Zweite Unterklasse: Die Egel [90] (Hirudinea)

Es ist leichter, den Anwalt der Regenwürmer zu machen, die nicht ganz unliebenswürdig sind, oder der Schmarotzerkrebse, welche als Karikaturen und Beispiele der wundersamsten Rückbildungen ergötzen und interessiren, als den Egeln Freunde zu gewinnen. Stehen doch jedermann, wenn von Egeln die Rede ist, gleich die eigentlichen Blutsauger vor Augen, die zwar nicht unschön anzusehen, aber im ganzen nur widerliche Vorstellungen erregen. Indessen bilden diese allbekannten und besonders gierigen Vertreter ihrer Abtheilung doch nur eine geringe Zahl, und unter den übrigen können viele durch Eleganz der Form und Zeichnung eine lebhaftere und befriedigendere Berücksichtigung beanspruchen. Als Theil vom Ganzen betrachtet, füllen aber die Egel auch ihre Stelle im großen Haushalte der Natur aus und, wenn auch weniger durch auffallende und eigenthümliche Lebensgewohnheiten ausgezeichnet, helfen sie uns unter anderem zum Verständnisse einer großen Gruppe von wahren Eingeweidewürmern. Ja, so eng ist die aus dem Baue und der Lebensweise hervorgehende Verbindung der Egel mit den sogenannten Saugwürmern, daß man mit vollem Rechte diese letzteren, ungegliederten Würmer mit den Egeln zu einer Klasse vereinigen kann.

[90] Daß übrigens die Egel wahre gegliederte Würmer sind, lehrt die oberflächliche Betrachtung der Körperringelung irgend eines derselben, und die Anatomie weist ferner nach, daß auch jene charakteristische Eigenschaft der Borstengliederwürmer ihnen im vollen Maße zukommt, wonach auch die wichtigeren inneren Organe sich in den auf einander folgenden Segmenten wiederholen. Die gänzliche Abwesenheit von Fußstummeln und Borsten sowie der Besitz von Saugnäpfen meist am Vorder- und immer am Hinterende charakterisirt sie als besondere Abtheilung, als welche sie auch oft Glattwürmer genannt werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 90-91.
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