene kleineMagnificat s. Rust im Vorwort zu B.-G. XI1, S. XVIII. – Außerdem s. Anhang A, No. 14.


87 S. Band I, S. 733 ff.


88 Ich citire in der Tonart der Bearbeitung.


89 Man vergleiche hierzu den ersten Satz des Violin-Concerts in E dur. B.-G. XXI1, S. 21 ff.


90 S. Band I, S. 625 f.


91 S. Band I, S. 504 f. und S. 554, und im Weihnachts-Oratorium (B.-G. V2) namentlich den Choral S. 37 ff. – In der Simrockschen Partitur-Ausgabe desMagnificat fehlen, wie es scheint aus Versehen, die vier letzten Takte des Anfangs-Ritornells.


92 S. Band I, S. 556.


93 Robert Franz in seiner gedankenreichen kleinen Schrift: Mittheilungen über Johann Sebastian Bach's »Magnificat«. Halle, Karmrodt. 1863.


94 Ich mache bei dieser Gelegenheit auf einen Schreibfehler aufmerksam, welchen Bach beim Notiren der Bearbeitung in diesem Chore begangen hat und der auch in die Ausgabe der Bach-Gesellschaft übergegangen ist. Takt 6, zweite Hälfte steht hier im Alt:

5.

Wie aber die mitgehende erste Flöte und außerdem die ältere Partitur in der Altstimme selbst ausweisen, muß es heißen:

5.

95 B.-G. I, Nr. 10.


96 Franz a.a.O. S. 19 f. vermuthet, Bach habe die Worte der Vulgata mente cordis sui mißverständlich auf Gott bezogen, denn es würde geschmacklos sein, wenn er den Sinn der Hoffärtigen mit den gewaltigsten und erhabensten Ausdrucksmitteln seiner Kunst habe verherrlichen wollen. Bei dem bibelkundigen Bach ist indessen ein solches Mißverständniß kaum denkbar und sui müßte es auch im classischen Latein heißen. Der Sinn des übermäßigen Dreiklangs scheint mir klar; die Anregung zu dem ganzen Adagio-Schlusse empfing aber Bach nicht aus einer vereinzelten Vorstellung, welche demselben nur eine eigenartige Nuance giebt, sondern aus der Grundidee des Tonstücks.


97 S. Band I, S. 454 f. und S. 537.


98 B.-G. VII, Nr. 40.


99 Daß die Melodie »Schwing dich auf zu deinem Gott« (»Schüttle deinen Kopf und sprich«) nicht, wie Winterfeld meint, von Bach selbst erfunden ist, hat L. Erk in seiner vortrefflichen Ausgabe der Bachschen Choralgesänge, Erster Theil S. 121 unter Nr. 114, nachgewiesen. Der Schlußgesang, die vierte Strophe des Keimann-Hammerschmidtschen »Freuet euch ihr Christen alle«, war weniger als Gemeindelied, wie als geistliche Chor-Arie populär geworden. Der erste Choral ist die dritte Strophe des aus dem 16. Jahrhundert stammenden Weihnachtsliedes »Wir Christenleut«.


100 S. Anhang A, Nr. 15.


101 B.-G. XVI, Nr. 64.


102 S. Band I, S. 592 f.


103 B.-G. V1, Nr. 26.


104 S. Anhang A, Nr. 16.


105 Ein Bruchstück der autographen Partitur und ein Theil der Originalstimmen auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


106 Band I, S. 207 ff. der Gesammtausgabe seiner Gedichte.


107 Sammlung Erbaulicher Gedancken. Leipzig, 1725. S. 78 ff.


108 S. Anhang A, Nr. 17.


109 B.-G. XVI, Nr. 65.


110 S. Anhang A, Nr. 18.


111 B.-G. XX1, Nr. 83.


112 Nach Vopelius, S. 112 f.


113 S. Anhang A, Nr. 19.


114 B.-G. I, Nr. 4.


115 S. Anhang A, Nr. 20.


116 Auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


117 S. Band I, S. 303 ff.


118 S. Band I, S. 440, 448 f. und B.-G. XXIII, S. 169 ff.


119 In Originalstimmen auf der königl. Bibliothek zu Berlin.


120 Die Bezeichnungen Seele und Jesus füge ich hinzu. Eigentlich sollte es sich hier um den heiligen Geist handeln; die Vorstellungen sind in dem Gedichte unklar vermischt.


121 Erster Theil, S. 50.


122 S. Band I, S. 533 und 805 ff.


123 S. Band I, S. 608 f. Weil das Hallelujah fehlt, kann man auch annehmen, Bach habe dort die vier ersten Zeilen bearbeitet und der letzten derselben eine auf den Grundton zurückführende Schlußwendung geben wollen. Denn die vierte Zeile stimmt mit der vorletzten fast ganz überein.


124 S. Anhang A, Nr. 21.


125 Original-Partitur und Original-Stimmen auf der königl. Bibl. zu Berlin.


126 »Laßt uns sorgen, laßt uns wachen«; zum Geburtstage des Churprinzen von Sachsen am 5. Sept. 1733. Der Text bei Picander, Vierter Theil. 1737. S. 22 ff. Autographe Partitur und Originalstimmen auf der königl. Bibliothek zu Berlin. Daß der Anfang des Schlußchors nicht für diese Cantate componirt ist, sieht man daraus, daß er Reinschrift ist.


127 S. Anhang A, Nr. 22.


128 Die Originalstimmen auf der königl. Bibl. zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 23.


129 B.-G. XII2, S. 171 ff.


130 B.-G. VII, Nr. 32. S. 69 ff.


131 B.-G. IX, S. 84 f. – S. Band I, S. 721.


132 S. Anhang A, Nr. 24.


133 B.-G. XX1, Nr. 81. – S. Anhang A, Nr. 25.


134 B.-G. II, Nr. 12. Die Angabe des Vorwortes, daß nur die einleitende Sinfonie in der autographen Partitur beziffert sei, ist nicht ganz richtig; die Bezifferung erstreckt sich, wenngleich unvollständig, auch auf das erste Recitativ und die erste Arie. – Ueber die Chronologie s. Anhang A, Nr. 21.


135 Z.B. in »Ich hatte viel Bekümmerniß« (s. Bd. I, S. 525), »Himmelskönig sei willkommen« (Bd. I, S. 533), auch in »Der Herr denket an uns« (Bd. I, S. 370). Vrgl. noch Bd. I, S. 123.


136 S. Band I, S. 442 f.


137 Man vergleiche Takt 83 ff. von »Weinen, Klagen« mit Takt 25 ff. und 57 ff. von »Jesu, der du meine Seele«. S. Bd. I, S 236.


138 S. über diese Cantate Anhang A, Nr. 11.


139 Autographe Partitur und einige Originalstimmen auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 26.


140 B.-G. XVI, Nr. 69. – S. Anhang A, Nr. 27.


141 S. Anhang A, Nr. 23.


142 Neumeister, Fünffache Kirchenandachten, S. 781:

So laß auf beiden Seiten

Die Mahanaim mich begleiten.

Wird mir von Feinden nachgestellt,

So laß die Feuer- Ross' und Wagen

Ihr Lager um mich schlagen,

Das mich in sicherm Schutze hält.


Vrgl. S. 171 dieses Bandes.


143 Sammlung Erbaulicher Gedancken S. 434 f.


144 In einem Gedichte vom Jahre 1724 (Theil II der Gesammt-Ausgabe, S. 499) heißt es: »Er sieht zu hölzern aus; lernt doch dem albern Knoll, Wie man in Compagnie mit Jungfern leben soll.« Dagegen in einem Gedicht von 1730 (ebenda S. 906) »Der will euch Menschenweise lehren«.


145 S. Band I, S. 50.


146 B.-G. II, Nr. 19. Autographe Partitur und Originalstimmen, welche sich auf der königl. Bibliothek zu Berlin befinden, bieten keinerlei für die Entstehungszeit des Werkes verwerthbare Merkmale.


147 S. Schwartz, Historische Nachlese Zu denen Geschichten der Stadt Leipzig, Sonderlich der umliegenden Gegend und Landschaft. Leipzig, 1744. 4. S. 33 f. – Picanders beide Gedichte stehen Bd. I, S. 434 der Gesammtausgabe. – Das Autograph der Bachschen Musik ist unbekannt; ich kenne sie nur aus der auf der königl. Bibliothek zu Berlin befindlichen Abschrift.


148 S. Band I, S. 565 und 813 f. – Anhang A, Nr. 28.


149 Ich mache, um nur ein Beispiel anzuführen, auf Telemanns beliebt gewordene Pfingst-Cantate »Ich bin der erste und der letzte«, aufmerksam, namentlich auf den Chor »Auf, laßt uns jauchzen«.


150 »Machet die Thore weit«, als Bachsches Autograph auf der königlichen Bibliothek zu Berlin aufbewahrt.


151 B.-G. II, Nr. 16. – S. Anhang A, Nr. 29.


152 B.-G. XVIII, Nr. 73. – S. Anhang A, Nr. 9.


153 Später übertrug Bach den Part des Horns dem Rückpositiv der Thomas-Orgel.


154 B.-G. XVIII, Nr. 72. – S. Anhang A, Nr. 30.


155 Autographe Partitur auf der königl. Bibliothek zu Berlin. Veröffentlicht in »Kirchengesänge für Solo-und Chor-Stimmen mit Instrumentalbegleitung von Joh. Seb. Bach«. Berlin, Trautwein. als Nr. 1. – S. Anhang A, Nr. 9.


156 Der erste Chor der Bachschen Composition wird seiner vortrefflichen Declamation wegen als Muster aufgestellt bei Marpurg, Kritische Briefe über die Tonkunst. Erster Band. S. 381. Hier ist auch von einer öffentlichen Aufführung desselben die Rede. – Der Anfang der Altarie »Murre nicht, lieber Christ« wird citirt bei Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste. Vierter Theil. Leipzig, 1779, S. 267; jedoch zu einer andern Musik. Weiteres nach dieser Richtung hin habe ich nicht erforschen können.


157 Originalstimmen auf der königl. Bibliothek zu Berlin. S. Anhang A, Nr. 9. – Eine später zugefügte Flötenstimme und Oboenstimme erweisen eine zweite um 1737 erfolgte Aufführung der Cantate.


158 B.-G. XVI, Nr. 67. – S. Anhang A, Nr. 9.


159 B.-G. XXIII, Nr. 104. – S. Anhang A, Nr. 9.


160 Originalstimmen der Cantate auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 9.


161 B.-G. XX1, Nr. 86. – S. Anhang A, Nr. 9.


162 Vrgl. Band I, S. 204 f.


163 »Ach Gott wie manches Herzeleid« (A-dur); B.-G. I, S. 84. ff.


164 B.-G. X, Nr. 44. – S. Anhang A, Nr. 9.


165 S. Bd. I, S. 501. Ganz allein stehend, wie dort vermuthet wurde, ist also der Fall doch nicht.


166 B.-G. XXII, Nr. 37.


167 B.-G. XXIII, Nr. 110.


168 S. Anhang A, Nr. 31.


169 Originalstimmen auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 9.


170 Originalstimmen auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – S. Anhang A, Nr. 9.


171 S. Band I, Anhang A, Nr. 28. S. 809.


172 Ausgabe der deutschen Händel-Gesellschaft. Lieferung XV, S. 80, T. 3 ff.


173 B.-G. XXIII, Nr. 105. – S. Anhang A, Nr. 9.


174 Dieser Chor war ursprünglich zur Johannes-Passion geschrieben und existirte schon, als Bach die in Rede stehende Cantate componirte. Das Nähere darüber weiter unten, wo von den Passionen gehandelt wird.


175 Bach schreibt hier, wie auch im Anfangschor und Schlußchoral vor: Tromba o Corno da tirarsi. DasCorno da tirarsi, welches bei ihm mehrfach z.B. auch in der Cantate »Halt im Gedächtniß Jesum Christ« vorkommt, wird dasselbe oder doch ein ähnliches Instrument sein, wie die in jener Zeit aufgekommeneTromba da tirarsi, in welcher man die Construction der Trompete und der Posaune zu combiniren suchte. Kuhnau erwähnt sie im Musikalischen Quacksalber S. 82 f. (»Die in der Compagnie sahen einander an: Denn sie wusten, daß es nicht angehen könte, absonderlich, wenn er von Altisten redte, derer Stimme er mit der Trompete wolte imitiret haben, da doch solches Instrument in dem Ambitu dieser Stimme gar arm ist, und wo sich nicht nach ietziger Invention eingerichtet ist, daß sie sich nach Art der Trombonen ziehen lasset, die wenigsten Tonos hat«.).


176 Lindner, Zur Tonkunst. Berlin, Guttentag 1864. S. 124.


177 An der zweiten Stelle steht in der Oboestimme

5.

was ziemlich auf dasselbe hinauskommt, da der Triller mit der oberen Hülfsnote begonnen wurde.


178 B.-G. X, Nr. 46. – S. Anhang A, Nr. 9.


179 S. Band I, S. 485.


180 Schon W. Rust hat den Tiefsinn dieses Chors verständnißvoll gedeutet. B.-G. XVIII, S. XV.


181 B.-G. III, S. 206 ff.


182 P.S. V, C. 5. – S. Band I, S. 590.


183 »Te Deum laudamus«. S. meine Ausgabe der Orgelcompositionen Buxtehudes, Band II, S. 53, Takt 5 ff.


184 B.-G. XVIII, Nr. 77. – S. Anhang A, Nr. 9.


185 S. S. 190 f. dieses Bandes.


186 Leipziger Universitätsarchiv. Repert. II/III Nr. 5. Litt. B. Sect. II. Fol. 2b. – Rathsarchiv VII. B. Fol. 108, 23 f., 31.


187 S. Winterfeld, Ev. K. III, S. 487 und Musikbeilage S. 140 f.


188 S. Band I S. 543 f.


189 B.-G. I, Nr. 8. – S. Anhang A, Nr. 32.


190 Vergl. Bd. I, S. 481.


191 »Ach Gott vom Himmel sieh darein« (B.-G. I, Nr. 2), »Aus tiefer Noth schrei ich zu dir« (B.-G. VII, Nr. 38).


192 B.-G. V1, Nr. 28. – S. Anhang A, Nr. 30.


193 Band I, S. 557 f.


194 Band I, S. 625 f.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880..
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