Neuntes Kapitel.

Herzensbeziehungen Beethovens. Der Brief ab die unsterbliche Geliebte.

In dem Briefe an Wegeler vom 16. November sind die bestimmten Äußerungen von Beethovens Wunsch und Absicht, seine Fähigkeiten als Klavierspieler und Komponist auch in anderen Städten zu zeigen, überraschend und der Aufmerksamkeit des Lesers wert: eines Kommentars bedürfen dieselben nicht. Das wachsende Selbstbewußtsein des gereiften und Anerkennung in weiten Kreisen findenden Künstlers drängte denselben ganz natürlicherweise dazu, seine sich festigende Stellung in der Welt offenkundig und fühlbar zu machen. Auch mögen wohl Herzensbeziehungen, ein gelegentliches Aufkeimen des Gedankens, sich einen eigenen Herd zu gründen, mitgesprochen haben, das Verlangen nach stärkerer Geltendmachung seines Renommees in ihm zu erwecken.

Es wird nunmehr unerläßlich, eine die Bemerkungen S. 131 ergänzende und weiterführende Umschau unter den jungen Damen zu halten, mit denen Beethoven seine Berufstätigkeit als Klavierspieler, Komponist und Lehrer in Verkehr brachte, und zu erwägen, wie weit um diese Zeit stärkere Einflüsse des anderen Geschlechts für die Richtung seines Schaffens, für den Inhalt seiner Schöpfungen in Frage kommen.

Wir kennen schon die Zeugnisse von Wegeler, Romberg, Breuning, Ries, daß Beethoven »nie ohne eine Liebe und meistens von ihr in hohem Grade ergriffen war«. »In Wien«, sagt Wegeler, »wenigstens so lange ich da lebte, war Beethoven immer in Liebesverhältnissen und hatte mitunter Eroberungen gemacht, die manchem Adonis, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer geworden wären. – – Bemerken will ich noch, daß, so viel mir bekannt geworden, jede seiner Geliebten höheren Ranges war.« Dasselbe erzählten ehemalige Freunde Beethovens, mit denen Otto Jahn im Jahre 1852 sprach. Dr. Bertolini, Arzt und Freund Beethovens von 1806 bis 1816, erzählte folgendes: »Beethoven hatte gewöhnlich eine Flamme: die Guicciardi, Frau von Frank, Bettine Brentano«; er sei namentlich für die Reize anmutiger, aber schwächlicher Frauen nicht unempfänglich gewesen. Doležalek, sein Freund und [298] Bewunderer, fügt hinzu, daß man ihm nie anmerkte, wenn er verliebt war. Kurz, Beethovens Erfahrung war die mancher genialen Männer von lebhaftem Temperament, welche aus einem oder dem andern Grunde sich nie verheiraten und daher das ruhige, gleichmäßige und unveränderliche Glück der ehelichen Liebe nicht kennen. Eine ihn ganz erfüllende und doch nur vorübergehende Leidenschaft, so lange dauernd, bis der Gegenstand derselben einen begünstigteren Nebenbuhler heiratet, wird vergessen und macht einer anderen Platz, welcher ein gleiches Ende bestimmt ist, bis endlich alles Vertrauen auf die Möglichkeit einer bleibenden und stetigen Zuneigung zu einer Frau verloren geht. Wenn solche Männer das mittlere Lebensalter erreicht haben, so mögen sie aus hundert Gründen der Konvenienz heiraten, jedenfalls sehr selten aus Liebe.

Angesichts der immer mehr anwachsenden Literatur über die Frage der »unsterblichen Geliebten« Beethovens1, d.h. der Adressatin des berühmten dreiteiligen Liebesbriefes ohne Adresse und ohne Jahreszahl, der von Beethoven mit seinen Wertpapieren in einem geheimen Fach versteckt war und nach seinem Tode gefunden wurde (vgl. Bd. V. S. 494), ist es unerläßlich geworden, bei der Besprechung von Damen, denen Beethoven näher gestanden, die er durch Widmungen ausgezeichnet usw., jederzeit diese Frage im Auge zu behalten, wenn nicht, um die wirkliche Lösung des Problems zu finden, so doch zum mindesten, um die in Menge entwickelten darauf bezüglichen Legendenbildungen auf ihren haltbaren Kern zu untersuchen. Wenn wir diese Betrachtung gerade hier zum Jahre 1801 anstellen, so ist dafür der Grund der, daß 1801 das früheste Jahr ist, in welches man diese besonders starke Ergriffenheit Beethovens von einerlei denschaftlichen Liebe setzen zu müssen gemeint hat. Der betreffende Brief selbst, den die erste Auflage als Anhang I des dritten Bandes gebracht hat, mag seine Stelle bereits hier finden, um ihn für die zahlreichen notwendig werdenden Bezugnahmen bereits in dem vorliegenden Bande zur Hand zu haben und auf ihn zurückverweisen zu können, anstatt ihn für den dritten Band zu verheißen. Er lautet:


(Beethovens Liebesbrief)

[299] »Am 6. Juli, Morgens.


Mein Engel, mein alles, mein ich – nur einige Worte heute, und zwar mit Bleistift (mit deinem) – erst bis morgen ist meine Wohnung sicher bestimmt, welcher nichtswürdige Zeitvertreib in d. g. – Warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht – kann unsere Liebe anders bestehen, als durch Aufopferungen, durch nicht Alles verlangen, kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin. – Ach Gott, blick' in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das Müssende – die Liebe fordert Alles und ganz mit Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir – nur vergißt du so leicht, daß ich für mich und für dich leben muß – wären wir ganz vereinigt, du würdest dieses Schmerzliche ebensowenig als ich empfinden. – Meine Reise war schrecklich; ich kam erst Morgens 4 Uhr gestern hier an; da es an Pferden mangelte, wählte die Post eine andere Reiseroute, aber welch schrecklicher Weg; auf der letzten Station warnte man mich, bei Nacht zu fahren – machte mich einen Wald fürchten, aber das reizte mich nur, und ich hatte Unrecht; der Wagen mußte bei dem schrecklichen Wege brechen, grundloß, bloßer Landweg – ohne solche Postillone, wie ich hatte, wäre ich liegen geblieben unterwegs. Eszterhazy hatte auf dem andern gewöhnlichen Wege hiehin dasselbe Schicksal mit acht Pferden, was ich mit vier – jedoch hatte ich zum Theil wieder Vergnügen, wie immer, wenn ich was glücklich überstehe. – Nun geschwind zum innern vom äußern. Wir werden unß wohl bald sehen, auch heute kann ich dir meine Bemerkungen nicht mittheilen, welche ich während dieser einigen Tagen über mein Leben machte – wären unsere Herzen immer dicht aneinander, ich machte wohl keine d. g. Die Brust ist voll, dir viel zu sagen – ach - es gibt Momente, wo ich finde, daß die Sprache noch gar nichts ist – erheitere dich – bleibe mein treuer, einziger Schatz, mein alles, wie ich dir: das Uebrige müssen die Götter schicken, was für uns sein muß und sein soll.


Dein treuer Ludwig


Abends, Montags am 6. Juli.


Du leidest, du mein theuerstes Wesen – eben jetzt nehme ich wahr, daß die Briefe in aller Frühe aufgegeben werden müssen. Montags – Donnerstags – die einzigen Tage, wo die Post von hier nach K. geht. – Du leidest – ach, wo ich bin, bist auch du mit mir, mit mir und dir werde ich machen, daß ich mit dir leben kann, welches Leben !!!! so !!!! ohne dich – verfolgt von der Güte der Menschen hier und da, die ich meine ebenso wenig verdienen zu wollen, als sie zu verdienen – Demuth des Menschen gegen den Menschen – sie schmerzt mich – und wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich und was ist der – den man den Größten nennt – und doch – ist wieder hierin das Göttliche des Menschen – ich weine, wenn ich denke, daß Du erst wahrscheinlich Sonnabends die erste Nachricht von mir erhältst – wie du mich auch liebst – stärker liebe ich dich doch – doch nie verberge dich vor mir – gute Nacht – als Badender muß ich schlafen gehen. Ach Gott – so nah'! so weit! Ist es nicht ein wahres Himmelsgebäude unsere Liebe – aber auch so fest, wie die Veste des Himmels.


[300] Guten Morgen, am 7. Juli.


Schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir, meine unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksale abwartend, ob es unß erhört – Leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht, ja ich habe beschlossen, in der Ferne so lange herumzuirren, bis ich in deine Arme fliegen kann und mich ganz heimathlich bei dir nennen kann, meine Seele von dir umgeben ins Reich der Geister schicken kann. – Ja leider muß es seyn – du wirst dich fassen, umsomehr da du meine Treue gegen dich kennst, nie kann eine andere mein Herz besitzen, nie – nie – o Gott, warum sich entfernen müssen, was man so liebt, und doch ist mein Leben in W. so wie jetzt ein kümmerliches Leben – deine Liebe machte mich zum glücklichsten und zum unglücklichsten zugleich – in meinen Jahren jetzt bedürfte ich einiger Einförmigkeit Gleichheit des Lebens – kann diese bei unserm Verhältnisse bestehen? – Engel, eben erfahre ich, daß die Post alle Tage abgeht – und ich muß daher schließen, damit du den B. gleich erhälst. – Sei ruhig, nur durch ruhiges Beschauen unseres Daseins können wir unsern Zweck zusammen zu leben erreichen – sei ruhig – liebe mich – heute – gestern – welche Sehnsucht mit Thränen nach dir – dir – dir – mein Leben – mein alles – leb wohl – o liebe mich fort – verkenne nie das treuste Herz deines geliebten L.


ewig dein

ewig mein

ewig unß.«


Wie schon betont, ist die Frage, wer die Adressatin dieses Briefes sei, so oft aufgeworfen und in der verschiedensten Weise beantwortet worden, daß es geboten erscheint, die Beziehungen Beethovens zu den Damen, welche dafür ins Auge gefaßt worden sind, einzeln an ihrer Stelle in der Biographie zu besprechen und die Identifizierung der Persönlichkeit eventuell hinauszuschieben an die äußerste Grenze des in Betracht kommenden Zeitraums. Denn der Umstand, daß die Briefe zwar datiert sind aber der Jahreszahl entbehren, auch der Ort ihrer Absendung wie der der Bestimmung nicht kenntlich gemacht ist, hat es ermöglicht, daß die Versuche, das Jahr festzustellen, in welches sie gehören, zwischen 1801 und 1812 schwanken. 1801 zählte Beethoven 31, 1812 42 Jahre. Die Stelle in dem dritten Brief: »In meinen Jahren jetzt bedürfte ich einiger Einförmigkeit, Gleichheit des Lebens« schließt jedenfalls die Annahme des spätesten Termins (1812) nicht aus und kann den frühesten (1801) schon zweifelhaft machen, zumal sich bekanntlich Beethoven für zwei Jahre jünger hielt als er war: mit 29 redet man wohl noch nicht so elegisch von seinen »Jahren«.

Beethoven datiert den ersten Brief »Montag 6. Juli«. Nimmt man die Richtigkeit dieser Datierung an, so sind zunächst in Betracht kommend [301] diejenigen Jahre, in denen der 6. Juli ein Montag war: 1801, 1807 und 1812. Läßt man aber zu, daß Beethoven, wie öfter geschehen, ein unrichtiges Datum geschrieben, so schwindet jeder diesbezügliche Anhaltspunkt und sind Schlüsse nur möglich für Jahre, in denen Beethoven nachweislich sich in einem von Wien entfernteren Badeorte befunden hat. Die Darstellungen in der ersten Auflage des zweiten und dritten Bandes fußten auf der Kombination, daß der ernstliche Heiratsplan Beethovens (der ihn im Frühjahr 1810 veranlaßte, sich durch Wegeler seinen Taufschein besorgen zu lassen, der aber bald darauf scheiterte) mit derselben Persönlichkeit in Verbindung gebracht werden müsse, an welche der Liebesbrief gerichtet ist. Da sich aber heute zufolge der gründlichen Prüfung der Korrespondenz Clementis herausgestellt hat, daß Beethovens Heiratsantrag von 1810 sicher Therese von Malfatti angeht, die aber, wie wir sehen werden, für den Liebesbrief gerade nicht in Betracht kommen kann, so ist diese Kombination unhaltbar geworden. Eine größere Zahl von Briefen Beethovens muß aber heute in ganz andere Jahre verwiesen werden, weil Clementis Korrespondenz mit seinem Associé Collard die Gewißheit ergibt, daß das Honorar für die 1807 verkauften Werke erst im Frühjahr 1810 zur Auszahlung gekommen ist. Die Beziehungen Beethovens zu Therese Malfatti rücken dadurch von 1807 auf 1809–10. 1810 als der Zeitpunkt, wo die Aussicht Beethovens auf eine Vermählung mit Therese Brunswik ihr Ende gefunden, ist somit nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die negative Entscheidung auf diesem Gebiete muß entweder erheblich früher oder aber später datiert werden. Die Ahnung dieses Sachverhaltes verrät übrigens Thayers Bemerkung Bd. II S. 339 Zeile 18–19 der ersten Auflage. Thayer hat versucht, 1806 als Jahr des Liebesbriefs festzustellen unter Annahme eines Irrtums in der Datierung. La Mara (Neue Rundschau, Januar 1908) folgte ihm hierin, hat aber 1909 durch die Veröffentlichung der glücklich ans Licht gebrachten Memoiren der Gräfin Therese Brunswik die Unmöglichkeit erwiesen, 1806 aufrecht zu erhalten, da Therese mit ihrer Mutter 1806 seit Ende Mai in Siebenbürgen weilte bei ihrer Schwester Lottchen (Gräfin Teleky) bis nach deren am 6. Juli 1806 erfolgter Entbindung. La Mara verweist daher den Brief in 1807, wo aber nach den Memoiren Therese mit ihrer Mutter im Juli in Karlsbad war. Das K. des Liebesbriefes könnte allerdings sehr wohl Karlsbad statt Korompa (Stammschloß der Brunswik) bedeuten; auch Thayer ließ unbestimmt, ob K. gerade ein ungarisches Bad bedeuten müsse (was zuerst Schindler wohl ohne positive [302] Unterlage behauptete). Aber 1807 war Beethoven während des Monats Juli in Baden bei Wien und weder in Böhmen noch in Ungarn, wie mehrere Briefe bestimmt belegen, die an ihrer Stelle zur Sprache kommen werden. So zerfließen auch hier die Möglichkeiten. Nichtsdestoweniger bleibt aber die Tatsache bestehen, daß Beethoven nicht nur dem Grafen Franz Brunswik sondern auch seiner Schwester Therese sehr nahe gestanden hat. Die Memoiren bieten sogar doch Anhaltspunkte dafür, daß die Stelle »eine frühere Leidenschaft hatte mein Herz verzehrt« (La Mara, a. a. O. S. 107) auf Beethoven bezogen werden muß. Ob aber der Liebesbrief an sie gerichtet gewesen, ist damit noch keineswegs aufgeklärt.

Die Memoiren (S. 63 ff.) geben zunächst erwünschten Aufschluß über die an diese Stelle der Biographie gehörigen Anfänge der Beziehungen Beethovens zu der Familie Brunswik. Therese war bereits 1787–88, als sie zwölf Jahre alt war, in Wien in Pension gegeben bei einer Mme Billig: ihr Musiklehrer war damals der Domorganist Joseph Preindl (ein sinnentstellender Druckfehler ist hier bei La Mara zu rektifizieren; statt »Mme Billig-Preindl. Der« muß es heißen: »Mme Billig. Preindl, der« etc.) Im Jahre 1800 aber [»Es war das letzte Jahr des verflossenen Jahrhunderts im May«] weilte die Mutter mit den beiden Töchtern Josephine und Therese 18 Tage in Wien, um die Töchter in die Gesellschaft einzuführen, und während dieser Zeit erhielten dieselben 16 Tage nacheinander von Beethoven Klavierunterricht. Hiernach ist also die Zeit ganz genau zu bestimmen, wann Beethoven den Schwestern die Variationen über »Ich denke dein« für Klavier zu vier Händen (S. 209) ins Stammbuch geschrieben hat. Die Stücke für ein mechanisches Musikwerk (S. 210) werden sicher für Graf Deym geschrieben sein, der unter dem Namen H. Müller eine Art Museum unterhielt, das gegen Entree zugänglich war. Deym verlobte und verheiratete sich damals mit der Komtesse Josephine Brunswik, Theresens Schwester, starb aber schon 1804. Durch das Deymsche Haus (er unterrichtete in der Folge unentgeltlich Josephine weiter) wurde nun auch Beethoven mit Franz von Brunswik bekannt (La Mara S. 64): »Damals ward mit Beethoven die innige herzliche Freundschaft geschlossen, die bis an sein Lebensende dauerte. Er kam nach Ofen, er kam nach Mortonvasar, er wurde in unsere Societätsrepublik von auserlesenen Menschen aufgenommen. Ein runder Platz ward mit hohen edlen Linden bepflanzt; jeder Baum trug den Namen eines Mitgliedes, und auch in der schmerzlichen Abwesenheit sprachen [303] wir mit ihren Sinnbildern, unterhielten und belehrten uns mit ihnen. Sehr oft, nachdem der gute Morgen gesagt ward, frug ich den Baum um dieß und das, was ich gern wissen wollte, und er blieb mir nie die Antwort schuldig.«

Die Jahre des hier geschilderten freundschaftlich heiteren und sinnigen Verkehrs sind wohl die um 1800–1804 gewesen. Ob auf Seite Beethovens überhaupt jemals eine Leidenschaft für Therese Brunswik bestanden hat, ist aber durch die Memoiren eher fraglich geworden. Nach ihrer eigenen Schilderung war Therese schwacher Konstitution und etwas verwachsen (S. 75): »Ich war äußerst schwächlich und zart; mit einem gekrümmten Rückgrat verband ich mit drei Jahren die sogenannte englische Krankheit. Der Nervenleib besonders blieb zart«. Daß sie später sich kräftigte und ein hohes Alter erreichte (geboren 27. Juli 1775, gestorben 23. September 1861, 86 Jahre) schrieb sie dem Kurgebrauch von Karlsbad und Franzensbrunn im Jahre 1807 und ihrer einfachen Lebensweise zu. Wenn man berechtigt ist, von den dedizierten Werken aus Schlüsse auf die Musikbildung der Persönlichkeiten zu machen (was für eine Anzahl der Werke Beethovens bestimmt anzunehmen ist), so wird man Therese Brunswik (Op. 78) und Franz Brunswik (Op. 57, 77) hoch einschätzen müssen.

In Beethovens Nachlaß fand sich ein von J. B. von Lampi in Öl gemaltes Porträt mit der Inschrift auf der Rückseite des Rahmens:


»Dem seltenen Genie

Dem großen Künstler

Dem guten Menschen

von T. B.«


Dasselbe ging aus dem Besitze der Witwe Karls van Beethoven (des Neffen) zunächst 1861 an Georg Hellmesberger sen. über und wurde von dessen Enkel an das Museum des Vereins Beethovenhaus in Bonn abgegeben. Vielleicht ist dies das Porträt, von welchem ein Brief Beethovens an Franz Brunswik am 11. Juli 1811 spricht:


»Da ich nicht weiß, auf welche Weise du zu dem Porträt gekommen, so thust du am besten es mitzubringen, für die Freundschaft findet sich schon ein empfänglicher Künstler dasselbe zu verdoppeln.«


Soviel einstweilen zur Konstatierung der bis 1800 zurückreichenden Beziehungen Beethovens zu den Brunswiks und zur Motivierung der in der ersten Auflage sich durch Band 2 und 3 ziehenden Versuche nachzuweisen, daß der Liebesbrief nur Therese Brunswik angehen könne.

[304] Außer dem Bilde der Komtesse Therese von Brunswik fand sich nun aber im Nachlaß Beethovens auch ein Medaillonbild der Komtesse Giulietta Guicciardi, nachmals Gräfin Gallenberg, das von deren Sohne (gestorben 1893) als solches anerkannt wurde (Breuning, Aus dem Schwarzspanierhause S. 124). Das Bild ging in den Besitz der Familie Breuning über. Auch diese Dame, eine nahe Verwandte der Brunswiks, war die Klavierschülerin Beethovens, der ihr die Cis-Moll-Sonate Op. 27 II widmete (vgl. S. 255 ff.). Schon Schindler hat sie zur Adressatin des Briefes an die »unsterbliche Geliebte« gemacht und damit nur wenig Widerspruch gefunden, obgleich seine Verlegung des Briefes in das Jahr 1806 sich darum bald als unhaltbar erwies, weil eingeworfen werden konnte, daß Giulietta Guicciardi bereits 1803 Gräfin Gallenberg wurde und mit ihrem Gatten, dem bekannten Ballettkomponisten Wenzel Robert Gallenberg, nach Italien ging. Ihr Vater war Franz Joseph Graf Guicciardi, »Sr. K. K. ap. Maj. wirkl. Kämmerer, Gubernialrath und Kanzleidirektor zu Triest«, wie der Hof- und Staatsschematismus für 1800 besagt. Nach den, dem Verfasser von Herrn E. Becher, Konzipist bei den maritimen Zentral-Behörden, aus den Akten der Statthalterei zu Triest mitgeteilten Notizen war er von 1792 bis 1796 Rat bei der k. k. Landeshauptmannschaft des Herzogtums Krain in Laibach, wurde am 1. April 1796 zum Gemeinderat beim Gumbernium in Triest ernannt, welchen Dienst er am 12. Mai 1796 antrat, und am 25. März 1800 zum Hofrat bei der k. k. böhmischen Hofkanzlei in Wien, wo er am 24. Juli 1800 den Eid ablegte. Seit 1801 war er »wirklicher Hofrath«. Er starb als »pensionirter Hofrath bei der vereinigten Hofkanzlei« am 10. Oktober 1830 zu Reggio im Alter von 78 Jahren. Seine Gattin, die Mutter Julias, war Susanna Gräfin Brunswik (gestorben zu Wien den 19. Oktober 1813). Julia (oder Giulietta) war am 23. November 1784 geboren und kam also in ihrem 16. Jahre nach Wien: die Ehre der Widmung wurde ihr demnach schon in ihrem 18. Jahre zu teil, da die Cis-Moll-Sonate im März 1802 erschien.

Da die Memoiren der Therese Brunswik ausdrücklich hervorheben, daß bei den von der »Tante Finta«, bei welcher Brunswiks wohnten, während der 18 Tage i. J. 1800 veranstalteten Festen auch Beethoven zugegen war, so wird man annehmen können, daß da durch direkt auch der Anlaß sich ergab, daß Giulietta Beethovens Schülerin wurde. Begründet ist wohl auch die Annahme, daß das »liebe zauberische Mädchen«, welches nach Beethovens Brief an Wegeler vom 16. November 1801 seine [305] trübe Stimmung (wegen der beginnenden Schwerhörigkeit) aufheiterte, eben diese Giulietta war. Dieselbe zählte damals gerade eine Woche weniger als 17 Jahre. Sie wird gewöhnlich geschildert als ein Mädchen von sehr großem persönlichem Reize, und man weiß, daß sie auch in vorgerückten Jahren noch eine hübsche Erscheinung war. Sie scheint eine gute geistige Begabung besessen zu haben, die auch gemäß den Anforderungen, welche ihr Stand mit sich brachte, ausgebildet war; jedoch ist nicht bekannt, daß sie sich in irgend einer Weise besonders ausgezeichnet hätte, abgesehen von ihrem musikalischen Geschmack und ihrem fertigen Klavierspiel, welches wohl die Widmung von Sonaten an sie durch Fr. X. Kleinheinz und Beethoven beweist. Daß Beethovens Einbildungskraft die Reize der talentvollen Schülerin verdoppelte, ist ein naheliegender Gedanke.

Die nahe Beziehung der Gräfin Giulia Guicciardi zur Brunswikschen Familie mußte sie, wie bemerkt, notwendig sehr bald nach der Übersiedelung ihres Vaters von Triest nach Wien mit Beethoven zusammen führen, und die Bewunderung für seine Talente sowie die Zuneigung zu ihm als Menschen, welche sie in jener Familie fand, konnte kaum an ihr vorübergehen, ohne in ihr die Neugierde zu erregen, ihn zu sehen, sowie von vornherein bei ihr ein günstiges Vorurteil für ihn zu erwecken. Sie kam aus einer kleinen und entlegenen Provinzialstadt in die Hauptstadt des Reiches, als sie kaum das Alter zu ihrem Eintritte in die Gesellschaft erreicht hatte, und fand sich schon so bald ausgezeichnet durch die besondere Aufmerksamkeit und offenbare Bewunderung eines Mannes von Beethovens gesellschaftlicher Stellung und Berühmtheit; das mußte gewiß die Phantasie des kaum siebzehnjährigen Mädchens beschäftigen, und sie mag wohl gestimmt gewesen sein, namentlich bei ihrem Talente und ihrer Liebe zur Musik, bis zu einem gewissen Grade die Zuneigung zu erwidern, welche der berühmte Komponist des Septetts, der Quartette, der Symphonie und so mancher wundervollen Sonate, der unerreichte Meister im Klavierspiel, der edle, anregende, begeisterte junge Künstler ihr darbrachte, wenn er auch von Person nicht einnehmend war und ihr weder Reichtum noch Rang bieten konnte. Das war eben das Romantische der Situation. Aber auch abgesehen von diesen Betrachtungen liegen uns Überlieferungen und Erinnerungen von alten Freunden und Bekannten Beethovens vor, welche sämtlich Schindlers Meinung zu bestätigen geeignet sind, daß das »zauberische Mädchen« wirklich die junge Gräfin Guicciardi war. Schindler hörte von der Sache freilich [306] erst 20 Jahre später; was er aber erfuhr, war ihm von Beethoven persönlich mitgeteilt.

Im November 1852 hatte Otto Jahn eine Unterredung mit der Gräfin Gallenberg selbst. Bei einem so delikaten Punkte, wie Beethovens Leidenschaft für sie vor 50 Jahren, war Zurückhaltung natürlich; wäre aber die Angelegenheit von der Wichtigkeit gewesen, die man ihr seitdem gegeben hat, so würde irgend eine Andeutung das verraten haben. Nichts der Art findet sich in seinen Aufzeichnungen über diese Unterredung, welche wir hier mitteilen. »Beethoven war ihr Lehrer. – Er ließ sie seine Sachen spielen, wobei er unendlich streng war, bis in den geringsten Kleinigkeiten der richtige Vortrag erreicht war; er hielt auf leichtes Spiel. – Er war leicht heftig, warf die Noten hin, zerriß sie. – Er nahm keine Bezahlung, obgleich er sehr arm war, (aber) Wäsche unter dem Vorwand, daß die Gräfin sie genäht. – Er unterrichtete so auch die Gräfin Odescalchi, die Baronin Ertmann; man ging zu ihm oder er kam. – Er spielte seine Sachen nicht gerne selbst, phantasierte nur; beim geringsten Geräusch stand er auf und ging fort. – Graf Brunswik, der Violoncello spielte, adorirte ihn, (auch) seine Schwestern Therese und Gräfin Deym. – Beethoven hatte der Gräfin Guicciardi das Rondo in G gegeben, bat es sich aus, als er der Gräfin Lichnowsky etwas dediciren mußte und widmete ihr dann die Sonate. – Beethoven war sehr häßlich, aber edel, feinfühlend, gebildet. – B. war meist ärmlich gekleidet.« –

In dem einfachen Berichte täuschte sich das Gedächtnis der Dame offenbar darin, daß sie die Armut Beethovens zu der Zeit, als sie seine Schülerin war, übertrieb und ihn als nachlässig in seiner Kleidung darstellte. »In früheren Jahren«, erzählte Grillparzer, »trug sich Beethoven sorgfältig, ja elegant gekleidet; erst später trat die Vernachlässigung ein, die bis zur Unreinheit ging«; und Czerny sagt ähnlich: – »In jüngeren Jahren (bis um 1810) war seine Kleidung elegant und sein Benehmen cavaliermäßig; später aber bei zunehmender Taubheit immer mehr und mehr verwahrlost.«

Wenn die Zeichnung echt ist, welche La Mara von einer Enkelin der Gräfin Gallenberg erhielt und zu S. 29 der Schrift »Beethovens Unsterbliche Geliebte« reproduzierte (angeblich Beethoven vorstellend, wie er vor Giuliettas Fenster schwärmend an einer Balustrade lehnt, während sie ihn hinterm Rouleau belauscht), so würde dessen Erscheinung ihre Bemerkungen Lügen strafen. Aber dieser schlanke Dandy mit dem emporgedrehten [307] Lippenbärtchen und Mouche hat mit keinem sonstigen Beethovenporträt irgendwelche Ähnlichkeit.

Zu dem Vorhergehenden ist nur noch eine beglaubigte Tatsache hinzuzufügen, die nämlich, daß Beethoven seinen Verkehr mit der Familie Guicciardi spätestens bis zum Mai oder Juni 1803, etwa sechs Monate vor ihrer Verheiratung (die nach Ausweis mehrerer Ausgaben des gräflichen Taschenbuches am 3. November 1803 stattfand) fortsetzte. Das junge Paar begab sich bald darauf von Wien nach Italien und war im Frühling 1806 in Neapel; Gallenberg war hier an der Komposition der Festmusik für die Krönung Joseph Bonapartes zum Könige beider Sizilien beteiligt. Als der Neapolitaner Barbaja die Direktion der K. K. Oper zu Wien übernahm, gegen Ende des Jahres 1821, machte er den Grafen zum Teilnehmer an der Verwaltung; so kam derselbe 1822 wieder nach Wien, und es ergab sich ein Anlaß, daß Schindler ihn mit einer Botschaft Beethovens aufzusuchen hatte.

Die Konversationsbücher jener Jahre lassen erkennen, daß die Frage des Verkaufes der Oper Fidelio an verschiedene Theater zwischen Beethoven und seinen Freunden häufig diskutiert wurde, daß aber der Komponist kein vollständiges Exemplar der Partitur besaß. Es war daher nötig, ein solches zu leihen, um es im ganzen oder teilweise abschreiben zu lassen; dies gibt uns die Erläuterung zu der in einem Konversationsbuche erhaltenen Unterredung.

Schindler spricht mitten in einer langen Reihe von Bemerkungen über verschiedenartige Dinge seine Überraschung darüber aus, daß das Dresdener Theater nie den Fidelio gekauft habe, und fügt als seine Meinung hinzu, daß Weber alles tun werde, was in seinen Kräften stehe, um Beethovens Interessen zu fördern sowohl hinsichtlich der Oper als der D-Dur-Messe. Dann folgen politische Neuigkeiten, Bemerkungen über Spanien, England usw. und über den von Dr. Bach vermittelten Verkauf oder die Verpfändung gewisser Bank-Aktien, auf welche Beethoven Geld zu erheben wünschte. Hierauf sagt

Schindler: »Nun wegen Fidelio, was soll, was kann ich thun, um das zu beschleunigen?«

Beethoven: »Steiner hat die Partitur.«

Schindler: »Ich gehe zu Graf Gallenberg, der sie Ihnen mit Vergnügen auf einige Zeit leiht. Sie lassen es auf eigene Kosten schreiben, das ist besser. – Sie können 40 ⌗ (Dukaten) begehren.«

Nach einigen ferneren Bemerkungen verspricht er, Gallenberg »morgen [308] früh« zu besuchen. Einige Seiten weiter folgt Schindlers Bericht. »Gallenberg läßt sich empfehlen, daß er Ihnen die Partitur schicken wird, wenn sie 2 Exemplare davon haben, wenn dies nicht der Fall wäre, so würde er die Partitur für Sie copiren lassen. – In zwei Tagen soll ich wieder zu ihm kommen.« Die Unterhaltung geht dann über auf die Abschrift gewisser Lieder und den Stich der D-Dur-Messe; dann sagt Schindler:

»Er (Gallenberg) hat mir heute keine große Achtung eingeflößt.«

Beeth.: »Ich war sein unsichtbarer Wohlthäter durch andere.«

Sch.: »Das sollte er wissen, damit er mehr Achtung für Sie habe, als er zu haben scheint.«

Es folgen nunmehr einige Küchenangelegenheiten; dann nimmt Beethoven den Bleistift und fährt mit dem früheren Thema folgendermaßen fort: »Sie fanden also, wie es scheint, G. nicht gestimmt für mich, woran mir übrigens nichts gelegen, doch möchte ich von seinen Aeußerungen Kenntniß haben.«

Sch.: »Er erwiderte mir, daß er glaube, Sie müßten die Partitur selbst haben. Allein als ich versicherte, daß Sie solche wirklich nicht haben, sagte er, es sei die Folge Ihrer Unstetigkeit und beständigen Herumwanderns, daß Sie selbe verloren haben. – Was geht das die Leute an? und noch mehr, wer wird nach derlei Menschen fragen? – Was sind Sie denn in Betreff der Werke bei Steiner gesonnen zu thun? – Noch längeres Stillschweigen? – Dr. Bach fragte mich letzthin noch deßhalb? – Ich dachte, Sie wollten die Partitur für sich halten, weil Sie selbe nicht haben. – Die 5 stimmige Fuge auch umsonst hingeben? – Mein theurer Freund und Lehrer, das ist für solche unwürdige Menschen zu viel Edelmuth. Man wird Sie deshalb nur verlachen.«2

Beethoven fragte hierauf, ob Schindler Gallenbergs Frau gesehen habe, und schrieb dann: »J'étois bien aimé d'elle et plus que jamais son époux. Il étoit pourtant plutôt son amant que moi, mais par elle j'apprenois de son misère et je trouvais un homme de bien, qui me donnait la somme de 500 fl. pour le soulager. Il étoit toujours mon ennemi, c'étoit justement la raison, que je fusse tout le bien que possible

Sch.: »Darum sagte er mir auch noch: ›Er ist ein unausstehlicher [309] Mensch!‹ Wahrscheinlich aus lauter Dankbarkeit. Doch Herr, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. – Est-ce qu'il y a long temps qu'elle est mariée avec Mons. de Gallenberg? – Mad. la Contesse? – Etait-elle riche? – Elle a une belle figure jusqu'ici!«

Beeth: »Elle est née Guicciardi. Elle étoit l'epouse de lui avant son voyage en Italie – arrivé à Vienne elle cherchoit moi pleurant, mais je la méprisois3

Sch.: »Herkules am Scheidewege!«

Beeth.: »Und wenn ich hätte meine Lebenskraft mit dem Leb en so hingeben wollen, was wäre für das Edle, Bessere geblieben?«

Manche unserer Leser werden auch schon früher, angetrieben durch ihre Verehrung für den Komponisten und die Bewunderung für seine Werke, sich der Lektüre der fortwährend sich vermehrenden Literatur zugewandt haben, deren Gegenstand Beethoven und seine Werke sind. Sie müssen sich erinnern, welche besondere Wichtigkeit in derselben der Guicciardi-Angelegenheit beigelegt wird. Werden dieselben wohl glauben, daß in dem vorher Mitgeteilten alle bestimmt festgestellten Tatsachen, die je über diesen Gegenstand öffentlich bekannt geworden sind, bereits erschöpft sind? Dies ist aber buchstäblich wahr: alles andere ist lediglich Vermutung oder Irrtum. Bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnis von diesem Gegenstande können wir die große Masse der an denselben [310] verschwendeten schwülstigen Beredsamkeit mit einem Worte nur als sinnloses Gerede bezeichnen. Der Stoff zu einer Tragödie ist wahrlich sehr gering in einem Falle, wo der Liebende schreibt: »es ist das erste Mal, daß ich fühle, daß Heirathen glücklich machen könnte«, und unmittelbar darauf hinzufügte: »jetzt könnte ich nun freilich nicht heirathen«, weil nämlich die Befriedigung seines Ehrgeizes ihm doch mehr galt, als ein häusliches Glück mit der Geliebten.4

Eine sorgfältige Erwägung und Vergleichung sowohl der veröffentlichten Tatsachen als der Privatmitteilungen und Andeutungen, die dem Verfasser während eines mehrjährigen Aufenthaltes in Wien nachträglich zukamen, hat ihn zu der Vermutung geführt – der Vermutung, wohlgemerkt, nicht einer auf bestimmten Beweisen beruhenden Überzeugung – daß Beethoven sich schließlich entschloß, der Gräfin Julia seine Hand anzubieten, und sie nicht abgeneigt war, dieselbe anzunehmen; daß der eine Teil ihrer Eltern der Heirat zustimmte, der andere hingegen, wahrscheinlich der Vater, sich weigerte, das Glück seiner Tochter einem Manne ohne Rang, Vermögen und feste Anstellung anzuvertrauen, einem Manne überdies von einem so eigentümlichen Temperamente und Charakter, und mit den ersten Spuren eines Gebrechens behaftet, welches, wenn es nicht aufgehalten und geheilt werden konnte, ihn aller Hoffnung auf Erlangung einer höheren und einträglicheren Stellung berauben und ihn schließlich zwingen mußte, seine Laufbahn als großer Klaviervirtuose aufzugeben. Im Jahre 1802 begann die Schwäche seines Gehörs bereits die Aufmerksamkeit zu erregen; wenn sie sich zu völliger Taubheit entwickelte, so hatte er keine weiteren Mittel, eine Familie zu unterhalten, als seine Kompositionen, sein kleines Jahrgehalt vom Fürsten Lichnowsky und die »regelmäßige Unterstützung«, die er nach der Aussage von Karl Holz von dem Grafen Moritz Fries bezog, »bis er fallirte« (um 1822). Da die Familie Guicciardi selbst nicht reich war, so verbot die Klugheit eine [311] solche Heirat. Dem allem sei nun, wie ihm wolle: Beethoven heiratete eben die Gräfin Julia Guicciardi nicht, und sie wurde die Gattin des Grafen Gallenberg. Der verschmähte Liebhaber, treu seinem Zmeskall gegenüber ausgesprochenen Grundsatze: »was nicht zu ändern ist, darüber kann man nicht zanken«, machte gute Miene zum bösen Spiel und – wendete sich der Ausarbeitung der Sinfonia Eroica zu.

Jeder Leser, dem Schindlers Biographie bekannt ist, wird bemerkt haben, daß zwei wichtige Punkte, welche er mit der Guicciardi-Angelegenheit in Verbindung bringt, trotz der Wichtigkeit, welche ihnen von ihm und seinen Abschreibern beigelegt worden, bisher von uns mit Stillschweigen übergangen sind. Dieselben müssen nunmehr noch erörtert werden.5

Man kann keinen begründeten Zweifel hegen an Schindlers ehrlichem und bewußtem Wunsche, die reine Wahrheit über Beethoven seg. zustellen und mitzuteilen. Sein Geist war willig; aber seine Schwäche als Forscher ist eine ganz außerordentliche, und seine Hilflosigkeit, wo es gilt, die Fäden einer Verwickelung zu entwirren, zuweilen bedauernswürdig, zuweilen geradezu lächerlich; man ist öfters an Addisons Wort in einem ähnlichen Falle erinnert: er verwirrt und verstrickt sich fortwährend in seinen eigenen Fehlern. Der gegenwärtige Gegenstand bietet ein schlagendes Beispiel hierzu.

In den ersten Auflagen seiner Biographie setzt er die Guicciardi-Angelegenheit in das Jahr 1806. Trotz des ihm bekannten Wegelerschen Briefes, der wenigstens einen festen Punkt gab, nämlich den November 1801, und trotz des gräflichen Taschenbuches, welches in jeder ordentlichen Buchhandlung und Leihanstalt zu finden war, und worin der Tag von Gallenbergs Hochzeit, der 3. November 1803, angegeben ist, bleibt er noch in Verlegenheit. »Ich mußte erst nach Paris kommen, daselbst die Bekanntschaft mit Cherubini machen, um durch solchen Zufall auf eine sichere Spur zu diesem in Wien vergeblich gesuchten Datum zu gelangen. Cherubini und dessen Gemahlin hörten nämlich bald nach ihrer [312] im Jahre 1805 erfolgten Ankunft in Wien von dieser Angelegenheit als schon zwei Jahre zurückliegend sprechen.« Diesem Winke weiter nachgehend, änderte er in seiner Ausgabe von 1860 das Datum 1806 in 1803. Er nimmt also das neue Datum an, weil er 20 Jahre früher von einem alten Manne von 80 Jahren und dessen beinahe ebenso alter Gattin gehört hatte, daß diese 35 Jahre vorher gehört hatten, daß Beethoven etwa zwei Jahre vorher (1803) die Untreue seiner Geliebten erfahren habe! Cherubini und seine Frau wußten ferner mit Bestimmtheit auszusagen, daß die Einwirkung dieser Angelegenheit auf Beethovens Gemüt bereits überwunden gewesen, was natürlich sehr erfreulich zu hören ist, obgleich die Tatsache keiner Bestätigung bedurfte. Jene Unterhaltung mit Beethoven ferner, welche er der Ausgabe von 1845 als Anhang beigefügt, war in der ersten unterdrückt worden, weil, wie er sagt, die Gräfin Gallenberg damals noch lebte. Die Taschenbücher hätten ihn belehren können, daß sie auch im Jahre 1845 noch lebte und erst am 22. März 1856 gestorben ist. Wie ist es möglich, mit Zutrauen die Meinungen und Behauptungen eines so hilflosen Schriftstellers zu lesen – auch wenn wir ihm, wie wir es Schindler gegenüber tun, die beste Absicht zutrauen, die Wahrheit zu sagen, – ausgenommen wo er aus persönlicher Kenntnis schreibt oder vollgültige und unwidersprechliche Beweise gibt!

Nachdem Schindler in einer so ungewöhnlichen Weise das Datum zu seiner Zufriedenheit festgestellt hat, kommt er zur Katastrophe. »Doch darf von den Folgen dieses Bruches auf das Gemüth unseres von dieser Liebe hochbeglückten Meisters eines weitern die Rede sein. In der Verzweiflung suchte er Trost bei seiner bewährten und vorzugsweise verehrten Freundin Gräfin Marie Erdödy – auf ihrem Gute Jedlersee im Marchfelde, um einige Tage in ihrer Nähe zu verbringen. Dort verschwand er aber, und die Gräfin glaubte ihn nach Wien zurückgekehrt, als am dritten Tage darauf ihr Musiklehrer Brauchle ihn in einem entlegenen Theile des Schloßgartens gewahrte. Dieser Zwischenfall blieb lange ein fest bewahrtes Geheimniß und ward erst nach Jahren durch die beiden Mitwissenden näheren Freunden Beethovens anvertraut, nachdem diese Liebesangelegenheit längst in Vergessenheit gerathen. Man knüpfte die Vermuthung daran, es sei des Unglücklichen Absicht gewesen, sich durch Erhungern den Tod zu geben. Im Stillen beobachtende Freunde wollen bemerkt haben, daß Beethoven diesem Musiklehrer mit außerordentlicher Aufmerksamkeit seitdem begegnet ist.«

[313] Jedlersee liegt so nahe bei Wien, daß für einen tüchtigen Fußgänger wie Beethoven von einer Entfernung kaum die Rede sein konnte; und wenn er dem Einfalle oder der Notwendigkeit des Moments folgte und auf zwei oder drei Tage verschwand, so liegt darin doch gewiß kein Grund zu jener überraschenden, in so gewichtiger Weise ausgesprochenen Vermutung. Doch zugegeben auch, es sei etwas Derartiges zu einer oder der andern Zeit wirklich vorgekommen: was berechtigt denn zu der Annahme, daß es damals und in Verbindung mit der Guicciardi-Angelegenheit geschah? Nichts. Die ganze Geschichte, wann und in welcher Verbindung sie vorgekommen sein mag, wird erzählt auf ein bloßes Hörensagen hin, welches in keinerlei Untersuchung auch nur eine Vermutung gestatten würde. Damit dieselbe nicht in die Reihe festgestellter Tatsachen in der Geschichte Beethovens aufgenommen werde, – wenigstens im Zusammenhang mit der Liebesgeschichte und ehe irgend eine annehmbare Bestätigung derselben sich finden wird – möge folgendes bemerkt werden:

1. Schindler erhielt die erste Kenntnis von Beethovens Liebe zu Julia Guicciardi im Jahre 1823. Alles, was er aus anderen Quellen wußte, konnte er nur später gehört haben, und es geschah höchst wahrscheinlich erst nach Beethovens Tode, als er durch Auffindung des »Liebesbriefes« wieder an die Sache erinnert wurde. Er beansprucht nicht, die Geschichte von Jedlersee von einem Beteiligten gehört zu haben; und dies war auch unmöglich, da die Gräfin Erdödy bereits aus den österreichischen Landen verwiesen war, ehe jenes Ereignis zu seinen Ohren kommen konnte. Er gibt also in der Tat, und wie er selbst zeigt, nur eine detaillierte Erzählung eines Gerüchtes, welches, wie er sagt, unter einigen Freunden Beethovens erzählt wurde und ein Ereignis betraf, das, wenn es überhaupt vorgefallen ist, 15, 20 oder gar 30 Jahre früher sich ereignete, und von dem er oder jene nur vermuteten, daß es sich zu der Zeit, als die junge Gräfin Guicciardi Beethoven untreu wurde, zugetragen habe.

2. In allen Erinnerungen von Ries, von denen die meisten gerade aus der Zeit des Verhältnisses zu Julia Guicciardi stammen, findet sich nichts, was auch bei einiger Anstrengung der Phantasie geeignet wäre, die Wahrscheinlichkeit jenes Ereignisses zu erhöhen, vieles aber, was das Gegenteil beweist. Wir lesen keine Andeutung, daß Ries jemals etwas Besonderes in den Beziehungen des Meisters zu der Familie Guicciardi wahrgenommen hätte; und doch war Beethovens Neigung zum Verkehr [314] mit Frauen eine Seite seines Charakters, die sich ihm genau eingeprägt hatte. »Beethoven«, sagt er S. 117, »sah Frauenzimmer sehr gerne, besonders schöne, jugendliche Gesichter, und gewöhnlich, wenn wir an einem etwas reizenden Mädchen vorbeigingen, drehte er sich um, sah es mit seinem Glase nochmals scharf an und lachte oder grinste, wenn er sich von mir bemerkt fand. Er war sehr häufig verliebt, aber meistens nur auf kurze Dauer. Da ich ihn einmal mit der Eroberung einer schönen Dame neckte, gestand er, die habe ihn am stärksten und längsten gefesselt – nämlich sieben volle Monate

3. Ebenso ist es mit Breuning. Es findet sich kein Brief, kein Teil eines Briefes von ihm (soweit solche von Wegeler veröffentlicht sind), sowenig wie irgend eine auf ihn zurückzuführende Überlieferung, die auf diese Leidenschaft oder ihre vorausgesetzten Folgen Bezug hätte. Da Beethoven vom Mai bis November 1804 mit Breuning zusammen wohnte, so war sicher ihr Verhältnis auch 1803 ein herzliches. Es ist daher negativ ins Gewicht fallend, daß er nichts derart berichtet.

4. Stände die Geschichte von Jedlersee überhaupt in Verbindung mit den Beziehungen zu Giulietta Guicciardi, so müßte sie im Jahre 1803 geschehen sein. Das ist aber völlig unvereinbar mit allem, was von der Lebensgeschichte Beethovens im Jahre 1803 bekannt ist.

5. Jener Brauchle, der Beethoven in dem Schloßgarten gefunden und zu der Gräfin Erdödy zurückgebracht haben soll, war nicht der Musiklehrer der Gräfin Erdödy, sondern der Hofmeister ihrer Kinder, und konnte wohl kaum in dieser Eigenschaft schon beschäftigt sein zu einer Zeit, als das älteste Kind noch nicht sechs Jahre alt war! Sind wir richtig berichtet, so trat er erst nach 1803 in ihren Dienst: auch ist nicht bekannt, daß Beethovens intimes Verhältnis zu der Gräfin Erdödy sich schon damals bildete. Wir dürfen also jedenfalls die Verhungerungsgeschichte für jetzt auf sich beruhen lassen.

6. Die Beweiskraft dieser Argumente wird noch vermehrt werden durch die Beleuchtung, welche sie durch eine kurze Erörterung über die einzige noch übrige Frage erhält, die auf diese Angelegenheit Bezug hat, die des am Sterbetage Beethovens aufgefundenen »Liebesbriefes«. –

Es war Beethovens Freunden wohlbekannt, daß er einige Bankaktien besaß; wo aber dieselben aufbewahrt wurden, wußte weder sein Bruder, noch Breuning, noch Schindler. »Beethoven hatte seine Bankactien in einem verborgenen Fach eines Schrankes, von dem nur Holz [315] wußte«, erzählt Jahn nach mündlichen Berichten Karl Holzs selbst. Nach aufgeregtem vergeblichem Suchen (vgl. Bd. V 493) wurde Holz von Breuning herbeigerufen und befragt, ob er nicht wisse, wo sie Beethoven verborgen habe. »Holz kannte die geheime Lade in einem alten Schranke, in welcher sie aufbewahrt waren.« In diesem verborgenen Fache fand Breuning nicht allein die Bankaktien, sondern auch verschiedene, wie es Schindler nennt, »dem Freunde wichtige Briefschaften«. Unter diesen war der S. 300 f. mitgeteilte Brief mit seinen zweipostscriptis, auf zwei Stücke Briefpapier mit Bleistift geschrieben von irgendeinem nicht genannten Badeorte aus, im Juli eines nicht bezeichneten Jahres, an eine nicht angegebene Person. Dieser Brief ist voll von Ausdrücken glühender Liebe, wie sie selbst in Romanen selten erreicht werden; er ist gleichsam eine Übersetzung der rührendsten und zartesten Stellen von Beethovens gefühlvollsten Kompositionen in Worte. Dieses Dokument, welches durch Breuning in Schindlers Besitz gelangte, war das Original jener Briefe, welche Schindler als »drei von Beethovens Hand an seine Giulietta aus einem Badeorte in Ungarn gerichtete Briefe« 1840 zuerst bekannt machte, und welche seitdem so oft wieder abgedruckt worden sind. Unter den vielen Personen, denen Schindler zu verschiedenen Zeiten das Original freundlich zur Prüfung vorlegte, befanden sich auch O. Jahn und der Verfasser; keiner von beiden hat je einen andern Grund zu der Annahme gefunden, diese Briefe seien für die Gräfin Guicciardi bestimmt gewesen, als Schindlers Vermutung und die Gründe, auf welchen sie beruht.

Wenn man bedenkt, daß weder Breuning noch Schindler das geringste von der Existenz dieses Schriftstücks gewußt haben bis nach dem Tode seines Verfassers, welcher allein seine Geschichte hätte erzählen können, so wird man den geistigen Prozeß, durch welchen Schindler veranlaßt wurde, dasselbe mit den oben angeführten Worten zu beschreiben, in dieser Weise sich erklären können. In dem ersten der drei Stücke oder Briefe spricht der Schreiber von seiner sehr unangenehmen Reise mit vier Postpferden und von der Eszterhazys mit deren acht. In dem zweiten erwähnt er die Post »von hier nach K.«, und sagt an einer andern Stelle: »als Badender muß ich schlafen gehen«. Nun befinden sich von den 218 Ortschaften in dem österreichischen Postbuche, deren Namen mit K. anfangen, mehrere in Ungarn; auch liegen in diesem Königreiche mehrere Badeorte und außerdem hatte Eszterhazy dort seine Besitzungen. Diese Andeutungen sind ohne Zweifel die Grundlage für Schindlers [316] Annahme, daß Beethoven von einem ungarischen Bade aus schrieb. Dies war das erste; seine Vermutung aber, an wen die Briefe gerichtet waren, wurde natürlich hervorgerufen durch seine Unterhaltung mit dem Komponisten über die Gräfin Gallenberg im Jahre 1823. Diese ihm so einfach und natürlich erscheinende Annahme, die dann für 30 Jahre unangefochten blieb, muß gleichwohl näher geprüft werden.

Die Schriftstücke bieten drei unvollständige Daten, da die Jahreszahl in allen fehlt: »Am 6. Juli Morgends«; »Abends, Montags am 6. Juli«; »Guten Morgen am 7. Juli«. Eine Vergleichung mit den Kalendern jener Jahre erweist, daß der 6. Juli in den Jahren 1795, 1801 und 1807 auf einen Montag fiel. Das Jahr 1795 ist natürlich ausgeschlossen, weil damals Julia Guicciardi ihr elftes Jahr noch nicht vollendet hatte; auch gestattet weder der Stil, in dem der Brief geschrieben ist, noch die Handschrift, noch endlich der Umstand einer Reise nach einem Badeorte mit vier Postpferden, an eine so frühe Zeit zu denken. Wie aber steht es mit 1801? Der Hauptgegenstand von Beethovens erstem Briefe an Wegeler (29. Juni) war die Beschreibung seines Übels und der von seinen ärztlichen Ratgebern angenommenen Behandlungsweisen; er fügt den Wunsch hinzu, den Rat seines Freundes zu erlangen, da Wegeler selbst ein Arzt von hervorragender Fähigkeit und Geschicklichkeit war. Der zweite Brief, nur vier und einen halben Monat später geschrieben (16. November), knüpft an Wegelers Beantwortung des ersten an und behandelt jenen Gegenstand mit gleicher Genauigkeit des Details. Wenn nun der Leser die beiden Briefe in ihrem Zusammenhange miteinander noch einmal genau durchgehen will, so wird er sehen, daß jeder Gedanke an eine Reise zu einem entfernten Badeorte, welche die Benutzung von vier Postpferden erforderte, mochte dieser nun in Ungarn oder irgendwo anders liegen, in der Zwischenzeit zwischen diesen Briefen durch den Inhalt derselben vollständig ausgeschlossen ist. Die Folgerung ergibt sich von selbst, daß die fraglichen Briefe nicht im Jahre 1801 geschrieben wurden.

Doch könnte nicht vielleicht die Angabe des Monats- oder des Wochentages in den Worten »Abends, Montags am 6. Juli« einen Irrtum enthalten? In diesem Falle könnte man die Untersuchung auf die Jahre 1800 und 1802 ausdehnen. Am 6. Juli 1800 nun war die Familie Guicciardi kaum von Triest nach Wien gekommen. Aber gesetzt auch, Julia wäre schon vorher zur Vollendung ihrer Erziehung dorthin geschickt worden und wäre auf diese Weise mit Beethoven bekannt geworden: [317] was soll man dann von den Freunden und Beschützern derselben denken, die ihr eine solche Freiheit oder besser Zügellosigkeit gestatteten, daß sie mehrere Monate vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres imstande war, in so enge Beziehungen, wie die Sprache jener Briefe notwendigerweise voraussetzt, mit einem Manne zu treten, der doppelt so alt war wie sie? Was sollen wir zudem von Beethoven denken? In scherzhafter Übertreibung nannte ihn Magdalena Willmanns Schwester und andere wohl einmal »halb verrückt«, – ein Narr aber war der Mann nicht.

Das Jahr 1800 wird also mit Bestimmtheit auszuscheiden sein. Was das Jahr 1802 betrifft, so ist es überflüssig, mehr zu sagen, als was man im nächsten Kapitel aus einem Briefe mit dem Datum »Wien, den 13. Juli 1802« entnehmen wird (S. 328). Sein Aufenthalt im Bade muß wahrlich sehr kurz gewesen sein, wenn er es mit vier Postpferden am 5. erreicht und am 13. schon wieder in Wien Briefe schreibt. Im Jahre 1803 fiel der 6. Juli auf einen Mittwoch.

Aber es ist auch in der Tat ein solcher Irrtum im Datum nicht wohl möglich.6 Beethoven schrieb den Tag des Monats dreimal innerhalb 24 Stunden, zweimal den 6., einmal den 7.; ein Irrtum hierin wäre unbegreiflich. Der Wochentag ist nur einmal geschrieben, aber es ist der Montag; und Sonntag und Montag sind gerade die beiden Tage der Woche, welche am seltensten oder wohl nie verwechselt werden können. Der zweite Teil des Schriftstückes endlich, der das Datum »Abends, Montags am 6. Juli« trägt, enthält einige Worte, welche entscheidend sind. Dieser Teil ist ein postscriptum zu dem Schreiben vom Morgen, und wurde, wie Beethoven sagt, geschrieben, weil er erfahren hatte, daß es für die Post an jenem Tage zu spät sei, und Montag und Donnerstag die einzigen Tage seien, »wo die Post von hier nach K. geht«. Er mußte also über den Wochentag informiert sein.

Die Folgerung ist demnach unabweislich: Schindler und seine Abschreiber sind alle im Irrtum; der Brief ist nicht in den Jahren 1800 bis 1803 geschrieben; die »unsterbliche Geliebte«, für welche derselbe bestimmt war, ist nicht die junge Gräfin Giulietta Guicciardi. Alle also, welche mit Tränen der Sympathie diese Werthers Leiden, von dieser Lotte verursacht, gelesen haben, mögen ihre Tränen trocknen. Sie können sich mit der Versicherung beruhigen, daß die Katastrophe keineswegs so [318] unglücklich war, wie sie dargestellt wird. Die Angelegenheit bildete nur eine Episode, sie war nicht die große Tragödie von Beethovens Leben. Da es aber ein Liebesabenteuer war, so hat die Darstellung der Tatsache sich diesmal der Phantasie völlig unterordnen müssen. Namentlich hat ein neuerer Schriftsteller, welcher alle Behauptungen und Vermutungen Schindlers ohne Prüfung oder Zweifel annimmt, diese Episode in Beethovens Leben in großer Ausführlichkeit behandelt; freilich, um Sheridans Scherzwort auf Gibbon anzuwenden: less luminously than voluminously. Nachdem er die Gefühle »seiner schönen Leserinnen, seiner lieben Beethovenfreundinnen« zu der höchsten Höhe der Teilnahme emporgehoben, die in einer Tragödie möglich ist, in welcher der Held auch nach der Katastrophe noch lebt und sich des besten Wohlergehens erfreut, tröstet er sie einige Kapitel weiter, indem er Beethoven für die eine »verlorne Liebesmühe« zwei neue Geliebten gibt, die eine derselben eine verheiratete Frau, die andere ein junges Mädchen von 14 Jahren. Und noch mehr – wofern er nicht bei der Verwirrung seiner Daten den Leser gänzlich irreleitet – er gibt sie ihm beide zu der nämlichen Zeit! »Und der Herr gab Job zweimal so viel als er zuvor hatte«, sagt der alte hebräische Dichter.

Den Ausführungen Thayers im dritten Bande der ersten Auflage (S. 429 ff. und S. 514) entnimmt der Herausgeber noch die folgenden Bemerkungen zu der Guicciardi-Frage.

Ein Freund schrieb 1865 an den Verfasser auf Grund zuverlässiger Mitteilungen, Beethoven habe »eine Anzahl Briefe an die Gräfin Therese Brunswik geschrieben, welche indeß von der Empfängerin später vernichtet worden sind«; doch existierten noch eine Menge Briefe der Gräfin Guicciardi an die Gräfin Brunswik, aus denen vielleicht in der Zukunft noch interessante Aufschlüsse über den Komponisten zu erwarten seien. Die Aufrichtigkeit fordert von uns die fernere Mitteilung, daß unser Freund in demselben Briefe schreibt, Graf Géza, der Sohn von Beethovens Freund Brunswik, sei damals der entschiedenen Meinung gewesen, der Liebesbrief sei nicht an seine Tante Gräfin Therese, »sondern höchst wahrscheinlich an die Guicciardi« gerichtet gewesen.

Jeder aufmerksame und denkende Leser des Liebesbriefes wird bemerken, daß derselbe völlig unvereinbar sein würde mit der Annahme, Beethovens leidenschaftliche Neigung für die Dame, an welche er adressiert war wäre eine neue, plötzlich entstandene gewesen; ferner, daß Beethoven [319] seine Geliebte, wer sie auch immer sein mochte, unmittelbar vorher verlassen hatte; und endlich, daß er mit der vollen Überzeugung schreibt, seine Liebe werde erwidert, der Wunsch, ihr Geschick zu verbinden, sei ein beiderseitiger, und bei geduldigem Warten und Ausharren würden die Hindernisse, welche sich damals ihrer Verbindung entgegen stellten, verschwinden oder überwunden werden.

Bei dem Versuche, zu bestimmen, wann Beethoven in dieser Weise schrieb, können seine häufigen sonstigen ungenauen Daten nicht ignoriert werden. Wenn die Worte: »Abends Montags, am 6. Juli« als entscheidend betrachtet werden müssen, so ist die Untersuchung beschränkt auf die beiden Jahre 1807 und 1812, da die Jahre 1801 und 1818 beide außer der Frage sind. Will man jedoch den Irrtum eines Tages im Datum als möglich annehmen, so würde sich die Untersuchung auf eines der im Folgenden genannten Jahre ausdehnen.

In den drei früheren Jahren war:


1806 1807 1808

der 5. Juli einSamstagSonntagDienstag

der 6. Juli einSonntagMontagMittwoch

der 7. Juli einMontagDienstagDonnerstag.


In den drei späteren Jahren war:


1811 1812 1813

der 5. Juli einFreitagSonntagMontag

der 6. Juli einSamstagMontagDienstag

der 7. Juli einSonntagDienstagMittwoch.


Die Jahre 1808 und 1811 sind, um andere Gründe zu übergehen, darum auszuschließen, weil sie einen Irrtum von zwei Tagen voraussetzen würden. Es bleiben demnach die Jahre 1806, 1807, 1812 und 1813 übrig, welche wir am passendsten in umgekehrter Reihenfolge betrachten.

Das Jahr 1813 erscheint sofort als unmöglich durch das Datum eines Briefes an Varena: »Baden, den 4. Juli 1813«, sowie durch andere Umstände, welche beweisen, daß Beethoven die Monate Juni und Juli dieses Jahres in Wien und Baden zubrachte.

In gleicher Weise muß das Jahr 1812 zurückgewiesen werden, weil [320] er noch am 28. Juni dieses Jahres in Wien an Baumeister schreibt und Dienstag, den 7. Juli in Teplitz ankommt.7

Es bleiben demnach nur die Jahre 1806 und 1807. Bis zu diesem Punkte war nun die betreffende Frage bereits genügend gefördert, als die bezüglichen Stellen des zweiten Bandes der ersten Auflage geschrieben wurden. Will man nun auf die Unwahrscheinlichkeit eines Irrtums in Beethovens Daten (6. und 7. Juni) ein übermäßiges Gewicht legen, so wäre es freilich unmöglich, sich für dasjenige Jahr zu entscheiden, welches andere Betrachtungen beinahe als das sichere erscheinen lassen, nämlich 1806.

Wir besitzen einen Brief Beethovens an Franz Brunswik, der die Absicht ausdrückt, ihn ihn Pest zu besuchen8, gedruckt mit dem Datum des 11. Mai 1806, welcher einen zwingenden Beweis zugunsten dieses Jahres abgeben würde; leider aber ist sein richtiges Datum 1807 (weil der Abschluß des Kontraktes mit Clementi erwähnt wird), und so vermehrt der Brief nur unsere Schwierigkeiten. Denn es ist bekannt, daß er 1807 bis über die Mitte Juni9 in Wien und auch wieder mindestens seit dem 22. Juli in Baden war, so daß er wohl allenfalls Anfang Juli hätte die vorgenommene Reise machen und am 6.–7. den Liebesbrief schreiben können, obgleich der BriefDr. Schmidts vom 22. Juli zu der Annahme drängt, daß er auch die Zwischenzeit in Baden verbrachte. Therese Brunswik war aber im Juli 1807 mit ihrer Mutter in Karlsbad, eine Reise nach Ungarn hätte also Beethoven ihr nicht näher gebracht. Von einer Reise Beethovens 1807 nach den Böhmischen Bädern haben wir aber keinerlei Kunde.

So bleiben wir also darauf angewiesen, in Beethovens Datierung einen Irrtum von einem Tage anzunehmen und den Brief in jenen Sommer zu verweisen, welchen er zum Teil in Ungarn, zum Teil in Schlesien zubrachte, den Sommer 1806. Es findet sich in all den Jahren von [321] 1800 bis 1815 kein anderer Sommer, in welchem der Brief in den ersten zehn Tagen des Juli geschrieben sein könnte, ohne daß mit dieser Annahme den Tatsachen und der Wahrscheinlichkeit Gewalt angetan würde10. –

Diese unsere Erörterung hat aber noch einen wichtigeren Gesichtspunkt zu verfolgen, als die bloße Bestimmung des Datums eines Liebesbriefes. Sie soll die Grundlage zu einer sehr nötigen Rechtfertigung von Beethovens Charakter in dieser Periode seines Lebens bieten.

Der Herausgeber von Beethovens Briefen an Gleichenstein in Westermanns Monatsheften (1865)11 erfuhr von Gleichensteins Witwe, daß der Komponist einst ihrer Schwester, Therese von Malfatti, seine Hand angeboten habe. Auf diese Mitteilung, in Verbindung mit gewissen Anspielungen in jenen Briefen, gründete er eine wunderliche Vermutung, welche im Verlaufe der vielfachen Verwendungen, die er aus mancherlei Absichten mit jener Korrespondenz machte, in seinem Geiste die Gestalt einer unbezweifelten Wahrheit angenommen hat und wiederholt von ihm als solche öffentlich ausgesprochen worden ist. Wir fürchten nicht, daß irgend ein anderer angesehener Schriftsteller sie als solche angenommen, und ebensowenig, daß irgend einer sie der Widerlegung für wert erachtet hat. Doch ist sie gegenwärtig in zu weiter Ausdehnung in Umlauf gekommen, um sie länger mit Stillschweigen übergehen zu können. Beethoven, erzählt der betreffende Herausgeber, verliebte sich »in die schwarzbraune Therese«, welche »trotz ihres erst 14jährigen Alters schon jetzt, 1807, vollständig erwachsen war«. »Seine Herzensneigung zu ihr entwickelte sich ebenso rasch wie leidenschaftlich, ward jedoch von dem jugendlichen Mädchen weder jetzt noch später erwidert.« Dieses Verhältnis »war offenbar für die Familie etwas drückend, denn des halbtauben, über sechsunddreißigjährigen, höchst eigenartigen Mannes leidenschaftliche Neigung zu dem 14jährigen Mädchen konnte nicht anders als auf die Dauer mißlich werden«.

»Nun seht ihr wohl! Ich hoffe, hier gibts Wahrheit«, sagt der Narr in Shakespeares »Maß für Maß«.

Man erwäge, daß dies das Jahr der C-Dur-Messe und der C-Moll-Symphonie [322] war, und denke sich nun das Bild: Beethoven, der gewaltige Meister, in der Ausarbeitung von Werken begriffen, welche die unergründlichsten Tiefen der Seele aufweckten, und auf der andern Seite »der Liebende – er seufzt wie ein Kamin und schreibt Balladen, erbärmliche, auf seines Schatzes Augen«. Oder, wenn man lieber will, man stelle jenem ersten Bilde gegenüber einen solchen »halbtauben, über 36jährigen, höchst eigenartigen« Corydon, umherwandelnd, wo »am weichen Moose rieselt in heller Flut der Bach«, vergeblich melancholische Weisen flötend an eine solche umbarmherzige, »früh entwickelte und früh verehrte vierzehnjährige« Phyllis!

Wir wollen einmal für den Augenblick zugeben, daß dies anmutige Bild von Beethoven im Jahre 1807 das richtige gewesen wäre; aber durch keine nur mögliche Übertreibung von Vernunft- oder Wahrscheinlichkeitsgründen kann auch die ungezügeltste Einbildungskraft oder die unverständigste Überlegung behaupten, daß der Brief vom 6. bis 7. Juli im Jahre 1806 an die damals 13jährige Therese Malfatti geschrieben war12.

Noch eine andere Annahme oder Vermutung muß hier berührt und womöglich widerlegt werden; dieselbe könnte sonst möglicherweise einmal als Wahrheit angenommen werden von einem Schriftsteller »von einer freien geistigen und sogar eminent künstlerischen Tätigkeit«,

»dem die tieferen und eigentlichen Quellen deutscher Anschauung und Bildung zumal in einer Kunst, wie die Musik, nicht fremd geblieben, und der das deutsche Wesen richtig zu erfassen weiß«,

[323] »der sich selbst in die Regionen aufzuschwingen vermöchte, in denen der Geist frei aus sich das Schöne erzeugt und es den Menschen als ihr eigenes Ideal und Wesen hinstellt«,

»der nicht vergißt, daß eben die schöne Art des Künstlers, sich der Natur und ihren ebenso geheimnisvoll mächtigen wie unwillkürlichen Trieben mit innerer Seele nahe zu halten, es ist, was ihm die Fähigkeit gibt, uns diese Triebe und Gewalten in ihrer Kunst vorzuführen«,

»der kein bornierter Philister ist, der mit dem sittlichen Ernst der historischen Forschung über das feinste und individuellste Weben der Menschennatur zu Gericht sitzen will«,

»der völlig frei ist von dem sittlichen Ernst, welchen man in Jahns ›Mozart‹ erkennt, vor dem die Muse der Kunst ihr holdes Antlitz durchaus birgt – jenem vielgerühmten sittlichen Ernst, der den Menschen aus dem Gesichtspunkte der bloßen Pflicht betrachtet«,

»der nie in seinen Schriften den Eindruck pedantischen Examinierens auf den moralischen Wert und einer gewissen unangenehmen Sittenrichterei macht, wie das auch in O. Jahns ›Mozart‹ der Fall ist«,

»der auch ganz frei ist von einer gewissen hergebracht beschränkten Anschauungsweise, die sich des Menschlichsten am Menschen, seiner natürlichen Schwäche, schämt und es daher nicht begreifen kann, wie man dazu kommt, von einem großen, d.h. wirklichen Menschen etwa auch alles Zufällige, Irrthümliche und selbst Gefehlte aufzudecken«,

»der sich fernhält von conventioneller Pedanterie oder gar Prüderie und immer die unumwundenste Öffentlichkeit haben will«.

Ein Schriftsteller, welcher die hier mitgeteilten sittlichen Grundsätze zu vertreten bereit ist, würde am Ende auch behaupten können, daß selbst noch im Jahre 1806 Beethovens Brief an die Gräfin Guicciardi, damals schon Gräfin Gallenberg, gerichtet gewesen wäre. Auch würde eine natürlichere Lösung der Schwierigkeit kaum zu finden sein, wenn es einmal bewiesen oder als wahr angenommen werden sollte, daß der Komponist zu jener Klasse hervorragender musikalischer Genies gehörte, welche »dem Gebot der einmal angenommenen Sittenparagraphen und gewöhnlichsten Lebenspflichten nicht mehr unterworfen sind«, und bei welchen »solche bloße ethische Bornirtheit zum wirklichen Gesetze des Lebens nicht erhoben werden konnte«. Wenn Beethovens Charakter von solcher Art gewesen wäre, was für Beweisgründe würde man dann noch vermissen, um anzunehmen, daß er und die Dame im Sommer 1806 ungeduldig den Augenblick erwarteten, wo sie sich von Gatten und Kindern hinwegstehlen [324] könnte, und daß so das glückliche Paar »ihren Zweck, zusammen zu leben, mit Herzen dicht aneinander« hätte erreichen können?

Ein einziger Einwurf genügt hier: Graf Gallenberg und seine Frau waren damals längst in Neapel. Nein! diese Schande haftet nicht an dem Namen Beethoven.

Wer unserer Erörterung bis hierher zu folgen für wert gehalten hat, wird nunmehr begreifen, weshalb soviel Zeit und Mühe darauf verwendet werden mußte, die Daten der Briefe vom 29. Juni 1801 und vom 6. bis 7. Juli 1806 über jeden möglichen Zweifel zu erheben, und dies nach so langer Zeit, nachdem in der eigenen Überzeugung des Verfassers auch nicht der Schatten eines Zweifels aufgestiegen war. Denn wenn diese Daten einmal feststehen, so müssen die ausgedehnten romanhaften Gebäude, auf dem sandigen Grunde der Vermutung aufgeführt, in Trümmer fallen.

Das Resultat unserer ganzen Betrachtung erscheint ebenso natürlich wie befriedigend und unwidersprechlich. Der junge Beethoven, im Besitze eines im hohen Grade empfänglichen und erregbaren Temperaments und dabei nicht allein mit ungewöhnlichem Genie begabt, sondern auch, abgesehen von seinem physischen Mißgeschicke, mit anderen anziehenden Eigenschaften – der große Pianist, der beliebte Lehrer, der vielversprechende Komponist, bewundert und wohl aufgenommen in den ersten Kreisen der Hauptstadt – Beethoven war, wie Wegeler sich ausdrückt, »nie ohne Liebe und meistens von ihr in hohem Grade ergriffen«. Mit zunehmenden Jahren kühlen sich jedoch die Leidenschaften ab, und es ist eine Wahrheit, die man täglich beobachten und erfahren kann, daß schließlich eine starke und dauernde Neigung auch den unstetesten und flatterhaftesten Liebhaber beherrschen kann. Nach unserer Überzeugung war dies auch bei Beethoven der Fall, und gewiß war der berühmte Liebesbrief an den Gegenstand einer solchen vernünftigen, ihn völlig beherrschenden und ehrenhaften Zuneigung gerichtet.

Fußnoten

1 Genannt seien hier nur die Spezialschriften Mariam Tenger »Beethovens unsterbliche Geliebte« Bonn 1890 [Therese von Brunswik), Alfred Kalischer »Die unsterbliche Geliebte Beethovens« (Dresden 1891 [Giulietta Guiciardi]), La Mara (Marie Lipsius) »Gräfin Therese Brunswik, Beethovens unsterbliche Geliebte« (Neue Rundschau 1909) und »Beethovens Unsterbliche Geliebte Das Geheimnis der Gräfin Brunswik und ihre Memoiren« (Leipzig 1909) und Wolfg. Thomas-San Galli »Die unsterbliche Geliebte Beethovens. Amalie Seebald« (1909).


2 Der Musikverleger Steiner hatte verschiedene Manuskripte von Beethoven gekauft, die er aber zum großen Zorne des Komponisten nicht veröffentlichen wollte.


3 Diese Worte hat Jahn so abgeschrieben: »Elle est née Guicciardi elle etoit (hier steht ein unleserliches Wort mit einem? darüber) qu epouse de lui (avant son voyage) de l'italie (arrivé a Vienne) et elle cherchoit moi pleurant, mais je la méprisoisLudwig Nohl hat behauptet, daß die hier in Klammern stehenden Worte von Schindler »hinzugefügt« seien. Schindler aber druckte die Stelle sowohl 1845 als 1860 so ab: »Elle étoit l'épouse de lui avant son voyage en Italie ... Arrivée à Vienne elle cherchoit moi pleurant« etc. In der Ausgabe von 1860 (I. 36) fügt er folgende Anmerkung hinzu: »Eines der Conversationshefte von 1823, die sämmtlich in der K. Hof-Bibliothek zu Berlin aufbewahrt sind, enthält diese Eröffnungen.« Wenn Nohls Behauptung richtig wäre, so würde daraus folgen, daß Schindler in seinem Auszuge das Publikum belogen und betrogen; daß er sich einer Fälschung schuldig gemacht, welche den Augen Jahns und des Verfassers entgangen wäre; und daß er dabei noch die Thorheit gehabt hat, die Aufmerksamkeit des Lesers gerade auf das Konversationsbuch hinzulenken, mit dessen Inhalt die Fälschung geschehen ist!

Nohl behauptet weiter, Giulietta habe Beethoven vor ihrer Abreise nach Italien aufgesucht; er gründet also auf diese Handlung von ihr die Annahme, daß sie, die junge Frau, erst wenige Monate verheiratet, bereit war, schon damals ihren Gatten zu verlassen! Aus Umständen, welche Herrn Nohl unbekannt waren, geht mit Bestimmtheit hervor, daß der Besuch nach ihrer Rückkehr nach Wien, um 1822, stattfand.


4 Es ist hier darauf aufmerksam zu machen, daß wenigstens nach Aussage des Fräulein Lotti Languider, einer langjährigen Hausgenossin und Freundin der Therese Brunswik (La Mara, Beeth. Unst. Gel. S. 29). »die Schwärmerei Beethovens für Gräfin Julie Gallenberg-Guicciardi – wenn sie auch eine warm bewundernde gewesen ist, denn sie war eine sehr schöne, elegante Weltdame – doch nicht in dem Grade das Herz Beethovens erfaßt hat, wie die spätere (!) Liebe zur Gräfin Therese Brunswik, die auch zur Verlobung führte (!). Das war entschieden seine tiefste Liebe, und daß es nicht zur Heirat gekommen ist, soll nur in der – wie soll ich sagen? – ernsten Künstlernatur Beethovens, der trotz der großen Liebe sich nicht dazu entschließen konnte, seinen Grund gehabt haben«.


5 Da der Herausgeber glaubte, die umständlichen Erwägungen Thayers zu der Guicciardi-Frage dem Leser der neuen Auflage nicht vorenthalten zu sollen, hat er dieselben aus den verschiedenen Stellen des zweiten und dritten Bandes, in denen sie verstreut waren, hier zusammengestellt. Übrigens hat Thayer in der Broschüre »Ein kritischer Beitrag zur Beethovenliteratur« (Berlin 1877) die in der Biographie nicht berücksichtigte romanhafte Phantasterei über die Mondscheinsonate usw. kurz abgefertigt (Peter Lysers Beethoven-Novellette).


6 Vgl. aber weiter unten die aus dem dritten Band der ersten Auflage entnommenen Ausführungen, welche doch ernstlich mit der Annahme des falsch geschriebenen Datums oder Wochentags rechnen.


7 Man beachte, daß nur ein »ungarisches Bad« durch diesen Umstand ausgeschlossen ist, aber nicht Teplitz. Der Brief vom 17. Juli 1812 an Breitkopf und Härtel meldet aber, »daß wir uns seit 5. Juli (!) hier (in Teplitz) befinden« (Kalischer, Sämtl. Br. II. S. 87), genau dem Datum des Liebesbriefs entsprechend. Das ist sogar ein erdrückender Grund für 1812.

H. R.


8 Der Brief an Brunswik kündigt allerdings nicht einen beabsichtigten Besuch an, sondern bringt ein Konzertengagement für 200 ⌗ nach Ungarn (Pest) in Anregung; dasselbe würde aber doch wohl schwerlich für den Anfang Juli gemeint gewesen sein.

H. R.


9 Briefe an Gleichenstein vom 13. und 16. Juni.


10 Die Memoiren verzeichnen aber (La Mara S. 75), daß Therese Brunswik von Ende Mai bis nach dem 6. Juli 1806 in Siebenbürgen weilte, um die Entbindung ihrer Schwester Lottchen (Gräfin Teleky) abzuwarten, die gerade am 6. Juli erfolgte. Auch hier ist also das Datum des Liebesbriefs doch nicht unterzubringen.

H. R.


11 Ludwig Nohl.


12 Die durch eine ganze Reihe von Briefen Beethovens an Gleichenstein bestimmt erwiesene ernstliche Neigung Beethovens zu Therese Malfatti gehört nicht in das Jahr 1807, sondern in 1809 bis 1810. Daß dieselbe mit einem Heiratsantrage endete, steht außer Zweifel, wie an seiner Stelle ausführlich belegt werden wird. Durch die irrige Annahme, daß Beethoven schon 1807, wo er seinen Kontrakt mit Clementi schloß, auch das Honorar von diesem erhalten habe, wurde die Zurückdatierung einer großen Zahl von Briefen, die in 1809 und 1810 gehören, in 1807 verschuldet. Die »zerschlagene Heiratspartie« war tatsächlich die erhoffte Verbindung mit Therese Malfatti. Aber es ist ausgeschlossen, daß der Liebesbrief an diese gerichtet ist. – Einstweilen werden wir also gezwungen anzunehmen, daß doch vielleicht der Liebesbrief noch erheblich später als 1806 oder 1807 zu datieren ist; Lotti Languiders Bezeichnung der Liebe Beethovens zu Therese Brunswik als einer »späteren« läßt die Möglichkeit offen, daß die früher so zarte und schwächliche Therese Brunswik, welche ja nach dem Aufenthalt 1807 in Karlsbad aufblühte und sich derart kräftigte, daß sie 86 Jahre alt wurde, die Adressatin gewesen ist.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1910..
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