Paraguda (Bungarus coeruleus)

[410] Eine zweite Art, von den Indiern Paraguda und Pakta-Pula oder Kalgundait, von den Engländern aber Krait genannt (Bungarus coeruleus, lividus, candidus, arcuatus und lineatus, Pseudoboa coerulea, Boa lineata und Krait), erreicht eine Länge von höchstens 1,5 Meter. Färbung und Zeichnung ändern vielfach ab. In der Regel ist die Oberseite bläulich- oder bräunlichschwarz und entweder einfarbig oder mit mehr oder minder zahlreichen, sehr schmalen, meist von einem Rückenflecke ausstrahlenden weißen Querstreifen gezeichnet, die Unterseite aber weiß; die Oberseite kann jedoch auch einfarbig braun, und der weiße Kopf durch eine schwarze Querlinie gezeichnet sein oder jene einfache oder paarweise angeordnete Querbinden zeigen.

[410] Die Pama verbreitet sich über Ostindien, Hinterasien und die benachbarten Inseln: man hat sie in Ostindien, Siam, China und Java gesammelt; die Paraguda scheint mehr auf das Festland beschränkt zu sein und ist namentlich in Bengalen und an der Küste von Malabar beobachtet worden. Beide Arten wählen sich, laut Cantor, trockene Gegenden zu ihrem Aufenthalte und stellen hier kleinen Säugern, Kriechthieren und Lurchen, insbesondere anderen kleinen Schlangen und Fröschen, nach.


Pama (Bungarus fasciatus). 1/4 natürl. Größe.
Pama (Bungarus fasciatus). 1/4 natürl. Größe.

Innerhalb ihres Gebietes erkiesen sie einen Zufluchtsort, entweder eine Höhlung im Boden oder ein Versteck unter Baumwurzeln und betreiben in dessen Nähe ihre Jagd. Im bewohnten Lande sieht man sie nicht häufig; doch finden auch sie ihren Weg in die Hütten der Eingeborenen. Cantor sagt, daß sie trotz ihres runden Augensternes bei Tage häufig in ihren Schlupfwinkeln sich verbergen, die Sonne meiden, den Schatten aufsuchen und sich unsicher, zuweilen auch ohne Veranlassung in heftiger Weise bewegen; Fayrer dagegen bezeichnet sie ausdrücklich als Tagthiere. Ungereizt entfliehen sie bei Annäherung eines Menschen regelmäßig; gereizt aber, gerathen sie sofort in Wuth und können dann ebenso gefährlich werden wie irgend eine Giftschlange gleicher Größe. Wenn man nach ihnen schlägt oder sie sonst angreift, bekunden sie heftigen Zorn, suchen ihren Schlupfwinkel zu verlassen, und ihre sonstige Langsamkeit wandelt sich urplötzlich in rastlose Thätigkeit. Vor dem Angriffe legen sie, wie die Ottern, den Kopf weit nach hinten, werfen dann in schiefer Richtung den halben Leib vor und hauen nach dem Feinde. Die Indier behaupten, daß ihr Biß unrettbar tödtlich sei und fürchten sie, insbesondere den äußerst häufigen Krait, in hohem Grade; die Kürze ihrer Giftzähne läßt jedoch, wenn sie gebissen haben, eher als der Biß einer Brillenschlange einige Hoffnung auf Erhaltung des Lebens.

[411] Versuche, welche von Russell, Fayrer und anderen angestellt wurden, erwiesen die Gefährlichkeit des Bisses der Bungarschlangen zur Genüge. Ein von einer sehr matten Pama gebissenes Huhn legte sich bald darauf nieder, bekam starke Ausleerungen und konnte sich nicht aufrecht halten. In den ersten zehn Minuten war es vergeblich bemüht, sich aufzurichten, zitterte mit dem Kopfe, schien fünf Minuten später bereits im Sterben zu liegen, verendete aber erst nach fünfundzwanzig Minuten unter Zuckungen. Ein großer, starker Hund, welcher von einer Paraguda in den Schenkel gebissen wurde, schrie, trotz der kaum sichtbaren Wunde, welche er empfangen, im Augenblicke der Verwundung laut auf, lief aber dann, anscheinend unbehindert, umher. Zehn Minuten später zuckte er mit dem verwundeten Gliede und zog es in die Höhe, konnte jedoch noch stehen; fünf Minuten nachher legte er sich nieder und bellte, richtete sich nochmals auf, obgleich die Bewegung des Schenkels merklich geschwächt schien; fünfundzwanzig Minuten nach dem Bisse waren beide Hinterbeine bereits gelähmt. Während der zweiten Stunde erbrach er sich mehrmals; die Betäubung nahm zu; er legte sich auf die Seite, keuchte und starb gegen Ende dieser Stunde. Am gebissenen Gliede bemerkte man kaum Geschwulst oder Entfärbung. Eine Hündin, welche in die Weichen gebissen worden war, starb unter ähnlichen Zufällen im Verlaufe einer Stunde, aber unter heftigen Zuckungen. Ein Huhn, von derselben Schlange in den Flügel gebissen, verfiel bald in Betäubung, konnte jedoch noch bis zur zehnten Minute umhergehen, legte sich in der funfzehnten Minute nieder und schien einzuschlafen, wendete den Kopf bald auf diese, bald auf die andere Seite, machte mehrmals fruchtlose Bewegungen oder Anstrengungen, um aufzustehen, bekam Zuckungen und war nach einer Stunde todt.

Fayrers sehr zahlreiche und ausführliche, aber sehr wenig übersichtliche Versuche stimmen im wesentlichen mit denen Russells überein. Hunde, welche gebissen wurden, begannen dreiundzwanzig Minuten später schnell und ängstlich zu athmen, erbrachen sich nach dreiviertel Stunden, wurden sehr unruhig, träge, schläfrig, gleichgültig, bekamen endlich Krämpfe und starben nach Verlauf von vier- bis fünfundfunfzig Stunden. Katzen sperrten nach dem Bisse das Maul auf, steckten die Zunge weit hervor, versuchten zu entfliehen, ließen sich dann ruhig nieder und verendeten in ungefähr gleicher Zeit. Reiher, welche einen Biß in den Schenkel erhalten hatten, streckten schon drei Minuten später das verwundete Bein, athmeten lebhafter, versuchten zu fliegen, bekundeten sechs Minuten nach dem Bisse die ersten Zeichen der Schwäche, öffneten den Schnabel weit, sträubten nach zwanzig Minuten das Gefieder, legten sich nieder, krampften die Zehen zusammen, bewegten zitternd die Haut des Halses, vermochten eine Stunde später sich nicht mehr zu rühren und waren anderthalb Stunden nach dem Bisse todt. Bei der Untersuchung zeigte sich der gebissene Schenkel sehr geschwollen und derartig mit Gasen gefüllt, daß diese beim Drücken unter Geräusch entwichen; das Blut war wässerig und dünn, wie dies in der Regel beobachtet wird, wenn man die an dem Bisse von Giftnattern zu Grunde gegangenen Thiere oder Menschen untersucht. Hühner waren schon zwei Minuten nach dem Bisse sehr erregt und rannten ängstlich umher, begannen acht Minuten später zu wanken, so daß sie sich mit Hülfe des auf den Boden gestellten Schnabels erhalten mußten, fielen fünf Minuten nachher gelähmt um, bekamen nach weiteren funfzehn Minuten Zuckungen und waren sechsundzwanzig Minuten, einzelne sogar schon siebzehn Minuten, spätestens aber anderthalb Stunden nach dem Bisse todt. Eine junge Katze, welche gebissen wurde, krankte drei Tage, kam aber mit dem Leben davon, wahrscheinlich, weil nicht genug Gift in die Wunde geflossen war. Aehnliche Umstände mögen zuweilen auch vorkommen, wenn Menschen gebissen werden und den Folgen der Vergiftung nicht erliegen. »Wären«, meint Fayrer, »bei der Katze Gegenmittel angewendet worden, so würde man wahrscheinlich diesen, und vielleicht mit Unrecht, die günstige Wirkung zuschreiben.«

Aus allen diesen Versuchen, deren Aufzählung ermüden und doch nichts neues bieten würde, geht hervor, daß das Gift der Bungaren nicht so schnell oder gewaltig wirkt, wie das der Brillenschlange, daß sich dasselbe wohl aber nur auf die Kürze der Gifthaken, welche nicht so tief eindringen [412] können, begründet. Höchst gefährlich bleiben durch diese Schlange herbeigeführte Vergiftungen unter allen Umständen, und die schlimmsten Zufälle auch dann nicht aus, wenn ihre kurzen Gifthaken die Haut eben nur ritzten.

Von Brillenschlangen gebissene Bungaren starben am folgenden Tage; andere blieben auch leben. Gleichwohl ist Fayrer geneigt, den Tod der ersteren der Wirkung des Bisses der mächtigeren Schlange zuzuschreiben, und hierzu nach meinen Erfahrungen vollkommen berechtigt.

Wie viele von den zahlreichen Unglücksfällen infolge von Schlangenbissen, welche alljährlich in Indien vorkommen, auf Rechnung der Bungaren zu setzen sind, läßt sich schwer entscheiden; wahrscheinlich aber thut man ihnen nicht Unrecht, wenn man sie nächst der Brillenschlange als die gefährlichsten aller Giftschlangen Ostindiens betrachtet. Die verhältnismäßig geringe Größe und in keiner Weise auffallende Form ihres Kopfes wie das auch im übrigen harmlose Aussehen, vielleicht sogar die Pracht der Färbung und Zeichnung der Bungaren mag manchen Unkundigen täuschen, und ihr Tagleben und häufiges Vorkommen sie öfter als andere Giftschlangen gleicher Größe in Zwiespalt mit dem Menschen gerathen lassen. »Die für Europa gültige Regel«, sagt Martens, »daß die Giftschlangen an dem breiten, vom Halse deutlich abgesetzten Kopfe zu erkennen seien, reicht für Südasien nicht aus, und ein holländischer Officier zu Ambarawa mußte, kurze Zeit vor unserer Ankunft auf Java, die Halbheit seiner thierkundlichen Kenntnisse mit dem Leben büßen, indem er einen Bungar seines kleinen Kopfes halber für unschädlich hielt. Da Vorder- und Hinterende dieser Schlangen auf den ersten Blick nicht allzu verschieden aussehen, hält sie das Volk für doppelköpfig und warnt vor den doppelköpfigen Schlangen als den besonders gefährlichen.« Wie sehr solche Warnung, trotzdem sie auf eine falsche Meinung sich gründet, berechtigt ist, geht aus Fayrers Mittheilungen über die ostindischen Bungarschlangen überzeugend hervor. In den Berichten, welche zur Kunde der Behörden gelangen, nehmen sie, insbesondere aber der Krait, die zweite Stelle ein. Von der Pama verübte Bisse gelangen auffallend selten, von dem Krait herrührende Verwundungen oder Vergiftungen überaus häufig zur Anzeige, und alle Berichte der Sicherheitsbeamten weisen eine erschreckende Anzahl von Unglücksfällen auf, welche diese verhältnismäßig kleine Giftschlange verursachte. Sie aber ist in ganz Indien allerorts gemein, kreuzt häufiger als jede andere den Pfad des Wanderers, dringt nicht allein in die offene Hütte, sondern selbst in das verschlossene Haus ein, ringelt sich auf der Thürschwelle, im Winkel des Zimmers, im Schreine wie in der Truhe zusammen, schleicht sich ins Schlaf- oder Badezimmer und wird hierdurch nur zu oft zum Todesengel. Als eine Dame nach durchreister Nacht den Tragsessel verließ und ihre Habseligkeiten zusammenräumte, fand sie unter ihrem Kissen einen zusammengeringelten Krait, welcher während der ganzen Nacht ihr Reisegefährte gewesen war!


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 410-413.
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