Bindenwaran (Varanus salvator)

[154] Auf dem Festlande von Indien und den benachbarten großen Eilanden wird der Waran durch den Bin den- oder Wasserwaran, Kabaragoya der Singalesen (Varanus salvator, Stellio und Hydrosaurus salvator, Tupinambis, Varanus, Monitor und Hydrosaurus bivittatus), vertreten, ein Thier, welches sich durch den seitlich sehr stark zusammengedrückten Schwanz, die langen Zehen, die an der Spitze der Schnauze stehenden Nasenlöcher und die kleinen Schuppen von jenen unterscheidet und deshalb der Untersippe der Wasserechsen (Hydrosaurus) zugerechnet wird. Die Oberseite zeigt auf schwarzem Grunde in Reihen geordnete gelbe Flecken; ein schwarzes Band verläuft längs der Weichen und eine weiße Binde längs des Halses; die Unterseite ist weißlich. Ausgewachsene Stücke erreichen ebenfalls zwei Meter an Länge.

Obwohl hauptsächlich auf den Malaiischen Inseln, insbesondere den Sunda-Eilanden, den Philippinen und Molukken heimisch, kommt der Bindenwaran doch auch auf dem ostindischen Festlande nebst Ceylon sowie in Siam und China vor. Auf der Halbinsel von Malakka lernte ihn Cantor als sehr häufigen Bewohner des hügeligen wie des ebenen Landes kennen. Während des Tages sieht man ihn gewöhnlich im Gezweige größerer Bäume, welche Flüsse und Bäche überschatten, auf Vögel und kleinere Eidechsen lauern oder Nester plündern, gestört aber sofort, oft aus sehr bedeutender Höhe, ins Wasser hinabspringen. Unter ihm günstig erscheinenden Umständen siedelt er sich auch in nächster Nähe menschlicher Wohnungen oder in diesen selbst an und wird dann zu einem dreisten Räuber auf den Geflügelhöfen. So erfuhr Eduard von Martens von einem europäischen Pflanzer in der Gegend von Manila, daß ein »Krokodil« unter seinem Hause lebe und bei Nacht hervorkomme, um Hühner zu rauben. Daß dieses »Krokodil« nur unser Waran sein konnte, unterlag für Martens keinem Zweifel. So unternehmend der Bindenwaran bei [154] seinen Räubereien sich zeigt, so ungescheut er in unmittelbarer Nachbarschaft des Menschen stiehlt und plündert, so ängstlich sucht er jederzeit den Verfolgungen seitens des Herrn der Erde sich zu entziehen. Wenn man ihn auf ebenem Boden überrascht, eilt er, laut Cantor, so schnell er zu laufen vermag, davon und womöglich ebenfalls dem Wasser zu; seine Schnelligkeit ist jedoch nicht so bedeutend, daß er nicht von einem gewandten Manne überholt werden sollte. Ergriffen, wehrt er sich auf das muthigste mit Zähnen und Klauen, versetzt auch mit seinem Schwanze kräftige Schläge.

Die Mitglieder tiefer stehender Kasten bemächtigen sich des Wasserwaran gewöhnlich durch Aufgraben seiner Höhlen und genießen dann das Fleisch der glücklich gewonnenen Beute mit Wohlgefallen. Eine in den Augen der Hindus viel bedeutsamere Rolle aber spielt der Kabaragoya bei Bereitung der tödtlichen Gifte, welche die Singalesen noch heutigentages nur zu häufig verwenden. Nach einer Angabe, welche Tennent gemacht wurde, verwendet man zur »Kabaratel«, der gefürchtetsten aller Giftmischungen, Schlangen, namentlich die Hutschlange oder Cobra de Capello (Naja tripudians), die Tikpolonga (Vipera elegans) und die Carawilla (Trigonocephalus hypnalis), indem man Einschnitte in ihre Köpfe macht und sie dann über einem Gefäße aufhängt, im Glauben, das ausfließende Gift auffangen zu können. Das so gewonnene Blut wird mit Arsenik und anderen Kraftmitteln vermischt und das ganze mit Hülfe von Kabaragoyas in einem Menschenschädel gekocht. Unsere Warane müssen die Rolle der Thiere in Fausts Hexenküche übernehmen. Sie werden von drei Seiten gegen das Feuer gesetzt, mit ihren Köpfen demselben zugerichtet, festgebunden und mit Schlägen so lange gequält, bis sie zischen, also gleichsam das Feuer anblasen. Aller Speichel, welchen sie bei der Quälerei verlieren, wird sorgsam gesammelt und dem kochenden Gebräue beigesetzt. Letzteres ist fertig, sobald sich eine ölige Masse auf der Oberfläche zeigt. Es versteht sich ganz von selbst, daß der Arsenik der eigentlich wirksame Bestandtheil dieses Giftes ist; die unschuldige Kabaragoya hat sich aber infolge dieses Schwindels der Giftmischer einen so üblen Ruf er worben, daß man sie gegenwärtig allgemein und in wahrhaft lächerlichem Grade fürchtet. Nach Art des Waran hält sie sich auch auf Ceylon vorzugsweise in der Nähe des Wassers auf und flüchtet diesem zu, sobald sie Gefahr wittert; beim Austrocknen der Wohngewässer aber sieht sie sich zuweilen genöthigt, Wanderungen über Land zu unternehmen, und bei dieser Gelegenheit geschieht es auch wohl, daß sie sich in der Nähe eines Wohnhauses der Singalesen erblicken läßt oder sogar durch das Gehöfte läuft. Ein solcher Vorfall gilt als ein schlimmes Vorzeichen; man fürchtet nun Krankheit, Tod und anderes Unglück und sucht bei den indischen Pfaffen Schutz, um die üblen Folgen womöglich zu vereiteln. Diese erscheinen, nachdem der wackere Gläubige sich zu ihren Gunsten etwas von dem gleisnerischen Mammon dieser Erde erleichtert, in der durch die Kabaragoya verunreinigten Hütte und beginnen einen Gesang, welcher der Hauptsache nach in den Worten:


»Kabara goyin wan dōsey,

Ada palayan e dōsey«


besteht und besagen will, daß nunmehr alles Uebel, welches die Kabaragoya verursacht habe, unschädlich gemacht sei.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 154-155.
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