Siebenzehntes Kapitel.

Mozart's bleibender Aufenthalt in Wien.

1781.

[131] Von diesem Augenblicke an verzichtete Mozart auf Anstellungen, die er nicht mehr suchte, und die ihn erst auf seinem Todtenbette aufsuchten, und vertauschte sein umherirrendes, abenteuerliches Leben mit der häuslichen Existenz eines angesessenen Bürgers. Er ließ sich in Wien nieder. Vermöge seines freien offenen Charakters, seines Hanges zur Geselligkeit, als ein Freund der hübschen Frauen, des guten Essens und Trinkens, mußte Mozart mit einer Bevölkerung sympathisiren, deren Hauptgeschäft das Vergnügen und das größte Vergnügen die Musik ist. Wenn man Mozart im Prater, auf dem Maskenballe als Arlequin oder Pierrot verkleidet, um ein Billard in einem Kaffeehause sich herumtreiben, in Gesellschaft von Theaterdamen, oder mit Schikaneder Champagner trinken sah, so war er in der That ein ganzer Wiener. Diese Stadt konnte aber auch ihn, den Clavier-Virtuosen und den Componisten so vieler Musikstücke, die seine Zuhörer unwiderstehlich zur Freude und Liebe einluden, eben so als den ihrigen in Anspruch nehmen. Aber so wie wir ihn später sehen werden, war in Mozart noch ein zweiter, von diesem sehr verschiedener Mensch; ein im höchsten Grade schwermüthiger Mensch, der alle Tage an den Tod dachte, welcher ganze Nächte an seinem Claviere zubrachte, und sich auf den Schwingen der Phantasie zu den unbekannten Regionen aufschwang, deren Geheimnisse nur der [132] Tod löst. Diesen andern Menschen wußte die Stadt Wien lange nicht zu begreifen, weder ihn selbst, noch seine Werke.

Abgesehen von den Sitten und dem Charakter seiner Bewohner, bot die Hauptstadt Oesterreichs einem Künstler wie Mozart noch andere, nicht weniger wünschenswerthe Annehmlichkeiten dar. Wien war der Sammelplatz aller Virtuosen Europas, sowohl wegen der gastfreien Aufnahme, die sie ihnen angedeihen ließ, als wegen der aufgeklärten und wohlwollenden Würdigung ihrer Leistungen und der zahlreichen Genüsse, die sie dort trafen. Hier war der gewöhnliche Aufenthaltsort Haydn's und Gluck's, zweier Meister, welche Mozart sich zu Vorbildern und Freunden zu machen für passender fand, als Nebenbuhler in ihnen zu erwecken. Er verstand es zu wählen. Die geographische und topographische Lage der Stadt scheint eben so sehr ganz dazu geschaffen zu sein, aus ihr den behaglichsten Aufenthaltsort für einen Musiker zu machen. Ein herrliches Klima, eine köstliche Lage, Umgebungen, welche die Natur selbst zu einer ausgedehnten und herrlichen Promenade geschaffen zu haben schien; auf einer Seite Italien, auf der andern Böhmen, das Land der Musik, wenn es eines auf der Erde gibt. Endlich besaß Wien ein italienisches Theater, für welches die berühmtesten Componisten der Zeit schrieben und dessen Poeta Metastasio, der König der Librettomacher war. Bald sollte auch eine eingeborene Truppe, reich an Talenten, der es nur an Gelegenheit, das heißt an einem Componisten fehlte, sie geltend zu machen, an den Ufern der Donau, die ersten Gesänge der nationalen Muse ertönen lassen, die bis auf Mozart nur einige schwache Melodieen, ohne Charakter und ohne Nachklang in Europa gestammelt hatte.

Aus dem Gesagten sollte man, wie der Verfasser des Lexikons der Tonkünstler, Gerber, den Schluß ziehen, daß Mozart's [133] Styl in Wien ganz natürlicher Weise jenen Grad von Popularität und Anmuth habe erlangen müssen, der ihm später in allen Herzen Eingang verschaffte. Derselbe Biograph setzt noch hinzu: »Die früheren Werke Mozart's leiden an einer gewissen Steifheit und an einem Mangel an Politur und Colorit, die sie im Vergleiche mit den neueren Werken ungenießbar machen. Sein Styl verrieth Anlagen, die aus ihm einen düstern und verwirrten Contrapunctisten hätten machen können. Wenn die gefälligen und tändelnden Musen Wiens ihn nicht bei Zeiten mit ihren Rosengewinden umstrickt hätten, so wäre er unfehlbar in die Manier von Friedeman Bach verfallen. Seine Messen, namentlich die in D und in B dur, aber mehr als diese, sein Requiem beweisen dieß ganz unumstößlich.«

Ich weiß nicht, was dieß für Mozart's Styl beweisen soll; so viel ist aber gewiß, daß es für die Ideen und die Logik des guten Gerber Etwas beweist. Es wäre also, wenn man die Behauptung glauben wollte, Idomeneo ein ungenießbares Werk, weil es vor der Zeit geschrieben wurde, in welcher Mozart seinen Wohnort verändert hatte. Das ist wohl weder ganz die Ansicht des Verfassers, noch, wie ich voraussetze, die der heutigen Musiker. Sodann, sagt man uns, wäre Mozart in Bach's Manier verfallen, wenn er nicht glücklicher Weise noch zu rechter Zeit durch die Rosengewinde umstrickt worden wäre. Um zu erweisen, daß dieß wirklich der Fall gewesen sei, citirt man das Requiem wahrscheinlich als das Werk Mozart's, in dem die ursprüngliche Neigung des Componisten, ein Nacheiferer Bach's, ein düsterer mit verwirrter Contrapunctist zu werden, sich am Stärksten ausspricht. Daraus geht klar hervor, daß die tändelnden Musen Wiens allein seinen Fall verhütet haben, denn in Wien war es, und zwar gegen Ende seines Verweilens selbst und überhaupt auf [134] Erden, daß er sein Requiem componirte. Welch herrlicher und des Eingangs würdiger Schluß!

Mozart, der in einem Alter von vierundzwanzig Jahren sich in Wien niedergelassen, hatte von dieser Zeit an in der Composition ungeheure Fortschritte gemacht, was Niemand in Abrede ziehen wird; aber es hieße doch dem Unterrichte der Wiener Musen zu viele Ehre erweisen, wenn man diese Fortschritte ihnen zuschreiben wollte. Ja wir dürfen es sogar als ganz zuversichtlich annehmen, daß der Mozart'sche und der Wiener Styl in fortwährendem Streite lagen. Zur Begründung dieser Behauptung braucht man bloß sich zu erinnern, daß die vorzüglichsten dramatischen Werke Mozart's, Figaro, Don Juan und Così fan tutte in Wien durchaus nicht durchdrangen und mehr bekrittelt als gelobt wurden, daß man von seinen Violin-Quartetten sagte, sie wimmeln von Fehlern, daß seine herrlichsten Symphonien fast unbeachtet blieben, und daß endlich der außerordentliche Erfolg der Zauberflöte die Folge einiger Concessionen gegen das Wiener Publikum war, zu denen sich Mozart in seinem eigenen Interesse nie verstanden hätte, die er aber notorisch einem zu Grunde gerichteten Theaterunternehmer zu Liebe machte.

Wenn ein Musiker ohne Anstellung ist, so muß er privatisiren, und so privatisirte Mozart in Wien. Das will so viel heißen, als, er trieb, um leben zu können, Alles, was ein Musiker treiben kann; dabei nehmen wir den Ausdruck Musiker in der weitesten Bedeutung des Wortes, der sich eben sowohl auf den Künstler und den erhabenen Maestro, als auf den elendesten Hudler anwenden läßt, der von einem Tage zum andern von dem lebt, was der Zufall ihm abwirft. So gab Mozart Akademieen (öffentliche Conzerte) und Lectionen auf dem Piano für einen Thaler; er machte Opern, gab Sonaten auf Subscription heraus, [135] und arbeitete für Musikalienhändler gegen ein bestimmtes Honorar für die Seite; nahm jede Bestellung, die ihm zukam, an: italienische Arien, deutsche Lieder auf gegebene Texte, Symphonien oder Stückchen für Spieluhren, Requiems oder Contretänze, Alles bunt durch einander. Häufige Einladungen zu musikalischen Abenden bei dem Adel endlich vermehrten ebenfalls seine Einnahmen durch die Geschenke an Geld und Pretiosen, die er dort davontrug. Man weiß nicht, wie hoch sich im Ganzen seine Einnahmen belaufen haben dürften, aber so viel weiß man ganz sicher, daß sie dem unermüdlichen Künstler nie ausreichten; der eben so unermüdlich in der Arbeit, als, wie wir vielleicht wohl sagen dürfen, in seinen Ausgaben war.

Gegen Ende des Jahres kam der Großfürst Paul von Rußland, unter dem Namen eines Grafen von Norden, mit seiner Gemahlin, der Großfürstin Maria, nach Wien. Wohin die hohen Reisenden kamen, suchte man sie mit dem, was jedes Land Eigenthümliches und Ausgezeichnetes zu bieten vermochte, zu unterhalten, und so konnte es nicht fehlen, daß in Wien, wo es nichts Nationaleres als die Musik gibt, Kaiser Joseph sie mit einem Wettkampfe der Künstler zu beehren suchte, einem Kampfe auf Leben und Tod, in des Wortes vollster Bedeutung, welcher, nach den den Kämpfern auferlegten Bedingungen, nur mit dem Tode des einen oder des andern endigen konnte. Die Kämpen waren Mozart und Clementi16, der zehn Jahre älter als er war. Ein Brief an Leopold Mozart vom 26. Dez. 1781 enthält die Einzelnheiten über diesen merkwürdigen Zweikampf zwischen [136] den beiden größten Pianisten ihrer Zeit. »Der Kaiser that bei dem Conzert (nachdem wir uns genug Complimente machten) den Ausspruch, daß Er (Clementi) zu spielen anfangen sollte. La santa chiesa catholica, sagte der Kaiser, weil Clementi ein Römer ist. – Er präludirte und spielte eine Sonate. – Dann sagte der Kaiser zu mir: Allons, d'rauf los! – Ich präludirte auch und spielte Variationen. – Dann gab die Großfürstin Sonaten von Paisiello (miserabel von seiner Hand geschrieben) her, daraus mußte ich die Allegro, und er die Andante und Rondo spielen. – Dann nahmen wir ein Thema daraus und führten es auf zwei Pianoforten aus. – Merkwürdig ist dabei, daß ich für mich das Pianoforte der Gräfin Thun17 geliehen, ich aber nur, als ich allein gespielt, darauf gespielt habe, weil es der Kaiser so gewollt hat. – Das andere Pianoforte war verstimmt und drei Tasten blieben stecken. – ›Es thut nichts,‹ sagte der Kaiser. Ich nehme es so, und zwar von der besten Seite, daß nämlich der Kaiser meine Kunst und Wissenschaft in der Musik schon kennt, und mir den Fremden recht hat verkosten wollen. Uebrigens weiß ich von sehr guter Hand, daß er recht zufrieden war, denn der Kaiser war sehr gnädig gegen mich, und hat Vieles heimlich mit mir gesprochen.« Mozart's Urtheil über Clementi scheint mehr scharf als unparteiisch zu sein. Er sagt nämlich: »Er ist ein braver Cembalist, damit ist aber auch Alles gesagt. – Er hat sehr viele Fertigkeit in der rechten Hand, – – seine Hauptpassagen sind die Terzen, übrigens hat er um keinen Kreuzer weder Geschmack noch Empfindung, ein bloßer Mechanicus.« Entweder hatte Clementi damals noch nicht den hohen Grad von Meisterschaft sich angeeignet, die ihm nachher die gerechte Bewunderung [137] der Kenner in Frankreich und England erwarb, oder erkannte sich Mozart, dessen Gewohnheit es war, Alles nach sich zu bemessen, als seinem Gegner für überlegen an, in den Eigenschaften, die er bei einem Künstler für die wesentlichsten hielt, nämlich: Geschmack, Methode, Ausdruck und gleiche Stärke in beiden Händen. Daß aber der erklärte Bewunderer Gluck's und Haydn's auf Clementi eifersüchtig gewesen sein sollte, vermag ich nicht zu glauben. Hören wir, was die Zeitgenossen unseres Heros über sein Spiel sagten, und was vielleicht noch einige Kenner sagen, die ihn gehört haben: »Eine unglaubliche Fertigkeit, namentlich in der linken Hand, eine ausnehmende Zartheit, den herrlichsten, sprechendsten Ausdruck und ein Gefühl, das zum Herzen drang, das waren die Eigenschaften, welche Mozart's Spiel auszeichneten, und welche, verbunden mit dem Reichthume seiner Ideen, der Erhabenheit seiner Composition, seine Zuhörer hinreißen mußten, und aus ihm den ersten Clavierspieler seines Jahrhunderts machten.« Fügte man hiezu noch die Gabe des Improvisirens, das vielleicht kein Musiker, nach dem Zeugnisse eben dieser Zeitgenossen, in so hohem Grade besaß, so wird man finden, daß er mehr als eine Saite auf seinem Bogen hatte, und daß Mozart als Componist und Improvisator stets den Sieg entschieden hätte, wenn man auch dem Künstler Mozart denselben streitig gemacht hätte. Wie hätte sich also Clementi ihm gegenüber halten können, als beide dasselbe Thema aus dem Kopfe und zwar abwechselnd zu variiren hatten. Trotz der Ueberlegenheit der Waffen mußtest du, armer römischer Athlet, im Kampfe unterliegen; der Kasten deines Piano's dient dir zum Grabe, und ich glaube, daß die Erde dir leicht war18.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 131-138.
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