Zwölftes Kapitel.

Weitere Schicksale Beethovens. Die Reise nach Wien zu Mozart (1787).

Schindler erzählt (und in solchen Punkten ist sein Zeugnis annehmbar), daß Beethoven, wie er selbst von ihm gehört habe, die wunderbare Entwicklung von Mozarts Genius ganz vorzugsweise dem einheitlichen Unterrichte seines Vaters zuschrieb. Dadurch gab er seine Ansicht über die Mißverhältnisse zu erkennen, mit denen er selbst hatte ringen müssen, da er einen regelmäßigen und systematischen musikalischen Kursus während der Zeit seiner Kindheit und Jugend nicht durchgemacht hatte1. Es ist jedoch keineswegs sicher, daß, wenn Ludwig van Beethoven der Schüler Leopold Mozarts gewesen wäre, er jemals die Leichtigkeit des Ausdrucks erlangt hätte, welche Wolfgang Mozart befähigte, die größten und mannigfaltigsten Partituren fast so rasch, als seine Feder sich bewegte, zu füllen, so daß kaum eine Verbesserung mehr nötig war, gleich als ob die Entwickelung des musikalischen Gedankens für ihn das Werk bloßer Routine oder, besser gesagt, des Instinkts gewesen wäre. Das Wort: Poeta nascitur, non fit, gilt nicht allein von den Gedanken, sondern auch von der Fähigkeit, die selben sprachlich auszudrücken. Viele der tiefestdenkenden Männer erlangen auch durch das angestrengteste Studium nicht die Fertigkeit, ihre Gedanken in klarer und eleganter Weise darzustellen; von der andern Seite gibt es manche, deren Gedanken sich niemals über das gewöhnliche Niveau erheben, während ihre Schriften wahre Muster des Stils sind. Händel sagt von dem älteren Telemann, daß er für acht Stimmen mit derselben Leichtigkeit komponiere, als er selbst einen Brief schreiben könne, und Händels eigene Leichtigkeit in der Komposition war erstaunlich. Beethoven hingegen, wie seine Originalpartituren zeigen, »verdiente sein Brod im Schweiße seines Angesichts«. Überhaupt aber kann kein Grad angeborenen Genies den Mangel gründlicher Unterweisung ersetzen. Wenn es demnach wahr ist, daß die Natur in einem gewissen [203] Grade seine Fähigkeit beschränkt hatte, seine musikalischen sowohl wie seine geistigen Gedanken leicht und bequem auszudrücken2, so war das Bedürfnis bei ihm um so größer, daß er in dem Alter, welches er nunmehr erreicht hatte, Gelegenheit erhielt, einen gründlicheren und mehr systematischen Studienkursus ununterbrochen zu verfolgen. Deshalb erwies sich der Tod Maximilian Friedrichs, welcher der Familie Beethoven anfangs als großes Unglück erscheinen mußte, zuletzt als ein unerwarteter Segen. Denn während er dem Knaben die pekuniären Wohltaten der Stellung nicht vorenthielt, welche er bereits bekleidete, gewährte er ihm zwei oder drei Jahre verhältnismäßiger Muße, die nur durch seinen Anteil an den Pflichten des Organisten unterbrochen wurde, in welchen er seine Studien, und zwar, wie wir allen Grund haben zu vermuten, unter der Leitung seines zuverlässigen Freundes Neefe fortsetzen konnte.

Diese drei Jahre waren eine Zeit theatralischer Untätigkeit zu Bonn. Für die Karnevalssaison von 1785 engagierte der Kurfürst Böhm und seine Truppe, welche damals abwechselnd in Köln, Aachen und Düsseldorf spielte. Diese Truppe mag während ihrer kurzen Anwesenheit dem jungen Organisten wertvollen Stoff zum Nachdenken geliefert haben; denn in dem Verzeichnisse von neu einstudierten Stücken vom Oktober 1783 bis zu demselben Monat 1785 (wobei also das Engagement in Bonn eingeschlossen war) finden sich Glucks Alceste und Orpheus, vier Opern von Salieri (unter ihnen Armida), SartisFra due Litiganti und L'Incognito in deutscher Übersetzung, Holzbauers Günther von Schwarzburg,[204] fünf Opern von Paesiello; diese, nach dem Berichte in dem Theaterkalender (1786), »neben denen alten bekannten französischen Singspielen: Zemire und Azor, Sylvain, Lucile, Der Prächtige, Der Hausfreund u.s.w.« Die drei ernsten Wiener Opern Alceste, Orpheus und Armida in so starkem Kontrast mit dem allgemeinen Charakter der Zugstücke der rheinischen Gesellschaften sind charakteristisch für Maximilian und jene Bonner Periode.

Der Kurfürst von Hessen-Kassel, welcher damals bei Kapital war durch den Verkauf seiner Untertanen an Georg III. für den eben beendigten amerikanischen Revolutionskrieg, unterhielt eine große französische Theatergesellschaft in den drei Zweigen des gesprochenen, des musikalischen Dramas und des Balletts vollständig besetzt. Max Franz brachte bei seiner Rückkehr von Wien im November 1785 einige Tage in Kassel zu, und da der Kurfürst um dieselbe Zeit starb und die Schauspieler entlassen wurden, so wurde ein Teil dieser Gesellschaft aufgefordert, während des Januars und Februars 1786 in Bonn zu spielen. Die Aufführungen waren dreimal in der Woche, Montags, Mittwochs und Samstags, und bestanden mit höchstens zwei oder drei Ausnahmen in einer Komödie, auf welche eine leichte Oper oder Operette folgte. Das Verzeichnis derselben kann man in der Anzeige des Bönnischen Intelligenzblattes lesen. Es enthält 8 Kompositionen von Grétry, 3 von Desaides, 2 von Philidor und je eine von Sacchini, Champein, Pergolesi, Gossec, Fridzeri, Monsigny und Schwartzendorf (gen. Martini), alle von leichtem und unterhaltendem Charakter und damals nicht allein in Frankreich, sondern auf dem ganzen Kontinent von großer Popularität.

Zu derselben Zeit hatte Großmann Frankfurt a. M. verlassen und mit Klos, früher Direktor in Hamburg, eine neue Gesellschaft für die Bühnen von Köln, Bonn und Düsseldorf gebildet. Diese Truppe gab die Karneval-Aufführungen von 1787, beschränkte dieselben aber allem Anscheine nach auf den alten Umkreis der bekannten Stücke. Dies war Großmanns letztes Erscheinen in Bonn; denn nicht lange nachher teilten die Unternehmer ihre große Gesellschaft; Großmann nahm ungefähr die Hälfte derselben mit nach Hannover, wo er Bernhard Anselm Weber als Musikdirektor engagierte.

Jede dieser Gesellschaften hatte ihren eigenen Musikdirektor. Bei Böhm war es Anton Mayer, der Komponist des Irrlichts und einiger Ballette; bei der französischen Gesellschaft war Jean Baptist Rochefort Musikmeister (Gerber gibt einen günstigen Bericht über ihn), und Großmann [205] hatte jüngst Aug. Friedr. Burgmüller engagiert, von der Gesellschaft Bellomo, den Komponisten einer Musik zu Macbeth. Infolgedessen erstreckten sich während dieser Jahre Neefes amtliche Pflichten nicht über seinen Dienst als Organist hinaus, denn Lucchesi und Reicha entbanden ihn von aller Verantwortlichkeit für sonstige Aufführungen. Das war die Zeit, über welche Frau Neefe schreibt (A. M. Z. I, 360): »Es blieb uns also nichts übrig, als der feste Gehalt, welchen mein Mann als Hoforganist hatte. Davon allein konnten wir aber nicht leben; es mußten also Lectionen dabey gegeben werden, um das Fehlende herbey zu bringen. Es dauerte auch nicht lange, so hatte er die Lectionen von vielen der ersten Häuser in Bonn. Zu seinem Vergnügen kaufte er sich einen kleinen Garten vor dem Thore, worinnen er die wenigen Stunden, welche ihm zu seiner Erholung übrig blieben, zubrachte.«

Daß der Organistendienst in jener Zeit teilweise von dem assistierenden Organisten versehen wurde, ist eine natürliche Sache; Wegeler erzählt mit Berufung auf die Autorität von Franz Ries eine Anekdote, welche dasselbe bestätigt. Am Dienstag, Freitag und Samstag in der Karwoche wurden Teile der Lamentationen des Jeremias in der Hofkapelle gesungen, und zwar von einer einzelnen Stimme, in sehr einfachen musikalischen Phrasen und nur mit Begleitung des Klaviers rezitiert, da der Gebrauch der Orgel untersagt war, in folgender Weise:


12. Kapitel. Weitere Schicksale Beethovens. Die Reise nach Wien zu Mozart (1787)

12. Kapitel. Weitere Schicksale Beethovens. Die Reise nach Wien zu Mozart (1787)

In der Woche, welche mit dem 27. März 1785 endigte, war einmal Ferdinand Heller der rezitierende Sänger, ein zu guter Musiker, um leicht in Verlegenheit zu kommen; der Begleiter Ludwig van Beethoven, [206] damals in seinem 15. Lebensjahre. Während der Sänger den lateinischen Text zu den Musiknoten absang, mochte der Begleiter seiner Phantasie ihren Lauf lassen, welche nur in der Feierlichkeit des Gottesdienstes ihre Beschränkung fand. Beethoven, erzählt Wegeler, »fragte den sehr tonfesten Sänger Heller, ob er ihm erlauben wolle, ihn herauszuwerfen und benutzte die wohl etwas zu schnell gegebene Berechtigung so, daß derselbe durch Ausweichungen im Accompagnement, ungeachtet Beethoven den vom Sänger anzuhaltenden Ton mit dem kleinen Finger fortdauernd oben anschlug, so aus dem Tone kam, daß er den Schlußfall nicht mehr finden konnte«. Der damalige Musikdirektor der Kurfürstlichen Kapelle und erste Violinspieler Franz Ries (gest. 1846) erzählte ausführlich, wie sehr der dabei gegenwärtige Kapellmeister Lucchesi durch Beethovens Spiel überrascht gewesen sei. Heller verklagte in der ersten Aufwallung des Zorns Beethoven beim Kurfürsten, welcher, »obgleich diesem jungen, geistreichen, mitunter selbst muthwilligen Fürsten die Sache gefiel, dennoch eine einfachere Begleitung befahl.« Schindler fügt hinzu, daß Beethoven sich in seinen späteren Jahren des Umstandes erinnerte und erzählte, daß ihm der Kurfürst »einen sehr gnädigen Verweis gegeben und für die Zukunft derlei Genie-Streiche untersagte«. Das Datum (s. o.) ist leicht zu bestimmen. In der heiligen Woche 1784 waren weder Maximilian noch Lucchesi in Bonn; im Jahre 1786 würde Beethovens Fertigkeit den Kapellmeister wohl nicht mehr in Erstaunen gesetzt haben.

Unter den übrigen charakteristischen Anekdoten, welche über Beethovens Jugend erzählt werden, befindet sich nicht eine, welche in diese Periode (Mai 1784–April 1787) gehört. Wohl aber dürfen wir annehmen, daß die musikalischen Studien mit dem größten Eifer fortgesetzt wurden. Aus dem Zeugnisse Stephan von Breunings wissen wir, daß Beethoven einmal Schüler von Franz Ries im Violinspiel war, was in diese Zeit fallen muß; die nahen Beziehungen zu diesem trefflichen Manne, welche jedenfalls schon bestanden, sind durch dieses Verhältnis gewiß besonders herzlich geworden, wie noch weiterhin hervortreten wird. Von noch größerer Wichtigkeit für uns ist aber die Tätigkeit des jungen Organisten als Komponist.

Nach Wegeler gehört das Lied »Wenn jemand eine Reise tut« zu Beethovens frühesten Kompositionen; es zeigt entschieden mehr Geschick und Selbständigkeit als die früher schon erwähnten Lieder und darf wohl in die gegenwärtige Periode gesetzt werden. Bemerkenswert ist der humoristische [207] Zug, der hier bei dem ernsten Knaben schon so früh anklingt. Gedruckt wurde das Lied erst in der 1805 erschienenen Sammlung Op. 52 als No. 1.

Dann schrieb er 1785 drei Klavierquartette, deren Originalhandschrift, früher im Besitze von Artaria in Wien, jetzt in der Kgl. Bibliothek zu Berlin3, folgenden Titel hat: Trois quatuors pour le clavecin, Violino, Viola e Basso 1785. Composé de Luis van Beethoven, agé 13 ans4. Der Leser wird den Widerspruch zwischen dem Datum und dem wirklichen Alter des Komponisten bemerken und verbessern. Waren diese Quartette vielleicht bestimmt, veröffentlicht und Max Franz gewidmet zu werden, wie die Sonaten Max Friedrich? Während der Lebenszeit ihres Verfassers sind sie nie aus Licht getreten; erst 1832 wurden sie bei Artaria in veränderter Folge (das jetzige dritte in C war ursprünglich das erste) herausgegeben5. Daß Beethoven sie aber wert hielt, geht daraus hervor, daß er Motive aus ihnen später (in Op. 2) wieder verwendete.

Diese drei Quartette zeigen gegen die Sonaten von 1783 einen sehr bemerkenswerten Fortschritt. Die Erfindung und Gestaltung erscheint durchweg reifer und selbständiger; die Wirkung von Studium und Unterricht ist trotz einzelner Unebenheiten des Satzes in den vielen Zügen von Imitation, zu welcher die vermehrte Zahl der Instrumente Gelegenheit bot, und in der Art der Modulation gar nicht zu verkennen. Der Einfluß Mozarts ist durchgedrungen und in der Bildung der Melodie, der Anlage der Sätze und dem Figurenwerk deutlich sichtbar. Das Beste aber, [208] was uns auch jetzt noch am meisten interessiert, gehört ihm selbst. Dahin rechnen wir den im höheren Grade entwickelten Sinn für Form des Ganzen und Ebenmaß der Teile, die Sicherheit bei der Weiterführung, den edlen Gehalt der Motive und Melodien, in denen er auch eine hübsche Gegensätzlichkeit anzustreben weiß; sie erinnern stellenweise schon ganz an spätere Zeit und sind den uns vertrauten Melodien der Werke jedenfalls der ersten Periode bereits ganz ebenbürtig.

Die äußere Form ist nur wenig ausgeführter wie in den Sonaten; sie ist ganz die Mozartsche. Die Quartette bestehen aus drei Sätzen. In dem ersten (Es-dur) geht ein langes Adagio einem wild bewegten Allegro con spirito (Es-moll) vorher und bildet die Vorbereitung zu demselben; dieser zweite Satz zeigt in den Motiven, der Behandlung der Stimmen und der klaren, innerlich motivierten Entwicklung so ganz die Signatur des reisen Beethoven, daß man, wenn man es nicht wüßte, ihn nicht für das Werk eines Knaben halten würde. Eine ausdrucksvolle chromatische Schlußwendung hat er im ersten Satze des Klaviertrios inC-moll (Op. 1, 3) wieder verwendet. Gleiches darf man von dem an letzter Stelle folgenden schlichten, gemütvollen Thema mit Variationen sagen; letztere sind wieder einfache Figuralvariationen, doch mit großem Geschick und so bearbeitet, daß auch die einzelnen Instrumente nach ihrer Natur zu ihrem Rechte kommen. Zu diesem Quartett ist offenbar Mozarts Violinsonate in G (Köchel No. 379) das Modell gewesen, mit seinem langsamen Einleitungssatz, demAllegro in Moll, den Variationen zum Schluß; sieht man genau zu, so erscheint das Thema des Anfangssatzes dem Mozartschen völlig nachgebildet. Einen frischen, kräftigen Zug zeigt das zweite Quartett (D-dur); die Erfindung quillt reich, neben dem zweiten erscheint auch das dritte Thema im ersten Satze; der Durchführungssatz wird ziemlich knapp behandelt, doch mit selbständigen Motiven; selbst eine Coda fügt er schon an, in welcher der feierliche Plagalschluß etwas seltsam, man möchte sagen schülerhaft anmutet. Das Andante hat anmutige Motive, ist aber in seiner Entwickelung, namentlich gegen den Schluß, weniger geschickt. Der letzte Satz hat, wie der des dritten Quartetts, die gewohnte Rondoform, er ist frisch und munter, aber nicht hervorragend. Bedeutender, gewichtiger tritt das dritte Quartett (C-dur) auf; hier ist auch der Durchführungssatz schon etwas ausgedehnter gestaltet, auch mit einer bei dem Knaben bemerkenswerten Kühnheit durch die Tonart der Unterterz (des Schlußtaktes) eingeleitet. Besonderes Interesse aber gewährt dasselbe wegen seiner Beziehung zu späteren Werken. [209] Zwei Motive des ersten Satzes, darunter eines von bemerkenswerter Originalität, hat er im ersten Satze der C-dur-Sonate Op. 2, III wieder verwendet6. Der zweite Satz aber bringt vollständig die Hauptmelodie des Adagio der ersten der Haydn gewidmeten Sonaten (Op. 2, I); wenn Beethoven in der späteren Fassung das Thema in den Ausgängen anders gestaltet und im Fortgange das Stück wesentlich verändert hat, so ändert das nichts an der Tatsache, daß diese jedem zu Herzen dringende Melodie schon von dem 14jährigen Knaben herrührt. Das Rondo mutet wieder ganz Mozartisch an; der Schluß entwickelt sich mit auffallender Kürze.

Die Behandlung des Klaviers zeigt uns, technisch betrachtet, gegenüber dem Es-dur-Konzert wesentlich neue Erscheinungen nicht; der vertieften musikalischen Gestaltung entsprechend, wird gesangvoller und nuancierter Vortrag mehr wie früher gefordert, zumal dem Klavier doch der Hauptsache nach die Durchführung des musikalischen Gedankens zufällt. In der Behandlung der drei Streichinstrumente werden wir die seine Durchbildung späterer Zeit noch nicht erwarten können; wenn der Knabe auch mit den Klangwirkungen derselben wohl bekannt ist, so ist doch die Individualisierung derselben noch nicht Regel, und mehr, als wir es später bei ihm gewohnt sind, gehen sie begleitend und füllend mit dem Klavier zusammen. Im Anfang des zweiten Quartetts wird eine gruppenweise Gegenüberstellung versucht; mehrfach werden sie obligat verwendet (z.B. in den Variationen des 1. Quartetts), so die Violine, mit besonderer Vorliebe auch die Bratsche, während das Violoncell weniger hervortritt und meist einfach den Baß verstärkt. Doch hat auch dieses einmal eine gesangvolle Variation in hoher Lage auszuführen. Im ganzen hatte der Knabe wohl in der Bonner Kapelle noch nicht Gelegenheit gehabt, von seiner ausgebildetem Violoncellspiel eine Anschauung zu gewinnen, während ihm für die Violine in Franz Ries ein leuchtendes Muster vor Augen stand; die Bratsche aber vertrat er, wie wir noch sehen werden, selbst.

[210] Wenn es nun auch in diesem Jugendwerke nicht an Erscheinungen fehlt, welches das unentwickelte Knabenalter verraten, an Stellen, in welchen das schülerhaft und gedankenmäßig Geformte (besonders in dem Passagenwerke) an die Stelle gemütvoll erfassender Gedanken tritt oder der lebendige Strom der Erfindung einmal erlahmt, so können diese und ähnliche Erscheinungen doch die wohltuende Anschauung des zu seiner Eigenart heranreifenden jungen Künstlers nicht verdunkeln. Wir erkennen den Ernst, mit welchem er die überlieferten Formen und Gesetze sich zu eigen zu machen strebt, die Wahrheit, mit welcher er innerhalb derselben nur sich selbst und das, was er empfunden und erarbeitet hat, gibt, ohne stürmend und drängend über das Gegebene hinauszustreben; wir erkennen endlich an manchen Stellen schon jenes uns so bekannte Pathos ohne Affektation, jene gemütvolle Weichheit ohne Sentimentalität, jene kräftige Heiterkeit ohne Trivialität; wir meinen in das stolze, von Hoffnungen erfüllte Herz des heranwachsenden Jünglings zu blicken, der früh gezwungen ist, sich über die Misere des häuslichen Lebens zu erheben und einem hohen Ziele mit kräftigem, bewußtem Streben zuzueilen.

Da wir des häuslichen Lebens gedenken, so muß hier erwähnt werden, daß der junge Beethoven schon jetzt oder bald nachher anfing, selbst Unterricht zu geben. Daß dies schon vor dem Tode der Mutter geschah, und daß der Zweck war, die schmalen Einkünfte der Familie zu erhöhen, erfahren wir von Beethoven selbst und von Wegeler7. Auf seinen Unterricht wird noch Gelegenheit sein, zurückzukommen.

Ein Familienereignis wird in dem Kirchenbuche von S. Remigius angegeben, die Taufe von Maria Margaretha Josepha, Tochter Johanns van Beethoven, am 5. Mai 1786.

Wir besitzen einen Brief aus Bonn vom 8. April 17878, welcher eine gelegentliche Anspielung auf Beethoven enthält und zugleich ein ferneres Licht auf das musikalische Leben daselbst wirst. Es heißt darin u.a.: »Am 30. März ward hier bey Hofe eine neue Composition von Joseph Haydn mit vielem Ausdruck unter der Leitung des Hrn. Concertmeisters Reicha aufgeführt. Sie besteht aus sieben adagios über die sieben Worte Christi am Kreuz und schließt mit einem Presto, welches das Erdbeben bey dem Tode des Erlösers vorstellt.« Nachdem der Schreiber in einigen [211] ferneren Zeilen dieses Werk gepriesen, fährt er fort: »Unsere Residenzstadt wird jetzt immer anziehender für Musikliebhaber durch den gnädigsten Vorschub unseres theuersten Churfürstens. Er hat eine große Sammlung von den schönsten Musikalien, und verwendet täglich noch viel auf Vermehrung derselben. Durch ihn haben wir Gelegenheit, öfters gute Virtuosen auf manchen Instrumenten zu hören. Gute Sänger kommen selten.«

»Die Musikliebhaberey nimmt unter den Einwohnern sehr zu. Das Clavier wird vorzüglich geliebt; wir haben hier mehrere Steinische Hammerclaviere von Augsburg, und andere denen entsprechende Instrumente. Unter den Liebhaberinnen, die ihre schönen Hände mit diesen Instrumenten beschäftigen, nenne ich Ihnen die Gräfinnen: Hatzfeld, Belderbusch, Felise Metternich, Frau von Waldenfels, Fräulein v. Weichs, Frau v. Cramer, Frau Geheime Räthinn Belzer, Fräulein v. Gruben, Fräulein v. Mastiaux u.s.w. Der junge Hr. Baron v. Gudenau spielt auch brav Clavier, und außer dem jungen Beethoven, verdienen noch die Kinder des Capellmeisters wegen ihres vorzüglichen und so früh entwickelten Talents bemerkt zu werden. Des Hrn. v. Mastiaux Hrn. Söhne spielten sämmtlich fertig Clavier, wie Sie schon aus älteren Briefen von mir [s. oben S. 92, 96, 150; demnach Neefe] wissen.«

»Dieses junge Genie verdiente Unterstützung, daß er reisen könnte«, hatte Neefe 1783 geschrieben (vgl. S. 150). Im Frühling 1787 war das junge Genie endlich in den Stand gesetzt, zu reisen. Wann und wie er die Mittel erhielt, die Kosten dieser Reise zu bestreiten, ob er vom Kurfürsten oder irgendeinem anderen Mäcenas unterstützt wurde oder auf die kleinen Ersparnisse aus seinem Gehalt und dem Ertrag seiner Musikstunden angewiesen war, konnte trotz mühsamer und sorgfältiger Untersuchung nicht ermittelt werden. Die Reihe der Düsseldorfer Dokumente ist in diesem Punkte lückenhaft; es hat sich nicht einmal ein Gesuch um Urlaub gefunden. Die wenigen Andeutungen, die sich auf diesen Punkt beziehen, scheinen darzutun, daß er keine weitere Unterstützung vom Kurfürsten genoß, als die ununterbrochene Zahlung seines Gehalts. Feststehend ist nur, daß der junge Mann, der jetzt 16 Jahre zählte, aber für ein oder zwei Jahre jünger galt, Wien besuchte, dort ein paar Stunden von Mozart erhielt (Ries Not. S. 86), daß aber sein Aufenthalt nur ein kurzer war, und daß er auf dem Heimwege sich genötigt sah, in Augsburg Geld zu borgen9.

[212] Das genaue Datum der Reise ist ebenso unsicher. Schindler hörte von einigen alten Bekannten Beethovens erzählen, »daß sich dem Gedächtnisse des sechzehnjährigen Jünglings bei jenem Besuche nur zwei Persönlichkeiten tief und dauernd für sein ganzes Leben eingeprägt haben: Kaiser Joseph und Mozart«. Wenn der junge Künstler wirklich eine Zusammenkunft mit dem Kaiser hatte, so muß dieselbe vor dem 11. April oder nach dem 30. Juni stattgefunden haben; denn das waren die Tage, mit welchen Josephs Abwesenheit von Wien bei Gelegenheit seiner berühmten Reise nach der Krim in Gesellschaft der russischen Kaiserin Katharina begann und endigte. War es vor dieser Abwesenheit, dann war Beethoven wenigstens drei Monate in der österreichischen Hauptstadt und hatte Bonn vor dem Datum von Neefes Brief verlassen. Wie konnte aber in diesem Falle der Briefsteller, da er von seinem jungen Amtsgenossen sprach, jede Erwähnung dieser Tatsache unterlassen haben? Wie konnte außerdem ein so wichtiger Umstand Wegelern unbekannt oder von ihm vergessen sein und in den Notizen keine Stelle finden? zumal diese unter den Augen von Franz Ries und Frau von Breuning vorbereitet wurden. Wir werden bald erfahren, daß Beethoven vor dem 17. Juli wieder in Bonn war, ein Datum, welches eine Möglichkeit des berichteten Zusammentreffens mit Joseph nach seiner Rückkehr aus Rußland, aber auch nur eine Möglichkeit, zuläßt10.

Wenn wir eine Vermutung über diesen Besuch wagen dürfen, so wäre es die, daß Beethoven wohl kaum eher als bis nach der für die Organisten und Hofmusiker sehr beschäftigten Karwoche Urlaub erhielt. Im Jahre 1787 fiel Ostermontag auf den 9. April, den Tag nach dem Datum von Neefes Brief. Wenn man eine angemessene Zeit für die notwendigen Vorbereitungen zu einer so wichtigen Reise, wie es in jenen [213] Tagen eine von Bonn nach Wien war, in Anrechnung bringt, so möchte man nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermuten, daß der junge Mann etwa im Mai die letztere Stadt erreichte11.

Doch genug der Hypothesen!

Die oft wiederholte Erzählung von Beethovens Einführung bei Mozart ist von Otto Jahn in folgender Weise dargestellt12. »Beethoven, der als ein vielversprechender Jüngling im Frühjahr 1787 nach Wien kam, aber nach kurzem Aufenthalt wieder nach Hause reisen mußte, wurde zu Mozart geführt und spielte ihm auf seine Aufforderung etwas vor, das dieser, weil er es für ein eingelerntes Paradestück hielt, ziemlich kühl belobte. Beethoven, der das merkte, bat ihn darauf um ein Thema zu einer freien Phantasie und, wie er stets vortrefflich zu spielen pflegte, wenn er gereizt war, dazu noch angefeuert durch die Gegenwart des von ihm hochverehrten Meisters, erging er sich nun in einer Weise auf dem Klavier, daß Mozart, dessen Aufmerksamkeit und Spannung immer wuchs, endlich sachte zu den im Nebenzimmer sitzenden Freunden ging und lebhaft sagte: ›Auf den gebt Acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen.‹« Ries (Not. S. 86) sagt nur: »Bei seiner ersten Anwesenheit in Wien hatte er einigen Unterricht von Mozart erhalten, doch hat dieser, wie Beethoven klagte, ihm nie gespielt.« Nach dem Zusammenhang, in welchem Ries diese Bemerkung macht, scheint es, daß der von Mozart dem jungen Manne erteilte Unterricht sich auf die Komposition beschränkte. Der erteilten Unterrichtsstunden waren »einige«; aus dieser Tatsache läßt es sich erklären, daß keines der Mitglieder der Mozartschen Familie in späteren Jahren, als Beethoven weltberühmt geworden war, in den verschiedenen Erinnerungen von ihm gesprochen hat. Wenn man in Erwägung zieht, daß Mozart am 28. Mai 1787 seinen Vater verlor, und daß sein Geist damals vollständig durch seinen neuen Opernstoff Don Giovanni in Anspruch genommen war, so wird es nicht auffallend erscheinen, daß er seine Fertigkeit als Pianist nicht vor einem jungen Manne hören ließ, der eben einen Kursus der Kompositionslehre bei ihm begann; zumal wenn der Schüler, wie wir allen Grund haben zu glauben, in seinen Augen ein untersetzter Knabe von 14 Jahren war. Die Fertigkeit dieses Schülers, ein Thema zu behandeln, mag Mozart, [214] der vielleicht nichts von der fünfjährigen Übung auf der Orgel und im Theater wußte, wohl in Erstaunen gesetzt haben; aber als ausübender Klavierspieler stand er wahrscheinlich weit, weit unter dem Meister, als dieser in gleichem Alter war, ja sogar vermutlich unter dem kleinen Hummel, welcher gerade zu jener Zeit ein Hausgenosse der Mozartschen Familie war, und sicherlich unter dem 10jährigen Cesarius Scheidl (ein vergessener Name!), welcher nicht lange vorher (frühestens am 22. Dezember 1786) in einem großen Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde ein Klavierkonzert zwischen den Teilen eines Oratoriums gespielt hatte13. Wäre nicht Beethovens Besuch so plötzlich, unerwartet und sorgenvoll zu seinem Ende gekommen, so würde er ohne Zweifel nicht zu beklagen gehabt haben, daß er seinen Meister nicht spielen gehört habe.

Übrigens ist diese Klage nicht so zu verstehen, als habe der junge Beethoven Mozart überhaupt nicht gehört. Er hat nur gesagt: Mozart habe ihm nie gespielt; d. h. also, Mozart wird sich bei der Lektion nicht hingesetzt haben, um eigens für ihn zu spielen. Nach einer Mitteilung Czernys an O. Jahn hat Beethoven ihm erzählt, daß er Mozart habe spielen hören; »er habe ein seines, aber zerhacktes Spiel gehabt, kein ligato«, in dem Beethoven (fügt Czerny hinzu) zuerst bewunderungswürdig war, der das Pianoforte wie eine Orgel behandelte14. In einigen in den Jahren seiner Taubheit an ihn gerichteten und niedergeschriebenen Worten finden sich zwei Anspielungen auf diese persönliche Bekanntschaft mit Mozart. Das erstemal fragt der Neffe Karl: »Du kanntest Mozart? Wo hast Du ihn gesehen?«, und das zweitemal, zwei oder drei Jahre später, fragt Holz (vgl. Bd. V, S. 272): »War Mozart ein guter Klavierspieler? – Damals war es auch noch in der Wiege.« Natürlich fehlen Beethovens Antworten.

Und hiermit ist alles erschöpft, was sich bei den für dieses Buch gemachten Untersuchungen in bezug auf diesen ersten Besuch in Wien gefunden hat. Die Wiener Zeitungen jener Tage enthalten Notizen über die[215] Wunderkinder Hummel und Scheidl, aber nicht die geringste über Beethoven15.

Daß der junge Mann, als er Augsburg berührte, mit dem Klavierfabrikanten Stein bekannt geworden ist, versteht sich wohl von selbst. In einem Konversationsbuche findet sich eine Bemerkung, welche dies zu beweisen und zugleich die Fälschung seines Alters klarzumachen scheint. Im Frühling 1824 besuchten nämlich Andreas Streicher und seine Frau, eben jenes »Steins Mädl«, dessen Erscheinen am Pianoforte als Kind von 81/2 Jahren von Mozart so hübsch beschrieben ist, und welche der Leser an späteren Stellen dieses Buches wird bewundern, achten und lieben lernen, Beethoven auf ihrem Wege von Wien aufs Land. Einige Sätze aus ihrer Unterhaltung, in der Handschrift von Beethovens Neffen niedergeschrieben, sind erhalten. Der Gegenstand ist eine Zeitlang das Einpacken von Möbeln und Beethovens Übersiedelung nach seinem Sommeraufenthalte auf dem Lande; zuletzt kommen sie auf die von Streicher verfertigten Instrumente. Karl schreibt: »Frau von Streicher sagt, es freut sie, daß Du mit 14 Jahren die Instrumente ihres Vaters und jetzt die ihres Sohnes siehst.« Freilich könnte man sagen, daß sich dies auf Beethovens Kenntnis der Steinschen Hammerklaviere bezieht, welche nach Neefes Brief an Cramer damals in Bonn waren; aber für jeden, der vollständig mit dem Gegenstande bekannt ist, enthalten diese Worte eine entschiedene Bestätigung unserer Annahme.

In Augsburg wurde Beethoven auch in die Familie des Advokaten Dr. Schaden eingeführt. Reichardt war im Jahre 1790 in jener Stadt und schreibt: »Hier hab' ich meinen Tag sehr musikalisch zugebracht; getheilt zwischen der Frau Nanette von Schaden (geb. v. Frank aus Salzburg), die unter allen musicalischen Damen, die ich kenne, selbst die Pariserinnen nicht ausgenommen, bei weitem die größte Clavierspielerin ist, ja an Fertigkeit und Sicherheit vielleicht von keinem Virtuosen übertroffen wird; auch singt sie mit vielem Ausdruck und Vortrag und ist in jedem Betracht eine angenehme und interessante Frau: – und dem [216] berühmten Instrumentenmacher J. Andr. Stein und seiner Familie16.« [Schletterer II. 478.] Der früheste erhaltene Brief Beethovens beweist die Freundschaft der Familie Schaden für ihn und erklärt vollständig die Gründe seiner plötzlichen Abreise von Wien, sowie die unerwartete Beendigung seiner Studien bei Mozart. Wir teilen ihn hier nach dem Original mit17.

»Den 15ten herbstmonat.

bonn 1787.


hochedelgebohrner

insonders werther freund!


was sie von mir denken, kann ich leicht schließen; daß sie gegründete ursachen haben, nicht vortheilhaft von mir zu denken, kann ich ihnen nicht widersprechen; doch ich will mich nicht eher entschuldigen, bis ich die ursachen angezeigt habe wodurch ich hoffen darf, daß meine entschuldigungen angenommen werden. ich muß ihnen bekennen: daß, seitdem ich von augspurg hinweg bin, meine freude und mit ihr meine gesundheit begann aufzu hören; je näher ich meiner vaterstadt kam, je mehr briefe erhielte ich von meinem vater, geschwinder zu reisen als gewöhnlich, da meine mutter nicht in günstigen gesundheitsumständen wär; ich eilte also, so sehr ich vermochte, da ich doch selbst unpäßlich wurde: das verlangen meine kranke mutter noch einmal sehen zu können, sezte alle hinderniße bei mir hinweg, und half mir die gröste beschwerniße überwinden. ich traf meine mutter noch an, aber in den elendesten gesundheitsumständen; sie hatte die schwindsucht und starb endlich ungefähr vor sieben wochen nach vielen überstandenen schmerzen und leiden. sie war mir eine so gute liebenswürdige mutter, meine beste freundin; o! wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen namen mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört, und wem kann ich ihn jezt sagen? den stummen ihr ähnlichen bildern die mir meine einbildungskraft zusammensezt? so lange ich hier bin, habe ich noch wenige vergnügte stunden genoßen, die ganze zeit hindurch bin ich mit der engbrüstigkeit behaftet gewesen, und ich muß fürchten, daß gar eine schwindsucht daraus entstehet; dazu kömmt noch melankolie, welche für mich ein fast eben so großes übel, als meine krankheit selbst ist. denken sie sich jezt in meine lage, und ich hoffe vergebung, [217] für mein langes stillschweigen, von ihnen zu erhalten. die außerordentliche güte und freundschaft die sie hatten mir in augspurg drey Krlin zu leihen, muß ich sie bitten noch einige Nachsicht mit mir zu haben; meine reife hat mich viel gekostet, und ich habe hier keinen ersaz auch den geringsten zu hoffen; das schicksaal hier in bonn ist mir nicht günstig.

sie werden verzeihen, daß ich sie so lange mit meinem geplauder aufgehalten, alles war nöthig zu meiner entschuldigung. ich bitte sie mir ihre vererun[g]swürdige freundschaft weiter nicht zu versagen; der ich nichts so sehr wünsche, als mich ihrer freundschaft nur in etwas würdig zu machen.

ich bin mit aller hochachtung


ihr gehorsamster diener und freund

L. v. Beethoven.

kurf-kölnischer Hoforganist.

[Äußere Adresse:]

a Monsieur

Monsieur de Schaden

conseilier d'augspurg

à

augspurg


Das Bonner Intelligenzblatt gibt uns das Gegenstück zu diesem traurigen Briefe, indem es unter dem 17. Juli 1787 als gestorben anführt »Maria Magdalena Koverich (sic) gen. van Beethoven, alt 49 Jahr«18. Nach obigem Briefe war die vielgeprüfte Frau schließlich der Schwindsucht erlegen. »Nach ihrem Tode ließ Herr Johann van Beethoven ihre Kleidergarderobe an die Trödler verkaufen, wodurch sie auf den Markt zur Ausstellung kamen«, wo Cäcilie Fischer sie sah. Traurig, aber leider charakteristisch für den Vater. Als Ferdinand Ries ungefähr 13 Jahre später seines Vaters Empfehlungsbrief an Beethoven in Wien überreichte, las der letztere »den Brief durch und sagte: ich kann Ihrem Vater jetzt nicht antworten; aber schreiben Sie ihm ich hätte nicht vergessen, wie meine Mutter starb; damit wird er schon zufrieden sein«. »Später erfuhr ich«, setzt Ries hinzu, »daß mein Vater ihn, da die Familie sehr bedürftig war, bei dieser Gelegenheit auf jede Art thätig unterstützt hatte.«

Über die eigene Krankheit des jungen Beethoven, welche in dem obigen Briefe angedeutet wird, fehlen nähere Nachrichten; daß er schon in jüngeren Jahren von Krankheiten heimgesucht war, bezeugt auch Wegeler. Als er 1816 leidend war und Fräulein Giannatosio (s. Bd. III) ihn von trüben Befürchtungen abbringen wollte, sagte er: »ein schlechter Mann, [218] der nicht zu sterben weiß! ich wußte es schon als ein Knabe von 15 Jahren.« Beethoven war noch spät über sein Alter im unklaren; jene Bemerkung kann sich auf das Jahr 1787 beziehen.

Eine Bittschrift Johanns van Beethoven, vor dem Tode seiner Frau eingereicht, welche seine traurige Lage beschreibt und Hilfe vom Kurfürsten erbittet, ist nicht aufgefunden worden; doch können wir den Inhalt derselben aus einem Bande der »Geheimen Staatsprotokolle« für 1787 (Bl. 384, Nr. 1318) entnehmen, wo wir folgendes lesen:


»Juli 24. 1787.


Hofmusicus van Beethoven stellt gehorsamst vor, daß er durch die langwierige und anhaltende Krankheit seiner Frau in sehr mißliche Umstände gerathen und bereits genöthigt worden seye, seine Effecten theils zu verkaufen, theils zu versetzen und daß er sich dermalen mit seiner kranken Frau und vielen Kindern nicht mehr zu helfen wisse. Er bittet ihm in mildem Betracht dessen eine Summe von 100 Rthlr. vorschußweise auf sein Gehalt mildest angedeihen zu lassen.«


»Ihro Churfl. Dchlcht. haben die Bittschrift zu sich genohmen.«


Es hat sich im Düsseldorfer Archiv keine Notiz von irgendeiner Gewährung einer Unterstützung an die unglückliche Familie gefunden; die einzige erfolgreiche Bitte scheint demnach an Franz Ries gerichtet worden zu sein, der damals ein junger Mann von 32 Jahren war, und welcher seinen unglücklichen Kollegen großmütig »auf jede Art unterstützte«. Wo war denn damals die Familie Breuning? Wo Graf Waldstein? Die Antwort auf diese Frage ist [nach des Verfassers Ansicht] die, daß Beethoven denselben damals noch unbekannt war. Freilich bringt diese Antwort die völlige Verwerfung der von Wegeler in seinen Notizen angenommenen Chronologie dieses Teiles von Beethovens Leben, welche bisher ohne Bedenken von allen, die über den Gegenstand geschrieben haben, angenommen worden ist, mit sich, und der Leser findet hier zum ersten Male die Erzählung Wegelers von Beethovens höherer geistiger Entwickelung und seiner Einführung in einen feineren geselligen Kreis, sein Bekanntwerden mit Breunings und Graf Waldstein, in die Zeit nach dem Wiener Besuche verlegt, statt vor demselben, in die Zeit, als der Jüngling ins Mannesalter trat, und nicht als er noch auf der Grenze zwischen Kindheit und Jugend stand.

[219] Dieser Umstand erfordert einige Erläuterung.

Die Geschichte von Beethovens Bonner Leben würde ohne Dr. Wegelers »Notizen«, welche in jeder Zeile den Eindruck höchster Offenheit und Ehrlichkeit machen, in so trauriger Weise unvollkommen sein, daß man dieselben nur mit dem Gefühle dankbarster Erinnerung an ihren Verfasser und mit vollstem Vertrauen auf ihre Zuverlässigkeit lesen kann. Aber so wenig in diesem wie in anderen Fällen können die Erinnerungen eines bejahrten Mannes als entscheidender Beweis in Beziehung auf Tatsachen und Ereignisse einer längst vergangenen Zeit angenommen werden, wenn sie gleichzeitigen Berichten widersprechen oder eine Verwirrung in der Zeitbestimmung mit sich bringen würden. Ein kleiner Gedächtnisfehler, ein Mißverständnis oder unglückliche Annahme eines fremden Mißverständnisses kann irreführen und eine reichliche Quelle des Irrtums werden. Allerdings kann es nur mit großem Zögern und äußerster Vorsicht geschehen, wenn es jemand unternimmt, eine Autorität von Dr. Wegelers Glaubwürdigkeit zu korrigieren. Aber wir werden sehen, daß nur dadurch verschiedene Schwierigkeiten beseitigt werden können. Ein Irrtum in Wegelers Chronologie kann leicht veranlaßt worden sein durch das lange Zeit hindurch angenommene falsche Datum von Beethovens Geburt, welches unvermerkt auf seine Erinnerungen Einfluß übte; und sicherlich, wenn Dr. Wegeler, Frau von Breuning und Franz Ries, alle gleich ehrwürdig an Alter wie an Charakter, in den Jahren 1837/38 zusammensaßen und die Ereignisse von 1785–88 besprachen, ohne ein anderes Hilfsmittel zur Unterstützung ihres Gedächtnisses oder zur Kontrollierung ihrer Erinnerungen zu haben, als einen oder zwei alte Hofkalender, dann können sie leicht in der unsichern und nebeligen Entfernung einer so langen Zeit Jahre und Zeiten vermischt haben, um so leichter, da der Irrtum sich höchstens auf 1, 2 oder 3 Jahre bezieht.

Von Wichtigkeit in Beziehung auf den fraglichen Punkt ist zunächst die Tatsache, daß Frau Karth, welche sich deutlich des Todes der Frau van Beethoven erinnert, keine Erinnerungen an die jungen Breunings und Waldstein hat, bis nach diesem Ereignisse.

In einem Briefe an Beethoven (28. Dez. 1825; vgl. Bd. V, S. 277) sagt Dr. Wegeler: – »war doch das Haus meiner Schwiegermutter mehr Dein Wohnhaus als das deinige, besonders nachdem Du die edle Mutter verloren hattest.« Diese Worte scheinen der gewöhnlich angenommenen Chronologie günstig zu sein; wenn aber Beethoven auf diese Weise schon 1785 oder 1786 beinahe ein Mitglied der Breuningschen Familie war, [220] wie kann dann der Ton des Briefes an Dr. Schaden erklärt werden? oder wie paßt es zu diesem Umstande, daß, als er Bonn wieder erreicht hatte und seine Mutter sterbend fand, und als sein Vater in mißliche Umstände geraten war und »sich nicht mehr zu helfen« wußte, daß es damals Franz Ries war, an den er sich um Hilfe wandte? Wenn Dr. Wegeler in bezug auf die Zeit, wo Beethoven am Kurfürsten und Waldstein Gönner und Beschützer fand, erweislich im Irrtum ist, warum nicht in gleicher Weise auch in bezug auf die Breuningsche Familie?

Wenn man nun seine eigene Erzählung von seiner innigen Freundschaft mit dem jungen Musiker, die er in der Vorrede seiner »Notizen« gibt, betrachtet, so wird man finden, daß sie das Gesagte bestätigt. »Geboren in Bonn 1765 wurde ich 1782 mit dem 12jährigen Jüngling, der jedoch schon Autor war, bekannt und lebte ununterbrochen in der innigsten Verbindung mit ihm bis September 1787,« [und doch konnte er die Abwesenheit dieses Freundes in Wien, wenige Monate vorher, vergessen]19, »wo ich zur Beendigung meiner ärztlichen Studien die Wiener Schulen und Anstalten besuchte. Nach meiner Rückkehr im October 1789 lebten wir in einer eben so herzlichen Verbindung fort, bis zu Beethoven's späterer Abreise nach Wien gegen Ende 1792, wohin auch ich im October 1794 auswanderte.«

Demnach war Wegeler mehr als zwei Jahre, und gerade zu der Zeit, in der wir stehen, nicht in Bonn. Außerdem findet sich nichts, weder in den Notizen noch anderswo, welches uns mit Notwendigkeit zu glauben veranlaßt, daß Wegeler selbst mit Breunings genau bekannt war, ehe er 1789 aus Wien zurückkehrte; und für jene Tage, wo die Unterschiede des Ranges so scharf begrenzt waren, ist es, aufs geringste gesagt, äußerst unwahrscheinlich, daß der Sohn eines eingewanderten Elsässers aus niederem Stande in einer Familie, in welcher das älteste Kind etwa 6 Jahre jünger war als er selbst, und welche schon durch ihren Namen zu den ersten von Bonn gehörte, Zutritt und sogar genaue Freundschaft gefunden habe, ehe er durch sein Talent, seine Bildung und seinen edlen Charakter sich mit ihnen auf gleiche Stufe stellen konnte. Daß, nachdem er so gestiegen war, die Dunkelheit seiner Geburt vergessen war und die einzige Tochter seine Frau wurde, ist gleich ehrenvoll für beide Teile.

Es ist unnötig, diesen Punkt weiter zu verfolgen; der Leser wird, wenn er seine Aufmerksamkeit demselben zugewendet hat, von selbst die [221] vielen weniger in die Augen fallenden, aber entschieden zwingenden Umstände in der Erzählung bemerken, welche die von uns angenommene Chronologie bestätigen. Sie wird unter allen Umständen festgehalten werden müssen, bis neue und entscheidende Tatsachen gegen dieselbe werden aufgefunden sein20.

[222] Wir kehren zu Beethoven zurück. »Meine Reise hat mich viel gekostet«, schreibt er an Schaden, »und ich habe hier keinen Ersatz, auch den geringsten zu hoffen; das Schicksal hier in Bonn ist mir nicht günstig.« In Armut, krank, melancholisch, ja verzweifelnd; mutterlos, beschämt und niedergedrückt durch seines Vaters immer wachsende moralische Schwäche, war der Knabe vor der Zeit gealtert durch die Verhältnisse, in die er seit seinem elften Jahre hineingeraten war; und nun stand ihm noch ein neuer schmerzlicher Verlust bevor. Die kleine, jetzt anderthalbjährige »Margareth, Tochter des Herrn Hofmusicus Johann van Beethoven« starb, nach dem Intelligenzblatte, am 25. November 1787. Und so welkte auch die letzte Hoffnung hin, daß die leidenschaftliche Zärtlichkeit in Beethovens Natur in der reinsten aller Beziehungen zwischen den Geschlechtern, der zwischen Bruder und Schwester, sich hätte äußern können. Mit Kummer und Niedergeschlagenheit endete Beethovens 17. Jahr.

Fußnoten

1 Auch Czerny erzählte, daß Beethoven ihm einst von der harten Behandlung des Vaters und dem ungenügenden Unterrichte, den er genossen, gesprochen habe. »Aber«, habe er hinzugefügt, »ich hatte Talent zur Musik.« Nach O. Jahns Aufz. (auch in Cocks Musical Miscellany mitgeteilt).


2 Mancherlei Gründe zwingen, diese Ansicht des Verfassers von der mühseligen der freien Improvisation, sodann die, wie sich immer bestimmter herausstellt, sehr große Zahl noch in Bonn geschriebener Kompositionen und vor allem seine eigene Aussage (Bd. IV, S. 420f.), daß er zur Niederschrift eines in der Phantasie fertiggestellten Werkes sehr wenig Zeit brauche. Auch stehen einzelne Fälle fest, daß er große Werke sehr schnell erfunden und fertiggestellt hat (vor allem die B-dur-Symphonie). Mit den »Originalpartituren« meint der Verfasser wohl die Skizzen; die eigentlichen Partituren zeugen keineswegs von besonderer Mühseligkeit der Produktion. Die manchmal über Jahre sich erstreckenden Skizzen beweisen aber nichts weiter als ein Strenge der Selbstkritik gegenüber den Erzeugnissen seiner Phantasie, wie sie die Zeit der Kindheit des modernen Stils freilich nicht kannte. Die Zeit der Massenproduktion von Sinfonien, Sonaten und Quartetten war mit dem Auftreten Beethovens und durch ihn vorüber. Die Pause von zehn Jahren zwischen den Bonner und den ersten Wiener Druckwerken spricht eine beredte Sprache. Der Meister, der über Mozart und Haydn hinauswachsen wollte, und von dem man das erwartete, forderte, er durfte und konnte kein Vielschreiber und Schnellschreiber werden. [Anm. d. Herausg. H.R.]


3 Die reiche Autographensammlung der Firma Artaria (vgl. das »Verzeichnis von musikalischen Autographen ... revidierten Abschriften ... aus dem Nachlasse Joseph Haydns und Ludwig van Beethovens, ferner die Manuskripte von Mozart, Schubert, Rossini ... im Besitze von Aug. Artaria in Wien«, Wien 1893, Selbstverlag [Nr. 124–224 sind Beethoven-Autographen], sowie G. Adler, »Verzeichnis der musikalischen Autographen von Ludwig van Beethoven ... im Besitz von A. Artaria«, Wien 1890) wurde 1897 vonDr. Erich Prieger in Bonn (gest. 27. Nov. 1913) für 200000 M. angekauft und sofort der Berliner Kgl. Bibliothek zu Berlin in Verwahrung übergeben und unter Verzicht auf die Zinsen der Kaufsumme derselben abgetreten, als 1961 der preußische Staat die Mittel bewilligte.


4 In dem Autograph war anfangs 14 geschrieben und die Ziffer später geändert. Beethoven wurde im Dezember 1785 15 Jahre. Das Autograph ist mit deutlicher, kräftiger Knabenhand geschrieben, ganz verschieden von der späteren kleinen, zuweilen schwer lesbaren Handschrift Beethovens.


5 Schon im Jahre 1829 wurden sie in Whistlings Monatsschrift angezeigt. Die große Gesamtausgabe bringt sie Serie 10, Nr. 75–77. Anm. d. Herausg.


6 Vgl. H. Riemann, Handbuch der Musikgeschichte Bd. II, 3, S. 196ff., wo ausgeführt ist, daß man statt von einer Wiederbenutzung einiger Motive wohl richtiger von einer vollständigen Umschmelzung des Quartettsatzes sprechen muß. – Zu einer erheblich wärmeren Würdigung der drei Klavierquartette kommt man, wenn man Umschau hält, wie die Klavierquartette anderer Komponisten der Zeit aussehen. Man darf auch nicht übersehen, daß die beiden Klavierquartette Mozarts Beethoven noch nicht bekannt sein konnten (das erste ist Mitte 1785, das zweite erst 1786 komponiert). Der 15jährige Komponist stellt sich vor allem mit der Gegenüberstellung des Streicherchors und des Klaviers in höchst überraschender Weise auf eigene Füße.


7 Wegeler, Not. S. 18, 19. Daß der Anfang des Unterrichts so früh anzusetzen ist, folgerte Nohl richtig aus einem Briefe Beethovens aus dem J. 1825 und aus Wegelers Worten (Nohl I, S. 251, 405). Anm. d. Herausg.


8 Cramers Magazin II, 1385. Der Verfasser ist, wie sich später zeigt, Neefe.


9 Wegeler schreibt am 11. Mai 1839 an Schindler mit Bezug auf diesen Besuch: »Die Gelegenheit war ihm, sowie der Fonds dazu, durch den Grafen Waldstein besorgt worden.« Der Verfasser hielt dies für ein Mißverständnis, weil der Graf damals noch nicht in Bonn gewesen sei. Es dürfte aber bedenklich sein, einem so bestimmten Zeugnisse eines mit den Verhältnissen genau bekannten und auch im Alter geistesfrischen Mannes zu widersprechen. Über Waldsteins mutmaßliche Ankunft in Bonn wird weiter unten zu sprechen sein (S. 233ff.). Anm. d. Herausg.


10 Doch wohl kaum eine Möglichkeit, wenn man die lange Dauer der Reise, den Aufenthalt in Augsburg und den Umstand, daß er seine Mutter noch lebend antraf, ins Auge faßt. Wir werden wohl, trotz der scharfsinnigen Vermutungen des Verfassers – er gibt seine Ansicht ja nur als Hypothese –, daran festhalten, daß die Reise schon früher (vielleicht im März) angetreten wurde. Der zweite Hoforganist konnte wohl auch in der Karwoche beurlaubt werden. G. v. Breuning (Schwarzsp. S. 15) gibt sogar an: Winter 1786 auf 87. Mit voller Sicherheit wird sich die Zeit der Abreise nicht bestimmen lassen. Anm. d. Herausg.


11 S. d. vorherige Anm. D. H.


12 O. Jahn, Mozart, 3. Aufl., II, S. 40. (Jahn hatte in der 1. Auflage gesagt: Winter 1786, und dies später nach Thayer geändert. Vgl. auch Seyfried, Beethovens Studien, Anh. S. 4, Anm.) D. H.


13 Der Verfasser spricht hier, wie er selbst zu erkennen gibt, auf Grund von Vermutungen. Das frühe Auftreten des Knaben, die fleißige Übung seit den Tagen seiner Kindheit (nach Czerny, Nottebohm 2. Beeth., S. 356) und seine ersten Kompositionen lassen doch auf einen hohen Grad von Technik schließen. Allerdings nennt Wegeler (S. 17) sein Spiel in früherer Zeit »rauh und hart«. Anm. d. Herausg.


14 Vgl. Frimmel (nach Kullak), Neue Beethoveniana, S. 359.


15 In der wichtigen Schrift G. v. Breunings: »Aus dem Schwarzspanierhause« heißt es S. 15: »Beethoven war im Winter 1786 auf 1787 in Wien angekommen und hatte bald offene Arme, zumal zuvorkommendste Aufnahme bei den allbekannten kunstliebenden aristokratischen Familien jener Wiener Zeit gefunden.« Selbst die Kreise der Professoren und Ärzte hätten sich ihm geöffnet. Dies dürfte wenigstens zum Teil auf Verwechselung mit dem späteren Aufenthalt in Wien beruhen. Daß aber Beethoven nicht ohne gute Empfehlungen dorthin gereist war, darf man doch wohl annehmen. Anm. d. Herausg.


16 In dem »Journal von und für Deutschland«, 1788, S. 468, heißt es von der Musik in Augsburg, daß sie zwar z.B. vor der Mannheimer zurückstehe; »allein einzelne gute Köpfe, rührende Sänger, und einzelne Virtuosen, wie wir z.B. jetzt an dem in der That großen Genie der Madame von Schaden, die Zierde der hohen Musik in Augspurg, besitzen, kann man in andern Orten auch, aber nicht immer, antreffen«. Dann ferner Johann Andreas Stein u. s. Demoiselle Tochter, die jetzt »alle fühlbare Ohren mit ihrem Solo Adagio auf dem Flügel entzückt«. Als Verfasser nennt sich Mertens. Anm. d. Herausg.


17 Er war zuerst gedruckt in der Vossischen Zeitung, August 1845. [Das Original befindet sich jetzt im Besitze des Beethovenhauses in Bonn: der obige Abdruck beruht auf genauer Vergleichung mit denselben. D. H.]


18 Irrtum, sie zählte erst 40. D. H.


19 Er hatte sie nicht vergessen, wie aus dem oben (S. 212, Anm. 1) erwähnten Briefe an Schindler hervorgeht. Auch wußte ja Ries, der Mitherausgeber der Notizen, davon, wie Wegelers Enkel (s.u.) richtig hervorhebt. D. H.


20 Die im Texte enthaltene, gegen Wegelers Notizen gerichtete Darlegung des Verfassers über die Zeit, in welcher Beethoven mit der Familie von Breuning bekannt wurde, hat entschiedenen Widerspruch erfahren von dem Enkel Wegelers, Herrn Karl Wegelerin Koblenz, in einem Aufsatze der Koblenzer Zeitung vom 20. Mai 1890. Thayer hatte den Aufsatz in sein Handexemplar gelegt und würde vermutlich, wenn er selbst zu der neuen Ausgabe gekommen wäre, entweder seine Darstellung weiter begründet oder dieselbe geändert haben. Der Herausgeber hat sich zu einer Änderung nicht berechtigt geglaubt, weil auch späteren Lesern und Beurteilern der Standpunkt Thayers in dieser Frage nicht unbekannt bleiben darf. Dagegen hält er sich für verpflichtet, die gegen Thayer geltend gemachten Gründe hier zusammenzustellen und seine eigene Ansicht folgen zu lassen.

Nach Wegeler ist, so sagt sein Enkel, Beethoven bereits 1785 bei Breunings eingeführt gewesen und hat dort auch den Grafen Waldstein kennen gelernt, der ihm auch zu seinem ersten Gehalt als Hoforganist verhalf. [Eine Jahreszahl geben die Notizen nicht, sie lassen aber indirekt auf frühere Zeit schließen. Auch daß er Waldstein dort kennen lernte, steht nicht in den Notizen.] Wenn nun Thayer das Zeugnis der Witwe Karth anführt, so kann nach Hrn. Wegelers Annahme das Zeugnis eines 5jährigen Kindes gegenüber damals erwachsenen Personen nicht in Betracht kommen; auch lasse sich eine Bekanntschaft wohl denken, ohne daß jene schon das Beethovensche Haus betreten hatten. Der Brief an Dr. Schaden, einer tief melancholischen Stimmung entsprungen, schließe keineswegs aus, daß Beethoven auch von anderer Seite unterstützt worden sei, zumal wenn man bedenke, wie vorsichtig man sein mußte, seine Reizbarkeit durch Unterstützungen zu verletzen. Sicherlich habe ihm Wegeler, der erst im September 1787 nach Wien reiste, in jener Zeit treu zur Seite gestanden, da er ihn schon seit Jahren kannte. Letzteres erhärtet Herr K. Wegeler durch einen bisher nicht bekannt gewordenen Brief Beethovens an Wegeler, worin ausdrücklich gesagt wird, daß letzterer Beethoven schon fast seit seiner Kindheit gekannt habe. [Wegeler gibt in der Vorrede zu den Notizen ausdrücklich das Jahr 1782 als den Beginn seiner Bekanntschaft mit Beethoven an.] Sollte damals die Familie v. Breuning wirklich nicht zur Stelle gewesen sein, so könne das aus dem alljährlichen, einige Zeit dauernden Landaufenthalt derselben leicht erklärt werden. Die Annahme, Wegeler selbst sei mit Breunings erst nach seiner Rückkehr aus Wien (1789) genauer bekannt geworden, widerspreche den Familien-Erinnerungen, welche alle ihn schon als jungen Studenten, also vor 1787, dort verkehren lassen, und mit ihm Beethoven, wie eine briefliche Äußerung Wegelers (s.u.) zeige. Eine Gedächtnisschwäche könne bei der vollen Geistesfrische, die Wegeler noch 1838 [er starb 1848] besaß, nicht angenommen werden; insbesondere werde er sich hinsichtlich seiner ersten Bekanntschaft mit dem Hause, aus welchem seine Frau stammte, schwerlich geirrt haben. Auch sei das vertraute, freundschaftliche Verhältnis Beethovens zu Eleonore von Breuning nur dann völlig zu erklären, wenn er schon als Knabe mit ihr bekannt geworden war. Thayer habe den bestimmten Zeugenaussagen solcher, welche die Wahrheit wissen und sagen konnten, nur einen negativen Indizienbeweis entgegengestellt, und es müsse an der Glaubwürdigkeit jener Zeugen auch hinsichtlich der Zeitbestimmung festgehalten werden.

Der Herausgeber unternimmt es auch nur »mit der äußersten Vorsicht«, einer Autorität wie derjenigen Thayers entgegenzutreten. An der bestimmten Angabe Wegelers, er habe den Knaben Beethoven schon 1782 kennen gelernt, welche durch Beethovens eigenes Wort: »daß Du mich fast seit meiner Kindheit kanntest« gestützt wird, kann nicht wohl gerüttelt werden. Ebensowenig kann daran gezweifelt werden, daß Wegeler schon als Student und vor seiner Abreise nach Wien (nach Gerhard v. Breuning sogar schon vor seiner Bekanntschaft mit Beethoven) im Breuningschen Hause eingeführt war; darin kann er sich nicht geirrt haben. Wann er nun Beethoven dorthin brachte, darüber gibt er selbst eine Zeit nicht an; das Jahr 1785 findet sich, wie bereits bemerkt, nicht in den Notizen. Doch heißt es dort S. 45, daß Stephan v. Breuning »von seinem litten Jahre bis zu seinem Tode in der innigsten Verbindung mit ihm gelebt« habe. Stephan war am 17. August 1774 geboren (v. Breuning, Aus dem Schwarzspanierhause, S. 6): das würde auf das Jahr 1784 führen. [Damit läßt sich auch Wegelers Angabe wohl vereinbaren; der »zwölfjährige Jüngling«, den Wegeler kennen lernte, war in Wirklichkeit ein vierzehnjähriger und daher nicht 1782, sondern 1784 das Anfangsjahr ihrer Freundschaft; 1782 war auch Beethoven noch nicht (gedruckter) Autor, wohl aber 1784. Es würde also die Bekanntschaft der drei in dasselbe Jahr rücken. H.R.] Die auch von Thayer angeführte Äußerung Wegelers: »besonders nachdem Du die edle Mutter verloren hattest«, macht es sonnenklar, daß die nähere Freundschaft schon vor dem Tode der Mutter bestanden hatte. Auch gewinnen alle übrigen Mitteilungen erst durch die Annahme Bedeutung und Zusammenhang, daß Beethoven schon in früher Knabenzeit in dem Breuningschen Hause Aufnahme gefunden hatte. Der Herausgeber glaubt also in dieser Frage ebenfalls von Thayers Ansicht abweichen zu müssen. Über die Bekanntschaft mit Graf Waldstein wird weiter unten (S. 232ff.) gesprochen werden. Anm. d. Herausg.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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