Erster Abschnitt.

Compositionen für den katholischen Ritus.

[293] Dem Requiem hat Ulibischeff eine eingehende Analyse gewidmet, und der historischen Controverse darüber einen allzugroßen Raum zubeschieden. Wohl ist das Requiem das Meisterwerk Mozart's im Kirchenstyle, allein noch gibt es eine große Anzahl von kirchlichen Compositionen, die nicht als bloße Vorstudien zu seinem Meisterwerke betrachtet werden dürfen, sondern in Beziehung auf die vorgeschriebenen Bedürfnisse des katholischen Ritus, und auf den Typus, den solche Compositionen auszuprägen hatten, nicht nur zu den schönsten Werken ihrer Gattung gehören, sondern auch häufig solche Erhabenheit und hie und da solchen strengen Contrapunkt-Styl enthalten, daß sie einen universalen Werth beanspruchen dürfen. Es ist wahr, es haben nicht alle diese kirchlichen Werke einen gleichen Werth. Die meisten fallen in die Salzburger Zeit, in welcher er, seiner Stellung am dortigen Dome gemäß, sich in die Anschauungen und den Willen der dortigen leitenden Kräfte fügen mußte. Denn schon hatte [294] sich die weltlich-dramatische Musik durch die Verwendung der Solosänger in die Kirchen Italiens eingeschlichen und hatte den alla Capella-Styl der älteren römischen und neapolitanischen Schule verdrängt. Diese Solo-Vorträge, die sich bald nicht mehr auf das mit den Tutti abwechselnde Quartett beschränkten, arteten bald in Duette und Solo-Arien aus, und die Bewunderung des Bravour-Gesanges brachte in die Gemüther der Andächtigen eine Zerstreuung, die mit der Zeit jeder ernsteren, contrapunktischen Composition abhold wurde, und jetzt – in unseren Tagen – ist die Würde der Kirchenmusik in Italien und Frankreich dadurch so in den Staub getreten worden, daß das heilige Mysterium der Messe von den profansten Tönen – ja selbst von Donizetti'schen und Verdi'schen Opern-Arien – emporgetragen wird36. Damit verglichen sind die schwächsten Messen Mozart's noch reine Perlen, da sich auch in seinen weltlich klingenden Ariosos noch ein frommes katholisches Gemüth offenbart, während sein vierstimmiger Satz nie ganz trivial wird.

Es sind die Mozart'schen Messen von der Kunstkritik allzu stiefmütterlich behandelt worden. Man hat von protestantischer Anschauung aus allerdings die lärmenden Pauken, Trompeten und Posaunen mit ihrem punktirten Rhythmus mit Recht [295] verworfen, allein da einmal das Ceremoniell des katholischen Ritus einen äußerlichen Glanz nicht verschmäht, so suchten die Tonsetzer, durch glänzende Effekte ihre Musik zur Gipfelung des Ceremoniells zu erheben, und dem mußte sich eben Mozart, so lange er für Salzburg componirte, fügen. Daß er es ungern that, ersehen wir aus seinem Schreiben an den Pater Martini (4. Sept. 1776), in welchem er sich folgenderweise äußert: »Ich lebe hier an einem Ort, wo die Musik wenig Glück macht, obgleich hieselbst noch tüchtige Musiker und besonders tüchtige Componisten sind. Mein Vater ist Kapellmeister an der Metropolitankirche, wodurch ich Gelegenheit habe, für die Kirche zu schreiben, so viel ich will. Unsere Kirchenmusik ist sehr verschieden von der in Italien, und wird es immer mehr. Eine Messe mit dem Kyrie, Gloria, Credo, der Sonata zur Epistel, dem Offertorium oder Motetto, Sanctus und Agnus Dei, auch die feierlichste, wenn der Erzbischof selbst das Hochamt hält, darf nicht länger dauern, als höchstens drei Viertelstunden. Diese Art von Compositionen verlangt ein eigenes Studium. Und dabei muß es eine Messe mit allen Instrumenten, Trompeten und Pauken u.s.w. sein.«

Otto Jahn, welcher im ersten Bande seines ›Mozart‹ (von pag. 427–538) die Charakteristik der italienischen Kirchenmusik, ihren Einfluß auf die Musik des katholischen Deutschlands, die musikalischen Bestandtheile der Messe selbst, ihre bedingenden Stylarten für die Composition, ihren rein katholischen Charakter ausführlichst bespricht, nimmt Mo zart in Schutz gegen die Angriffe, die protestantischerseits gegen seine Kirchenmusik gerichtet wurden. Namentlich hatte Thibeaut in seinem Buche ›Ueber die Reinheit der Musik‹ – ohne alle historische Autorität – erzählt, daß Mozart unverholen über seine Messen gelächelt habe, und nochmals, wenn man eine Messe bei ihm bestellte, protestirt[296] habe, weil er nur für die Oper gemacht sei. Allein, fährt er fort, man bot ihm 100 Louisd'or und da konnte er nicht widerstehen, erklärte aber lachend, was Gutes in seinen Messen sei, das werde er nachher schon für seine Opern von dorther abholen. Hierüber bemerkt O. Jahn: »Die leichtfertige Gesinnung, welche hier Mozart in Beziehung auf Kirchencompositionen zuertheilt wird, ist ihm angedichtet. Er war in einer Ansicht über Kirchenmusik befangen, welche, wie wir das jetzt ansehen, nicht die richtige war; allein sie war ehrliche Ueberzeugung und er meinte es ernst mit der Kunst in der Kirche.«

Folgende Aeußerung Mozart's, die er bei seinem Aufenthalt in Leipzig gemacht hat, theilt uns Rochlitz mit: »Bei euch aufgeklärten Protestanten, wie ihr euch nennt, wenn ihr eure Religion im Kopfe habt, kann in dieser Einwendung etwas Wahres sein, das weiß ich nicht. Aber bei uns ist das anders. – Ihr fühlt gar nicht, was das will: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem u. dgl. Aber wenn man von frühester Kindheit an, wie ich, in das mystische Heiligthum unserer Religion eingeführt ist; wenn man da, als man noch nicht wußte, wo man mit seinen dunkeln, aber dringenden Gefühlen hinsollte, in voller Inbrunst des Herzens seinem Gottesdienst abwartete, ohne eigentlich zu wissen, was man wollte, und leichter und erhoben daraus wegging, ohne eigentlich zu wissen, was man gehabt hatte; wenn man die glücklich pries, die unter dem rührenden Agnus Dei hinknieeten und das heilige Abendmahl empfingen, und beim Empfang die Musik in sanfter Freude aus den Herzen der Knieenden sprach:Benedictus qui venit – dann ist's anders!«

Indem wir somit den Standpunkt bezeichnet haben, von welchem aus die Mozart'sche Kirchenmusik aufzufassen ist, wollen [297] wir nun zur näheren Beleuchtung derselben übergehen, und durch mehrere Beispiele zeigen, welche Perlen herrlicher Musik darin enthalten sind.

Mozart's Compositionen für die Kirche zerfallen

1) in Messen;

2) in Litaneien, Offertorien und andere kleinere Stücke.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 293-298.
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