Fünftes Kapitel.

Das Jahr 1800. Akademie. Punto. Doležalek. E. A. Förster. Die ersten Quartette. Septett.

Zu Anfang des Jahres 1800 finden wir Beethoven in doppelter Beschäftigung: außer seinen gewöhnlichen Obliegenheiten hatte er noch die Vorbereitungen zu einem im April zu veranstaltenden großen Konzert zu treffen. Ehe wir den Faden der Erzählung völlig wieder aufnehmen, schicken wir ein kurzes Wort über Beethovens Brüder voraus. Es herrscht nämlich die unbegreifliche Meinung, Beethoven sei noch in dieser Zeit und sogar noch einige Jahre weiter mit der Unterstützung dieser seiner Brüder, damals junge Männer von 24 und 26 Jahren, belastet gewesen. Das Mißverständnis ist mit Bezug auf Johann bereits auseinander gesetzt: über die Stellung des älteren Bruders Karl werden folgende Notizen Aufschluß geben. Im »Hof- und Staats-Schematismus für das Jahr 1800« finden sich am Ende des Verzeichnisses der bei der K. K. Universal-Staatsschuldenkasse beschäftigten Personen die Namen zweier »Praktikanten«; der erste ist »Herr Karl van Beethoven, wohnt in der Sterngasse 484.« In dem Verzeichnisse von 1801 erscheint eine neue Abteilung (Bureau) des oben genannten Amtes, genannt »die K. K. n. öst. Klassen-Steuer-Kasse«, und der zweite der drei »Kassa-Officiers« ist »Herr Karl v. Beethoven, wohnt unterem Tuchladen 605«. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Karl, als er noch einfacher Praktikant war, gelegentlich pekuniärer Unterstützung bedurfte; seine Beförderung zur Stelle eines Kassa-Offiziers (datiert vom 24. März 1800) machte ihn unabhängig, indem sie ihm eine Besoldung von 250 Gulden gab. So klein diese Summe jetzt erscheint, so war sie völlig hinreichend, zusammen mit dem, was er durch Musikunterricht verdienen konnte – und dem Bruder des großen Beethoven konnte es schwerlich an Schülern fehlen – ihm ein bequemes Leben zu verschaffen; und seine Lage war sicherlich eine bessere, als die mancher seiner Kollegen im Staatsdienste, welche auch bei der äußersten Sparsamkeit kaum imstande waren, anständig zu leben. Die Erzeugnisse des durch seine Fruchtbarkeit berühmten Donautals, welche damals noch keinen entsprechenden Absatz hatten, übertrafen die Ansprüche der verhältnismäßig zerstreuten Bevölkerung in solchem Grade, daß die Menge und Wohlfeilheit der Lebensbedürfnisse in dem damaligen Wien [169] uns heute wunderbar erscheint. Wir führen dafür das Zeugnis J. F. Castellis an, welcher in seinen Memoiren (I, 88) folgendes schreibt: »Ich habe bereits gesagt, daß ich mit monatlichen 9 Fl., welche ich durch Unterricht bei kleinen Kindern verdiente, leben mußte. Wie wenig man aber auch damals brauchte, um leben zu können, mag folgendes Nachtmahl beweisen, welches ich aus einem im Jahre 1801 von mir geführten Ein- und Ausgabeverzeichnisse wörtlich abschreibe:


5 Seidel Bier 8 Kreuzer

Brod 1 Kreuzer

Backfisch 5 Kreuzer

––––––––––––––––––

zusammen 14 Kreuzer.


Sage mir noch einer, wir alten Leute sollten die frühere Zeit nicht eine gute nennen!«1 Es darf daher zuversichtlich behauptet werden, daß Beethoven seit jener Zeit von jeder Sorge um den Unterhalt Karls wie Johanns befreit war. Erst mehrere Jahre später machte der Bankerott des Gouvernements und Karls gebrochene Gesundheit den Beistand des Bruders wiederum nötig.

Zu Anfang des Jahres 1800 hatte Karl sogar sein Glück als Komponist versucht, jedoch wie es scheint mit geringem Erfolge, da von einem [170] zweiten Versuche sich nichts gefunden hat. Die Wiener Zeitung vom 11. Januar 1800 zeigt sechs Menuets, sechs deutsche und sechs Kontretänze von ihm an, und zwar in doppelter Ausgabe, die eine für Klavier, die andere für zwei Violinen und Violoncell.

Das Konzert, auf welches Beethoven sich während des Winters vorbereitete, fand am 2. April statt. Es war das erstemal, daß er zu seinem eigenen Vorteil in Wien auftrat; abgesehen von jener Prager Reise, soviel bekannt, überhaupt das erstemal. Wir entnehmen die Kenntnis der näheren Umstände dieses Konzertes der öffentlichen Anzeige in der Wiener Zeitung (26. März 1800), dem Programme und einem an die Allgemeine Musikalische Zeitung gesendeten Berichte über dasselbe. Die Anzeige lautet folgendermaßen:


»Konzert-Ankündigung.


Nachdem eine K. K. Hoftheatral-Direction dem Herr Ludwig van Beethoven eine freye Einnahme im K. K. National-Hoftheater überlassen, so macht derselbe hiemit einem verehrenswürdigen Publicum bekannt, daß hiezu der 2. April bestimmt worden. Logen und gesperrte Sitze sind sowohl den 1. als den 2. April bei Herrn van Beethoven im Tiefen Graben Nr. 241 im 3ten Stock, als auch beim Logenmeister zu haben und werden die Herrn Abonnenten, welche ihre Loge nicht behalten wollen, ersucht, solches dem Logenmeister bei Zeiten wissen zu lassen.«

Das Programm, im Besitze von Frau van Beethoven, ist folgendes:


»Heute, Mittwoch, den 2. April 1800 wird im Kaiserl. Königl. National-Hof-Theater nächst der Burg Herr Ludwig van Beethoven die Ehre haben eine große Musikalische Akademie zu seinem Vortheile zu geben. Die darin vorkommenden Stücke sind folgende:

1. Eine große Symphonie von weiland Herrn Kapellmeister Mozart.

2. Eine Arie aus des Fürstlichen Herrn Kapellmeister Haydens Schöpfung, gesungen von Mlle. Saal.

3. Ein großes Konzert auf dem Piano-Forte, gespielt und componirt von Herrn Ludwig van Beethoven.

4. Ein Sr. Majestät der Kaiserinn allerunterthänigst zugeeignetes und von Hrn. Ludwig van Beethoven componirtes Septett auf 4 Saiten- und 3 Blas-Instrumenten, gespielt von denen Herrn Schuppanzigh, Schreiber, Schindlecker, Bär, Nickel, Matauschek und Dietzel.

5. Ein Duett aus Haydens Schöpfung, gesungen von Herrn und Mlle. Saal.

6. Wird Herr Ludwig van Beethoven auf dem Pianoforte fantasiren.

7. Eine neue große Symphonie mit vollständigem Orchester, komponirt von Herrn Ludwig van Beethoven.


[171] Billets zu Logen und gesperrten Sitzen sind sowohl bei Herrn van Beethoven in dessen Wohnung im Tiefen Graben Nr. 241 im 3ten Stock als auch beim Lo genmeister zu haben.


Die Eintrittspreise sind wie gewöhnlich.


Der Anfang ist um halb 7 Uhr.«


Der Bericht des Korrespondenten der Allgemeinen Musikalischen Zeitung über das Konzert lautete so:

»Endlich bekam doch auch Herr Beethoven das Theater einmal, und dies war wahrlich die interessanteste Akademie sei langer Zeit. Er spielte ein neues Konzert von seiner Komposition, das sehr viel Schönheiten hat – namentlich die zwei ersten Sätze. Dann wurde ein Septett von ihm gegeben, das mit sehr viel Geschmack und Empfindung geschrieben ist. Er phantasirte dann meisterhaft, und am Ende wurde eine Symphonie von seiner Komposition aufgeführt, worin sehr viel Kunst, Neuheit und Reichtum an Ideen war; nur waren die Blasinstrumente gar zu viel angewendet, so daß sie mehr Harmonie als ganze Orchestermusik war. Vielleicht können wir etwas gutes schaffen, wenn wir von dieser Akademie noch folgendes anmerken. Es zeichnete sich dabei das Orchester der italienischen Oper sehr zu seinem Nachtheile aus. Erst – Direktorialstreitigkeiten. Beethoven glaubte mit Recht, die Direktion nicht Herrn Conti, und niemand besser als Herrn Wranitzky anvertrauen zu können. Unter diesem wollten die Herren nicht spielen. Die oben gerügten Fehler dieses Orchesters2 wurden sodann desto auffallender, da B.'s Komposition schwer zu executiren ist. Im Accompagniren nahmen sie sich nicht die Mühe auf den Solospieler Acht zu haben; von Delicatesse im Accompagnement, von Nachgeben gegen den Gang der Empfindungen des Solospielers u. dgl. war also keine Spur. Im zweiten Theil der Symphonie wurden sie sogar so bequem, daß, alles Taktirens ungeachtet, kein Feuer mehr – besonders in das Spiel der Blasinstrumente zu bringen war. Was hilft bei solchem Benehmen alle Geschicklichkeit – die man den meisten Mitgliedern dieser Gesellschaft im mindesten nicht absprechen will? Welchen bedeutenden Effekt kann da selbst die vortrefflichste Komposition machen?« usw.

Wir müssen uns mit diesem günstigen, wenn auch etwas kühlen [172] Bericht über das Konzert zufrieden geben, denn der junge Ries war noch nicht in Wien, um es unter seine Erinnerungen aufzunehmen, und ebenso wenig ein Mitglied der Familie Breuning, um über dasselbe an Bonner Freunde zu berichten; die Wiener Zeitung aber brachte in jenen napoleonischen Zeiten selten weitere Mitteilungen über die Konzerte, welche sie angezeigt hatte. Welches von den Klavierkonzerten Beethoven bei dieser Gelegenheit spielte, ist nirgendwo genau angegeben. Die Symphonie in C wurde bald in Deutschland bekannt; das Septett gewann rasch eine so ausgedehnte und dauernde Popularität, daß sie zuletzt dem Komponisten sogar unangenehm war. »Sein Septett konnte er nicht leiden und ärgerte sich über den allgemeinen Beifall, den es erhielt«, erzählte Czerny Otto Jahn. Letzterer hörte von Doležalek, das Septett sei beim Fürsten Schwarzenberg zuerst gespielt und sehr bewundert worden. »Das ist meine Schöpfung«, habe Beethoven bei dieser Gelegenheit gesagt. Das Thema der Variationen sollte, nach Czerny, ein rheinisches Volkslied sein (vgl. S. 205).

Ehe der Monat April zu Ende ging, spielte Beethoven noch einmal öffentlich, und zwar in einem Konzerte, welches Johann Stich, unter dem Namen Punto bekannt, veranstaltete. Dieser böhmische Horn-Virtuose war nach mehrjährigen Wanderungen schließlich von Paris über München nach Wien gekommen; derselbe stand unter Vorgängern und Zeitgenossen ohne Nebenbuhler da (seine Leistungen als Komponist waren unter der Kritik). Beethovens Vorliebe für jeden, dessen Fertigkeit ihm neue Belehrungen über die Fähigkeiten und möglichen Wirkungen eines Orchesterinstruments gewährte, ist dem Leser bekannt. Nichts war daher natürlicher als seine Bereitwilligkeit, für sich und Punto eine Sonate zu komponieren, welche sie in dem Konzerte des letzteren, am 18. April, spielen wollten. Wie uns Ries (S. 82) erzählt, war das Konzert mit der Sonate angekündigt, diese aber noch nicht angefangen. »Den Tag vor der Aufführung begann Beethoven die Arbeit und beim Concerte war sie fertig.« Seine Gewohnheit, seine eigene Partie nur zu skizzieren und sich auf sein Gedächtnis und die Eingebung des Momentes zu verlassen, die er selbst dann beibehielt, wenn er seine großen Konzerte öffentlich vortrug, tat ihm wahrscheinlich auch bei dieser Gelegenheit gute Dienste. Die Allg. Musikalische Zeitung (III, 704 vom 2. Juli 1800) enthält eine fernere interessante Mitteilung in bezug auf diese Aufführung mit Punto. »Der berühmte Punto hält sich jetzt in Wien auf. Er gab vor Kurzem eine Akademie (im Hoftheater), in welcher sich eine Sonate für Fortepiano [173] und Waldhorn, componirt von Beethoven und gespielt von diesem und Punto, so auszeichnete und so gefiel, daß trotz der neuen Theaterordnung, welche das da Capo und laute Applaudiren im Hoftheater untersagt, die Virtuosen dennoch durch sehr lauten Beifall bewogen wurden, sie, als sie am Ende war, wieder von vorn anzufangen und nochmals durchzuspielen.« Das Originalprogramm des Konzerts vom 18. April, in welchem die Sonate vorkommt, befindet sich im Archiv des Burgtheaters (Nottebohm, handschr. Bem. zu Thayers Verz.). Im Konzert der Frau von Frank (geborenen Gerhardi) am 30. Januar 1801 spielten sie die Sonate wieder. Im Januar 1800 war Punto noch in München.

Der 27. April war der Jahrestag, an welchem Maximilian Franz einst in Bonn eingezogen war, um die Funktionen des Kurfürsten und Erzbischofs zu übernehmen. Sechzehn Jahre waren seitdem vergangen, und an demselben Tage zog er mit geringer Begleitung wieder in Wien ein. Diesmal sah man kein »Schauspiel für die Götter« zu St. Pölten, als er auf seiner Reise wieder durch diesen Ort kam; nicht einmal das kaiserliche Schloß ließ Kaiser Franz zu seiner Aufnahme öffnen. Der arme Flüchtige fand seine Zuflucht in einem Esterhazyschen Gartenhause in einer Vorstadt, während das kleine Schloß hinter dem Garten von Schönbrunn, in dessen Nähe sich jetzt die Eisenbahnstation von Hetzendorf befindet, zu seinem Aufenthalte eingerichtet wurde; in dieses siedelte er bald nachher über, und dort verlassen wir ihn für jetzt.

Zu Ende Februar oder Anfang März hatte der Charlatan Daniel Steibelt jenes Konzert in Prag gegeben, welches ihm 1800 Gulden einbrachte. Doch machte nach Tomascheks3 Erzählung dieses Konzert, in Verbindung mit einigen moralischen Makeln, die Noblesse stutzen; ja sie zweifelte sogar an seiner Identität. »Obwohl seine Kunstleistung der Prager Noblesse nicht entsprach«, erzählt er weiter, »so wußte er auf eine andere Art bei ihr seine Rechnung zu finden. Er hatte nämlich eine Engländerin bei sich, die er für seine Frau ausgab, und die das Tamburin spielte, und ihn beim Pianoforte accompagnirte. In kurzer Zeit wurde der Wunsch, dieses Instrument so behandeln zu können, in allen Damen rege«, und die Engländerin nahm Schülerinnen an zu 12 Dukaten in Gold für ebenso viele Stunden, und einen Dukaten für ein Tamburin. »Dies machte, daß Steibelt sich einige Wochen in Prag aufhielt und einen [174] großen Wagen voll Tamburinen nach und nach verkaufte4. – Nach vollbrachter Spekulation ging er nach Wien, seine Börse mit Dukaten gefüllt, wo er vom Klavierspieler Beethoven aufs Haupt geschlagen wurde.« Seine Reise nach Wien fand im April oder Mai dieses Jahres statt. Auf seinen Aufenthalt daselbst bezieht sich folgende Erzählung von Ries (S. 81). »Als Steibelt mit seinem großen Namen von Paris nach Wien kam, waren mehrere Freunde Beethovens bange, dieser möchte ihm an seinem Rufe schaden. Steibelt besuchte ihn nicht; sie fanden sich zuerst eines Abends beim Grafen Fries, wo Beethoven sein neues Trio in B-Dur für Klavier, Clarinette und Violoncello (Op. 11) zum erstenmale vortrug.« [Dies ist natürlich ein Irrthum, da das Trio schon seit dem 3. Oct. 1798 veröffentlicht war.] »Der Spieler kann sich hierin nicht besonders zeigen. Steibelt hörte es mit einer Art Herablassung an, machte Beethoven einige Komplimente und glaubte sich seines Sieges gewiß. – Er spielte ein Quintett von eigner Composition, phantasirte und machte mit seinen Tremulandos, welches damals etwas ganz Neues war, sehr viel Effect. Beethoven war nicht mehr zum Spielen zu bringen. Acht Tage später war wieder Concert beim Grafen Fries. Steibelt spielte abermals ein Quintett mit vielem Erfolge, hatte überdies (was man fühlen konnte) sich eine brillante Phantasie einstudirt und sich das nämliche Thema gewählt, worüber die Variationen in Beethovens Trio geschrieben find5. Dieses empörte die Verehrer Beethovens und ihn selbst; er mußte nun aus Klavier, um zu phantasiren; er ging auf seine gewöhnliche, ich möchte sagen ungezogene Art aus Instrument, wie halb hingestoßen, nahm im Vorbeigehen die Violoncellstimme von Steibelts Quintett mit, legte sie (absichtlich?) verkehrt aufs Pult und trommelte sich mit einem Finger von den ersten Tacten ein Thema heraus. – Allein nun einmal beleidigt und gereizt, phantasirte er so, daß Steibelt den Saal verließ ehe Beethoven aufgehört hatte, nie mehr mit ihm zusammenkommen wollte, ja es sogar zur Bedingung machte, daß Beethoven nicht eingeladen werde, wenn man ihn haben wolle.« Im August befand sich Steibelt wieder in Paris, in einer für sein Talent passenderen Atmosphäre. –

Es war und ist noch eine allgemeine Sitte der Wiener, deren Stellung und äußere Verhältnisse es möglich machen, entweder den ganzen Sommer oder einen Teil desselben auf dem Lande zuzubringen. [175] Adel und Geldaristokratie ziehen sich auf ihre Landsitze zurück, mieten Villen für die Jahreszeit oder schließen sich dem Gewühle in einem der großen Badeorte an; aber auch die anderen Klassen suchen Zufluchtsstätten in den Dörfern und Weilern, welche ringsumher in den lieblichen Umgebungen der Hauptstadt liegen. Manches niedliche kleine Haus wird in denselben zu diesem Zwecke gebaut, und die Bauern haben in der Regel ein oder zwei überflüssige Zimmer, reinlich gehalten und hübsch möbliert, zum Gebrauche der Besucher freistehen. Beethovens Gewohnheit, während der heißen Monate der Stadt zu entfliehen, war daher nichts ihm Eigentümliches.

Boswell gibt uns in seiner berühmten Biographie Johnsons ein Verzeichnis der Häuser, welche der Doktor nacheinander in London bewohnt hat, und jeder unbefangene Leser wird ihm von Herzen für die Mühe danken, die er aufgewandt hat, um das Verzeichnis vollständig zu machen. Für uns ist ein Verzeichnis der Wohnungen Beethovens, auch wenn es nicht absolute Vollständigkeit erreicht, von doppeltem Wert; abgesehen von dem Vergnügen, welches wir in der Möglichkeit besitzen, den in der Erzählung mitgeteilten Erlebnissen einen bestimmten Schauplatz zu geben, gewährt es vielfach ein Mittel, das Datum wichtiger Briefe und in der Regel auch die Chronologie seines Lebens und seiner Werke bestimmt zu fixieren. Von dem Jahre an, bei welchem wir jetzt stehen, können wir mit geringer, ja beinahe ohne jede Unterbrechung Beethoven von Haus zu Haus, in der Stadt und auf dem Lande, den übrigen Teil seines Lebens hindurch begleiten. Für die vorhergehenden sieben Jahre ist freilich das Verzeichnis ein sehr unvollständiges.

Karl Holz erzählte Jahn folgendes: »Er (Beethoven) wohnte zuerst in einem Dachstübchen im Hause des Buchdruckers Strauß, in der Alservorstadt, wo es ihm kümmerlich ging6.« Dies ist ohne Zweifel eine von den Tatsachen, welche der neugierige junge Mann von dem Meister selbst während der kurzen Zeit erfuhr, in der er sein Faktotum war. Jenes Dachstübchen vertauschte Beethoven jedoch bald mit jenem, im ersten Bande erwähnten Zimmer »auf der Erde«. Der undatierte Brief von van Swieten (Bd. I2 S. 360) ist adressiert an Beethoven »No. 45 in der Alsergasse bei dem Fürsten Lichnowsky«. In dem Wiener Auskunftsbuche für 1804 findet sich eine Straße mit diesem Namen, und im »Alfergrunde« findet sich ein mit Nr. 45 bezeichnetes Haus nur in der Lämmelgasse [176] als Eigentum von Georg Musial, während ein Fürst Josef (!) Lichnowsky als Eigentümer des Hauses Nr. 125 in der Hauptstraße jener Vorstadt erscheint. Dies war aber dasselbe Haus, welches nur die Nummer gewechselt hatte; heute steht an der Stelle das Haus Alserstraße 30. Von da zog dann Beethoven als Gast in das von Fürst Karl Lichnowsky bewohnte Haus. Als er im Mai 1795 die Trios Op. 1 anzeigte, gab er als seine Wohnung das Ogylyische Haus in der Kreuzgasse (jetzt Metastasiogasse), hinter der Minoritenkirche, Nr. 35 im ersten Stock an, wohnte also nicht mehr bei Lichnowsky (vgl. S. 18). Die Wohnungen Beethovens während der nächsten vier Jahre haben sich nicht feststellen lassen; wie man jedoch aus der Konzertanzeige auf einer der vorherigen Seiten gesehen hat, wohnte er im Winter 1799–1800 im Tiefen Graben, und zwar »in einem sehr hohen und schmalen Hause«, wie K. Czerny an F. Luib schrieb. Nach Frimmel (Beethovens Wohnungen, N. Fr. Presse 1899, 11. August) war es das Hofrat Greinersche Haus, damals Nr. 241, später 235, jetzt Nr. 10 des Tiefen Grabens, welches auch heute mit wenigen Änderungen noch erhalten ist. Gestützt auf Czernys Mitteilung, man habe bis zum 5. oder 6. Stock zu Beethoven hinausblicken müssen, und auf die alte Angabe, Beethoven habe im Tiefen Graben bei »der kleinen Weintraube« gewohnt, neigt Frimmel zu der Ansicht, die Wohnung Beethovens habe in einem der höher gelegenen Häuser hinter dem Greinerschen Hause gewohnt, die ihren Zugang von dem Platze »am Hof« hatten, während man auch von den Häusern am Tiefen Graben zu denselben gelangen konnte, und auch vom Greinerschen Hause. Am Hofe lagen die Häuser mit dem Schilde »Zur Weintraube«.

Auf diese Zeit bezieht sich eine Anekdote, welcheDr. Frimmel auf Grund einer Mitteilung eines Herrn Rudolf Seyff erzählt. »Als Beethoven in jener Gegend wohnte, war er Unterpartei bei einer Frau Namens Prinz. Diese würdige Dame war als ein Ausbund von Nettigkeit und Sauberkeit bekannt und wurde durch Beethovens Nachlässigkeit in allen denkbaren äußerlichen Angelegenheiten gar unangenehm berührt. In höchst abfälliger Weise äußerte sie sich über den unordentlichen Komponisten. Derlei verdammende Aussprüche geschahen auch Frau Seyff gegenüber, in deren Familie sich dann die kleine Mitteilung vererbte.«

Im Sommer 1800 mietete er eine Wohnung für sich und einen Diener in einem jener Häuser von Unter-Döbling, zu denen man am leichtesten auf der Brücke über den Bach gelangt, nördlich von der Irrenanstalt zu Döbling, etwa eine Stunde Weges von der Stadt. Die [177] Frau eines namhaften Wiener Advokaten bewohnte mit ihren Kindern einen andern Teil des nämlichen Hauses; eins dieser Kinder war der berühmte Dichter Franz Grillparzer. Wirken nen bereits den Eifer, mit welchem Beethoven in jener Zeit sein Pianofortespiel noch zu vervollkommnen strebte, und wir wissen, wie wenig er es leiden konnte, wenn man ihm dabei zuhörte. Frau Grillparzer war eine Dame von seinem Geschmack und hoher Bildung, eine große Liebhaberin der Musik, und infolgedessen wohl imstande, die wunderbare Fertigkeit ihres Hausgenossen zu würdigen. Ihr Sohn erinnerte sich noch im Jahre 1861 des unermüdlichen Eifers, mit welchem Beethoven übte, sowie der Gewohnheit seiner Mutter, welche Beethovens Abneigung, belauscht zu werden, nicht kannte, vor ihrer eigenen Tür zu stehen und an seinem Spiel sich zu erfreuen. Sie hatte dies eine Zeitlang fortgesetzt, als eines Tages Beethoven plötzlich von seinem Instrumente aufsprang, zur Tür eilte und dieselbe öffnete, um zu sehen, ob jemand horche. Unglücklicherweise entdeckte er die Dame, und von diesem Augenblick an spielte er nicht mehr. Frau Grillparzer, welche erst hierdurch von seiner Empfindlichkeit in diesem Punkte Kenntnis erhielt, ließ ihm durch ihre Magd sagen, daß von nun an ihre Tür zu dem gemeinsamen Gange geschlossen sein solle; sie und ihre Familie wolle sich eines andern Ausganges bedienen. Es war vergebens: Beethoven spielte nicht mehr.

Eine andere verbürgte und charakteristische Anekdote kann auch nur in diesen Sommer gehören. In einem unmittelbar benachbarten Hause wohnte ein Bauer von einem nicht sonderlich guten Rufe; derselbe hatte eine außerordentlich schöne Tochter, die aber ebenfalls nicht des besten Leumunds genoß. Beethoven war in hohem Grade von ihr eingenommen und pflegte stehen zu bleiben und nach ihr hinzublicken, wenn er im Vorübergehen sie im Garten oder im Felde arbeiten sah. Sie erwiderte jedoch seine offenbare Zuneigung nicht, sondern lachte nur über die Beweise seiner Bewunderung. Einst nun wurde ihr Vater, weil er sich an einer Schlägerei beteiligt, verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Beethoven nahm für den Mann Partei und ging zu den Behörden, um dessen Freilassung zu bewirken. Als dies erfolglos war, wurde er heftig und beleidigend und wäre schließlich selbst verhaftet worden, wenn nicht einige, die ihn kannten, in ernstlicher Weise auf seine gesellschaftliche Stellung und auf den hohen Rang, den Einfluß und die Macht seiner Freunde hingewiesen hätten.

Während dieser Periode in Beethovens Leben ist jeder Sommer [178] durch eine bedeutende Komposition bezeichnet, die entweder gänzlich oder beinahe vollendet wurde, so daß sie bei seiner Rückkehr in die Stadt für die Revision und für den Kopisten fertig war. Frei von den Anforderungen der Gesellschaft, war er unbeschränkter Herr über seine Zeit; in Wald und Feld belebte sich seine Phantasie, seine Erfindungskraft steigerte sich, und Arbeit war ihm Genuß; denn für den Künstler von wirklich schöpferischer Kraft, der ja immer auch von einem edlen Ehrgeize beseelt ist, wird angestrengte Tätigkeit, um den Forderungen dieses Ehrgeizes nachzukommen, immer zu einer Quelle höchster Genugtuung. Ein wichtiges Werk trägt von des Meisters eigener Hand das Datum 1800. Es ist das große 3. Konzert für Klavier und großes Orchester in C-Moll (Op. 37), »vielleicht das höchste dieser Art von Kunstwerken, welches die Kunstliteratur von allen Meistern aufzuweisen hat«, wie E. L. Gerber i. J. 1812 sagt; auch heutzutage können wir demselben nur des Meisters eigene spätere Konzerte in G-Dur und Es-Dur an die Seite stellen. Da das Werk aber erst 1803 zum Vortrag kam, verschieben wir seine eingehendere Besprechung.

Beim Herannahen des Herbstes kehrte Beethoven in seine Wohnung am Tiefen Graben zurück. Durch Krumpholz wurde in diesem Jahre Johann Emanuel Doležalek7 bei ihm eingeführt, ein junger Mann von 20 Jahren, geboren zu Chotieborz in Böhmen, der nach Wien gekommen war, um bei Albrechtsberger Unterricht zu nehmen. Er spielte Klavier und Violoncell, war ein tüchtiger Musiker, in seinen jüngeren Jahren ein nicht unbeliebter Komponist böhmischer Lieder, und dann ein halbes Jahrhundert lang einer der besten Lehrer der Hauptstadt. Gegen Ende seines Lebens war er vielfach mit der Anordnung der Privatkonzerte – meist Quartette – des Fürsten Czartoryski und anderer hochgestellten Personen beschäftigt. Er war sein Leben lang ein begeisterter Verehrer Beethovens und genoß die Bekanntschaft und Freundschaft des Komponisten bis an dessen Tod, wie man aus den Konversationsbüchern erkennt. Dlabacz schließt eine Mitteilung über ihn folgendermaßen: »Im Jahre 1804 besuchte er die Hauptstadt seines Vaterlandes, bei welcher Gelegenheit ich das Glück hatte, sowohl seine vortreffliche Spielart [179] und seinen Gesang, als den seltenen Eifer für die slavische Literatur zu bewundern.« Im Jahre 1852 hatte Otto Jahn eine Unterredung mit ihm; die bei Gelegenheit derselben gemachten Aufzeichnungen sind an den geeigneten Stellen unserer Darstellung eingefügt. Unter seinen Mitteilungen waren von besonderem Interesse die über die Feindschaft der Wiener Komponisten gegen Beethoven (vgl. S. 130). Koželuch, erzählte er, warf ihm (Doležalek) das C-Moll-Trio vor die Füße, als er es ihm vorspielte. Zu Haydn sagte Koželuch über Beethoven: »Nicht wahr, Papa, wir hätten das anders gemacht?« Haydn antwortete lächelnd: »Ja, wir hätten das anders gemacht.« Auch Haydn habe sich in Beethoven nicht recht finden können. Doležalek erlebte mit Beethoven im Schwan (neben Hotel Munsch) die bekannte Szene, daß er bezahlen wollte, ohne gegessen zu haben.

Einer der fruchtbarsten und populärsten Komponisten, die Beethoven in Wien fand, war Franz Anton Hoffmeister, »Kapellmeister und K. K. privilegirter Musik-, Kunst- und Buchhändler«. Er war aus dem Neckartal eingewandert und hatte, wiewohl weit älter als Beethoven (geb. 1754), warme Sympathie und Freundschaft zu demselben gefaßt, welche letzterem in Anbetracht der in gewisser Weise ähnlichen Erfahrungen, die Hoffmeister als junger Künstler und noch dazu in Wien gemacht hatte, doppelt wertvoll sein mußte. Man erkennt dies aus dem ganzen Tone ihrer Korrespondenz. Im Jahre 1799 verließ er Wien, um eine musikalische Reise durch Deutschland und nach London zu unternehmen, änderte jedoch seine Absicht, als er nach Leipzig gekommen war. In dieser Stadt vereinigte er sich mit Ambrosius Kühnel, dem Organisten an der Kurf, Sächs. Hofkapelle, zur Gründung eines Verlagsgeschäftes, während er gleichzeitig sein Geschäft in Wien noch beibehielt. Bis zum Dezember 1800 fügte er seiner Firma den oben angeführten Titel hinzu; am 1, Januar 1801 aber zeigten die Ankündigungen in der Presse die Firma »Hoffmeister und Kühnel, Bureau de Musique in Leipzig« an (seit 1814 C. F. Peters). Bei seiner genauen persönlichen Bekanntschaft mit Beethoven ist es eben so ehrenvoll für die Talente des letzteren wie für den Geschmack und das Urteil Hoffmeisters, daß er unmittelbar nach der Einrichtung seines neuen Verlagsgeschäftes sich an Beethoven um Überlassung von Manuskripten wendete. Er erhielt folgende Antwort.8


[180] »Wien am 15. December 1800.

Geliebtester Herr Bruder!


Ich habe Dero Anfragen schon mehrmalen beantworten wollen, bin aber in der Briefstellerei erschrecklich faul, und da stehts lange an, bis ich einmal statt Noten trockne Buchstaben schreibe, nun habe ich mich endlich einmal bezwungen, Dero Begehren Genüge zu leisten.

Per primo ist zu wissen, daß es mir sehr leid ist, daß Sie, mein geliebter Hr. Bruder in der Tonkunst, mir nicht eher etwas zu wissen gemacht haben, damit ich Ihnen meine Quartetten hätte zu Markt bringen können, so wie auch viele andere Sachen, die ich nun schon verhandelt, doch wenn der Hr. Bruder eben so gewissenhaft sind, als manche andere ehrliche Stecher, die uns arme Componisten zu tod stechen, so werden Sie schon auch wissen, wenn sie herauskommen, Nutzen davon zu ziehen. – Ich will in der Kürze also hersetzen, was der Hr. Bruder von mir haben können. Imo Ein Septett per il Violino, Viola, Violoncello, Contrabasso, Clarinetto, Corno, Fagotto, – tutti obligati, (ich kann gar nichts unobligates schreiben, weil ich schon mit einem obligaten Accompagnement auf die Welt gekommen bin). Dieses Septett hat sehr gefallen. Zum häufigen Gebrauch könnte man die 3 Blasinstrumente, nämlich: Fagotto, Clarinetto und Corno in noch eine Violine, noch eine Viola und noch ein Violoncello übersetzen. IIo Eine große Symphonie mit vollständigem Orchester. – IIIo Ein Concert fürs Clavier, welches ich zwar für keins von meinen Besten ausgebe, so wie ein andres, was hier bei Mollo herauskommen wird (zur Nachricht an die Leipziger Recensenten), weil ich die Besseren noch für mich behalte, bis ich selbst eine Reise mache, doch dürft' es Ihnen keine Schande machen, es zu stechen. IVo Eine große Solo-Sonate9. Das ist Alles, was ich in diesem Augenblicke hergeben kann. Ein wenig später können Sie ein Quintett für Geigeninstrumente haben, wie auch vielleicht Quartetten und auch andre Sachen, die ich jetzt nicht bei mir habe. – Bei Ihrer Antwort können Sie mir selbst auch Preise festsetzen, und da Sie weder Jud' noch Italiener, und ich auch Keins von Beiden bin, so werden wir schon zusammen kommen.

Geliebtester Herr Bruder gehaben Sie sich wohl und sein Sie versichert von der Achtung Ihres


Bruders

L. v. Beethoven


Die Erwähnung der Quartette Op. 18 in diesem Briefe, in Verbindung mit den Entschuldigungen wegen langer Verzögerung des Schreibens beweist deutlich genug, daß wenigstens die erste Lieferung (Nr. 1–3) früh im Herbst in den Händen von Mollo u. Co. war. Das offerierte Klavierkonzert ist das in B-Dur, welches Hoffmeister und Kühnel Ende 1801 herausgaben (angezeigt 16. Januar 1802); das bei Mollo erscheinende ist das C-Dur. Die fast gleichlautend in einem Briefe von demselben Tage an Breitkopf und Härtel vorkommende Bemerkung, »weil [181] ich die besseren noch für mich behalte, bis ich selbst eine Reise mache«, ist wichtig, da sie die Gewißheit gibt, daß weitere Konzerte wenigstens entworfen waren und jedenfalls das C-Moll-Konzert von ihm als ein bereits existierendes aber noch zurückgehaltenes Werk behandelt wird.

Die Wichtigkeit der ersten Quartette in der Geschichte sowohl Beethovens wie der gesamten Kammermusik macht es natürlich sehr wünschenswert, von ihrem Ursprunge und der Zeit ihrer Komposition eine bestimmtere Kenntnis zu haben, als die unvollständigen, ungenügenden und nicht immer übereinstimmenden Angaben, die bisher bekannt sind, gewähren. Die Originalmanuskripte scheinen leider verloren zu sein, jedenfalls ist dem Verfasser nichts von demselben bekannt; sie würden gewiß die Daten der Entstehung enthalten. Wir schicken der Mitteilung der bisher bekannten Tatsachen einige Gedanken aus gewissen kritischen Artikeln und Notizen, die in jenen Jahren in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung er schienen, voraus. So äußert sich z.B. ein Rezensent dreier Streichquartette 1799 folgendermaßen: »Der Komponist muß ohne Zweifel sein eigenes Publikum haben, welches seine Quatuors abnimmt und Gefallen daran findet, denn sie kontrastiren mit Pleyels, Fränzels und anderer Quartetten zu sehr, um den Liebhabern dieser letzteren in Betreff des Geschmacks, Zuschnitts und der Ausführungsart gefallen zu können. Zwar mangelt es im Einzelnen nicht ganz an Stellen, welche den Schein des Gefälligen an sich haben; im Ganzen aber sind die Gedanken meistens bizarr, sie mögen nun aus einem eigenen, unwillkürlichen Humor geflossen, oder absichtlich so gesucht worden sein .... An seiner Ausführungsart nimmt man wahr, daß er meistens einen und denselben Satz zu lange, zu künstlich und auf eine ermüdende Weise verfolget, ohne einen andern Zwischensatz einzumischen, wodurch Mannigfaltigkeit und Abwechselung erzwecket werden könnte .... Diese Quatuors werden mehr Sensation durch das Bizarre, Humoristische und Gesuchte in der Ausführung, als durch das Angenehme und Ungezwungene erregen, und daher nur von denjenigen, welche mit dem Kompositeur hierin sympathisiren, Beifall erhalten.« Dieser Bemerkung folgt unmittelbar eine andere über zwei Variationenwerke. »Daß der Komponist ein sehr fertiger Klavierspieler ist, ist bekannt, und wenn es nicht bekannt wäre, könnte man es aus diesen Veränderungen vermuten. Ob er ein eben so glücklicher Tonsetzer sei, ist eine Frage, die nach vorliegenden Proben zu urteilen, schwerer bejahet werden dürfte« usw. So beginnt der Rezensent und fährt in demselben Tone eine ganze Seite lang fort. Unter einem etwas späteren [182] Datum ist wieder von drei Streichquartetten die Rede. »Ausführung des Hauptgedankens, Feuer, kräftige oft kühne Modulation und Einheit des Ganzen sind Eigenschaften dieser drei Quartetten. Daß der Komponist sich dem Schöpfer [Haydn] des eigentlichen wahren Instrumentalquartetts, der ewig auch eines der vorzüglichsten Muster in der Ausbildung seines eigenen Kindes bleiben wird – nachzueifern bemüht, sieht man vorzüglich an den Menuetten, und gewiß wird er in dieser Gattung von Musik nicht nur viel Gutes, sondern auch Vortreffliches liefern, wenn er seine Arbeiten mehr der Feile und seiner eigenen Kritik unterwirft, und vorzüglich auf seiner Hut ist, daß ihn sein Feuer nicht zu Modulationen und Härten hinreißt, die seine Werke unverständlich, barock und finster machen.« Nach anderthalb Seiten scharfer Beurteilung lesen wir schließlich den Wunsch, der Komponist werde sich »hoffentlich durch diese Bemerkungen nicht abschrecken lassen, mehr Proben seines Talents und seiner Kenntnisse dem Publikum vorzulegen« usw.

Jeder Leser, der überhaupt mit der musikalischen Kritik jener Periode bekannt ist und sich erinnert, daß Beethovens Quartette 6 Op. 18 in zwei Lieferungen erschienen, wird geneigt sein, überall, wo in den obigen Zitaten »der Komponist« gesagt ist, den Namen Beethovens zu setzen10. Die Variationen waren allerdings von ihm, die Quartette aber waren von Em. Al. Förster. Beethovens erste 6 Quartette sind niemals in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung rezensiert worden, obgleich ein Korrespondent im August 1800 (Jahrg. III. S. 800) von den ersten drei sagt: »Unter den neuen erscheinenden Werken zeichnen sich vortreffliche Arbeiten von Beethoven aus. Drei Quartetten geben einen vollgültigen Beweis für seine Kunst: doch müssen sie öfters und sehr gut gespielt werden, da sie sehr schwer auszuführen und keineswegs populair sind.« Wir werden weiterhin (S. 278 ff.) Gelegenheit haben, von der Behandlung zu sprechen, welche Beethoven in den ersten Jahrgängen dieser berühmten Zeitung erfuhr; wären seine Quartette beurteilt worden, so würde die Kritik lediglich ein Seitenstück zu jener über Försters Quartette bilden.

Emanuel Alois Förster (geb. 26. Januar 1748 zu Neurath in Österr.-Schlesien, gest. 12. November 1823 in Wien) stand übrigens sehr hoch in Beethovens Achtung; derselbe nannte ihn gelegentlich »seinen alten Meister«, was ohne Zwang dahin gedeutet werden kann, daß Beethoven [183] aus Försters Kammermusikwerken, besonders den Streichquartetten, die er bei Lichnowsky u.a. zu hören Gelegenheit genug hatte, in der Tat Lehren gezogen hat. Försters Musik, auch sein Klaviersatz, erinnert oft direkt an Beethovens Art und zwar durch Großzügigkeit. Es haben sich neuerdings (1909) datierte handschriftliche Kompositionen Försters bis zurück um 1775 im Besitz der Gräfin Contin de Castel-Saprio in Venedig gefunden, von denen der kleinste Teil durch Druck bekannt ist. Eingehendere Mitteilungen über dieselben sind in naher Zeit zu erwarten (vgl. Franz Ludwig »Zwei Briefe E. A. Försters«, Zeitschr. d. Internat. Musik-Gesellschaft X. S. 353, die Vermählung von Försters Tochter Eleonora mit dem Grafen Contin betreffend). Förster ist auf alle Fälle ein wichtiges Zwischenglied zwischen J. Schobert und Beethoven auf dem Gebiete der Kammermusik mit Klavier. Wir teilen hier einige 1872 von Thayer übermittelte Erinnerungen seines ältesten Sohnes mit, eines damals hochbejahrten Mannes, dessen Geisteskräfte aber noch frisch und ungeschwächt waren, und der einen wichtigen Posten als Kassenbeamter in Triest bekleidete. Er erinnerte sich Beethovens vollkommen genau und hat ihn von seiner frühesten Kindheit bis zu seinem Eintritte in den Militärdienst als Kadett, d.i. von 1803 bis 1813, häufig gesehen. Daß Beethoven, nachdem sich Albrechtsberger zurückgezogen, Förster für den ersten Lehrer des Kontrapunktes und der musikalischen Komposition in Wien hielt, ist aus anderen Quellen bekannt genug und wird durch die Mitteilungen des Sohnes völlig bestätigt. Auf Beethovens Rat ließ Förster im Jahre 1805 jene kurze »Anleitung zum Generalbaß« drucken, welche bei Breitkopf und Härtel erschien und in der Allgem. Mus. Ztg. vom 15. Oktober 1806 nachdrücklich empfohlen wurde. Einige Jahre später wandte sich Graf Rasumowsky an Beethoven um Unterricht in der musikalischen Theorie und speziell in der Quartettkomposition. Beethoven lehnte persönlich ab, empfahl aber dringend seinen Freund Förster, welcher infolgedessen auch engagiert wurde. Der Sohn erinnert sich, daß des Grafen Wagen zwei- oder dreimal in jeder Woche zu geeigneten Stunden kam, um seinen Vater in das Schloß in der Landstraßenvorstadt abzuholen. Man hatte die Abendstunden ausgewählt; Frau Förster benutzte häufig den Wagen mit und besuchte dann ihre Freundin Frau Weiß, die Gattin des Violaspielers, während ihre Männer bei Rasumowsky beschäftigt waren. Försters Haus war in jenen Jahren ein beliebter Versammlungsort der tüchtigsten Komponisten und Dilettanten. Dorthin kamen Beethoven, Nikolaus von Zmeskall, »ein etwas steifer Herr [184] mit üppigem weißem Haar«, Ignaz Schuppanzigh, »ein kleiner beleibter Mann mit einem dicken Bauche«, Franz Weiß, »lang und hager«, Joseph Linke, der lahme Violoncellist11, Heinrich Eppinger, der jüdische Dilettant auf der Violine, der junge Josef Mayseder, J. N. Hummmel und andere, auf deren Namen Herr Förster sich nicht mehr besinnen kann.

Diese Quartettzusammenkünfte fanden regelmäßig Sonntag Vormittags und Donnerstag Abends statt; Beethoven aber brachte in jenen Jahren häufig noch andere Abende bei Förster zu, und die Unterhaltung wandte sich gewöhnlich auf musikalische Theorie und Komposition. Trotz des großen Altersunterschiedes (22 Jahre) war ihre Freundschaft eine herzliche und aufrichtige; der Ältere schätzte und bewunderte nicht nur das Genie des Jüngeren, sondern achtete ihn auch als Menschen, und sprach von ihm nicht bloß als einem großen Komponisten, sondern auch als einem trotz seiner rauhen und unfreundlichen, selbst rohen Manieren ehrenwerten und edlen Charakter. Zu allem dem kommt die Tatsache, daß Beethoven in späteren Jahren Förster als seinem »alten Meister« Schüler empfahl12; die Annahme erscheint daher weder gezwungen noch unnatürlich, daß Beethoven bei Förster die Quartettkomposition studierte, ähnlich wie den Kontrapunkt bei Albrechtsberger, die Opernkomposition bei Salieri.

Die früheste uns bekannte Anregung Beethovens zur Komposition von Streichquartetten ist die von seiten des Grafen Apponyi, von der Wegeler berichtet (Bd. I2. S. 380); doch führte dieselbe nicht zu einem unmittelbaren Resultate (vgl. auch II2. 34). Dann schreibt Beethoven an Karl Amenda am 1. Juli 1801: »Dein Quartett gib ja nicht weiter, weil ich es sehr umgeändert habe, indem ich erst jetzt recht Quartetten zu schreiben weiß.« Das Amenda geschenkte Quartett war das in F-Dur Op. 18, 1 in seiner ersten Fassung. Dasselbe ist als Quartetto II auf den Stimmen bezeichnet. Daß die Nummern in der Ausgabe nicht die chronologische Folge angeben, ist auch anderweit bekannt. Czerny sagt in seinen Mitteilungen an Otto Jahn: »Von den sechs ersten Violinquartetten war das in D-Dur (im Stich Nr 3) das erste, welches Beethoven schrieb. Auf den Rat des Schuppanzigh ließ er aber das in F-Dur (obschon später geschrieben) als Nr. 1 erscheinen.« Dies bestätigt Ries (S. 103) in folgenden Worten: »Von seinen Violinquartetten Op. 18 hat er das dritte in D-Dur von allen Quartetten zuerst komponirt; das jetzt [185] voranstehende in F-Dur war ursprünglich das dritte.« Es war aber vielmehr das zweite, wie die Amendaschen Stimmen zeigen; freilich konnten weder Czerny noch Ries dieses aus persönlicher Beobachtung zu der Zeit, wo sie komponiert wurden, wissen; sie müssen die Tatsache von Beethoven selbst, oder wahrscheinlicher von Krumpholz, oder aus den Daten der Originalmanuskripte erfahren haben.

Der Erzählung Amendas verdanken wir noch eine weitere Mitteilung über das F-Dur-Quartett, über welche Wiedemanns »Musikalische Effektmittel und Tonmalerei« (bei Lenz, Bd. IV. S. 17) folgendes angibt: »Die Erfahrung«, schreibt er, »hat gelehrt, daß die Musik genau die Vorstellungen in dem Zuhörer hervorrief, welche der Komponist beabsichtigte. Ein Freund Beethovens, der jetzt verstorbene Probst Amenda in Kurland, erzählte mir eine hierher gehörige Anekdote. Als Beethoven sein bekanntes Streichquartett in F-Dur komponirt hatte, spielte er dem Freunde [auf dem Klavier?] das herrliche Adagio [D-Moll 9/8-Takt] vor und fragte ihn darauf, was er sich gedacht habe. Es hat mir, war die Antwort, den Abschied zweier Liebenden geschildert. Wohl, entgegnete Beethoven, ich habe mir dabei die Szene im Grabgewölbe aus Romeo und Julia gedacht.«

Amenda verließ Wien im Herbst 1799; Beethovens Widmung ist vom 25. Juni 1799 datiert; damals war also das erste Quartett in seiner ersten Gestalt fertig. Vgl. die ausführlichen Mitteilungen über Amenda S. 117 ff.

Noch lesen wir in dem Versteigerungskataloge von Beethovens Büchern, Musikalien und Manuskripten unter Rubrik II. (»Brauchbare Skizzen, Fragmente usw.«) die Nummern 52, 54, 57 und 64 bezeichnet als »Quartett-Skizzen, noch ungedruckt«; was aus denselben geworden, ist uns unbekannt, und sie bieten daher keine Unterstützung bei der gegenwärtigen Untersuchung; wir wissen nicht anzugeben, ob es verworfene Sätze zu Op. 18, oder vorläufige Studien, oder Teile unvollendeter Kompositionen älterer Zeit waren.

Weitere chronologische Notizen zu den Quartetten müssen wir, da die Originalhandschriften verschollen sind, den Skizzen entnehmen, über welche Nottebohm an verschiedenen Stellen Bericht gibt. In dem mehrfach erwähnten Petterschen Skizzenhefte (Notteb., II. Beeth. S. 60) finden sich Skizzen zum letzten Satze des G-Dur-Quartetts, zum letzten Satze des B-Dur-Quartetts (darunter eine, die später nicht benutzt wurde), beide von der gedruckten Fassung noch mehrfach abweichend, und zum dritten [186] und letzten Satze des F-Dur-Quartetts, letztere der endgültigen Form schon ziemlich nahe kommend; dieses war also schon weiter gediehen. Mit ihm zusammen stehen Skizzen zur B-Dur-Sonate Op. 22 und zu den leichten Variationen in G-Dur, welche während der Arbeit am letzten Satze des G-Dur-Quartetts angefangen wurden; am ersten Satze von Op. 22 und dem Scherzo des ersten Quartetts wurde gleichzeitig gearbeitet, während der Arbeit am letzten Satze des Quartetts in B wurde das Rondo von Op. 22 begonnen. Die Skizzen stammen aus 1799 und 1800. Da die Skizzen vor solchen zur Hornsonate stehen, welche am 18. April 1800 gespielt und sehr schnell fertig gestellt wurde (S. 202), so setzte Thayer wohl mit Recht die Skizzen vor diese Zeit.

Ein Stück der Variationen des A-Dur-Quartetts ist schon viel früher skizziert (1794 oder 1795).

Eine kleine Skizze zum ersten Satz des F-Dur-Quartetts neben den Skizzen zur Violinsonate Op. 24 (Nottebohm, II. Beeth. S. 231) gehört wohl der Umarbeitung des Quartetts an.

In einem Skizzenbuch, früher bei Graßnick in Berlin, stehen (Nottebohm, II. Beeth. S. 476) Skizzen zu dem Quartett in D-Dur, der endgültigen Form nahe kommend, nur mit einem anderen Thema zum letzten Satze. Dann ein Anfang in G-Dur, überschrieben Quartett 2, der Keim zum Thema des zweiten Quartetts; es gab also noch kein zweites, und das in D ist das erste. Dann folgt »Der Kuß«, Skizzen zum Opferlied, zum G-Dur-Rondo Op. 51 II, zu einer Stelle aus Schillers Freudenlied, zu Gellerts »Meine Lebenszeit verstreicht« in G-Moll, zu einem Intermezzo für Klavier, zu der Umarbeitung des B-Dur-Konzerts (das er 1798 in Prag spielte) und zu verschiedenen Liedern. Das weist also auf 1798. Dann kommen die Entwürfe zu den Variationen überLa stessa, la stessissima, welche im Anfang 1799 entstanden und erschienen sind (s. o. S. 104), und hierauf längere Skizzen zu den beiden ersten Sätzen des F-Dur-Quartetts, von denen namentlich die zum ersten Satze weit vorgerückt waren, weniger die zum zweiten. Einige Motive zum »dritten« Quartett (so die Aufschrift), die nicht verwendet sind, zeigen, daß es ein drittes noch nicht gab, also ist das in F-Dur das zweite und 1799 entworfen.

Ein anderes Skizzenbuch, früher im Besitze von Al. Fuchs (der es aus Beethovens Nachlaß gekauft), dann ebenfalls von Graßnick, hat die Fortsetzung der Skizzen zum F-Dur-Quartett, und zwar zu allen Sätzen (in einer nicht benutzten Skizze zum Adagio die Worte les derniers soupirs, was [187] Amendas Erzählung bestätigt), dann eine nicht benutzte Skizze zu einem »dritten« Quartett (dies existierte also immer noch nicht), dann zu zwei Goetheschen Liedern (darunter »Ich denke dein«), und hierauf zum G-Dur-Quartett, welches also das dritte war, zu allen vier Sätzen (im zweiten noch nicht das Intermezzo, welches also später entstand); darunter weiter Skizzen zum A-Dur-Quartett; dies war also das vierte. Dazwischen Skizzen zum Septett und u.a. zu den Variationen über »Kind, willst du ruhig schlafen«, welche im Dezember 1799 erschienen und also nicht viel früher komponiert waren. Also alles aus 1798 und 1799; die Quartette waren aber noch nicht fertig.

Die weitere Ausgestaltung des letzten Satzes zum G-Dur-Quartett fällt ins Jahr 1800 (Nottebohm, II. Beeth. S. 384).

Zum C-Moll-Quartett sind bisher keine Skizzen bekannt13.

[188] Das chronologische Ergebnis aus diesen Mitteilungen dürfte folgendes sein. Die Komposition der Quartette begann im Jahre 1798, und zwar [189] wurde damals das in D-Dur (jetzt das dritte) in Angriff genommen. Diesem folgte das in F und bald darauf (oder daneben) das in G, welches anfangs das zweite sein sollte; da aber das in F früher fertig wurde, so wurde dies jetzt als das zweite von Beethoven bezeichnet, und das in G wurde der Zeit nach das dritte. Jenes in F war in seiner ersten Gestalt vor dem 25. Juni 1793 fertig, an welchem Tage er es Amenda schenkte; dann hat er es umgearbeitet. Ob dies auch mit den übrigen geschah, darüber fehlt jede Andeutung. Die Äußerung von 1801, er habe jetzt erst recht Quartette schreiben gelernt, braucht nicht auf eine förmliche Unterweisung durch Förster gedeutet zu werden, sondern erklärt sich hinlänglich aus der fortgesetzten Übung in den sechs Quartetten. Eine starke Einwirkung Försters kann aber gleichwohl stattgefunden haben. Dann schrieb er als viertes das in A (jetzt Nr. 5); in diesem scheint er auch einmal ein früher entworfenes Motiv verwendet zu haben. Es folgten dann noch die in B-Dur und C-Moll, letzteres vielleicht das letzte (? vgl. S. 188 Anm.). Die definitive Ausarbeitung erstreckte sich jedenfalls noch bis ins Jahr 1800, vielleicht bis in 1801. Die Quartette erschienen dann in zwei Lieferungen bei Mollo, sie waren wahrscheinlich, jedenfalls die drei ersten, schon vor Ende 1800 in den Händen des Verlegers, wie der Verfasser wohl mit Recht aus dem Briefe an Hoffmeister [190] schloß. Die drei ersten erschienen im Laufe des Sommers 1801 und wurden schon im Juli von Nägeli in Zürich als zu haben angezeigt14, am 26. August sind sie in der Allg. Musikal. Zeitung und in Spaziers Zeitung für die elegante Welt erwähnt. In demselben Jahre im Oktober erschienen die drei letzten (am 28. Oktober u. ff. von Mollo in der »Wiener Zeitung« angezeigt). Die Quartette wurden dem Fürsten Lobkowitz gewidmet.

Beethoven hat mit diesen Quartetten einen sehr energischen Schritt vorwärts getan; er hat sich ein neues Ausdrucksorgan geschaffen, mit dem er viele bisherige abschüttelte, und welches er jetzt als das wirksamste beibehielt und weiter ausgestaltete. Bisher hatte er, was ihn tiefer bewegte, fast ausschließlich seinem Instrumente, dem Klavier, allein oder mit Begleitung, anvertraut: alles andere war Spiel (die Serenaden, die Sextette), zum Teil Erinnerungen an frühere Zeiten (die Blasinstrumente), zum Teil Gelegentliches (die Lieder); das tut er jetzt ab, er findet sich selbst, er findet in dieser Zusammensetzung das Mittel, was ihn von da an begleitet. Eine wichtige Vorstufe hatte er schon in den musikalisch hochvollendeten, die Instrumente schön behandelnden StreichtriosOp. 9 betreten; doch wird ihm die vierte Stimme manchmal gefehlt haben. Daß er es mit der Quartettkomposition ernst nahm, zeigen die Vorstudien; hier nicht nur die Skizzen; wenn er ein Haydnsches Quartett, einen Mozartschen Satz sich selbst in Partitur setzte und auch, woran wohl nicht zu zweifeln, mit einem geübten Quartettkomponisten wie Förster Rücksprache nahm, wenn er selbst sagt, »er habe nun erst recht Quartette schreiben gelernt«, so sehen wir, mit welchem Eifer er bei dieser Sache war. Er liefert gleich sechs Quartette, gerade wie Mozart Haydn gleich deren sechs widmete; man sieht, er wollte sich in dieser von seinen großen Vorgängern ausgebildeten, ihm selbst noch neuen Gattung recht befestigen. Das ist ihm gelungen. Die Erinnerung ans Klavierspiel ist hier fast völlig überwunden; nicht nur sind die Motive und Melodien ganz für die Streichinstrumente gedacht und gesetzt – gesangvoll, technisch entsprechend, der Wirkung gerade dieser Instrumente angepaßt –, sondern auch das Zusammenspiel, die Selbständigkeit jedes einzelnen ist schön beachtet. Auch wo nicht eigentlich polyphoner Stil herrscht, wurden die Stimmen durchweg selbständig geführt und sind nicht nur begleitend, jede hat etwas Selbständiges zu sagen, jede erscheint als Individuum.

[191] Im übrigen wollen wir über diese allbekannten Werke hier nicht ausführlich sein; wem, der sie gespielt und gehört hat, könnte man viel Neues darüber sagen? Zudem sind sie oft behandelt; wir nehmen Bezug auf die betreffenden Abschnitte bei Lenz (III. S. 168 fg.), Marx (I. S. 202 fg.), Wasielewsky (I. S. 131 fg.) und auf das Buch von Th. Helm »Beethovens Streichquartette« (Leipzig 1885), welches, vielfach sich an Marx anschließend, den Empfindungsgehalt der Quartette in sinniger und anregender Weise darzulegen sich bemüht.

Daß Beethoven äußerlich nicht neue Wege einzuschlagen, sondern die Kunst seiner Vorgänger sich anzueignen und mit seiner Individualität fortzusetzen bestrebt war, wird wohl jedem einleuchten. Und zwar zeigt die im ganzen (vielleicht mit einer Ausnahme) strenge Festhaltung der Form, mehr noch das Streben nach geistiger oder seelischer Vertiefung des Inhalts, daß ihm auch hier Mozart mehr als anderes als Muster vorschwebt. Das ist im einzelnen noch bestimmter nachzuweisen. Es ist schon von anderen bemerkt und uns immer zweifellos gewesen, daß ihm für das fünfte Quartett (A-Dur) das in derselben Tonart stehende Mozartsche Quartett in A als Modell gedient hat, nicht natürlich in den Motiven, aber in der Anordnung und Gestaltung der Sätze und vieler Einzelheiten. Der frische erste Satz, das elegante Menuett können schon genannt werden; sprechend aber ist die Verwendung der in Wohllaut schwelgenden Variationen in D in beiden und das ruhige Thema (wenn auch an verschiedenen Stellen verwendet) in den letzten Sätzen. Aber auch sonst wird man Mozartschen Erinnerungen wiederholt begegnen. Die Quartette sind eine Huldigung an Mozart, wie die sechs Mozartschen eine solche an Haydn gewesen waren; aber wie dort, so ist auch hier die Individualität des jungen Meisters voll zur Geltung gekommen. Der erste Satz des ersten Quartetts (bei welchen man nur vergessen muß, wie oft man es gehört hat) ist ein wahres Meisterstück klarer, einheitlicher, durchsichtiger Gestaltung auf der Grundlage eines (auch sonst bei Beethoven beliebten) Motivs; das kurz verlaufende Seitenmotiv tritt ihm in hübscher Gegensätzlichkeit gegenüber, kleine polyphone Teile treten in der Durchführung belebend auf; von ein paar heftigen Akzenten abgesehen, ist der Grundzug ein frischer, heiterer. Das Adagio ist eins der schönsten, die er geschrieben, und ein Höhepunkt dieser Quartette; man hat es nicht ohne Recht mit dem D-Moll-Adagio der Sonate Op. 10, 3 verglichen. Tiefste Traurigkeit, in rührendem langen Gesange (wie ihn das Klavier nie hervorbringen könnte), gemischt mit Leidenschaft, am Schluß (auch [192] schon vorher angedeutet) zu heftigem Aufschrei gesteigert und dann in volle Hilflosigkeit versinkend; als Gegensatz zweimal ein rührender, gesangvoller Gegensatz, dessen Tröstung aber rasch verklingt. Auf eine bei Beethoven öfter verwendete Klangwirkung, die Führung der beiden Mittelstimmen in Oktaven15, ist besonders hinzuweisen; er hat sie in den Quartetten mehrmals verwendet. Alle Instrumente kommen zur charakteristischen Verwendung, gegen den Schluß besonders schön das Violoncell. Beethoven soll selbst (S. 186) erzählt haben, ihm habe dabei die Grabesszene aus Romeo und Julia vorgeschwebt; eine Bestätigung scheint Nottebohms Anführung einer (aber nicht benutzten) Skizze zu geben, die überschrieben ist: les derniers soupirs. Das kecke Scherzo mit dem originellen Trio führen ins frische Leben zurück. Der letzte Satz (Rondo), mit dem eilenden (später kunstvoll durchgeführten) Triolenthema, den Imitationen im Seitensatze, und besonders der doppelt-kontrapunktischen Stelle in der Durchführung, ist trotz des im ganzen Mozartschen Zuschnitts überreich an echt Beethovenschen Zügen; so namentlich die Modulation in den Achtelgängen und vor dem Schluß, wo er zu der Hauptfigur noch ein ganz neues Motiv auftreten läßt.

Dieses Quartett ist also »umgearbeitet«; die Urform befindet sich in den Händen der Nachkommen Amendas. Die im zweiten Märzheft der »Musik« 1904 von Karl Waack veröffentlichte Gegenüberstellung der Durchführung des ersten Satzes in der älteren und der umgearbeiteten Form erweist übrigens, daß es sich bei der Umarbeitung hauptsächlich um Ausmerzung von Begleitformen wie 5. Kapitel. Das Jahr 1800 handelt, welche die Zeichnung nicht klar genug hervortreten lassen und mehr orchestermäßig sind; ferner um gelegentliche Verbreiterung der Klangwirkung durch bessere Ausnutzung der zur Verfügung stehenden 4–5 Oktaven des Quartetts, Beseitigung zu häufiger längeren Pausen im Violoncellpart usw., überhaupt um eine vertiefte Kenntnis der spezifischen Quartettwirkungen. Einige Veränderungen an der Komposition selbst sind dabei mehr ein zufälliges Ergebnis, wie es bei der Umschreibung eines Werkes durch den Autor beinahe selbstverständlich ist.

Das zweite Quartett (G-Dur), durchweg in froher Stimmung verlaufend, zeigt gleich im ersten Thema drei ganz verschiedene Motive, die alle später zur Verwendung kommen; überhaupt ist der Reichtum der Erfindung, die Abwesenheit aller Phrasen, dann die echt quartettmäßige [193] Behandlung der Stimmen ganz erstaunlich; hübsch und echt Beethovenisch ist auch der gleichsam zweifelnde Schluß, der sich aber rasch wieder aufrafft. Die eleganten verbindlichen Wendungen haben dem Quartett unter den Musikern den Namen des »Komplimentierquartetts« gegeben; wir möchten aber doch raten, sich nicht durch solche Deutungen, die sich anderswo wieder nicht als stichhaltig erweisen, den musikalischen Genuß trüben zu lassen. Als zweiter Satz erscheint ein sehr ernstes, getragenes Adagio; ihm wird, was wiederum als neu erscheint, ein Allegro, welches gleichsam neckend an die Schlußfigur anknüpft, eingewebt, dem wieder dasAdagio, mit rascheren Figurierungen verziert, wie eine strenge Mahnung gegenübertritt (vgl. dazu das Finale von Op. 27 I). Munter und echt quartettmäßig ist das Scherzo, und überaus humorvoll und fröhlich, ganz den Sätzen in den beiden ersten Trios entsprechend, der letzte Satz; wie denn Beethoven überhaupt die letzten Sätze alle zu höherer Bedeutung erhoben hat. Hier kommt auch ein Anklang an den letzten Satz des Es-Dur-Trios vor.

Im dritten Quartett (D-Dur, dem eigentlich ersten), ist der einfache Septimenschritt (Anfang) geradezu gestaltend für das Ganze; vielfach greift er fördernd ein, geradezu gebietend in der bewegten Durchführungspartie, und ruhig zurückführend nach der starken Erhebung. Man beachte aber die merkwürdige rhythmische Natur dieses dominierenden Motivs:


5. Kapitel. Das Jahr 1800

Mit dieser Dehnung der Anfangsnoten folgte Beethoven dem Beispiele Haydns in dem bekannten C-Dur-Quartett:


5. Kapitel. Das Jahr 1800

(eine Ganze statt ein Viertel). Takt 27 und noch oft tritt aber das Motiv an der Grenzscheide zweier Perioden ein, die erste Ganze auf dem Schlußtakt (8), die zweite auf dem ersten Takt der neuen Periode, was eine ganz frappante Wirkung macht. Die Stimme, welche es in solchen Fällen bringt, kadenziert sozusagen selbständig, ohne den Periodenbau der eigentlichen Melodieführung zu stören. Solche Bildungen Beethovens, von deren Auffassung in letzter Linie das Verständnis des Ganzen abhängt, bekunden eine Universalität seines rhythmischen Vermögens, über welche noch viele Bücher geschrieben werden müssen, ehe sie Gemeingut werden.

[194] Sollen wir noch auf weitere Schönheiten hinweisen? Jeder wird sie finden. Das zweite Thema beginnt scheinbar in C-Dur wendet sich aber schnell über A- Moll in das normale A-Dur, das es mit dem energischen Forte ergreift. Schöne, warme Stimmung weht aus dem Andante, sie ist ganz ein Bild der hoffnungsvollen Wiener Zeit. Bemerkenswert ist das beklommene Hervortreten des Motivs nach der Entwickelung des zweiten Themas, und ganz im Gegensatze die Festigkeit und Sicherheit in der Sextolenbewegung gegen den Schluß. Beruhigend das Scherzo, ernst und ängstlich das Minore; eine geniale Konzeption der letzte Satz mit seiner hurtig hinfliegenden Figur, welche dem ganzen den Charakter unaufhaltsamer Eile aufprägt, etwas in Zaum gehalten durch festere Motive. Beethoven wollte dem Quartett anfangs einen anderen letzten Satz geben, dessen Skizze man bei Nottebohm (II. B. S. 477) findet.

Diesem leicht gewobenen Werke folgte dann das hochpathetische, ernste, von Zweifeln und wieder inständigem, sehnsuchtsvollem Verlangen erfüllte vierte Quartett in C-Moll. Kraft, Festigkeit, nicht ohne Zweifel und Verlangen, atmet der herrliche erste Satz; es ist, als habe hier der Meister die tiefere Seite seiner Natur jenen leichteren Spielen gegenüber offenbaren wollen. Ein Meisterstück seiner Technik und anmutigen Ausdrucks ist das scherzende Allegretto, hervorragend auch durch die polyphone Behandlung; das tritt aber alles nicht um seiner selbst willen auf, sondern fügt sich in den organischen Bau leicht ein. Auf die Verwandtschaft mit dem zweiten Satze der C-Dur-Symphonie wies Wasielewski hin, Leidenschaftlich bewegt ist wieder das Menuett (hier und im folgenden braucht Beethoven wieder diese Bezeichnung)16, und verlangend auch das Trio. Besonders charakteristisch ist dann wieder der letzte Satz mit seinen kurzen, stürmisch daherfahrenden Sätzen. Die äußere Form ist ja ähnlich auch von seinen Vorgängern angewandt; der Geist ist der Beethovensche. Mit bestimmtem, festem Schritte tritt er auf, wie zu einem Turnier (mit Helm zu reden) – wir überlassen jedem, was er darin finden will – und führt uns verschiedene Bilder vor; darunter umfängt uns namentlich der schöne Dur-Satz (zuerst Es, später C) wie ein wonnetrunkener Blick in ferne Zukunft. Ein fester Entschluß siegt.

Über das fünfte Quartett (A-Dur) machten wir schon eine Andeutung; es schließt sich am meisten an Mozart an (den letzten Satz [195] und die Variationen von Mozarts A-Dur-Quartett hatte sich Beethoven kopiert). Höhepunkte echt Beethovenscher Art sind z.B. das Trio des Menuetts (wo der schöne Zusammenklang der Mittelstimmen wieder hervortritt), die Coda der Variationen, wo der Eintritt des B-Dur echt Beethovenisch ist. In diesen Variationen hat er überhaupt zeigen wollen, was er in wonnigem Wohllaute leisten konnte. Im Unterschiede von seinen sonstigen Variationen tritt hier keine in Moll auf: man wiegt sich unablässig in seligem Behagen und bewundert den Meister, dem die Mittel zu dieser Farbenpracht so willig zu Gebote stehen.

Auch das sechste Quartett (B-Dur) ist heiter angelegt, männlichkräftig; ihm tritt ein zweites Thema von weicherem Ausdruck und nicht ohne trübe Anklänge gegenüber. Will man die beiden Prinzipien, von denen Beethoven auch sonst spricht, hier wiederfinden und sie das männliche und weibliche nennen, so wollen wir nicht widersprechen; jedenfalls haben wir es mit dem festen, frohen Hinschreiten eines nach Befriedigung strebenden Gemütes zu tun, welches aber auch trübe Gedanken zu verscheuchen hat. DasAdagio, elegant und doch warm, mit schöner Stimmführung und überaus wohlklingend, macht auch einmal einen Ansatz zu unzufriedener Klage, der sich aber am Schlusse (in dem C-Dur) wundervoll löst. Höchst originell, besonders in dem Betonen des letzten Achtels, ist das Scherzo, leicht hinfliegend das Trio. Es folgt die berühmte Malinconia; hier sammeln sich in einem kurzen, »mit größter Delikatesse« vorzutragenden Adagio die früher schon angedeuteten Elemente des Mißmuts wie in einem Brennpunkt. Ein charakteristisches Stück dieser Art hatte er noch nicht vorgelegt; der melancholische Grübler, der sich nur in sich selbst verzehrt und mit nichts zufrieden ist, wird hier in treffenden Farben gezeichnet. Die umgekehrten Doppelschläge der langen Schlußnoten, die zuletzt sogar in allen vier Instrumenten gleichzeitig auftreten, dann besonders die mit E-Moll beginnenden Gänge, wo die tiefere Stimme immer den Leitton der nächstfolgenden Molltonart ergreift und wir so fast durch alle Molltonarten geführt werden, malen so recht den eigensinnigen, mit nichts zufriedenen Melancholiker. Es ist Zeit, daß er sich aufrafft, und das muntere, leicht geschürzte Allegretto quasi Allegro vollzieht diese Aufgabe. Ob er nun einen Kampf in sich selbst darstellen, oder zwei Persönlichkeiten gegenüber stellen will (er war ja schon früh geschickter Charaktermaler), ist für die musikalische Auffassung ganz gleichgültig, für diese braucht man die etwaige tatsächliche Grundlage nicht zu kennen; wir haben auch keine Mittel, sie zu erforschen. Das ist nicht Programmmusik, [196] wie man sie jetzt versteht, das ist Seelenleben, wie es Beethoven immer als die alleinige Aufgabe der Musik betrachtet hat. Nach dem Ablaufe der munteren, ausgelassenen Fröhlichkeitsschilderung tritt der Melancholische nochmals auf, läßt sich aber in dem kurzen, anmutigen Wechselgespräche leicht beschwichtigen. Wie hübsch das freundliche Zusprechen am Schluß, wo das Thema des Allegretto sich verlangsamt; ein froher Aufschwung, und der Hypochonder ist ausgetrieben.

Das ist ganz Beethoven; dergleichen hatten die Vorgänger nicht geboten.

Aber in der ganzen Sammlung ist ein großer Schritt vorwärtsgetan. Das leichtere Spiel mit dem Tonelemente ist nun abgetan; selten kehrt er noch einmal dahin zurück. Er hat sich selbst gefunden, er weiß jetzt, welchen Organen er (neben dem Klavier) seine tiefsten Freuden und Schmerzen anzuvertrauen hat. Das Jahr des Quartette und der ersten Symphonie bezeichnet einen gewaltigen Schritt in seiner Entwicklung; mit voller Kraft strebt er von jetzt an der Höhe zu.

Die bereits in der ersten Auflage des ersten Bandes geäußerte und in der zweiten Auflage desselben weiter ausgeführte und begründete Ansicht, daß frühere, aus Bonn mitgebrachte Kompositionen Beethovens, um das Wenigste zu sagen, die Grundlage zu einem großen Teile der während der ersten zehn Jahre in Wien veröffentlichten Werke gewesen seien, findet im ferneren Verlaufe unserer Untersuchungen immer neue Bestätigungen. Wenn auch nicht ausgeschlossen ist und auch von uns als tatsächlich angenommen wurde, daß spät bei Lebzeiten herausgekommene früh geschriebene Werke nicht einmal umgearbeitet, sondern in ihrer ursprünglichen Gestalt in Druck gegeben sind – von den nachgelassenen Jugendwerken versteht sich das ja von selbst – so ist doch im weitesten Umfange im Auge zu behalten, daß wirkliche gründliche Umarbeitungen in vielen Fällen angenommen werden müssen. Es fehlt auch nicht an Zeugnissen, welche das direkt bestätigen.

Dahin gehören z.B. Auslassungen in Briefen Drouets, welche von Joh. Fr. Kayser in der »Zeitung für Gesangvereine und Liedertafeln« (Hamburg 1858) Bd. II, S. 67, 68 herausgegeben wurden. Louis Drouet, 1793 in Amsterdam geboren, war der ausgezeichnetste Flötenvirtuose seiner Zeit, und seine außerordentliche Fertigkeit gewährte den Wienern im Sommer und Herbst 1822 ebensoviel Vergnügen wie Staunen. Im Jahre 1836 wurde er Hofkapellmeister in Koburg, lebte später in New York, Frankfurt a. M. und zuletzt in Bern, wo er am 30. Sept. 1873 starb. In dem [197] fraglichen, umständlichen Briefe setzt Drouet die Erzählung einer Unterhaltung fort, welche stattgefunden habe zwischen ihm und einer hochgebildeten musikalischen Dame, der Gattin eines Engländers. Ob die folgenden Zitate wirklich historisch sind oder zu den absurden Phantasiestücken über Beethoven gerechnet werden müssen, welche Richard Wagner, Luise Mühlbach, Elise Polko et id omne genus der Gartenlaube und ähnlichen »literarischen« Tagesblättern geliefert haben, dafür gibt es wahrscheinlich heute kein Mittel sicherer Entscheidung. Daß aber Drouet Beethoven in Wien besuchte, ist eine beinahe natürliche Sache, und die Art, wie Karl Holz ihn in den Konversationsbüchern erwähnt, läßt es sicher erscheinen, daß Beethoven ihn persönlich gekannt hat. Auch ist nichts Unwahrscheinliches in der Annahme, daß der junge Flötist den Rat des älteren Komponisten über Instrumentalkompositionen einholte, oder daß Beethoven, indem er ihn vor einem bei jungen Männern in ihren früheren Arbeiten gewöhnlichen Fehler warnte, seinem Rate durch die Erzählung seiner Erfahrungen mit dem würdigen Haydn Nachdruck gegeben habe. Mit anderen Worten, der wesentliche Inhalt der Erzählung trägt alle Merkmale der Wahrheit. Dieselbe mag deshalb von ihrer früheren Stelle im Anhange in den Text herüber genommen werden.

»Haydn«, sagt Drouet, »war gewiß ein großer Musikus, einer der größten die jemals gelebt haben, und doch hat er sich in Bezug auf Beethoven, den Sie so sehr lieben, geirrt. Als er dessen erste Trios ansah, über welche man ihn nach seiner Meinung fragte, sagte er:, Aus diesem jungen Manne wird nie etwas werden:«

»Ganz und gar nicht«, antwortete die Dame, »man schreibt diese Worte Haydn zu, aber er hat sie nicht gesagt, und Sie wissen das wohl, da sie mir es selbst bei der Herzogin von Belgiojoso erzählt haben. Sie hatten mit einem Sohne Mozarts davon gesprochen, der damals in Pesth war, wo er in dem Rufe stand, gut Clavier zu spielen, hübsche Lieder zu componiren und ausgezeichnet gut Billard zu spielen; Sie hatten noch mit einem andern Sohne Mozarts darüber gesprochen, der zu jener Zeit bei der Briefpost in Mailand angestellt war und dort vergebens versucht hatte, den ›Don Juan‹ zur Geltung zu bringen; aber noch mehr als dies alles, Beethoven selbst hat mit Ihnen über diese kleine Angelegenheit gesprochen, die nach meiner Meinung eine sehr große Angelegenheit für die Musiker ist. – Als Beethoven, noch sehr jung (fuhr die Dame fort), seine ersten Arbeiten Haydn zeigte, und diesen um seine Meinung befragte, sagte ihm Haydn: ›Sie haben sehr viel Talent, Sie werden[198] noch mehr, ja ungeheuer viel Talent erwerben. Ihre Einbildungskraft ist eine unerschöpfliche Quelle von Gedanken, aber ... wollen Sie, daß ich offen mit Ihnen rede?‹ – ›Gewiß‹, antwortete der junge Beethoven ›denn ich bin hier, um Ihre Meinung zu hören.‹ ›Nun gut‹, sagte Haydn, Sie werden mehr leisten, als man bis jetzt geleistet hat, Gedanken haben, die man noch nicht gehabt, Sie werden nie (und Sie tun recht daran) einer tyrannischen Regel einen schönen Gedanken opfern, aber Ihren Launen werden Sie die Regeln zum Opfer bringen; denn Sie machen mir den Eindruck eines Mannes, der mehrere Köpfe, mehrere Herzen, mehrere Seelen hat, und ... aber ich fürchte, ›Sie zu erzürnen‹ – ›Sie werden mich erzürnen‹, sagte Beethoven ›wenn Sie nicht fortfahren.‹ – ›Gut dann‹, erwiederte Haydn ›weil Sie es wollen‹, fahre ich fort und sage, daß, meiner Meinung nach, immer etwas – um nicht zu sagen: Verschrobenes – doch: Ungewöhnliches in Ihren Werken sein wird: man wird schöne Dinge darin finden, sogar bewunderungswürdige Stellen, aber hier und da etwas Sonderbares, Dunkles, weil Sie selbst ein wenig finster und sonderbar sind, und der Styl des Musikers ist immer der Mensch selbst. Sehen Sie meine Compositionen an. Sie werden darin oft etwas Joviales finden, weil ich es selbst bin; neben einem ernsten Gedanken werden Sie einen heiteren finden, wie in Shakespeares Tragödien. In einem meiner Quartette fängt ein Satz in einer Tonart an und endigt in einer andern; in der einen meiner Symphonieen hört ein Musikus nach dem andern auf zu spielen, löscht sein Licht aus und geht fort. Muß man nicht heiter sein, um solche Dinge zu erfinden? Nun wohl, nichts hat diese natürliche Heiterkeit bei mir zerstören können – selbst nicht meine Heirath und meine Frau ... ... Uebrigens war, zu der Zeit, wo Haydn die ersten Werke Beethovens sah, dieser noch sehr jung, der Baum war noch zu dick belaubt, er mußte ausgeputzt werden; in den ersten Compositionen Beethovens war alles Ueberfluß. Welch schöner Fehler ist aber der einer übertriebenen Kraft, eines übergroßen schöpferischen Reichthums – man muß vielleicht in der Jugend zu viel davon haben, um im Alter genug davon zu besitzen.«

Drouet: »Aber in den ersten Werken Beethovens sehe ich nicht jenen ungeheuren Ueberfluß von Gedanken; sie scheinen mir gut in jeder Beziehung; ich sehe kein zu Viel und es wäre wohl Schade, etwas davon zu thun; es sind nicht mehr Gedanken darin als nöthig, sie sind gut verarbeitet; es ist gute musicalische Rhetorik.«

Die Dame: »Sie finden die ersten Compositionen Beethovens sehr [199] gut, weil Sie sie kennen wie sie gedruckt worden sind, aber nicht wie er sie Haydn zeigte.«

Drouet: »Diese Bemerkung ist sehr richtig, ich dachte nicht daran, aber ich entsinne mich jetzt ganz genau, daß Beethoven mir sagte, als ich von seinen ersten Arbeiten sprach: ›sie sind nicht so gedruckt, wie ich sie zuerst geschrieben hatte; als ich meine ersten Manuscripte, einige Jahre nachdem ich sie geschrieben, ansah, habe ich mich gefragt, ob ich nicht toll war, in ein einziges Stück zu bringen, was dazu hinreichte, zwanzig Stücke zu componiren. Ich habe diese Manuscripte verbrannt, damit man sie niemals sehe, und ich würde bei meinem ersten Auftreten als Componist viele Thorheiten begangen haben ohne die guten Rathschläge von Papa Haydn und von Al brechtsberger‹.« –

Nachdem die sechs Quartette durch die Veröffentlichung dem Publikum bekannt geworden waren, berichtete Doležalek Beethoven, daß nur das zweite und vierte gefallen hätten. Er sagte unwillig: »Das ist ein rechter Dreck! gut für das ... publikum«17 (die ausgelassene Silbe, welche die höchste Verachtung ausdrückt, ist nicht mitteilbar). Derselbe Doležalék brachte seinem Lehrer Albrechtsberger eine Arbeit über eins der Quartette. Albrechtsberger fragte: »Von wem ist denn das Zeug?« Auf Doležaleks Antwort: »Von Beethoven«, sagte Albrechtsberger: »Gehen Sie nicht mit dem um, der hat nichts gelernt, und wird nie etwas ordentliches machen.«

Eine Mitteilung über ein wertvolles Geschenk, welches Beethoven von seinem milden und freigebigen Beschützer, dem Fürsten Karl Lichnowsky, erhielt, verbindet sich von selbst mit der Erzählung von den Quartetten. Der verstorbene Alois Fuchs, Violinist in der K. K. Hofkapelle, beschrieb dieses Geschenk unter dem Datum des 2. Dezember 1846 in folgender Weise: »Ludwig van Beethoven besaß ein vollständiges Streichquartett von ausgezeichneten Instrumenten italienischer Meister, welches ihm von seinem fürstlichen Gönner und Freunde Lichnowsky auf Veranlassung des berühmten Quartettspielers Schuppanzigh zum Geschenke ge macht wurde. Ich bin in der Lage, diese Instrumente (einzeln) näher bezeichnen zu können.

1. Eine Violine von Jos. Guarnerius in Cremona im Jahre 1718 verfertigt, ist gegenwärtig im Besitze des Herrn Karl Holz, Direktors der Concerts spirituels in Wien.

[200] 2. Die zweite Violine (die zum Verkauf ausgeboten) ist von Nikolaus Amati im Jahre 1667 verfertigt, und war im Besitze des vor kurzem zu Hütteldorf verstorbenen Herrn Dr. Ohmeyer18, ist nunmehr von Herrn Huber angekauft worden.

3. Die Viola von Vincenzo Ruger im Jahre 1690 gemacht, ist ebenfalls Eigentum des Herrn Karl Holz.

4. Das Violoncello, ein Andreas Guarnerius vom Jahre 1712, ist dermal im Besitz des Herrn P. Wertheimber in Wien.

An sämtlichen Instrumenten ist unter dem Halse das Siegel Beethovens aufgedrückt, und auf dem sogenannten Boden derselben ein großes B von Beethovens eigener Hand hineingekratzt; wahrscheinlich beabsichtigte der große Meister damit sich vor einem Austausche zu schützen. Die Instrumente sind durchaus wohl erhalten und in gutem Stande. Das wertvollste dürfte unstreitig die durch eine seltene Kraft des Tones ausgezeichnete Violine von Joseph Guarnerius sein, wofür Herr Holz sogar ein Angebot von 1000 Fl. C. M. ausgeschlagen hat.«

Diese vier Instrumente wurden 1861 von Peter Th. Jokits angekauft, der sie der Kgl. Bibliothek zu Berlin überwies. Holz hatte übrigens die Guarneri-Violine bereits 1852 verkauft (vgl. Allgem. Deutsche Musikzeitung 1888). Beethoven erhielt die Instrumente von Lichnowsky jedenfalls vor 1802, aber in welchem Jahre, ist unbekannt.

Ein anderer Beweis von Lichnowskys Aufmerksamkeit und edler Gesinnung für Beethoven, welcher in dieses Jahr gehört, ist die Aussetzung eines Jahrgehaltes von 600 Gulden, welchen er solange beziehen sollte, bis er eine annehmbare dauernde Stellung würde gefunden haben.


Kompositionen dieses Jahres.

Die einzige bekannte Publikation aus diesem Jahre ist das G-Dur-Rondo Op. 51 II (bei Simrock). Was die in dasselbe fallenden weiteren Kompositionen betrifft, so wird er an die erste Symphonie und das Septett (aufgeführt den 2. April) die letzte Hand gelegt haben, wie dies von den Quartetten Op. 18 sicher anzunehmen ist. Die Hornsonate Op. 17, die Klaviersonate Op. 22, das C-Moll-Konzert Op. 37 und die vierhändigen Variationen über »Ich denke dein« gehören unzweifelhaft in dieses Jahr. Die »Variations très faciles« über ein eigenes Thema in G wurden, wie wir oben sahen, in diesem Jahre skizziert und vielleicht auch beendet.

[201] Bezüglich der Sonate für Klavier und Horn Op. 17 haben wir nur den Tag der ersten Aufführung (18. April 1800) als chronologischen Anhaltspunkt; dazu dann die Erzählung von Ries (Notizen S. 72) von der raschen Vollendung des Werkes. Ob diese ganz buchstäblich zu nehmen ist, möchten wir im Hinblick auf Beethovens sonstige Arbeitsweise bezweifeln. Skizzen zu der Sonate haben sich allerdings bisher nicht gefunden, auch von dem Autograph wissen wir nichts; doch findet sich nach Nottebohm (II. Beethov. S. 381) der Anfang einer Reinschrift des Adagios unter Skizzen zu den Sonaten Op. 22 und Op. 23. Punto war im Januar 1800 noch in München; da nun die Komposition des Werkes für Punto doch wohl als sichergestellt betrachtet werden kann, so gehört dasselbe jedenfalls dem Jahre 1800 an. Es erschien bei Mollo im März 1801 (angezeigt in der Wiener Zeitung am 21. März).

Daß die Sonate zu einer bestimmten Gelegenheit komponiert ist, darf hiernach angenommen werden; darum aber dieselbe gleich »ein unbedeutendes Gelegenheitsstück in den Formen Mozartscher Tradition« zu nennen (Lenz), ist doch in hohem Grade oberflächlich. Nach der Gestaltung der Motive, dem klaren, durchsichtigen Aufbau, und auch dem inneren Gehalte ist sie, wie jeder weiß, ganz Beethoven und zeigt, wie er sich auch in der ihm auferlegten Beschränkung klar und sicher zu bewegen wußte. Dem Charakter des begleitenden Instrumentes entsprechend (welches er immer so schön zu behandeln wußte), überwiegt der feste, bestimmte, mutige Charakter, den schon die kurze Anfangsfanfare ankündigt. Aber auch die weicheren, elegischen Stimmungen, denen auch das Horn so ausdrucksvoll dienen kann, kommen zur Geltung; man kann auch hier von den »zwei Prinzipien« reden, die übrigens eigentlich überall zu finden sind, da Beethoven immer verschiedene Strömungen des Gemütes einander gegenüberstellt. Wer will das zweite, getragene Thema des ersten Satzes unbedeutend finden? Diese nachdenkliche, fast in sich ermattende Periode ist so ganz sprechend für den im ganzen mutig-frohen aber auch grüblerischem Sinne nicht abholden Meister; und nun sehe man, wie er sich rasch wieder aufrafft, wie die entschlossenen Regungen des Innern wieder die Oberhand gewinnen, wie alles energisch treibt und sich regt, um den festen Willen siegen zu lassen, der namentlich nach der Durchführung mit Entschiedenheit zum Anfangsthema zurückführt. Etwas tiefere Klagetöne schlägt das kurze Poco adagio an; aber die Trauer hat nicht lange Bestand. Wohl auch des Instrumentes wegen schrieb Beethoven keinen ausgedehnteren langsamen Satz. Er dringt rasch, mit kurzer Kadenz, [202] zum Rondo, welches allerdings den Eindruck rascher Konzeption (in seinem Hauptthema) macht, aber doch den mutig selbstbewußten Charakter festhält und namentlich in dem zweiten Seitenthema in Moll zu einem gewissen Stolze sich erhebt. Ein Hauptgesichtspunkt für Beethoven war ja sicher auch, die Wirkungen des Hornes nach dessen verschiedenen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen, während auch der Klavierspieler seine Technik zeigen kann. Nach Czernys Erzählung hat Beethoven bei der Gestaltung der Hornstimme auf besondere Wünsche Puntos Rücksicht genommen. Dieser virtuose Charakter des Werkes, verbunden mit der Klarheit und einfachen Schönheit der Gedanken, wird ihm die rasche gute Aufnahme gesichert haben. Mozartsche Anklänge können wir darin nicht finden19. Damit die Sonate häufiger ausgeführt werden könne, wurden ihr von Anfang an auch Stimmen für Violoncell und für Violine beigegeben; letztere wohl am wenigsten geeignet, da sie eigentlich auch eine teilweise Umarbeitung der Klavierstimme erfordert hätte, die aber nicht erfolgte.

Das Septett Op. 20, für vier Saiten- und drei Blasinstrumente, der Kaiserin Maria Theresia (zweiten Gemahlin des Kaiser Franz II.) gewidmet, wurde in demselben Konzerte wie die C-Dur-Symphonie (2. April 1800) aufgeführt; doch hatte man es früher schon beim Fürsten Schwarzenberg gehört. Ein so umfangreiches und mit solcher Frische ausgearbeitetes Werk hatte gewiß eine längere Zeit der Skizzierung und Ausarbeitung in Anspruch genommen. Da sich nun Entwürfe desselben zwischen solchen der Quartette, insbesondere des A-Dur-Quartetts, finden, welche dem Jahre 1799 angehören (s. oben), so ist aus denselben Gründen auch das Septett seiner Entstehung nach in dieses Jahr zu setzen, wenn es auch vielleicht erst 1800 kurz vor der Aufführung vollendet wurde. Das Autograph, im Besitze von Herrn Paul Mendelssohn in Berlin, trägt keine Jahreszahl. Angeboten wurde es dem Verleger (Hoffmeister) in dem oben angeführten Briefe vom 15. Dezember 1800; es erschien 1802 und wurde am 28. Juli in der Wiener Zeitung angezeigt. Auch dieses ist ein Werk, welches seine Frische bewahrt hat und immer wieder mit neuem Entzücken gehört wird. Wie sich Beethoven zu derselben Zeit in den Quartetten und den Symphonien einer neuen Form des Ausdrucks [203] bemächtigte und dieselbe von da an beibehielt, so erstieg er auch in diesem Werke eine Höhe in einer bestimmten Gattung, über die er dann nicht mehr hinausgegangen ist; er hat diese Art der Unterhaltungsmusik später nicht mehr gepflegt. Lenz nennt es die »Apotheose des Serenaden- und Kassationsbegriffs« und macht darauf aufmerksam, daß die Sextette, die Serenaden, das Oktett und ähnliche Arbeiten Vorstufen des Septetts seien. Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß das Sextett für Blasinstrumente (Op. 71) nach mehreren Andeutungen, die aus den Motiven zu entnehmen sind, sogar als der Keim des Septetts zu betrachten sei. Aber auch ein noch bestimmteres Vorbild lag ihm vor: Mozarts letztes Divertimento in D-Dur (Köchel 334) mit derselben Zahl und Ordnung der Sätze, mit den Variationen, denen die des Septetts in Tonart und Bewegung eng verwandt sind, ist zweifellos das Vorbild gewesen. Beethoven hat in den Wiener früheren Kompositionen, von den Klaviersonaten natürlich abgesehen, die leichtere Unterhaltungsmusik, die glänzenden Blasinstrumente, eifrig gepflegt, seinen Bonner Traditionen getreu. Hier hat er diese Gattung, zu der er später nicht mehr zurückkehrte, veredelt und verklärt. Er will unterhalten, aber in ernster und würdiger Weise. Die Spieler, denen die Unterhaltung zufällt, klopfen kräftig an, machen ihre Verbeugung, die Erwartung wird rege. Und nun beginnt das reizende Spiel; eine Melodie von so anmutigem Leben, wie er noch wenige geschaffen, und in welcher er sich ganz als er selbst zeigt. Das Thema hat in seiner Anfangsbewegung entschieden Verwandtschaft mit dem Thema des Bläsersextetts. In den Fortsetzungen gibt sich nun ein erstaunlicher Reichtum der Erfindung zu erkennen; nirgendwo nur Überleitungsphrasen, überall feste Themen, die organisch verbunden sind; nicht nur ein zweites, sondern auch noch ein drittes Seitenthema. Eine weiche, märchenhaft klagende Figur des Schlusses wird in der Durchführung verwendet und tritt hier der männlich festen Fortsetzung des ersten Themas gegenüber. Wie natürlich in dieser Gattung, verläuft die Durchführung ziemlich kurz. Ein herzinnig warmes Motiv, wie es Beethoven öfter ähnlich verwendet, schließt sich dem wiederholten Hauptthema an und wird dann in der Coda herrlich verwendet. Eine edle, hohe, männliche Freudigkeit spricht sich in verschiedenen Nüancen in diesem ersten Satze aus. Schon hier sei auch auf die Meisterschaft in der Behandlung der einzelnen Instrumente, auf die Gegenüberstellung der Tongruppen und die Verwendung der Blasinstrumente, der weichen, vollen Klarinette, des Horns, des dunkeltönenden Fagotts hingewiesen. Das führende Instrument [204] bleibt natürlich die Violine, manchmal in hohem Glanze. Alle schönen Einzelzüge lassen sich hier nicht aufzählen.

Eine wunderbar rührende Kantilene bringt dann die Klarinette in dem Adagio, gewiß eine der schönsten, die Beethoven geschrieben hat. Auch hier waltet hochbefriedigte Stimmung, aber ernster und gehaltener: die Nebenthemen sind etwas belebter, halten aber die Stimmung fest; der Übergang nach C ist hochbedeutsam und überraschend. Auch hier ist die Verwendung der Instrumente, des Horns, des Cello zu beachten. Die Weihe der Stimmung in diesem Satze kann kein Wort nur annähernd andeuten.

Das Menuett ist, wie wir bereits wissen, der Sonate Op. 49 II entnommen, aber selbständig behandelt. Im Trio ergehen sich Horn und Klarinette; auch sonst sind die Klangfarben schön gemischt. Wahrhaftig eine gute, edle Unterhaltung.

Wieder wird es ruhiger, es folgt das Andante mit Variationen auf eine sehr reizende Melodie. Dieselbe soll nicht von Beethoven sein, sondern ein niederrheinisches Volkslied (»Ach Schiffer, lieber Schiffer«), welches Andr. Kretzschmer in seinen »Deutschen Volksliedern« (Berlin 1838) veröffentlichte. Daß Czerny dies auch bezeugt habe, habe ich in seinen Bemerkungen nicht gefunden. Nottebohm (II Beeth., S. 491) führt beachtenswerte Gründe dagegen an, daß es ein Volkslied sei; die Fortsetzung des Liedes ist nicht volksmäßig, und die Rheinländer Ries und Wegeler haben nichts davon gewußt. Fr. M. Böhme (Erk und Böhme, Deutscher Liederhort I, S. 273) bringt Volkslieder über die Schiffersage, welche andere Melodien haben und anderswoher stammen, und erklärt das Lied mit der Beethovenschen Melodie bei Kretzschmer für ein von Zuccalmaglio zu denselben gedichtetes. Auch Erk war Rheinländer und beide eifrige Sammler. Wir erachten die Behauptung damit für abgetan; wir haben es einfach mit einer Beethovenschen Melodie zu tun. Die Melodie ist zierlich und anmutig; die Variationen mit der bei Beethoven bekannten Meisterschaft gesetzt, mit treffender Verwendung der Instrumente nach ihrer Individualität; besonders reizvoll die Moll-Variation mit den gehaltenen Tönen der Blasinstrumente.

Humoristisch und frisch ist das Scherzo, wo auf den Ruf des Horns die übrigen sich zu lustigem Aufschwung zusammenfinden, im zweiten Teil besonders die Violine losgelassen wird und jubelnd in die Höhe steigt. Dem tritt im Trio besänftigend das Violoncell mit schöner Kantilene gegenüber.

[205] Genug der Lustigkeit! Die Kräfte sammeln sich in einen kurzen Mollsatz und mahnen zur Einkehr; das Horn sucht wie nach etwas Verlorenem. Dann tritt als Grundlage des letzten Satzes ein festes Motiv mit dem Charakter frohen Selbstbewußtseins auf, vielfach imitatorisch behandelt und immer nachdrücklicher eingeprägt; das zweite Thema, fest, frisch, doch gehalten; alles atmet Freude über etwas Erreichtes. Ein kurzer, sehr ernster getragener Zwischensatz der Blasinstrumente mahnt an den Ernst; die Violine, die hier überhaupt wesentlich das Wort führt, ergeht sich in einer langen glänzenden Kadenz – die Spieler wollen noch einmal ihre Künste zeigen, und so werden wir in fester, froher Stimmung entlassen. Das erste Thema und auch eine Wendung in den Fortsetzungen des Anfangsthemas sind schon ganz so im letzten Satze des Bläsersextetts enthalten, dessen Grundidee also hier ihre Vollendung erhält.

Beethoven soll später zu Holz über das Septett und ähnliche Werke gesagt haben, es sei natürliche Empfindung darin, aber wenig Kunst. An Hoffmeister schrieb er, es habe gefallen. Gewiß hat er es nicht unterschätzt, wenn er auch später tiefern Ausdruck seiner Empfindung fand und mehr bewußte Kunst anwandte.

Das Septett wurde zufolge der Beliebtheit, die es gewann, vielfach für andere Instrumente arrangiert. Ein Arrangement für Streichquintett veranstaltete Hoffmeister und zeigte es am 18. August 1802 an; daß dasselbe von Beethoven herrühre, war ein Irrtum von Ferd. Ries20. Dagegen [206] hatte Beethoven dem Verleger schon freigestellt, »zum häufigeren Gebrauch« statt der drei Blasinstrumente noch drei Streichinstrumente zu wählen. Dann aber hat er es selbst als Klaviertrio (mit Violine oder Klarinette) arrangiert und legte auf diese Bearbeitung Wert. Das kam so.

Aus Dankbarkeit für die Aufmerksamkeit, Freundlichkeit und erfolgreiche Behandlung seines neuen Arztes, Dr. Johann Adam Schmidt, beschloß Beethoven, für denselben sein sehr populäres Septett zu arrangieren, und zwar in einer Form, in der es für die Ausführung im Familienkreise am meisten geeignet wäre. Dr. Schmidt war ein ziemlich leistungsfähiger Dilettant auf der Violine, und seine Tochter eine Klavierspielerin von beträchtlicher Fertigkeit. Da die Hauptpartie in erkennbarer Weise auf die zur Wahl gestellte Klarinette berechnet ist, so wurde die Gefahr, den Violinpart für den Doktor zu schwer zu machen, vermieden. Nach der damaligen Sitte war Schmidt ein Jahr lang im alleinigen Besitze des Werkes; somit ist die Anzeige von der bevorstehenden Veröffentlichung desselben (als Op. 38), welche den 8. November 1803 erfolgte, zugleich eine Andeutung über die Zeit seiner Vollendung.

Die Widmung an Dr. Schmidt gibt Thayers Chronol. Verz. unter Nr. 69:


Monsieur!


Je sens parfaitement bien, que la Celébrité de Votre nom ainsi que l'Amitié dont Vous m'honorez exigeroient de moi la dédicace d'un bien plus important ouvrage. La seule chose qui a pu me déterminer à Vouz offrir celuici de préférance, c'est qu'il me paroit d'une exécution plus facile et par là même plus propre à contribuer à la satisfaction dont Vous jouissez dans l'amiable cercle de Votre famille. – C'est surtout lorsque les heureux talents d'une fille chérie se seront développés davantage, que je me flatte de voir ce but atteint. Heureux si j'y ai réussi et si dans cette faible marque de ma haute éstime et de ma gratitude Vous reconnoissez toute la vivacité et la cordialité de mes sentiments.

Louis van Beethoven.


Die Trio-Bearbeitung ist in die Ges.-Ausgabe Br. u. H. aufgenommen in Serie XI als Nr. 91. In dem Arrangement ist die Feinheit zu [207] beachten, mit welcher alles klaviermäßig gestaltet wurde; auch dem Umfange des Klaviers ist Rechnung getragen; es geht nicht über f3, wenngleich der Charakter es mitunter verlangt hätte. Auf manche Wirkung, z.B. des Horns, mußte natürlich verzichtet werden. In dieser Gestalt ist das Septett wohl am bekanntesten geworden.

Die B-Dur-Klaviersonate Op. 22 ist ebenfalls in diesem Jahre vollendet, wie daraus hervorgeht, daß sie in dem Briefe vom 15. Dezember 1800 dem Verleger als fertig angeboten wird. Bei Vollendung der Hornsonate war sie noch nicht fertig, da ihre Skizzen neben einer Stelle zur Reinschrift der Hornsonate auftreten (Nottebohm, II Beeth. S. 381). Skizzen zu der Sonate stehen auch (das. 62, 379) zwischen Skizzen zum B-Dur-Quartett Op. 18 VI und den letzten Sätzen des F-Dur-Quartetts Op. 18 I, wohl der Umarbeitung. Sie gehören also ins Jahr 1800, gehen vielleicht in 1799 zurück, sodaß er an der Sonate ungewöhnlich lange gearbeitet zu haben scheint. Die Hauptarbeit fällt jedenfalls ins Jahr 1800 und zwar wohl in die Sommerzeit, die er in Unterdöbling zubrachte. Erschienen ist sie erst 1802 bei Hoffmeister und Kühnel (Anzeige 3. April 1802); Beethoven gab ihr den Titel Grande Sonate (auch in dem Briefe an Hoffmeister nennt er sie die große Solosonate). Sie wurde dem Grafen Browne gewidmet. »Diese Sonate hat sich gewaschen, geliebtester Herr Bruder!« schrieb er am 15. Januar 1801 an Hoffmeister. Dennoch scheint sie bei unseren Musikalischen nicht so in Gunst zu stehen, wie die übrigen; die in Betracht kommenden Schriftsteller (Marx, Wasielewski, Reinecke) tun sie mit wenigen Worten ab. Sie ist allerdings nicht so zugänglich, wie die vorhergehenden, auch schon technisch; sie zeigt ungewöhnliche Schwierigkeiten. Aber schon im ersten Satze ist die Klarheit der melodischen Erfindung und der Gruppierung, der Reichtum und die Gegensätzlichkeit der Motive, die Strenge des Aufbaues ganz dieselbe wie bisher. Selbstbewußt und fest tritt das Thema auf und entwickelt eine bis zum Eigensinn gesteigerte, kühne Willensfestigkeit, auch nicht ohne Herbigkeiten; wir gewahren hier den Meister in seiner Strenge, und es fehlen die Töne der Wärme und der Anmut, die uns die früheren so lieb machen. Stolz, daß er sich gefunden, tritt er vor uns hin, bezwingt entgegenstehende Gewalten und aufkeimende trübe Stimmungen. Die Erinnerung an Mozart ist hier völlig geschwunden, was wir gegenüber einigen Äußerungen anderer bemerken – man müßte denn die äußere Form der Sätze immer wieder anführen, die allerdings nicht durchbrochen ist. Es ist der ganze, echte Beethoven, der [208] sich fühlt – darum war ihm auch wohl die Sonate so besonders wert. Viel weichere Töne schlägt das Adagio an, wenn auch nicht ohne kleine Herbigkeiten (gleich im Anfang); auch zartere Güter ersehnt er, sucht sie und hält sie liebend fest. Das Menuett (nicht Scherzo) ist gemessen, elegant, doch im ganzen heiter, das Trio eine instruktive Übung für die linke Hand, ohne sonst viel zu bedeuten. Erst im Rondo wendet er sich wieder von seiner Höhe zu uns herab, schlägt einen freundlichen, warmen Ton an, den er in ausnehmend graziöse Form zu kleiden weiß; auch hier fehlt nicht die Festigkeit (im ersten Seitenthema), die in dem zweiten Satze zu grollenden, unzufriedenen Gängen führt, um unvermerkt (Thema in der linken Hand) zum Anfang zurückzuleiten. Auf eine gewisse Verwandtschaft dieses Satzes mit dem letzten Satze vonOp. 7 macht Lenz aufmerksam. In Festigkeit mit Anmut gepaart schließt der Satz.

Von der Erwähnung der Sonate Op. 22 sind nicht zu trennen die »Sechs leichten Variationen« über ein Originalthema in G-dur (Ges.-Ausg., S. XVII, Nr. 176), welche aus demselben Jahre stammen. Ihre Skizzen (Nottebohm, II. Beth. S. 382) stehen neben Skizzen zum letzten Satze des G-Dur-Quartetts, Op. 18 II, welches ziemlich fertig erscheint; dann wird man immer noch sagen können: 1799 oder 1800. Was aber besonders wichtig: das Thema der Variationen stimmt überein mit dem ersten Zwischensatz im Rondo der B-Dur-Sonate, und die fast völlige Gleichzeitigkeit der Skizzen läßt erkennen, daß hier eine bewußte Entlehnung stattgefunden hat; von wo sie ausging, wird nicht auszumachen sein. Beethoven hat die Variationen, welche ganz wie die bisherigen behandelt sind, nur teilweise noch viel schlichter und anspruchsloser, in seinen Skizzen entworfen; nachdem er die Figur für die erste Variation notiert und noch zwei Takte beigefügt, merkt er an: »Triolen – Basso 16telMinore – rechte Hand 32tel«, welche Anordnung er auch, von Variation V abgesehen, beibehalten hat. Die Variationen sind zierlich und weich empfunden; er scheint sich nach der schweren vorangegangenen Arbeit erholen zu wollen; auch fordern sie, wenngleich nicht schwer, doch saubere Technik. Sie wurden am 16. Dezember 1800 als neu von Traeg angezeigt.

Mit diesen Variationen sind ziemlich gleichzeitig entstanden die vierhändigen Variationen in D-dur über die Melodie zu dem Götheschen Liede »Nähe des Geliebten« (»Ich denke dein«). Beethoven hat dieses Gedicht zuerst durchkomponieren und jeder Strophe eine andere Melodie geben wollen, und hat es in dieser Weise zweimal skizziert (Nottebohm, II.[209] Beeth. S. 486). In dieser Gestalt ist das Lied nur aus den Skizzen bekannt; dieselben stehen zusammen mit den Quartettskizzen und gehören in das Jahr 1799. Dann hat er die Melodie der ersten Strophe als Thema zu vierhändigen Variationen genommen (in demselben Jahre) und hat dieselben 1800 den Gräfinnen (Schwestern) Therese Brunswik und Josephine Deym ins Stammbuch geschrieben; das ist also das Jahr der Fertigstellung. Am 22. September 1803 bietet er sie Hoffmeister an statt der Trio-Variationen Op. 44, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß er sie für besser halte als diese. Hoffmeister brachte aber dennoch die Trio-Variationen (1804); die in D erschienen erst Anfang 1805 (angezeigt am 23. Januar) im Kunst- und Industriekontor zu Wien mit dem Titel: »Lied mit Veränderungen zu vier Händen, geschrieben im Jahre 1800 in das Stammbuch der Gräfinnen Josephine Deym und Therese Brunswick und beyden zugeeignet von Ludwig van Beethoven.«

Ein in der Berliner Kgl. Bibliothek erhaltenes Autograph Beethovens (auf dem Umschlag steht noch die »Nr. 184« des Auktionskatalogs von Beethovens Nachlaß [»Klavierstücke mit Begleitung, zum Teil unbekannt«]) enthält außer vier der vierhändigen Variationen über »Ich denke dein« ein auf vier Systeme (drei mit Violinschlüssel, eins mit Baßschlüssel) notiertes Adagio F-Dur, sowie (auf zwei Systemen) ein Scherzo G-Dur 3/4 und ein Allegro G-Dur 2/4 Albert Kopfermann, der das Adagio in Jahrg. I, Heft 12 der »Musik« erstmalig herausgegeben hat, vermutet gewiß mit Recht, daß alle drei Stücke für ein mechanisches Musikwerk geschrieben sind und zwar wahrscheinlich ebenso wie Mozarts F-Dur-Andante (Köchel 616) auf Veranlassung des Grafen Deym, der unter dem Pseudonym H. Müller Direktor eines Kunstkabinetts war (vgl. S. 303). Man wird schwerlich den Schlußfolgerungen Kopfermanns die Beistimmung versagen können.

Wenn der Verfasser auf die geringe Zahl neuer Kompositionen von 1800 aufmerksam macht, so führt er doch selbst an, daß die Revision und Beendigung von Werken für die Verleger neben der Ausarbeitung neuer Werke Beethoven stark in Anspruch nahm; zu diesen für den Druck vorzubereitenden Werken gehörten ja namentlich auch die Quartette, die erst Ende des Jahres druckfertig waren. Dazu kommen Arbeiten an der Es-Dur-Sonate Op. 27 I und dem C-Moll-Konzert, welches auf dem Autograph ausdrücklich die Jahreszahl 1800 trägt. Aber auch an »Prometheus« hat er sicher in diesem Jahre bereits zu arbeiten begonnen. So gestaltete sich doch auch dieser Sommer zu einem recht [210] arbeitsreichen. Die letztgenannten beiden Werke wollen wir für spätere Besprechung aufheben, da sie vor ihrer Aufführung und Herausgabe, wie wir Beethoven kennen, gewiß noch manche Verbesserungen und Veränderungen erfuhren.

Fußnoten

1 In einer »Predigt, am siebenten Sonntage nach Pfingsten, den 17. July 1803, vorgetragen in der Bürger-Spitalskirche zum H. Marcus von Jacob Stern, der Gottesgelahrtheit Doctor, insulirten Probsten von Ivantia, k. k. Hofkaplan und Pfarrer im k. k. Lustschlosse Hetzendorf, Wien 1803«, lesen wir, daß nunmehr nicht nur 290 Personen mit zwölf Kreuzern täglich (statt den vorigen sieben) verpfleget, sondern auch 323 verarmte Bürger und Bürgerinnen außer dem Hause mit monatlichem Almosen beteilet werden. In dem Hause selbst erhalten die Versorgten hinlängliche Nahrung, notwendige Kleidung, eine reinliche gesunde Wohnung, gute Wartung in der Krankheit, Beistand im Sterben, und anständige Beerdigung nach dem Tode. Zur Bekräftigung dessen legt der Herr Stern unter anderen seinen Zuhörern auch einen Speisezettel vor, welchen er (im vorhergehenden Jahre) in der Küche des Traiteurs des Bürgerspitals fand und der wörtlich lautet:


Nudelsuppe, Brotsuppe, die Portion1 Kreuzer

Rindfleisch1 Kreuzer

Kohl, Sauerkraut1 Kreuzer

Eingemachtes Kälbernes1 Kreuzer

Gebackenes Lämmernes1 Kreuzer


NB. Die ersten vier Speisen sind täglich für diesen Preis für die Armen zu haben.

Herr Prediger Stern ließ sich eine Portion Rindfleisch und gebackenes Lämmerfleisch bringen und fand beides sehr gut, wobei er mit einem zweifachenNB. bemerkt, daß dieses in dem teueren Jahre 1802 geschah!


2 Mangel an gutem Willen, an Einigkeit und Liebe zur Kunst unter den Mitgliedern, das öfters schlechte Zusammengehen usw. Die allgemeine Verschlechterung seit Salieri wurde Conti schuld gegeben.


3 Tomaschek Libussa 1848, S. 379. Vgl. A. M. Ztg. II. S. 440,


4 Zwölf Walzer für Klavier, Tamburin und Triangel (!) sind angezeigt in der Allg. M. Ztg. III. Nr. 10.


5 Aus Weigls »Corsar aus Liebe«. Vgl. S. 99 f.


6 Vgl. Band I2 S. 322 Anm. 1. Über die Wohnungen Beethovens geben übrigens die Spezialstudien Th. von Frimmels die besten Auskünfte.


7 Joh. Nepomuk, sagt Fr. Luib in einer für obige Darstellung gemachten Mitteilung. Dlabacz sagt Emanuel, und dieser Name steht auch auf dem Titel gewisser böhmischen Lieder, den er für sein Künstlerlexikon abschrieb. Johann [von] Nepomuk ist aber zusammengehörig als Heiligen-Name wie Johann Baptist und Johann Evangelist; es wird daher korrekt sein, Johann Nepomuk Emanuel zu sagen.


8 Neue Zeitschr. für Musik, 1837, 7. März. Vervollständigt nach Marx, Beethoven. I. 154 u. m.


9 B-dur Op. 22.


10 Diese Verwechselung ist 1887 Wilh. Langhans allen Ernstes passiert (Gesch. d. Musik im 17., 18. u. 19. Jahrh. II. S. 214), indem er die Besprechung von Försters Op. 16 für eine von BeethovensOp. 18 hielt.


11 »Sein einziger Fehler ist, daß er krumm ist« heißt es einmal in einem Konversationshefte.


12 So z.B. 1817 Cipriani Potter (vgl. IV. 54 ff.).


13 Anmerkung des Herausgebers. Das gänzliche Fehlen von Skizzen für das C-Moll-Quartett ist auffällig und legt den Gedanken nahe, daß wir in demselben eine ältere Arbeit vor uns haben. Vielleicht finden sich aber doch für einen oder den anderen Satz noch Ansätze in den Skizzenbüchern, die bisher auf andere Werke bezogen worden sind (eine Möglichkeit, die gar nicht selten vorliegt). Für den er sten Satz ist aber nunmehr eine ganz zweifellose Beziehung nachweisbar, wenn auch vielleicht keine Wurzel, geschweige eine Skizze, nämlich in dem noch unveröffentlichten »Duett für zwei obligate Augengläser« in dem Kaffkaschen Sammelbande (Brit. Museum add. MSS. 29801) über das oben (S. 38 f.) bereits einige Bemerkungen gemacht sind. Die auch in dem Duett sehr hervortretenden Takte (2–4 des Anfangsthemas):


5. Kapitel. Das Jahr 1800

begegnen uns nämlich in dem ersten Satze des C-moll-Quartetts so auffallend häufig in allen möglichen Lagen und in allen Instrumenten, daß die Ähnlichkeit gar nicht zu übersehen ist. Dieselben sind aber in dem Quartett der Anfang des Nachsatzes des zweiten Themas, das vollständig so aussieht:


5. Kapitel. Das Jahr 1800

Das ist aber ein Thema von so starker Mannheimer Physignomie, daß es direkt auf Cannabich oder Carl Stamitz weist. Sieht man nun näher zu, so ergibt sich, daß auch das erste Thema ebenso geartet ist und sogar bereits ebenfalls in die mit dem Duett gemeinsamen Takte ausläuft:


5. Kapitel. Das Jahr 1800

Das ist sehr verdächtig, da eine solche Indentität von erstem und zweitem Thema nur in den früheren Bonner Werken vorkommt. Daß das Nicht-los-können von einem recht aufdringlichen Motiv den Satz in eine frühere Zeit zurückverweist, steht wohl außer Zweifel. Eine ganz andere Frage ist freilich, ob der Satz in seiner ursprünglichen Fassung für Quartett geschrieben gewesen ist. Es stecken aber in dem Satze noch mehr Zusammenhänge mit dem Augengläser-Duett. Das zweite Thema des letzteren


5. Kapitel. Das Jahr 1800

wird man, nachdem einmal das Interesse an dem Vergleich geweckt ist, unschwer in der Übergangspartie zu zwei Themen des Quartettsatzes wiedererkennen:


5. Kapitel. Das Jahr 1800

usw. durch acht Takte.

Der »gewundene Abstieg« der Mannheimer, den das Duett bereits im 7.–8. Takte bringt


5. Kapitel. Das Jahr 1800

erscheint in dem Quartettsatze im 9.–8. und 7.-6. Takte vorm Schluß:


5. Kapitel. Das Jahr 1800

Aber auch das ausdrucksvolle Motiv am Schluß des ersten Themas des Duetts


5. Kapitel. Das Jahr 1800

begegnet uns im C-Moll-Quartett, aber nicht im ersten Satze, sondern im Trio des Menuetts:


5. Kapitel. Das Jahr 1800

Auffällig ist auch die Übereinstimmung des Anfangs des Menuets mit einer im Keßlerschen Skizzenbuch [Nottebohm [1865] S. 9, befindlichen Skizze, die nur in Es-Dur statt C-moll beginnt:


Skizze
Skizze

C-Moll-Quartett
C-Moll-Quartett

C-Moll-Quartett


Das Augengläser-Duett hält der Herausgeber für jünger, für später geschrieben als den ersten Satz des C-Moll-Quartetts, da dasselbe eine ganz wesentlich fortgeschrittene Gestaltungskraft und eine seine Differenzierung der kontrastierenden Elemente zeigt. Bezüglich der Folgesätze muß die Frage offen bleiben, ob auch sie auf früheren Entwürfen beruhen; unwahrscheinlich ist das jedenfalls nicht. Sowohl das Scherzo als das Menuett zeigen noch Spuren der Anfängerschaft, und auch das zerstückte Wesen des Schlußrondos schließt eine frühe Entstehung nicht aus. Die große Linienführung fehlt dem ganzen Quartett in auffälliger Weise.

H. R.


14 Die Quartette waren nach der Anzeige damals gerade nach Zürich gekommen, also, in jenen Tagen langsamer Kommunikation, spätestens im Juni.


15 Vielleicht ist der Hinweis am Platze, daß in solchen Fällen (auch in Beethovens Klavierwerken) die tiefere Stimme als Melodie zu behandeln ist, deren Vollklang die höhere verstärkt.

H. R.


16 Man beachte, daß das Quartett keinen eigentlich langsamen Satz hat. Seiner abweichenden Beurteilung dieses Quartetts hat der Herausgeber oben (S. 188 f. Anm.) Ausdruck gegeben.

H. R.


17 Diese Äußerung Beethovens läßt deutlich erkennen, daß er das C-Moll-Quartett nicht sehr hoch bewertete.


18 Vgl. Bd. IV. 217.


19 Das »Mozartische« dieser Sonate ist das, was man heute richtiger als »Mannheimisch« bezeichnet (vgl. des Herausgebers Aufsatz »Beethoven und die Mannheimer« in der »Musik« VII. 13–14). Der Stil des Werkes weist entschieden auf Benutzung älterer Ideen; das Fehlen von Skizzen und die Fertigstellung binnen zwei Tagen (17.–18. April 1800) sind sehr geeignet, diese Annahme zu stützen.


20 Am 30. Oktober brachte die Wiener Zeitung folgende


»Nachricht.


Ich glaube es dem Publicum und mir selbst schuldig zu sein, öffentlich anzuzeigen, daß die beiden Quintetten aus C dur und Es dur, wovon das eine (ausgezogen aus einer Symphonie von mir) bei Hrn. Mollo in Wien, das andere (ausgezogen aus dem bekannten Septett von mir Op. 20) bei Hrn. Hoffmeister in Leipzig erschienen ist, nicht Original-Quintetten sondern nur Uebersetzungen sind, welche die Hrn. Verleger veranstaltet haben. –

Das Uebersetzen überhaupt ist eine Sache, wogegen sich heut zu tage (in unserem fruchtbaren Zeitalter – der Uebersetzungen) ein Autor nur umsonst sträuben würde: aber man kann wenigstens mit Recht fordern, daß die Verleger es auf dem Titelblatte anzeigen, damit die Ehre des Autors nicht geschmälert und das Publicum nicht hintergangen werde. – Dies, um dergleichen Fällen in der Zukunft vorzubeugen. – Ich mache zugleich bekannt, daß ehestens ein neues Original-Quintett von meiner Komposition aus C dur Op. 29 bei Breitkopf und Härtel in Leipzig erscheinen wird.

Ludwig van Beethoven.«


In diesem Briefe liegt durchaus der Nachdruck auf der Unterscheidung von Originalwerk und Arrangement; derselbe schließt aber nicht aus, daß Beethoven um die Arrangements gewußt hat. Vgl. dazu, was er am 22. September 1803 an Hoffmeister schreibt (auf die Arrangements Op. 41 [Op. 25] und 42 [Op. 8] bezüglich). »Die Übersetzungen sind nicht von mir, doch sind sie von mir durchgesehen und stellenweise ganz verbessert worden, also kommt mir ja nicht daß ihr da schreibt daß ichs übersetzt habe, weil ihr sonst lügt und ich doch gar nicht die Zeit und die Geduld dazu zu finden wüßte.«

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1910..
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