Schauerklapperschlange (Crotalus horridus)

[503] Von den sechs Klapperschlangenarten, welche man kennt, gehören nicht weniger als vier der nördlichen Hälfte des Erdtheils an, und nur eine einzige tritt auch jenseits der Landenge von Panamá auf. Schon im Süden der Vereinigten Staaten gesellt sich der gemeinsten oder bekanntesten Art die Rauten- oder Diamantklapperschlange (Crotalus adamanteus, rhombifer, atrox, sonoriensis und confluentus), und weiter nach Süden hin, in Mittelamerika, berührt deren [503] Verbreitungsgebiet das der Schauerklapperschlange (Crotalus horridus oder Crotalus Cascavella), der einzigen Art, welche bisher in Südamerika aufgefunden wurde.

Die Diamantschlange ist wohl die schönste Art der Sippe, übertrifft auch alle übrigen merklich an Größe, da alte Weibchen von 2,3 Meter nicht eben zu den Seltenheiten gehören. Von der Klapperschlange unterscheidet sie sich durch ihren sehr großen, gestreckten Kopf, die wenig entwickelten Schilder desselben, die Färbung und die Zeichnung so ersichtlich, daß sie kaum mit ihr verwechselt werden kann. Der kleine Rüsselschild ist dreieckig; die wenig entwickelten Stirnschilder haben vierseitige Gestalt, die großen Augenbrauenschilder einen merklich hervorragenden Rand. Die nach der Häutung prachtvolle grünlich-, bei einzelnen Stücken förmlich goldbraune Grundfärbung dunkelt bis zum nächsten Oberhautwechsel mehr und mehr, und damit verwischt sich auch zum guten Theile die Zeichnung, welche in einer über den ganzen Rücken verlaufenden dreifachen Rautenkette besteht, deren goldgelbe Ränder wundervoll von dem innerhalb der verschobenen Vierecke sehr dunklen Grunde abstehen. Eine gleichgefärbte Binde verläuft von der Schnauzenspitze übers Auge zum Winkel des Maules. Den Oberkopf zeichnen dunkle unregelmäßige Flecke, Figuren und Binden.

Die Schauerklapperschlange ähnelt der nordamerikanischen Verwandten hinsichtlich der Beschilderung des Kopfes, der Diamantklapperschlange hinsichtlich der Färbung und Zeichnung, unterscheidet sich aber von jener dadurch, daß die Schilder der Vorderschnauze kleinere nicht zwischen sich aufnehmen, von dieser dadurch, daß die Rauten viel größer und ihre Einfassungen breiter, auch lichter, weiß- oder hellgraugelb gefärbt sind.


Rauten- und Schauerklapperschlange (Crotalus adamanteus und Crotalus horridus). 1/10 natürl. Größe.
Rauten- und Schauerklapperschlange (Crotalus adamanteus und Crotalus horridus). 1/10 natürl. Größe.

Zwei je über einem Auge beginnende, breite, dunkelbraune oder schwarze gleichlaufende Streifen ziehen sich über Kopf und Hals; die Untertheile sind einfach gelblichweiß. Hinsichtlich der Größe stimmt die Schauerklapperschlange mit der Klapperschlange überein.

[504] Da alle Arten der Sippe in ihrer Lebensweise sich ähneln, genügt es, wenn ich von der Diamantklapperschlange angebe, daß sie mit Vorliebe auf feuchtem Grunde, in der Nähe von Flüssen, Seen, Sümpfen und an der Meeresküste ihren Aufenthalt nimmt, ebenso gefährlich, ihrer Größe entsprechend aber noch giftiger ist als die Verwandten, übrigens hinsichtlich ihres Wesens und Gebarens von der geschilderten Art kaum sich unterscheidet. Letzteres gilt nun zwar auch für die Schauerklapperschlange; es liegen jedoch über sie, ihr Auftreten und ihr Verhältnis zu dem Menschen so viele beachtenswerthe Angaben vor, daß eine eingehendere Besprechung ihres Lebens und Treibens sich rechtfertigt.

»Die Schauerklapperschlange oder Cascavella«, sagt der Prinz von Wied, dem wir eine ausführliche Beschreibung des Thieres verdanken, »ist über den größten Theil von Südamerika verbreitet, bewohnt das ganze innere Brasilien, kommt in Minas Geraës vor und findet sich nördlich bis Guayana und am Marañon.« Durch Azara, Burmeister und Hensel wissen wir, daß sie auch im Süden nicht fehlt, namentlich in den Platastaaten vorkommt, durch Schomburgk, daß sie in Guayana ähnliche Oertlichkeiten bevorzugt, wie in Brasilien. »In den höchst feuchten Küstenwäldern«, fährt der Prinz fort, »scheint sie sich nicht aufzuhalten, vielmehr jenseits derselben, in den trockenen, mehr steinigen Gegenden des Sertong auf rauhen Triften, noch nicht urbar gemachten Ländereien, in dornigen, steinigen, trockenen und erhitzten Gebüschen usw.« Mit dieser Angabe stimmt Tschudi überein, indem er sagt, daß sie das kühle Camposgebiet den heißen Urwäldern vorziehe, daher vorzüglich im Inneren des Kaiserreichs gefunden werde. Im Rio Grande do Sul ist sie, laut Hensel, bei weitem seltener als die beiden anderen dort vorkommenden Lochottern, Surukuku und Schararaka, in der Nähe der Ansiedelung Santa Cruz noch am häufigsten, und hält sich auch hier am liebsten an offenen, grasreichen, mit Felsen und Hecken eingefaßten Stellen auf. In Guayana lebt sie in der Savanne und in dem in ihr auftretenden, lichteren, niederen Gebüsche, bis zu einer Höhe von zweitausend Meter über dem Meere, fehlt dort auch, wie in Brasilien, den dichten Waldungen der Küste.

Während des Tages begegnet man der Cascavella ausschließlich im Zustande der Ruhe. Sie liegt, im Teller zusammengerollt, träge auf einer und derselben Stelle und beißt nur, was ihr unmittelbar zu nahe kommt. »Oft hat man«, erzählt der Prinz, »auf diese Art an einem Tage mehrere Stücke Rindvieh verloren, welche an einer gewissen Stelle ihres Weges oder der Weide gebissen wurden; hierdurch aufmerksam gemacht, suchte man nach und fand und tödtete die gefährliche träge Schlange. Kommt man ihr nicht zufällig zu nah, oder bemerkt man sie in der Entfernung von einigen Schritten, so hat man nichts zu befürchten; denn kurz zuvor sie beißen will, gibt sie durch Schnellen mit dem Schwanze den bekannten, jedoch keineswegs lauten und deshalb nicht weit hörbaren Ton von sich. Es kann indessen dennoch bei der größten Aufmerksamkeit geschehen, daß man einem solchen Thiere zu nahe tritt und in den Fuß gebissen wird.« Dies begegnet nicht allein den stumpfsinnigen Weißen, sondern, wie Schomburgk erfuhr, auch den Eingeborenen des Landes, deren Falkenauge so leicht nichts entgeht.

»Oft habe ich mich«, erzählt letztgenannter Forscher, »der Cascavella oder ›Maracka‹ der Eingeborenen bis auf zwei Meter genähert und sie ruhig beobachtet. Zwar behielt sie mich dabei fortwährend im Auge, zeigte aber nicht die geringste Neigung zum Beißen. Doch die mindeste Anreizung, ja sogar eine plötzliche Annäherung versetzt das Thier augenblicklich in Wuth. Sich in Schrauben windend, den Hals und Kopf in die Höhe hebend, den Rachen weit aufsperrend (?) und ein ganz eigenthümliches Zischen ausstoßend, schaut sie dann zornig umher, den rechten Augenblick zum Bisse erlauernd, verfehlt nur selten ihr Ziel, und selbst die dichtesten Kleider, die stärksten Stiefeln werden von ihren Giftzähnen durchdrungen. Die zitternde Bewegung des Schwanzes verursacht allerdings ein Geräusch; dasselbe ist aber nicht laut genug, um weit gehört zu werden.« Mit der dreimaligen Warnung hat es dieselbe Bewandtnis wie mit der Bezauberungskraft, welche ihr zugeschrieben worden ist; d.h. also, die Erzählungen gehören in das Gebiet der Fabel. Das [505] ihrem Angriffe vorausgehende Rasseln warnt, wie auch Tschudi bestätigt, den Menschen zwar in der Regel, nicht aber in allen Fällen früh genug; denn zuweilen geschieht es doch, daß man unversehens auf das schlafende Thier tritt, und dann erfolgt der Biß sofort, ohne Warnungsgeräusch.

Kleine Säugethiere bilden die hauptsächlichste, im Süden, laut Hensel, kleine Hufpfötler die ausschließliche Nahrung der Cascavella. Außerdem stellt auch sie allen Vögeln nach, welche sie überlisten zu können meint. Hinsichtlich der Fortpflanzung gilt wahrscheinlich dasselbe, was man an der Verwandten beobachtet hat. Für gesellige Versammlungen während der Paarungszeit spricht eine Angabe Gardners. Am westlichen Abhange des Orgelgebirges bei Rio de Janeiro hörte derselbe in einem Gehölze ein seltsames Zischen und Rauschen und erfuhr von seinem einheimischen Reisegefährten, daß dasselbe von Klapperschlangen herrühre. Beide bestiegen einen Baum und sahen von da etwa zwanzig in einen Knäuel verschlungene Klapperschlangen, welche mit erhobenem Kopfe zischten und mit den Klappern rasselten. Durch die Pfeile des Brasilianers und die Doppelflinte Gardners wurden dreizehn Schlangen getödtet und noch mehrere schwer verwundete mit Stöcken erschlagen.

Ueber die Bißwirkung erfahren wir durch Schomburgk das nachstehende. »Die Sonne näherte sich schon dem Horizonte, und Essetamaipu war noch nicht zurückgekehrt, was uns nicht eher auffiel, bis wir einen anderen Indianer im schnellsten Laufe über die Anhöhe herbeieilen sahen: das sicherste Zeichen einer wichtigen Neuigkeit oder einer Unglücksbotschaft, da sich der Indianer sonst nur in gemessenen Schritten auf ein Dorf zu bewegt. Der Indianer hatte Essetamaipu, von einer Schlange gebissen, besinnungslos in der Savanne liegend gefunden. Mit allen möglichen Hülfsmitteln versehen, eilten wir der Stelle zu, wo der Unglückliche liegen sollte, und fanden ihn auch ohne Bewußtsein dort vor. Eine mit dem Messer auf wahrhaft schauderhafte Weise ausgeschnittene und mit einem Streifen des Schamschurzes verbundene Wunde über dem Knöchel des rechten Fußes zeigte uns die Stelle, wo der Arme gebissen worden war. Das Bein war geschwollen, und die heftigsten Krämpfe durchzuckten den ganzen Körper des Besinnungslosen, den man fast nicht wieder erkannte, so sehr hatten sich, infolge der Krämpfe, die Gesichtszüge verändert. Als der arme Essetamaipu durch die Savanne gegangen war, hatte er auf eine Klapperschlange getreten, in unmittelbarem Rachegefühl sie zunächst getödtet und dann erst die Wunde mit einer nur dem Indianer eigenen Gefühllosigkeit ausgeschnitten und verbunden. Da die Verwundung auf der hochgelegenen Savanne stattgefunden, hatte er sich noch mühsam in die Nähe des Pfades geschleppt, wo er eher gefunden zu werden hoffen durfte, und war hier besinnungslos zusammengesunken. Als die Bewohner Piraras uns hatten forteilen sehen, war uns fast die halbe Bevölkerung gefolgt, welche wahrscheinlich auch die Ursache unserer Eile erfahren hatte und nun, den Unglücklichen schweigsam ansehend, um ihn herumhockte, während die Frau und die Kinder desselben in ein herzbrechendes Jammern ausbrachen. Dem geronnenen Blute nach zu urtheilen, mußte die Verwundung schon vor mehreren Stunden stattgefunden haben; ein Aussaugen und Ausbrennen war daher nicht mehr anwendbar, weshalb wir die Wunde bloß mit Ammoniak auswuschen und solchen, mit Wasser verdünnt, dem immer noch Besinnungslosen einflößten. Dieses Mittel schien seine Wirkung nicht zu verfehlen. Die Besinnung kehrte zurück, und der Kranke, welcher über Schmerzen in der Brust- und Achselgegend, sowie über Ziehen in den Gliedern und Rückenweh klagte, wurde in seiner Hängematte nach Pirara getragen. Das Bein blieb mehrere Tage bis zum Hüftgelenk hinauf zu einer unförmlichen Masse angeschwollen und völlig unbeweglich; dabei fühlte der Leidende bei der leisesten Erschütterung die unerträglichsten Schmerzen. Nach drei Wochen hatte ein warmer, erweichender Umschlag von Cassadabrod nicht nur die Geschwulst, sondern auch den leichenartigen Ausdruck des Gesichtes und die Schmerzen vertrieben; nach Verlauf von fünf Wochen schloß sich auch die Wunde, und der Kranke konnte den Fuß wieder gebrauchen.«

Vor einigen Jahren erregte, wie Tschudi in seiner 1867 erschienenen »Reise durch Südamerika« mittheilt, ein Vorfall in Rio de Janeiro gerechtes Aufsehen. Ein gewisser Maniaro [506] Jose Machado, seit einer Reihe von Jahren mit dem Aussatze behaftet, beschloß nach vierjährigem Aufenthalte im Krankenhause der Hauptstadt, einen letzten Versuch zur Heilung seines fürchterlichen Leidens zu wagen. Der Volksglaube schreibt nämlich in einigen Gegenden Brasiliens dem Bisse der Giftschlangen die Kraft zu, den Aussatz zu heilen. Machado, welcher in Erfahrung gebracht hatte, daß sich in der Hauptstadt eine lebende Klapperschlange befinde, erklärte seinen festen Willen, sich von dem Thiere beißen zu lassen. Vergebens suchten seine Angehörigen und mehrere Aerzte, ihn von seinem verzweifelten Vorhaben abzuhalten. Seines Lebens überdrüssig, blieb er taub gegen alle Bitten und Mahnungen. In Begleitung mehrerer Leute, darunter auch einiger Aerzte, begab er sich in das ihm bezeichnete Haus und ließ hier einen feierlichen Notariatsakt aufnehmen, in welchem er erklärte, daß er den beschlossenen Schritt nach reiflicher Ueberlegung und gänzlich aus eigenem Antriebe unternähme, daß es daher allein auf seine Gefahr hin geschähe und daß er alle Verantwortlichkeit hinsichtlich des Erfolges tragen wolle. Das Schriftstück wurde von ihm und mehreren Zeugen unterschrieben.

Machado war ein mittelgroßer Mann von etwa funfzig Jahren. Sein ganzer Leib war mit den bezeichnenden, trockenen Aussatzpusteln bedeckt, das Gesicht unförmlich entstellt, und an den Gliedern hatten sich die Knoten zu Klumpen angehäuft, von denen sich die Oberhaut mit Leichtigkeit losschälte. Sein Lebensüberdruß hatte bereits den höchsten Grad erreicht. Als daher die erwähnte Förmlichkeit vorüber war, steckte er ohne Zögern die Hand in den Käfig der Klapperschlange. Wie von Ekel ergriffen, wich das Thier scheu zurück. Der Kranke faßte hierauf die Schlange an; aber sie züngelte nur gegen die aufgedunsene Hand, und erst, als er sie wiederholt geneckt und gedrückt hatte, versetzte sie ihm einen Biß in die Wurzel des kleinen Fingers. Machado fühlte die Verwundung nicht und wurde erst von den Umstehenden darauf aufmerksam gemacht. Dies geschah um elf Uhr funfzig Minuten. Als er die Hand zurückzog, bemerkte man an der Bißwunde eine kleine Anschwellung. Fünf Minuten später trat Gefühl der Kälte in der Hand ein, welche nun rasch anschwoll und schon nach einer Viertelstunde einen furchtbaren Umfang erreichte. Um zwölf Uhr achtundzwanzig Minuten hatte sich die Geschwulst bereits über den ganzen Arm bis zur Achsel ausgebreitet. Verzerrungen des Gesichtes und krampfhafte Zuckungen bekundeten die zunehmende Wirkung des Giftes. Um ein Uhr zwanzig Minuten wurden außerordentliche Empfindlichkeit und Zittern am ganzen Körper, noch sechzehn Minuten später getrübtes Bewußtsein, mühsames Bewegen der Lippen, Schlafneigung und Zusammenschnüren des Schlundes bemerklich. Um zwei Uhr fünf Minuten wurde das Schlingen schwierig, das Sprechen undeutlich; der Kranke klagte über ein Gefühl von unsagbarer Angst, und reichlicher Schweiß ergoß sich auf der Brust. Dreißig Minuten später hatte die Unruhe den höchsten Grad erreicht; gleichzeitig machte sich Schwindel geltend, und es begann jetzt Blutung aus der Nase, welche sich um drei Uhr vier Minuten wiederholte; auch wurden die Schmerzen in dem Arme so heftig, daß der Kranke unwillkürlich stöhnte. Um drei Uhr fünfunddreißig Minuten zeigte sich auf dem ganzen Körper eine gallige Hautfärbung und eine der Pusteln unter dem Arme begann zu bluten. Der Kranke genoß ohne Anstand etwas gewässerten Wein; bald aber stellten sich heftige Schlingbeschwerden ein, die Athmung wurde mühsam, die Schmerzen in dem Arme fast unerträglich, und die gelbe Hautfarbe begann namentlich am gebissenen Arme zu dunkeln. Der Puls, welcher nach zwei Uhr achtundneunzig Schläge gezeigt hatte, stieg auf einhundertundvier Schläge in der Minute. Es trat große Hitze des ganzen Leibes und Speichelfluß, fünf Uhr dreißig Minuten sehr bedeutende Harnabsonderung, um sieben Uhr unüberwindliche Schlafsucht ein. Nach einiger Zeit, während welcher der Kranke anhaltend unbewußt gestöhnt hatte, wachte er auf, klagte über heftigen Schmerz in der Brust und Zusammenschnüren der Kehle, so daß es ihm nicht möglich sei, etwas zu schlingen, und wiederum traten Harnentleerungen und Nasenbluten ein. In diesem Zustande endlich, als sowohl der Kranke, wie auch die anwesenden Aerzte die volle Ueberzeugung erlangt hatten, daß die Vergiftung einen tödtlichen Ausgang nehmen werde, wurde, mit Einwilligung des Machado, [507] noch ein Versuch gemacht, diesem Ausgange vorzubeugen. Um zehn Uhr nachts erhielt er daher drei Löffel eines Absudes von Huaco (Mikania huaco), eine Stunde später vier Löffel desselben Mittels. Um Mitternacht trat Schlaf ein; nach einer halben Stunde wachte der Kranke unter unsäglicher Angst auf, schrie heftig und verlangte zu beichten. In der größten Unruhe verstrich der Rest der Nacht. Gegen neun Uhr vormittags hatte sich des Kranken tiefste Niedergeschlagenheit bemächtigt; der abgehende Harn war blutig, und die krampfhaften Bewegungen wiederholten sich, namentlich am Unterkiefer und den unteren Gliedern. Um zehn Uhr dreißig Minuten, also noch nicht ganz nach vierundzwanzig Stunden, verschied er, nachdem er vorher durch allerlei Heilversuche gequält worden war und unter anderem auch einige Unzen Eidechsenöl hatte einnehmen müssen. Die Leiche schwoll bald außerordentlich an und ging rasch in Fäulnis über; schon nach wenigen Minuten war sie mit Todtenflecken bedeckt.

»Wird«, bemerkt Schomburgk noch, »durch schleunig angewandte Mittel auch den tödtlichen Wirkungen des Schlangenbisses vorgebeugt, so schleppt der Verwundete doch sein ganzes Leben hindurch die nachtheiligen Folgen mit sich herum und unterliegt denselben oft nach mehreren Jahren. Die Wunde bricht meist alle Jahre wieder auf, und das verwundete Glied bleibt ununterbrochen der schmerzhafteste Wetterprofet. Außer den allgemein üblichen Mitteln: Ausschneiden und Aussaugen der Wunde, sowie frischer Saft vom Zuckerrohr, dessen Genuß nach Aussage der Indianer auch ein sicheres Mittel bei Verwundung mit dem Giftpfeil sein soll, besitzt noch jeder Stamm seine eigenthümlichen Arzneien, von denen man allerdings eine große Anzahl den eingebildeten zuzählen muß. So dürfen bei einigen Stämmen weder der Verwundete, noch seine Kinder, noch seine Eltern und Geschwister, sobald solche mit ihm eine und dieselbe Niederlassung bewohnen, die erste Zeit nach seiner Verwundung Wasser trinken oder sich baden oder nur in die Nähe des Wassers kommen; einzig seiner Frau ist dies gestattet. Dünner Kürbisbrei, welcher aber nur warm genossen werden darf, muß den Durst stillen, und geröstete Pisangfrüchte sind die einzige Nahrung, welche ersterem während dieser Zeit erlaubt ist. Hat der Gebissene nach der Verwundung Zuckerrohrsaft genossen, so muß er später alles Süße vermeiden. Andere Stämme glauben in Frauenmilch ein wirksames Gegengift entdeckt zu haben und wenden sie im Verein mit erweichenden Umschlägen aus Cassadabrod an, wieder andere den ausgepreßten Saft der Blattstengel und Wurzeln des Dracontium dubium. Ziemlich allgemein verbreitet gegen den Biß der Klapperschlange ist die Anwendung eines Absuds der Byrsonima crassifolia und Moureila, und außer der schon erwähnten Aroidea, die derselben Familie angehörende Quebitea guianensis. Doch scheint die heilsame Wirkung aller dieser Mittel vielfach durch die Körperbeschaffenheit des Verwundeten bedingt zu sein, da Frauen und schwächliche Männer nur höchst selten mit dem Leben davon kommen.« Tschudi bezweifelt übrigens nicht, daß die wilden Waldindianer, welche den Schlangenbissen so sehr ausgesetzt sind, im Besitze eines wirksamen Gegengiftes sind, von welchem wir noch keine sichere Kenntnis erlangen konnten. »Bekanntlich«, sagt er, »besitzen die Indianer Columbias und Perus in der Schlingpflanze Vejuco de Huaco (Mikania Huaco) ein ausgezeichnetes, seinen glücklichen Erfolg selten versagendes Heilmittel gegen den Biß gewisser Giftschlangen.« Bei Besprechung des erwähnten, freiwillig herbeigeführten Vergiftungsfalles, fügt er vorstehendem noch hinzu, daß dieses berühmte Mittel in tausenden von Fällen mit dem glänzendsten Erfolge gegen Schlangenbiß gebraucht worden sei und bei Machado jedenfalls nur deshalb seine Wirkung versagt habe, weil es in so vorgerückter Zeit verabfolgt worden wäre, daß nach dem Urtheil eines jeden Fachmannes an eine Hülfe nicht mehr gedacht werden konnte. »Der Huaco konnte wohl den Tod verzögern, aber keine Rettung mehr bringen.«

»Die Brasilianer«, bemerkt der Prinz, »kennen, wenngleich ihre Kur mit mancherlei abergläubischen Vornahmen, Gebeten, Formeln und dergleichen verbunden sind, einige wichtige Hauptmittel gegen den Schlangenbiß. Hierher gehören: das Ausschneiden und Ausbrennen der Wunde sowie mancherlei Kräu teraufgüsse, welche man als Aufschläge oder innerlich anwendet, und welche [508] im letzteren Falle gewöhnlich schweißtreibend wirken. Dieser gegen den Schlangenbiß gebrauchten Pflanzen hat man eine bedeutende Anzahl; hierher gehören mehrere Arten der Aristolochia, Bignonia, Jacaranda, z.B. das Angelim branco, die Plumeria, die Verbena virgata und andere, deren ein jeder Rathgeber in solchen Fällen gewöhnlich andere und immer bessere kennen will. Man schabt und quetscht die Wurzeln, Blätter und Früchte, gibt sie ein und legt sie äußerlich auf; manche sind gut, um die Wunde zu reizen, andere, wohl die meisten, schweißtreibend usw.« In seiner Reisebeschreibung erzählt der Prinz mehrere Fälle, in denen von Schlangen Gebissene geheilt wurden. Einem jungen Puri umband man den gebissenen Fuß, schnitt und saugte die Wunde aus und gab ihm innerlich anstatt eines anderen schweißtreibenden Mittels Branntwein ein. »Nach mehrmaligem Ausbrennen mit Schießpulver legte man den Kranken in ein Schlafnetz und streute gepulverte spanische Fliege in die Wunde. Der Fuß schwoll sehr an. Ein eben anwesender Bergmann brachte zwei Wurzeln, welche er sehr rühmte; die eine war schwammig und geschmacklos, wurde deshalb auch verworfen; von der anderen, welche sehr bitter war und die der Aristolochia ringens zu sein schien, wurde ein starker Thee bereitet. Ob erfolgtes Erbrechen von dem Thee, dem Branntwein oder von dem Schlangengifte selbst herrührte, war schwer zu entscheiden. Nach einer ruhigen Nacht waren Fuß und Schenkel bis zum doppelten Umfange angeschwollen, der Kranke aber so gereizt, daß er beim geringsten Geräusch schrie und weinte. Da er Blut aus dem Munde warf, gab man ihm kein Mittel mehr; auf den Fuß wurden ihm Blätter, wahrscheinlich der Plumeria obovata gelegt, welche der Kranke sehr lobte, weil sie ihn außerordentlich kühlten. In die Wunde streute man ein Pulver aus der Wurzel dieser Pflanze. Er genas nun bald. Auf einer kurzen Reise in der Nähe von Rio de Janeiro fand Sellow einen von einer Schlange gebissenen Neger vollkommen erschöpft auf der Erde liegen. Sein Gesicht war aufgetrieben; er athmete heftig und sollte aus Mund, Nase und Ohren geblutet haben. Man gab ihm das Fett des großen Teju ein; vorher hatte man innerlich und äußerlich einen Thee von einer Verbena gegeben, welche den Schweiß befördern soll.

Das mitgetheilte wird einen Begriff von den unter brasilianischen Landbewohnern üblichen Kuren solcher Kranken geben. Es ist dort überhaupt wie bei uns: jeder kennt ein anderes Mittelchen, welches Vorzüge vor dem des anderen besitzt, welches gewiß hilft und auch wohl geheim gehalten wird. Besonders empfohlen wird das Abbeten einer gewissen Anzahl ›Va terunser, Ave Maria‹ usw.

Ein deutscher Apotheker, Peckolt, in Cantagallo hat, wie Tschudi noch erzählt, aus einer von den Eingeborenen zuweilen mit Erfolg gegen Schlangenbiß angewandten Pflanze der Urwälder eine Tinktur bereitet und unter dem Namen Polygonaton in den Handel gebracht. Dieser Tinktur wird ein zweckmäßig verfertigter Schröpfkopf beigegeben, um ihn, nachdem das verwundete Glied unterbunden wurde, sogleich auf die mittels einiger Einschnitte erweiterte Wunde zu setzen. Die Tinktur wird, je nach der Heftigkeit der Erscheinungen, in kürzeren oder längeren Zwischenräumen eingenommen. Dieses Mittel hat in der Umgegend von Cantagallo in mehr als siebzig Fällen den ausgezeichnetsten Erfolg gehabt. Selbst wenn es sehr spät zur Anwendung kam, die Vergiftungserscheinungen den bedrohlichsten Charakter angenommen hatten und das so gefährliche Blutbrechen eingetreten war, führte es noch einen günstigen Ausgang der Krankheit herbei.«

Indianer und Neger behaupten, daß der Biß der Klapperschlangen, wenn sie trächtig sind oder sich häuten, sowie bei heißem Wetter und bei Mondveränderungen am gefährlichsten sei. Sie und die Brasilianer sagen auch, daß die Schlangen das Gift von sich speien, wenn sie trinken wollen, daß ein durch Schlangenbiß Verwundeter während seiner Kur den Anblick weiblicher Wesen vermeiden müsse, daß das Gift lange seine Wirksamkeit behalte, und erzählen davon mancherlei, oft erheiternde Beispiele. Die bekannte Geschichte von dem Stiefelpaare, welches einer Frau zwei Männer raubte und noch einen dritten tödtete, weil die bei dem Bisse einer Klapperschlange abgebrochenen Zähne in ihm stecken geblieben waren, läuft unter den Brasilianern wie unter den Nordamerikanern von Mund zu Mund und wird selbstverständlich ohne Widerspruch gläubig hingenommen.

[509] Ueber die Feinde der Cascavella theilt uns weder der Prinz, noch irgend ein anderer mir bekannter Reisender etwas mit; doch dürfen wir wohl annehmen, daß einige Marderarten und die als Schlangenfeinde bekannten Raub- und Sumpfvögel mancher von ihnen den Garaus machen werden, da ja sogar Hauskatzen sie mit Erfolg befehden. Der Mensch tödtet sie, wo er sie findet, ohne sie weiter zu benutzen. Kein Südamerikaner, nicht einmal der wilde Indianer, ißt Schlangenfleisch. Die Schwanzklapper dagegen wird, laut Angabe des Prinzen, nicht weggeworfen, wenn der Zufall zu ihrem Besitze führt, vielmehr öfters gut bezahlt, weil man sie für ein wirksames Mittel in mancherlei Krankheiten ansieht.

In Südamerika finden nur die Neger Vergnügen daran, giftige Schlangen zu halten. »Die Kunst, solche Schlangen zu zähmen«, sagt Schomburgk, »scheinen die Neger mit aus ihrem Vaterlande herübergebracht zu haben, da es bei ihnen nichts seltenes ist, daß sie Klapperschlangen, ohne ihnen die Fänge auszureißen, so abzurichten verstehen, daß sie sich ihrem Meister ohne Gefahr um die Arme schlingen und mit ihm auf dem freundschaftlichsten Fuße leben.«


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 503-510.
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