4) Rückkehr in die Heimat.

[75] 1765–1766.


Wir ersehen aus der oben mitgetheilten Londoner Correspondenz, daß Leopold Mozart den Londoner Aufenthalt satt bekam, daß mit dem Reize der Neuheit das allgemeine Interesse an seinen Kindern abnahm, daß der Concertertrag kaum die täglichen Bedürfnisse mehr deckte. Ja, er wurde so verdrießlich, daß ihm selbst die englischen Sitten und Gebräuche mißfielen, und er unverholen dieselben einer scharfen Kritik unterwarf, wobei wir freilich auch seine Auffassung als eifriger Katholik in Betracht ziehen müssen. Es drängte ihn daher zur Abreise, welche am 24. Juli 1765 Statt fand. Kurz vorher hatte er dem Britischen Museum auf dessen Wunsch hin, ein Exemplar der gedruckten Sonaten Wolfgangs und einige Originalcompositionen zum Geschenke gemacht. Unter letztern befand sich ein kleiner vierstimmiger Chor auf einen englischen Text. Ohne Zweifel veranlagte ihn dazu der feierliche Chorgesang der anglikanischen Liturgie mit ihren fast durchaus im Capellastyl gesetzten Anthems, Motetten und Responsorien, die auch auf Händel einen so großen Einfluß ausübten, und gewiß auch auf Wolfgang's kindliches Gemüth – zumal wenn er sie in den ehrwürdigen Räumen der Westminsterkircke vernahm, einen lebhaft anregenden Eindruck gemacht haben müssen. Aber auch außerhalb der Kirche wurde damals, wie auch jetzt noch, der vierstimmige Gesang eifrig gepflegt und zwar, wie die Madrigals, Glees, Canons und Catches der englischen Schule beweisen, in rein polyphonischem Satze, so daß sie im Allgemeinen einen weit höheren musikalischen Werth haben, als die homophonischen Gesänge der deutschen Liedertafeln, die meist nur eine von den andern [76] Stimmen getragene volksthümliche Melodie bilden, und der eigentlichen Kunstsphäre entrückt sind. Mozart hat auch später mit Vorliebe gesellschaftliche Gesänge im Style der obenbezeichneten Gattung geschrieben, deren innerer Ursprung gewiß schon in seinem Londoner Aufenthalte zu suchen ist.

Von London aus ging die Familie nicht direkt nach Paris zurück, sondern nahm den Weg über Holland, indem der holländische Gesandte in sie drang, nach dem Haag zu gehen, wo die Prinzessin Caroline von Nassau-Weilburg die Kinder zu hören wünschte. Dieser Umweg war von manchem Mißgeschick begleitet. Vier Wochen lag Wolfgang in Lille krank, und im Haag wurde auch die Tochter von einer heftigen Krankheit befallen, die sie dem Rande des Todes nahe brachte. Bald nach ihrer Wiedergenesung wurde Wolfgang auf's neue krank, doch blieb sein Geist so thätig, daß, wie Nissen erzählt, »man ihm ein Brett auf der Bettdecke einrichten mußte, um darauf schreiben zu können; und wenn gleich die Finger der Feder den Dienst versagten, so ließ er sich doch nicht vom Spielen und Schreiben abhalten.«

Welche Theilnahme die Kinder von Seiten der Prinzessin von Nassau-Weilburg, so wie von andern hohen Personen erhalten hatte, und mit welchem Interesse seinem Concertspiele, namentlich seinem Spiel auf den weltberühmten flandrischen Orgeln gelauscht wurde, ersehen wir aus der folgenden Correspondenz seines Vaters.


Haag, den 19. September 1765.


Der holländische Gesandte in London war uns vielmals angelegen, nach dem Haag zu dem Prinzen von Oranien zu gehen, aber er hatte tauben Ohren gepredigt. Allein, nachdem wir London am 24. Juli verlassen hatten, blieben wir einen Tag in Canterbury [77] und bis zu Ende des Monats auf dem Landgute eines englischen Cavaliers. Noch am Tage unserer Abreise hatte uns der Gesandte in unserem Quartiere gesucht, fuhr bald darauf zu uns und bat uns um Alles, nach dem Haag zu gehen, indem die Prinzessin von Weilburg, Schwester des Prinzen von Oranien, eine außerordentliche Begierde hätte, dieses Kind zu sehen. Ich mußte mich um so eher entschließen, da man einer schwangern Frau Nichts abschlagen darf.

Am 1. August verließ ich England. In Calais waren die Herzogin von Montmorency und der Prinz de Croy unsere Bekanntschaften. In Lille wurde ich und Wolfgang durch Krankheit vier Wochen aufgehalten und waren in Gent noch nicht recht hergestellt. Hier spielte Wolfgang auf der großen neuen Orgel bei den P.P. Bernhardinern, so wie in Antwerpen auf der großen Orgel in der Kathedralkirche.

Im Haag sind wir nun acht Tage. Wir waren zwei Mal bei der Prinzessin und ein Mal bei dem Prinzen von Oranien, der uns mit seiner Equipage bedienen ließ. Nun war meine Tochter krank geworden. Wenn sie besser ist, sollen wir wieder zum Prinzen und zu der Prinzessin von W. und zu dem Herzog von Wolfenbüttel.

Die Reise ist bezahlt; wer nun aber die Rückreise bezahlt, muß ich erst sehen.

Meine Frau läßt Sie bitten, sechs heilige Messen lesen zu lassen, nämlich drei bei dem heiligen Johann von Nep. in der Pfarre, eine zu Maria-Plaint, eine zu Loretto bei dem heiligen Kindel und eine zu Ehren der heiligen Walpurgis, wo Sie wollen. – – – –

[78] Haag, den 5. November 1765.


Ich mußte wider meine Neigung nach Holland gehen, um da, wo nicht gar meine arme Tochter zu verlieren, doch schon fast in den letzten Zügen liegen zu sehen. So weit war es mit ihr gediehen. Ich bereitete sie zur Resignation in den göttlichen Willen. Sie erhielt nicht nur das heilige Abendmahl, sondern auch das heilige Sacrament der letzten Oelung. Hätte Jemand die Unterredungen gehört, die ich, Frau und Tochter hatten, und wie wir letztere von der Eitelkeit der Welt, von dem glückseligen Tode der Kinder überzeugten, so würde er nicht ohne nasse Augen geblieben sein, da inzwischen Wolfgang sich in einem andern Zimmer mit seiner Musik unterhielt.

Zuletzt sandte mir die Prinzessin von W. den ehrlichen alten Professor Schwenkel zu, der die Krankheit auf eine neue Art behandelt. Sehr oft war meine Tochter nicht bei sich, weder schlafend, noch wachend, und sprach immer im Schlafe bald die eine, bald die andere Sprache, so daß wir bei aller Betrübniß manchmal lachen mußten. Dieß brachte auch den Wolfgang etwas aus seiner Traurigkeit. Nun kömmt es darauf an, ob Gott meiner Tochter die Gnade gibt, daß sie wieder zu Kräften gelangt, oder ob ein Zufall kömmt, der sie in die Ewigkeit schickt. Wir haben uns jederzeit dem göttlichen Willen überlassen, und schon ehe wir von Salzburg abgereist sind, haben wir Gott inständigst gebeten, unsere vorhabende Reise zu verhindern, oder zu segnen. Stirbt meine Tochter, so stirbt sie glückselig. Schenkt ihr Gott das Leben, so bitten wir ihn, daß er ihr seiner Zeit eben so einen unschuldigen, seligen Tod verleihen möge, als sie jetzt nehmen würde. Ich hoffe das Letztere, indem, da sie sehr schlecht war, am nämlichen Sonntage ich mit dem Evangelium sagte: »Domine descende,[79] bevor meine Tochter stirbt;« und diesen Sonntag hieß es: »die Tochter schlief, dein Glaube hat dir geholfen.« Suchen Sie nur im Evangelium, Sie werden es finden.

Nun bitte ich, wegen meiner Tochter eine heilige Messe zu Maria-Plain, eine heilige Messe bei dem heiligen Kindel zu Loretto, eine zu Ehren der heiligen Walpurgis und zwei zu Passau auf dem Mariahilf-Berge lesen zu lassen. Nun hat mein Mädel auch an die fromme Crescentia gedacht und auch ihr zu Ehren eine heilige Messe wollen lesen lassen. Allein, da wir noch nicht dergleichen zu thun befugt sind, bevor unsere Kirche in Betreff dieser frommen Person Etwas decidirt hat, so überlasse ich Ihrer Frau, mit etlichenPatribus Franciscanern ein Consistorium darüber zu halten, und die Sache so einzurichten, daß meine Tochter zufrieden gestellt, die Satzungen Gottes und unserer Kirche aber nicht beleidigt werden.

So bald die Besserung meiner Tochter mir's erlaubt, fahre ich mit Wolfgang auf etliche Tage nach Amsterdam.


Haag, den 12. December 1765.


Nun hat auch unser lieber Wolfgang einen fürchterlichen Strauß ausgestanden: er hatte ein hitziges Fieber, welches ihn mehrere Wochen sehr elend machte, Geduld! Was Gott sendet, das muß man annehmen. Jetzt kann ich also Nichts thun, als die Zeit abwarten, da seine Kräfte ihm zu reisen erlauben. Auf die Kosten ist nicht zu denken. Hole der Kukuk das Geld, wenn wir nur den Balg davon tragen. Wenn wir nicht eine ganz außerordentliche Gnade Gottes gehabt hätten, würden meine Kinder diese schweren Krankheiten und wir diese drei Monate nicht [80] haben überstehen können. Nun bitte ich Sie, folgende heilige Messen alsobald lesen zu lassen: drei bei'm heiligen Kindel zu Loretto, eine zu Maria-Plain, eine zu Passau auf dem Mariahilf-Berge, zwei bei der heiligen Anna bei den P.P. Franziscanern in der Pfarrkirche, eine zu Ehren der heiligen Walpurgis und eine zu Ehren des heiligen Vincentii Ferrery.

Die Krankheit meiner Kinder hat nicht nur uns, sondern auch unsere Freunde hier in Betrübniß gesetzt. Wer aber diese Freunde sind, kann ich nicht melden, weil man es für eine Großsprecherei halten möchte.

»Wiewohl bei unserer Anwesenheit in Amsterdam wegen der Fastenzeit alle öffentlichen Vergnügungen streng verboten waren, wurde es uns doch erlaubt, zwei Concerte zu geben, und zwar, wie die fromme und besonnene Resolution lautete, weil die Verbreitung der Wundergaben meiner Kinder zu Gottes Preis diente. Auch wurde Nichts als Wolfgangs eigene Instrumental-Musik gegeben.« – – – –

Erst nach vier Monaten hatten sich beide Kinder wieder erholt, und Wolfgang war bald wieder im Stande, sich der Composition zu widmen. Als erste Frucht seiner Wiedergenesung finden wir sein Opus 4, welches unter folgendem Titel zu Haag erschien:


Six Sonates pour le Clavecin avec l'accompagnement de Violon, dédiées à Madame la Princesse de Nassau-Wilburg, née Princesse d'Orange, par Wolfgang Mozart, agé de neuf ans. Oeuvre IV. à la Hague, 1766.


Man hat leider bis jetzt noch nicht mit Bestimmtheit vermitteln können, welche Sonaten in der Breitkopf'schen Sammlung dieses Opus bilden.

[81] Außer diesem Opus schrieb er für die Feierlichkeit bei der Installation des Prinzen Wilhelm V. von Oranien, Bruder seiner Beschützerin, mehrere Musikstücke, darunter ein Quodlibet unter dem Titel:


Galimathias musicum, à 2 Violini, 2 Oboi, 2 Corni, Cembalo obligato, 2 Fagotti, Viola et Basso.


»Alle Instrumente, sagt Nissen, haben der Reihe nach ihr Solo und am Ende ist eine Fuge mit allen Instrumenten über einen holländischen Gesang, der Prinz Wilhelm genannt, angebracht16

Ueberdieß werden im Nissen'schen Verzeichnisse noch folgende Compositionen angeführt, die Wolfgang in Holland herausgab:


Nro. 5 und 6, Variationen für's Clavier. Haag, 1766.

Nro. 7. Fünfzehn italienische Arien, theils in London und theils im Haag componirt, 1765 und 1766.


Diese Compositionen bezeichnet jedoch der Vater als Kleinigkeiten. Ihm selbst widerfuhr jedoch die Ehre, daß man seine Violinschule in's Holländische übersetzte, und daß er sie dem Prinzen von Oranien widmen durfte.

Im Mai des Jahres 1766 verließ die Familie Mozart Holland und kehrte über Mecheln nach Paris zurück. Ueber diese Reise berichtet Leo pold:


[82] Paris, den 16 Mai 1766.


»Nachdem ich Ihnen in langer Zeit nicht geschrieben und nur durch Freunde Ihnen Nachrichten von uns gegeben habe, fange ich selbst wieder an.

Wir gingen von Amsterdam zu dem Feste des Prinzen von Oranien (am 11. März) wieder nach Haag, wo man unsern kleinen Compositeur ersuchte, sechs Sonaten für das Clavier, mit Begleitung einer Violine, für die Prinzessin von Nassau-Weilburg zu verfertigen, die auch gleich gravirt wurden. Ueberdieß mußte er zum Concert des Prinzen Etwas machen, auch für die Prinzessin Arien componiren u.s.w. Ich sende Ihnen dieses Alles, und unter andern zweierlei Variationen, die der Wolfgang über eine Arie, die zur Majorennität und Installation des Prinzen gemacht worden ist, hat verfertigen müssen, und die er über eine andere Melodie, die in Holland durchaus von Jedermann gesungen, geblasen und gepfiffen wird, in der Geschwindigkeit hingeschrieben hat. Es sind Kleinigkeiten. Ferner erhalten Sie meine Violinschule in holländische Sprache. Dieß Buch hat man in dem nämlichen Format in meinem Angesichte in's Holländische übersetzt, dem Prinzen dedicirt und zu seinem Installations-Feste überreicht. Die Edition ist ungemein schön. Der Verleger (Buchdrucker in Harlem) kam mit einer ehrfurchtsvollen Miene zu mir und händigte mir das Buch ein, in Begleitung des Organisten, der unsern Wolfgang einlud, auf der berühmten großen Orgel in Harlem zu spielen, welches auch am folgenden Morgen geschah. Diese Orgel ist ein trefflich schönes Werk von 68 Registern; Alles Zinn, weil Holz in diesem feuchten Lande nicht dauert.

Wir sind über Mecheln gereist, wo wir unsern alten Bekannten, den Erzbischof, besuchten. Hier haben wir ein von [83] unserm Freunde Mr. Grimm für uns bestelltes Quartier bezogen.

Für meine Kinder und meinen Geldbeutel wäre es zu beschwerlich, schnurgerade nach Salzburg aufzubrechen. Es wird Mancher noch Etwas zu dieser Reife bezahlen, der jetzt Nichts davon weiß.« – – – –


Ueber den Einfluß, den das Reisen an und für sich auf den jungen Wolfgang ausgeübt hat, berichtet Nissen nach einer Mittheilung von Wolfgang's Schwester, folgenden interessanten Zug: »Da die Reisen, die wir machten, ihn in so manche verschiedene Länder führten, so sann er, während wir von einem Orte zum andern zogen, sich ein Königreich aus, welches er, ich weiß nicht mehr warum, das Königreich Rücken nannte. Dieses Reich und dessen Einwohner wurden mit Allem begabt, was sie zu guten und fröhlichen Kindern machen konnte. Er war der König des Reichs. Und diese Idee haftete so in ihm, und wurde von ihm so weit verfolgt, daß unser Bedienter, der ein wenig zeichnen konnte, eine Karte davon machen mußte, wozu er ihm die Namen der Städte, Märkte und Dörfer diktirte.«

Mit solchem noch kindlichem Gemüthe betrat Wolfgang wieder die Stadt, in der er vor dritthalb Jahren schon zu so großer Berühmtheit gelangt war. Der alte Freund Grimm nahm sich auch dießmal der Familie an, hatte eine Wohnung für sie bereit, und gebrauchte seinen gewichtigen Einfluß auf's Neue. Obgleich das allgemeine Interesse dießmal nicht mehr in demselben Grade erregt werden konnte, wie beim ersten Besuch, so erhielten sie doch von Seiten des Hofes dieselbe große Aufmerksamkeit, wie die folgende kurze Notiz aus Leopold's Correspondenz zeigt:


[84] Paris, den 9. Juni 1766.


»Künftige Woche sollen wir wieder nach Versailles, wo wir vor zwölf Tagen ganzer vier Tage waren. Wir haben die Gnade gehabt, den Erbprinzen von Braunschweig bei uns zu sehen. Er ist ein sehr angenehmer, schöner, freundlicher Herr, und bei seinem Eintritte fragte er mich gleich: ob ich der Verfasser der Violinschule wäre?« – – – –

Grimm und seine Freunde waren über die Fort schritte erstaunt, welche Wolfgang inzwischen gemacht hatte, und Nissen theilt folgenden Brief mit, der wahrscheinlich Grimm selbst zum Verfasser hat, aus welchem hervorgeht, welchen Eindruck Wolfgang bei seinem zweiten Besuche in Paris hervorgebracht hatte.


Brief aus Paris 1766.

»So eben haben wir hier die beiden liebenswürdigen Kinder Herrn Mozart's, Capellmeisters bei dem Fürst-Erzbischof von Salzburg gesehen, die so vielen Beifall während ihres Aufenthalts in Paris 1764 gehabt haben. Ihr Vater ist achtzehn Monat in England und sechs Monat in Holland gewesen, und hat sie vor Kurzem hierher zurück gebracht, um von hier nach Salzburg zurück zu kehren. Ueberall, wo sich diese Kinder einige Zeit aufgehalten haben, ist nur Eine Stimme zu ihrem Vortheile gewesen und sie haben alle Kenner in Staunen gesetzt. Mademoiselle Mozart, jetzt dreizehn Jahre alt, übrigens sehr von der Natur begünstigt, hat die schönste und glänzendste Ausführung auf dem Claviere; nur ihr Bruder allein vermag die Stimme des Beifalls ihr zu rauben. Dieser wundervolle Knabe ist jetzt neun Jahre alt. Er ist fast gar nicht gewachsen; aber er hat ungeheure Fortschritte [85] in der Musik gemacht. Er hat schon vor zwei Jahren Sonaten componirt und geschrieben, er hat sechs Sonaten seitdem in London für die Königin von Großbritannien stechen lassen; sechs andere hat er in Holland für die Prinzessin von Nassau-Weilburg herausgegeben, er hat Symphonien für ein großes Orchester componirt, die aufgeführt und mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden sind. Er hat sogar mehrere italienische Arien geschrieben, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß er, noch ehe er zwölf Jahre alt ist, schon eine Oper wird haben auf irgend einem Theater Italiens spielen lassen. Er hatte Manzuoli in London einen ganzen Winter hindurch gehört, und dieses so gut benutzt, daß er, obgleich seine Stimme außerordentlich schwach ist, doch mit eben soviel Geschmack als Gefühl singt. Aber das Unbegreiflichste ist jene tiefe Kenntniß der Harmonie und ihrer geheimsten Passagen, die er im höchsten Grade besitzt, und wovon der Erbprinz von Braunschweig, der gültigste Richter in dieser Sache, so wie in vielen andern, gesagt hat, daß viele in ihrer Kunst vollendete Capellmeister stürben, ohne das gelernt zu haben, was dieser Knabe in einem Alter von neun Jahren leistet. Wir haben ihn anderthalb Stunden lang Stürme mit Musikern aushalten sehen, denen der Schweiß in großen Tropfen von der Stirne rann, und die alle Mühe hatten, sich aus der Sache zu ziehen mit einem Knaben, der den Kampf ohne Ermüdung verließ. Ich habe ihn gesehen, wie er auf der Orgel Organisten, die sich für sehr geschickt hielten, besiegte und zum Schweigen brachte. Bach nahm ihn zuweilen zwischen seine Kniee, und sie spielten so zusammen abwechselnd auf dem nämlichen Claviere zwei Stunden lang in Gegenwart des Königs und der Königin. Hier hat er die nämliche Probe mit Herrn Raupach bestanden, einem geschickten Tonkünstler, der lange in Petersburg gewesen ist, und mit großer [86] Gewandtheit phantasirt. Man könnte lange sich mit diesem besondern Phänomen unterhalten. Uebrigens ist er eines der liebenswürdigsten Wesen, die man sehen kann: in alles, was er sagt und thut, bringt er Geist und Gefühl, vereint mit der Anmuth und dem holden Wesen seines Alters. Er benimmt sogar durch seine Munterkeit die Furcht, die man hat, daß eine so frühreife Frucht vor der Zeit abfallen möchte. Bleiben diese Kinder am Leben, so werden sie nicht in Salzburg bleiben. Bald werden die Beherrscher sich um ihren Besitz streiten. Der Vater ist nicht nur ein geschickter Tonkünstler, sondern er ist auch ein Mann von Verstand und Geist, und noch nie sah ich einen Mann von seiner Kunst, der mit seinem Talente so viel Verstand verband.« – –

Sei es, daß der Urlaub des Vaters nicht mehr verlängert wurde, oder daß Leopold zur Ueberzeugung kam, daß ein längerer Aufenthalt in Paris weder in finanzieller noch instruktiver Weise von Vortheil sei, wir finden, daß die Familie Mozart schon am 9. Juli wieder Paris verließ, und über Dijon, wohin der Prinz von Condé sie wegen der Versammlung der Stände von Burgund eingeladen hatte, Lyon, Genf, Lausanne, Bern nach Zürich reiste, wo sie bei Salomon Geßner vierzehn Tage zubrachten, welcher ihr seine Werke mit folgender, von Nissen mitgetheilten Zuschrift schenkte:


»Nehmen Sie, wertheste Freunde, dieß Geschenk mit der Freundschaft, mit der ich es Ihnen gebe. Möchte es würdig sein, mein Andenken beständig bei Ihnen zu unterhalten. Genießen Sie, verehrungswurdige Eltern, noch lange die besten Früchte der Erziehung in dem Glücke Ihrer Kinder; sie seien so glücklich, als außerordentlich ihre Verdienste sind! In der zartesten Jugend sind sie die Ehre der Nation und die Bewunderung der Welt. Glückliche Eltern! Glückliche [87] Kinder! Vergessen Sie Alle nie den Freund, dessen Hochachtung und Liebe für Euch sein ganzes Leben durch so lebhaft sein werden als heute.«

Salomon Geßner.


Von der Schweiz gingen sie nach Schwaben, wo sie einige Zeit in Donaueschingen bei dem Fürsten von Fürstenberg verweilten. Von da nach Biberach, wo Wolfgang mit dem nur um zwei Jahre älteren Sixtus Bachmann einen Wettkampf auf der Orgel bestand; dann über Ulm nach München, wo sie am 8. November vom Churfürsten zur Tafel geladen wurden. Endlich gegen Ende November 1766 traf die Familie Mozart nach dreijähriger Abwesenheit wieder in Salzburg ein, »nachdem sie, wie Nissen sagt, Gewinn gehabt und Ehre genossen hatten.« Ueber die Einzelnheiten auf der Heimreise berichten folgende Stellen aus Leopold Mozart's Briefen:


München, den 10. November 1766.


– – – In Lyon blieben wir vier Wochen. In Genf, wo die Unruhen in voller Flamme waren, hielten wir aus. In Lausanne wollten wir uns nur einige Stunden aufhalten; allein bei dem Absteigen kamen die Bedienten des Prinzen Ludwig von Württemberg, der Madame d'Hermenche, des Mr. de Severy zu uns, und ich ward beredet, fünf Tage zu bleiben. Erwähnter Prinz war noch bei uns, als wir einstiegen, und ich mußte ihm, da wir schon im Wagen waren, bei dem Händedruck versprechen, ihm oft zu schreiben und von unsern Umständen Nachricht zu geben. Hier verschweige ich noch das Meiste, da ich weiß, wie verschieden die Urtheile nach Verschiedenheit der manchmal sehr schwachen Einsicht der Menschen sind. Von Lausanne nach Bern und Zürich. Am ersten Orte 8 Tage, am zweiten 14 Tage [88] geblieben. Den letzten Aufenthalt machten die zwei gelehrten Herren Geßner sehr angenehm und unsern Abschied sehr betrübt. Wir haben die Merkmale ihrer Freundschaft mit uns genommen. Von da über Winterthurn nach Schaffhausen, wo ein viertägiger Aufenthalt auch sehr angenehm war; dann nach Donaueschingen. Der Fürst empfing uns außerordentlich gnädig: wir hatten nicht nöthig, uns zu melden. Man erwartete uns schon mit Begierde, und der Musikdirektor Rath Martelli kam gleich, uns zu complimentiren und einzuladen. Wir blieben 12 Tage. In 9 Tagen war Musik von 5 bis 9 Uhr Abends: wir machten allezeit etwas Besonderes. Wäre die Jahreszeit nicht so weit vorgerückt, so hätte man uns nicht fahren lassen. Der Fürst gab mir 24 Louisd'or, und jedem meiner Kinder einen diamantenen Ring. Die Thränen flossen ihm aus den Augen, da wir uns beurlaubten: auch weinten wir Alle. Er bat mich, ihm oft zu schreiben. Dann über Möskirchen, Ulm, Günzburg und Dillingen, wo wir 2 Tage blieben, und von dem Fürsten zwei Ringe abholten. Vorgestern sind wir hier angelangt. Gestern haben wir den Churfürsten bei der Tafel besucht, und wurden gnädigst empfangen. Wolfgang mußte gleich neben Sr. Durchlaucht ein Stück auf der Tafel componiren, davon der Churfürst ihm den Anfang oder Idea von ein paar Takten vorsang. Er mußte es auch nach der Tafel im Cabinet spielen. Wie erstaunt Jedermann war, dieses zu sehen und zu hören, ist leicht zu erachten.


München, den 15. November 1766.


Um dem inständigen Verlangen des Prinzen Ludwigs von Württemberg und der Fürsten von Fürstenberg und Taxis ein [89] Genüge zu thun, müßte ich nach Regensburg gehen, aber ich muß sehen, ob die Umstände meines Sohnes, der wieder krank geworden, es erlauben werden. – – –


München, den 22. November 1766.


– – Es kömmt darauf an, daß ich zu Hause eine Existenz habe, die besonders für meine Kinder zweckgemäß ist. Gott (der für mich bösen Menschen allzugütige Gott) hat meinen Kindern solche Talente gegeben, die, ohne der Schuldigkeit des Vaters zu denken, mich reizen würden, Alles der guten Erziehung derselben aufzuopfern. Jeder Augenblick, den ich verliere, ist auf ewig verloren, und wenn ich jemals gewußt habe, wie kostbar die Zeit für die Jugend ist, so weiß ich es jetzt. Es ist Ihnen bekannt, daß meine Kinder zur Arbeit gewohnt sind: sollten sie aus Entschuldigung, daß eins oder das andere, z.B. in der Wohnung und ihrer Gelegenheit sie verhindert, sich an müßige Stunden gewöhnen, so würde mein ganzes Gebäude über den Haufen fallen. Die Gewohnheit ist ein eiserner Pfad, und Sie wissen auch selbst, wie viel mein Wolfgang noch zu lernen hat. Allein, wer weiß, was man in Salzburg mit uns vor hat! Vielleicht begegnet man uns so, daß wir ganz gern unsere Wanderbündel über den Rücken nehmen. Wenigstens bringe ich dem Vaterlande, wenn Gott will, die Kinder wieder. Will man sie nicht, so habe ich keine Schuld. Doch wird man sie nicht umsonst haben. – –

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 75-90.
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