Siebentes Kapitel.

Briefe von 1801. Die Anfänge der Schwerhörigkeit Beethovens. Die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung.

Wir wenden uns nun wieder zu den wichtigen Briefen Beethovens, welche diesem Jahre angehören, zunächst zwei an seinen Freund Amenda (vgl. S. 116 ff.) gerichteten, welche die Signale von 1852 in Nr. 5 veröffentlicht haben. Der erste, ohne Ort und Datum, lautet folgendermaßen:


»Wie kann Amenda zweifeln, daß ich seiner je vergessen könnte – weil ich ihm – nicht schreibe oder geschrieben – als wenn das Andenken der Menschen sich nur so gegeneinander erhalten könnte.

Tausendmal kömmt mir der beste der Menschen, den ich kennen lernte, im Sinn, ja gewiß unter den zwei Menschen, die meine ganze Liebe besaßen, und wovon der eine noch lebt, bist du der Dritte, – wie kann das Andenken an Dich mir verlöschen – nächstens erhälst Du einen langen Brief von mir über meine jetzigen Verhältnisse und alles was Dich von mir interessiren kann. Leb wohl, lieber, guter, edler Freund, erhalte mir immer Deine Liebe, Deine Freundschaft, so wie ich ewig bleibe

Dein treuer Beethoven.«


Der längere Brief, den Beethoven hier seinem Freunde versprach, ist vom 1. Juni (1801) datiert.


»An Herrn Carl Amenda zu Wirben in Curland.


Wien, den 1. Juni.


Mein lieber, mein guter Amenda, mein herzlicher Freund, mit inniger Rührung, mit gemischtem Schmerz und Vergnügen habe ich Deinen letzten Brief erhalten und gelesen. – Womit soll ich Deine Treue, Deine Anhänglichkeit an mich vergleichen, o das ist recht schön, daß Du mir immer so gut geblieben, ja ich weiß Dich auch mir vor allen bewährt und herauszuheben, Du bist kein Wiener Freund, nein Du bist einer von denen, wie sie mein vaterländerischer [268] Boden hervorzubringen pflegt, wie oft wünsche ich Dich bei mir, denn Dein B. lebt sehr unglücklich, im Streit mit Natur und Schöpfer, schon mehrmals fluchte ich letzterem, daß er seine Geschöpfe dem kleinsten Zufalle ausgesetzt, so daß oft die schönste Blüthe dadurch zernichtet und zerknickt wird, wisse, daß mir der edelste Theil, mein Gehör, sehr abgenommen hat, schon damals als Du noch bei mir warst, fühlte ich davon Spuren und ich verschwieg's, nun ist es immer ärger geworden, ob es wird wieder können geheilt werden, das steht noch zu erwarten, es soll von den Umständen meines Unterleibs herrühren, was nun den betrifft, so bin ich auch fast ganz hergestellt, ob nun auch das Gehör besser werden wird, das hoffe ich zwar aber schwerlich, solche Krankheiten sind die unheilbarsten. Wie traurig ich nun leben muß, alles was mir lieb und theuer ist, meiden und dann unter so elenden egoistischen Menschen, wie ***, ***, u.s.w. ich kann sagen unter allen ist mir Lichnowski der erprobteste, er hat mir seit vorigem Jahr 600 fl. ausgeworfen und der gute Abgang meiner Werke, setzt mich in Stand ohne Nahrungssorgen zu leben, alles was ich jetzt schreibe, kann ich gleich 5mal verkaufen, und auch gut bezahlt haben, – ich habe ziemlich viel die Zeit geschrieben, da ich höre, daß Du bei *** Claviere bestellt hast, so will ich Dir dann manches schicken in dem Verschlag so eines Instruments, wo es Dich nicht soviel kostet. – Jetzt ist zu meinem Trost wieder ein Mensch hergekommen, mit dem ich das Vergnügen des Umgangs und der uneigennützigen Freundschaft theilen kann, er ist einer meiner Jugendfreunde, ich habe ihm schon oft von Dir gesprochen und ihm gesagt, daß seit ich mein Vaterland verlassen, Du einer derjenigen bist, die mein Herz ausgewählt hat, – auch ihm kann der *** nicht gefallen, er ist und bleibt zu schwach zur Freundschaft, ich betrachte ihn und *** als blosse Instrumente worauf ich, wenn's mir gefällt, spiele aber nie können sie volle – Zeugen meiner innern und äußern Thätigkeit, ebensowenig als wahre Teilnehmer von mir werden, ich taxire sie nur nach dem was sie mir leisten. O wie glücklich wäre ich jetzt, wenn ich mein vollkommenes Gehör hätte, dann eilte ich zu Dir, aber so von Allem muß ich zurückbleiben, meine schönsten Jahre werden dahin fliegen, ohne alles das zu wirken, was mir mein Talent und meine Kraft geheißen hätten – Traurige Resignation, zu der ich meine Zuflucht nehmen muß, ich habe mir freilich vorgenommen, mich über alles das hinauszusetzen, aber wie wird es möglich sein? Ja Amenda, wenn nach einem halben Jahre mein Uebel unheilbar wird, dann mache ich Anspruch auf Dich, dann mußt Du alles verlassen und zu mir kommen, ich reife dann (bei meinem Spiel und Composition macht mir mein Uebel noch am wenigsten, nur am meisten im Umgang) und Du mußt mein Begleiter sein, ich bin überzeugt, mein Glück wird nicht fehlen, womit könnte ich mich jetzt nicht messen, ich habe seit der Zeit Du fort bist, alles geschrieben, bis auf Opern und Kirchensachen, ja Du schlägst mirs nicht ab, Du hilfst Deinem Freund seine Sorgen, seine Uebel tragen. Auch mein Clavierspielen habe ich sehr vervollkommnet, und ich hoffe diese Reise soll auch Dein Glück vielleicht noch machen, Du bleibst hernach ewig bei mir. – Ich habe alle Deine Briefe richtig erhalten, so wenig ich Dir auch antwortete, so warst Du doch immer mir gegenwärtig und mein Herz schlägt so zärtlich wie immer für Dich. – Die Sache meines Gehörs bitte ich Dich als ein [269] großes Geheimniß aufzubewahren und Niemand wer es auch sei anzuvertrauen. Schreibe mir recht oft, Deine Briefe, wenn sie auch noch so kurz sind, trösten mich, thun mir wohl, und ich erwarte bald wieder von Dir, mein Lieber, einen Brief. – Dein Quartett gieb ja nicht weiter, weil ich es sehr umgeändert habe, indem ich erst jetzt recht Quartetten zu schreiben weiß, was Du schon sehen wirst, wenn Du sie erhalten wirst – Jetzt leb wohl! lieber Guter, glaubst Du vielleicht, daß ich Dir hier etwas Angenehmes erzeigen kann, so versteht sich's von selbst, daßDu zuerst davon Nachricht giebst


Deinem treuen dich wahrhaft liebenden

L. v. Beethoven.«


In demselben Monate schrieb Beethoven wieder an den Verleger Hoffmeister1 folgendermaßen:


»Wien, Juni 1801.


Ein wenig verwundert bin ich wirklich über das, was Sie mir durch den hiesigen Besorger Ihrer Geschäfte haben sagen lassen; fast möchte es mich verdrießen, daß Sie mich eines so schlechten Streichs fähig halten.

Ein andres wäre es, ich hätte meine Sache nur gewinnsüchtigen Krämern verhandelt und machte dann noch versteckter Weise eine andre gute Spekulazion; aber Künstler gegen Künstler, das ist etwas stark, mir so etwas zuzumuthen; mir scheint das Ganze entweder völlig ausgedacht, um mich zu prüfen, oder blos Vermuthung zu sein; auf jeden Fall diene ich Ihnen hiermit, daß ich, ehe Sie das Septett von mir erhielten, ich es dem Hrn. Salomon (um es in seinem Concert aufzuführen, dieses geschah blos aus Freundschaft) nach London schickte, aber mit dem Beisatze, ja zu sorgen, daß es nicht in fremde Hände komme, weil ich gesonnen sei, es in Deutschland stechen zu lassen, worüber wenn Sie es nöthig finden, Sie sich selbst bei ihm erkundigen können.

Um Ihnen aber noch einen Beweiß von meiner Rechtschaffenheit zu geben, gebe ich Ihnen hiermit meine Versicherung, daß ich das Septett, das Concert, die Symphonie und die Sonate niemand in der Welt verkauft habe, als Ihnen, Herr Hofmeister und Kühnel, und daß Sie es förmlich als Ihr ausschließliches Eigenthum ansehen können, wofür ich mit meiner Ehre hafte. Sie können diese Versicherung auf jeden Fall brauchen wie Sie wollen.

Uebrigens glaube ich ebenso wenig, daß Salomon eines so schlechten Streichs: das Septett stechen zu lassen, fähig ist als ich, es ihm verkauft zu haben. Ich bin so gewissenhaft, daß ich verschiedenen Verlegern den Clavierauszug vom Septett stechen zu lassen, um den sie mich angesucht haben, abgeschlagen und doch weiß ich nicht einmal, ob Sie auf diese Art davon Gebrauch machen werden.

Hier folgen die längst versprochenen Titel von meinen Werken: ...

An den Titeln wird noch manches zu ändern oder zu verbessern sein, das überlasse ich Ihnen. Nächstens erwarte ich von Ihnen ein Schreiben und auch bald nun die Werke, welche ich wünsche gestochen zu sehen, indem andre schon herausgekommen und kommen, welche sich auf diese Nummern beziehen. [270] An Salomon habe ich auch geschrieben, da ich aber Ihre Aussagen blos für Gerücht halte, das Sie ein wenig zu leichtgläubig aufnahmen, oder gar für Vermuthung, die sich Ihnen vielleicht, da Sie von ungefähr davon gehört haben, daß ich es Salomon geschickt, aufgedrungen hat, so kann ich nicht anders, als mit einiger Kälte, so leichtgläubigen Freundenmichnennen


Ihren

Freund

L. v. Beethoven.«


Zu Ende desselben Monats richtete er folgenden längeren Brief an Wegeler, welchen dieser in den Notizen (S. 22 fg.) mitgeteilt hat.


»Wien, den 29. Juni.


Mein guter, lieber Wegeler!


Wie sehr danke ich Dir für Dein Andenken an mich; ich habe es so wenig verdient und um Dich zu verdienen gesucht, und doch bist Du so sehr gut, und läßt Dich durch nichts, selbst durch meine unverzeihliche Nachlässigkeit nicht abhalten, bleibst immer der treue, gute, biedere Freund. – Daß ich Dich und überhaupt euch, die ihr mir einst alle so lieb und theuer waret, vergessen könnte, nein, das glaubt nicht; es gibt Augenblicke, wo ich mich selbst nach euch sehne, ja bei euch einige Zeit zu verweilen wünsche. – Mein Vaterland, die schöne Gegend, in der ich das Licht der Welt erblickte, ist mir noch immer so schön und deutlich vor meinen Augen, als da ich euch verließ; kurz ich werde diese Zeit als eine der glücklichsten Begebenheiten meines Lebens betrachten, wo ich euch wieder sehen und unsern Vater Rhein begrüßen kann. Wann dies seyn wird, kann ich Dir noch nicht bestimmen. – So viel will ich euch sagen, daß ihr mich nur recht groß wieder sehen werdet; nicht als Künstler sollt ihr mich größer, sondern auch als Mensch sollt ihr mich besser, vollkommener finden, und ist dann der Wohlstand besser in unserm Vaterlande, dann soll meine Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen. O glückseliger Au genblick, wie glücklich halte ich mich, daß ich dich herbeischaffen, dich selbst schaffen kann! – Von meiner Lage willst Du was wissen; nun, sie wäre eben so schlecht nicht. Seit vorigem Jahr hat mir Lichnowsky, der, so unglaublich es Dir auch ist, wenn ich Dir es sage, immer mein wärmster Freund war, und geblieben ist, (kleine Mißhelligkeiten gab es ja auch unter uns, und haben eben diese unsere Freundschaft nicht befestigt?) eine sichere Summe von 600 Fl. ausgeworfen, die ich, so lange ich keine für mich passende Anstellung finde, ziehen kann; meine Compositionen tragen mir viel ein, und ich kann sagen, daß ich mehr Bestellungen habe, als fast möglich ist, daß ich befriedigen kann. Auch habe ich auf jede Sache 6, 7 Verleger und noch mehr, wenn ich mir's angelegen sein lassen will: man accordirt nicht mehr mit mir, ich fordere und man zahlt. Du siehst, daß es eine hübsche Sache ist, z.B. ich sehe einen Freund in Noth, und mein Beutel erlaubt eben nicht, ihm gleich zu helfen, so darf ich mich nur hinsetzen und in kurzer Zeit ist ihm geholfen. – Auch bin ich ökonomischer, als sonst: sollte ich immer hier bleiben, so bringe ich's auch sicher dahin, daß ich jährlich immer einen Tag zur Akademie erhalte, deren ich einige gegeben. Nur hat der neidische Dämon, meine schlimme Gesundheit mir einen schlechten Stein in's Bret geworfen, nämlich: mein[271] Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden und zu diesem Gebrechen soll mein Unterleib, der schon damals, wie Du weißt, elend war, hier aber sich verschlimmert hat, indem ich beständig mit einem Durchfall behaftet war, und mit einer dadurch außerordentlichen Schwäche, die erste Veranlassung gegeben haben. Frank2 wollte meinem Leibe den Ton wie der geben durch stärkende Medizinen, und mein Gehör durch Mandelöhl, aber prosit! daraus ward nichts, mein Gehör ward immer schlechter und mein Unterleib blieb immer in seiner vorigen Verfassung; das dauerte bis voriges Jahr im Herbst, wo ich manchmal in Verzweiflung war. Da rieth mir ein medizinischer Asinus das kalte Bad für meinen Zustand, ein Gescheiterer das gewöhnliche lauwarme Donaubad; das that Wunder; mein Bauch ward besser, mein Gehör blieb, oder ward noch schlechter. Diesen Winter ging's mir wirklich elend. da hatte ich wirklich schreckliche Koliken und ich sank wieder ganz in meinen vorigen Zustand zurück, und so blieb's bis vor ungefähr vier Wochen, wo ich zu Vering3 ging, indem ich dachte, daß dieser Zustand zugleich auch einen Wundarzt erfordere, und ohnedem hatte ich immer Vertrauen zu ihm. Ihm gelang es nun fast gänzlich diesen heftigen Durchfall zu hemmen; er verordnete mir das laue Donaubad, wo ich jedes Mal noch ein Fläschchen stärkender Sachen hineingießen mußte, gab mir gar keine Medizin, bis vor ungefähr vier Tagen Pillen für den Magen und einen Thee für's Ohr, und darauf kann ich sagen, befinde ich mich stärker und besser; nur meine Ohren, die saufen und brausen Tag und Nacht fort. Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weils mir nicht möglich ist den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgend ein anderes Fach, so gings noch eher, aber in meinem Fache ist das ein schrecklicher Zustand; dabei meine Feinde, deren Zahl nicht geringe ist, was werden diese hiezu sagen! – Um Dir einen Begriff von dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich Dir, daß ich mich im Theater ganz dicht am Orchester anlehnen muß, um den Schauspieler zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten, Singstimmen, wenn ich etwas weit weg bin, höre ich nicht; im Sprechen ist es zu verwundern, daß es Leute giebt, die es niemals merkten4; da ich meistens Zerstreuungen hatte, so hält man es dafür. Manchmal [272] auch hör' ich den Redenden, der leise spricht, kaum, ja die Töne wohl, aber die Worte nicht; und doch sobald Jemand schreit, ist es mir unausstehlich. Was es nun werden wird, das weiß der liebe Himmel. Vering sagt, daß es gewiß besser werden wird, wenn auch nicht ganz. Ich habe schon oft – – mein Dasein verflucht; Plutarch hat mich zu der Resignation geführt. Ich will, wenn's anders möglich ist, meinem Schicksale trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde. Ich bitte Dich, von diesem meinem Zustande niemanden, auch nicht einmal der Lorchen5 etwas zu sagen, nur als Geheimniß vertrau' ich Dirs an; lieb wäre mir's, wenn Du einmal mit Vering darüber briefwechseltest. Sollte mein Zustand fortdauern, so komme ich künftiges Frühjahr zu Dir; Du miethest mir irgend in einer schönen Gegend ein Haus auf dem Lande, und dann will ich ein halbes Jahr ein Bauer werden. Vielleicht wird's dadurch geändert. Resignation! welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzig übrige. Du verzeihst mir doch, daß ich Dir in Deiner ohnedies trüben Lage noch auch diese freundschaftliche Sorge aufbinde. Steffen Breuning ist nun hier und wir sind fast täglich zusammen: es thut mir so wohl, die alten Gefühle wieder hervorzurufen. Er ist wirklich ein guter, herrlicher Junge geworden, der was weiß, und das Herz, wie wir alle mehr oder weniger, auf dem rechten Fleck hat. Ich habe eine sehr schöne Wohnung jetzt, welche auf die Bastey geht und für meine Gesundheit einen doppelten Werth hat. Ich glaube wohl, daß ich es werde möglich machen können, daß Breuning zu mir komme. Deinen Antiochum6 sollst Du haben, und auch noch recht viele Musikalien von mir, wenn Du anders nicht glaubst, daß es Dich zu viel kostet. Aufrichtig, Deine Kunstliebe freut mich doch noch sehr. Schreibe mir nur, wie es zu machen ist, so will ich Dir alle meine Werke schicken, das nun freilich eine hübsche Zahl ist und sich täglich vermehrt. – Statt des Portraites meines Großvaters, welches ich Dich bitte, mir sobald als möglich mit dem Postwagen zu schicken, schicke ich Dir das seines Enkels, Deines Dir immer guten und herzlichen Beethoven, welches hier bei Artaria, die mich darum oft ersuchten, so wie viele andere, auch Kunsthandlungen, herauskommt. – Stoffeln7 will ich nächstens schreiben und ihm ein wenig den Text lesen über seine störrige Laune. – Ich will ihm die alte Freundschaft recht in's Ohr schreien, er soll mir heilig versprechen, euch in euren ohnedies trüben Umständen nicht noch mehr zu kränken. Auch der guten Lorchen will ich schreiben. Nie habe ich einen unter euch lieben Guten vergessen, wenn ich auch gar nichts von mir hören ließ: aber Schreiben, das weißt Du, war nie meine Sache; auch die besten Freunde haben jahrelang keinen Brief von mir erhalten. Ich lebe nur in meinen Noten, und ist das eine kaum da, so ist das andere schon angefangen. So wie ich jetzt schreibe, mache ich oft drei, vier Sachen zugleich. – Schreibe mir jetzt öfter; ich will [273] schon Sorge tragen, daß ich Zeit finde, Dir zuweilen zu schreiben. Grüße mir alle, auch die gute Frau Ho fräthin8 und sag' ihr, daß ich noch zuweilen einen ›raptus han‹. Was K. angeht, so wundere ich mich gar nicht über deren Veränderung. Das Glück ist kugelrund und fällt daher natürlich nicht immer auf das Edelste, das Beste. – Wegen Ries, den mir herzlich grüße, ein Wort; was seinen Sohn anbelangt, will ich Dir näher schreiben, obschon ich glaube, daß, um sein Glück zu machen, Paris besser als Wien sei; Wien ist überschüttet mit Leuten, und selbst dem besten Verdienst fällt es dadurch hart, sich zu halten. Bis den Herbst oder bis zum Winter werde ich sehen was ich für ihn thun kann, weil dann alles wieder in die Stadt eilt. – Leb wohl, guter, treuer Wegeler! Sei versichert von der Liebe und Freundschaft


Deines

Beethoven


Gegen Ende des Jahres schrieb er wiederum ausführlich an Wegeler; auch dieser Brief (Notizen S. 38) muß hier seine Stelle finden.


»Wien, am 16. November 1801.


Mein guter Wegeler! ich danke Dir für den neuen Beweis Deiner Sorgfalt um mich, um so mehr, da ich es so wenig um Dich verdiene. – Du willst wissen, wie es mir geht, was ich brauche; so ungerne ich mich von dem Gegenstande überhaupt unterhalte, so thue ich es doch noch am liebsten mit Dir.

Vering läßt mich nun schon seit einigen Monaten immer Vesicatorien auf beide Arme legen, welche aus einer gewissen Rinde, wie Du wissen wirst, bestehen9. – Das ist nun eine höchst unangenehme Cur, indem ich immer ein Paar Tage des freien Gebrauchs (ehe die Rinde genug gezogen hat,) meiner Arme beraubt bin, ohne der Schmerzen zu gedenken; es ist nun wahr, ich kann es nicht leugnen, das Sausen und Brausen ist etwas schwächer, als sonst, besonders am linken Ohre, mit welchem eigentlich meine Gehörkrankheit angefangen hat, aber mein Gehör ist gewiß um nichts noch gebessert; ich wage es nicht zu bestimmen, ob es nicht eher schlechter geworden. – Mit meinem Unterleibe geht's besser; besonders wenn ich einige Tage das lauwarme Bad gebrauche, befinde ich mich 8 auch 10 Tage ziemlich wohl; sehr selten einmal etwas Stärkendes für den Magen; mit den Kräutern auf den Bauch fange ich jetzt auch nach Deinem Rathe an. – Von Sturzbädern will Vering nichts wissen; überhaupt aber bin ich mit ihm sehr unzufrieden; er hat gar zu wenig Sorge und Nachsicht für so eine Krankheit; käme ich nicht einmal zu ihm, und das geschieht auch mit viel Mühe, so würde ich ihn nie sehen. – Was hältst Du von Schmidt10? Ich wechsle zwar nicht gern, doch scheint mir, Vering ist zu sehr Praktiker, als daß er sich viel neue Ideen durchs Lesen verschaffte. – Schmidt scheint mir hierin ein ganz anderer [274] Mensch zu sein und würde vielleicht auch gar nicht so nachlässig sein. – Man spricht Wunder von Galvanism; was sagst Du dazu? ein Mediziner sagte mir, er habe ein taubstummes Kind sehen sein Gehör wieder erlangen (in Berlin) und einen Mann, der ebenfalls sieben Jahre taub gewesen und sein Gehör wieder erlangt habe. – Ich höre eben, Dein Schmidt macht hiermit Versuche. –

Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich mehr unter Menschen gemacht. Du kannst es kaum glauben, wie öde, wie traurig ich mein Leben seit 2 Jahren zugebracht; wie ein Gespenst ist mir mein schwaches Gehör überall erschienen, und ich floh die Menschen, mußte Misanthrop scheinen und bin's doch so wenig. – Diese Veränderung hat ein liebes, zauberisches Mädchen hervorgebracht, das mich liebt, und das ich liebe; es sind seit 2 Jahren wieder einige selige Augenblicke, und es ist das erste mal, daß ich fühle, daß Heirathen glücklich machen könnte; leider ist sie nicht von meinem Stande, – und jetzt – könnte ich nun freilich nicht heirathen; ich muß mich nun noch wacker herumtummeln. Wäre mein Gehör nicht, ich wäre nun schon lange die halbe Welt durchgereiset und das muß ich. – Für mich giebt es kein größeres Vergnügen, als meine Kunst zu treiben und zu zeigen. – Glaub' nicht, daß ich bei euch glücklich sein würde. Was sollte mich auch glücklicher machen? Selbst eure Sorgfalt würde mir wehe thun, ich würde jeden Augenblick das Mitleiden auf euren Gesichtern lesen und würde mich nur noch unglücklicher finden. – Jene schönen vaterländischen Gegenden, was war mir in ihnen beschieden? Nichts, als die Hoffnung auf einen bessern Zustand; er wäre mir nun geworden – ohne dieses Uebel! O die Welt wollte ich umspannen von diesem frei! Meine Jugend, ja ich fühle es, sie fängt erst jetzt an; war ich nicht immer ein siecher Mensch? Meine körperliche Kraft nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu und so meine Geisteskräfte. Jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann Dein Beethoven leben. Nichts von Ruhe! – ich weiß von keiner andern, als dem Schlaf, und wehe genug thut mir's, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß, als sonst. Nur halbe Befreiung von meinem Uebel, und dann – als vollendeter, reifer Mann, komme ich zu euch, erneuere die alten Freundschaftsgefühle. So glücklich als es mir hienieden beschieden ist, sollt ihr mich sehen, nicht unglücklich. – Nein, das könnte ich nicht ertragen, ich will dem Schicksal in den Rachen greifen; ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. – O es ist so schön, das Leben tausendmal leben! – Für ein stilles Leben, nein, ich fühl's, ich bin nicht mehr dafür gemacht. – Du schreibst mir doch so bald, als möglich. – Sorget, daß der Steffen sich bestimmt, sich irgendwo im deutschen Orden anstellen zu lassen. Das Leben hier ist für seine Gesundheit mit zu viel Strapazzen verbunden. Noch obendrein führt er ein so isolirtes Leben, daß ich gar nicht sehe, wie er so weiter kommen will. Du weißt, wie das hier ist; ich will nicht einmal sagen, daß Gesellschaft seine Abspannung vermindern würde, man kann ihn auch nirgends hinzugehen überreden. – Ich habe einmal bei mir vor einiger Zeit Musik gehabt; unser Freund Steffen blieb doch aus11.[275] – Empfehle ihm doch mehr Ruhe und Gelassenheit, ich habe schon auch Alles angewendet; ohne diese kann er nie weder glücklich noch gesund sein. – Schreib' mir nur im nächsten Briefe, ob's nichts macht, wenn's recht viel ist, was ich Dir von meiner Musik schicke; Du kannst zwar das, was Du nicht brauchst, wieder verkaufen, und so hast Du Dein Postgeld – mein Portrait auch. – Alles mögliche Schöne und Verbindliche an die Lorchen – auch die Mama – auch Christoph. – Du liebst mich doch ein wenig? sei sowohl von dieser (meiner Liebe), als auch von der Freundschaft überzeugt Deines Beethoven.« –


Eines der frühesten Projekte der neuen Firma Hoffmeister und Kühnel war die Herausgabe von »I. Seb. Bachs sämtlichen theoretischen und praktischen Klavier- und Orgelwerken12.« Das erste Heft enthielt: 1. Tokkata in D-Moll. 2. 15 Inventionen. 3. das wohltemperierte Klavier (zum Teil); das 2. Heft: 1. 15 Sinfonien zu drei Stimmen. 2. Fortsetzung des wohltemperierten Klaviers. Damit vergleiche man nun, was Schindler (Bd. 2. S. 184 der dritten Ausgabe) sagt: »Von dem Erzvater, Joh. Seb. Bach, war der Vorrat nur ein sehr kleiner. Einige Motetten ausgenommen, die meistens im häuslichen Kreise bei van Swieten gesungen worden, befand sich in diesem Vorrate wohl das Meiste, was die damalige Epoche von Sebastian gekannt, nämlich: das wohltemperierte Klavier, mit sichtbaren Zeichen fleißigen Studiums, drei Hefte von den Exercices, 15 Inventions, 15 Sinfonien und auch eine Toccata in D-Moll. Diese Sammlung in einem Bande befindet sich in meinem Gewahrsam. Darin war ein Blatt festgemacht und darauf von fremder Hand eine Stelle aus Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke von J. N. Forkel zu lesen, welche lautet: ›Die Prätension, daß die Tonkunst eine Kunst für alle Ohren sei, kann bei Bach nicht statuiert werden, und ist durch das bloße Dasein und die Einzigkeit seiner Werke, die dem Kenner wie gewachsen erscheinen, sogar faktisch abgewiesen. Nur der Kenner also, der in einem Werke der Kunst die innere Organisation ahnet, fühlt, und in die Intention des Künstlers dringt, die nichts umsonst will, darf hier urteilen. Ja, man kann die Stärke eines Musikkenners nicht besser prüfen, als wenn man zu erfahren sucht, wie weit er in der Schätzung der Bachschen Werke gekommen.‹ Zu beiden Seiten dieser Stelle standen große mit der dicksten Notenfeder von Beethovens[276] Hand gemachte Fragezeichen und glotzten die Sentenz des gelehrten Geschichtschreibers und Vornehmsten der Bachomanen an. Kein Hogarth hätte in ein Fragezeichen einen grimmigeren Blick, überhaupt einen mehr vernichtenden Ausdruck legen können.«

Nägeli, welcher gestand, lange die Absicht gehabt zu haben, Bachs vorzüglichste Werke herauszugeben, erließ seine Ankündigung im Februar nicht ohne eine gewisse Bitterkeit gegen »die doppelte Konkurrenz«, welche, wie er eben erfahren hatte, »schon wirklich da« war. Von seiner Ausgabe des wohltemperierten Klaviers besaß Beethoven ebenfalls einen Teil.

Der in dem Briefe an Hoffmeister vom 22. April als Komponist erwähnte Freiherr Karl August [nicht Ludwig, wie es in Schillings Lexikon heißt] von Liechtenstein, derselbe, welchem von 1825 bis 1831 die Regie der K. Oper zu Berlin übertragen war, und welcher daselbst 1845 starb, war als Dirigent der Fürstlichen Hofmusik zu Dessau in Briefen aus dieser Stadt, und nach einer Reihe von Aufführungen der Dessauer Opernpersonals in Leipzig auch von der Allgemeinen Musikalischen Zeitung in einer so übermäßigen Weise gepriesen, seine Opern Bathmendi und Die steinerne Braut waren ebenfalls in so hohen Ausdrücken gelobt worden, daß die Unzufriedenheit mit Conti dadurch ihren Gipfel erreichte, und Baron v. Braun den Freiherrn von Liechtenstein berief, die Kapellmeisterstelle an der K. K. Oper in Wien zu übernehmen. Er trat diese Tätigkeit gegen Ende 1800 an, und die gleichzeitigen Berichte über seine Wirksamkeit in derselben sind in hohem Grade günstig. Kurz vor seiner Ankunft waren Mozarts Figaro und Don Juan aufgeführt worden, und ihm gebührt der Ruhm, durchgesetzt zu haben, daß ein anderes der Werke des großen Meisters, welches die Wiener bis dahin nur in dem kleinen Theater an der Wieden gehört hatten, die unsterbliche Zauberflöte, in das Repertoire der K. K. Oper aufgenommen wurde; er brachte dieselbe am 24. Februar mit großer Pracht der Dekorationen zur Aufführung. Dabei ist erwähnenswert, daß Liechtenstein aus Dessau des armen Neefe Tochter Felice [damals Frau Rösner] mitbrachte, welche bei dieser Aufführung die Pamina sang.

In dem ersten neuen Werke, welches nach Beethovens Prometheusmusik auf der K. K. Bühne aufgeführt wurde, produzierte sich Liechtenstein dem Wiener Publikum selbst als Komponist (16. April). Es war sein »Bathmendi«, ganz umgearbeitet. Das Resultat war ein gänzliches Fiasko; unmittelbar nach Mozart und Beethoven war die Schwäche von Liechtenstein nur zu offenbar. Hoffmeisters langjährige und vertraute [277] Bekanntschaft mit Wien, seinen Musikern und seinen Theatern machte es ihm leicht, das Witzige und Scherzhafte in Beethovens Bemerkung zu verstehen, wenn dieser sagt, daß der kürzlich engagierte Kapellmeister und Komponist der K. K. Oper sich Wenzel Müller, den Offenbach jener Zeit, den fruchtbaren Komponisten komischer Operetten beim »Kasperletheater der Leopoldstadt«, zum Ideale gemacht zu haben scheine, »doch – ohne sogar ihn – zu erreichen!« Erwägt man, daß der Freiherr noch ein junger Mann und höchstens drei Jahre älter war als Beethoven, so scheint die etwas bittere Bemerkung, welche dem Scherze folgt, natürlich genug. –

Beethoven hatte gerade damals Ursache, unwillig zu sein über die Behandlung, die ihm von seiten der Mitarbeiter der in Leipzig neu gegründeten »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« – der »Leipziger Ochsen« seines Briefes vom 15. Januar – zuteil geworden war. Hoffmeister hatte ihm offenbar über die Sache geschrieben; die Art, wie er in seiner Antwort, zumal in einem vertraulichen Briefe, die Sache beinahe mit Stillschweigen übergeht und sich nur auf eine einzelne verächtliche Äußerung beschränkt, imponiert uns einigermaßen; nicht weniger aber die männlichen, würdigen und freimütigen Worte über dieselbe Sache in seinem Briefe an Breitkopf und Härtel vom 22. April 1801.

Die erste Nummer dieser berühmten musikalischen Zeitschrift, welche man im ganzen genommen wohl als die bedeutendste aller jemals erschienenen bezeichnen kann, erschien am 3. Oktober 1798, unter der Redaktion von Rochlitz, im Verlage von Breitkopf und Härtel. In der zweiten Nummer rühmt ein gewisser Z ... die sechs Fughetten des Knaben C. M. von Weber, in der zehnten sind die Sonaten des jungen Hummel (Op. 3) besprochen; in der 15. erscheint zuerst der Name Beethovens, nämlich – in dem Titel der drei ihm gewidmeten Sonaten von Wölffl. In Nr. 23 endlich, im März 1799, wird er den Lesern der Zeitung als Autor vorgeführt, aber nicht etwa mit einem oder einigen der acht Trios oder einer der zehn Sonaten, dem Quintett oder der Serenade, welche damals unter den Opuszahlen 1 bis 11 bereits erschienen waren, sondern mit den zwölf Variationen über »Ein Mädchen oder Weibchen« und den acht Variationen über »Mich brennt ein heißes Fieber«.

»Daß Herr van Beethoven«, sagt der Schriftsteller M ..., »ein sehr fertiger Klavierspieler ist, ist bekannt, und wenn es nicht bekannt wäre, könnte man es aus diesen Veränderungen vermuthen. Ob er ein eben so glücklicher Tonsetzer sei, ist eine Frage, die, nach vorliegenden Proben zu [278] urtheilen, schwerer bejaht werden dürfte. Rec. will damit nicht sagen, daß ihm nicht einige dieser Veränderungen gefallen haben sollten, und er gesteht es gern, daß die über das Thema: Mich brennt ein heißes Fieber, Herrn B. besser geraten sind, als Mozarten, der dasselbe Thema in seiner früheren Jugend13 gleichfalls bearbeitet hat. Aber weniger glücklich ist Herr B. in den Veränderungen über das erste Thema, wo er sich z.B. in der Modulation Rückungen und Härten erlaubt, die nichts weniger als schön sind. Man sehe besonders Var. XII, wo er in gebrochenen Akkorden von F-Dur also nach D-Dur moduliert:


7. Kapitel. Briefe von 1801

und wo er dann auf einmal, nachdem das Thema in dieser Tonart gehört worden ist, wieder ins F auf diese Weise zurückfällt:


7. Kapitel. Briefe von 1801

Ich mag dergleichen Übergänge ansehen und anhören, wie ich will, sie sind und bleiben platt, und sind und bleiben es nur desto mehr, je prätensionirter und ankündigender sie sein sollen. Überhaupt – was ich jedoch dem Verfasser der obigen Stücke nicht allein und nicht zunächst gesagt haben will – werden jetzt eine so ungeheuere Menge Variationen fabricirt und leider auch gedruckt, ohne daß wirklich gar viele Verfasser derselben zu wissen scheinen, was es mit dem guten Variiren eigentlich für eine Bewandtnis hat. Darf ich ihnen einen Rat geben, so gut sichs [279] ganz in der Kürze thun läßt? Wohlan, wer Geist und Geschick hat überhaupt etwas gutes Musikalisches zu schreiben – denn ohne diese Eigenschaften bleibt man ein tönend Erz und eine klingende Schelle – der lerne 1. von Jos. Haydn sich sein Thema wählen. Die Themata dieses Meisters sind vornehmlich a) einfach und leichtfaßlich, b) schön rhythmisch, c) nicht gemein, und einer weiteren Ausbildung in Melodie und Harmonie fähig. Will man 2. Anweisung haben, wie ein so gut gewähltes Thema zu bearbeiten ist (soweit nämlich überhaupt zu so etwas Anweisung gegeben werden kann): so studire man vornehmlich ein Werkchen, das, soviel ich weiß, wenig, und ganz gewiß nicht nach Verdienst bekannt worden ist – Voglers Beurteilung der Forkelschen Variationen über das englische Volkslied God save the king, Frankfurt bei Varrentrapp und Wenner. Man halte diese Schrift nicht etwa für eine bloße gewöhnliche Rezension; ihr ebenso genialischer als gelehrter Verfasser zeigt darin nicht nur, was an jenen Variationen zu tadeln, nicht nur, wie es besser zu machen, sondern überall auch, warum es zu tadeln, warum es besser zu machen, und warum es gerade so und nicht anders besser zu machen ist.«

So fand Beethoven bei seinem ersten Bekanntwerden als Komponist in dieser Zeitung zwei seiner Kompositionen, die er selbst einer Opusnummer nicht wert gehalten hatte – unter Vernachlässigung aller seiner besseren Werke – zum Gegenstande der Kritik und des Spottes gemacht, zu dem Zwecke, ein Pamphlet Voglers anzupreisen14.

Nr. 33 der A. M. Z. enthält beinahe zwei Seiten aus der Feder Spaziers über Liechtensteins Oper »Die steinerne Braut«, und die S. 68 f. erwähnte Parallele zwischen Beethoven und Wölffl als Pianisten. In der darauffolgenden Nummer findet das Klarinetten-Trio Op. 11 einen Rezensenten. Hier ist sein ganzes Raisonnement. »Dieses Trio, das stellenweise eben nicht leicht, aber doch fließender als manche andere Sachen vom Verfasser ist, macht auf dem Fortepiano mit der Klavierbegleitung ein recht gutes Ensemble. Derselbe würde uns, bei seiner nicht gewöhnlichen harmonischen Kenntnis und Liebe zum ernsten Satze, viel Gutes liefern, das unsere faden Leyersachen von öfters berühmten Männern weit hinter sich zurückließe, wenn er immer mehr natürlich als gesucht schreiben wollte.« Konnte man weniger sagen?

Die »Leipziger Ochsen« gerieten nun auf die berühmten Sonaten [280] für Klavier und Violine Op. 12; Nr. 36 (vom Juni 1799) enthält das Resultat ihrer Prüfung.

»Rec., der bisher die Klaviersachen des Verfassers nicht kannte, muß, nachdem er sich mit vieler Mühe durch diese ganz eigene, mit seltenen Schwierigkeiten überladene Sonaten durchgearbeitet hat, gestehen, daß ihm bei dem wirklich fleißigen und angestrengten Spiele derselben zu Muthe war, wie einem Menschen, der mit einem genialischen Freunde durch einen anlockenden Wald zu lustwandeln gedachte und durch feindliche Verhaue alle Augenblicke aufgehalten, endlich ermüdet und erschöpft ohne Freude herauskam. Es ist unleugbar, Herr van Beethoven geht einen eigenen Gang: aber was ist das für ein bizarrer, mühseliger Gang! Gelehrt, gelehrt und immer fort gelehrt und keine Natur, kein Gesang! Ja! wenn man es genau nimmt, so ist auch nur gelehrte Masse da, ohne gute Methode; eine Sträubigkeit, für die man wenig Interesse fühlt; ein Suchen nach seltener Modulation, ein Ekelthun gegen gewöhnliche Verbindung, ein Anhäufen von Schwierigkeit auf Schwierigkeit, daß man alle Geduld und Freude dabey verliert. Schon hat ein anderer Rec. (M. Z. Nr. 24) beynahe dasselbe gesagt, und Rec. muß ihm vollkommen beystimmen.«

»Unterdeß soll diese Arbeit darum nicht weggeworfen werden. (!) Sie hat ihren Werth und kann insonderheit als eine Schule für bereits geübte Klavierspieler von großem Nutzen sein. Es giebt immer manche, die das Ueberschwere in der Erfindung und Zusammensetzung, das, was man widerhaarig nennen könnte, lieben, und wenn sie diese Sonaten mit aller Präcision spielen, so können sie, neben dem angenehmen Selbstgefühl, immer auch Vergnügen an der Sache selbst empfinden. – Wenn Hr. v. B. sich nur mehr selbst verleugnen, und den Gang der Natur einschlagen wollte, so könnte er bei seinem Talente und Fleiße uns sicher recht viel Gutes für ein Instrument liefern, dessen er so außerordentlich mächtig zu seyn scheint.«

Wir gehen ohne weiteren Kommentar zu Nr. 38 über. Da finden sich etwa ein halbes Dutzend »kurze Anzeigen«; neun Variationen für zwei Violinen von Schuppanzigh »sind in gutem Geschmack und sehr bequem für das Instrument geschrieben« usw.; acht Variationen für Pianoforte von Phil. Freund »gehen wohl an und einige darunter gehören mit zu den besseren«; sechs Variationen für Violine und Violoncell von Heinrich Eppinger »verdienen eine rühmliche Erwähnung« usw.; eine Sonate von A. W. Pracht »ist zwar nicht ohne allen Werth ... ist [281] ordentlich und rechtlich, wiewohl etwas steif, und kann ... Lehrlingen und Damen ... empfohlen werden« usw. Dann aber heißt es von neun Variationen für Klavier über das Duett: La stessa, la stessissima, von L. v. Beethoven: »mit diesen kann man nun gar nicht zufrieden sein. Wie sind sie steif und gesucht und welche unangenehme Stellen darin, wo harte Tiraden in fortlaufend halben Tönen gegen den Baß ein häßliches Verhältnis machen, und umgekehrt. Nein, es ist wahr, Hr. v. B. mag phantasiren können, aber gut variiren versteht er nicht.«

Von jetzt an beginnt aber das Blatt sich zu wenden. Nach einem Zwischenraume von ungefähr vier Monaten, in Nr. 2 des zweiten Bandes (Oktober 1799) wird den Sonaten für Klavier und ViolineOp. 12 wiederum eine Seite gewidmet. Einige Sätze werden genügen, um den Ton des Artikels zu zeigen; das Lob Beethovens bedarf der Wiederholung nicht. »Es ist nicht zu leugnen, daß H. v. B. ein Mann von Genie ist, der Originalität hat und durchaus seinen eigenen Weg geht. Dazu sichert ihm seine nicht gewöhnliche Gründlichkeit in der höheren Schreibart und seine außerordentliche Gewalt auf dem Instrument, für das er schreibt, unstreitig den Rang unter den besten Klavierkomponisten und Spielern unserer Zeit. Seine Fülle von Ideen, vor denen ein aufstrebendes Genie gewöhnlich sich nicht zu lassen weiß, sobald es einen der Darstellung fähigen Gegenstand erfaßt, veranlaßt ihn aber zu oft, Gedanken wild aufeinander zu häufen« usw. »Phantasie, wie sie Beethoven in nicht gemeinem Grade hat, zumal von so guter Kenntnis unterstützt, ist etwas sehr Schätzbares und eigentlich Unentbehrliches für einen Komponisten« usw. »Rec., der Herrn v. Beethoven, nachdem er sich an seine Manier nach und nach mehr zu gewöhnen versucht hat, mehr zu schätzen anfängt als vorher, kann den Wunsch nicht unterdrücken ... daß es diesem phantasiereichen Komponisten gefallen möge, sich durchweg bei seinen Arbeiten von einer gewissen Oekonomie leiten zu lassen« ... »Diese zehnte Sammlung scheint denn also dem Rec., wie gesagt, vielen Lobes werth. Gute Erfindung, ernster männlicher Styl ... wohl und ordentlich mit einander verbundene Gedanken, in jeder Partie gut gehaltener Charakter, nicht bis zum Uebermäßigen hinausgetriebene Schwierigkeiten, eine unterhaltende Führung der Harmonie – heben diese Sonaten vor vielen sehr heraus« usw.

In Nr. 21 (Februar 1800) erhält die Sonate pathétique gerechte Würdigung. Der dritte Band der Zeitung enthält eine beiläufige Anzeige der Quartette Op. 18, außerdem nur wenige Erwähnungen Beethovens.[282] S. 67 heißt es, daß Virtuosen, namentlich Violinisten, in Wien keine Existenz finden können, »nur etwa Beethoven und Wölffl als Klavierspieler«. S. 339 wird in einem Briefe aus Breslau vom Januar 1801 gesagt: »Die Fortepianospieler wagen sich gern an Beethoven und scheuen weder Zeit noch Mühe, um sich durch seine Schwierigkeiten hindurch zu arbeiten.« S. 619 werden drei Sonaten von Johann Schadeck den Arbeiten »von Männern wie Clementi und Beethoven« an die Seite gestellt. Es verfloß mehr als ein Jahr zwischen der günstigen Besprechung der Sonate pathétique und dem Briefe an Breitkopf und Härtel vom 22. April. Der milde Ton dieses Schreibens läßt sich demnach leicht erklären; der Ton der Musikzeitung hatte sich vollständig geändert. Dieser Umstand und die Zeit haben Beethovens Zorn besänftigt; und endlich hatten die Verleger, indem sie sich um Manuskripte an ihn wandten, ihm eine ehrenvolle Genugtuung gegeben.

Mit der Nummer vom 26. Mai, welche die Anzeige der beiden Sonaten für Klavier und Violine Op. 23 und Op. 24 enthält, beginnt jene lange Reihe gerecht, aufrichtig und in edler Weise rühmender Artikel über Beethovens Werke, welche gipfelten in der großartigen Besprechung der C-Moll-Symphonie durch E. T. A. Hoffmann im Juli 1810; eine Arbeit liebevollster Verehrung, welche den Grund zu einer neuen Schule der musikalischen Kritik legte15. –

Über den letzten Punkt in dem Briefe an Breitkopf und Härtel ist noch ein Wort zu sagen. Im Intelligenzblatt der Allg. Musik. Zeitung vom Mai 1800 hatte Rochlitz einen rührenden Aufruf zur Unterstützung des letzten überlebenden von J. S. Bachs Kindern erlassen. »Diese Familie ist nun ausgestorben«, sagt er, »bis auf eine einzige Tochter des großen Sebastian Bach, und diese Tochter, jetzt in hohem Alter – diese Tochter darbt .... Die Verlagshandlung der Musikzeitung und ich – wir erbieten uns, das, was man vielleicht anvertrauen möchte, auf das pünktlichste an seine Bestimmung zu befördern und Rechenschaft darüber in diesen Intelligenzblättern abzulegen.« Die erste Rechnung findet sich in dem Blatte für Dezember. Regina SusannaBach veröffentlicht ihren Dank für 96 Taler 5 Sgr., welche nach der hinzugefügten genaueren Berechnung von 16 Personen beigesteuert waren. Davon hatten [283] vier Spender aus Wien mehr als 80 Gulden geschickt, so daß nur noch eine kleine Summe als Gabe »ihres Deutschland« übrig blieb. Die einzige weitere Berechnung erschien im Juni 1801. Es ist eine Bekanntmachung von Rochlitz, Breitkopf und Härtel und Fräulein Bach, daß sie »den 10. May durch den Wiener Tonkünstler Herrn Andreas Streicher die ansehnliche Summe von 307 Gulden Wiener Courant« (= 200 Taler) erhalten haben, gesammelt durch Streicher und Graf Fries. »Zugleich erklärt der berühmte Wiener Komponist und Virtuos, Herr v. Beethoven, er werde eins seiner neuesten Werke einzig zum Besten der Tochter Bachs ...« herausgeben, »damit die gute Alte von Zeit zu Zeit Vorteil davon ziehen möchte: wobei er auf so edle Weise auf möglichste Beschleunigung der Herausgabe dringt, damit uns ja nicht etwa diese Bach früher stürbe, als jener Zweck erreicht würde.« Es ist nicht bekannt, ob ein solches Werk je veröffentlicht worden ist.

Fußnoten

1 Original im Besitz der Firma C. F. Peters.


2 Peter Frank, Direktor der medizinischen Studien in Pavia, dann des allgemeinen Krankenhauses in Wien; erster klassischer Schriftsteller über Medizinal-Polizei usw. (vgl. S. 133). Beethoven unterstrich wahrscheinlich das Wort Ton, weil er es mit der schönen Bedeutung, die er kannte, nicht in Einklang bringen konnte, – oder lachte er darüber? (Wegeler.)


3 Gerhard von Vering, Dirigierender Stabs-Feld-Arzt, Kaiserlicher Rat, Indigena von Ungarn, Vater des in Deutschland und Frankreich rühmlichst bekannten praktischen Arztes Joseph von Vering in Wien und 1608 Schwiegervater Stephans von Breuning. »Schon aus diesem und dem nachfolgenden Briefe ersieht man, daß Beethoven außer seiner Harthörigkeit an mancherlei Übeln litt, und daß von Seyfrieds Äußerung (S. 13): ›Krankheiten hat er (Beethoven) nie gekannt, trotz der ihm eigenen ungewöhnlichen Lebensweise‹ große Einschränkung fordert.« (Wegeler.)


4 Selbst Ries merkte, wie man sehen wird, in den ersten zwei Jahren nichts davon. (Wegeler.)


5 Eleonore von Breuning, Wegelers Frau. Vgl. Bd. I2 S. 210.


6 Ein bekanntes Bild von Füger, Direktor der Maler-Akademie in Wien, wie Erasistratus die Liebe des Antiochus zu seiner Stiefmutter Stratonice erkennt. (Wegeler.)


7 Christoph von Breuning, später Geheimer Revisions-Rat in Berlin. (Wegeler.)


8 Die Mutter von Breuning (Wegeler).


9 Die Rinde von Daphne mezereum – Seidelbast (Wegeler).


10 Joh. Adam Schmidt, k. k. Rat, Feldstabsarzt, öffentl. und ordentl. Lehrer der Heilkunde an der Josephinischen Akademie, Augenarzt, Verfasser mehrerer klassischen Schriften. Wegeler.


11 Es mußte die Verstimmung bei diesem Freunde um so größer sein, als Breuning ein Musikliebhaber, vom Vater Ries zu einem vorzüglichen Violinspieler gebildet worden war und selbst mehrmals im Kurfürstlichen Kabinet gespielt hatte. Wegeler.


12 Ihre hübsch geschriebene Aufforderung zur Subskription ist zu lesen in dem Intelligenzbl. Nr. 4 der Zeitung für die elegante Welt v. 1801. Die von Nägeli steht im Intelligenzbl. d. A. M. Ztg. vom Febr. 1801.


13 Mozart ist nicht der Verfasser, s. Köchel, S. 529 Nr. 285 (1. Ausgabe). »Frühere Jugend«? Bei der ersten Aufführung von Gretrys Richard Löwenherz in Paris war Mozart 28 Jahre alt, und als das Werk zuerst in Wien aufgeführt wurde, 32 Jahre.


14 Waren vielleicht seine eigenen Variationen überGod save the king eine Wirkung dieses Artikels?


15 Auch der Umstand, daß der Nr. 20 des sechsten Bandes das Porträt des jungen Komponisten beigegeben wurde, mag den Umschlag der Gesinnung gegen Beethoven und seine Werke dartun.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1910..
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