Anakonda (Eunectes murinus)

[315] Die Anakonda, Sukuriuba oder Komuti (Eunectes murinus, Boa murina, scytale, aquatica, glauca, gigas und Anacondo) hat, nach der Angabe des Prinzen von Wied, welcher sie ausführlich beschreibt, eine sehr beständige und bezeichnende Färbung. Die oberen Theile sind dunkel olivenschwarz, die Kopfseiten olivengrau, die unteren Kieferränder mehr gilblich; vom Auge, dessen Regenbogenhaut dunkel und unscheinbar ist, verläuft nach dem Hinterkopfe ein breiter, schmutzig gelbrother, oben dunkelschwarz eingefaßter Streifen und unter diesem, ebenfalls vom Auge über den Mundwinkel schief hinab und dann wieder etwas aufwärts, ein schwarzbrauner, welcher lebhaft gegen den vorigen absticht; die unteren Theile des Thieres bis zur halben Seitenhöhe sind auf blaßgelbem Grunde mit schwärzlichen Flecken bestreut, welche an einigen Stellen zwei unterbrochene Längslinien bilden; zur Seite dieser Flecken stehen ringförmige, schwarze, innen gelbe Augenflecke in zwei Reihen, und vom Kopfe bis zum Ende des Schwanzes verlaufen auf der Oberseite zwei Reihen von runden oder rundlichen, zum Theil gepaarten, zum Theil wechselständigen, schwarzbraunen Flecken, welche auf dem Halse und über dem After regelmäßig neben, übrigens aber dicht an einander stehen, sich auch wohl vereinigen.

Unter den Riesenschlangen der Neuen Welt ist die Anakonda die riesigste. Auch die glaubwürdigen Reisenden sprechen von Stücken, deren Länge gegen zehn Meter betragen soll, wobei jedoch wohl zu bemerken, daß sie selbst nur solche von fünf bis sieben Meter Länge erlegten. Eine Schlange dieser Art, welche Bates untersuchte, war über sechs Meter lang und hatte in der Leibesmitte einen Umfang von sechzig Centimeter. Schomburgk erzählt, daß er mehrere von fünf Meter Länge erlegt habe, und auch die Angaben des Prinzen stimmen hiermit überein. Ob nun wirklich einzelne uralte Stücke getödtet wor den sind, welche über zehn Meter lang waren, wie die drei genannten Naturforscher von glaubwürdigen Zeugen erzählen hörten, bleibt fraglich und für mich zweifelhaft, weil ich auf derartige Schätzungen unkundiger Leute, auch wenn ich von ihrer Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe überzeugt bin, durchaus kein Gewicht zu legen vermag; immerhin aber steht so viel fest, daß die Anakonda eine gewaltige, achtunggebietende Schlange ist.

»Alle Nachrichten und Namen«, sagt der Prinz,»welche auf einen Aufenthalt in oder an dem Wasser deuten, beziehen sich auf diese Art; denn sie lebt meistens im Wasser und kann sehr lange in der Tiefe desselben aushalten, kommt aber oft an die Ufer auf alte Baumstämme, Felsenstücke oder auf den erhitzten Sand, um sich daselbst zu sonnen oder ihren Raub zu verzehren. Sie läßt sich im Flusse von dem Strome treiben, fischt daselbst oder legt sich auf einem Felsenstücke auf die Lauer, um den Wasserschweinen, Agutis, Pakkas und ähnlichen Thieren nachzustellen. Im Flusse Belmonte hatten meine Jäger die vier Füße eines Säugethieres hervorblicken sehen, welche sie für [315] ein todtes Schwein hielten; als sie aber näher hinzukamen, entdeckten sie eine riesenhafte Schlange, welche ein großes Wasserschwein in mehreren Windungen umschlungen und getödtet hatte. Sie brannten augenblicklich zwei Flintenschüsse nach dem Unthiere ab, und der Botokude schoß ihm einen Pfeil in den Leib. Nunmehr erst verließ es seinen Raub und schoß, der Verwundung ungeachtet, schnell davon, als ob ihm nichts widerfahren wäre. Meine Leute fischten das noch frische, eben erst erstickte Wasserschwein auf und kehrten zurück, um mir Nachricht von dem Vorfalle zu geben. Da es mir äußerst wichtig war, die merkwürdige Schlange zu erhalten, sandte ich die Jäger sogleich wieder aus, um sie zu suchen; alle angewandte Mühe war jedoch fruchtlos. Die Schrote hatten im Wasser ihre Kraft verloren, und den Pfeil fand man zerbrochen am Ufer, wo ihn die Schlange abgestreift hatte.«

Die Anakonda nährt sich zwar von verschiedenartigen Wirbelthieren, besonders aber von Fischen, deren Ueberreste man in dem Magen findet. Sie lebt viel auf dem Grunde der Gewässer, liegt ruhend in deren Tiefen und zeigt höchstens den Kopf über der Oberfläche, von hieraus die Ufer beobachtend, oder treibt mit der Strömung schwimmend den Fluß hinab, jeglicher Art von Beute gewärtig. Den Anwohnern macht sie sich durch ihre Räubereien sehr verhaßt: Schomburgk erlegte eine, welche eben eine der großen, zahmen Bisamenten ergriffen und bereits erdrückt hatte, und erfuhr gelegentlich seines Besuches in einer Pflanzung, daß sie sich zuweilen auch an vierfüßigen Hausthieren, beispielsweise Schweinen, vergreift. Andere Forscher bestätigen seine Angaben. »Während wir«, erzählt Bates, »im Hafen von Antonio Malagueita vor Anker lagen, erhielten wir unwillkommenen Besuch. Ein starker Schlag an den Seiten meines Bootes, auf welchen das Geräusch eines ins Wasser fallenden, gewichtigen Körpers folgte, erweckte mich um Mitternacht. Ich stand eilends auf, um zu sehen, was es gegeben; doch war bereits alles wieder ruhig geworden, und nur die Hühner in unserem Vorrathskorbe, welchen man an einer Seite des Schiffes, etwa zwei Fuß über dem Wasser angebunden hatte, waren unruhig und gackerten. Ich konnte mir dies nicht erklären; meine Leute waren aber am Ufer: ich kehrte also in die Kajüte zurück und schlief bis zum nächsten Morgen. Beim Erwachen fand ich die Hühnergesellschaft auf dem Boote umherlaufen und, bei näherer Untersuchung, in dem Hühnerkorbe einen großen Riß. Ein Paar Hühner fehlte. Senhor Antonio verdächtigte als den Räuber eine Anakonda, welche, wie er sagte, vor einigen Monaten in diesem Theile des Flusses gejagt und eine Menge von Enten und Hühnern weggeraubt hatte. Anfänglich war ich geneigt, seine Angabe zu bezweifeln und eher an einen Alligator zu denken, obgleich wir seit einiger Zeit keine derartige Panzerechsen im Strome gesehen hatten; einige Tage später aber wurde ich von der Wahrheit der Aussage Antonio's hinlänglich überzeugt. Die jungen Leute der verschiedenen Ansiedelungen vereinigten sich zu einer Jagd auf das Raubthier, begannen in regelrechter Weise ihre Verfolgung, untersuchten alle kleinen Inselchen zu beiden Seiten des Flusses und fanden zuletzt die Schlange in der Mündung eines schlammigen Flüßchens im Sonnenscheine liegen. Nachdem sie mit Wurfspießen getödtet worden war, bekam ich sie am folgenden Tage zu sehen und erfuhr durch Messung, daß sie nicht eben zu den größeren Stücken gehörte, sondern bei sechs Meter Länge nur vierzig Centimeter im Umfange hielt.«

Gerade von der Anakonda wird behauptet, daß sie zuweilen einen Menschen angreift, und möglicherweise bezieht sich auf sie die bereits mitgetheilte Angabe des Prinzen Moritz von Nassau. Doch erzählt Schomburgk wörtlich folgendes: »In Morokko (einer Mission in Guayana) war noch alles von dem Angriffe einer Riesenschlange auf zwei Bewohner der Mission bestürzt. Ein Indianer aus dieser war vor wenigen Tagen mit seiner Frau nach Federwild den Fluß aufwärts gefahren. Eine aufgescheuchte Ente hatte der Schuß erreicht und war auf das Ufer niedergefallen. Als der Jäger seiner Beute zueilt, wird er plötzlich von einer großen Komutischlange oder Anakonda ergriffen. In Ermangelung jeder Vertheidigungswaffe (das Gewehr hatte er im Corial zurückgelassen) ruft er seiner Frau zu, ihm ein großes Messer zu bringen. Kaum ist die Frau an seiner Seite, so wird auch sie von dem Unthiere ergriffen und umschlungen, was dem Indianer glücklicherweise so viel [316] Raum läßt, daß er den einen Arm frei bekommt und der Schlange mehrere Wunden beibringen kann. Durch diese geschwächt, läßt sie endlich vom Angriffe ab und ergreift die Flucht. Es war dies der einzige Fall, der zu meiner Kenntnis kam, daß die Anakonda Menschen angegriffen.« Höchst wahrscheinlich hatte es die Schlange auf die Ente, nicht aber auf den Indianer abgesehen gehabt, und in blinder Raubgier an diesem sich vergriffen. Jedoch mögen wirklich Fälle vorkommen, welche auch auf das Gegentheil hindeuten. »Zu Ega«, berichtet Bates, »hätte eine große Anakonda einst beinahe einen Knaben von zehn Jahren, den Sohn eines meiner Nachbarn, gefressen. Vater und Sohn wollten wilde Früchte sammeln und landeten an einer sandigen Uferstelle. Der Knabe blieb als Hüter des Bootes zurück; der Mann drang in den Wald ein. Während jener nun im Wasser unter dem Schatten der Bäume spielte, umringelte ihn eine große Anakonda, welche ungesehen soweit herangekommen, daß es für ihn unmöglich wurde, zu flüchten. Sein Geschrei rief glücklicherweise rechtzeitig den Vater herbei, welcher die Anakonda sofort am Kopfe ergriff, ihr die Kinnladen aufbrach und den Knaben befreite.« Auch Humboldt erwähnt ausdrücklich, daß die großen Wasserschlangen den Indianern beim Baden gefährlich werden. Demungeachtet können diese Ausnahmen die vom Prinzen aufgestellte Regel, daß die Anakonda dem Menschen unschädlich ist und von niemand gefürchtet, sie auch sehr leicht getödtet wird, nicht umstoßen.

Nach reichlich genossener Mahlzeit wird die Anakonda, wie die Schlangen überhaupt, träge, so bewegungslos aber, als man gefabelt hat, niemals. Allem, was man von der Nahrung und Unbeweglichkeit bei der Verdauung gesagt, liegt, wie der Prinz hervorhebt, »etwas Wahrheit zu Grunde, alles ist aber immer sehr übertrieben.« Schomburgk bemerkt, daß der Geruch, welcher während der Verdauung von ihr ausströmt, pestartig sei und meist zum Führer nach dem Lager der verdauenden Schlange werde. Von was dieser Pestgeruch herrührt, ob von den sich zersetzenden Beutestücken oder von gewissen Drüsen, welche namentlich in der Nähe des Afters liegen sollen, bleibt, laut Waterton, noch fraglich.

Humboldt ist der erste Naturforscher, welcher erwähnt, daß die Anakonda, wenn die Gewässer austrocknen, welche ihren Aufenthalt gebildet haben, sich in den Schlamm vergräbt und in einen Zustand der Erstarrung fällt. »Häufig finden die Indianer«, sagt er, »ungeheuere Riesenschlangen in solchem Zustande, und man sucht sie, so erzählt man, zu reizen oder mit Wasser zu begießen, um sie zu erwecken.« Ein solcher Winterschlaf findet übrigens nur in gewissen Theilen Südamerikas statt, nicht aber da, wo weder Kälte noch unerträgliche Hitze die mittlere Jahreswärme stören. Hier kann man, nach Versicherung des Prinzen von Wied, keine bedeutende Abwechselung in der Lebensart der Anakonda erwarten, und alles, was man von ihrem Winterschlafe gesagt hat, gilt für die Wälder von Brasilien nicht; denn in den ewig wasserreichen Waldthälern des Kaiserreiches, wo sie nicht in eigentlichen Sümpfen lebt, sondern in den weiten Seen, Flüssen und Bächen, deren Ufer vom Schatten der alten Urwaldbäume abgekühlt werden, bleibt sie Winter und Sommer beweglich und lebendig. Soviel ist indessen den Bewohnern bekannt, daß sie sich in der heißen Zeit oder den Monaten December, Januar und Februar mehr bewegt, mehr zeigt und mehr um sich geht als im übrigen Theile des Jahres, da schon der Geschlechtstrieb sich regt.

Während der Paarung soll man nach Angabe desselben Forschers, welche von Schomburgk durchaus bestätigt wird, oft ein sonderbares Brummen der Anakonda vernehmen. Ueber die Begattung selbst, das heißt über die Zeit und die Art und Weise, in welcher sie geschieht, ist mir keine Mittheilung der Reisenden bekannt. Schomburgk sagt, daß die Jungen noch im Bauche der Mutter aus den Eiern schlüpfen, und die Anzahl der letzteren oft gegen hundert (?) betragen soll. Auch Schlegel fand im Leibe einer ihm aus Surinam zugesandten Anakonda zwar nicht gegen hundert, aber doch einige zwanzig Eier, in denen die Keimlinge fast gänzlich entwickelt waren und bereits eine Länge von dreißig bis fünfundvierzig Centimeter erlangt hatten. Es scheint jedoch, daß die Jungen auch als Frühgeburten zur Welt kommen können, da eine Anakonda der Dinter'schen Thierbude am sechsundzwanzigsten Mai sechsunddreißig Eier legte, welche zwischen wollene Decken in [317] einer Wärme von sechsunddreißig Grad erhalten und bis zum achtzehnten Juni, an welchem Tage das erste, etwa fingerdicke Junge frisch und munter herauskam, wirklich gezeitigt wurden. Im Freien scheinen sich die Jungen nach dem Auskriechen sofort ins Wasser zu begeben, aber noch längere Zeit gesellig zusammenzuhalten und auf den benachbarten Uferbäumen gemeinschaftlich zu lagern. Auch für diese Angabe ist Schomburgk Gewährsmann. »Eine große Anzahl Riesenschlangen«, erzählt er, »schien die Ufer des Flusses zu ihrem Wochenbette erwählt zu haben; denn auf den Bäumen, welche über den Fluß herüberhingen, hatte sich eine Menge von etwa zwei Meter langer und entsprechend junger Brut gelagert. Wenn die Axt an den Stamm des über den Fluß gebeugten Baumes gelegt ward und ihn zu erschüttern begann, fielen jedesmal mehrere in die Corials herab.«

Wenn man ältere Reisebeschreibungen liest, wundert man sich nicht mehr, daß noch heutigentages fürchterliche Geschichten von Kämpfen zwischen Menschen und Anakondas oder anderen Riesenschlangen geglaubt werden. Pater Mantoya berichtet als Augenzeuge, wie die Anakonda bei ihrem Fischfange verfährt. Sie speit massenhaft Schaum auf das Wasser, welcher die Fische herbeilocken soll, taucht unter und erscheint, wenn jener Schaum seine Wirkung gethan, um nunmehr verheerend unter den beschuppten Bewohnern der Tiefe zu hausen. Einmal sah der brave Sendbote des Christenthums, wie ein erwachsener großer Indianer, welcher bis an den Gürtel im Wasser stand, von einer Schlange verschlungen, sah auch, daß derselbe am folgenden Tage wieder ausgespieen wurde. Andere Berichterstatter übertreiben oder erfinden in ähnlicher Weise. Stedmann schildert seine Jagd auf eines der Unthiere mit sehr lebhaften Farben. Der Reisende hatte das Fieber und lag in seiner Hängematte, als ihm die Wache berichtete, man sähe im Gebüsche des Ufers etwas schwarzes sich bewegen, welches ein Mensch zu sein scheine. Es wurde Anker geworfen und mit einem Kahne dem Orte zugerudert. Ein Sklave erkannte, daß das Schwarze eine Riesenschlange war, und Sted mann befahl umzukehren; der Sklave aber wollte durchaus darauf losgehen, weckte dadurch des Europäers Stolz, so daß dieser, ungeachtet seines Uebelbefindens, mit geladener Flinte auszog, während ein Soldat noch drei andere Gewehre nachtrug. Kaum waren sie durch Schlamm und Gebüsch funfzig Schritte vorwärts gedrungen, so schrie der Sklave, daß er die Schlange sehe. Das ungeheuere Thier lag nur fünf Meter entfernt unter Laubwerk, züngelte, und seine Augen funkelten. Stedmann legte seine Flinte auf einen Ast, zielte, schoß, traf aber mit der Kugel nicht den Kopf, sondern den Leib. Die Schlange schlug fürchterlich um sich, so daß das Gebüsch weggemähet wurde, steckte den Schwanz ins Wasser und warf dadurch so viel Schlamm auf seine Verfolger, daß sie an nichts anderes dachten, als Reißaus zu nehmen und in den Kahn zu springen. Als sie wieder zu sich gekommen waren, beantragte der Sklave einen neuen Angriff. Die Schlange, meinte er, würde nach einigen Minuten wieder ruhig sein und nicht ans Verfolgen denken. Stedmann verwundete sie nochmals, aber ebenfalls nur leicht, und bekam einen solchen Regen von Schlamm wie beim größten Sturme. Wiederum flüchteten die muthigen Kämpfer in den Kahn und hatten alle weitere Lust verloren; der Sklave aber ließ nicht nach. Nun schossen alle drei auf einmal und trafen sie in den Kopf. Der Neger war außer sich vor Freude, brachte ein Seil, warf der noch immer sich drehenden Schlange eine Schlinge um den Hals, und nunmehr zog man sie mit vieler Mühe ins Wasser, band sie an den Kahn und fuhr nach der Barke zurück. Sie lebte noch und schwamm wie ein Aal. Ihre Länge betrug sieben Meter; ihre Dicke war so, daß sie gerade die Weste eines zwölfjährigen Negers ausfüllte. Kein Wunder, daß nach solchen Berichten auch Schomburgk anfänglich sich scheute, eine von seinen Indianern entdeckte Anakonda anzugreifen. »Das Ungeheuer«, erzählt er, »lag auf einem dicken Zweige eines über den Fluß ragenden Baumes gleich einem Ankertaue zusammengerollt und sonnte sich. Ich hatte zwar schon in der That große Anakondas gesehen: ein solcher Riese aber war mir noch nicht begegnet. Lange Zeit kämpfte ich mit mir und war unentschieden, ob ich angreifen oder ruhig vorüberfahren sollte. Alle die schreckenvollen Bilder, die man mir von der ungeheueren Kraft dieser Schlangen entworfen, und vor denen ich schon als Kind gezittert hatte, tauchten jetzt [318] in meiner Seele auf, und die Vorstellung der Indianer, daß, wenn wir sie nicht auf den ersten Schuß tödtlich verwundeten, sie uns ohne Zweifel angreifen und das kleine Corial durch ihre Windungen umwerfen würde, wie dies schon öfters der Fall gewesen, verbunden mit dem sichtbaren Entsetzen Stöckle's (des deutschen Dieners), welcher mich bei meinen und seinen Eltern beschwor, uns nicht leichtsinnig solchen Gefahren auszusetzen, bewogen mich, den Angriff aufzugeben und ruhig vorüberzufahren. Kaum aber hatten wir die Stelle im Rücken, als ich mich meiner Bedenklichkeiten schämte und die Ruderer zur Umkehr nöthigte. Ich lud die beiden Läufe meiner Flinte mit dem gröbsten Schrote und einigen Posten; ebenso that der beherzteste der Indianer. Langsam kehrten wir nach dem Baume zurück: noch lag die Schlange ruhig auf der alten Stelle. Auf ein gegebenes Zeichen schossen wir beide ab; glücklich getroffen stürzte das riesengroße Thier herab und wurde nach einigen krampfhaften Zuckungen von der Strömung fortgetrieben. Unter Jubeln flog das Corial der Schlange nach, und bald war sie erreicht und in den Kahn gezogen. Obgleich sich jeder überzeugte, daß sie längst verendet sei, so hielten sich doch Stöckle und Lorenz in ihrer Nähe keineswegs sicher; die beiden Helden warfen sich jammernd und heulend auf den Boden nieder, als sie das fünf Meter lange und starke Thier vor sich liegen und dann und wann noch den Schwanz sich bewegen sahen. Die Leichtigkeit, mit der wir sie bewältigten, verdankten wir der Wirksamkeit der Posten, von denen ihr die eine das Rückgrat, die andere den Kopf zerschmettert hatte. Eine solche Verwundung, besonders in den Kopf, macht, wie ich später noch oft wahrzunehmen Gelegenheit hatte, selbst die riesigste Schlange augenblicklich regungs- und bewegungslos. Das Geschrei sowie die beiden Schüsse hatten auch die beiden vorauseilenden Kähne wieder zurückgerufen; Herr King machte mir jedoch einige Vorwürfe über mein Unternehmen, die Aussagen der Indianer vollkommen bestätigend. Auf einer seiner Reisen war ein gleiches Ungethüm von fast sechs Meter Länge erst durch die siebente Kugel getödtet worden.«

Gegenüber solchen Schilderungen, deren Thatsächlichkeit ich in keiner Weise bestreiten will, erscheint es mir nothwendig, auch noch einige Angaben des Prinzen von Wied hier folgen zu lassen. »Gewöhnlich«, sagt dieser in jeder Hinsicht zuverlässige Forscher, »wird die Anakonda mit Schrot geschossen, allein die Botokuden tödten sie auch wohl mit dem Pfeile, wenn sie nahe genug hinzukommen können, da sie auf dem Lande langsam ist. Sobald man sie einholt, schlägt oder schießt man sie auf den Kopf. Ein durch den Leib des Thieres geschossener Pfeil würde dasselbe nicht leicht tödten, da sein Leben zu zäh ist; es entkommt mit dem Pfeile im Leibe und heilt sich gewöhnlich wieder aus. Die Bewohner von Belmonte hatten derartige Schlangen erlegt, den Kopf fast gänzlich abgehauen, alle Eingeweide aus dem Leibe, sowie das viele darin befindliche Fett abgelöst, und dennoch bewegte sich der Körper noch lange Zeit, selbst nachdem die Haut schon abgezogen.

Die Anakonda wird ohne Gnade getödtet, wo man sie findet. Ihre große, dicke Haut gerbt man und bereitet Pferdedecken, Stiefel und Mantelsäcke daraus. Das weiße Fett, welches man bei ihr zu gewissen Zeiten des Jahres in Menge findet, wird stark benutzt, und die Botokuden essen das Fleisch, wenn ihnen der Zufall ein solches Thier in die Hände führt.«

Außer dem Menschen dürften erwachsene Anakondas kaum Feinde haben; ich wenigstens halte die Berichte von entsetzlichen Kämpfen zwischen Alligatoren und Wasserschlangen für nichts anderes als eitel Faselei, um nicht zu sagen Lüge. Den Jungen dagegen stellen unzweifelhaft alle Schlangenfeinde Südamerikas mit demselben Eifer nach wie anderen kleineren Mitgliedern der Ordnung auch.

In unseren Thierbuden oder in den Thiergärten zu London, Amsterdam und Berlin, den einzigen, in denen Schlangen gehalten werden, sieht man lebende Anakondas ebenso oft als Abgottschlangen. Ihre Behandlung ist dieselbe, und was von dem Gefangenleben der einen gesagt werden kann, gilt auch für die andere.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 315-319.
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