Krätzmilbe des Menschen (Sarcoptes hominis)

[690] Jahrhunderte lang waren die Gelehrten und unter ihnen besonders die Aerzte getheilter Ansicht über das Wesen jener lästigen und zum Theil ekelhaften Hautkrankheit, deren Name »Krätze« überall einen unangenehmen Klang hat. Seitdem die mancherlei Hautkrankheiten richtiger unterschieden und ihre Ursachen gründlicher erforscht worden sind, hat sich unzweifelhaft herausgestellt, daß die Krätze durch das Wühlen von Milben in der Oberhaut entsteht und daher niemals von selbst, sondern durch unmittelbare Ansteckung von außen oder durch von Kleidungsstücken, Betten usw. vermittelte Uebertragung von Krätzmilben oder deren Eiern zum Ausbruche kommen kann. Das Thier nun, welches beim Menschen die genannte Krankheit verursacht, heißt die Krätzmilbe des Menschen (Sarcoptes hominis), wenigstens verdient dieser von Raspail eingeführte wissenschaftliche, neuere Name den Vorzug vor dem älteren: Acarus scabiei des Fabricius, weil die unzureichende Beschreibung dieses letzteren Entomologen zweifelhaft läßt, ob er wirklich das in Rede stehende Thier vor sich gehabt habe oder ein anderes, sehr ähnliches, deren es noch mehrere gibt.

Die Krätze zeigt sich als zerstreute, doch meist auf einzelne Körpertheile mit dünner Oberhaut, wie Handgelenk, Elnbogen, Knie usw. beschränkte, linienförmige Erhöhungen (Gänge), deren jede für sich von einem gereizten Punkte ausgeht, und die sich in ihrer Gesammtheit je nach der verschiedenen Empfänglichkeit des Behafteten und der Hautgegend als Punkt, Wärzchen, Bläschen oder Pustel zeigen. Wenn nämlich die Krätzmilben auf die Haut gebracht werden, so bohren sie sich mehr oder weniger schräg durch eine Hautfurche oder neben einem Haare ein und geben dabei eine scharfe Flüssigkeit von sich, welche durch ihren Reiz die erwähnten Punkte, Bläschen usw. erzeugt. [690] In diesen Anfängen der Krätze findet man keine Milben, weil sie sich entweder schon tiefer gegraben oder bereits schon wieder entfernt haben; denn alle jungen Milben, die Männchen sowohl, wie die unbefruchteten Weibchen, führen ein sehr umherschweifendes Leben und verlassen ihre Gänge schnell wieder, um neue zu graben. Sie sind es vorzugsweise, welche das unerträgliche Jucken veranlassen. Dagegen fertigen die befruchteten Weibchen längere Gallerien (Nestgänge), welche sie nicht wieder verlassen; sie setzen in diesen ihre Eier ab und werden todt in dem geschlossenen Ende des Ganges gefunden. Ebensowenig wie in den Anfängen des Krätzeausschlages finden sich, wenigstens der Regel nach, die Milben in den Schuppen und Krusten (Schorfen), und in diesen beiden Umständen ist der Grund davon zu suchen, daß man sie so lange nicht als Urheber der Krankheit anerkennen wollte.

In der angegebenen Weise verhält es sich mit der gewöhnlichen, beim Menschen vorkommenden Krätze, welche da, wo die Verhältnisse der Bevölkerung besser sind, wegen der Beschwerlichkeit der Leiden, nicht lange auf ärztliche Hülfe zu warten braucht. Indeß auch im Falle der Vernachlässigung erreicht sie nur eine bestimmte Höhe, indem ein zu sehr gesteigerter Hautreiz den Thieren nicht zusagt und eine starke Vermehrung derselben wenig begünstigt, so daß Menschen angetroffen worden sind, welche Jahre lang die Krätze gehabt haben, ohne daß diese einen wesentlich anderen, als den gewöhnlichen Charakter angenommen hatte. Wenn sich dagegen die Milben unter besonders günstigen Umständen befinden, und die Haut infolge ihrer Beschaffenheit weniger gereizt wird, vielleicht die übrige Körperkonstitution unempfänglicher gegen die Hautthätigkeit ist und so das Treiben der Thiere monatelang und länger durch keine Behandlung gestört worden ist, so vermehren sie sich in das Unglaubliche. Die zahlreichen, schnell auf einander folgenden Bruten finden zum Anlegen ihrer Nestgänge an den Stellen, welche sonst vorzugsweise dazu benutzt werden, keinen Platz mehr und sind dann genöthigt, sie auch an den übrigen, für gewöhnlich verschont bleibenden Körpertheilen anzubringen. Durch den beständigen Reiz, welchen sie auf die Haut ausüben, erzeugen die Milben zugleich eine außergewöhnlich schnelle Neubildung der Oberhautelemente, während deren ältere, von zahlreichen kurzen Gallerien und Löchern durchzogene Schichten mit den abgestorbenen Stammüttern jüngerer Bruten abgestoßen werden, aber an den unterliegenden Schichten mittels der durch die poröse Masse von unten durchsickernden Feuchtigkeit hängen bleiben. In dieser Schorfbildung sowie in der größeren Ausbreitung über den Körper liegt der Charakter der bei weitem selteneren, aber auch bösartigeren »Schorfkrätze«, einer Form, wie sie, jedoch wieder von anderen Milben veranlaßt, bei unseren Hausthieren (Pferden, Schweinen, Hunden, Katzen, Kaninchen) als »Raude« zu verlaufen pflegt. Diese Form ist bisher nur in wenigen Fällen, welche über ganz Europa zerstreut waren, in der Regel an armen und schlechtgenährten, stumpfsinnigen und apathischen Menschen beobachtet worden. Die größte Anzahl (5) lieferte Norwegen mit seiner stark krätzebehafteten Bevölkerung, demnächst Mitteldeutschland (4), während Frankreich, Schweden, Dänemark, Konstantinopel auf je ein Beispiel beschränkt blieben. In Norwegen, auf Island, den Faröern und auf Grönland, im ganzen solchen Gegenden, in denen die Bevölkerung sehr unreinlich ist, dürfte die Schorfkrätze häufiger auftreten, und jedenfalls ist sie in früheren Zeiten, in denen das Heilverfahren der Krankheiten auf bedeutend niederer Stufe stand, noch verbreiteter gewesen; ob vielleicht die fabelhafte »Läusesucht«, von der ältere Schriftsteller erzählen, in einzelnen Fällen wenigstens auf die in Rede stehende Krankheit bezogen werden müsse, wer will und kann darüber endgültig entscheiden?

R. Bergh stattet ausführlichen Bericht über einen von ihm beobachteten Fall der Schorfkrätze ab, aus welchem nur einige auf unsere Milbe bezügliche Angaben hier folgen mögen. Ein Stück des ältesten, oberflächlichen und dichten Theils der Schorflage von etwa ein Millimeter Kubikinhalt und 0,0008 Gramm Gewicht enthielt zwei Weibchen, acht sechsfüßige Junge, einundzwanzig größere und kleinere Stücke von Jungen und vereinzelten Weibchen, sechs Eier, achtundfunfzig Eischalen und ungefähr eintausendunddreißig größere oder kleinere Auswurfsknollen,[691] während ein Stückchen der unteren Schorfschicht geringeren Reichthum an thierischen Ueberresten erkennen ließ.

Die Auswürfe sind von sehr verschiedener Form und Größe, meist rund oder unregelmäßig länglich, glatt oder uneben, körnig und gelbbräunlich von Farbe, die Eier fast oval, etwa ein Drittel länger als breit, (durchschnittlich 0,15 Millimeter lang) und mit beinahe farbloser, zwar dicker, aber durchscheinender Haut umschlossen. Es läßt sich im allgemeinen die Entwickelung von der ersten Anlage zu Kopf und Gliedmaßen bis zum sechsbeinigen Jungen, dessen Hinterfüße gekreuzt liegen, darin verfolgen. Das Ei öffnet sich in der Regel durch zwei ungleiche Längsspalten, um das Junge zu entlassen und erscheint nachher verschrumpft und längsfaltig. Die überall in der Schorflage zahlreich eingebetteten Ueberreste der Milben bestehen vorherrschend aus den abgelegten Häuten und fallen durch die an der Bauchfläche des Thieres befindlichen Chitinleisten, an denen sich die Gliedmaßen stützen, wie durch gelbliche Gliederringe sehr in die Augen. Sie erscheinen theils vollständig oder fast vollständig mit den anhangenden Beinen, theils in der verschiedensten Weise zerrissen; todte Milben fanden sich fast immer in vollständigem Zustande.


Krätzmilbe des Menschen (Sarcoptes hominis), Weibchen von der Bauchseite, in achtzigfacher Vergrößerung.
Krätzmilbe des Menschen (Sarcoptes hominis), Weibchen von der Bauchseite, in achtzigfacher Vergrößerung.

Was nun die lebenden Milben selbst anlangt, so kommen sie in drei verschiedenen Grundformen und zwar als achtbeinige, an dem hintersten Fußpaare mit Saugnäpfen ausgerüstete Männchen, als achtbeinige, mit bloßen Borsten an den beiden hinteren Paaren versehene Weibchen und endlich als sechsbeinige Larven vor. Hieraus ergibt sich also, daß wir in der beigegebenen Abbildung ein Weibchen von der Bauchseite vor uns haben. Wie schon erwähnt, finden die Gliedmaßen in Chitinleisten ihren Stützpunkt, die Vorderbeine an einer gemeinschaftlichen, sich vorn gabelnden, jedes der übrigen an seiner eigenen, von denen die des zweiten Paares stärker und länger sind als die vier Leisten der hinteren Beine. Die drei Leisten der vorderen Paare erscheinen bei Weibchen und Jungen am Hinterrande ausgeschnitten, was unsere Figur allerdings nicht andeutet. Jedes Bein besteht aus vier Gliedern, an deren letztem zwei stark gekrümmte Klauen und dazwischen eine langstielige Saugscheibe oder eine mächtige Borste sitzen, überdies kommen an den einzelnen Gliedern Borsten in ganz bestimmter Anzahl vor, sowie an den übrigen Stellen des Körpers. Diesen theilt ein Quereinschnitt in zwei ungleiche Hälften. Das immer etwas kleinere Männchen wird an den Saugnäpfen der Hinterbeine erkannt und ist auf dem Rücken keineswegs glatt, sondern mit zwei langen Borsten und drei Paar kurzen dicken Zapfen in der Schultergegend, außerdem auf dem Hinterkörper nach jeder Seite hin mit einer schrägen Reihe von gewöhnlich drei oder vier größeren, dreieckigen und weiter nach hinten von mehreren abgerundeten Schuppen, und überdies mit zahlreichen, zwischenliegenden Falten versehen. Beim mehr gelb gefärbten Weibchen wird hinter den Spitzen der vorderen Chitinleisten die Oeffnung der Scheide als Längsspalte sichtbar (allerdings nicht in unserer Abbildung) und die Rückenfläche von flachen, dreieckigen Schüppchen, weiter nach hinten dagegen von vier Reihen fast walziger Dornen umgeben. Die Larven unterscheiden sich von den reifen Weibchen durch geringere Größe, durch den Mangel der Geschlechtsspalte nebst dem Borstenpaare vor derselben und durch mehr muschelige Hautfalten, während dieselben dort bogig verlaufen. Bergh gibt außerdem noch feine Unterscheidungsmerkmale zwischen drei Altersstufen der Larven und die Mehrzahl der Weibchen gegen die Männchen viel weniger überwiegend an als andere Schriftsteller, welche sich zum Theil durch Verkennen der beiden Geschlechter in der Annahme, daß die Männchen sehr selten seien, getäuscht haben.

Zu Anfange der vierziger Jahre entdeckten Henle und Simon in den Haarbälgen der menschlichen Haut eine Milbe, die alsbald allgemeines Interesse erweckte, zahlreiche Namen, darunter [692] Acarus folliculorum als ältesten, erhielt und in anderer Form sich auch an raudigen Hunden, Katzen usw., nachweisen ließ. Leydig wurde zur Untersuchung dieser Thiere dadurch veranlaßt, daß er am Bauche einer surinamischen Fledermaus (Phyllostoma hastatum) eine etwa erbsengroße Geschwulst bemerkte, welche mit einer weißlichen Masse, Hauttalg und zahllosen Haarsackmilben erfüllt war; eine feine Messerspitze voll solcher Masse unter das Mikroskop gelegt, brachte immer gleich Hunderte der Thierchen (Demodex phyllostomatis) zur Ansicht.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 690-693.
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