Königshutschlange (Ophiophagus elaps)

[436] Die Königshutschlange (Ophiophagus elaps, Naja elaps, bungarus und vittata, Hamadryas ophiophagus und elaps, Trimeresurus ophiophagus), welche an den großen Schildern ihres Hinterhauptes leicht erkannt werden kann, erreicht thatsächlich die für Giftschlangen ungeheuerliche Länge von 4 Meter; Major Beddome behauptet, sogar eine von 14 Fuß oder 4,35 Meter Länge erlegt zu haben. Der Halsschild ist verhältnismäßig kleiner als bei den Hutschlangen, die vielfach abändernde Färbung in der Regel oberseits olivengrün, unterseits blaßgrün. Alle Kopfschilder, sowie die Schuppen des Halses, Hinterleibes und Schwanzes sind schwarz gesäumt, Leib und Schwanz mit zahlreichen, schwarzen und weißen, schiefen, nach dem Kopfe zu zusammenlaufenden Binden abwechselnd gezeichnet, die Brustschilder schwärzlich gemarmelt. So gefärbte Schlangen dieser Art kommen auf der Malaiischen Halbinsel, in Bengalen und in Südindien vor, wogegen die auf den Philippinen lebenden Königshutschlangen am Vordertheile ihres Leibes bräunlich olivenfarben, die Schuppen des Hintertheiles schwarz gerandet und die des Schwanzes mit einem sehr hervortretenden, weißen, schwarz umsäumten Augenflecke gezeichnet sind, und die von Borneo stammenden durch gleichmäßig gelbbraune Färbung der Oberseite, gelbe des Kinnes und der Kehle, schwarze der übrigen Untertheile und etwas lichtere in der Mitte jeder einzelnen Schuppe auf dem Hintertheile des Leibes und Schwanzes sich auszeichnen. Bei jungen Königshutschlangen ändert die Färbung noch viel mehr ab. Einzelne sind auf schwarzem Grunde mit zahlreichen weißen, schmalen, gleich weit von einander abstehenden, schief nach rückwärts gerichteten Querbändern, auf dem Kopfe aber mit vier weißen Querbinden gezeichnet, von denen die eine über die Spitze der Schnauze, die zweite über die vorderen Stirnschilder, die dritte quer über den Scheitel und die vierte über das Hinterhaupt bis zum Mundwinkel hinab verläuft. Bei anderen Stücken ist der Bauch schwarz, und die weißen Querbänder verbreitern sich auf dem Rücken, bei anderen wiederum weiß und jeder Schild schwärzlich gerandet. Einzelne junge ähneln nach Beddomes Befund einer unschuldigen Baumschlange bis zum Verwechseln.

Das Verbreitungsgebiet dieser in hohem Grade beachtenswerthen Schlange dehnt sich fast über alle Theile des indischen Festlandes und des ostindischen Inselmeeres aus. Man hat sie außer in Indien auch auf den Andamanen, auf Java, Sumatra, Borneo, den Philippinen und sogar auf Neuguinea beobachtet. Im allgemeinen selten, scheint sie in Sikim und Assam im Gegentheile ziemlich häufig aufzutreten und auch in Burma nicht gerade eine ungewöhnliche Erscheinung zu sein. Im östlichen Bengalen kommt sie stellenweise öfter vor, als zu wünschen wäre, nähert sich auch dreist den Ortschaften, selbst größeren Städten. Anderson erhielt eine aus dem Pflanzengarten bei Kalkutta und eine andere aus der Nachbarschaft von Mutlah. In Darjiling steigt sie bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe empor. Die Assamesen nennen sie »Dabi-Serp« und die Kutschari »Garomga-Sim«; bei den Bengalen heißt sie »Sunkerchor« oder Schädelbrecher.

Nach den bis jetzt vorliegenden Berichten zu urtheilen, bewohnt sie vorzugsweise dünn bestandene Wälder oder grasreiche Dschungeln und nimmt mit Vorliebe in hohlen Bäumen ihren Stand, da sie vortrefflich klettert, wenigstens sehr oft im Gezweige ruhend gesehen wird. Auch in das Wasser geht sie von Zeit zu Zeit; denn sie schwimmt vorzüglich. Ein Freund Fayrers [436] erzählte diesem, daß er vor kurzem eine Königshutschlange in einem Flusse bemerkt habe, als er in einem Boote auf dem Strome hinabtrieb. Die Schlange schwamm mit erhobenem Haupte leicht durch das Wasser, suchte aber, als sie durch einen Schrotschuß verwundet worden war, so eilig als möglich Zuflucht auf dem festen Lande und wurde dort erlegt.

Die Nahrung der Königshutschlange scheint vorzugsweise in anderen Schlangen zu bestehen, doch wird sie sicherlich auch kleinere Säugethiere und Vögel nicht verschmähen. Auf ihre Schlangenjagd gründet sich der in Indien hier und da verbreitete Glaube, daß sie unter ihresgleichen königliche Ehren genieße. Ein sehr verständiger Hindu versicherte Torrens, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie die Königshutschlange unter anderen ihresgleichen Zoll erhob. Der Erzähler war damals vierzehn Jahre alt und befand sich auf dem platten Dache seines Hauses, als eine große Hutschlange, welche ihn offenbar nicht bemerkt haben konnte, in der Nähe des Hauses erschien, ihren Hals erhob und den Schild breitete, ganz wie die Hutschlangen dies zu thun pflegen, hierauf aber ein pfeifendes Zischen hören ließ und unmittelbar darauf von zehn oder zwölf Schlangen umgeben war, welche aus den verschiedensten Gegenden herbeigekrochen kamen und sich vor ihrem Könige versammelten. Dieser betrachtete sie eine kurze Zeit, stürzte sich dann auf eine von ihnen [437] und verschlang sie. Die Beobachtung des wackeren Hindu wird im ganzen richtig sein; nur die Schlußfolgerung ist, wie sich von selbst versteht, eine falsche: denn der Erzähler hat nichts anderes als eine von dem vermeintlichen Könige ausgeführte Jagd auf Schlangen gesehen. Daß die Königshutschlange solche verzehrt, ist durch Beobachtungen bewährter Forscher unzweifelhaft festgestellt worden.


Königshutschlange (Ophiophagus elaps). 1/7 natürl. Größe.
Königshutschlange (Ophiophagus elaps). 1/7 natürl. Größe.

»Zwei von ihnen«, erzählt Cantor, »welche ich gefangen hielt, wurde regelmäßig alle vierzehn Tage eine Schlange vorgeworfen, gleichviel, ob dieselbe giftig war oder nicht. Sobald sie eine solche erblickten, zischten sie laut, breiteten ihr Nackenschild aus, erhoben den Vordertheil ihres Leibes, verweilten in dieser Stellung, als ob sie sicher zielen wollten, jede Bewegung ihrer Beute beobachtend, und stürzten sich dann auf das Opfer. Nachdem dieses vergiftet und getödtet worden war, verschlangen sie es und gaben sich hierauf etwa zwölf Stunden lang träger Ruhe hin.«

Gefangenen, welche Fayrer erhielt, waren von Seiten der Schlangenbeschwörer die Giftzähne ausgebrochen worden, und sie hatten daher ihre Lebhaftigkeit gänzlich eingebüßt, schienen sich unter die Herrschaft ihrer Gebieter gebeugt zu haben und benahmen sich ganz so wie Brillenschlangen, mit denen Gaukler spielen. Zweimal verzehrten sie in Gegenwart Fayrers Schlangen, welche von einer Cobra getödtet worden waren. Ihr Pfleger steckte den Kopf der Baumschlangen in das Maul der Königshutschlangen, und diese schluckten sie im Verlaufe von ungefähr einer Viertelstunde langsam hinunter, wobei sie den Kopf wiegend hin und her bewegten und den Halsschild ausgebreitet hatten. Durch Pressen der Giftdrüse gelang es, einige Tropfen Gift zu erhalten. Sie wurden einem Huhne eingeimpft. Drei Stunden später war dieses unter denselben Krankheitserscheinungen, welche nach dem Bisse der Cobra eintreten, gestorben und sein Blut, wie die Untersuchung ergab, geronnen. Später erhielt Fayrer eine zweite, nur zwei Meter lange Königshutschlange. Sie schien träge und nicht zum Beißen aufgelegt, erhob sich aber doch von Zeit zu Zeit, breitete den Halsschild aus und zischte. Eine lebende Baumschlange, welche in ihren Käfig gesperrt wurde, blieb von ihren Bissen verschont, ein Hund wurde ebensowenig von ihr angegriffen; kurz, sie schien jede Störung von sich abweisen und lieber allein sein zu wollen. Der Schlangenfänger behandelte sie in Rücksicht ihrer Kraft und Gefährlichkeit mit ersichtlichem Widerwillen und ebenso mit bemerklicher Vorsicht, wollte auch allein mit ihr nichts zu thun haben, sondern verlangte stets die Hülfe eines Gefährten, wenn er aufgefordert wurde, sie zu fassen. Im Verlaufe der Zeit ließ er sich herbei, auch mit ihr in der üblichen Weise zu gaukeln, immer aber nur, wenn ein zweiter seinesgleichen sie am Schwanze hielt.

Solche Vorsicht hat entschiedene Berechtigung; denn die Königshutschlange ist ein ebenso wüthendes als gefährliches Thier, welches nicht bloß Stand hält, wenn es angegriffen wird, sondern ihren Gegner sogar verfolgt, sobald derselbe den Rücken wendet, ganz gegen die allgemeine Sitte ihres Geschlechtes. So berichtet Cantor, und so erzählen übereinstimmend alle übrigen Beobachter, welche mit ihr zusammengekommen sind. Ein Officier wurde in Assam von einer Königshutschlange angegriffen und in die größte Gefahr gebracht, ein Burmane, nach Versicherung eines anderen, welcher diese Geschichte den Engländern mittheilte, sogar längere Zeit verfolgt. Der Mann stieß auf eine Anzahl junger Königshutschlangen, welche, wie er glaubte, von ihrer Mutter überwacht wurden. Letztere wendete sich augenblicklich gegen den Ankömmling. Dieser floh in aller Eile über Berg und Thal, durch dick und dünn, und das Entsetzen verlieh seinem Fuße Schwingen. So erreichte er glücklich ein kleines Flüßchen und warf sich ohne Besinnen in dessen Fluten, um schwimmend das andere Ufer zu gewinnen. Aber auch der Fluß hielt die wüthende Schlange nicht auf, und mehr und mehr näherte sie sich dem geängstigten, welcher die Augen glühen und die Gifthaken zum Einhauen bereit zu sehen wähnte. Als letztes Rettungsmittel warf er seinen Turbân zu Boden: ingrimmig stürzte sich die Schlange auf denselben, und wiederholt biß sie in das lockere Gewebe der Umhüllung. Der Flüchtling gewann hierdurch Zeit und entkam glücklich. Ich stelle nicht in Abrede, daß diese Schilderung durch den erlittenen Schrecken beeinflußt und zum Theil übertrieben sein mag; daß aber die Schlange wirklich verfolgt, scheint keinem Zweifel zu unterliegen.

[438] Das Gift der Königshutschlange ist nach Cantors Versuchen außerordentlich wirksam. Ein Hund verendet etwa vierzehn Minuten nach empfangenem Bisse, und zwar selbst in der kalten Jahreszeit, in welcher bekanntlich das Gift aller Schlangen minder gefahrbringend zu sein pflegt als in den heißen Monaten.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 436-439.
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