Viertes Kapitel.

Die Jahre 1820 und 1821.

Der Neffe. Kanons. Mödling; Unter-Döbling und Baden. Das Bild Stielers. Die letzten Sonaten.

Wir fassen in dem gegenwärtigen Kapitel zwei Jahre zusammen; nicht als wenn sich die äußeren Ereignisse nicht auch hier nach den Jahren scheiden ließen, sondern weil für beide das biographische Material nicht so ausgedehnt ist wie in den früheren, und weil bei den aus diesen Jahren stammenden Kompositionen es sich nicht ganz sicher entscheiden läßt, welchem von beiden sie angehören. –

In der ersten Zeit des neuen Jahres, im Februar, schrieb Beethoven mit seinen kräftigen Zügen ins Konversationsbuch jene Worte, welche hier gleichsam als Motto und zur Kennzeichnung seiner Gesinnung stehen mögen: »Das moralische Gesez in unß u. der gestirnte Himmel über unß, Kant!!!« Und eine andere Äußerung von seiner Hand in K. B. sei hier auch aufbewahrt: »Man sagt, die Kunst sei lang, kurz das Leben – Lang ist das Leben nur, kurz die Kunst. Soll uns ihr Hauch zu den Göttern heben – so ist er eines Augenblickes Gunst.« Und vorher: »Die Welt ist ein König, u. sie will geschmeichelt sein, Soll sie sich günstig zeigen, doch wahre Kunst ist eigensinnig, läßt sich nicht in schmeichelnde Formen zwingen; berühmte Künstler sind befangen stets, drum ihre ersten Werke auch die besten, obschon aus dunklem Schooße sie entsprossen.«

Das Jahr 1820 beginnt wieder mit einem Gruße an den Erzherzog Rudolph, diesmal in Form eines festlichen 4 stimmigen Kanons mit kurzer Choreinleitung: »Seiner Kaiserlichen Hoheit! Dem Erzherzog Rudolph! Dem geistlichen Fürsten! [mäßig] alles Gute! alles Schöne!« und unterschrieben


»Von ihrem

gehorsamen

Diener

L. v. Beethoven.

am 1ten Jenner 1820.«1


[179] Nun muß uns die leidige Prozeßangelegenheit nochmals beschäftigen; sie kommt nunmehr zu ihrem Ende. Beethoven hatte also, wie wir bereits wissen, gegen den abweisenden Beschluß des Magistrats Rekurs beim Appellationsgericht eingelegt. In seinem Gesuche, welches das Präsentationsdatum vom 7. Januar 1820 trägt,2 macht er dieselben Gründe geltend wie früher; der talentvolle Knabe bedürfe jetzt einer sorgfältigen und kundigen Leitung und Erziehung, zu welcher weder die Mutter noch der Stadtsequester Nußböck sich eigneten; er beantrage daher, daß ihm die Vormundschaft wieder übertragen und der Lobkowitzische Hofrat Peters zum Mitvormund bestellt werde. Auch der Mutter will er eine Art Mitvormundschaft zugestehen, so daß sie ihn besuchen und von den Erziehungsvorkehrungen Kenntnis nehmen könne. Dieses Zugeständnis und der im ganzen gemäßigte Ton der Eingabe läßt die Hand Dr. Bachs erkennen, mit welchem zu gleicher Zeit lebhafter brieflicher Verkehr bestand. Der folgende Brief, den Nohl N. Br. Nr. 228 mitteilt, dürfte in diese Zeit fallen.3


»Verehrter Freund!


So sehr gern ich sie einmal besucht hätte, so war es mir unmöglich zum Theil weil ich ihre Wohnung nicht wußte, auch nicht einmal die Neujahrshöflichkeit ist mir vergönnt gewesen ihnen zu erzeigen, ich wollte mit meinem Neffen zu ihnen kommen, allein ein unseliger Zufall hinderte es und jetzt ist er gar krank. – Ich bedarf aber wieder ihrer Hülfe, denn ich kann eben nicht viel mehr in der Welt als einige Noten so ziemlich niederschreiben, in allen Geschäftssachen ein schwerer Kopf, verzeihen sie wenn ich ihnen wieder beschwerlich fallen muß, indem ich sie bitte mir gefälligst die Monathe zu benennen, und die Quantität derselben anzugeben, alsdann werde ich um die Stunde, die sie mir bestimmen zu ihnen kommen in ihr Bureau, wo sie mir gefälligst ihre Wohnung anzeigen werden, und sobald mein Neffe gesund ist besuchen wir sie.«4


Wichtiger ist der folgende Brief, ersichtlich auch an Bach und vermutlich spät im Januar geschrieben.5


[180] »Euer Wohlgeboren!


In einigen Tägen erhalten sie eine Schrift6 von mir, worin Mittheilungen über die Fr. v. B. – über das Betragen des Magistrats – über die Zeugnisse – über das was ich für meinen Neffen gethan – über sein Vermögen; welche sie dann abschreiben lassen wollen, um sie dem Hrn. v. Schmerling u. Hrn. v. Winter zu übermachen. Es ist nicht unmerkwürdig zu erfahren wie man gegen einen Menschen, der nur das Gute will, hier verfahren7 kann, dabei selbst auf die Wohlfahrt eines unschuldigen Geschöpfes nicht Rücksicht nimmt! Ist der Bericht vom M. [Magistrat] schon an die Appellation gebracht? Nun von etwas anderem! Man sagt mir daß ich in der Vorstadt wo ich bin, vom 2. Febr. Maria Reinigung oder Lichtmeß an, seine Wohnung Zeit hat aufzukündigen bis den 16 d.?8 Ich bitte sie mir hierüber nun einige Zeilen Auskunft zu geben, indem9 ich ohnehin den ganzen Sommer auf dem Lande zubringe und für mich höchstens ein Zimmer zum absteigen in der Stadt nöthig habe, auch künftiges Jahr diese Wohnung ohnehin nicht zu behalten gedenke. Sie wissen ohnehin wie wenig beschwerlich ich ihnen gerne bin, sie verzeihen mir daher schon diese Frage? Ich befinde mich öfter nicht wohl, sonst wäre ich schon zu ihnen gekommen.

M. v. Tuscher war bei mir, eine alte Freundschaft läßt sich nicht unterdrücken, er hat scharf gehandelt, allein unter einer solchen Behörde kann nur ein Vormund – wie ich – der das Geld gibt, den Ausschlag geben! Wenn sie ihn sprechen wollen, er könnte ihnen noch über manches Auskunft geben; jetzt ist er wieder gesund! Sie finden ihn Morgens von 10–12 Uhr in seinem Bureau oder Boureau.10


in Eil

ihr mit Hochachtung verharrender

Beethoven.«


Das Appellationsgericht hatte gleich nach Einreichung des Rekurses, am 10. Januar, den Magistrat zum Bericht aufgefordert und Beifügung der früheren Gesuche und der sonst nötigen Bescheide verlangt. Der Magistrat berichtete am 5. Februar; er erklärte, bei seinem früheren Bescheide stehen bleiben zu müssen und führte seine früheren Gründe an, wobei es an scharfen Anklagen gegen Beethoven wieder nicht fehlt. Auf eine weitere Aufforderung des Appellationsgerichts vom 21. Febr., in welcher, wie es [181] scheint, Vorlegung weiterer Aktenstücke und nähere Erläuterungen verlangt wurden, antwortete der Magistrat am 28. Febr. mit womöglich noch schärferen Anklagen gegen Beethoven.11 Er ignoriert darin den schlechten Charakter der Witwe überhaupt und behauptet, ihrer Ausschließung könne natürlich nichts anderes zu grunde liegen, als das Vergehen, welches sich die Mutter i. J. 1811 zu Schulden kommen ließ;12 »denn alles Übrige, was in der Aeußerung des Rekurrenten [Beethoven] sub F vorkömmt, ist beweisloses Gewäsch, worauf das K. K. Landrecht keine Rücksicht nehmen konnte, was jedoch ein redender Beweis ist, wie leidenschaftlich und feindselig Rekurrent gegen die Mutter von jeher gehandelt habe und noch immer handle.« usw. –

Jeder unbefangene Leser der im Anhange mitgeteilten Schriftstücke muß eingestehen, daß in einem Punkte, nämlich der vollständigen Ausschließung der Mutter von jedem Anteile an der Vormundschaft über ihren Sohn, ein sehr starker Rechtsgrund gegen Beethoven gegeben war, was ja auch Dr. Bach erkannte. Wir wissen jetzt, was für eine Art Persönlichkeit sie war;13 aber was wir von ihrem Charakter wissen, bietet uns keinen sicheren Prüfstein, mittelst dessen wir die Pflichten der damaligen Behörden beurteilen können. Was das mit F bezeichnete Schriftstück enthalten hat, ist nicht bekannt; wahrscheinlich Anklagen wegen Unsittlichkeit, welche nicht bewiesen werden konnten oder wenigstens nicht bewiesen waren; jedenfalls in einer Form aufgestellt, nach welcher der Magistrat die Unmöglichkeit für das Landrecht behaupten konnte, sie in Erwägung zu nehmen. Ohne Zweifel hatte Beethoven gehofft, sein Ziel durch allgemeine Angaben zu erreichen, und hierdurch sich selbst die Beschämung und Demütigung zu ersparen, welche eintreten mußte, wenn er auch nur mit verhüllter Wahrheit die Liederlichkeit und das schamlose Leben seiner eigenen Schwägerin hätte [182] darlegen wollen; und aus dieser Verschweigung wußten ihre Rechtsbeistände und die Mitglieder des Magistrats Vorteil zu ziehen.

Beethoven bemühte sich, während die Angelegenheit in dieser Weise schwebte, auch persönlich um den Erfolg zu bemühen, und wendete sich in folgendem Briefe an den Appellationsrat Karl Winter:14


»Am 6ten März 1820.15


Euer Wohlgebohren


Ich habe die Ehre ihnen anzuzeigen, daß ich eine Denkschrift bestehend in Mittheilungen über die Fr. van Beethoven, über das Magistrat, über meinen Neffen, über mich etc. verfaßt habe, welche ich ihnen binnen einigen Tägen zusenden werde; ich glaubte mir es selbst schuldig zu sein den Ungrund so vieler Verläumdungen gegen mich zu offenbaren, so wie ebenfalls die Intriguen der Fr. v. B. gegen mich zum Schaden ihres eigenen Kindes aufzudecken, sowie auch das Benehmen des Magistr. in sein gehöriges Licht zu stellen.16 E. W. G. werden aus diesen Mittheilungen über den M. erfahren, wie derselbe mir förmlich zu Werke gegangen ist, wie er meinen Neffen mit seiner Mutter mir unbewußt kommen ließ, laut den eigenen Aussagen meines Neffen mußte er dort, von seiner eigenen Mutter angestifftet u. verleitet mehrere Unwahrheiten gegen mich vorbringen; ebenso wird in diesen Mittheil. ein schriftliches Document vorkommen, welches das schwankende u. partheyische Benehmen des M. beweist u. wie sehr derselbe sich selbst wiedersprochen habe, als er die Fr. v. B. zur Vormünderin einsetzte; auch wird bewiesen werden, daß der M. nach Niederlegung der Vormunds. des Hr. Tuscher welchen ich selbst zum Vormunde gewählt hatte, mich wieder als Vormund anerkannte, indem derselbe mich unter anderen auch aufforderte, wieder einen anderen Vormund zu wählen, ich hielt dieses aber keineswegs für zuträglich, da mein Neffe während dem als ich die Vormunds. niedergelegt hatte, nichts als schaden davon hatte, indem es sich unter mehreren anderen Nachtheiligen für ihn auch ereignete, daß er dahin gebracht wurde, mit Fleiß eine so schlechte Prüfung zu machen, daß er ein gantzes Jahr auf derselben Schule sitzen bleiben muß, welcher unersetzliche Verlust, daß er ebenfalls von einem Blutsturtz befallen wurde während derselben Zeit, welcher ihm ohne mein dazukommen beinahe das Leben gekostet hätte; unmittelbar sind diese Ereignisse nicht dem Hr. Tuscher zuzuschreiben, denn er war zu wenig unterstüzt von der Obervorm., konnte daher nie mit der nöthigen Energie handeln, mit der ich z.B. als Onkel, Vormund u. Kostentragender zu werke gehen konnte. – Aus diesen nur wenigen Anführungen werden E. W. G. ermessen, daß dem Berichte des M. eben nicht großes Vertrauen zu schenken [183] ist, man kann denken überhaupt welche Parthey die Fr. v. B. dort für sich wirksam gefunden, da sie schnurstracks wider die Verordnungen der hohen L. W. [L. R.?], gemäß welcher sie von der Vormundschaft ausgeschlossen war, von dem M. gar zur Vormünderin ernannt wurde, hieraus folgt denn auch, daß ich bitten muß, mich sowohl als meinen Neffen nöthigen Falls selbst zu hören über vielleicht vorkommende Beschuldigungen mich betreffend. Zwar scheint mir der unnatürliche Fall, mir die Vormunds. über meinen Neffen zu versagen, nicht wohl möglich, da dieses nur in allen Hinsichten zum Nachtheile meines Neffen gereichen würde, nicht zu reden davon, daß ein solches Ereigniß die Mißbilligung unserer gesitteten Welt gewiß erregen würde; man denke nur, schon über 5 Jahre habe ich größtentheils auf die großmüthigste Art für meinen Neffen gesorgt, 2 Jahre war selber ganz auf meine Kosten im Institute, alsdann kam erst einiger Beytrag, welcher sich nicht höher als jährl. auf 450 fl. W. W., wenn der Kurs auf 250 steht, beläuft; nun habe ich von diesem Beytrage beynahe vierzehn Monathe nichts erhalten, wie reichlich ich für meinen Neffen ohnerachtet dessen immer gesorgt, werden einige beygelegte Rechnungen bewähren. Nur im Falle daß man mir die Vormunds. mit einem Mitvormunde nicht gestattete, würde ich meinen Neffen seinem Schicksale überlassen müssen, so wehe mir auch hiebey gesche hen würde, so würde ich mich doch alsdann nie anders als ausgeschloßen betrachten, ferner an ihm Theil zu nehmen. Sobald man mich aber wieder als Vormund mit meinen, meinem selbst [?] nützlichen Mitvormunde annimmt, so werde auf die uneigennützigste Art sorgen und wie bisher alle Kosten u. auch zukünftig immer tragen, habe ich doch selbst auf den Fall meines Todes schon für ihn gesorgt, hiezu liegen 4000 fl. C. M. in der österr. National Bank von mir, ihm als Erbtheil bestimmt; so wie ich denn durch meine Verbindungen ihm überall nützlich sein kann, auch mein Verhältniß zu Sr. Kaiserl. Hoheit, dem Erzbischoff von Ollmütz mich von Selbem auch noch manches erfreuliche hoffen läßt, welches wie noch manches sonstige alles meinem Neffen zu gute kommen wird. Schließlich lege E. W. G. noch einmal das Wohl und Wehe meines Neffen an das Herz, ich setze mein Vertrauen auf einen eben so geistreichen als gefühlvollen Mann, und hoffe davon alles ersprießliche, denn nimmer kann ich mir denken, daß eine solche Behandlung, wie der M. mir dem Wohlthäter meines verstorbenen Bruders dem Versorger Erhalter meines Neffen über 5 Jahre ohne alle Rücksicht dieses angedeihen ließ, sollte irgend höheren Ortes können gebilligt oder gar gutgeheißen werden.


Euer Wohlgeboren

mit ausgezeichneter Hochachtung

ergebenster Diener

Ludwig van Beethoven.


Meine vielen Beschäftigungen

werden mir die Nachsicht

E. W. G. wegen meines etwas

nachläßigen Schreibens

erwerben.«


[184] Wenn Beethoven Briefe von solcher Ausdehnung und dazu Denkschriften von vielleicht noch größerer schrieb, dann liegt auf der Hand, in wie hohem Grade – von den inneren Affekten ganz abgesehen – schon äußerlich seine Zeit durch diese Angelegenheit in Anspruch genommen war, so daß die schaffende Tätigkeit notwendig zurücktreten mußte.

Auch in den Unterhaltungen aus jener Zeit ist von diesen Verhandlungen mit dem Appellationsrat Winter die Rede.17 In einem Konversationsbuche aus diesem Jahre schreibt (der Angabe nach) Bernard:


»Er [Bach?] hat bereits mit dem Kais. [?] Appellationsrath Winter die Sache besprochen, der schon auch von dem Landrechte her, wo er früher war, davon unterrichtet ist. Es wird jetzt von dem Magistrat ein Bericht über sein Verfahren verlangt und hierauf die Sache bei der Appellation entschieden. Er fragte ob der Herr Nußbeck schon abgedankt habe, wenn nicht so wäre es gut, wenn der Dr. Bach eine schriftliche Entsagung desselben bei dem Appellationsgericht zu der schon eingereichten Schrift nachtrüge. Dr. Bach hat schon früher gesagt, daß Nußbeck gern abstehen wollte und so wird die Sache von dieser Seite keine Er schwerung leiden. Hierauf ist noch zu bemerken, ob Sie die Vormundschaft früher überhaupt18 oder nur zu Gunsten des Tuscher niedergelegt haben um dadurch besser zur Entfernung der Mutter zu wirken; dann auf welche Art Tuscher abdicirt hat, und ob Sie in Hinsicht der hierauf gemachten Anordnung durch den Magistrat unterrichtet worden sind.19 Dann ist es nöthig in allem so gemäßigt als möglich zu verfahren, damit es nicht den Anschein habe, als ob Leidenschaft dabei obwalte, auch werde man die Mutter nur im äußersten Fall im Punkte der Ehre20 angreifen. Das Ganze soll sich auf den Grundsatz beziehen, daß man ihr jetzt bei der Erziehung keinen Einfluß geben könne, weil ein Weib überhaupt für dieses Alter eines Knaben nicht hierzu geeignet ist. Ferner ist es nöthig, daß Sie,21 wenn es verlangt werden sollte, erklären daß Sie die Erziehungskosten fort-während bestreiten, worauf dann im schlimmsten Falle die Drohung erfolgen könnte, daß Sie Ihre Hand ganz abziehen wollten. Er meint man würde Ihnen vielleicht Vorwürfe über die Zeit machen, da Sie Carln bei sich hatten22 [185] weil sich die Pfaffen darein gemischt haben, und die Gegenparthey dieß ergriffen hat um Beschwerden zu erheben. Wegen des Nußbeck ist Dr. Bach zu ersuchen, damit er die aufzutragende Erklärung desselben wegen Abdankung erhalte. Er glaubt, es würde vielleicht noch eine Kommission beim Magistrat Statt haben, damit dieser über die gegenseitigen Erklärungen an die Appellation Bericht erstatten könne, falls die Protokolle nicht vorgelegt werden könnten. Ich glaube, Sie sollten, um auch jetzt allen Vorwand zu beseitigen, Carln nicht in ein Gasthaus zum Essen nehmen, weil es gleich heißt, Sie führen ihn in die Wirthshäuser, weil alles aufmerksam auf Sie ist, u. alles durch Klatscherei u. falsche Auslegung entstellt wird. – Wann wollen Sie denn zum Doctor gehen? – Jetzt wissen Sie schon alles. Auch soll er selbst in seinen Eingaben gemäßigt schreiben, weil wie Schmerling sagt, er gern scharf schreibt.« U. s. w.


Es ist auch von einer Sinnesänderung des Neffen die Rede, weshalb der Advokat mit demselben sprechen möchte: er glaubt, »daß eine solche Unterredung für den Ausgang der Sache wichtig werden könnte.«23 Der Advokat habe es besonders aufgenommen, daß der Karl selbst dazu beitragen soll, um die Schlechtigkeit zu vernichten.24 »Ich war im Institut« (schreibt ein anderer; Bernard?) »Blöchlinger ist sehr zufrieden nur sagt er, man müsse Karln etwas anspornen, was durch Gewohnheit endlich auch nicht nöthig sein wird. – Auch bei seinem Professor der Piaristen [?] war ich der ihn außerordentlich lobt und sich freut ihn bald wieder zu prüfen.«

Daß Beethoven die Räte besuche, scheint Bach zu erwarten; Schmerling und Winter werden genannt (K. B.).

Karl mußte auch noch einmal Rede und Antwort stehen, wie es scheint vor Bach. Darüber erzählt er dem Oheim (K. B.): »Er hat mich gefragt, wie alt ich bin? – Ob ich dich zum Vormunde haben will? – Ob ich überzeugt bin, daß du nur mein Wohl willst? – Ob ich den Herrn Vormund kenne? – Ob er sich um mich bekümmert hat? – In welcher [186] Schule ich sei?« – Der Beantwortung dieser Fragen bedurfte der Advokat bei der Behandlung der Sache. Es werde, heißt es, wohl nun noch eine, »Commission« (protokollarische Verhandlung) bei dem Magistrat (an den die Aufforderung des Appellationsgerichts ging) sein, »wobei Karl erscheinen wird, u. darum sind die Fragen des Advokaten gut, denn er muß von allem unterrichtet sein, also auch von der Denkungsart des Knaben«.

Vielleicht wurde es durch diese persönlichen Schritte veranlaßt, daß das Appellationsgericht eine nochmalige Anfrage an den Magistrat richtete. Vielleicht wäre es der höheren Instanz als eine willkommene Lösung des scharf zugespitzten Streites erschienen, wenn eine friedliche Lösung hätte herbeigeführt werden können, wenn entweder Beethoven freiwillig zurückgetreten wäre, oder auch der Magistrat seinen schroffen Standpunkt aufgegeben hätte. Ersteres erfolgte, wie zu erwarten, nicht, und wahrscheinlich auch letzteres nicht; es fehlen hier einige Aktenstücke. Nur ein Protokoll ist noch vorhanden, welches folgendes ergibt.

Beethoven mußte auf Grund des Appellationsdekrets am 29. März noch einmal vor dem Magistrat erscheinen; er hatte den Redakteur Bernard zum Termin mitgenommen. Es wurden ihm nochmals in höherem Auftrage dringende Vorstellungen gemacht; die Entscheidung wurde also von einer neuen bestimmten Erklärung abhängig gemacht. Beethoven aber blieb bei seinem Willen, erklärte, daß er die Vormundschaft nach wie vor verlange, daß er den Hofrat Peters zum Mitvormund verlange, daß die Witwe aus-geschlossen bleiben müsse, daß er für seinen Neffen sorgen werde.25 Darauf erging dann am 8. April das Dekret des Appellationsgerichts zu Beethovens Gunsten; die Entscheidungen des Magistrats wurden aufgehoben. Die Mutter wurde von der Vormundschaft ausgeschlossen, die Nebenvormundschaft des Nußböck hörte auf, Beethoven und Peters wurden zu Vormündern bestellt.26 Die Witwe versuchte nun noch den letzten Schritt: sie appellierte an den Kaiser. Auch dieses blieb vergeblich; die Entscheidung des Appellationsgerichts wurde einfach bestätigt. Dies erfolgte durch Hofdekret vom 8. Juli; zugleich wurde die »Hofrekurentin« (Johanna v. Beethoven) mit ihrer Beschwerde abgewiesen.27 Am 24. Juli benachrichtigte der Magistrat die Frau Johanna van Beethoven und in gleicher Weise Beethoven, Peters und den bisherigen Nebenvormund Nußböck. –

[187] So hatte denn Beethoven endlich sein Ziel erreicht; nach jahrelangen Sorgen und Mühen hatte er die Freude, »mit seinem Karl zusammen leben zu können« und niemand hatte weiter ein Recht, in diese Sorgen einzugreifen und seine Freude zu stören. Er hatte diesem Erfolge mehr aufgeopfert, als er selbst vielleicht ahnte; nicht nur Zeit, nicht nur Gemütsruhe, sein Schaffen hatte zurücktreten müssen; Großes, was er begonnen oder beabsichtigt, blieb einstweilen unausgeführt oder verschoben, und das dürfen wir Nachgeborenen am meisten bedauern. Wir freuen uns mit ihm über die Befriedigung eines Herzenswunsches und wollen uns einstweilen den Gedanken an die neuen trüben Erfahrungen, die ihm nicht erspart blieben, fernhalten, bis unsere Erzählung uns dahin führt.

Für den Augenblick war seine Freude groß; er gab ihr Ausdruck in dem folgenden Briefe »für Seine Wohlgeboren Hrn. v. Pinterics.«28


»Lieber Herr v. Pinterics!


Ich melde Ihnen, daß der Civil-Senat vom hohen Appellationsgericht beauftragt worden, mir dessen Beschluß, welcher mir vollkommene Genugthuung leistet, bekannt zu machen. Dr. Bach war Vertreter dieser Angelegenheit, und zu diesem Bach gesellte sich das Meer mit Blitz, Donner und Sturm, und der Magistratische Brigantine mußte auf selbem gänzlichen Schiffbruch leiden.


Ihr ergebenster

Beethoven m/p.«


Nach Schindler (I. S. 271) war der Eindruck dieses Ausganges auf Beethovens Gemüt ein überwältigender; »vor lauter Freude und Glückseligkeit ob des errungenen Sieges über Bosheit und Ränke, aber auch ob vermeintlicher Errettung aus leiblichen Gefahren seines talentvollen Neffen ward den ganzen Sommer hindurch wenig oder fast gar nichts gearbeitet – vielleicht nur scheinbar, weil die Skizzenbücher fortan nur leere Blätter aufwiesen.« Es ist gut, daß Schindler seine Behauptung selbst einschränkt; [188] wir werden sehen, daß das Jahr keineswegs ergebnislos vorüberging und daß u.a. auch an der Messe eifrig gearbeitet wurde. Daß dieselbe nicht rechtzeitig fertig gestellt wurde, daran trug freilich der Prozeß einen großen Teil der Schuld.

Über den Hofrat Peters, welcher also jetzt Mitvormund war, wissen wir nichts Näheres, als was Beethoven selbst und die Konversationsbücher über ihn sagen. Er war Erzieher der Lobkowitzschen Kinder und mit Beethoven mindestens seit 18! 6 näher befreundet; nach den Unterhaltungsbüchern der Zeit gehörte er zu dessen näherer Umgebung. Beethoven nennt ihn kenntnisreich und moralisch achtbar, auch das Gericht muß ihn doch als zuverlässig erkannt haben. »Der Pet. gehört unter die edelsten Menschen«, schreibt jemand im K. B., wie es scheint J. Czerny. (Heiter und gesprächig, immer wohlmeinend) Seine Frau hatte eine gute Stimme und war eine große Verehrerin Beethovens, der ihr auch ein Exemplar des Liederkreises schenkte; Fanny Giannatasio nennt sie etwas leichtsinnig. An Peters war auch (die Zeit ist nicht ganz genau zu bestimmen) jener scherzhafte Brief mit den beiden Kanons gerichtet:29


(Adresse)

»Für Sein Wohlgeboren

Hr. v. Peters


Was machen Sie? Sind Sie wohl oder unwohl? was macht ihre Frau? erlauben sie daß ich ihnen was singe


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

Was machen ihre jungen Fürsten?

Sind Sie heute zu Hause Nachmittags gegen 5 Uhr vielleicht besuche ich Sie samt meiner Staats Bürde30

in Eil ihr

Beethoven.«


[189] Die Anspielung geht offenbar auf die Freunde Peters und Bernard, und die Zeit wird dadurch annähernd gegeben. In den Konversationen von Anfang 1820, während die Appellation schwebte,31 lesen wir, wie es scheint, von Bernards Hand:


»Sankt Petrus ist kein Fels

Auf ihn kann man nicht bauen.


Bernardus war ein Sankt,

Der hatte sich gewaschen,

Er hat der Hölle nicht gewankt,

u. nicht zehntausend Flaschen.«


Diesen Scherz hat also Beethoven, wie es scheint, zu gunsten des Peters korrigieren wollen. Einmal heißt es auch: Bernardus non sanctus;32 doch wohl nicht von Bernards Hand. Wir leben also mit diesen Scherzen ganz in der Zeit des schwebenden Prozesses.

Der erste Teil dieses Scherzes, der sich auf Peters bezieht, schein aber zuerst und schon im Vorjahre entstanden zu sein, die sarkastische Erweiterung auf Bernard wäre dann nachgefolgt. In einem im Beethovenhause zu Bonn befindlichen Taschenskizzenbuche, welches die Jahreszahl 1819 trägt, fast durchweg mit Bleistift beschrieben und gefüllt ist mit eiligen und vielfach sehr undeutlichen Skizzen zur Messe (meist zum Credo, auch zum Gloria und Sanctus), zwischen welche Beethoven auch kleine Scherze einstreut, findet sich ein kurzes dreistimmiges Sätzchen, dessen Noten schwer zu deuten sind, welches aber nicht als Kanon gestaltet ist, auf die Worte


»Sanct petrus ist der Fels

auf diesen kann man bauen,

und ist man auch – Fels33

so kann man auf ihn bauen.«


Das kleine Stück scheint aus A zu gehen; die beiden oberen Stimmen gehen zusammen und bringen das obige Motiv des Kanons, die dritte Stimme bewegt sich imitierend unter derselben. Ich lese mit etwas Freiheit folgendes:


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

[190] 34,35,36,37


Es ist immer mißlich, Beethoven selbst in den Skizzen korrigieren zu wollen; ich kann nur wünschen, daß ein anderer, der dieses Skizzenbuch prüft, im Entziffern glücklicher sei. –

Der Neffe blieb einstweilen bei Blöchlinger; Beethoven fuhr fort für ihn zu sorgen.38 Die Zufriedenheit des Vorstehers war nicht immer die gleiche; er sei schwankend (sagt Blöchlinger im März) und zur Trägheit geneigt, er habe seine liebe Not mit ihm gehabt, ihn wieder zur Tätigkeit anzuhalten.»Er ist, seit er bei mir ist, jeder Zeit ernst behandelt worden, sonst wären wir noch nicht da, wo wir jetzt sind.« Zusammenkunft mit der Mutter wünscht er lieber für Beethoven selbst. Von anderen hört Beethoven günstigere Urteile. »Der Probst von Michaeler,« heißt es im April, »soll sich geäußert haben, er hätte gefunden, daß Carl ein gutes im Grunde [191] unverdorbenes Kind sei, nur das böse Beispiel habe ihn verdorben.« Es müssen aber wieder böse Erfahrungen gemacht sein; ebenfalls im April schreibt jemand: »Karl hat wenig Gemüth, und NB bei seinen Kenntnissen, die man bei ihm rühmt, wenig Verstand – das ist wohl der Schlüssel zu diesem sonst wirklich unverzeihlichen Betragen.« »Der Bub' lügt, so oft er den Mund aufthut,« heißt es im Juni (Oliva?). Und in demselben Monat Juni erzählt ihm Blöchlinger von einem »neuen« Auftritt. Es sollte mündliche Prüfung [sein, er], war aber früh zur Mutter gelaufen, weil er tags vorher seine Lektion nicht gelernt hatte. Frau v. Blöchlinger fuhr mit einem Bedienten hin und es gelang ihrer Energie, den Knaben von der Mutter, die ihn verleugnen wollte, herauszubekommen, wobei sie versprach, dahin wirken zu wollen, daß er nicht bestraft werde, »und ich ging mit zur Prüfung, die er ziemlich gut machte«. Blöchlinger spricht sehr scharf gegen die Mutter, deren Nähe den Knaben verpeste, und wünscht eine Vollmacht zu haben, um jedesmal gleich die Hülfe der Polizei in Anspruch zu nehmen. »Sie wissen ohnehin, wie sehr ich ihr voriges Jahr das Wort redete, aber sie ist selbst Schuld, hätte sie sich so verhalten, daß Carln kein Nachtheil durch sie zugekommen wäre, so würde ich selbst dafür gewesen sein, allein ich schäme mich eine solche verrufene H – in meinem Hause zu sehen.« Karl gestand Blöchlinger, er sei weggegangen, um die Mutter zu bestimmen, daß sie für ihn bitte, daß er keine Strafe bekomme. Die Mutter dürfe aber nun das Haus nicht mehr betreten. So erzählte Bernard dem Meister, nachdem er dort gewesen. Beethoven scheint die Sache mit Bach besprochen zu haben; dieser meint (etwa August), der Mutter durch die Appellation alles Zusammenkommen mit dem Knaben zu verbieten gehe nicht an, und geheime Zusammenkünfte und geheime Korrespondenz werde man doch nicht verhindern können. Das einzige Mittel sei, auf den Knaben höchst wachsam zu sein und ihn nie allein mit der Mutter zu lassen. »Es gibt da keinen Gerichtszwang, wo im Verborgenen zu handeln gesucht wird. H. Blöchlinger kann ihr das Haus verbieten, und will sie den Knaben sehen, so muß sie ihn von dem Vormunde Hrn. Beethoven erbitten. – Der Zweck, die Mutter zu entfernen, kann am füglichsten damit erreicht werden, daß der Knabe so wenig als möglich sichtbar wird, das geschähe, wenn sie ihn nirgends anders als bei H. Beethoven sehen kann, weil sie dort nicht gern hingehen wird. – Der einzige Weg wäre, daß H. Beethoven mit mir zu Hofrath v. Sieber, wo ich sie begleiten würde, ginge, und würde den ersuchen, der Mutter alle Umtriebe zu untersagen, und sie kommen zu lassen,senza l'accompanement del Signor Blochl.« Ein Lehrer des Instituts [192] wie es scheint (Köferle), spricht sich um dieselbe Zeit dahin aus, daß die Mutter übel auf den Knaben wirke und nicht mehr zu ihm dürfe. – Vielleicht haben neue Maßregeln gefruchtet: im August schreibt Schindler im K. B.: »Karl ist fleißig, das sagen all seine Lehrer.«

Beethoven litt natürlich unter diesen neuen Erfahrungen, und scheint zu klagen: das sei nun der Lohn für seine guten Bemühungen. Darauf wird ihm dann geantwortet: »die Anerkennung dessen, was Sie gethan haben, soll Ihr Lohn sein«, oder: »es macht Ihnen auf jeden Fall sehr viel Ehre, und jeder Wohlgesinnte ist der Meinung«, womit wohl eine allgemeine Meinung ausgesprochen wird.

Karls weiteres Leben und Treiben wird uns noch viel begegnen; jetzt aber wollen wir in der chronologischen Folge der Ereignisse weitergehen. –

Viel wird in den Konv. gesprochen über Anbringung einer Schallvorrichtung an Beethovens Klavier.

Eine artige Huldigung brachte Seyfried Beethoven dar, indem er in der Musikzeitung von Steiner u. Co. vom 23. Februar 1820 die einstigen prophetischen Worte Neefes aus Cramms Magazin von 1783 (s. Bd. I S. 139) abdruckte und dazu bemerkte: »Möchte der damalige Prophet dieses Genie im 19. Jahrhundert noch gekannt haben, wie ehrenvoll hätte er seine Behauptung gerechtfertigt gefunden.«

Die Gesellschaft der Musikfreunde fuhr fort, seine Werke zur Darstellung zu bringen; am 20. Februar wurde die Eroica,39 am 9. April die C moll-Symphonie im Gesellschaftskonzerte aufgeführt. Ob Beethoven anwesend war, wird nicht berichtet.

An der Messe wurde stetig weiter gearbeitet, wie uns die Skizzenbücher zeigen; er glaubte die Vollendung nun bald vor sich zu sehen und faßte die Herausgabe schon ins Auge. Wir führen hier einen Brief an Simrock aus der ersten Zeit des Jahres an, aus dem das hervorgeht:40


»Wien am 18ten März 1820.


Lieber Herr Simrock!


Ich weiß nicht, ob ich mich im vorigen Briefe recht über alles geäußert – ich schreibe Ihnen daher nur kurz, daß ich auch wohl, wenn Sie es für nöthig finden, ihnen den Termin zur Herausgabe der Variationen verlängern kann41 – was die Messe betrift, so habe ich es reiflich überlegt und könnte [193] ihnen selbe wohl für das mir von ihnen angebotene Honor. von 100 Louisd'or geben, wenn sie vielleicht einige Bedingungen, welche ich ihnen vor, schlagen werde, und eben, wie ich glaube, ihnen nicht beschwerlich fallen werden, eingehen wollten? Den Plan über die Herausgabe haben wir hier schon durchgegangen und glauben wohl, daß die Sache, jedoch mit gewissen Modifikationen recht bald ins Werk gesetzt werde können, welches sehr nöthig ist, daher ich denn auch eilen werde, ihnen baldigst die nöthigen Aenderungen vorzuschlagen – da ich weiß, daß die Kaufleute das Postgeld gerne sparen, so füge ich hier 2 österreichische Volkslieder als Wechsel bey, womit sie schalten und walten können nach Belieben, die Begleitung ist von mir – ich denke eine Volkslieder Jagd ist besser als eine Menschen-Jagd der so gepriesenen Helden – Mein Kopist ist eben nicht da, ich hoffe sie werden es wohl lesen können – d. g. könnten Sie manche von mir haben, wofür Sie mir eine andere Gefälligkeit erweisen können –


In Eil

der Ihrige

Beethoven.«

Adresse: »An Herrn Simrock

berühmten Kunstverleger

in Bonn

(am Niederrhein)«


Auf der Rückseite des Kuverts steht: ouvrés la lettre avec bien de ménagement. Trotz dieser Warnung ist das eine Notenblatt mit der Überschrift: »Der Knabe auf dem Berge« am oberen Ende abgerissen, so daß die ersten 4 Takte nicht mehr deutlich zu lesen sind.

Die beiden beigegebenen Volkslieder sind folgende


I. Das liebe Käzchen.


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

42



[194] II. Der Knabe auf dem Berge.


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

Was auch Simrock zu diesen kleinen Abfällen von Beethovens Tätigkeit in Sammlung von Volksliedern gesagt haben mag; für uns sind sie ein weiterer Beweis für den Eifer, mit welchem er diese Spuren des Volksgesanges verfolgte. Hinsichtlich der in dem Briefe erwähnten Variationen ist zu bemerken, daß die Variationen Op. 107 tatsächlich 1820 (im Juni) bei Simrock erschienen sind. Sie waren aber, wie aus einem gleich zu nennenden Briefe hervorgeht, schon Anfang April in Wien vorrätig; entweder hätte also Simrock von der Erlaubnis, die Herausgabe zu verschieben, keinen Gebrauch gemacht, oder die Bemerkung bezieht sich auf ein anderes Variationenwerk. Letzteres vermutete Nottebohm unter Anführung einer Stelle aus einem kurz vorher (10. Februar) an Simrock geschriebenen Briefe,43 [195] in welchem er eine Komposition mit folgenden Worten erwähnt: »Große Veränderungen über einen bekannten Deutschen – welche ich ihnen unterdeß nicht zusagen kann.« Deutscher war nach dem Sprachgebrauche dasselbe wie Walzer; daher glaubte Nottebohm, Beethoven habe die Variationen Op. 120 gemeint. Diese entstanden aber später, und Beethoven konnte nicht wohl einen Walzer von Diabelli einen bekannten Deutschen nennen. Es kann auch, wie Nott. handschriftlich (zu Thayers Verz. 240) bemerkt ein anderes nicht fertig gewordenes Werk darunter gemeint sein. Wie dem auch sei – auf die Worte in dem Briefe vom 18. März kann es keinen Bezug haben, wie die Worte zeigen: »welche ich ihnen unterdeß nicht zusagen kann«; denn die Var. Op. 107 hatte ja Simrock schon. Dies also werden doch wohl die am 18. März erwähnten Variationen sein.

Anfang April schrieb Beethoven folgende Zeilen »An Ritter John Falstaff44 abzugeben bei Hr. Artaria et Comp.« (Adresse):


»Sehr Bester Falstaff!


Ich ersuche höflichst, mir ein Exemplar von jedem der 2 Werke für Clavier u. Flöte zu schicken. – Die Quittung anbelangend so werden Sie selbe morgen erhalten, u. bitte deshalb um die gehörige Beförderung, Hr. Artaria lasse ich mich45 empfehlen u. zugleich für sein gütiges Zuvorkommen in Ansehung des Vorschusses bedanken, indem ich schon meine auswärtigen Gelder erhalten habe u. daher jetzt nichts bedarf. Lebt wohl Ritter Falstaff, seid nicht zu lüderlich,

leset das Evangelium u. bekehrt euch –

Wir sind übrigens euch bestens zugethan.


Beethoven.«


Die Inthronisation des Erzherzogs Rudolph als Erzbischof von Olmütz war inzwischen erfolgt;46 die Messe war aus den Gründen, welche wiederholt erwähnt sind, nicht fertig geworden. Vielleicht um sich darüber zu erklären, versuchte er in diesen Tagen den Erzherzog zu besuchen, wovon uns der nachstehende Brief Kunde gibt.47


[196] »Wien am 3ten April

1820


Ihre Kaiserliche Hoheit!


So viel ich mich erinnere, zeigte man mir, als ich mich bey ihnen einenden wollte, an, daß Höchstdieselben unpäßlich wären, ich kam jedoch Sonntags Abende, um mich zu erkundigen, indem man mir versicherte, daß J. K. H. Montags nicht fortreisen würden, meiner Gewohnheit nach mich nicht lange im Vorzimmer aufzuhalten, eilte ich nach erhaltener auskunft, obschon, wie ich merkte, mir der Hr. Thürsteher noch etwas sagen wollte, geschwinde wieder fort, leider erfuhr ich Montags Nachmittags, daß J. K. H. wirklich nach O. sich begeben hatten, ich gestehe es, Es verursachte mir eine höchst schmerzhafte Empfindung, jedoch mein Bewußtseyn, nicht irgend etwas verfehlt zu haben sagte mir wohl bald, daß, wie es in d. g. Momenten des menschlichen Lebens zu gehen pflegt, auch hier wohl der Fall eingetreten seyn konnte, ich konnte wohl denken, wie J. K. H. übermaßen überhäuft von Ceremonien u. vor Neuheit der Eindrücke nicht viel Zeit für Anderes übrig hatten in O. sonst hätte ich mich gewiß beilt [sic] im schreiben zuvor zu kommen. – Nun wünschte ich aber, daß J. K. H. mich gnädigst darüber aufklärten, wie lange Sie ihren Aufenthalt in O. festgesetzt haben, hier hieß es: I. K. H. würden bis Ende May wieder hierher sich begeben, vor einigen Tägen hörte ich unterdessen, daß Höchstdies. anderthalb jahre in O. verbleiben werden, ich habe vieleicht deswegen schon falsche Maßregeln ergriffen, jedoch in Rücksicht J. K. H. nicht, sondern in Rücksicht meiner, sobald ich nur eine Nachricht hierüber habe werde ich alles weiter aufklären, übrigens bitte ich J. K. H. manchen Nachrichten über mich kein Gehör zu verleihen, ich habe schon manches hier vernommen, welches man geklat sche nennen kann u. womit man sogar J. K. H. glaubt dienen zu können, wenn J. K. H. mich einen ihrer werthen gegenstände nennen, so kann ich zuversichtlich sagen, daß J. K. H. einer, der mir werthesten gegenständen im Universum sind, bin ich auch kein Hofmann, so glaube ich, daß J. K. H. mich haben so kennen gelernt, daß nicht bloßes kaltes interesse meine Sache ist, sondern wahre innige Anhänglichkeit mich allzeit an Höchstdieselben gefesselt und beseelt hat, und ich könnte wohl sagen, Blondel ist längst gefunden, und findet sich in der Welt kein Richard für mich, so wird Gott mein Richard seyn – Wie es scheint wird meine Idee, ein Quartett zu halten, gewiß das beste seyn, wenn man schon im großen solche productionen in O. leistet, so könnte durch ein solches noch bewunderungswürdiges für die Tonkunst entstehen in Mähren. – Sollten nach obigen Gerüchten J. K. H. im May wieder hierher komen so rathe ich bis dahin mir ihre Geisteskinder aufzubehalten, weil es besser, wenn ich jetzt selbe erst noch von ihnen vorgetragen höre, sollte aber wirklich ein so langer Aufenthalt in O. statt finden, so werde ich selbe mit gröstem Vergnügen empfangen u. mich bemühen J. K. H. zu dem höchsten Gipfel des Parnasses zu geleiten. – Gott erhalten J. K. H. zum besten der Menschheit u. besonders ihrer Verehrer gänzlich gesund, u. ich bitte mich gnädigst bald wieder [197] mit einem Schreiben zu beglücken, von meiner Bereitwilligkeit ihre Wünsche allzeit zu erfüllen, sind Höchstdieselben ohnehin überzeugt –


Wien am 3ten April

1820


Ihro Kaiserl. Hoheit treu

gehorsamster Diener

L. v. Beethoven.«


Weitere Beweise der tiefen Anhänglichkeit Beethovens an den Erzherzog wird man wohl kaum erwarten. Er fühlt sich im Innersten nicht frei von Schuld der Vernachlässigung; das ändert aber nichts an seinen Gesinnungen, und wir sind in keiner Weise berechtigt, seine Worte als bloße Phrasen aufzufassen.

Der Scherz: ich bin kein Hofmann, steht in Verbindung mit einigen anderen Äußerungen, welche gerade in diese Zeit fallen. Wie er überhaupt Wortspiele liebte, so war der Ausdruck »Hofmann« gegenüber solchen, welche diesen Namen führten, eine willkommene Quelle für seinen Wortwitz.

In einer schriftlichen Unterhaltung, welche Ende Februar oder Anfang März 1820 stattfand, sagt ein uns Unbekannter zu Beethoven: »In den Phantasie-Stücken von Hoffmann ist viel von Ihnen die Rede. Der Hoffmann war in Bromberg Musikdirektor, nun ist er Regierungs-Rath. Man giebt in Berlin Opern von seiner Komposition.« Beethoven schreibt darunter: »Hofmann – du bist kein Hof-mann.«

Dadurch mag sich Beethoven veranlaßt gefunden haben, E. T. A. Hoffmanns Aufsätze über seine Arbeiten zu lesen und an ihn folgende Zeilen zu richten:48


»Wien den 23. März 1820.


Ich ergreife die Gelegenheit durch Herrn N. mich einem so geistreichen Manne wie Sie sind zu nähern. Auch über meine Wenigkeit haben Sie geschrieben, auch unser Herr N. N. zeigte mir in seinem Stammbuche einige Zeilen von Ihnen über mich. Sie nehmen also wie ich glauben muß, einigen Antheil an mir. Erlauben Sie mir zu sagen daß dieses von einem mit so ausgezeichneten Eigenschaften begabten Manne Ihresgleichen mir sehr wohl thut. Ich wünsche Ihnen alles Schöne und Gute und bin


Ew. Wohlgeboren

mit Hochachtung ergebenster

Beethoven.«


In einem Tischgespräche kurze Zeit nachher kommt noch zweimal von Beethovens Hand der Scherz vor: »Hōfmānn ÷ sey ja kein Hōfmănn; [198] nein ÷ ÷ ÷ etc. ich heiße Hŏfmānn und bin kein Hōfmănn,« und kurz vorher von anderer Hand ein Takt zu dem Kanon über diese Worte. Dieser Kanon49 mag bei seiner Kürze hier stehen:


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

50


Nottebohm erfuhr von Groß, dessen Vater das Autograph besessen hatte, der Kanon sei im Matschaker Hof, in welchem Beethoven zu Mittag aß, geschrieben, und beziehe sich auf einen Komponisten von Kirchenmusik [199] und Regens chori Hofmann, der, wenn er nicht irre, Vincenz geheißen habe.51 Dieser Vorname findet sich nicht in einem Verzeichnisse von Wiener Musikern dieses Namens, welches Nottebohm52 zusammengestellt; in diesem wird aber ein Musiker und Chorregent Joachim Hoffmann auf Grund verschiedener Angaben erwähnt, auf welchen die Angaben passen und für den sich auch Nottebohm im themat. Verzeichnis (S. 162) entscheidet. Die heitere Laune war Beethoven wiedergekehrt; hält man den Brief an den Erzherzog daneben, dann meint man, er wollte auch sich selbst mahnen. –

Um diese Zeit führte die Familie Giannatasio ihren Vorsatz, Beethoven zu besuchen, aus. Am 19. April 1820 schreibt Fanny in ihr Tagebuch:


»Heute Abends besuchten wir Beethoven, nachdem wir ihn bald ein Jahr nicht gesehen haben. Es schien mir, daß er uns gerne wiedersah, es geht ihm jetzt im Ganzen gut, wenigstens ist wieder ein Zeitpunkt, wo er vor den Quälereien der Mutter Karls Ruhe hat. Mit äußerst wehmüthigem Gefühl bedauerte ich, daß jede Verbindung mit diesem trefflichen Menschen aufgegeben ist; je mehr ich von seiner Gediegenheit in jeder Hinsicht ergriffen war. Sein Gehör ist fast noch schlimmer geworden. Ich schrieb alles. Er schenkte mir ein neues schönes Lied: ›Abendlied unter dem gestirnten Himmel,‹ was mir sehr viel Freude macht.«


Auf dieses Lied kommen wir noch im Zusammenhang zurück.

Der besseren Stimmung folgte, wie man erwarten darf, neue Anregung der schaffenden Tätigkeit; außer kleineren Arbeiten, wie sie erwähnt werden, war sie vorzugsweise der Messe zugewandt, doch traten andere Arbeiten hinzu. Größere Pläne blieben einstweilen zurückgestellt. Bernard schrieb im April im K. B. »diesen Monat muß ich das Oratorium vollends beendigen, damit Sie in Mödling anfangen können;« daraus wurde nun bekanntlich nichts; aber andere Arbeiten traten in Sicht, wovon bald zu reden ist.

Ein anderer schreibt (später, August) »dem sanctus Bernardus habe ich ans Herz gelegt, daß es jetzt Zeit wäre, fertig zu werden, daß der Hauschka selbst aufs Ende dränge; – er will noch dieses Monat id est in 5 Tagen fertig sein, und heute Abend (um 8 Uhr bei Canehl) mit Ihnen sprechen –« – »Wie ich dem Bernard erzählte der Hauschka hätte Sie angegangen wegen der Oratorien ist er verlegen gewesen, mir scheint er redet sich auf Sie aus – er will seine poetische Impotenz nicht zeigen.« – – Oliva! Bernard verspricht es im August.

[200] Sowohl für seine Gesundheit als zur Förderung seiner Arbeiten bedurfte er der Ruhe des Landlebens, und auch für diesen Sommer wurde wieder Mödling ausersehen. Er wählte zur Wohnung aber nicht mehr das sog. Hafnerhaus, welches ihm der großen Unruhe wegen gekündigt worden war,53 sondern ein Haus in der Babenberger Straße, welches einem Herrn Johann Speer gehörte. Nachdem er dieselbe besichtigt, schrieb er am 26. April an den Besitzer (»Nr. 110 in Mödling«) Speer folgendes:


»Mein Herr!54


Ich melde Ihnen, daß ich Ende dieses Monathes oder spätestens ersten Mai in Mödling eintreffen werde, u. ersuche, daß Sie gefälligst die Wohnung gänzlich auspuzen und ausreiben lassen, damit alles reinlich sei u. auch schön trocken; ich bitte nicht zu vergessen den Balcon in guten Stand zu setzen, wofür ich Ihnen dieextra versprochene 12 fl. W. W. nebst dem ausgemachten Hauszins bei meiner Ankunft sogleich einhändigen werde. –

ich wünsche ihnen alles gute u. erfreuliche u. bin ihr


ergebenster

Beethoven.


Wien am 26ten Aprill 1820.«


Darüber wurde dann noch mündlich verhandelt; es scheint sogar, als ob Speer selbst einmal im K. B. auftritt, den Zeitpunkt des Eintreffens in Mödling müssen wir aus obiger Angabe entnehmen; spätestens also Anfang Mai, genauer können wir den Tag nicht angeben. Die Erinnerung an den Sommeraufenthalt in diesem oben erwähnten Hause hatte sich in der Familie des Eigentümers erhalten;55 auch wußte man, daß er von einem nahe liegenden Gebäude am Klavier sitzend gesehen worden sei und daß er sich dabei großer Hörrohre bedient habe.56

Beethoven benutzte auch in diesem Jahre die Bäder in Mödling. Dann war sein Dasein dem Genusse der schönen Natur und der Arbeit gewidmet. Vorzugsweise beschäftigte ihn die Messe, die noch lange nicht abgeschlossen war. Die Freunde dachten sich dieselbe weiter vorgeschritten als sie war; wiederholt wurde er gefragt, ob sie bald fertig sei, wann sie aufgeführt werde; in der Tat hoffte er sie bald zu beenden, da er ja schon mit Verlegern verhandelte. Die Angabe Schindlers, das Credo sei 1819 [201] fertig geworden, vermutet auch Nottebohm als verfrüht; das wird bestätigt durch ein, wie bereits erwähnt, im Besitze des Beethovenhauses in Bonn befindliches Taschenskizzenheft mit der Jahreszahl 1829, welches Beethoven zweifellos bei seinen Wanderungen fortgesetzt bei sich trug. In diesem stehen noch ausgedehnte Skizzen zumCredo, vielfach eilig und undeutlich, und so daß wir das allmähliche Entstehen vor uns haben; fertig ist nichts. Außerdem finden sich Bemerkungen zumAgnus Dei. Auch in den Unterhaltungen von 1820 finden sich wiederholt Notierungen zum Credo. Im August fragt einmal Schindler: »Ist das Benedictus schon ganz in der Partitur? – Sind das die Skizzen zum Agnus?«

An einer Stelle des Bonner Skizzenhefts findet sich der Ansatz zu einer »Sonate in E moll«, der aber nicht weiter geführt wird. Das führt zu der Hinweisung, daß auch die drei letzten Klaviersonaten (Op. 109–111) damals in Sicht kommen. Die Sonate in E Op. 109 wurde nicht später als 1820 in Angriff genommen, die beiden anderen fallen ins folgende Jahr; wir kommen auf dieselben zurück. Neben den Skizzen der E dur-Sonate begegnen Skizzen zu einigen der Bagatellen Op. 119 (Nr. 7–11), über welche schon hier das erforderliche Biographische beigebracht sein mag. Der Regiments-Kapellmeister Friedrich Starcke57 gab eine »Wiener Pianoforteschule« heraus, deren dritter Teil Anfang 1821 erschien; in diesen waren jene Bagatellen Nr. 7–11 enthalten als ein »dem Herausgeber von dem großen Tonsetzer freundschaftlich mitgeteilter Beitrag mit der Bezeichnung ›Kleinigkeiten‹ «. Das Ersuchen um diesen Beitrag fällt aber ins Jahr 1820. Etwa im Februar schreibt jemand im K. B.: »Starcke wünscht ein kleines Musikstück von Ihnen zu haben, für seinen zweiten Teil der Klavierschule, wozu er schon Beiträge von den ersten Tonsetzern hat, nebst kurzen biographischen Notizen.« »Wir müssen ihm etwas geben. Er ist bei seinem großen musikalischen und schriftstellerischen Verdienste doch immer äußerst bescheiden, fleißig und demüthig.« (Bernard?) »Er versteht die Kunst gut zu kompiliren. Es gibt jetzt überall Schwache, selbst unter den Starken.« Beethoven willfahrt dem Wunsche und gab ihm die genannten 5 Stücke; man wird in der kurzen Form und dem anspruchlosen Gehalte die ursprüngliche Bestimmung gerade dieser Stücke leicht erkennen. Gerade von diesen 5 Stücken finden sich Skizzen neben denen zur E dur-Sonate und dem Benedictus der Messe. Durch alles dieses ist ihre [202] Entstehung im Jahre 1820 ziemlich sichergestellt Auch Nr. 6 findet sich skizziert neben dem Credo (Nottebohm S. 155). Über das ganze Opus haben wir noch im Zusammenhang zu sprechen.

Von den sonstigen Ereignissen des Sommers und Jahres geben uns Briefe und Unterhaltungsbücher Kunde. Erstere beginnen wir mit folgenden Scherzworten an Haslinger mit Bezug auf dessen Herausgabe von Mozarts Werken, deren Anzeige zu Anfang dieses Jahres erfolgt war:58


(»An Tobias Adjutant.«)


»Sehr bestes Adjutanterl!


Ich habe eine Wette eingegangen um fl. 10 W. W., daß es nicht wahr sey, daß ihr hättet müssen dem Artaria wegen der Herausgabe der Mozartschen Werke (die obendrein schon allenthalben nachgestochen und nachgefahren verkauft) 2000 fl. als Schaden Ersatz be zahlen müssen – ich wünsche wirklich die Wahrheit zu wissen, ich kann es unmöglich glauben; sollte aber wirklich das Unrecht an Euch begangen worden sein, so muß ›o dolce contanto‹ 10 fl bezahlen. Gebt mir einen wahren Bescheid –

lebt wohl und seid christlich


Euer

Beethoven.«


Das Interesse Beethovens an dieser Sache kann damit zusammenhängen, daß 1820 zuerst der Gedanke an eine Gesamtausgabe von Beethovens Werken auftaucht. »Steiner rechnet schon darauf,« schreibt jemand, wie es scheint Bernard, im K. B., in welchem sich auch Schindler sehr erfreut über den Plan ausspricht (im April) und nur meint, das Geschäft müsse mit einem Wiener Verleger gemacht werden, um weitläufige Korrespondenzen zu vermeiden. An einer andern Stelle heißt es: »Eckstein will es so einrichten, daß Sie fortwährend allen Gewinn ziehen und auch Ihre späteren Werke als Ihr Eigenthum verlegen. – Das 4. oder 5. Stück müsse immer ein neues sein, das ist auch Ecksteins Meinung.« Der Plan kommt auch später wieder zur Sprache; leider kam er nicht zur Ausführung. –

Erzherzog Rudolph, jetzt Erzbischof von Olmütz, hatte seinen Sitz für einige Zeit verlassen und hatte seine Absicht, in Mödling einige Zeit zu verweilen, Beethoven mitgeteilt; letzterer antwortete:59


»Mödling, am 3. August 1820.


Eben erhalte ich Ihr mir zugedachtes Schreiben, worin mir Ihre Herreise von J. K. H. selbst angekündigt wird. – Ich danke von Herzen J. K. H. [203] für diese Aufmerksamkeit. Ich wollte schon morgen in die Stadt eilen, um J. K. H. aufzuwarten, allein es war kein Wagen zu erhalten; jedoch hoffe ich bis künftigen Sonnabend einen zu erhalten, wo ich ungesäumet schon in der Frühe mich bei J. K. H. anfragen werde. – Wegen der Opfer, welche J. K. H. den Musen bringen wollen, werde ich mündlich J. K. H. die Vorschläge machen. Ich freue mich recht sehr, J. K. H. wieder in meiner Nähe zu wissen. Möchte ich nur ganz dazu beitragen können, alles zu erfüllen, was J. K. H. von mir wünschen. – Der Himmel segne J. K. H. und lasse allen Ihren Pflanzungen vollkommenes Gedeihen werden.«


Beethoven führte den Vorsatz aus, wurde aber nicht lange nachher in dem Verkehre wieder gestört; am 2. September schrieb er wieder aus Mödling:60


»Seit Dienstag Abends befand ich mich nicht wohl, glaubte aber Freitags wieder so glücklich zu sein bei J. K. H. zu erscheinen. Es war jedoch ein Irrthum, und heute erst bin ich im Stande J. K. H. zu sagen, daß ich sicher hoffe künftigen Montag oder Dienstag wieder J. K. H. aufwarten zu können, wo ich mich in aller Früh anfragen werde. – Meine Unpäßlichkeit schreibt sich daher, daß ich ein offenes Postkatesch nahm, um J. K. H. nicht zu versäumen. Es war der Tag regnerisch und Abends hieher beinahe kalt. Die Natur scheint beinahe nur meine Freimüthigkeit oder Dreistigkeit übelgenommen zu haben und mich dafür bestraft zu haben. – Der Himmel sende alles Gute, Schöne, Heilige, Segensvolle auf J. K. H. herab, mir Ihre Huld! – Doch nur gebilligt von Gerechtigkeit! –«


Die letzten Worte haben wir doch wohl – da er sich die Huld des Erzherzogs durch seine Werke längst verdient zu haben sich bewußt war – so zu verstehen, daß er sie durch seinen Diensteifer sich fortgesetzt neu verdienen müsse. – Von der Messe spricht er nicht, obgleich er an derselben arbeitete, und sieht also deren Beendigung noch nicht unmittelbar vor sich; vielleicht denkt er auch an diese Pflicht. –

Bei einer Wirtshausunterhaltung erhielt er eine italienische Huldigung, welche wir hier nach dem Konv. Buche aufnehmen. Jemand schreibt ihm auf: »Der Herr nebenan will Ihnen, wenn Sie erlauben, einige Worte sprechen«; der Herr nimmt den Stift und schreibt: »Mi stimo ben felice di conoscer il famoso e per dir la verita Apolo della musica di nostri giorni – il Signor Bethofen. La stima per suo talento e il dolor per la sua sciagura non finira mai nella tomba – e resto con somma stima e summissione Doctor della medicina – Stich di la natione Polaco.« –

In Mödling besuchte ihn auch der Neffe Karl; vermutlich brachte er seine freie Zeit bei ihm zu. Als am 5. Oktober (Donnerstags) die Familie [204] Giannatasio einen Ausflug nach Mödling machte, sahen sie, »unsern guten Beethoven« im Hineinfahren mit Karl; »er fuhr eben in die Stadt.«

Gegen Ende Oktober zog er wieder in die Stadt. Er wechselte wiederum und bezog eine Wohnung in der Landstraße, Hauptstraße Nr. 244, »im großen Hause der Augustiner«,61 nächst der Kirche; es war eine Apotheke im Hause. Über die Zeit belehrt uns ein kleiner Papierstreifen mit folgenden Worten an den uns schon bekannten Boldrini, Teilhaber der Firma Artaria, in dessen Händen das Musikgeschäft war:62


»Wohlgeboren Hr. Artaria Falstaff

u. Comp.


Ich ersuche höflichst Hrn. v. Oliva den Betrag von 300 fl. wovon das Ganze nun schon hier sein wird, zu übergeben, eben erst im einziehen begriffen könnte ich nicht die Ehre haben mich bey Ihnen u. besonders bei Sir John Falstaff zu bedanken. –


Ihr

ergebenster Diener

Beethoven.«

Wien am 26ten

Oktober 1820.


Dabei findet sich auf einem anderen Streifen folgende Quittung:


»Von H. Artaria et Co. drey hundert Gulden W. W. als Rest der ihnen cedirten Sechs Hundert für Rechnung des Hr. v. Beethoven erhalten. Wien den 27. October 1820.


Fr. Oliva.«


Ein anderes Zeugnis für denselben Gegenstand ist der nachstehende kurze, mit Bleistift geschriebene Brief an Dr. Müller aus Bremen, der damals in Wien war.63


»Für Herrn Professor Müller.


Sie verzeihen schon, daß ich Sie heute nicht erwarten konnte, ein Zufall, der mir höchst unangenehm ist, beraubt mich des Vergnügens Sie zu sehen, vileicht bleiben Sie noch einige Täge, welches ich schon von B. Streicher erfahren werde, u. dann werde ich mir das Vergnügen sie bei mir zu sehen noch ausbitten – mein eben Einziehen ist mit daran Schuld, wo ich noch mehrere Täge zu thun habe, um in Ordnung zu kommen –


Ihr

ergebenster

Beethoven.«


[205] Die besondere Verehrung, welche Beethoven in Bremen genoß, wurde schon früher erwähnt. Dr. W. Chr. Müller64 hatte dort 1782 ein »Familien-Concert« begründet, in welchem seit dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts Beethoven besonders gepflegt wurde, namentlich durch die Mitwirkung seiner Tochter Elise Müller, welche Beethovens Klaviermusik meisterhaft gespielt haben muß. Er berührte auf seiner Reise nach Italien65 Wien, wo er im Oktober und Anfang November 1820 war und besuchte auch Beethoven, den er, wie seine Bemerkungen in dem Aufsatze »Etwas über Ludwig van Beethoven«66 vermuten lassen, auch am dritten Orte gesehen und beobachtet hat.


»Dieser Sinn einer weltbürgerlichen Freiheit und diese Schonung Anderer (bezüglich auf seine ökonomischen Verhältnisse) mochte wohl Ursache sein, daß er in Speisehäusern stets das angefangene Gespräch fortführte und frei und unbefangen über alles, auch über die Regierung, über die Polizei, über die Sitten der Großen, kritisch und satyrisch sich aussprach. Die Polizei wußte es, aber man ließ ihn, sei es nun als einen Phantasten, oder aus Achtung für sein glänzendes Kunstgenie, in Ruhe. Darum war auch seine Meinung und Behauptung, nirgends könne man freier reden, als in Wien. Sein Ideal einer Verfassung war jedoch die englische.«


Jener Beethovenkultus in Bremen wurde noch besonders unterstützt von dem jungen Dichter Dr. Karl Iken, dem Redakteur der Bremer Zeitung. Dieser versuchte es auch, zu Beethovens Werken Programme zu entwerfen, welche vor der Aufführung vorgetragen wurden, und von denen Schindler (II. S. 209) eine ergötzliche Probe gibt. Solche Programme schickte Dr. Müller an Beethoven, welchen sie aber, seinem künstlerischen Sinne entsprechend, mit Unwillen erfüllten. Im Herbst 1819 diktierte er Schindler einen freundschaftlichen, aber energischen Protest an Müller gegen solche Erklärungen und Unterlegungen von Bildern zu seiner und jeglicher Musik in die Feder, unter Hinweisung auf die Irrtümer, die dadurch erzeugt werden müßten. »Seien Erklärungen nothwendig, so sollen sich diese lediglich auf die Charakteristik des Tonstücks im allgemeinen beschränken, welche gebildeten Musikern nicht schwer fallen dürfte zu geben.« Dieser Protest, wie überhaupt die Korrespondenz Müllers mit Beethoven, ist bisher [206] leider nicht aufgefunden. Gerade gegenüber manchen Bestrebungen unserer Zeit wäre es von Interesse und belehrend, Beethovens Standpunkt in dieser Frage zu kennen; so weit man ihn nicht aus seinen Werken selbst entnehmen will.

Dr. Müller beschreibt auch Beethovens Äußeres in jener Zeit in folgender Weise:67 »In seinem Äußeren ist alles kräftig, manches rauh – wie der knochige Bau seines Gesichtes, mit einer hohen breiten Stirne, einer kurzen eckigen Nase, mit aufwärts starrenden, in groben Locken getheilten Haaren. – Aber er ist mit einem zierlichen Munde und mit schönen sprechenden Augen begabt, worin sich in jedem Momente seine schnell wechselnden Gedanken und Empfindungen abspiegeln – graziös, liebevoll, wild, zorndrohend, schrecklich – –.« Die weiteren Mitteilungen Müllers über Beethovens Vernachlässigung des Äußern sind nicht ganz einwandfrei.68 Jedenfalls stand ihm eigene Anschauung und Erkundigung bei Kundigen zu Gebote, die sich in der Erinnerung getrübt haben mag. An die Angaben über Beethovens Jugend schließt er die Worte: »Noch als Jüngling war er ohne feinere Weltsitte. So fanden wir ihn auch noch in seinem 50. Jahre« – also 1820, als Müller in Wien war.

Durch Schlesingers Vermittlung ließ er 1822 Müller ein Exemplar der Sonate Op. 109 als Geschenk zugehen. –

Diese Bemerkungen über Beethovens Äußeres führen uns darauf, daß in diesen Jahren ein weiteres Bild von Beethoven entstanden ist. Der namhafte Porträtmaler Joseph Stieler war 1816 aus München nach Wien gekommen, um das Porträt des Kaisers Franz zu malen, und blieb dort bis 1820. Er war an Beethoven empfohlen und gefiel ihm; er wußte ihn zu bestimmen ihm zum Bilde zu sitzen.69 Dies geschah aber nach Stielers eigener Erzählung nur dreimal, und so wurde das Gemälde [207] nicht ganz fertig, sondern blieb, »skizzenhaft«. Doch bildete sich ein Verkehr zwischen beiden Männern, und in den Unterhaltungen von 1820 erscheint Stieler selbst unter den Schreibenden. Im Verlaufe des Monats Februar, vielleicht März 1820, schreibt jemand auf: »Ihr Porträt wird sehr gut; es erkennts jeder gleich.« Kurz vorher war von einem gemeinschaftlichen Mittagessen mit Stieler im Hotel gesprochen worden; zu Anfang dieses Buches ist von der bevorstehenden Abreise des Erzherzogs nach Olmütz die Rede, was aber auf Februar oder März 1820 hinweist. Frühe im Februar schreibt Stieler: »Das Bild muß trocknen, wenn es trocken ist, werde ich Ihnen schreiben, wenn Sie mir wieder eine Stunde schenken können.« Noch früher, aber nachdem die Appellation in dem Prozeß schon eingelegt war – also im Januar – schreibt jemand: »Wann können und wollen Sie Stieler und mir – bei ersterem – die Ehre schenken zu Mittag zu speisen? 11er verschiedener Sorte? Staudenheimer kömmt auch wenn wir nur erst einmal den Tag wissen. – Stieler reist bald ab –70 und Sie hatten schon v. J. versprochen – auf seine Versprechung zu kommen – aber Sie vergaßen es; Nun müssen Sie es wieder gut machen. Die vortreffliche Frau muß Sie doch kennen, ehe sie nach Rußland geht. – Welchen Tag? – Es ist recht schön bei Stieler und man ist ungenirter als im Wirthshaus.«

Im März fragt Stieler: »Haben Sie nach Frankfurt71 geschrieben, daß ich Ihr Porträt angefangen habe – – Sie müssen ja die Bestimung Ihres Bildes.. sagen. ich sage daß ich es für mich male – heute habe ich eine gute Sitzung gehabt, weil ich Ihnen viel beobachtet habe.« Später heißt es: »Vergessen Sie nicht bis Montag 1/210 zu Stieler zu kommen«, – »ist Stieler mit Ihrem Porträt fertig?« und dann schreibt wieder Stieler selbst: »es wird Ihnen zu lange dauern. allein was heute gemacht wird ist überstanden für ein andermal. – noch ein kleines Viertelstündchen wenn es Ihnen nicht zu lange wird. – ich muß Ihnen bitten morgen ja gewiß zu kommen, weil auf übermorgen die Farben vertrocknet wären.« Beethoven kam auch; denn die bald nachher zu lesenden Worte, »noch 10 Minuten dann sind wir fertig«, rühren wohl auch von Stieler her. Dieser Zeit der »Sitzungen« wird das kurze Billett angehören, welches Nohl N. Br. Nr. 299 bekannt machte:72


[208] »Werthester Freund! Heute ist es unmöglich mich zu Ihnen zu begeben, Morgen werde ich aber punkt Eilf Uhr bei Ihnen sein – Sie verzeihen schon –


In Eile Ihr mit tiefster Hochachtung

ergebenster Beethoven.«


Auch Urteile werden bald Beethoven gegenüber laut. »Daß Sie en face gemacht sind,« sagt jemand, »ist die Folge des größeren Studiums Ihrer Physiognomie. Ihr Geist erblickt sich in dieser Ansicht wie niemals im Profil.« Dagegen erlaubt sich Schindler folgende Meinung: »Das untermalte Bild habe ich bei Stieler gesehen. Das von Schimon ist mir aber lieber, es ist mehr Ihr Karakter darin – so findet es jeder – Sie waren vor 2 Jahren sehr gesund u. jetzt kränkeln Sie stets.«

Im April tut Stieler die Frage: »Aus welchem Tone geht Ihre Messe ich mögte blos auf das Blatt schreiben Messe aus –« Da schreibt Beethoven selbst darunter: »Missa solemnis aus D.« Gleich darauf wieder Stieler: »nach der Ausstellung werde ich es an die Brentano schicken – Ich danke Ihnen tausend und tausendmahl für so viel Geduld.« Und bald nachher ein anderer: »Er malt Sie gewiß noch einmal für sich selbst, denn er sprach heute mit Wolf, daß er es von Rahl stechen lassen will. Er schätzt es sehr hoch daß Sie ihm so viel Zeit geopfert haben.« Wieder ein anderer (J. Czerny): »Wir sprachen eben von Ihrem Porträt. – Der Oliva meint Sie sind sehr gut getroffen.« Ein anderer: »Vorgestern Nachmittag war der Wolf schon bei Artaria, um ihm anzurühmen, wie sehr Sie der Stieler getroffen hätte, und um es von dem geschickten Kupferstecher Rahl stechen zu lassen.« Und so finden es noch andere sprechend ähnlich, den Geist von Beethovens Physiognomie gut erfaßt. Noch im Juli schreibt Stieler, der Beethoven in Mödling besuchte: »Bis zur nächsten Kunstausstellung werde ich Ihr Porträt nochmals machen, aber ganz Lebensgröße.73 Ihr Kopf macht sich vorzüglich gut von vorn, und es war so passend weil auf der einen Seite der Haydn auf der andern der Mozart – – Der Wachtl hat eine außerordentliche Freude mit Ihrem Porträt.«

Es ergibt sich, daß Stieler noch bis in die zweite Hälfte des Jahres in Wien war, und daß das Bild, an welchem bereits im Februar gearbeitet wurde, etwa im April fertig war. Stielers Aufschrift auf der Rückseite des Gemäldes: »Ludwig von Beethoven, Tonsetzer, nach der Natur gemalt [209] von J. Stieler 1819«, kann daher höchstens den frühesten Beginn des Gemäldes bezeichnen.

Das Gemälde74 blieb anfangs im Besitze der Familie Stielers und kam nach wiederholtem Wechsel in den Besitz der Gräfin Sauerma in Berlin, nach deren Mitteilung an Frimmel dasselbe allerdings sehr skizzenhaft gemalt war, da Beethoven nur einigemal gesessen hatte. Von den Freunden Beethovens, insbesondere auch von Stephan von Breuning, wurde das Bild für besonders ähnlich gehalten, Beethoven selbst hat es geschätzt, da er noch kurz vor seinem Tode den lithographischen Abdruck an seinen alten Freund Wegeler schickte. Wir kennen das Originalgemälde nicht und möchten nach den Nachbildungen nicht urteilen.75 Abgesehen von einigen Ungenauigkeiten in der oberen Gesichtsbildung (vgl. Frimmel S. 266) unterscheidet es sich von den meisten übrigen Bildnissen durch das, bei aller Energie der Züge, doch weniger vollkräftige, vielmehr (wenigstens in den Nachbildungen) leidende Aussehen; dann aber dadurch, daß gerade diesmal Beethoven uns in dem Augenblicke seiner schaffenden Tätigkeit vorgeführt wird. Gerade das leidende Aussehen galt für jene Zeit, in welcher Beethoven viel kränkelte, wie auch Schindler andeutet, besonders charakteristisch.76 Im übrigen urteilt Schindler (II S. 289) so über das Bild: »Als Kunstwerk ist das Stielersche Portrait bedeutsam – –. In Betreff des charakteristischen Ausdrucks ist der Moment gut wiedergegeben und fand Zustimmung. Hingegen stieß die vom Künstler beliebte Auffassung des Titanen, am meisten die Neigung des Kopfes, auf Widerspruch, weil der Meister den Mitlebenden nicht anders bekannt war, als seinen Kopf stolz aufrecht tragend, selbst in Momenten körperlichen Leidens. Ein mit seinem Wesen bekannter Maler würde ihm diese Stellung [210] nicht gegeben haben.« Schindler und Frimmel geben dem Bilde von Schimon wegen der größeren Treue des Gesamteindrucks den Vorzug. Die besondere Eigenart des Stielerschen Bildes hebt Kalischer so hervor: »Unter allen Beethovenbildnissen giebt es keines, welches auch nur annähernd so wie das Stielersche Porträt alle Vorstellungen von Beethovens tiefsinnigem, tiefsinnendem Wesen, von seiner grenzenlosen Beschaulichkeit zum Ausdruck bringt. Hier allein tritt das Insichversunkensein, die momentane Erdenentrücktheit des Meisters in die Erscheinung.« Damit stimmen wir vollständig überein.

Nach Stielers Gemälde wurde von Fr. Dürck eine Lithographie angefertigt, welche 1826 bei Artaria erschien. Sie hatte St. von Breuning bei seinem Urteile vor sich.77

In die Zeit, in welcher Beethoven in der neuen Wohnung lebte, gehört eine Erzählung des Musikers Horzalka, den Thayer 1860 bei F. Luib traf. Derselbe sprach zuerst in hohen Ausdrücken von Schindler und dessen uneigennütziger Treue gegen Beethoven, und berichtete dann weiter folgendes: Um 1820 bis 1821, so viel er sich erinnern könne, nahm die Witwe eines Majors Baumgarten Knaben zur Beköstigung in ihr Haus, welches sich an der Stelle befand, wo später (1860) der Saal des Musikvereins war.78 Unter diesen befand sich auch Beethovens Neffe. Bei ihr wohnte ihre Schwester Baronin Born. An einem Abend kam Horzalka, damals ein junger Mann, dorthin und traf nur Baronin Born zu Hause. Bald nachher kam ein anderer Besucher und blieb zum Tee – es war Beethoven. Unter andern Gegenständen kam Mozart zur Sprache, und die Baronin fragte Beethoven (natürlich schriftlich), welche der Mozartschen Opern er am höchsten schätze. »Die Zauberflöte«, sagte Beethoven; und plötzlich faltete er die Hände, richtete seinen Blick nach oben und rief aus: »o Mozart!« Da Horzalka, wie damals die meisten, immer Don Giovanni für die größte Oper Mozarts gehalten hatte, machte jene Ansicht Beethovens tiefen Eindruck auf ihn.

Beethoven lud die Baronin auch zu sich ein, um seinen Broadwood-Flügel zu sehen.

[211] Als sie das Haus verließen, begleitete Horzalka den Meister eine Strecke Weges, bis dieser ihn nach einiger Zeit aufforderte, umzukehren, da er ihn nicht damit belästigen wollte, mit zu seiner Wohnung zu gehen, welche damals in der Landstraße, Hauptstraße nahe der Kirche in einem Eckhause war. Dort wohnte er zwei Treppen hoch. –

In den Unterhaltungen rät einmal ein Freund Beethoven, den Knaben nicht zum Mittagessen mit sich ins Wirtshaus zu nehmen. Ist Horzalkas Angabe richtig, dann wäre also Beethoven diesem Rate gefolgt. –

Über sonstige wichtige Ereignisse aus den letzten Monaten dieses Jahres, während welcher er in der Landstraße wohnte – überhaupt aus dem Winter 1820/21 – ist wenig zu berichten. Er war jedenfalls mit größeren Arbeiten beschäftigt, die Sonate Op. 109 wurde vermutlich um diese Zeit fertig. Die Kosten für den Unterhalt mögen ihm schwer gefallen sein, denn von größeren besonderen Einnahmen konnte damals kaum die Rede sein. Dazu kam, wenn wir einem gleich zu erwähnenden Briefe Steiners. Glauben schenken, daß er auch von Krankheit nicht verschont blieb. Einen kleinen Einblick in seine äußeren Verhältnisse gewährt uns der nachfolgende Brief an Artaria vom 17. Dezember:79


»Für die Hr. Artaria & Comp.«


»Hr. Artaria & Company,


Indem ich ihnen verbindlichst danke für die mir voraus geschossenen 750 fl. W. W. wofür ich ihnen die Quittung auf Se. Kaiserl. Hoheit den Kardinal lautend eingehändigt, ersuche ich Sie von neuem, indem ich in Gefahr bin, eine von meinen 8 Bankaktien zu verliehren, mir noch 150 fl. C. M. vorzuschießen, welche ich ihnen mich verbinde, höchstens in 3 Monathen vom heutigen dato an, zurückzuzahlen; um ihnen aber meine Dankbarkeit zu beweisen, verbinde ich mich durch Gegenwärtiges schriftlich ein von mir gesetztes Tonstück aus ein, zwei oder mehreren Sätzen beste hend, als Eigenthum zu überlassen; ohne irgend auf ein Honorar dafür Anspruch zu machen.


Wien am 17. December

1820.«


allzeit ihr bereitwilligster

Beethoven

(Siegel)


Es ist nicht bekannt geworden, daß Beethoven irgend ein Werk dieser Art gegeben hätte.

Noch empfindlicher berührt uns der folgende Brief Steiners an Beethoven, der wegen seiner biographischen Wichtigkeit hier nicht fehlen kann.80


[212] »Wien, 29. Dez. 1820.


Hochzuverehrendester Herr und Freund Beethoven!


Beyliegend folgen die 3 Ouverturen in Partitur mit der Bitte, selbe nach Ihrem eigenen gefällig Anerbieten durchsehn, und die etwa eingeschlichenen Fehler verbessern zu wollen. – Gleich nach Erhalt dieser Verbesserung werden wir dann zum Stich und Druck schreiten, um diese Originalien so schnell als möglich erscheinen zu machen.81

Mit Ihrer Aeußerung über meine, Ihnen gesandte Rechnung, bin und kann ich nicht zufrieden seyn; denn ich habe Ihnen an Interessen für baar darliehenes Geld 6% berechnet, wogegen ich Ihnen für Ihr bei mir liegen gehabtes Geld 8%, und diese vorhinein pünktlich, und auch Ihr Capital selbst prompt bezahlt habe. – Was also dem einen Recht ist, muß dem Andern billig seyn; zudem bin ich nicht in dem Falle, Gelder ohne Zinsen ausleihen zu können. – Ich habe Ihnen als Freund in der Noth gedienet, ich habe auf Ihr Ehrenwort gebaut und geglaubt, und ich bin weder zudringlich gewesen, noch habe ich Sie auf eine andre Art jemals geplagt, und muß daher wider die mir gemachten Vorwürfe feyerlich protestiren. – Wenn Sie bedenken, daß mein Ihnen gemachtes Darlehen zum Theil schon in's fünfte Jahr gehet, so werden Sie sich selbst bescheiden, daß ich nichts weniger, als ein zudringlicher Gläubiger war; ich würde Sie auch jetzt noch schonen und in Geduld abwarten, wenn ich auf Ehre, dermalen nicht selbst bei meinen Unternehmungen Baarschaft höchst nothwendig hätte – Wäre ich weniger überzeugt, daß Sie wirklich im Stande sind, mir nun auch in der Noth Ihren Beystand leisten und Ihr Ehrenwort halten zu können, ich würde, so schwer es mir auch ankäme, noch recht gerne einige Zeit in Geduld stehen; allein wenn ich rückdenke, daß ich Ihnen selbst vor 17 Monaten baare fl. 4000 Conv. Münz oder fl. 10000 W. W. als Capital rückbezahlt, und bey dieser Rückzahlung auf Ihr Ersuchen meine Gegenforderung nicht gleich damals abgezogen habe, so muß es mir nun doppelt schmerzlich fallen, daß ich bey all meinem guten Willen und aus lauter Vertrauen auf Ihr Ehrenwort nun in Verlegenheit bin. – Ein Jeder weiß am Besten wo ihn der Schuh drückt, und in diesem Falle bin auch ich; daher beschwöre ich Sie wiederholt mich nicht im Stiche sitzen zu lassen, und Mittel auszufinden, meine Rechnung so schnell als möglich zu sal diren. –

Uebrigens bitte auch meine Wünsche zum Wechsel des Jahres mit der Bitte anzunehmen, mir noch ferner Ihre Wohlgewogenheit und Freundschaft schenken zu wollen. Freuen soll es mich auch, wenn Sie Wort halten und mich bald mit einem Besuche beehren, noch mehr freuet es mich aber, daß Sie Ihre Krankheit glücklich überstanden haben und nun wieder hergestellt sind. – Gott erhalte Sie lange mit Gesundheit, Zufriedenheit und Vergnügen, dieß wünschet


Ihr ganz ergebenster

S. A. Steiner.«


[213] Auf diesem Briefe hat Beethoven Verschiedenes mit Bleistift bemerkt, was der Herausgeber in der N. Fr. Pr. so zusammengestellt hat:


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

»Die 1300 fl. W. W. sind wahrscheinlich 1816 oder 17 aufgenommen worden. – Die 750 fl. W. W. noch später vieleicht 1819. – Die 300 fl. sind schulden welche ich für die Frau v. Beethoven übernommen und auch nur einige Jahre betragen können die 70 fl. dörften auch 1819 für mich bezahlt worden seyn –

Zur Bezahlung kann angewiesen werden jährl. 1200 fl. in halbjährigen raten. –«


Die Sache wurde, wie es weiter heißt, zu beiderseitiger Zufriedenheit geordnet. Auf dem Umschlage des Briefes notiert eine fremde Hand: »Hr. v. Steiner sagt, Er will das Pauschal von 1200 fl. W. W. annehmen, welche so zu bezahlen wären, daß bis 15. April d. J. [also 1821] die Hälfte und bis 15. October d. J. die andre Hälfte bezahlt werde.« –

Den Brief von Steiner kann man nicht eben freundschaftlich nennen;82 eine gewisse Verstimmung, vielleicht darüber, daß Beethoven seine letzten Sachen nicht an die Firma gegeben hatte, scheint zu grunde zu liegen. Von der andern Seite sehen wir, daß Beethoven die Berechtigung der Forderung Steiners anerkannte. Die neuen Verpflichtungen, die er in seinem edeln Sinn übernommen hatte, schützte ihn nicht vor dem Eintreten in Schuldverhältnisse – und Steiner war kein schonender Gläubiger Auch in der späteren Zeit war das persönliche Verhältnis gerade zu Steiner gerade kein herzliches. Die Bankaktien, von welchen in dem Briefe an Artaria die Rede ist, wollte er sparen, weil sie ein Erbteil des Neffen sein sollten.

Die Unterhandlungen wegen des Verlages der Messe hatten schon begonnen; wie wir aus dem Briefe an Simrock vom 18. März wissen, sollte Simrock sie erhalten, der 100 Louisdor geben wollte, dem aber Beethoven noch einige Bedingungen mitteilen wollte. In den Unterhaltungen von 1820 kommt die Frage wiederholt vor, es wird da nur nicht überall klar, ob von der Messe die Rede ist oder von anderen Plänen. Man wundert sich, daß Simrock mit der Antwort zögere, man redet Beethoven zu, an Simrock und an Brentano in Frankfurt zu schreiben, welcher letztere wie [214] wir sehen mit der Vermittlung der Geldsendung beauftragt war. »Haben Sie dem Simrock geschrieben, daß er nicht gleich die Messe herausgeben könne, da Sie sie wohl früher dem Erzh. schicken oder übergeben werden« schreibt jemand im März oder April im K. B. Und weiter: »Wenn Sie den Brentano des Recepisse des Postwagens einschicken, so wird er Ihnen gewiß gleich das Geld schicken« und später: »kürzer ist es, Sie geben die Musikalien auf den Postwagen, und schicken an Brentano das Recepisse des Postwagens – indem Sie zugleich dem Simrock anzeigen, daß Brentano schon von der Absendung versichert ist; – dann kann Ihnen Brentano gleich das Geld überschicken, ohne vorher die Musikalien erhalten zu haben,« wobei allerdings zweifelhaft bleibt, ob sich die Worte auf die Messe beziehen. Auch scheint der Preis zwischendurch auf 200 Dukaten festgesetzt zu werden. »Er hat aber noch nicht bestimmt geantwortet, wo Sie ihm die Messe zuletzt antrugen?« heißt es im April. – »Ich meine den Simrock. – 200 Ducaten könnten Ihnen alles helfen. – Ihrer Umstände wegen. – An Simrock und Brentano zu schreiben, müssen Sie nicht säumen. – Brentano kann Ihnen gleich das Geld schicken, wenigstens (recht? nicht?) bald.« – »Daß er noch nicht geantwortet hat, wundert mich.« Simrock hatte inzwischen geantwortet. »Lassen Sie mir den Simrockschen Brief, ich will ihn beantworten u. Ihnen heute Nachmittag geben. – Sie unterschreiben dann wenn es Ihren genehm ist und morgen schicke ich ihn fort man muß jetzt nicht zaudern« – »er sagt, daß die Messe bloß bei Katholiken zu brauchen sei, was nicht wahr ist«, – »er gibt eher zu wenig als zu viel wenn er 200 Ducaten gibt.« Die weiteren in dieser Sache an Simrock gerichteten Briefe befinden sich muthmaßlich noch im Besitze der Simrockschen Erben, welche leider mit denselben zurückhalten. Einige Aufklärung erhalten wir noch aus folgendem Briefe Simrocks an Brentano:83


»Bonn, d. 12. Nov. 1820.


Zwischen Herrn von Beethoven und mir obwaltete eine kleine Irrung wegen des Preises einer neuen großen Musikmesse, wovon er mir sein Eigenthum für 100 Louisd'ors übertragen wolte. Ich sagte ihm diese 100 Louisd'ors zu, verstand aber solche in dem Sinne, wie man hier, in Leipzig, in ganz Deutschland solche versteht, gleich Friedrichsd'ors, Pisto len. Um aber nach Empfang der Messe keine Unannehmlichkeiten zu haben, so erklärte ich mich hierüber deutlich und wiederholte in meinem Schreiben vom 23. September, daß ich Louisd'ors gleich Friedrichsd'ors ex. verstehe, mehr aber in meiner Lage nicht geben könne, daß ich gegen Empfang der neuen großen [215] Messe, wozu den Lateinischen, H. v. Beethoven auch den deutschen Text unterzulegen versprochen, diese Summe hier bereit halten würde. Glaube auch noch bemerkt zu haben, daß ich seine Entschließung umgehend erwarte, weil ich mein Geld nicht unbenutzt in Frankfurt liegen lassen könnte. Ich maß gestehen, als ich nach 4 Wochen keine Antwort erhielt, so rechnete ich nicht mehr darauf und disponirte über mein Geld und komme nun nach Ihrem Werthen vom 8ten wo es scheint, daß H. v. Beethoven mir die Messe überläßt, in die Verlegenheit, daß ich nicht gleich wieder Louisd'ors in Golde vorräthig habe – da Sie aber noch nichts in Ihrem Briefe davon erwähnen, so werde ich in der Zwischenzeit Sorge tragen, diese Louisd'ors zu sammeln, im Fall sie den Wert zu fl. 9 36 b nicht per Stück annehmen könnten.

Ich bitte mich über den Empfang der Musik zu benachrichtigen, damit ich Herrn Heinrich Verhuven davon benachrichtige solche bei E. wohlgb. gegen die bestimmte Summe in Empfang zu nehmen.


Ich grüße Sie ergebenst

p. N. Simrock.«


Demnach hatte also Beethoven nochmals die Absicht ausgesprochen, die Messe an Simrock zu geben; auch schickt dieser das Geld an den genannten Verhuven; die »Musik« aber kam weder in diesem noch in den folgenden Jahren an ihn. Das alles wird weiter unten noch näher auszuführen sein. –

Inzwischen kam noch eine andere Aufforderung an Beethoven. William Gardiner, dessen Mitteilung über Beethovens erstes Streichtrio (in Es) im ersten Bande angeführt war (S. 290), hatte ein größeres Oratorienwerk »Judah« unternommen, in welchem alle Musikstücke – Gesänge, Instrumentalsätze, Chöre – bei welchen ein bestimmter Name des Verfassers nicht beigefügt ist, von ihm selbst komponiert waren. In seinem Buche Music and Friends (Bd. III S. 377) erzählt er, er habe gewünscht, eine Originalkomposition Beethovens für dieses Werk in Gestalt einer geeigneten Ouvertüre zu erhalten, und habe zu diesem Zweck einen Brief an Beethoven geschrieben, welchen Baron Neumann von der östreichischen Gesandtschaft nach Wien befördert habe. Letzterer habe hinzugefügt, daß es zweifelhaft sei, ob er eine Antwort von Beethoven erhalte, da derselbe ganz ohne Verkehr mit der Welt lebe. Dieser Brief war folgender:84


»To Louis van Beethoven


Dear Sir


At the house of Lady Bowater in Leicestershire in 179685 I met with your Trio in E flat (for Violin, Viola a Bas.) Its originality and beauty gave me inexpressible delight; indeed, it was [216] a new sense to me. Ever since I have anxiously endeavoured to procure your compositions, as much so as the war could permit. Allow me to present to you the first volume of my sacred melodies, which contain your divine Adagios appropriated to the British church. I am now engaged upon a work entitled ›The Oratorio of Iudah‹, giving a history of that peculiar people from the Jewish scriptures. The object of this letter is, to express a hope that I may induce you to compose an Overture for this work, upon which you can bring all the force of your sublime imagination (if it please you) in tho Key of D minor. For this service my friend, Mr. Clementi, will accept your draft upon him for one hundred guineas.

I have the honor to be, dear Sir,


your faithful servant

William Gardiner.«


Der Brief wird ohne Datum mitgeteilt; da aber »Judah« im Jahre 1821 in der Musical Review beurteilt wurde, nahm Thayer an, daß er in 1820 fallen könne. Gardiner klagt, daß er auf diesen Brief keine Antwort erhalten habe, obgleich ihm doch die Kaiserin für die Übersendung der sacred melodies gedankt habe. Wir werden uns aber kaum wundern, daß Beethoven auf dieses Ansinnen nicht einging und deshalb nicht antwortete; konnte ihm doch, wie wir ihn kennen, schon die Mitteilung von der Bearbeitung seiner Adagios zu einem anderen, auch noch so würdigem Zwecke keine Freude bereiten. –

Ein Ereignis aus dem Ende des Jahres (vielleicht Dezember) konnte Beethoven nicht unberührt lassen: sein Freund Oliva, der ihm eine Reihe von Jahren treuer Helfer in allen äußeren Dingen gewesen war, verließ Wien und begab sich nach Petersburg. Der Paß wurde ihm im Dezember 1820 ausgestellt. Er ließ sich in Petersburg als Sprachlehrer nieder und gründete dort sein Hauswesen.86 Von jetzt an wurde, nehmen wir an, Schindler mehr wie vorher Beethovens Freund und Faktotum. –

Über Aufführungen Beethovenscher Werke in Wien im Jahre 1820 haben wir noch folgendes zu bemerken. In den Gesellschaftskonzerten der Musikfreunde kamen zur Aufführung: am 20. Februar dieEroica, am 9. April die C moll-Symphonie, am 19. November die F dur-Symphonie. Im April 1820 schreibt Dr. [?] Ohmayr87 im Konv. Buch: »Im Namen unserer [217] Wittwen und Waisen bitte ich Sie für Sonntag über 8 Tag um die Ouvertüre, welche Sie den H. Mayseder, Moscheles und Giuliani liehen. – Die Probe ist den 13ten um 11 Uhr im Saale des alten Universitäts Gebäude«, in welchem die Wohltätigkeits-Konzerte stattfanden. Darauf bezieht sich denn wohl die Tagebuchbemerkung der Fanny Giannatasio vom 17. April. »Gestern hörte ich einmal wieder die Harmonieen der beiden Herrscher im Reiche der Töne, eine neue Ouvertüre von Beethoven und Ouvertüre aus Figaro von Mozart.«88 Das war denn wohl die Ouvertüre in C dur Op. 115.

Ende des Jahres hatte Franz Xaver Gebauer, Chorregent an der Augustinerkirche, dieConcerts spirituels ins Leben gerufen,89 in welchen Symphonien (und zwar, was charakteristisch hervorgehoben wird, »vollständige«) und geistliche Chöre aufgeführt werden sollten, Konzerte und Bravourgesang aber ausgeschlossen war; anfangs im Saal zur Mehlgrube, später im landständischen Saal in der Herrngasse. Die Tendenz dieser Konzerte fand großen Anklang und so haben sie auch erfolgreich gewirkt; ihre Schwäche bestand in Mängeln der Ausführung, da sie dem Plane gemäß meist ohne Probe stattfanden. Beethoven wurde in den Konzerten eifrig gepflegt. In den 18 Konzerten der ersten Saison begegnen die vier ersten Symphonien und die Pastorale, außerdem die erste Messe und zweimal die »Meeresstille«; in den 18 der zweiten Saison (1820/21) die Symphonien inC moll, A dur und F dur und Christus am Oelberg.90 Beethoven hat diese Konzerte besucht, scheint aber von denselben keine hohe Meinung gehabt zu haben.91 Seyfried hat folgende Zeilen von ihm aufbewahrt:


[218] »An das berühmteste Musikcomptoir

in Europa, Steiner und Compagnie.

(Paternoster (miscrere): Gässel)


Ich ersuche den Geh' Bauer um einige Billette (2), da einige von meinen Freunden sich in diese Winkelmusik begeben wollen – ihr habt vielleicht selbst dergl. Abtrittskarten, so schickt mir ein oder 2 –


Euer

Amicus

Beethoven

m. p.


Der Part gehört zu

dem Chor, wozu der

Bauer die Stimme hat.«92


In diesem Jahre erregte eine kleine achtjährige Klavierspielerin Leopoldine Blahetka93 Aufsehen in Wien. Sie war Schülerin von Joseph Czerny, der auch Beethovens Neffen unterrichtete. Er studierte ihr Beethovens B dur-Konzert ein, welches sie am 3. April öffentlich spielte; »Ihr Konzert ist sehr gut gegangen« heißt es im K. B. L. Bl. war bekanntlich später als Klavierspielerin und Komponistin tätig.94

Die Kompositionen des Jahres besprechen wir im Zusammenhang mit denen des folgenden und gehen einstweilen in der Erzählung weiter, da ohnehin an dieser Stelle ein rechter Abschnitt nicht zu machen ist; auch ist das folgende Jahr 1821 ziemlich arm an äußeren Ereignissen. Wir verließen ihn in seiner neuen Wohnung in der Landstraße; dort denken wir ihn uns, soweit es die in dieser Zeit viel angegriffene Gesundheit ihm erlaubte,95 mit bereits begonnenen und neuen Arbeiten beschäftigt.

Den Landaufenthalt nahm er zunächst in Unterdöbling, und vom [219] September ab auf Dr. Staudenheimers Anordnung in Baden,96 wo er sich einer Kur unterziehen sollte; da er diese nicht aushalten konnte, mußte er (wie er am 12. November an Brentano schrieb) wieder nach Wien »flüchten«, wo es ihm besser ging., »Schon seit vorigem Jahre bis jetzt war ich immer krank,« schrieb er an Brentano. Zu seinen andern Leiden war die Gelbsucht gekommen, die ihn bis Ende August heimsuchte und wohl Veranlassung zu der ärztlichen Anordnung wurde. Dies drückte ihn sehr nieder und muß auch uns in hohem Grade ergreifen. Die Gelbsucht ist, wie jeder weiß, das Symptom einer Leber-Erkrankung, und an den Folgen einer solchen sollte er sechs Jahre später hingerafft werden. Mit inniger Teilnahme erfahren wir, daß der Keim dieser Krankheit schon jetzt sich zeigte und ihm noch so mannigfache Leiden in Aussicht stellte. Auch in einem Briefe an den Erzherzog spricht er sich über seine Krankheit aus:97


»Unterdöbling, d. 18. Juli 1821.


Ich hörte von Höchstdero Ankunft hier, welches, so erfreulich es mir wäre, nun ein trauriges Ereigniß für mich geworden, da es ziemlich lange werden dürfte, bis ich so glücklich sein kann, J. H. H. aufzuwarten. Schon lange sehr übel auf, entwickelte sich endlich die Gelbsucht vollständig, eine mir höchst ekelhafte Krankheit. Ich hoffe wenigstens, daß ich doch soweit hergestellt werden werde, daß ich noch J. K. H. hier vor Ihrer Abreise sehe. – Auch den vergangenen Winter hatte ich die stärksten rheumatischen Zufälle. – Vieles liegt in meiner traurigen Lage, was meine ökonomischen Umstände betrifft. Bisher hoffte ich durch alle möglichen Anstrengungen endlich darüber zu siegen. Gott, der mein Inneres kennt, und weiß, wie ich als Mensch überall meine Pflichten, die mir die Menschlichkeit, Gott und die Natur gebiethen, auf das Heiligste erfülle, wird mich wohl endlich wieder einmal diesen Trübsalen entreißen. – Die Messe wird J. K. H. noch hier überreicht werden. Die Ursache der Verzögerung derselben erlassen mir J. K. H. gnädigst. Die Details davon könnten nicht anders als wenigstens unangenehm für J. K. H. sein. – Sehr gerne hätte ich J. K. H. manchmal schon [von] hier aus geschrieben; allein J. K. H. hatten mir hier gesagt, daß ich abwarten sollte, bis Höchstdieselben mir schreiben würden. Was sollte ich nun thun? Vielleicht würde es J. K. H. unangenehm gewesen sein, wenn ich nicht Ihre Worte geachtet, und ich weiß, es gibt Menschen, welche mich gerne bei J. K. H. verleumden und dieß thut mir sehr weh. Ich glaube daher öfters nicht anders thun zu können, als mich still zu verhalten, bis J. K. H. wünschen etwas zu sehen oder zu hören von mir. – Ich hörte von einer Unpäßlichkeit J. K. H.; ich hoffe daß es von keiner Bedeutung ist. Der Himmel schütte seinen Segen in den reichsten Füllhörnern auf J. K. H. herab.

[220] Ich hoffe, daß es doch nicht zu lange anstehen wird, bis ich so glücklich bin, J. K. H. sagen zu können, wie sehr ich bin


Ihro Kaiserlicher Hoheit

gehorsamster treuer Diener

Beethoven.«


Unterdöbling Nr. 11.


Diesem Briefe ließ er gleich am folgenden Tag, doch mit dem gleichen Datum versehen, noch ein kurzes Billet entsprechenden Inhalts folgen.98

In dem obigen Schreiben sind, außer den Krankheitszuständen, noch zwei Punkte bemerkenswert: die Erwähnung der ökonomischen Zustände, und die Erwähnung der Messe. Daß Beethoven damals, als er unter dem Einflusse der Krankheit nur wenig schreiben konnte, in pekuniären Schwierigkeiten war, läßt sich leicht denken und ist auch aus den vorher mitgeteilten Briefen zu erkennen; gerade jetzt in dieser traurigen Zeit mußte ihm die Huld seiner fürstlichen Gönner wertvoll sein, und so mag es nicht ohne geheime Absicht gewesen sein, daß er mit dieser Äußerung auch dem Erzherzog gegenüber nicht zurückhielt. Daß die Gehaltszahlung aus der Fürstlich Kinskyschen Verlassenschaft ihren Fortgang nahm, erfahren wir aus folgender


»Quittung


Über Sechshundert Gulden vom letzten September 1820 bis lezten März 1821 halbjährig vertagten Unterhaltungs-Beitrag, welchen ich Endesgefertigter von jener vermög K. K. Böhmisch landrechtlichen Konsens dto Prag den 18 Jänner 1815 No. Exhib. 293 mir zuerkannten jährl. Gebühr v. 1200 fl. aus der Rudolph fürstlich Kinskischen prager pupillar Hauptkassa heute baar u. richtig empfangen zu haben anmit quittiren.


Wien am 1ten April

1821

Ludwig van

Beethoven.«99


Lebt an der Lands

... pfarei

5. April 1821


Die Erwähnung der Messe könnte vermuten lassen, daß sie nahezu fertig war; das war aber leider nicht der Fall, er hat in diesem und dem folgenden Jahr noch anhaltend daran gearbeitet. Das langsame Vorrücken wird teils durch seine Krankheitszustände, teils wohl auch dadurch erklärt, daß er gleichzeitig andere Arbeiten in Angriff genommen hatte. Darüber erhalten wir Nachricht aus einem Briefe an Brentano in Frankfurt:100


[221] (Adr.)


»Seine Wohlgeboren

Hr. Senator

Franz Brentano

in

Frankfurt

(am Main)


Wien

am 12ten Novemb.

1821.


Verehrter Freund!


Halten Sie mich ja nicht für einen schuften, oder ein leichtsinniges genie – Schon seit vorigem Jahr bis jetzt war ich immer krank, den Sommer über ebenfalls ward ich mit der Gelbsucht befallen, dies dauerte bis Ende aug.. Staudenheimers Verordnung zufolge mußte ich noch im September noch Baden, da es in der dortigen Gegend bald kalt wurde, ward ich von einem so heftigen Durchfalle überfallen, daß ich die Kur nicht aushalten konnte und wieder hieher flüchten mußte, nun geht es gottlob besser u. endlich scheint mich Gesundheit wieder neu beleben zu wollen, um wieder neu auch für meine Kunst zu leben, welches eigentlich seit 2 Jahren nicht der Fall sowohl aus Mangel an Gesundheit wie auch so vieler andere menschlicher leiden wegen – Die Meße hätte wohl noch früher können abgeschickt werden, aber Sie muß genau übersehen werden, denn draußen werden die Verleger mit meinem Manuscripte nicht wohl fertig ›wie ich aus Erfahrung weiß,‹101 u. eine solche abschrift zum stechen muß Note für Note durchgesehen werden, hierzu konnte ich meiner kränklichen Umstände wegen nicht kommen, um so mehr, da ich bey alle dem in Ansehung meiner Subsistenz mehrere Brodarbeiten (leider muß ich sie so nennen) vollbringen mußte – ich glaube wohl doch noch einmal den Versuch machen zu können, ob Simrock nicht die louisdors in einem höheren Werthe anrechnen mögte, da dann doch auch von anderen Seiten mehrere Nachfragen um die Meße da sind, worüber ich ihnen nun bald schreiben werde, übrigens zweifeln sie nicht an meiner Rechtschaffenheit, ich denke öfter an nichts als daß ihr gütiger Vorschuß auf das baldigste getilgt werde –


mit wahrer Dankbarkeit

u. Hochachtung

ihr Freund u. Diener

Beethoven.«


Demnach hatte Brentano ihm Geld geschickt, will man sich an den Wortlaut halten, schon als Vorschuß für die Messe. Offenbar war dem Briefe Beethovens ein Brief Brentanos vorhergegangen, in welchem auf die oben mitgeteilte Anfrage Simrocks Bezug genommen wurde; das geht [222] aus der Erwähnung des Wertes der Louisdors deutlich hervor. Obigem Briefe ließ er nicht lange nachher einen weiteren folgen; es scheint, daß er inzwischen auch an Simrock geschrieben hatte.


»Wien am 20ten Decemb.

1821


Edler Mann!


Ich erwarte noch einen Brief, was die Meße102 betrifft, den ich ihnen zur Einsicht in die ganze Angelegenheit sogleich mittheilen werde, auf jeden, Fall wird das Honorar an Sie selbst angewiesen werden, wo Sie alsdann selbst mich gütigst sogleich von meiner Schuld an Sie entledigen können, mein Dank wird unbegrenzt immer gegen Sie seyn, ich war vorlaut ohne anzufragen, indem ich Ihrer Tochter Maxe ein Werk von mir widmete,103 mögen Sie dieses als ein Zeichen meiner immerwährenden Ergebenheit für Sie u. ihre ganze Familie aufnehmen – geben Sie dieser Dedikation keine üble Deutung auf irgend ein Interesse oder gar auf eine Belohnung – dies würde mich sehr kränken, Es gibt ja wohl noch edlere Beweggründe, denen man d. g. zuschreiben kann, wenn man schon durchaus Ursachen finden wollte – das neue Jahr ist im Eintreten begriffen, möge es ihnen alle ihre Wünsche erfüllen u. ihre Freude tägl. als Haußvater an ihren Kin dern vermehren, ich umarme Sie von Herzen u. bitte mich noch ihrer ausgezeichneten einzig herrlichen Toni zu empfelen. –


Eurer wohlgeboren

Hochachtungsvoll

verharrender

Beethoven.«


»Es sind mir schon von hier u. auswärts

200 ⌗ in Gold für die Messe

gebothen, ich glaube aber 100 fl. w. w.

darüber noch vieleicht zu erhalten, hierüber

erwarte ich von auswärts nur noch ein schreiben

welches ich ihnen sogleich mittheilen werde, man

könnte alsdann die sache Simrock vorstellen,

der doch nicht verlangen wird, daß ich so viel

verliere, bis dahin gedulden sie sich gefälligst

u. glauben sie ja nicht, daß sie gegen einen

unwürdigen großmüthig sich gezeigt haben«


[Adresse] »An Sein Wohlgeboren

H. Franz Brentano

Senator

Frankfurt

(am Main)«


Simrock wurde durch Brentano von der Lage der Sache in Kenntnis gesetzt; die Briefe aber, welche dieses klar stellen, gehören ins folgende [223] Jahr, und wir sind daher dem Plane unserer Arbeit entsprechend genötigt, die Angelegenheit hier zu unterbrechen, um sie im folgenden Kapitel im Zusammenhang weiter zu verfolgen. –

Bevor wir zu den größeren Kompositionen dieser beiden Jahre übergehen, sind noch ein paar Einzelheiten teils biographischer, teils musikalischer Art zu erwähnen.

In eines dieser Jahre, und zwar in eines, in welchem Beethoven einen Teil der Herbstzeit in Baden verlebte, fällt jene Arretierungsgeschichte, welche Thayer in seinem kritischen Beitrage104 erwähnt hat. Wir erzählen sie hier, und bemerken gleich, daß sie auch ins folgende Jahr gehören kann; bestimmt kann das Jahr nicht angegeben werden. Thayer besuchte 1860 den Professor Höfel105 in Salzburg, welcher ihm folgendes erzählte. Im Jahre 1829 war er als Professor der Malerei in Wiener-Neustadt angestellt worden. Ein oder zwei Jahre später saß er mit Eisner und anderen seiner Kollegen und dem Polizeikommissar im Garten des Wirtshauses, »zum Schleifer«, kurz vor der Stadt. Es war im Herbst und bereits dunkel, als ein Polizeidiener kam und dem Kommissar folgendes meldete: »Herr Kommissar, wir haben jemand arretiert, welcher uns keine Ruhe gibt und immer schreit, daß er der Beethoven sei. Er ist aber ein Lump, hat keinen Hut, alten Rock usw., keinen Ausweis, wer er ist, usw.« Der Kommissar befahl, daß der Mann bis zum Morgen in Arrest behalten werden solle. »Dann werden wir verhören, wer er sei« usw. Am nächsten Abend war die Gesellschaft sehr neugierig zu hören, wie die Sache verlaufen sei; der Kommissar erzählte, daß er ungefähr um 11 Uhr von einem Polizeidiener geweckt und ihm gemeldet worden sei, daß der Gefangene ihm keine Ruhe lasse und verlange, daß Herzog, der Musikdirektor von Wiener-Neustadt, gerufen werde, um ihn zu identifizieren. Der Kommissar stand auf, kleidete sich an, ging zu Herzog und ließ ihn wecken, und kam um Mitternacht mit ihm zum Wachthause. Sobald Herzog den Mann erblickte, rief er aus: »Das ist der Beethoven«, nahm ihn mit sich nach Hause und gab ihm sein bestes Zimmer. Andern Tags kam der Bürgermeister und bat um Entschuldigung. Wie sich herausstellte, war Beethoven früh am Morgen, nachdem er rasch einen alten Rock angezogen hatte, ohne Hut ausgegangen, um einen kleinen[224] Spaziergang zu machen. Er gelangte auf den Leinpfad beim Kanal, ging in Gedanken vertieft immer weiter, verlor die Richtung, hatte nichts zu essen bei sich und fand sich schließlich beim Kanalbassin am Ungerthore von Wiener Neustadt. Hier sah man ihn, da er nicht wußte, wo er war, in die Fenster der Häuser hineinsehen, und da er wie ein Bettler aussah, riefen die Leute einen Polizeidiener, der ihn verhaftete. Bei seiner Verhaftung sagte er: »ich bin Beethoven,« erhielt aber zur Antwort: »Warum nicht gar? Ein Lump sind Sie, so sieht der Beethoven nicht aus!« Herzog versah ihn mit ordentlichen Kleidern, und der Bürgermeister ließ ihn im Magistrats-Staatswagen nach seinem Wohnort Baden zurückfahren.

Auf diese einfache Geschichte hat man später eine abenteuerliche Erfindung gebaut, welche in Wien erzählt wurde: Beethoven sei in diese Verlegenheit dadurch gekommen, daß er den Truppen aus Wien folgte, um einem Scheingefecht bei Wiener Neustadt beizuwohnen und dadurch Stoff zu seiner Schlachtsymphonie zu sammeln. Damit geht freilich obige ganze Erzählung zu grunde. Die Zeitbestimmung widerlegt jenes Märchen vollständig.

In Baden sah ihn Helm, wie er Thayer erzählte, als Knabe immer am frühen Morgen als den ersten im Bade für sich brummend, bis jemand kam; auf freundliche Grüße antwortete er brummend, nicht unfreundlich. Helm verlegt dies in 1818–19; es wird aber, wie Thayer annahm, 1821 gewesen sein.

Hierher gehört auch der musikalische Scherz, den er bald nach seiner Ankunft in Baden an Haslinger richtete, und der uns zeigt, wie ihn sein Humor doch nicht ganz verlassen hatte.


»H. T. v. Haslinger.106


Baden, den 10ten September

1821


Sehr Bester!


Als ich gestern auf dem Wege nach Wien mich im Wagen befand, überfiel mich der Schlaf um so mehr als ich beinahe nie (des Frühaufstehens wegen hier) recht geschlafen hatte. Während ich nun schlummere so träumte mir ich reiste sehr weit nicht weniger nach Sirien nicht weniger nach Indien wieder zurück nicht weniger nach Arabien, endlich kam ich gar nach Jerusalem die Heilge Stadt erregte den Gedanken an die Heilgen Bücher kein Wunder, wenn mir nun auch der Mann Tobias einfiel, und wie natürlich mußte mir also auch unser Tobiasserl und das pertobiasser dabei in den Sinn kommen, nun fiel mir während meiner Traumreise folgender Canon ein:


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

[225] Allein kaum erwachte ich, fort war der Canon und es wollte mir nichts mehr davon ins Gedächtniß kommen, jedoch als ich mich anderen Tages wieder hierher begab im selben Fuhrwerk (eines armen österreichischen Musikanten) und die gestrige Traumreise jetzt wachend fortsetzte siehe da, gemäß dem Gesetz der Ideenassociation fiel mir wieder selber Canon ein, ich hielt ihn nun wachend fest, wie einst Menelaus den Proteus, und erlaubte ihm nur noch, daß er sich in 3 Stimmen verwandeln durfte:


Ossia mit einer 3ten Stimme.


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

[226] Lebt wohl nächstens werde ich auch auf Steiner was einschicken, um zu zeigen, daß er kein Steinernes Herz hat lebt wohl sehr bester wir wünschen allzeit, daß Ihr dem Namen Verleger nie entsprecht, und nie in Verlegenheit seid, sondern Verleger, welche nie verlegen sind weder im Einnehmen noch ausgeben – singt alle Tage die Episteln des Heil. Paulus, geht alle Sonntage zum pater Werner, welcher euch das Büchlein anzeigt, wodurch ihr von Stund an in Himmel kommt, ihr seht meine Besorgniß für euer Seelenheil, und ich verbleibe allzeit mit größtem Vergnügen von Ewigkeit zu Ewigkeit


Euer treuster Schuldner

Beethoven.«


Man wird in diesem Brief des Kranken ebenso die humor- und geistvolle Gemütsverfassung, wie das Geschick bewundern, mit welchem er dem Kanon eine selbständige melodische Stimme zusetzt. Wer diesen Brief und diesen Kanon schrieb, hatte doch gewiß die innere Freiheit und Schaffenslust wiedergewonnen. –

Wir gehen jetzt zu den in diesen beiden Jahren entstandenen und fertig gewordenen Arbeiten Beethovens über. An Brentano hatte er geschrieben, er habe neben der Messe auch noch einige Brotarbeiten fördern müssen. Damit wollte er wohl nicht nur auf kleinere Stücke, wie die Bagatellen, hinweisen, auch nicht ausschließlich auf die Bearbeitung von Volksmelodien, wenngleich ihn dieselben noch immer in Anspruch nahmen, sondern auf größere Arbeiten, die ihn nötigten, die Hauptarbeit aller dieser Jahre, die Messe, zeitweise zurückzustellen. Diese Arbeiten waren die drei letzten KlaviersonatenOp. 109, 110 und 111.107

Schindler erwähnt im Eingang seines zweiten Bandes die Urteile der Menschen, welche sich wunderten, daß im Laufe der letzten Jahre so wenig Bedeutenderes von Beethoven hervorgetreten war. »Beethoven hat sich ausgeschrieben,« hieß es »er vermag nichts mehr,« und die Allgemeine Mus. Zeitung meinte sogar: »Beethoven beschäftigt sich, wie einst Vater Haydn, mit Motiven schottischer Lieder, für größere Arbeiten scheint er gänzlich abgestumpft zu sein.« Schindler teilt mit, Beethoven habe sich an solchen Äußerungen ergötzt und wohl gesagt: »wartet nur, ihr sollet bald eines andern belehrt werden.« Und daran schließt er folgende Worte: »Im Spätherbst [1820] von seinem Sommeraufenthalt in Mödling zurückgekehrt, wo er in gewohnter Weise bienenartig Ideen eingesammelt hatte, setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb die drei Sonaten, Op. 109, 110 und 111 ›in einem Zuge‹ nieder, wie er sich in einem Briefe an den Grafen Brunswick ausgedrückt, um diesen Freund über seinen Geisteszustand [227] zu beruhigen.« Das »in einem Zuge« war auch Schindler zweifelhaft, und in der Tat liegt ein etwas längerer Zwischenraum zwischen der ersten dieser Sonaten und den beiden letzten.108

Die Sonate Op. 109 gehört dem Jahre 1820 an. Schon in den Konversationen aus dem April 1820 steht von Beethovens Hand das Thema des ersten Satzes; sie wurde skizziert, ehe er das Benedictus der Messe in Angriff nahm, und während der Arbeit an diesem, dem Credo, dem Agnus Dei und den Bagatellen für Starke;109 das weist alles auf dasselbe Jahr. In demselben Jahre erhielt Erzherzog Rudolf das Manuskript für seine Sammlung (nicht früher), wie das Verzeichnis derselben ergibt.110 Sie erschien im Nov. 1821 bei Schlesinger in Berlin und wurde am 19. Dez. 1321 von Steiner in der Wiener Zeitung unter den »Neuen ausländischen Musikalien« aufgeführt. Dann erschien sie 1822 bei Cappi. Die Korrektur machte viel zu schaffen, wie aus zwei Briefen an Diabelli hervorgeht:


»Döbling am 7-ten juni 1821.111


Euer Woblgeborn!


Leider erhielt ich erst Vor einigen Tägen indem ich noch von Wien entfernt war, ihre Zuschickung, ich glaubte nun nach den gütigen Bemühungen des H. Lauska112 bald und geschwinde Mit der Correktur fertig zu werden, Es scheint, so Viel ich in der Eile erblicken konnte, die Abschrift der Sonat113 beinahe ganz Korrekt zu seyn, allein nach dieser hätte die erste und 2te Correkttur in Berlin sollen gemacht werden, und mir alsdann erst Zugeschickt werden sollen, daher sind nun freylich sehr Viele und wichtige Fehler Zu verbessern, und wahrscheinlich werde ich sie mit Nummern anzeichn müssen, damit alles richtig dort erkannt werde – Heute 8 Täge kann die Korrektur auf den postwagen gegeben werden, wie es aber ganz gewiß auch geschehen [228] wird – die andre... sonate114 erhalten sie bald, Meine Gesundheit ist noch immer wankend und dies dürfte wohl so bleiben, bis ich in das mir Vom arzte verordnete Bad gehen kann – die Namen der Autoren Von den Liedern115 jollen mit der Correktur abgeschickt werden – für heute glaube ich das nöthigste erwähnt zu haben, gar Zu überhäuft beschäftigt emphele mich ihnen bestens und zeichne mich


mit Achtung ihr ergebenster

Beethoven.«


Der Brief hat nach Frimmel drei Nachschriften, aus denen man erkennt, »wie sehr dem Künstler an sauberer Wiedergabe seiner Werke gelegen war«:


»psc.: ich weiß, H. Lauska wird es mir nicht abschlagen, wenn ich ihn bitte, doch auch die Lieder Correctur gütigst mit Zu besorgen, es ist mir ungemein leid, daß ihnen durch mein Manuscript aufenthalt gemacht worden ist obschon ich hier schon auch Manus(cripte) habe stechen lassen ich werde nun künftig alles abschreiben lassen und genau durchsehen!«

»ps. Sie machen nur wie gewöhnl gütigst die Adresse an mich ›an Ludwig Van Beethoven in Wien‹ wo ich sodann auf meinem Landaufenthalt alles richtig erhalte –

ps.: Ich bitte ja nicht eher die Sonate herauszugeben bis die Correctur angebracht ist da wirklich Zu viel Fehler drin sind –«116


Die Korrektur fuhr fort ihn zu beschäftigen; einen Monat später ließ er noch einen Brief folgen:117


»Euer Wohlgebohren!


Erhalten Sie die Korrektur, eine schwierigere und mühseligere ist mir nie vorgekommen – der Hauptfehler ist daß die erste Korrectur nicht in Berlin gemacht wurde, wodurch die Menge der Fehler hier und da kaum im gestochenen Exemplar anzubringen, für jetzt ist zu trachten, daß die Abschrift (da wie es scheint mein Original nicht lesbar genug) ganz korrect ist, und sich in allem nach ihr zu richten ist – im gestochenen Exemplar sind die Fehler theils mit rother Dinte angezeigt, die Täcte aber mit grauem Bleistift angezeigt. – Die Verbesserungen in der Abschrift sind mit rother Dinte angezeigt – das Verzeichniß der, Fehler ebenfalls mit rother Dinte. Es ist [229] wohl möglich, daß mehrere Fehler im gestochenen E. angedeutet, aber im Verzeichniß der Fehler sich nicht finden, alsdann ist sich nur in der jetzt bestcorrigirten Abschrift, welche mein Manuscript entbehrlich macht, Rath zu erhohlen, übrigens muß immer ein Sachverständiger hierbei mitwalten, da wohl noch 2 bis 3 Korrecturen nöthig sind, bis das gestochene Exempl. dem abgeschriebenen ganz ähnlich sein wird – ich glaube mit größter unendlichster Mühe diese Correctur erschöpft zu haben, Hrn Lauska dem ich mich empfehle, bitte sorgsam nachzusehen. –


Döbling, am 6ten Juli

1821


in Eil Euer Wohlgebohren

ergebenster

Beethoven.«


Die Sonate widmete Beethoven der Tochter Brentanos Maximiliane, derselben, für welche er 8 Jahre früher das kleine Trio in B in einem Satze geschrieben hatte, und begleitete die Widmung mit folgendem Briefe.118


»An Maximiliana v. Brentano –


Eine Dedication!!! – nun Es ist keine, wie d. g. in Menge gemißbraucht werden – Es ist der Geist, der edle u. bessere Menschen auf diesem Erdenrund zusammenhält, u. den keine Zeit zerstören kann, dieser ist es, der jetzt zu ihnen spricht, und der Sie mir auch in ihren Kinderjahren gegenwärtig zeigt, eben so ihre geliebte Eltern, ihre So vortreffliche geistvolle Mutter, ihren So von wahrhaft guten u. edlen Eigenschaften beseelten Vater, stets dann wohl seiner Kinder eingedenk, u. so bin ich in dem Augenblick auf der Landstraße – u. sehe sie vor mir, u. indem ich an die vortrefflichen Eigenschaften ihrer Eltern denke, läßt es mich gar nicht zweifeln, daß Sie nicht zu Edler Nachahmung sollten begeistert worden seyn, u. täglich werden – nie kann das Andenken einer edlen Familie in mir erlöschen, mögen Sie meiner manchmal in Güte gedenken –

Leben sie herzlich wohl, der Himmel segne für immer ihr und ihrer aller Daseyn –


Wien

am 6ten Decemb.

1821

Herzlich

u. allezeit

ihr

Freund

Beethoven.«


[230] Bei den beiden folgenden Sonaten ist die Zeitbestimmung dadurch einfacher, daß Beethovens eigene Datierung vorliegt, welche, wie wir wohl mit Recht annehmen, den Zeitpunkt der Fertigstellung bezeichnet. Die As dur-Sonate Op. 110 trägt von Beethovens Hand das Datum: »am 28ten Decemb. 1821.«119 Skizzen zu derselben folgen auf solche des Agnus Dei der Messe, welche zunächst 1820 in ihren Anfängen begegnen und dann fortgesetzt werden.120 Es ist an zunehmen, daß die Sonate 1821 komponiert und fertig geworden ist, wenn auch kleine Änderungen vor der Herausgabe nicht ausgeschlossen waren (Nott. S. 471). Sie erschien bei Schlesinger in Berlin und Paris und wurde von Steiner in der Wiener Zeitung unter der Rubrik »Ausländische Musik« angezeigt (23. August 1822). Dann zeigt sie Joh. Cappi am 3. September als »zu haben« an, und wieder Cappi und Diabelli am 23. September ihre Ausgabe als »Correcte Ausgabe« und nochmals Cappi (am 27. Sept.) als »Correcte und wohlfeile Ausgabe«. Eine Widmung hat die Sonate nicht, obwohl Beethoven eine solche beabsichtigt hatte. Kalischer (S. 62) gab an, daß sie nach einem Originalzettel Beethovens für Frau v. Brentano bestimmt war. Sicherlich meint er einen auf der Berliner Bibliothek befindlichen Zettel an Schindler aus 1822, auf welchem folgendes steht: »Die Dedikation der zwei Sonaten in As und C moll ist für Frau Brentano gebohrne Edle von Birkenstock. Ries – nichts.« In einem kleinen Briefe an Moritz Schlesinger in Paris (s.u. 1823) steht bezüglich der C moll-Sonate von Beethovens Hand dasselbe. Die Widmung der C moll-Sonate hat dann Beethoven nachträglich dem Verleger überlassen.

Gleichzeitig mit dieser Sonate tauchen die Gedanken zu der Sonate in C moll Op. 111 auf, deren Entwürfe sich im zweiten und ausgedehnter im dritten der von Nottebohm (S. 460 fg.) beschriebenen Skizzenhefte aus den Jahren 1819–1822 neben den Skizzen zur Messe, speziell zum Agnus Dei, finden. Das vollständige Originalmanuskript trägt die Aufschrift: »Ludwig Ludwig am 13en jenner 1822.« Demnach dauerte die Fertigstellung bis ins folgende Jahr, wenn auch die Hauptarbeit 1821 geleistet war. Die Sonate erschien wieder bei Schlesinger im April 1823, nachdem sie Beethoven vorher auch dem Musikverleger Peters in Leipzig angeboten [231] hatte.121 Am 18. Juni 1823 wurde sie in der Wiener Zeitung als angekommen angezeigt. Cappi in Wien druckt sie nochmals, wobei Beethoven sich ernstlich der Korrektur annahm. »Die Sonate in C moll,« schreibt er am 1. Juni 1823 an den Erzherzog,122 »ward in Paris gestochen sehr fehlerhaft, und da sie hier nachgestochen wurde, so sorgte ich so viel wie möglich für Correctheit.« An Diabelli schreibt er:123 »Sobald die Correctur von der Sonate vollendet, senden sie mir selbe sammt Französischem E. wieder zu.« Und an Schindler:124»Erkundigen Sie sich bei dem Erzflegel Diabelli, wenn das französische Exemplar der Sonate inC moll abgedruckt, damit ich es zur Correktur erhalte; zugleich habe ich mir 4 Exemplare ausbedungen davon, wovon eins auf schönem Papier für den Cardinal – –« Mit der Abschrift der von Beethoven ausgezogenen Druckfehler war Schindler beauftragt, nach dessen Mitteilung125 schon die Pariser Ausgabe die Reise nach Wien wegen der vielen Fehler zweimal machen mußte; eine dritte. Rücksendung verweigerte die Verlagshandlung. Die Sonate wurde wiederum dem Erzherzog Rudolph gewidmet, Beethoven überließ Schlesinger die Widmung in folgender Zuschrift vom 1. März 1822:


»Euer Wohlgeboren!


Sie werden nun wohl die Schottisch. Lieder längst haben, welche hier bei Diabelli abgegeben worden – was den letzten Satz der 3ten Sonate anbelangt, so folgt hierbei der Schein. Ich hoffe Sie werden Selb. schon haben, ich bitte noch einmal selben sogleich zu bezeichnen und die zuerst erhaltene Abschrift sogleich zu vernichten. Was die zweite Sonate in as betrifft, so habe ich die Zueignung an Jemand bestimmt, welche ich Ihnen beim nächsten zusenden werde – die 3te steht ihnen frei, jemandem, wem sie wollen, zu widmen.« – – –126


Beethoven ist aber doch in irgendeiner Weise an dem Entschlusse Schlesingers beteiligt gewesen, denn in dem erwähnten Briefe an den Erzherzog [232] vom 1. Juni 1823 schreibt er: »Da E. K. H. schienen Vergnügen zu finden an der Sonate in C moll. so glaubte ich mir nicht zu viel heraus zu nehmen, wenn ich Sie mit der Dedication an Höchstdieselben überraschte.« Daraus darf man doch wenigstens so viel entnehmen, daß Schlesinger bei Beethoven vorher noch einmal anfragte.

Diese drei Sonaten127 sind also die einzigen größeren Arbeiten, welche in den beiden Jahren 1820 und 1821 fertig geworden sind; sie sind neben der Messe, die ihn unausgesetzt beschäftigte, gleichsam Nebenarbeiten (»Brotarbeiten«), stehen aber doch ganz unter dem Einflusse der Umstände, unter denen sein Leben weiterging. Beethoven atmete nach dem günstigen Ausgange des Prozesses wieder freier auf, er war gleichsam dem Leben wiedergegeben. Aber weitere Unruhen standen bevor, seine gesteigerten Pflichten forderten gesteigerte Opfer. Dazu fühlte er schwer seine Pflichten gegen den Erzherzog, für den jetzt vor allem die Messe fertig zu stellen war Die verschiedenartigen Gemütslagen, in denen er sich befand, spiegelten sich in den Sonaten wieder. Vor allem kennzeichnen sie sich als Erzeugnis einer wieder erhöhten Schaffensfreude; der Born melodischer Erfindung strömt wieder reichlich und ungehindert. Auch auf die Äußerung, sie seien in einem Zuge niedergeschrieben, an dem schon Schindler Anstoß nahm, wird nicht zu viel Gewicht zu legen sein, die Sonaten sind ebenso sorgsam skizziert wie andere Werke, und die Gestaltung und formelle Ausarbeitung bis ins harmonische und technische (auch klaviertechnische) Detail zeigt die gleiche Sorgsamkeit und souveräne Sicherheit. Trotzdem sind sie, wie schon angedeutet, nicht die Hauptarbeit jener Jahre; das blieb die Messe. Die ganze Fülle seines Könnens hat er hier nicht ausgegeben; durchweg erscheinen sie leichter geformt und rascher gearbeitet als z.B. noch die B dur-Sonate, wenn auch seine Seele sich überall voll und rein ausspricht. Reinecke wies darauf hin (Beethovens Klaviersonaten S. 89), daß es den Sonaten an eigentlichen ausgeführten Adagiosätzen fehle; wir wollen aber nicht vergessen, daß dies auch in andern Werken Beethovens der Fall ist, und daß derselbe sich in späterer Zeit überhaupt nicht mehr an die überlieferte Regel band. Die Vorliebe für polyphone Gestaltung und die für die Variation zeigt sich auch in diesen Arbeiten.

Die erste der Sonaten (E dur Op. 109) hat keinen ausgeführten ersten Satz; an die Stelle desselben tritt ein phantasieartiges Gebilde, in welchem ein schnellerer Satz mit einem langsameren wechselt. Mit einem[233] kurzen Motiv beginnt ein anmutiges Spiel, in welchem auch der melodische Faden leicht verfolgt werden kann,128 mit dem Ausdrucke eines wohligen Genügens. Gerade wo es auf der Dominanten, Tonart abschließen will, tritt ein scharf dissonierender Akkord ein und es beginnt (Adagio espressivo) ein Zwischensatz mit bewegten, weit sich ergehenden Figuren, der sich aber doch milde und freundlich löst und das H dur gewinnt. Ich kann hier nicht, wie andere, ein Aufwallen jähen Schmerzes finden, es klingt eher wie eine ernste Mahnung und Erwägung, der Meister will sich des heiteren Glückes nicht zu früh bemächtigen; es sind noch nicht alle Kämpfe überwunden. In H dur setzt das Anfangsthema, zuerst in umgekehrter Stimmbehandlung, wieder ein, entwickelt sich ausgedehnter, ernster, tiefer bewegt, um in kräftigem Aufschwunge das E des Anfangs wieder zu gewinnen.129 Derselbe Trugschluß, dieselbe Wiederholung des Adagios, die entsprechende Rückführung zum Thema, das Schlußstück ernst und gewichtig ausgeführt, der Abschluß gesammelt und ruhig. Der ernste Mann sieht innerlich befriedigt dem Spiele zu. Die hier zurückgehaltene Leidenschaft kommt in dem folgendenPrestissimo zum Ausdruck; zürnend, ungestüm rollt es hin, in den kurz rhythmisierten, immer wechselnden Themen, ein meisterlich geformtes Bild einer schwer zu beschwichtigenden Unruhe. Es vertritt die sonstige Stelle eines Scherzo und folgt zunächst auch der Form eines solchen, bringt immer neue Gedanken, welche zur Tonart der Dominante leiten, kurz ausruhen, die erwartete Ruhe aber nicht finden und ganz unerwartet das heftige Anfangsthema wieder auftreten und sich entwickeln lassen, so daß sich das Stück zu einem kleinen Sonatensatze in knappster Gestaltung entwickelt. Den Höhepunkt der ganzen Sonate bilden die Variationen in E dur, deren unvergleichlich schönes Thema, »gesangvoll und mit innigster Empfindung« vorzutragen, eine wunderbare Friedlichkeit atmet; einen Frieden, der nach schweren Kämpfen errungen ist.130 Dieser [234] Charakter erscheint in der wonnigen Melodie der ersten Variation noch gesteigert; auch die übrigen bringen einen großen Reichtum der Erfindung und Gestaltung, erheben sich stellenweise zu frischem Aufschwunge (Var. 3) und geben auch polyphoner Behandlung Raum (Var. 5); in Var. 6 kehren sie zu stillster Friedlichkeit zurück, welche zuerst in dem mit der Quinte der Tonart erklingenden Thema zum Ausdrucke kommt; dann nimmt die Bewegung allmählich zu und steigert sich durch Achtel, Triolen, Sechzehntel, Zweiunddreißigstel zum Triller; zu dem im zweiten Teile sich entwickelnden, schönen und eigenartigen Figurenwerk erklingen in höchster Höhe, glitzernden Sternen vergleichbar, die abgebrochenen Achtel, welche das Thema andeuten; schön läßt er die Bewegung sich beruhigen und leitet zum Thema zurück, mit welchem das Werk schließt; er hinterläßt das wohltuende Bild eines nach manchen Kämpfen wieder errungenen seligen Friedens. Bei diesem und den folgenden Werken, welche so recht Emanationen der Seelenstimmung des Meisters sind, fragen wir nicht noch besonders nach der Klaviertechnik. Der Spieler muß die technisch ausgebildete Fertigkeit besitzen, dann aber mit den musikalischen Gedanken sich vertraut machen; ihnen ist unter der Hand des genialen Meisters das Instrument dienstbar, er ist sich des Klanges und der Leistungsfähigkeit noch voll bewußt, verlangt auch zur Darstellung vollkommen freie Herrschaft, strebt aber nicht nach besonderen pianistischen Künsten um ihrer selbst willen. Czerny meinte unter Berufung auf Beethovens eigenes Wort, der Umstand, daß er nicht mehr wie früher im stande war, seine späteren Werke am Klavier zu probieren, habe ihn verhindert, manche Stellen, die nicht wohlklingend oder für die Hand unbequem gesetzt seien, zu ändern. In diesen drei Sonaten können wir solche Stellen nicht namhaft machen.

Die zweite Sonate (Op. 110 As dur) gemahnt in ihrem ersten Satze noch mehr an die alte Sonatenform und scheint auch in der Stimmung in alte Zeiten zurückzuführen. In ruhigem 3/4 Takt tritt ein zartes, sinniges Thema auf (»sanft, con amabilita«, schreibt der Meister dazu), dem ein weicheres nicht ohne sehnsüchtige Beimischung sich anschließt.131 Es folgt dann ein längeres Spiel mit raschen Figuren in gebrochenen Akkorden, welches bei der Wiederholung mit dem Thema verbunden wird und demselben erhöhtes Leben gibt. Dann entwickelt sich der erste Satz in organischer Weise und drückt wechselnd Festigkeit und innige Hingabe aus. Zu einem recht ausgeprägten zweiten Thema kommt es nicht; auch die Durchführungspartie [235] wird sehr kurz behandelt, das Anfangsthema wird durch verschiedene Tonarten geführt und von einer Baßfigur kontrapunktisch begleitet; einzelne harmonische Übergänge (S. 3 Syst. 1, S. 5 Syst. 2 der neuen Ausgabe) erfolgen überraschend schnell; alle diese Wahrnehmungen führen zu der Ansicht von der verhältnismäßig raschen Konzeption und Ausführung dieses Satzes; am Schlusse möge man, nach dem Ausdruck voller Befriedigung und Hingabe, den schmerzlich rückblickenden Akzent nicht übersehen. Recht wild und trotzig rast wieder der zweite Satz (F moll 2/4) hin, der die Stelle eines Scherzo vertritt, im Trio durch sanft abwärts steigende echt Beethovensche Gänge gemildert; in der kurzen Coda erhebt er sich mit mächtigen Akkorden, als solle ein feierlicher Choral anheben, über das wilde Erdentreiben, schließt aber bald, milde und leise bewegt, mit dem Durakkord. Nun tritt der Schmerz des Daseins in seine Rechte; wir kennen zur Genüge die Gründe desselben. Eine Einleitung (B moll Adagio ma non troppo) von tief traurigem, fast hülflosem Ausdruck geht in ein kurzes Rezitativ über, in welchem im 5. und 6. Takt jene öfter begegnende bebende Bewegung auf demselben Tone sich zeigt,132 die langsam beginnend, an Schnelligkeit und Tonstärke wachsend mit dem Ausdrucke andringender Heftigkeit, schließlich wieder matt und trostlos zurücksinkt. Es beginnt eine rührende Klage (Beethoven schreibt darüber: »Klagender Gesang«, wie er überhaupt in diesem Stücke mit Vortragsbezeichnungen besonders reichlich vorgeht), in den Tonschritten, den synkopierten Noten, der Modulation von ergreifender Innigkeit. Wie er die Klage überwindet und zu neuem Leben sich aufrafft, weiß er uns auch künstlerisch empfinden zu machen. Es folgt eine dreistimmige Fuge, deren Thema (As dur) feste und bewußte Erhebung und Erwachen neuer Tatenlust und neuen Mutes atmet; dieselbe wird kunstvoll und regelrecht, dabei wohlklingend und stimmungsvoll durchgeführt. Aus einem künstlerischen Bedürfnisse der Symmetrie bringt er den Gegensatz noch einmal, wobei er den Ausdruck noch zu steigern und zu vertiefen weiß; zuerst der Klagegesang (»ermattet, klagend« schreibt er darüber) in G moll, wenig in den Teilen der Melodie verändert; aus den gebrochenen Motiven klingt es wie ein Schluchzen und das Schmerzgefühl tritt uns wie unmittelbar nahe. Erwartungsvoll löst er den Druck, die Seele hebt sich wieder, er bringt das Fugenthema in der Umkehrung (»nach und nach wieder auflebend«; »die Umkehrung der Fuge« schreibt er dazu), behandelt die Fuge jetzt freier, verbindet die Umkehrung mit der ersten Gestalt, [236] vergrößert und verkleinert das Thema in den Zeitwerten, läßt auch die begleitenden Figuren aus dem Thema hervorwachsen und läßt dann das Hauptthema siegreich und glänzend begleitet durch alle Stimmen gehen; festlich und energisch schließt das Stück, in welchem Beethoven, ganz seiner späteren Weise entsprechend, verschieden von der Weise früherer Zeiten, uns das, was ihm im Innern lebt, unmittelbar sprechend vor die Seele führt.

Die dritte der Sonaten, C moll Op. 111, überragt die beiden anderen an Gehalt und äußerer Vollendung. Sie besteht nur aus zwei Sätzen, befriedigt aber an Ausdehnung und innerer Entwicklung alle Forderungen, welche wir an ein Tongebilde dieser Art stellen dürfen. Hat ja doch Beethoven auch schon früher Sonaten nur aus 2 Sätzen bestehen lassen (Op. 54, 78, 90). Dem ersten Satze schickt er eine wuchtige Introduktion vorher, welche nach dreimaligem heftigen Ansturme, in herrlichen Modulationen sich beruhigend, allmählich das C moll wie eine unerbittliche Notwendigkeit erreicht, aus dessen Dominantakkord mit grollendem Wirbel (der Pauke vergleichbar) das Thema des ersten Satzes gewonnen wird. Dieser ist dann fast ganz auf dieses Thema und seine Anhänge gebaut,133 bald einfach als Hauptmelodie, bald in fugierter Weise, doch mit voller Freiheit behandelt, immer unruhig und leidenschaftlich, mit dem Ausdrucke finsterer Entschlossenheit, energischen Kampfes gegen die Mächte seines trüben Geschicks; er hat den festen Willen zu entschlossener Abwehr gewonnen. Der Satz ist im ganzen einfach gebaut und rollt in gleichmäßigem Flusse hin; auch hier kommt es nicht zu einem ausgeprägten zweiten Thema, an dessen Stelle die ergreifend schönen Figuren und Motive treten, mit welchen die Durtonart (As dur, im 2. TeilC dur) auftritt.134 Das mehrfach auftretende Zurückhalten (poco ritenente usw.) kennzeichnet recht die unruhige Bewegung des Innern; überhaupt ist er auch hier reich und sorgfältig in der Vortragsbezeichnung. Alles einzelne können wir hier nicht aufzählen; hingewiesen sei nur noch auf die Stelle, wo die heftige Bewegung schließlich zu einer Reihe wuchtiger Akkordschläge auf dem schlechten Taktteile führt, welche energische Abwehr alles Feindlichen und Schlechten bekunden, und dann in leisem Aufsteigen, [237] während der Baß dumpf weiter grollt, in das weiche, hoffende Dur sich auflöst. Daran schließt sich dann ganz natürlich und organisch die Arietta in C dur mit den herrlichen Variationen. In einfachster Gestaltung auftretend, atmet sie ganz Ruhe und Frieden, nicht ohne trübe Beimischung in dem A moll des zweiten Teiles.135 Es schwebt ihm eine längst vergangene glückliche Zeit vor, die er aber nicht wieder erlangen kann. Dieses sehnsüchtige Gefühl steigert sich in rührender Weise in der stufenweise beschleunigten Bewegung der ersten Variationen, die alle aus dem Anfangsmotiv hervorwachsen; es ist, als wollte er Verlorenes mit Aufbietung aller Mühe wieder gewinnen. Die Bewegung sinkt abwärts und in ganz tiefer Lage zittert sie, bei anscheinender Beruhigung, in schönen Harmonien fühlbar nach; rasch schreiten die Töne wieder in die Höhe und es ertönen (gleichfalls als Variation) nun Klänge, wie man sie auf dem Klavier kaum zu hören gewohnt war, Klänge von einer so wunderbaren Reinheit und Verklärung, daß man mit dem Meister aller irdischen Fesseln entkleidet zu sein meint und sich zu reineren, lichteren Sphären emporgehoben fühlt. Daraus läßt er dann das Gefühl voller Sicherheit und Befriedigung hervorwachsen, welches wir mehr und mehr empfinden, je mehr wir uns dem Schlusse nähern. In den Skizzen begegnet die Bemerkung »zuletzt das Thema« (Notteb. S. 470), er bringt es aber nicht einfach und in der ursprünglichen Form, wie inOp. 109, sondern reich ausgeschmückt und belebt durch die Begleitung, besonders durch den langen Triller (man denkt an den letzten Satz der Waldstein-Sonate), und mit dem Motive des Themas in verschiedener Stimmlage schließt das Stück mit dem Ausdrucke voller Zuversicht. Der Schluß erfolgt kurz und auf dem schwachen Taktteile; eine Bemerkung Reineckes (S. 89) über die von Beethoven in manchen der letzten Werke geübte kurze Behandlung der Schlüsse mag hierhin passen; das soll uns aber die Freude am ganzen nicht beeinträchtigen. Schindler erhielt auf die Frage, warum Beethoven nicht einen dem Charakter des ersten Satzes entsprechenden letzten Satz zu der Sonate geschrieben, von dem Meister die Antwort, es habe ihm an Zeit gefehlt, und darum habe der zweite Satz diese Ausdehnung erhalten müssen; trotzdem hat sich Schindler auch später über das Fehlen des dritten Satzes nicht beruhigen können. Beethoven mag die törichte Frage so freundlich er konnte beantwortet haben; der [238] »Freund« verstand eben nicht, daß das Seelengemälde mit dem Ende der Variationen völlig abgeschlossen sei,136 und bedachte nicht, daß Beethoven auch sonst in seiner letzten Zeit seiner Idee zuliebe sich manche Freiheit erlaubte. Auch der Verleger Schlesinger vermißte einen weiteren Schlußsatz, s. im folgenden Kapitel.

Andere Kompositionen aus diesen beiden Jahren sind kaum noch namhaft zu machen.137 Einiger Kanons wurde bereits früher gedacht, auch die 5 Bagatellen (Op. 119, 7 –11), welche Beethoven für Starcke schrieb, wurden schon erwähnt. Dann haben wir noch ein Lied zu nennen, das »Abendlied unter dem gestirnten Himmel«, welches auf dem Originalmanuskript das Datum des 4. März 1820 trägt und im Beiblatt zur Wiener Zeitschrift für Kunst usw. (Modenzeitung) vom 28 März 1820 mit einer Widmung an Dr. Braunhofer erschien.138 Der Dichter war Heinrich Göble. Der Text, in welchem aus dem Eindruck der abendlichen Natur, besonders des Sternenhimmels, der ihn immer so hoch entzückte, sich die Ahnung baldiger Erlösung emporringt, mochte Beethovens damaliger Stimmung ganz entsprechen; er hat dieser beruhigten, sehnsuchtsvollen Stimmung einfach schönen Ausdruck gegeben. Er behandelt das Lied strophisch, paßt aber in jeder Strophe Begleitung und Melodie dem Sinn der Worte angemessen an; dem letzteren wird er in schlichter Weise, doch mit großem Feinsinn gerecht; man beachte namentlich den schönen Aufschwung auf dem H dur. Daß die Melodie gut in der Stimme liegt, sangbar ist und die Worte gut deklamiert werden, sei nur für diejenigen bemerkt, welche dem Meister diese Eigenschaften absprechen möchten.

[239] Im Jahre 1821 erschienen auch die 25 Schottischen Lieder Op. 108 bei Schlesinger in Berlin. Im übrigen verzichten wir hier auf die Aufzählung der in diesem Jahre veröffentlichten Kompositionen, da das Notwendige schon bei Besprechung der Werke selbst angegeben ist. –

Fußnoten

1 Das Autograph befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Nohl druckt ihn Br. B. Nr. 224 ab und gibt im Anhang ein Faksimile. In der Br. u. H. G. A. steht der Kanon Serie 23 S. 187. Vgl. auch: Thayers chron. Verz. 221. Das Datum »12ten Jenner« bei Thayer und Nohl ist unrichtig; der Irrtum ist dadurch entstanden, daß Beethoven die kleinen Trennungsstriche – einem Zuge schreibt, so daß sie fast wie eine 2 aussehen.


2 Dasselbe steht bei Nohl Br. B. Nr. 223. Das Original ist in Berlin (aus Schindlers Nachlaß). Wir geben dasselbe der Vollständigkeit wegen im Anhange (III). Nur die Unterschrift ist von Beethoven.


3 »Nach einem Faksimile im Besitz der Frau Karl von Beethoven in Wien, auf dem mit Bleistift von fremder Hand der Adressat angegeben steht.« Nohl. Bei Thayer habe ich eine Erwähnung dieses Briefes nicht gefunden.


4 Der Brief muß in die ersten Tage des Januar fallen, als er gerade sein Rekursgesuch zu schreiben im Begriffe war. Die weiteren Bemerkungen am Schlusse sind nicht klar.


5 Der Brief befindet sich nach Jahns Abschrift in Thayers Materialien. Gedruckt ist er bei Kalischer N. B. B. S. 54. Kalischer meint, er stamme wahrscheinlich aus 1818; das wird aber durch den Inhalt widerlegt, denn 1818 war Tuscher noch nicht Mitvormund geworden und von einem Berichte des Appellationsgerichts konnte damals noch nicht die Rede sein. Der Brief kann nicht vor 1820 geschrieben sein.


6 Diese Schrift hat sich nicht gefunden.


7 In Thayers Abschrift steht »verfolgen«, doch hatte ich für mich schon »verfahren« verbessert, wie es jetzt bei Kalischer steht.


8 »16.« bei Kalischer, wohl richtig. Dies Datum in Verbindung mit der Erwähnung des Magistratsberichts zeigt die Zeit, in welcher der Brief geschrieben sein muß.


9 »wenn« bei Kal.


10 »Bourreau« Kal. Ob Beethoven hier einen besonderen Sarkasmus beabsichtigt (bourreau = Henken), überlassen wir dem Leser zu entscheiden.


11 Man findet beide Berichte des Magistrats in Anhang III.


12 Eine Veruntreuung gegenüber ihrem Manne, die aber gesühnt und verziehen war.


13 Die Briefe an Giannatasio und Äußerungen in den Konversationen, deren Inhalt wir in unserer Darstellung nicht wiedergeben können, deuten auf einen hohen Grad sittlicher Verkommenheit. Wir führen nur an, was Schindler als Tatsache erzählt, daß sie noch während des Prozesses Nachkommenschaft erhalten hat. Beethovens sittliche Abscheu ist durch alles das hinlänglich erklärt. Er schreibt selbst im K. B. 1820 auf: Fr. B. »zur Intrigue gebohren, ausgelernt in Betrug, Meisterin in allen Künsten der Verstellung.« Die Bestätigung erhielt Thayer von der Witwe Karls mit dem Hinzufügen, daß die Mutter noch in höherem Alter in Baden mit der gleichfalls entarteten Tochter lebte.


14 Abschrift dieses Briefes erhielt Thayer durch Dr. Gerhard v. Breuning, der ihn auch 1888 in der Neuen freien Presse veröffentlichte. Er steht bei Kalischer N. B. B. S. 172 nach einem weiteren Abdruck in der Charlottenburger Neuen Musikzeitung vom Febr. 1888 Ich folge Thayers Abschrift.


15 »Wien, 6. März 1820« im Druck.


16 »setzen« im Druck.


17 Zunächst antwortete er nicht. Jemand schreibt im K. B.: »Den H. v. Winter hab ich das hingegeben, er hat mich warten lassen dann hat er mir gesagt, daß er darüber keine Antwort geben kan und in keine Correspondenz sich einlassen kan.«


18 Hierzu bemerkt Beethoven im K. B. eigenhändig: »Ich ernannte Tuscher zum Vormund des Carl [(letzteres) nicht ganz deutlich], am selben Tage da Tuscher niederlegte übernahm ich die Vormunds. wieder.«


19 »Dies ist nicht klar,« bemerkt Beethoven dazu.


20 Dieses Wort ist nicht ganz leserlich. Jedenfalls heißt es nicht »Moralität«, wie Thayer deutete. Eher »Eifer«, was aber keinen Sinn gibt.


21 »Dies versteht sich von selbst,« bemerkt Beethoven.


22 Hier macht Beethoven wieder eine Bemerkung, auf deren genaue Lesung Thayer verzichtete. Ich lese: »wäre die Mutter u. zum Theil die Anlagen des Knaben selbst nicht – –«, möchte aber auch die Richtigkeit nicht verbürgen.


23 Karl selbst schreibt etwas vorher auf: »Sie hat mir so viel zugesprochen, daß ich ihr nicht mehr widerstehen konnte; es ist mir leid, daß ich damahls so schwach war, und bitte dich deßwegen um Verzeihung, aber ich werde mich jetzt gewiß nicht mehr verleiten lassen. – Ich habe nicht gewußt, was es für Folgen haben könnte als ich beim Magistrat so sprach. Allein wenn es nochmahl zu einer Untersuchung kömmt, so werde ich alles widerrufen, was ich damahls Unwahres gesagt habe.«


24 Um auch hier schon einmal etwas anderes einzuflechten, fügen wir folgendes von unbekannter Hand in dieser Zeit Eingetragene hier bei: »Der Haslinger von Steiner ist mir heute begegnet; – er hat eine Pracht-Abschrift aller Ihrer Werke in Partitur machen lassen; – er wünscht dazu Ihr Portrait und der hiesige sehr geschickte Miniatur Maler Daffinger hat sich angebothen auf eine einzige Sitzung Ihr Bildniß zu machen; – Haslinger wird Sie um eine Stunde bitten.«


25 Den Wortlaut findet man in Anh. III.


26 Auch diese Verfügung steht in Anh. III. »Nun können Sie mit mehr Vergnügen nach Mödling gehen« schrieb jemand, wohl Bernard, im K. B.


27 Vgl. Anh. III.


28 Dieser Brief dürfte gegen Ende April geschrieben sein, als Beethoven die Entscheidung des Appellationsgerichts in Händen hatte. Die weitere Veranlassung kennen wir nicht. Im K. B. dieser Zeit schreibt jemand, wahrscheinlich Blöchlinger: »Ich sehe morgen den Pinterics soll ich ihn was sagen.« Ein Unbekannter drückt in K. B. seine Freude aus. »Es ist bekannt, daß Sie nur das Beste des Karls wollen, und daß es Ihnen viel Zeit raubt, und viel Geld kostet. – Man sagt, daß die Mutter ihn gar nicht erziehen lassen könnte, indem es ihr an Mitteln mangelt. – Sie war die Feindin ihres eigenen Kindes.« – Pinterics sang den Baß in dem Kanon auf Mälzels Metronom, nach Schindler (Thayer Bd. 3. S. 222). Über Pinterics vgl. Kreißle, Schubert S. 259. Nach seiner Angabe kam Beethoven mit ihm öfter in »Blumenstöckl« zusammen. Er war nach Kreißle Privatsekretär des Grafen Palffy.


29 Diesen Brief schenkte Frau Peters dem Lobkow. Kapellmeister Cartellieri; von diesem kam er an Al. Fuchs, und von diesem an John Ella in London, wo ihn Thayer kopierte. Gedruckt ist er bei Thayer chron. Verz. 225 und Nohl N. Br. Nr. 231.


30 Damit ist doch wohl der Neffe und Mündel gemeint. (Nohl.)


31 Nicht Spätherbst 1819, wie Nohl meinte. Im Februar 1820 schreibt jemand im K. B.: »Die 2 schönen Canon sind gewiß schon ausgelöscht:


Sankt Petrus ist ein Fels

Auf diesen muß man«


»Wann bekommen ich den Canon?« schreibt wie der jemand, wohl nicht Peters.


32 Damit wird öfter gescherzt. Peters meint einmal, er müsse jemanden für so viel Schönes gleich schreiben, sonst heiße es mit Recht Petrus non sanctus. Über Bernards Trägheit wird einmal geklagt.


33 Dies Wort ist hier undeutlich; kann auch »Wels« gelesen werden.


34 Dies ist von mir beigefügt.


35 In der Skizze h.


36 Das vorletzte e ist in der Skizze auch ein Achtel.


37 In der Skizze nicht Achtel, sondern Viertel.


38 In einem Skizzenbuche von 1820 notiert sich Beethoven: »Die Kunst in 2 Monaten Griechisch zu lernen –. Leipzig 1820«, offenbar für den Reffen, der in dieser Sprache nachzulernen hatte, auch befriedigend fortschritt.


39 »Heut haben wir die Symphonie Eroica bewundert« im Konv. B. »Gut gegeben, doch die Violine zu schwach, nicht für das Allegro.«


40 Der Brief wurde Thayer von Herrn E. Speyer in London mitgeteilt. Er war bereits in der Niederrhein. Musikzeitung 1865 Nr. 38 und von Nohl N. Br. Nr. 232 bekannt gemacht. Letztere Veröffentlichung ziehe ich auch hier zu Rate.


41 »d.h. länger als 6 Monathe« (unter dem Text von Beethoven beigefügt).


42 In der Abschrift steht g statt a, was offenbar falsch ist, so kann Beethoven nicht geschrieben haben.


43 Nott. II. Beeth. S. 572. (Den Brief habe ich in den Materialien nicht gefunden.) Nach einer handschr. Bem. Nottebohms habe Beeth. in diesem Briefe 8 von den Var. Op. 107 Simrock angeboten. Simrock kündigt aber 10 an. Dann hätte Beethoven mehr geschickt als er versprochen, was ja möglich ist. Im Konv. Buch April 1820 schreibt jemand: »Sie haben ja größere Variationen angefangen, sind die nicht fertig geworden? Diabelli würde viel geben.«


44 Das Empfangsdatum ist 8. April 1820. Das Autograph ist im Besitze von Artaria u. Co. Dieser Ritter Falstaff war Carl Boldrini, Mitglied der Firma Artaria u. Co. Er hatte das Musikgeschäft unter sich. Die Var. Op. 105 erschien bei Artaria in 2 Heften; und diese können hier gemeint sein.


45 In unserer Vorlage steht auch statt mich.


46 Am 20. März nach Nott. II Beeth. S. 152.


47 Das Original befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Bei Köchel hat der Brief nicht Aufnahme gefunden, doch ist er nach dem Original abgedruckt bei Nohl Br. B. Nr. 229. Ich benutze eine Abschrift Thayers.


48 Aus E. T. A. Hoffmanns Schriften von Nohl (Br. B. 226) abgedruckt.

Über »E. Th. A. Hoffmann und Beethoven« veröffentlichte Kalischer eine interessante Studie in den Sonntagsbeilagen 6–8 der Vossischen Zeitung vom Febr. 1888, auf welche wir hier verweisen.


49 Er steht in der neuen Ausgabe. S. 23. Nr. 256, 9 (Seite 189). Zuerst wurde er in der Cäcilia 1825 (H. 7. S. 206) veröffentlicht mit der Aufschrift: »Auch einer welcher Hoffmann geheißen.« Vgl. Thayer chron. Verz. Nr. 223. Nohl Br. B. Nr. 328.


50 »Das as nimmt sich gut aus darin 4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821 sey kein Hofmann«, meint jemand (vielleicht Schindler) im K. B.


51 Nach weiterer Erzählung habe Beethoven im Matschaker Hof ein Notizbuch bei sich geführt und die Unterhaltung sei schriftlich geführt worden.


52 Handschr. Zusatz zu Thayers Verz. Nr. 223. Nohl meint, in Beethovens Phantasie möchten sich die beiden Hofmänner (E. Th. A. Hoffmann und der Wiener Komponist) miteinander vermischt haben. Dem pflichtet Kalischer (a. a. O.) bei.


53 Schindler, Cäcilia 1828 S. 90.


54 Dieser Brief folgt hier nach einer Abschrift Nottebohms. Gedruckt ist er bei Nohl N. Br. Nr. 233, nach dessen Angabe ihn Kassier Ries in Wien besitzt.


55 Wir nehmen hier wieder Bezug auf Frimmels Mitteilungen in dem Aufsatze »Beethoven in Mödling«, Neue Beethov. S. 183 fg.


56 In den Konversationen aus jener Zeit wird über Anbringung von Schallvorrichtungen am Klavier mehrfach verhandelt.


57 Starcke war Kapellmeister in dem Infanterieregiment (33) Colloredo-Mansfeld, und brachte 1816 (12. und 19. Mai) im großen Redoutensaal seine »Schlacht bei Leipzig« zur Aufführung. (Th.)


58 Der Brief steht bei Seyfried, Beeth. Studien Anh. S. 37. Dann bei Nohl Br. B. Nr. 228. Hier steht er nach einer Abschrift bei Thayer. Nur die Überschrift entnehme ich Seyfried.


59 Köchel Nr. 54.


60 Köchel 55. Der 2. September war ein Samstag.


61 Vgl. Frimmel, Beethovens Wohnungen, N. Fr. Pr 1899, 11. August; die weiteren Angaben nach Thayer.


62 Autograph bei Artaria. Vgl. auch Nohl Br. B. N. 230; der die Quittung nicht bringt. Falstaff (wie sonst Schuppanzigh genannt wird) ist Boldrini.


63 Aus O. Jahns Nachlaß. Jetzt bei Kalischer, Neue B. Briefe S. 57.


64 Vgl. hierüber Schindler II. S. 22. 208 fg. Nohl III S. 854. 865. In einem Konversationsheft von 1819 lesen wir: »Sie sind in Bremen vergöttert. Borgestern war in der Bremer Zeitung eine Anfrage, warum die hiesigen Blätter ganz über Sie verstummen, was doch nicht wahr ist.«


65 S. Müllers »Reise durch Italien« I. 130 fg.


66 Allg, Mus. Ztg. 1827. Auf diesem Aufsatz wurde schon früher (Bd. I. S, 118) mit Rücksicht auf Beethovens Kindheit Bezug genommen.


67 Vgl. Frimmel N. Beeth. S. 269.


68 Wir verweisen auf Frimmels Bemerkung S. 230f.


69 Schindler (II S. 289) verlegt dies ins Jahr 1821, was nach den Konversationsbüchern und nach anderen Nachrichten unrichtig ist. Die Bekanntschaft begann schon 1819, das Bild wurde vielleicht schon in diesem Jahre begonnen, ausgeführt wurde es 1820. Auch Schindlers Worte: »Sitzung auf Sitzung ward bewilligt und nicht eine Klage über Zeitverlust laut«, stehen mit Stielers bestimmtem Zeugnisse in Widerspruch. Gerade weil Beethoven keine Sitzungen mehr gewähren wollte, war Stieler genötigt, die Hände ganz nach seiner Phantasie zu malen. – Nach wiederholter Bitte, sei (so erzählte Stieler der Gräfin Sauerma) Beethoven zu Stieler gekommen und habe gesagt: »Sie werden es wohl schon wissen, ich soll mich nun malen lassen.« Die Familie Brentano habe ihn dazu bestimmt. So nach Mitteilung der Frau Gräfin Sauerma.


70 Das war nicht richtig.


71 Vorher waren Brentanos erwähnt worden. Ich bemerke, daß mir die Konversationsbücher behufs Benutzung durch die Güte der Bibliotheksverwaltung in Berlin vorgelegen haben, aber von mir zurückgegeben sind. Auch Kalischer hat dieselben für diesen Zweck verwertet, s.u.


72 Nach Nohl im Besitze der Familie Stielers.


73 Im K. B. ist die Rede von jemanden, der dies Bild in Lebensgröße haben wolle. Nach Kalischer wäre das dem Zusammenhang nach der Erzherzog gewesen. Ich kann die Stelle leider nicht mehr nachvergleichen. Thayer äußert sich nicht darüber.


74 Über das Bild Stielers nehmen wir auch hier auf Frimmels Darstellung und Beurteilung Bezug (Neue Beethov. S. 259), die auch die Mitteilungen der späteren Besitzerin, Gräfin Sauerma, verwertet. [Frimmel, Beethovens äußere Erscheinung, München und Leipzig 1905. S. 88 fg. Diese neueste Schrift Frimmels ist mir erst während des Drucks zugegangen.] Vgl. auch hier den bereits oben erwähnten Aufsatz Kalischers, welcher (wie Frimmel) das Originalgemälde gesehen und auch die Äußerungen im Konversationsheft verwertet hat. Wir machen auf seine Beschreibung des Bildes aufmerksam, und lassen sein Urteil folgen.


75 Mir steht nur die Einsicht der Nachbildung der Berliner photographischen Gesellschaft zu Gebote. Auch verdanke ich der Freundlichkeit der Frau Gräfin Sauerma einige Mitteilungen über das Bild.


76 Auf dem Originalbilde hat übrigens Beethoven nach der Mitteilung der Gräfin Sauerma (Frimmel S. 262) eine blühende Gesichtsfarbe. Das Original, schreibt Kalischer, »macht mit nichten den Eindruck des Schwächlichen und Hinfälligen.« Und an einer anderen Stelle: »Das Gesicht, obwohl auch hier mit gesundester Gesichtsfarbe begabt, erscheint doch lange nicht so voll und rüstig wie bei Schimon.«


77 Vgl. G. v. Breuning aus dem Schwarzspanierhause S. 72. Frd. Hiller, der Beethoven in seinen letzten Tagen sah, schreibt (aus den Tonleben N. F. S. 17): »Die Lithographie nach dem Bilde Stielers giebt eine getreue Anschauung von seinem damaligen leidenden Aussehen; dieser leidende Ausdruck war eben wesentlich durch die Nachbildungen hineingekommen.«


78 Tuchlauben 598, später 558, dann 16. Die Frau Baumgarten – es ist doch wohl dieselbe – wird auch in den Konversationen von 1820 erwähnt. Auch sie hatte einen Knaben in Blöchlingers Institut.


79 Thayer hatte Abschrift nach dem Original bei Artaria. Der Brief ist schon mitgeteilt von Nohl Br. B. Nr. 232, doch ungenau.


80 Dieser Brief mit Bleistiftbemerkungen Beethovens, im Besitze des Herrn Dr. Miller Ritter v. Aichholz in Wien, wurde in der Neuen Freien Presse 1900 17. August veröffentlicht. Die äußere Adresse lautet: A Monsieur Monsieur Louis van Beethoven, docteur de la musique et compositeur très renommé etc. etc.


81 Diese 3 Ouverturen können nur gewesen sein die zu den Ruinen von Athen, zu König Stephan und Op. 115, welche alle, aber nicht sogleich, bei Steiner erschienen.


82 Steiners Verhalten war auch weiterhin nicht eben freundschaftlich; wir nehmen schon hier Bezug auf die später folgenden Briefe an Peters.


83 Dieser Brief befindet sich im Besitze des HerrnDr. v. Brentano in Offenbach, durch dessen Güte ich eine Abschrift erhielt.


84 Wir geben ihn, nach Thayer, englisch, um die Farbe nicht zu verwischen.


85 Nach Gardiners früher gegebenen Erzählung muß es früher gewesen sein.


86 Wir nehmen Bezug auf Bd. III S. 114.


87 Thayer las Aßmayr, Ohmayr ist aber ganz deutlich. Derselbe ist aber unter den musikalischen Persönlichkeiten der Zeit nicht nachzuweisen, während Aßmayr allerdings bekannter Musiker war und in späterer, nachbeethovenscher Zeit zu einflußreichen Stellungen gelangte. – Die neue Ouvertüre wurde in den Abendunterhaltungen von Moscheles, Giuliani und Mayseder am 16. und 23. April 1818 aufgeführt. Notteb., handschr. Notiz zu Thayers Verz.


88 Im Konv. B. aus dieser Zeit erzählt jemand Beethoven: »H. v. Giannatasio war heut auch mit seinen Töchtern da – – – der Schmerling, der die Giannatasio geheirathet hat, ist nun taub.« Es ist aber ungewiß, was für ein Konzert hier gemeint ist, denn vorher wird die C moll-Symphonie genannt.


89 Vgl. über dieselben Hanslick, Gesch. des Concertwesens in Wien S. 185 fg. Der Name bedeutet geistliche Konzerte, weil sie ihren Ausgang von der Kirche nahmen.


90 Letztere Aufführung war am 13. April 1821, nach dem Tagebuche des Fräulein Giannatasio. – Im Unterhaltungsbuch von 1820 erzählt man einmal Beethoven von mangelhaften Aufführungen und Abkürzung Beethovenscher Symphonien, was hierher bezogen werden kann.


91 Joseph Hüttenbrenner schreibt: »Daß B. seit 1816 keinem Privat-Concert beiwohnte [Schindler II S. 175] ist unrichtig. B. besuchte die Concerts spirituels in den 820er Jahren, ich bediente ihn in einem derselben mit einem Programm u. Texte.«


92 Seyfried Studien Anh. S. 36. Nach ihm Nohl Br. B. Nr. 234. Orig. jetzt im Besitze des Beethovenhauses in Bonn. Solche Wortspiele mit Namen liebte bekanntlich Beethoven. In einem Konversationsheft schreibt jemand den Namen Gebauer, Beethoven schreibt gleich eigenhändig darunter: Geh' Bauer.


93 Hanslick Concertw. S. 223.


94 J. Czerny im K. B. »Ich werde ihr die Stunde geben um 3 Uhr; jedoch gehe ich nun 2mal nach Hernals und zu Blahetka. Wenn Sie aber für Ihren Kleinen 3 Stunden wünschen, so muß ich zum 3ten Mal extra kommen.« Er war verstimmt, daß er trotz des guten Ertrages des Konzerts der Blahetka nicht einmal ein Dankeswort für seine Mühen erhalten habe. Auch erzählt er Beethoven von seiner »zweiten Blahetka«, der gleichfalls sehr talentvollen ebenfalls 8jährigen Fanny Sallamon, die auch außer den gewöhnlichen Bravoursachen Beethovens Kompositionen spiele.


95 Auch ein rheumatisches Fieber wird unter seinen Krankheiten genannt, Kannes Musikzeitung 1821 10. Jan.


96 Wo er in der Rathhausgasse wohnte, vgl. Rollett, Beethoven in Baden. S. 7.


97 Köchel Nr. 56.


98 Köchel Nr. 57. Nohl N. Br. S. 195.


99 Vgl. Bd. III S. 328. Die Quittung nach der Abschrift bei Thayer.


100 Dieser Brief, früher im Brentanoschen Nachlaß, befindet sich jetzt in den Sammlungen des Vereins »Beethovenhaus« in Bonn.


101 Das in › ‹Eingeschlossene ist unten auf dem Rande beigefügt.


102 Mutmaßlich einen Brief von Simrock, was die folgende Bemerkung über das Honorar nahe legt.


103 Sonate Op. 109. Davon wird sogleich die Rede sein. Die Dedikation war von einem Briefe vom 6. Dezember begleitet s.u.


104 Thayer ein krit. Beitr. S. 15. Dort sagt er 1822 oder 1823. Nach Thayers Mitteilung in seinen Aufzeichnungen erzählte Höfel, daß sich die Sache 1 oder 2 Jahre nach Erlangung seiner Stellung in W.-Neustadt (1820) zugetragen habe. Also 1821 oder 1822.


105 Das war derselbe, der für Artaria das Bild Beethovens von Letronne gestochen hatte.


106 Der Brief war in Haslingers Besitz und folgt hier nach der Abschrift Thayers nach Nottebohm, welcher ihn bereits in der Allg. Mus. Ztg. 1863 S. 727 fg. veröffentlicht hatte. Nach ihm Nohl Br. B Nr. 233.


107 Br. u. H. Gesamtausgabe Serie 16 Nr. 153–155.


108 Das bezeugt auch Schindler in einem Zusatz zu Czernys Bemerkungen bei O. Jahn: »Ich ging bei Beeth. aus und ein als er Op. 110 u. 111 geschrieben, das war 1820 u. 1821. Von Op. 109 habe ich nichts gehört und gesehn, als die fertige Composition.«


109 Vgl über alles Nottebohm II. Beethov. S. 460 fg.


110 Nottebohm handschr. Zusatz zu Thayers Verz. Nr. 227.


111 Diesen Brief teilte Frimmel in der Zeitschrift »an der schönen blauen Donau«, die mir nicht zur Verfügung steht, mit; ich entnahm ihn dem Ausschnitte in Thayers Nachlaß. Ce ist wohl derselbe, den Kalischer S. 61 erwähnt, der 1888 als das Jahr der Veröffentlichung angibt.


112 Franz Ser. Lauska, namhafter Klavierspieler und Komponist, geb. 1764 in Brünn, lebte in Berlin, wo er 1825 starb. 1804 war er Schüler Albrechtsbergers in Wien, wo er vermutlich mit Beethoven bekannt wurde. (Nach Frimmel und Gerber.)


113 Daß hier die Sonate Op. 109 gemeint war, gebt daraus hervor, daß die beiden Op. 110 u. 111, wie gleich erhellen wird, noch nicht fertig waren.


114 Wohl sicher Op. 110.


115 Dies bezieht sich auf die Sammlung der Schottischen Lieder Op. 108, welche Ende 1821 ebenfalls bei Schlesinger erschienen. Auf dem Manuskript eines Teiles derselben (fr. bei Artaria) steht von Beethovens Hand (1815): »Namen der Dichter und Titel muß nachgeschickt werden an Schlesinger.«


116 Die Adresse hatte Beethoven nur begonnen, ein anderer hat sie vollendet. Bei Schlesinger erhielt dann der Brief die Aufschrift: »Wien d. 7. Juni 21, L. v. Beethoven, beantw. d. 7. July 21.«


117 Mitgeteilt nach Nohl (N. Ztschr. 1870 S. 375) von Frimmel N. B. S. 123. Den Brief besaß Buchhändler Leibrock in Braunschweig.


118 Abgedruckt in dem Katalog der Beethoven-Ausstellung von 1890 S. 67, danach bei Kalischer S. 175. An der erstgenannten Stelle findet sich noch folgendes Brieffragment an Schlesinger vom 7. März 1821:

... »was aber die sonate anbelangt, die sie nun schon längst haben müssen, So ersuche sie folgenden Titel nebst Dedication beyzusetzen, nemlich


Sonate für das

Hammerklavier

verfaßt u.

dem Fräulein Maximiliana Brentano

gewidmet von Ludwig van Beethoven

109tes


wollen sie die Jahrzal noch beyfügen, wie ich es oft erwünscht, aber nie ein Verleger hat thun wollen? – ...«

Das Autograph der Sonate verblieb Schlesinger.


119 Das Autograph besaß früher Artaria, dann Dr. Prieger in Bonn, jetzt, wie wir glauben, die Königl. Bibliothek in Berlin. Eine revidierte Abschrift, früher in J. Brahms Besitz, trug wieder die Aufschrift: »Sonate für das Hammerklavier von Ludwig van Beethoven«; er persönlich wollte also diese Bezeichnung beibehalten.


120 Nottebohm II. Beethov. S. 465. 471.


121 In einem später zu erwähnenden Briefe vom 5. Juni 1822.


122 Köchel Nr. 60.


123 In dem Briefe bei Frimmel Neue Beethov. S. 127. Der Brief kann erst nach dem April 1823 geschrieben sein, nicht wie Fr. glaubte schon im Oktober 1822.


124 In dem in Berlin befindlichen Briefe, welchen Kalischer (S. 131) mitteilt. Bei Nohl (Br. B. Nr. 255) steht er unvollständig, auch die demselben nebenstehend entnommene, auf unsern Gegenstand bezügliche Bemerkung. Der Brief dürfte ins Jahr 1823 fallen, in welchem der Nachdruck Cappis erfolgte. Übrigens ging die Ausgabe von Cappi und Diabelli später ein, da Diabelli sein Verlagsrecht reklamierte.


125 Schindler B. II S. 3.


126 Der weitere Inhalt des Briefes bezieht sich auf die Messe und kommt daher später Kap. 5 zur Erwähnung. Den Brief habe ich abschriftlich in Thayers Materialien nach O. Jahn. Gedruckt ist er jetzt bei Kalischer S. 59.


127 Die drei Sonaten behandelt eingehend Nagel: Beethoven und seine Klariersonaten Bd. II S. 310 fg.


128 Das deutet Beethoven in der Ausarbeitung durch die Viertelstriche an, wie es schon in einem Konversationsbuche vom April 1820 geschieht, wo von seiner Hand folgendes steht:


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

Das ist auch für die Zeitbestimmung wichtig.Die Schreibweise des Anfangs von Op. 109 soll nicht eine einfachere Melodiegrundlage herausheben, sondern andeuten, daß der Vorschlagston liegen bleibt, also s.v.w.:


129 Hier ist eine Stelle, wo Reineckes Klage wegen der weit getrennten Tonlage der beiden Hände Berechtigung haben möchte.


130 Über eine Verzierung im 6. Takt vgl. Nottebohm Beethoveniana (I) S. 35, welcher aus den Skizzen dartut, daß Beethoven den Doppelschlag nicht vor der Note (wie gedruckt ist), sondern auf dem 3. Taktviertel gespielt haben wollte.


131 Eine auffallende Übereinstimmung mit einem Thema in der G dur-Sonate Op. 30 hebt Reinecke hervor.


132 Vielleicht eine Erinnerung an ehemaliges Spiel auf dem Clavichord, auf welchem sich dergleichen ausführen ließ, vgl. Frimmel Neue Beethov. S. 26.Nicht auf Frimmel sondern auf Hans von Bülow ist zu verweisen bezüglich der vermeintlichen »Bebungen« in Op. 69, Op 110 und vor allen auch Op. 106. Vgl. aber meine Erkärung derselben in meiner Ausgabe Bd. III. Seite 145.


133 Nottebohm stellt (II. Beeth. S. 467, 468) aus den Skizzen fest, daß dieses Thema anfange für einen dritten Satz geplant war und auch nach Feststellung seiner jetzigen Bestimmung zunächst fugiert behandelt werden sollte. – Von Interesse ist, daß Beethoven dieses Thema schon 20 Jahre früher in einem Skizzenbuche, neben dem Entwurfe zur A dur-Sonate Op. 30, aufgezeichnet hat (Nottebohm, im Skizzenbuch von Beethoven S. 19, 41). Dort steht es in Fis moll. Vielleicht war es also für diese Sonate bestimmt.


134 Nagel (II S. 384) faßt diese Stelle als »zweites Thema« auf.


135 Das Thema war, wie Nottebohm aus den Skizzen zeigt, anfangs noch einfacher gedacht, als es jetzt erscheint; die zart beschwichtigende Figur:


4. Kapitel. Die Jahre 1820 und 1821

ist Beethoven erst, während er an den Variationen arbeitete, aufgegangen und als gestaltend verwendet worden. Nott. S. 470.


136 Beethoven hatte nach den Skizzen allerdings die Sonate anfangs ganz andere geplant (Notteb. S. 466 fg.); ehe das Thema der Variationen auftaucht, scheint er an eine dreisätzige Sonate gedacht zu haben, in welcher das jetzige Thema des ersten Satzes zum 3. Satz verwendet werden sollte; also eine ganz andere geartete Entwickelung.


137 Der Gedanke an eine 4 händige Sonate wurde ihm schon in jener Zeit nahegelegt. Ein Bekannter, vielleicht Jos. Czerny, schreibt im April 1820 ins Konversationsbuch: »eine Sonate zu 4 Händen sollten Sie noch schreiben, darnach sehnen sich alle Klavierspielenden.«


138 Thayer, Chronol. Verz. Nr. 222. Aufschrift auf dem Autograph (im Bes. der K. K. Hofbibliothek in Wien), »Abendlied unter dem gestirnten Himmel von H. Goeble, in Musik gesetzt von L. v. Beethoven am 4. März 1820.« Mit drei andern Liedern (Geheimniß, Resignation, So oder so) zusammen erschien es 1821 oder 1822 bei Sauer und Loidesdorf mit der willkürlichen Opuszahl 113. Am 19. April 1820 schenkte er es der Fanny Giannatasio. In die neue Br. u. H. Gesamtausgabe ist es Serie 23 Nr. 247 aufgenommen.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1907..
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