Kettennatter (Coronella getulus)

[345] Eine der schönsten, mir bekannten Jachschlangen ist die nordamerikanische Kettennatter (Coronella getulus, Coluber, Ophibolus und Herpetodryas getulus), ein schlank gebautes Thier von 1 bis 1,3 Meter Länge, sehr hübscher Färbung und ansprechender Zeichnung. Den dunkleren Grund, welcher von Röthlichbraun zu Schwarzbraun und selbst Schwarz abändern kann, zeichnen auf der Oberseite schmale, gelbe, etwa zwei Centimeter von einander entfernte Querbänder, welche sich auf jeder Seite an der Grenze der Bauchschilder durch Längsbänder vereinigen und so eine bis zum Ende des Schwanzes fortlaufende Kette bilden. Die Oberkopfschilder sind chokoladebraun, mit veränderlich gestalteten gelben Flecken, die Lippenschilder düster oder gelblichweiß, schwarzbraun gerändert, die Bauchschilder schmutzig weiß und braun gewürfelt.

Die Kettennatter verbreitet sich über einen beträchtlichen Theil der Vereinigten Staaten, kommt schon in unmittelbarer Nähe von New York vor und wählt zu ihrem Aufenthalte buschreiche Ebenen und Waldungen. Der Gewandtheit ihrer Bewegungen halber hat sie von den Nordamerikanern den Namen Renner oder Rennschlange erhalten und verdient in der That eine derartige Bezeichnung, gehört mindestens im Käfige zu den lebhaftesten, muntersten und beweglichsten Schlangen, welche ich jemals gesehen habe. Im Freien scheint sie so gut als ausschließlich auf Eidechsen zu jagen, in Gefangenschaft zieht sie dieselben jeder anderen Nahrung vor, gewöhnt sich mit der Zeit jedoch auch an Mäuse und selbst an dünn geschnittene Stücke rohen Fleisches. Sie [345] kommt oft lebend nach Europa und hält sich bei geeigneter Pflege jahrelang im Käfige, wird mit der Zeit sehr zahm, und kann gewöhnt werden, ihr vorgehaltenes Futter aus der Hand zu nehmen, unterscheidet sich überhaupt sehr zu ihrem Vortheile von ihren Verwandten dadurch, daß sie nicht bissig ist. Als ich eines dieser schönen Thiere zu der dasselbe Vaterland bewohnenden Schwarznatter (Coryphodon constrictor) brachte, versuchte sie angesichts der letzteren zu flüchten, nahm, als ihr dies nicht gelang, eine drohende Haltung an, wurde aber wenige Augenblicke später von jener überfallen, am Kopfe gepackt und trotz ihres Widerstandes so rasch verschlungen, daß uns eben nur noch so viel Zeit blieb, sie am Schwanze zu packen und wieder aus dem Schlunde der Schwarznatter hervorzuziehen.


Kettennatter (Coronella getulus). 1/3 natürl. Größe.
Kettennatter (Coronella getulus). 1/3 natürl. Größe.

Abgesehen von einigen unbedeutenden Schrammen am Kopfe hatte sie keine Verletzungen erlitten und lebte nach diesem ihr widerfahrenen Abenteuer noch mehrere Jahre.

Die Unterfamilie der Landnattern (Colubrinae), umfaßt, wenn auch nicht die meisten, so doch die in ihrer Art vollendetsten Nattern. Der Leib ist mittel- oder ziemlich lang, in allen einzelnen Theilen ebenmäßig gebaut, der Schwanz nicht, der Kopf deutlich abgesetzt, die Mundspalte weit, ein Zügelschild stets vorhanden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 345-346.
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