Apulische Tarantel (Tarantula Apuliae)

[673] Neuerdings hat man den Linné'schen Beinamen tarantula der Apulischen Tarantel zum Gattungsnamen erhoben und unter demselben alle Wolfsspinnen zusammengefaßt, welche in folgenden Merkmalen übereinstimmen: die vordere Kopffläche fällt steil ab und trägt verhältnismäßig hoch oben auf einer Querschwiele die vier vordersten, fast unter sich gleichen und kleinen Augen. Die Stellung aller gleicht sehr der der vorigen Gattung, nur mit dem Unterschiede, daß die hintersten einander und den vorderen beiden großen Augen etwas näher stehen als dort. Die Füße tragen eine ungezähnte Vorkralle. Meist drei helle Längsbänder auf dem Vorderleibe, dunkle, oft verwischte, einander folgende Mondfleckchen oder ein kegel- oder spindelförmiger, dunkler Längsfleck statt ihrer zwischen den staubig verdunkelten Seiten des Hinterleibes sowie oft ein schwarzer Bauch und meist unten am Schienbeine dunkle Halbringe bilden die charakteristischen Zeichnungen. Das Weibchen befestigt sein kleines, kugelrundes Eiersäckchen an den Spinnwarzen. Die Taranteln lieben trockene, sonnige Stellen. Die umstehend abgebildete Art: die Apulische Tarantel (Tarantula Apuliae, höchstwahrscheinlich Aranea tarantula Linné's), lebt nicht nur in Apulien, häufig um Neapel und Tarent, sondern auch in anderen Theilen Italiens, in Spanien und Portugal, mißt im weiblichen Geschlecht bis 37 Millimeter, ist rehfarben, auf dem Hinterleibe mit einigen schwarzen, röthlichweiß eingefaßten Querstrichen und am Bauche mit einer schwarzen Mittelbinde [673] gezeichnet. Die lichten Stellen des schwarzen Vorderleibes haben gleichfalls eine röthliche Färbung. Diese Spinne gräbt sich an sonnigen, unbebaueten Hängen ein Loch in die Erde, befestigt den Zugang durch verwebte, trockene Pflanzen, so daß er als kleiner Wall sich etwas über den Boden erhebt, und kittet das Innere durch ein Bindemittel aus, welches durch die Sonnenwärme steinhart wird. Die abschüssige Lage und der umgebende Wall schützen die Wohnung vor Nässe und vor dem Hineinfallen fremdartiger Gegenstände. Am Tage verläßt sie die Spinne so leicht nicht, sondern nur nach Sonnenuntergang legt sie sich am Eingange auf die Lauer, und mit anbrechender Nacht schweift sie in der nächsten Umgebung nach Beute umher; hat sie ein Insekt erhascht, so schleppt sie es heim, verzehrt es in Ruhe und wirft die ungenießbaren Theile heraus, welche manchmal den Eingang umsäumen. Mehrere Schriftsteller erzählen, daß sich die Spinnen auch am Tage hervorlocken lassen, wenn man mit einem Rohrhalme in das Loch hineinblase in einer das Summen der Biene nachahmenden Weise, was die apulischen Landleute sehr gut verstehen.


Männchen der Apulischen Tarantel (Tarantula Apuliae). Natürliche Größe.
Männchen der Apulischen Tarantel (Tarantula Apuliae). Natürliche Größe.

Vom Oktober bis zum Frühjahre findet man die Wohnung der Tarantel zum Schutze gegen die rauhe Jahreszeit mit einem Ballen von allerlei trockenen und durch Gespinstfäden verbundenen Pflanzentheilen verstopft. Zu Ende ihrer winterlichen Erstarrung kann es geschehen, daß der Landmann bei Bearbeitung eines länger brach gelegenen Stück Landes manche Tarantelwohnung umstürzt und zerstört. Dann aber zeigt sich die Spinne, weit davon entfernt zu beißen, wie erstarrt oder schlafend und unglücklich darüber, das Licht erblicken zu müssen; ihr Schritt ist unsicher und schwankend; sie scheint nicht mehr zu wissen, wohin sie sich zurückziehen und fliehen soll, und man hat nach Valetta's Behauptung kein Beispiel, daß im Herbste, Winter oder Frühjahre die Tarantel je einen Menschen gebissen habe. Rossi gibt den Eiersack, welchen sie, wie bereits erwähnt, an der Hinterleibsspitze mit sich herumträgt, als weiß und zweimal so groß wie eine Haselnuß an; er enthält zwischen sechs- und siebenhundert weiße Eier von der Größe eines Hirsekornes. Diese schlüpfen im August und September aus; die Jungen besteigen abwechselnd den Rücken der Mutter und krabbeln daselbst umher, bis sie selbständiger werden und sich zerstreuen. In dieser, wie in vielen anderen Beziehungen zeigt mithin die gefürchtete Tarantel dieselben Erscheinungen, wie die vielen Gattungsgenossen in jenen Gegenden, im mittleren und nördlichen Europa, und ist dem Menschen so wenig gefährlich wie diese.

Derselben Familie, wenn auch anderen Gattungen, gehört sicher ein Theil der abenteuerlichen Spinnen an, von denen uns Reisende in heißen Ländern erzählen, und die durch hornartige Höcker, blasige Auftreibungen, Auswüchse, Erweiterungen der Beine so unkenntlich geworden sind, daß ein scharfes Auge dazu gehört, um sie für Spinnen zu erklären. Die Thiere suchen auch aus ihrem maskirten Wesen die möglichsten Vortheile zu ziehen: als unförmliche Klumpen zusammengekauert, liegen sie in einem Astwinkel, in einer Spalte der Rinde oder an einem ähnlichen Orte auf der [674] Lauer, bis die Beute arglos in ihr Bereich kommt. Dann aber überrascht ihre Beweglichkeit und Gewandtheit um so mehr, als der formlose Klumpen nichts weniger als ein lebendiges Wesen vermuthen ließ.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 673-675.
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