1. Sippe: Warane (Varanus)

[149] Die Warane oder Wassereidechsen (Varanidae) unterscheiden sich von den übrigen Eidechsen, denen sie hinsichtlich ihres langgestreckten Körpers, des breiten, ungekielten Rückens und der vollständig ausgebildeten, vorn und hinten fünfzehigen, mit kräftigen Nägeln bewehrten Füße ähneln, durch die Beschuppung, die Bildung der Zunge und die Anlage und Gestaltung der Zähne. Ihr Kopf ist verhältnismäßig länger als der anderer Eidechsen und dem der Schlangen nicht ganz unähnlich; aber auch ihr Hals und der übrige Leib, einschließlich des Schwanzes, übertrifft an [149] Schlankheit die bezüglichen Leibestheile der Verwandten. Die Zunge liegt im zurückgezogenen Zustande gänzlich in einer Hautscheide verborgen, kann aber sehr weit hervorgestreckt werden und zeigt dann zwei lange, hornige Spitzen. Die Zähne, welche der Innenseite der Kieferrinnen an liegen, stehen ziemlich weit von einander und sind von kegelförmiger Gestalt, vorn spitzig, hinten stumpfkegelig; Gaumenzähne sind nicht vorhanden. Die kleinen in der Fünfform oder in Querreihen angeordneten Tafelschuppen vergrößern sich auf dem Kopfe nicht zu wirklichen Schildern, und auch die der Bauchseite weichen wenig von denen des Rückens ab.

Die Warane, von denen man ungefähr dreißig Arten kennt, bewohnen die östliche Hälfte der Erde, namentlich Afrika, Südasien und Oceanien. Einige Arten sind vollendete Landthiere, welche eine passende Höhlung zum Verstecke erwählen und in der Nähe derselben, diese bei Tage, jene mehr in der Dämmerung oder selbst in der Nacht, ihrer Jagd obliegen; andere hingegen müssen zu den Wasserthieren gezählt werden, da sie sich bloß in der Nähe der Gewässer, in Sümpfen oder an Flußufern aufhalten und bei Gefahr stets so eilig als möglich dem Wasser zuflüchten. Die einen wie die anderen sind höchst bewegliche Thiere. Sie laufen mit stark schlängelnder Bewegung, auf festem Boden so rasch dahin, daß sie kleine Säugethiere oder selbst Vögel einzuholen im Stande sind, klettern trotz ihrer Größe vortrefflich und schwimmen und tauchen, obgleich sie keine Schwimmhäute besitzen, ebenso gewandt als ausdauernd. Zu längerem Verweilen im Wasser befähigen sie zwei größere Hohlräume im Inneren ihrer Oberschnauze, welche mit den Nasenlöchern in Verbindung stehen, mit Luft gefüllt und durch die beweglichen Ränder der Nasenlöcher abgeschlossen werden können. In ihrem Wesen und Gebaren, ihren Sitten und Gewohnheiten erinnern die Warane an die Eidechsen, nicht aber an die Krokodile; sie sind jedoch, ihrer Größe und Stärke entsprechend, entschieden räuberischer, muthiger und kampflustiger als die kleineren Verwandten. Vor den Menschen und wohl auch vor anderen größeren Thieren weichen sie stets zurück, wenn sie dies können, diejenigen, welche auf der Erde wohnen, indem sie blitzschnell ihren Löchern, die, welche im Wasser leben, indem sie ebenso eilfertig dem Wohngewässer zueilen; werden sie aber gestellt, also von ihrem Zufluchtsorte abgeschnitten, so nehmen sie ohne Bedenken den Kampf auf, schnellen sich mit Hülfe ihrer Füße und des kräftigen Schwanzes hoch über den Boden empor und springen dem Angreifer kühn nach Gesicht und Händen.

Ihre Nahrung besteht in Thieren der verschiedensten Art. Der Nilwaran, ein bereits den alten Egyptern wohlbekanntes, auf ihren Denkmälern verewigtes Thier, galt früher als einer der gefährlichsten Feinde des Krokodiles, weil man annahm, daß er dessen Eier aufsuche und zerstöre und die dem Eie entschlüpften jungen Krokodile verfolge und verschlinge. Wie viel wahres an diesen Erzählungen ist, läßt sich schwer entscheiden; wohl aber darf man glauben, daß ein Waran wirklich ohne Umstände ein junges Krokodil verschlingt oder auch ein Krokodilei hinabwürgt, falls er des einen und anderen habhaft werden kann. Leschenault versichert, Zeuge gewesen zu sein, daß einige indische Warane vereinigt ein Hirschkälbchen überfielen, es längere Zeit verfolgten und schließlich im Wasser ertränkten, will auch Schafknochen in dem Magen der von ihm erlegten gefunden haben; ich meinestheils bezweifle entschieden, daß irgend eine Art der Familie größere Thiere in der Absicht, sie zu verspeisen, angreift, bin aber von Arabern und Afrikanern überhaupt wiederholt berichtet worden, daß Vögel bis zur Größe eines Kiebitzes oder Säugethiere bis zur Größe einer Ratte ihnen nicht selten zum Opfer fallen. Die auf festem Boden lebenden Warane jagen nach Mäusen, kleinen Vögeln und deren Eiern, kleineren Eidechsen, Schlangen, Fröschen, Kerbthieren und Würmern; die wasserliebenden Mitglieder der Familie werden sich wahrscheinlich hauptsächlich von Fischen ernähren, ein unvorsichtig am Ufer hinlaufendes, schwaches Säugethier oder einen ungeschickten Vogel, dessen sie sich bemächtigen können, aber gewiß auch nicht verschmähen. Da, wo man sie nicht verfolgt, oder wo sie sich leicht zu verbergen wissen, werden sie wegen ihrer Räubereien an jungen Hühnern und Hühnereiern allgemein gefürchtet und gehaßt, und dies sicherlich nicht ohne Grund und Ursache.

[150] An gefangenen Waranen kann man leicht beobachten, daß sie tüchtige Räuber sind. Obwohl sie auch todte Thiere nicht verschmähen, ziehen sie doch lebende Beute jenen entschieden vor. Ihr Gebaren ändert sich vollständig, wenn man ihnen ein Dutzend lebende Eidechsen oder Frösche in den Käfig wirft. Die träge Ruhe, in welcher auch sie gerne sich gefallen, weicht der gespanntesten Aufmerksamkeit: die kleinen Augen leuchten, und die lange Zunge erscheint und verschwindet in ununterbrochenem Wechsel. Endlich setzen sie sich in Bewegung, um sich eines der unglücklichen Opfer zu bemächtigen. Die Eidechsen rennen, klettern, springen verzweiflungsvoll im Raume hin und her oder auf und nieder; die Frösche hüpfen angstvoll durcheinander: der sie in Todesschrecken versetzende Feind schreitet langsam und bedächtig hinter ihnen drein. Aber Augen und Zunge verrathen, daß er nur des Augenblickes wartet, um zuzugreifen. Urplötzlich schnellt der gestreckte Kopf vor; mit fast unfehlbarer Sicherheit ist ein Frosch, selbst die behendeste Eidechse gepackt, durch einen quetschenden Biß betäubt und verschlungen. So ergeht es einem Opfer nach dem anderen, bis alle verzehrt sind, und sollten es Dutzende von Eidechsen oder Fröschen gewesen sein. Legt man dem Warane ein oder mehrere Eier in den Käfig, so nähert er sich gemächlich, betastet züngelnd ein Ei, packt es sanft mit den Kiefern, erhebt den Kopf, zerdrückt das Ei und schlürft behaglich den Inhalt hinab, leckt auch etwa ihm am Maule herabfließendes Eiweiß oder den Dotter sorgfältig mit der geschmeidigen, die ganze Schnauze und einen Theil des Kopfes beherrschenden Zunge auf. Genau ebenso wird er auch in der Freiheit verfahren.

Mehr als sonderbar ist, daß wir über die Fortpflanzungsgeschichte der Warane noch immer nicht genügend unterrichtet sind. Hätte ich während meines Aufenthaltes in Afrika diese Lücke in ihrer Naturgeschichte gekannt, so würde ich mich ihrer Beobachtung eifriger gewidmet haben, als es geschehen; doch will ich damit keineswegs gesagt haben, daß ich sicheres erfahren haben würde, weil mir die Araber und Sudâner, welche sonst unaufgefordert über jedes Thier Auskunft geben, so viel ich mich erinnere, über die Fortpflanzung dieser Echsen niemals etwas erzählt haben. So viel mir bekannt, gibt nur Theobald über eine indische Art der Familie, den Gilbwaran (Varanus flavescens), kurzen Bericht. »Die Warane«, bemerkt er, »legen ihre Eier in die Erde. Zuweilen benutzen sie das Nest weißer Ameisen. Die gegen fünf Centimeter langen Eier sind walzenförmig, an beiden Enden abgerundet und schmutzig weiß von Farbe, haben aber immer ein unreines und widriges Ansehen.« Jedes Weibchen scheint gleichzeitig eine ziemlich erhebliche Anzahl von ihnen zu legen. Während der Reise des seinem Forschungsdrange zum Opfer gefallenen, hochachtbaren Klaus von der Decken wurde eines Tages ein meterlanger Waran mit einem Schrotschusse getödtet und beim Zerlegen gefunden, daß er mit vierundzwanzig Eiern trächtig ging.

Für den Menschen haben die Warane eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Durch ihre Räubereien an Hausthieren und Eiern werden sie lästig; andererseits nützen sie auch wieder durch ihr vortreffliches Fleisch und ihre eigenen, höchst schmackhaften Eier. In vielen Ländern ihres ausgedehnten Verbreitungsgebietes betrachtet man allerdings Fleisch und Eier mit Abscheu, in anderen dagegen schätzt man diese wie jenes nach Gebühr, verfolgt die Warane deshalb auch auf das eifrigste, und zwar gewöhnlich mit Hülfe von Hunden, welche sie im Walde aufsuchen und verbellen. Laut Theobald wird ein Birmane, so träge er sonst ist, es nicht für eine allzu große Mühe erachten, einen Baum, in welchem sich ein Waran verborgen hat, zu fällen, um nur des von ihm hochgeschätzten Leckerbissens habhaft zu werden. Der gefangenen Wasserechse bindet man die vier Füße über den Rücken und benutzt hierzu grausamerweise die Sehnen der vorher gebrochenen Zehen des beklagenswerthen Geschöpfes. Waraneier verkauft man auf den Märkten Birmas theuerer als Hühnereier; sie gelten auch mit vollstem Rechte als Leckerbissen, sind jedes ekelerregenden Geruches bar, haben einen wahrhaft köstlichen Wohlgeschmack und unterscheiden sich nur dadurch von Vogeleiern, daß ihr Weiß beim Kochen nicht gerinnt. Das Fleisch genießen die Indier im gebratenen Zustande, wogegen es die Europäer meist zur Herstellung von Suppen verwenden. Kelaart, welcher solche versuchte, bezeichnet sie als ausgezeichnet, im Geschmacke [151] einer Hasensuppe ähnlich. Anderweitige Verwendung findet die schuppige Haut, mit welcher hier und da, beispielsweise in Nordostafrika, allerlei Geräth überzogen wird. Auch benutzt man wohl noch diese oder jene Art zu Gaukeleien oder läßt sie bei Herstellung von Giften eine geheimkrämerische Rolle spielen.

An gefangenen Waranen erlebt man wenig Freude. Anfänglich betragen sich die ihrer Freiheit beraubten Thiere äußerst ungestüm, zischen und fauchen nach Schlangenart, sobald man sich ihnen nähert, oder beißen wüthend um sich, sowie sie glauben, den Pfleger erreichen zu können. Nach und nach werden sie etwas umgänglicher, wirklich zahm aber selten oder nie, bleiben vielmehr stets bissig und gefährlich, da man die Kraft ihrer zahnreichen Kinnladen durchaus nicht unterschätzen darf. Man kann sie nur in größeren Räumen halten; aber auch hier werden sie wegen ihres sinnlosen Umherrennens und Kletterns sowie wegen ihrer Gefräßigkeit und Unreinlichkeit früher oder später lästig.

Man hat auch die Familie der Warane in mehrere Unterabtheilungen gefällt; doch ist diesen kaum die Bedeutung von Sippen beizulegen, da sich die hervorgehobenen Unterschiede auf geringfügige Eigenheiten beschränken. Ich halte es für unnöthig, hierauf einzugehen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 149-152.
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