1. Sippe: Lachse (Salmo)

[212] Lachse im engeren Sinne (Salmo) nennen wir diejenigen Arten der Familie, welche die denkbar edelste Fischgestalt haben, mit kleinen Schuppen bekleidet sind, in dem bis unter das Auge gespaltenen Maule ein wohl entwickeltes Gebiß zeigen, welches aus kegelförmigen, auf beide Kiefer der Ober- und Unterseite, Gaumen- und Pflugscharbein, selbst die Zunge, vertheilten Zähnen besteht, und eine kurze, durch weniger als vierzehn Strahlen gespannte Afterflosse besitzen.

[212] Keine andere Fischgruppe verursacht dem Kundigen so viele Schwierigkeiten, die einzelnen Arten zu bestimmen und über die Lebensweise ins klare zu kommen, wie die der Lachse. Geschlecht und Alter, Aufenthalt und Nahrung, Fortpflanzungstrieb und Krankheit beeinflussen gerade diese Fische in ungewöhnlichem Grade; ihre Neigung, mit anderen Arten zu laichen, ihre Fähigkeit, Blendlinge zu erzielen, welche vielleicht, um nicht zu sagen, wahrscheinlich, wiederum unter sich oder mit einer der Stammarten fruchtbar sind, tragen nicht minder dazu bei, Formen zu erzielen, welche vollste Sachkenntnis erfordern, um die Art zu begrenzen. Aus diesen Gründen herrscht noch gegenwärtig, trotz des in Beziehung auf die Lachsarten fast überreichen Schriftthums, außergewöhnliche Verwirrung unter Kundigen und Laien, Forschern und Fischern. Färbung und Zeichnung, selbst die Gestalt einzelner Leibestheile, welche man für unveränderlich halten möchte, ändern je nach Geschlecht, Alter, Jahreszeit, Aufenthalt und Nahrung erheblich ab; die Verhältnisse der einzelnen Leibestheile sind ebensowenig beständig wie Größe und Gewicht. Nicht allein die Anzahl der Zähne schwankt, sondern auch die Kiefer erleiden Veränderungen, wie sie bei anderen Fischen nimmermehr vorkommen; die Flossen bewahrheiten dieselbe Unbeständigkeit hinsichtlich der Anzahl ihrer Strahlen wie bezüglich ihrer Gestalt; die Schuppen sind bald größer, bald kleiner; die Haut ist wesentlichem Wechsel unterworfen; nicht einmal die Anzahl der Wirbel steht unwandelbar fest. So darf es nicht verwundern, daß die Auffassungen verschiedener Fischkundigen weit auseinander gehen, daß, wie Siebold hervorhebt, selbst ausgezeichnete Forscher in dieser Beziehung ihre Ansichten wechselten und bald eine geringere, bald eine größere Anzahl von Lachsarten aufstellten. »Indem ich mich«, sagt Siebold wörtlich, »zu der Ansicht hinneige, daß die wenigen in Europa einheimischen Lachsarten je nach ihrer verschiedenen geographischen Vertheilung außerordentlich abändern, muß ich bekennen, daß Agassiz gewiß der Wahrheit sehr nahe getreten war, als er den Satz aussprach, daß die bezahnten Lachsfische des europäischen Festlandes, von denen jedes Land Europas besondere Arten besitzen soll, sich nur auf sechs Arten beschränken. Die Widersprüche, welche über die Abgrenzung der europäischen Lachsarten unter den Fischkundigen bis heute noch bestehen, erregen jedenfalls den Verdacht, daß die Lachsarten, namentlich die Lachsformen der nordeuropäischen Gewässer, noch nicht klar erkannt worden sind.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 212-213.
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