1) Tour durch Deutschland und die Niederlande.

[31] Am 9. Juni 1763 machte sich die Familie Mozart, dießmal auch die Mutter mit eingerechnet, auf den Weg. Wolfgang, der noch in seinem siebenten Jahre stand, war allerdings mit Fähigkeiten ausgerüstet, die – in jener Zeit zumal – alle Welt in Erstaunen setzen mußten. Wir werden aus den beifolgenden Briefstellen ersehen, wie er öffentlich Clavier, Violine, ja selbst Orgel spielte, wie er mit Leichtigkeit im Gesang und Spiel extemporirte, wie er vom Blatte las und transponirte, nach der Partitur begleitete, den bezifferten Baß ausführte, und jeder Herausforderung Genüge leisten konnte. Auf dem ganzen Wege nach Paris treffen wir in seines Vaters Briefen die auffallendsten Belege von der außerordentlichen Versatilität seiner musikalischen Fähigkeiten. So schreibt er schon von Wasserburg aus, über das sie auf ihrem Wege nach München kamen:


Wasserburg, den 11. Juni 1763.


»– Um uns zu unterhalten, sind wir auf die Orgel gegangen, und ich habe dem Wolferl das Pedal erklärt. Er legte gleich stante pede Proben ab, rückte den Schemel hinweg, präambulirte stehend und trat das Pedal dazu, und zwar so, als wenn er es schon viele Monate geübt hätte. Alles gerieth in Erstaunen, und es ist eine neue Gnade Gottes, die Mancher nach vieler Mühe erst erhält.«

[31] Am 12. Junius kamen sie in München an, wo der junge Mozart beim Churfürsten ein Concert auf der Violine spielte, und »zwischen den Cadenzen aus dem Kopfe präambulirte.« Auch bei dem Herzoge Clemens ließen sich die Kinder hören, und es wird dießmal vom Vater in seinen Briefen besonders hervorgehoben, daß auch die Nannerl mit dem größten Applaus bei beiden Herrschaften gespielt. Vom Churfürsten erhielt Leopold 100, von dem Herzoge 75 Gulden.

In Augsburg, Leopolds Vaterstadt, verweilte die Familie natürlich längere Zeit, doch schien der dortige Aufenthalt seinen Zwecken nicht sehr entsprochen zu haben, denn er schreibt: »Augsburg hat mich lange aufgehalten und mir wenig genützt, weil Alles hier ungemein theuer ist. Was in die Concerte kam, waren fast durchaus Lutheraner.« Daß die Kinder jedoch daselbst einen außerordentlichen Eindruck gemacht haben, beweist eine Korrespondenz aus Augsburg in der Salzburger Zeitung vom 19. Juli, die uns Nissen mittheilt:


Augsburg, den 9. Juli.


»Vorgestern ist der Salzburgische Vice-Kapellmeister L. Mozart mit seinen zwei bewunderungswerthen Kindern von hier nach Stuttgart abgereist, um seine Reise über die größten Höfe Deutschlands nach Frankreich und England fortzusetzen. Er hat den Bewohnern seiner Vaterstadt das Vergnügen gemacht, die Wirkung der ganz außerordentlichen Gaben mit anzuhören, die der große Gott diesen zwei lieben Kleinen in so großem Maße mitgetheilt, und deren der Herr Kapellmeister sich mit so unermüdetem Fleiße als ein wahrer Vater bedient hat, um ein Mägdlein von eilf und, [32] was unglaublich ist, einen Knaben von sieben Jahren als ein Wunder unserer und voriger Zeiten auf dem Clavecin der musikalischen Welt darzustellen. Alle Kenner haben dasjenige, was ein Freund von Wien ehedem von diesen berühmten Kindern geschrieben und in den allhiesigen Intelligenz-Zettel ist eingerückt worden, so unglaublich es schien, nicht nur wahr, sondern noch weit bewunderungswerther gefunden.«

Die Familie Mozart verließ Augsburg am 6. Juli, und nahm ihren Weg über Ulm nach Stutt gart. Aber in Plochingen erfuhr der Vater, daß der Herzog von Württemberg nach seinem Jagdschlosse Grafenegg abzureisen im Begriff war. Sie begaben sich daher, ohne Stuttgart zu berühren, gleich über Cannstadt nach Ludwigsburg, um den Herzog noch anzutreffen. Allein obgleich Herzog Karl noch nicht abgereist war, gelang es ihnen doch nicht bei Hofe zu spielen9.

Leopold Mozart schreibt hierüber:


Ludwigsburg, den 11. Juli 1763.


– – – »Ich sprach mit dem Ober-Kapellmeister Jomelli und dem Ober-Jägermeister Baron Pöllnitz, an die ich [33] Briefe von dem Grafen Wolfegg hatte; allein es war nichts zu machen. Auch Herr Tomasini, der kurz zuvor hier war, kam nicht dazu, sich hören zu lassen. Zudem hat der Herzog die schöne Gewohnheit, die Künstler lange warten zu lassen, bis er sie beschenkt. Ich sehe die ganze Sache als ein Werk des Jomelli an, der sich alle Mühe gibt, die Deutschen an diesem Hofe auszurotten. Es ist ihm auch fast gelungen und wird ihm immer mehr gelingen, da er, nebst seinem Gehalte von 4000 fl., Portion für vier Pferde, Holz und Licht, einem Hause in Stuttgart und einem hier, die Gnade des Herzogs im ersten Grade besitzt. Seine Wittwe erhält 2000 fl. Pension. Ueberdieß hat er bei seiner Musik unumschränkte Macht, und das ist es, was die Musik gut macht. Wie sehr er für seine Nation eingenommen ist, können Sie daraus schließen, daß er und seine Landsleute, deren sein Haus immer voll ist, um ihm aufzuwarten, sich vernehmen ließen, es sei kaum glaublich, daß ein Kind deutscher Geburt ein solches musikalisches Genie sein, und so viel Geist und Feuer haben könne10

[34] In Ludwigsburg hörte Leopold Mozart den berühmten Violinisten Nardini, »der in der Schönheit, Reinigkeit, Gleichheit des Tones und im singbaren Geschmack von Niemanden übertroffen werden kann.«

Unverrichteter Dinge reiste die Familie Mozart über Bruchsal nach Schwetzingen, wo der Churfürst Karl Theodor von der Pfalz im Sommer residirte. Der Vater meldet über ihren dortigen Empfang:


Schwetzingen, den 29. Juli 1763.


– – »Außer der Empfehlung, die ich von Wien an den Musik-Intendanten Baron von Eberstein hatte, war ich im Besitz [35] eines eigenhändigen Briefes des Prinzen Clemens von Baiern an den Churfürsten, und der Prinz von Zweibrücken hatte uns angesagt. Gestern ward eigends unsertwegen Akademie gegeben. Sie dauerte von fünf bis neun Uhr. Ich hatte das Vergnügen, nebst guten Sängern und Sängerinnen, einen bewunderungswürdigen Flüttraversisten Wendling zu hören. Das Orchester ist ohne Widerspruch das beste in Deutschland, und lauter junge Leute, durchaus von guter Lebensart, weder Säufer noch Spieler, noch liederliche Lumpen, so daß sowohl ihre Conduite als ihre Produktionen hochzuschätzen sind. Meine Kinder haben ganz Schwetzingen in Bewegung gesetzt. Die churfürstlichen Herrschaften hatten ein unbeschreibliches Vergnügen und Alles gerieth in Verwunderung.«

Von Schwetzingen aus machte die Familie Mozart eine Spazierfahrt nach Heidelberg. In der heil. Geistkirche daselbst spielte Wolfgang die Orgel, und zwar »mit solcher Bewunderung, daß zum ewigen Andenken sein Name mit Umständen auf Befehl des Stadt-Dechants an der Orgel angeschrieben worden.« Diese Inschrift ist jetzt verschwunden, da die Orgel längst verkauft worden ist.

Ueber Mannheim und Worms gelangten sie nach Mainz. Da der Churfürst krank war, konnten sie nicht bei Hofe spielen, und mußten sich mit einem Concerte im Römischen König begnügen.

Von großem Erfolg war das Concert, das sie am 18. August in Frankfurt gaben. Höchst interessant – besonders als Einsicht in die damaligen Concertverhältnisse in deutschen Städten – ist die folgende Concertanzeige, die O. Jahn in der Sammlung von Aloys Fuchs fand, und die in unseren Zeiten kaum von einem Barnum übertroffen werden könnte.

[36] »Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der 2 Kinder des Hochfürstl. Salzburgischen Capellmeisters Hrn. Leopold Mozart in den Gemüthern aller Zuhörer erweckt, hat die bereits dreimalige Wiederholung des nur für einmal angesetzten Concerts nach sich gezogen.«

»Ja diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangen verschiedener großer Kenner und Liebhaber ist die Ursach, daß heute Dienstag den 30. August in dem Scharfischen Saal auf dem Liebfrauenberge Abends um 6 Uhr, aber ganz gewiß das letzte Concert sein wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und der Knab, der im siebenten Jahr ist, nicht nur Concerten auf dem Claveßin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der größten Meister spielen wird, sondern der Knab wird auch ein Concert auf der Violine spielen, bei Symphonien mit dem Clavier accompagniren, das Manual oder die Tastatur des Clavier mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die Claviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Accorden auf dem Clavier, oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken, Gläsern und Uhren etc. anzugeben im Stande ist, genauest benennen. Letztlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (so lange man zuhören will, und aus allen, auch den schwersten Tönen, die man ihm benennen kann) vom Kopf phantasiren, um zu zeigen, daß er auch die Art, die Orgel zu spielen versteht, die von der Art den Flügel zu spielen ganz unterschieden ist.«

Bemerkenswerth sind folgende Auszüge aus Leopold's Frankfurter Briefen: »der Wolfgangerl ist ganz außerordentlich lustig, aber auch schlimm. Die Nannerl leidet nun durch [37] den Buben nichts mehr, indem sie so spielt, daß Alles ihre Fertigkeit bewundert. Einmal auf der Reise fing der Wolfgangerl bei dem Erwachen an zu weinen. Ich fragte um die Ursache. Er antwortete: es wäre ihm so leid, die Herren Hagenauer, Wenzl, Spitzeder, Cajetan, Nazerl und andere (Salzburger) Freunde nicht zu sehen.«

Von Frankfurt aus kehrte die Mozart'sche Familie nach Mainz zurück, wo sie der Noblesse noch ein Concert gaben. Von da aus ging es nach Koblenz, wo der Baron von Walderdorf und der Graf Bergen, kaiserlicher Gesandter, bald nach ihrer Ankunft die Kinder bei der Hand zum Churfürsten von Trier führten, vor welchem sie am 18. September spielen durften, und von dem sie mit zehn Louisd'or beschenkt wurden. Aus Koblenz schreibt Leopold: »Was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen melde, daß wir, seit wir von Salzburg weg sind, schon 1068 Gulden ausgegeben haben? Doch diese Ausgaben haben Andere bezahlt. Uebrigens müssen wir zur Erhaltung unserer Gesundheit und zu meines Hofes Reputation noblement reisen. Dagegen haben wir auch keinen Umgang, als mit dem Adel und distinguirten Personen, und empfangen ausnehmende Höflichkeiten und Achtung.«

In Bonn kam kein Concert zu Statten, da der Churfürst von Köln nicht anwesend war. Zu Aachen hielt sich damals die Prinzessin Amalie, die Schwester Friedrichs des Großen, zum Behufe einer Badecour auf, »allein, schreibt Leopold, sie hat kein Geld. Wenn die Küsse, die sie meinen Kindern, zumal dem Meister Wolfgang gegeben hat, Louisd'ors wären, so hätten wir froh sein können. Aber weder der Wirth noch der Postmeister lassen sich mit Küssen abfertigen. Ihr Zureden, nicht nach [38] Paris, sondern nach Berlin zu gehen, konnte mich unmöglich bestimmen.«

In Brüssel wünschte Prinz Karl von Lothringen, Statthalter der österreichischen Niederlande, die Kinder zu hören, doch scheint es lange gedauert zu haben, bis sie vor ihm spielen konnten. Wenigstens schreibt Leopold:


Brüssel, den 17. Oktober 1763.


– – »Der Prinz Karl hat mir selbst gesagt, daß er meine Kinder hören will. Aber es hat das Ansehen, daß Nichts daraus wird. Der Prinz hat manche andere Liebhaberei, und am Ende kömmt heraus, daß es ihm am Gelde fehlt. Indessen darf ich weder abreisen, noch ein öffentliches Concert geben, sondern muß den Entschluß des Prinzen abwarten. Da wird's um die Bezahlung meiner Zeche und Reisekosten nach Paris, zu welcher letzteren ich 200 Gulden brauchen werde, schlecht aussehen. Meine Kinder haben zwar verschiedene kostbare Geschenke bekommen, die ich aber nicht zu Gelde machen will. Z.B. Wolfgang zwei magnifique Degen, von welchen der eine von dem Erzbischof von Mecheln, Grafen Frankenberg, der zweite von dem General Grafen Ferraris. Das Mädel hat niederländische Spitzen vom Erzbischof, von Andern Saloppen, Mäntel u. dgl. erhalten. Von Tabatieren, Etuis u.s.w. könnten wir bald eine Boutique errichten. Schon in Salzburg liegt eine Schachtel, die unsere peruanischen Kostbarkeiten und Schätze enthält. Aber an Gelde bin ich arm. Ich habe zwar Hoffnung, am Montage, da ein großes Concert sein wird, eine gute Beute von Louisd'ors und großen Thalern zu machen; weil man sich aber allezeit sicher stellen muß, bitte ich Sie um einen neuen Creditbrief.«

[39] Kein Wunder, daß die Einnahmen die Ausgaben nicht decken konnten. Sie hatten fünf volle Monate auf dem Wege von Salzburg nach Paris zugebracht, und in dieser langen Zeit verhältnißmäßig nur sehr wenige Conzerte geben können. Erst am 18. November kamen sie in Paris an, und auch dort hielten sie sich eine geraume Zeit – ein und zwanzig Wochen auf. Sie stiegen in dem Hotel des bayrischen Gesandten, Grafen van Eyck ab, bei dem sie während ihres Pariser Aufenthaltes wohnen durften, eine Begünstigung, die sie der Empfehlung der Familie der Gräfin verdankten, welche die Tochter des Salzburg'schen Oberstkämmerers, des Grafen Arco war11.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 31-40.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Inferno

Inferno

Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.

146 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon