[359] Die eine dieser Abarten und die zuerst beschriebene ist die Zorn- oder gelbgrüne Natter (Zamenis viridiflavus, Coluber communis, vulgaris, franciae, sardus, luteistriatus, gemonensis, viridiflavus und atrovirens, Natrix und Hierophis viridiflavus, Zamenis atrovirens) und tritt im westlichen Theile des Verbreitungsgebietes auf; die andere wurde zuerst unter dem Namen Springnatter (Zamenis jaculator, Coluber jaculator) und später unter dem Namen Balkennatter (Zamenis trabalis, Coluber trabalis, caspius, petalarius, acontistes, thermalis, griseocoerulens, erythrogaster und personatus, Bothriophis und Coelopeltis erythrogastra und Haemorrhois trabalis) beschrieben und findet sich im östlichen Theile des Wohnkreises der Art. Eine ausführliche Beschreibung der Haupt- und aller Zwischenabarten würde den Raum mehrerer Seiten beanspruchen; es mag daher das nachstehende zur Kennzeichnung der beiden zunächst zu unterscheidenden Formen genügen.
Die Zornnatter scheint niemals die Größe der Balkennatter, sondern höchstens 1,3 Meter zu erreichen, bleibt aber gewöhnlich auch hinter diesen Maßen zurück. Kopf und Nacken sind auf graugelbem, Rücken und Schwanz auf grünlichem Grunde unregelmäßig, die Untertheile auf gelbem [359] Grunde regelmäßiger schwarz in die Quere gebändert; die Fleckenzeichnung geht am Hintertheile des Leibes in Streifen über, welche gleichlaufend sich bis zur Schwanzspitze fortziehen. Bei anderen Stücken herrscht auf der Oberseite anstatt grün ein schönes Grüngelb vor, und die Unterseite sieht dann kanariengelb aus.
Bei wieder anderen ist die Oberseite olivenbraun und ungefleckt, bei einer gewissen Spielart fast vollständig schwarz, der Bauch in der Mitte strohgelb, die Unterseite des Schwanzes wie die Seite stahlblau.
Die Balkennatter ist oberseits auf bläulich-oder bräunlichgrauem Grunde mehr oder weniger deutlich der Länge nach gestreift, weil die Mitte jeder einzelnen Schuppe anders gefärbt ist als ihre Ränder. Außer der hierdurch entstehenden Streifung, welche lichter, ja fast weiß oder aber rostroth oder selbst rostbraun sein kann, zeigen jüngere Schlangen dieser Spielart noch schwarze, mehr oder weniger deutlich hervortretende, in Längsreihen geordnete Flecke auf dem Rumpfe. Der Kopf ist oberseits stets bräunlich und durch gelbe und bräunliche Striche und Punkte gemarmelt. Die Oberlippenschilder und die Schilder vor und hinter den Augen sind stets hell, bräunlich oder gelb gefärbt, erstere durch schmale, dunkle Ränder gezeichnet, die Unterseite dagegen einfarbig, entweder bräunlichgelb oder ziegelroth, die Bauchschilder bei einzelnen in der vorderen Rumpfhälfte, an ihrem Hinterrande unterbrochen schwarz gesäumt und außerdem durch graue Nebelflecke gezeichnet.
Die Zornnatter verbreitet sich von Ungarn an westlich über alle Mittelmeerländer, dringt aber nur in Frankreich über die Alpen vor. Sie ist häufig in Kroatien, Krain, Südkärnten und Südtirol, hier, laut Gredler, sogar diejenige Natter, welcher man öfter begegnet als jeder anderen, um so mehr, als sie den Häusern dreist sich nähert, im südlichen Theile der Schweiz, und zwar in Tessin und Wallis, dagegen selten und, weil sie sich in mehreren Bädern aufhält, nach Ansicht Fatio's erst durch die Römer hier eingeführt worden, in vielen Gegenden Südfrankreichs nach Norden hin bis zum funfzigsten Grade eine nicht ungewöhnliche Erscheinung, in Spanien endlich und jenseit des Mittelländischen Meeres, in Marokko, Algerien, Tunis, in Menge vorhanden. In [360] der Umgegend von Rom ist sie sehr häufig, kommt auch in unmittelbarer Nähe der Stadt vor und dringt gar nicht selten in die inneren Gärten ein; in Dalmatien findet man sie, laut Erber, häufiger als jede andere Schlange; in der Levante hat man sie ebenfalls beobachtet. Von Ungarn aus nach Osten hin tritt die Balkennatter an ihre Stelle, und zwar verbreitet sie sich von hier aus über ganz Südrußland und ebenso von der Levante an über Kleinasien und Persien; ja, falls einzelnen Angaben Glauben zu schenken, reicht sie sogar bis Ostindien. Man kennt sie von Ofen an südlich aus Ungarn, Slavonien, von den Kykladen, aus Kleinasien, den Kaukasusländern, den Gegenden der unteren Wolga, des Tereck und Uralflusses, überhaupt aus ganz Südrußland vom Djnepr bis zum Kaspischen Meere, und darf sie in den südrussischen Steppen als die gemeinste der dort vorkommenden Schlangen bezeichnen. Somit würde sich, falls man beide Spielarten vereinigt und, wie ich vorgeschlagen, mit dem Namen Pfeilnatter bezeichnet, das Gebiet dieser Schlange mindestens von der Westküste der Iberischen Halbinsel bis zur Ostküste des Kaspischen Meeres und vom sechsunddreißigsten bis zum funfzigsten Grade nördlicher Breite ausdehnen.
Ihren Aufenthalt wählt die Pfeilnatter je nach des Ortes Gelegenheit. In den russischen Steppen haust sie in den heißesten und trockensten Ebenen, in Dalmatien wie in Tirol dagegen auf sonnigen, aber nicht dürren Oertlichkeiten bebauter Gegenden, in Gebüschen oder längs der Zäune, Straßen, in altem Gemäuer und in Steinhaufen der Ebene wie des Hügellandes, besteigt auch Bäume; wenigstens versichert Gredler, daß es ihm vorgekommen sei, anstatt Kerbthiere derartige Nattern von den Bäumen geschüttelt zu haben.
Die Nahrung besteht, laut Erber, aus Eidechsen und Mäusen, wahrscheinlich aber auch aus anderen Schlangen, da man in der Gefangenschaft beobachtete, daß sie solchen gefährlich wird. Jedenfalls scheint sie Kriechthiere den Mäusen vorzuziehen. Erber und Metaxa lernten sie als Schlangenräuberin kennen. Metaxa hielt eine gelbgrüne Natter mit anderen in einem und demselben Käfige zusammen, mußte aber zu seinem Leidwesen wahrnehmen, daß erstere zwei ihrer Gefährten verzehrte, unter diesen ein Mitglied ihrer eigenen Art. Sie wurde betroffen, als sie das zweite Opfer schon halb verschlungen hatte, selbstverständlich gestört und veranlaßt, die Beute wieder von sich zu speien. Letztere kam lebend und unversehrt wieder hervor; aber auch die erstgefressene Schlange, welche man nach Tödtung ihrer Räuberin aus deren Magen hervorzog, war erst halb todt. Erber erlebte zu seinem Kummer, daß ihm eine unserer Nattern die seltenere Katzenschlange auffraß, beobachtete aber, daß die muthige Pfeilnatter sich nicht einmal vor giftigen Arten ihrer Ordnung fürchtete, namentlich die Sandviper ohne Bedenken angreift und verzehrt. Nach Effeldts Wahrnehmungen bilden Smaragdeidechsen ihre Lieblingsnahrung, Schlangen aber unzweifelhaft eine kaum weniger beliebte Beute, und zwar frißt die Pfeilnatter andere ihresgleichen ebensogut wie andersartige. Einstmal kam er gerade noch recht, um zu sehen, wie eine mehr als meterlange Pfeilschlange, und zwar die Spielart Zornnatter, eine andere fast ebenso lange ihresgleichen verschlingen wollte, sie aber trotz alles Würgens nicht im Magen unterbringen konnte, so daß er zu Hülfe kommen und den noch zum Maule heraushängenden Theil abschneiden mußte; ein zweites Mal überraschte er eine, welche eine andere, kaum kleinere ihresgleichen bis zur Hälfte im Leibe hatte, hoffte letztere noch retten zu können und störte die Würgerei, bis sie ihre zwar noch lebende, aber sehr matte Beute ausspie. Dies hatte zur Folge, daß am anderen Tage beide Schlangen todt waren. Auf den Kykladen wird die Pfeilnatter, laut Erhard, von den Griechen gefürchtet und gescheut. »Daß sie Hühner- und Taubenställe plündert, unterliegt keinem Zweifel, wenn es auch vielleicht übertrieben ist, ihr den Raub junger Lämmer zur Last zu legen.«
Von der Trägheit anderer Schlangen besitzt die Pfeilnatter nach Erhards Versicherung, welche mit anderen Angaben im Einklange steht, durchaus nichts, ist im Gegentheile beständig lebhaft, verfolgt mit halbaufgerichtetem Leibe laufend und springend ihre Beute, weshalb der Name Pfeilnatter sehr gut gewählt erscheint, besteigt Bäume und schwimmt über Gewässer, nach Versicherung der griechischen Fischer sogar ohne Bedenken über einen Meeresarm. Den Menschen [361] scheut sie durchaus nicht, sondern greift ihn immer zuerst an, und zwar unter heftigem Zischen und Geifern, wie es den westindischen Giftschlangen eigenthümlich sein soll.
Unter den ungiftigen Schlangen Europas gilt sie mit Recht als die bissigste und lebhafteste. Schon die kleine Spielart, welche wir unter dem Namen Zornnatter kennen, beißt regelmäßig nach dem Fänger; die größere Balkennatter pflegt sich zwar zurückzuziehen, ein Pferd aber wie den Reiter nicht zu fürchten; ja, wenn sie von letzteren überrascht wird, ohne weiteres zum Angriffe überzugehen. Hierbei soll sie sich nach den Erfahrungen von Pallas zuweilen in den sogenannten Teller zusammenlegen, den Gegner dicht herankommen lassen und plötzlich den Kopf zum Bisse vorschnellen, zuweilen auch in den Lippen der Pferde förmlich sich festbeißen. Kein Wunder, daß größere Pfeilnattern dieser Bissigkeit halber überall gefürchtet werden. Wenn ihnen auch, wie Erhard sagt, das stygische Gift der Lanzenvipern und Buschmeister fehlt und die von ihr verursachten Angriffe dem besonnenen Manne gegenüber nur für sie selbst verderblich sein können, mag Kindern und unwissenden Frauen hierdurch doch Schrecken genug erwachsen. Auf den Kykladen wie auf allen Inseln des Mittelmeeres überhaupt, selbst Sicilien und die Ionischen Eilande nicht ausgenommen, wiederholen sich häufig Erzählungen, welche über die Tödtung einzelner Schlangen von außerordentlicher Größe berichten und glauben machen wollen, daß solche in früheren Zeiten in der Umgegend ihres Aufenthaltes überall Schrecken verbreitet haben. So erzählt man von Kephalonia, einer Insel, welche nach Erhard ein wahres Schlangennest genannt werden kann, daß zwei Brüder auf der Spitze eines Berges eine seit lange dort hausende Schlange, welche jahrelang den Berg für Menschen und Thiere unzugänglich gemacht, während des Schlafes mit Hülfe von Hellebarden erlegt haben sollen; und wahr an der Sache ist, wie Erhard an Ort und Stelle sich überzeugte, daß der Berg, auf welchem diese Heldenthat vollbracht worden sein soll, noch heutzutage den Namen der beiden Brüder trägt und urkundlich den Nachkommen derselben als Belohnung für ihren Muth zu immerwährendem und abgabenfreiem Eigenthume überlassen wurde. So erzählt man, daß in der Gegend von Gallipoli am Bosporus auf asiatischem Gebiete vor mehreren Jahrzehnten durch einen Schrotschuß in den Kopf eine Schlange erlegt worden sei, welche im Sterben durch die Bewegungen ihres Schwanzes um sich her Weinstöcke entwurzelte, und deren Leiche fortzuschaffen, drei Männer nicht im Stande waren. Es bedarf nicht besonderer Beweise, um zu erkennen, daß sämmtliche Erzählungen dieser Art mindestens in hohem Grade übertrieben sind; sie verdienen jedoch der Erwähnung, weil sie sich wahrscheinlich sämmtlich auf unsere Natter beziehen.
Eine Folge des bissigen Wesens der Pfeilnatter ist, daß man sie nicht leicht lebend erhält. Erber bezeichnet sie außerdem als listig und vorsichtig und gibt diese Eigenschaft als einen der Gründe an, weshalb sie nur selten gefangen werden soll, bemerkt auch, daß sie in Gefangenschaft immer scheu bleibt und selbst den Pfleger, an welchen sie sich gewöhnt zu haben scheint, zwingt, ihr mit Vorsicht sich zu nähern, weil er vor ihren Bissen niemals sicher sei. Zum Fressen bequemt sie sich übrigens bald, läßt auch nach und nach zum Theil wenigstens ihr ungestümes Wesen, wird aber eigentlich niemals wirklich zahm und zeigt sich so wärmebedürftig, daß sie bei uns zu Lande den Winter nur dann überlebt, wenn sie in gut eingerichteten Käfigen alle überhaupt mögliche Pflege genießen kann.
*
Buchempfehlung
Der in einen Esel verwandelte Lucius erzählt von seinen Irrfahrten, die ihn in absonderliche erotische Abenteuer mit einfachen Zofen und vornehmen Mädchen stürzen. Er trifft auf grobe Sadisten und homoerotische Priester, auf Transvestiten und Flagellanten. Verfällt einer adeligen Sodomitin und landet schließlich aus Scham über die öffentliche Kopulation allein am Strand von Korinth wo ihm die Göttin Isis erscheint und seine Rückverwandlung betreibt. Der vielschichtige Roman parodiert die Homer'sche Odyssee in burlesk-komischer Art und Weise.
196 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro